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MAJA WINTER Die Drachenjägerin 3 Das unterirdische Reich

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MAJA WINTER

Die Drachenjägerin 3

Das unterirdische Reich

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Maja Winter

Die Drachenjägerin 3Das unterirdische Reich

Roman

Originalausgabe

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

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1. Auflage

Originalausgabe Oktober 2011 bei Blanvalet,

einem Unternehmen der

Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © 2011 by Lena Klassen

Umschlaggestaltung: Umschlagmotiv:

© Illustration Marion Hirsch/HildenDesign

Lektorat: Angela Troni

Karte: © Jürgen Speh

HK · Her stel lung: sam

Satz: Buch-Werk statt GmbH, Bad Aib ling

Druck und Ein band: GGP Media GmbH, Pößneck

Prin ted in Germ any

ISBN: 978-3-442-26823-8

www.blan va let.de

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Kö ni gin Ir ana lös te die gol de ne Ket te von ih rem Hals. »Hier«,

sag te sie. »Aber ich ver ste he im mer noch nicht, was Ihr da mit

vor habt, Rit ter Har lon.«

Ehr fürch tig nahm er das Schmuck stück ent ge gen. Der grü ne

Stein, von ver schlun ge nen gol de nen Or na men ten ein ge fasst,

leuch te te matt. Ein schwa ches Pul sie ren, nur dank sei nes ma gi-

schen Ta lents wahr nehm bar, ging da von aus. »Ich bin mir nicht

si cher«, sag te er vor sich tig. »Ich müss te mir die Ket te au ßer halb

des Schlos ses an se hen, um je den Zwei fel aus zu räu men. Hier

drin nen gibt es zu vie le Schutz zau ber, die frem de Bli cke fern-

hal ten sol len. Ge stat tet Ihr mir, sie mit zu neh men?«

»Was habt Ihr denn vor, wenn die ser grü ne Stein das ist, was

Ihr glaubt?«, frag te die Kö ni gin.

»Dann ste hen ein paar Ent schei dun gen an«, sag te Har lon.

»Wich ti ge Ent schei dun gen, de ren Trag wei te wir nicht er mes-

sen kön nen. Wür det Ihr Eu ren schlimms ten Fein den die Macht

ge ben, die Welt zu ver nich ten? Wür det Ihr sämt li che Un ge heu-

er von der Ket te las sen?«

Ir ana wur de blass. »Das kann nie mand ver lan gen. Mö gen die

Göt ter Euch und mich da vor be wah ren, so et was auch nur in

Er wä gung zu zie hen!«

»Und doch«, sag te Har lon be däch tig, »ist das der ein zi ge

Weg, um ih nen un se re Freund schaft an zu bie ten. Um ih nen ei-

nen an ge mes se nen Platz zu ge ben zwi schen den Kö nig rei chen

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süd lich des Stil len Mee res. Wir wer den eine Ge fahr schaf fen,

die wir nicht wie der ein däm men kön nen – aber wenn al les gut

geht, ge win nen wir Ver bün de te, die von un schätz ba rem Wert

sind. Die Welt ist seit acht hun dert Jah ren aus dem Lot, und wir

ha ben die Macht, Din ge in Ord nung zu brin gen, die im Gro ßen

Krieg schief ge lau fen sind.«

Ir ana wur de noch blas ser, ner vös nes tel te sie an ih rer kunst-

vol len Fri sur he rum. Trotz ih rer Ju gend blick ten aus ih ren Au-

gen die Klug heit und Weit sicht ei ner er fah re nen Frau, die sich

nur vor we nig fürch tet.

»Von wem sprecht Ihr ei gent lich?«, er kun dig te sie sich.

»Von den Dra chen«, sag te er ernst.

»Aber … wie so wagt Ihr auch nur zu hof fen, die se ent setz li-

chen Bes ti en könn ten un se re Ver bün de ten wer den?«

»In die sem Stein«, Har lons Hand schloss sich da rum, »liegt

ein Ver spre chen. Die Dra chen sind mehr als das Feu er, das Wäl-

der und Dör fer ver brennt. Sie sind mehr als Räu ber, die Gold

zu sam men raf fen und da für Tod und Ver wüs tung hin ter las sen.

Sie sind mehr als Tie re. Sie sind … Es gibt kei ne Wor te da für,

nicht in un se rer Spra che. Ich habe ge schwo ren, nicht da rü ber

zu re den, was sie wirk lich sind.« Sei ne Au gen leuch te ten, wäh-

rend er sprach, sein Ge sicht strahl te.

Ir ana blin zel te ver wirrt. »Das sagt Ihr, der bes te Dra chen-

jä ger mei nes Man nes? Es ist Euer Ge schäft, sie zu tö ten! Und

nun schwärmt Ihr von ih nen wie ein klei ner Jun ge von sei nem

neu en Spiel ka me ra den. Oder wie ein Sän ger von der Frau, die

er liebt. Was ist nur in Euch ge fah ren?«

Der Rit ter ant wor te te nicht. Er be trach te te ver son nen den

grü nen Stein.

»Ihr hät tet die Ket te steh len kön nen«, sag te Ir ana nach denk-

lich. »Ihr könn tet mich um brin gen und da mit flie hen … statt-

des sen kommt Ihr mit die sem un glaub li chen An lie gen zu mir.

Wer de ich Euch je mals be grei fen, Rit ter Har lon?«

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»Die Welt kann sich zum Bes se ren wen den«, sag te er.

»Die Welt ge fällt mir ei gent lich ganz gut, so wie sie ist«, gab

sie zu rück. »Ihr dürft nicht auf der Sei te der Dra chen ste hen.

Da für lan det Ihr am Gal gen! Ihr wer det alle ent täu schen, die

auf Euch zäh len und an Euch glau ben. Das ist Wahn sinn!«

Er lä chel te nur, aber sein Lä cheln war nicht das ei nes Wahn-

sin ni gen. »Es gibt kei ne Ge wis shei ten«, sag te er. »Nur Chan-

cen. Ich schen ke mein Ver trau en ei nem We sen, das mein Feind

sein müss te. Al les, wo ran ich je ge glaubt habe, hat es durch-

ei nan der ge bracht, und das Ein zi ge, was ich weiß, ist dies: Ich

bin kein Dra chen jä ger mehr. Ich bin …« Er lach te auf. »Ja, was

bin ich? Sein Freund? Sein Die ner? Ich war ein Mann des Kö-

nigs, doch jetzt …«

»Nehmt.« Ir ana leg te ihre Fin ger um sei ne Hand, die den

Stein um schloss. »Nehmt und geht und schweigt still, be vor

ich über haupt nichts mehr be grei fe. Über prüft, ob die ser Stein

der rich ti ge ist, und dann ver sucht mir zu er klä ren, ob es sich

lohnt.«

Der Rit ter nick te. Erst als er schon im Hof war, fiel ihm ein,

dass er sich gar nicht be dankt hat te. Er trug sei nen Schatz nach

drau ßen, und je wei ter er kam, umso stär ker schien das Leuch-

ten in sei ner Ta sche zu wer den, ein Licht, das nicht sei ne Au-

gen, son dern sein Herz zum Schwin gen brach te. Ein Licht wie

eine mäch ti ge Woge, die al les über schwemm te, wie ein Sturm,

der über das Land feg te, ein Ruf, der in sei nen Oh ren gell te. Er

ritt den Hang hi nun ter und zwi schen die Hü gel, und mit je der

Stun de wur den das Licht und das Lied und der Sturm stär ker.

Er fürch te te, die Hit ze, die der Stein aus strahl te, wür de den

Stoff ver bren nen und sei ne Haut zum Glü hen brin gen, doch

als er die Hand da raufl eg te, war der Stein glatt und kühl. Sei-

ne Zau ber er sin ne narr ten ihn; was er fühl te, war rei ne Ma gie,

stär ker als al les, was ihm je be geg net war.

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Der Dra che war te te in ei nem ver bor ge nen Tal auf ihn. Selbst

sei ne Macht, die ei nes aus ge wach se nen, le ben di gen Dra chen,

kam nicht ge gen das an, was Har lon bei sich trug, ob wohl es

nur ein win zi ges Stück von ei nem To ten war.

»Du hast es!«, rief Gah Ran ihm ent ge gen, au ßer sich vor

Freu de. »End lich. Hebe den Fluch auf! Tu es. Wo rauf war test

du noch? Be freie mich!«

»Wie?«, frag te Har lon. »Was muss ich da für tun?«

»Weiß ich es?«, frag te der Dra che. »Du bist der Zau be rer,

nicht ich.«

Der Rit ter leg te die Hän de um den Stein. Den Zau ber je der

an de ren Schup pe konn te er mit Wor ten der al ten Dra chen spra-

che bän di gen, ihm sei ne Be stim mung auf er le gen, sei nen ei ge-

nen Zau ber, doch wie soll te er die Macht, die in sei ner hoh len

Hand pul sier te, in ein ein zi ges Wort ban nen?

»Ich weiß nicht, wie«, muss te er zu ge ben. »Es ist, als hät te

ich ein le ben di ges Tier in der Hand, das zap pelt und beißt und

sich wehrt. Ich hat te kei ne Ah nung, dass ir gend ein Zau ber so

stark sein könn te.«

Der rie si ge rote Dra che starr te auf die leuch ten de grü ne

Schup pe. »Du musst nach Stein hag ge hen«, sag te er schließ-

lich. »Dort wirst du die Ant wort hof fent lich fin den. Aber bis du

an kommst, musst du es ver ber gen. Lege ei nen Schutz zau ber

da rü ber, ir gend et was, oder sie wer den sich bald alle auf dich

stür zen, um dir die ses Klein od ab zu neh men!«

»Wie?«, rief Har lon. Er hob die Stim me, um ge gen den Sturm

an zu kom men, den nur er hör te. »Wie soll ich das ver zau bern?

Es ver brennt mich!«

Am Him mel über ih nen er schien be reits ein dunk ler Punkt.

Rasch wur den Flü gel sicht bar. Ein wei te rer tauch te auf.

»Schnell«, rief Gah Ran. Er wand te den Kopf und riss sich eine

sei ner ei ge nen blut ro ten Schup pen aus dem Pan zer. »Zau be re!«

»Was soll ich tun?«, schrie Har lon.

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Der Sarg war be mer kens wert schlicht. Nur eine grob ge zim-

mer te Kis te aus Holz, da rü ber ein wei ßes Tuch mit dem kö nig-

li chen Wap pen: Schwert und Flam me. Prunk voll glänz ten da-

ge gen die Sol da ten, in vol ler Rüs tung, mit blit zen den Hel men,

Schil den und Schwer tern. Die ge schmück ten Pfer de schrit ten

wür de voll im Takt der Trom meln, an je der Stra ßen e cke blie-

sen die He rol de in die Hör ner, Hand glo cken läu te ten Sturm,

Schlag stö cke und Tamb urine er füll ten die Her zen mit Lärm;

bei na he ge lang es ih nen, die Trau er zu ver trei ben. Bis in die

Mit te der Stadt vor den gro ßen Brun nen mar schier te der Zug

mit Spek ta kel, dann wur de es mit ei nem Schlag still.

Die Rit ter stie gen von den Pfer den, lös ten die Schlei fen aus

den Mäh nen, die Schmuck stei ne vom Zaum zeug, nah men ihre

Hel me ab und neig ten die Köp fe. Die Ins tru men te ver stumm-

ten. Der Prinz, der als Ein zi ger vor dem Kar ren ge rit ten war,

wand te sich um und knie te nie der.

»Nicht Rüs tung und nicht Schild, kein Gold und kein Schwert

bahnt dir den Weg«, sag te er. Ob wohl Ar ian nicht laut sprach,

wa ren sei ne Wor te in der Stil le weit zu hö ren. »Wen die Göt ter

lie ben, den füh ren sie durch Dun kel heit und Feu er bis ans Tor

in ihr Reich. Wir bli cken dei ner See le nach, Va ter, auf ih rer Rei-

se ohne Wie der kehr.« Er lehn te die Stirn ge gen den Sarg und

ver hielt so, dann kämpf te er die Trä nen nie der und führ te den

Zug wei ter, dies mal zu Fuß. Sechs Sol da ten ho ben den Sarg

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vom Kar ren und tru gen ihn dem Kö nigs sohn nach, die üb ri gen

folg ten schwei gend, de mü tig die Köp fe ge senkt.

Agga, be stimmt das hüb sches te, blond es te und un ver schäm-

tes te Dienst mäd chen der Stadt Lan han nat und mög li cher wei-

se so gar des Kö nigs reichs Schenn, hielt sich die Hand vor den

Mund und un ter drück te ein Schluch zen. Yaro stieß sie vor sich-

tig an und reich te ihr zu vor kom mend ein Ta schen tuch. Dank-

bar nick te sie ihm zu und tupf te sich über die Au gen.

»Wei nen kön nen wir spä ter im mer noch«, knurr te der alte

Kas idov ein we nig zu laut. Ei ni ge der Um ste hen den dreh ten

sich um und be deu te ten ihm zu schwei gen.

»Kommt«, flüs ter te Mora. »Wir ha ben ge nug ge se hen.«

Die Ver schwö rer zo gen sich aus der Men ge zu rück, die im-

mer noch ge bannt ver harr te, ob wohl der Trau er zug längst

wei ter mar schiert war. Sie wa ren zu siebt – drei alte Män ner,

zwei jun ge Ker le und zwei Frau en. Un be strit te ne An füh re-

rin war Mora, die Zau be rin, bei der sie alle wohn ten; schon

seit vie len Jah ren küm mer te sie sich um die drei un zer trenn-

li chen Al ten Kas idov, Bor lin und Li reck, ehe ma li ge Knap pen,

de nen die Zeit nichts an ha ben konn te, drei stän dig strei ten-

de Grei se, die ei nen manch mal wün schen lie ßen, frü her zu

ster ben als sie. Auch Agga ließ es sich nicht neh men, über all

da bei zu sein, wäh rend sie über dies Mo ras Haus in Schuss

hielt und den bei den jun gen Män nern vom Land den Kopf

ver dreh te.

Yaro war ver lobt und leis te te na tür lich Wi der stand, aber Ri-

nek war un ge bun den. Da für sah er lei der nicht ganz so gut

aus, wie er sich ehr lich ein ge ste hen muss te. Auf sei ne lan gen

schwar zen Haa re, die er im Na cken zu sam men ge bun den trug,

war er schon im mer stolz ge we sen. Dazu war er groß und breit-

schult rig, und sein Ge sicht hät te man viel leicht »kühn« und »ir-

gend wie recht gut aus se hend« nen nen kön nen. Aber das war

eben nicht gleich be deu tend mit »un wi der steh lich at trak tiv«.

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Ge gen Yaro hat te ein fach nie mand eine Chan ce, aber das konn-

te Ri nek sei nem bes ten Freund nicht übel neh men.

»Mir hat es wirk lich in den Fin gern ge juckt«, sag te er. »Am

liebs ten wäre ich hin zu ge sprun gen, hät te den Sarg ge öff net,

Kö nig Pi vellius he raus ge zerrt und ihn auf die Bei ne ge stellt.«

»Ge sprun gen?«, frag te Agga ver ächt lich und wies auf die

Krü cke und das Holz bein. Of fen bar hat te sie sich schon von

ih rer Trau er um den ver meint lich to ten Herr scher er holt. »Das

will ich se hen.«

»Oh, ich könn te dir so ei ni ges zei gen«, mein te Ri nek mun-

ter, »noch viel be ein dru ckend ere Din ge als den Sprung ei nes

ein bei ni gen Man nes.«

»Hört auf, Kin der«, be fahl Li reck mit be leg ter Stim me. »Jetzt

ist nicht die Zeit zum Scher zen. Wir ha ben noch viel zu tun.«

Ri nek lä chel te un gläu big. Der Alte hat te eben falls ge rö te te

Au gen. Wie so wein ten sie alle um ei nen Mann, der nicht zu

ih rer Fa mi lie ge hört hat te – und der au ßer dem nicht ein mal

rich tig tot war?

»Seid ihr trau rig, weil Pi vellius so jung war?«, er kun dig te er

sich. »Sich vor zu stel len, dass er in die sem Sarg liegt, ob wohl

sei ne Haa re noch nicht weiß sind, bloß grau, kei ne hun dert

Jah re alt …«

»Seid still, Herr Ri nek«, be fahl Bor lin. »Das ist un ser Kö nig.

Euch in der hin ters ten Pro vinz be deu tet das viel leicht we ni ger,

aber wir ha ben hier mit ihm ge lebt. Er war ein gu ter Herr scher,

ei ner der bes ten.«

»Es gibt kei ne gu ten Kö ni ge«, mur mel te Ri nek ver dros sen.

Sei ne Er fah run gen mit der Un ge rech tig keit der Ob rig keit be-

hielt er meist lie ber für sich. Nicht, weil er sich da für schäm te,

dass er gan ze Mon de im Ge fäng nis ver bracht hat te, son dern

weil er wuss te, dass die meis ten sei ne Wut auf den Adel nicht

nach voll zie hen konn ten. Un ge rech te Steu er ein trei ber, Fürs ten,

die jun ge Män ner aus ih ren Fa mi li en he raus ris sen, um sie in

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aus sichts lo se Er o be rungs schlach ten zu schi cken – das wa ren

für die Men schen ent we der Ein zel fäl le oder not wen di ge Übel

und hin der te die we nigs ten da ran, den Kö nig, den von den

Göt tern aus er wähl ten Er ben des Hei li gen Bra han, rück halt los

zu ver eh ren. Die Leu te fan den es nor mal, un ter der Will kür

der Hö her ge stell ten zu lei den, denn so hat ten die Göt ter die

Welt ein ge rich tet.

Ri nek da ge gen ver zieh nicht so schnell. Der sel be Kö nig, den

sie hier ret ten woll ten, hat te schließ lich sei ne Schwes ter aus

der Stadt ge wor fen. Lin nia, die bes te Dra chen jä ge rin der Gar-

de … Oder hat te der Prinz das als Haupt mann der Dra chen-

jäger ent schie den? Es spiel te kei ne Rol le. Na tür lich konn te nie-

mand be grei fen, wa rum Linn sich auf die Sei te ei nes Dra chen

ge stellt hat te – auch Ri nek ver stand es nicht, zu mal es hieß, es

sei ein ro tes Un ge heu er ge we sen. Zu gut er in ner te er sich da-

ran, dass ein flam mend ro ter Dra che sein Dorf nie der ge brannt

hat te, dass er ihm sei ne Be hin de rung ver dank te … Ent we der

hat te man Linn ver leum det, oder sie hat te ihre Grün de. Gute

Grün de, da ran glaub te er fest. Ein ge rech ter Herr scher hät te sie

we nigs tens da nach ge fragt!

Die Be trof fen heit, die sich von der Men schen men ge auf die

Freun de über tra gen hat te, ließ merk lich nach, wäh rend sie

auf ihr Heim zu hiel ten. Die drei Grei se be gan nen, Scher ze

da rüber zu ma chen, wer wohl als Nächs ter im Sarg lie gen

wür de.

»Du, Kas idov«, be haup te te Li reck. »Wet ten, dass die Göt ter

dich bald ho len?«

»Wa rum er?«, woll te Bor lin wis sen, wäh rend Kas idov es bei

ei nem Knur ren be wen den ließ. »So hübsch ist er nicht, dass

ir gend ein Gott ihn un be dingt in sei nem Reich bräuch te. Die-

ser Bauch an satz, die se spär li chen Haa re! Sie se hen aus wie ein

Nest, in des sen Mit te ein rie si ges Ei liegt. Eine rich ti ge Glat-

ze wie mei ne ist mir tau send mal lie ber und den Göt tern wohl

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auch, sonst hät ten sie nicht ent schie den, dass rei fe Män ner ihre

wei sen Schä del un ver hüllt prä sen tie ren dür fen. Wa rum soll ten

sie nicht mich neh men?«

»Weil du nie zu frie den bist«, mein te Li reck. »Wet ten, dass

du so gar am himm li schen Reich et was aus zu set zen hät test?«

»Ich doch nicht!« Bor lin wies die se An schul di gung weit von

sich. »Dort wird al les voll kom men sein. Wann be que men die

Göt ter sich, mich end lich mal rein zu las sen?«

»Ver mut lich fürch ten sie dei ne spitze Zun ge. Ich sag’s doch,

sie neh men zu erst Kas idov, der wird ih nen weit we ni ger Är-

ger ma chen als du.«

Aus Kas idovs Keh le kam ein tie fes Grol len.

»Siehst du?«

»Ach ja, und wa rum lebt er dann noch? Er ist äl ter als ich.«

»Gar nicht«, ließ Kas idov sich he rab zu sa gen.

»Und ob! Ich bin sech sund neun zig, und du warst im mer ein

Jahr äl ter als ich, oder hat sich das mitt ler wei le ge än dert?«

»Freun de«, misch te Mora sich ein. »Wir soll ten uns der Wür-

de des Au gen blicks an ge mes sen ver hal ten.«

Der Ein wand brach te die Al ten dazu, in ein me ckern des La-

chen aus zu bre chen. Nur Agga spiel te wei ter hin die Un tröst li-

che und ließ sich von Yaro, dem hilfs be rei ten Schmie de sohn

aus Brina, stüt zen. Ver le gen tät schel te er ih ren Arm.

Mora schloss die Tür auf und ließ die drei Grei se, das Dienst-

mäd chen und ih ren schö nen Be glei ter und als Letz tes Ri nek

ein, der ein paar Schrit te zu rück ge fal len war. Der Stumpf juck-

te wie der ein mal un er träg lich. Die vie len Gän ge über das har-

te Pflas ter der Stadt ta ten ihm nicht gut, aber Ri nek hat te nicht

vor, sich das an mer ken zu las sen.

»Geht es?«, frag te Mora lei se.

Ihm fie len ihre be sorg ten Au gen auf, die Mü dig keit in ih rer

Stim me. Nein, die Zau be rin wirk te nicht wie eine Frau, die den

Streich ih res Le bens vor be rei te te.

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»Na tür lich«, sag te er und frag te sich, ob sie sich von sei ner

ge spiel ten Mun ter keit täu schen ließ.

»War hier nicht ir gend wo noch ein Fläsch chen?« Hoff nungs-

voll er klang Li recks Stim me aus der Kü che.

Mit letz ter Kraft kämpf te er sich die Stu fen zum Haus hi-

nauf. Ni vals Haus. Nein, so lan ge Mo ras Nef fe nicht zu rück

war, wür de sie sich nicht über ei nen Sieg freu en, der noch viel

zu un si cher war, um jetzt schon ge fei ert zu wer den. Ri nek

blieb vor der Zau be rin ste hen und leg te ihr sei ne Hand auf die

Schul ter. Sie war so klein, dass sie den Kopf in den Na cken le-

gen muss te, um zu ihm auf zu bli cken.

»Ni val wird es schaf fen«, ver sprach er.

Mora seufz te. »Ein ris kan tes Spiel wie die ses kann man auch

leicht ver lie ren. Viel leicht ist es be reits ver lo ren, und wir wis-

sen es nur nicht.«

»Aber«, wand te er ein, »bis her ist doch al les nach Plan ge-

lau fen. Euer Nef fe hat den Kö nig ver gif tet, mit Eu rem Zau ber-

mit tel, da mit man ihn für tot hält. Das hat funk ti o niert, wie wir

ge se hen ha ben. Nun sitzt Ni val als Mör der un ten im Ver lies

und kann von dort aus leicht an die Gruft der Kö ni ge he ran-

kom men, so bald der Sarg dort hin ge bracht wird. Bald sind sie

bei de hier, und Cham ija hat das Nach se hen.«

Die gan ze Ge schich te war Ni vals Idee ge we sen. Ni val, Mo-

ras Nef fe und der au ßer ge wöhn lichs te Mensch, den Ri nek je

ge trof fen hat te. Er war per fekt in sei ner Rol le als Jik esch, als

Narr des Kö nigs – und da bei war er von sei ner Gauk ler fa mi-

lie zum Kämp fen aus ge bil det wor den. Kämp fen konn te Ni val,

das hat te Ri nek selbst er lebt. Ein äu ßerst ge fähr li cher jun ger

Mann, wenn man sich ge gen ihn stell te, und aus ge rech net ihn

hat te die Zau be rin Cham ija, die sich im Schloss breit ge macht

hat te, mit ei nem Bann dazu zwin gen wol len, den Kö nig zu

tö ten, um selbst an die Macht zu ge lan gen. Statt des sen hat te

Ni val sie höchst ge schickt aus ge trickst und sei nen Herrn nur

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zum Schein um ge bracht. Im mer, wenn Ri nek an sei nen Freund

dach te, spiel te ein klei nes Lä cheln um sei ne Lip pen. Ja, Ni val

war stets für Über ra schun gen gut. Kein Wun der, dass Yaro und

er ihn zu erst für ei nen Gau ner ge hal ten hat ten.

Er stütz te sich wie der schwer auf sei nen Krück stock, lan ge

wür de er nicht mehr ste hen kön nen. Bes ser, er setz te sich hin,

be vor es gar nicht mehr ging. Ri nek fluch te, als er über die er-

höh te Kü chen schwel le stol per te. Yaro sprang ihm ent ge gen,

um ihn auf zu fan gen und stieß da bei sei nen ge ra de erst ge füll-

ten Be cher um. Pol ternd stürz ten sie bei de zu Bo den.

»Jungs, bringt euch nicht um«, emp fahl Agga.

Yaro rap pel te sich mit ro tem Ge sicht auf, doch Ri nek blieb

sit zen, wo er war, auf den rau en Bo den bret tern.

»Ich hof fe, es stört nie man den, wenn ich die ses Ding hier mal

kurz ab neh me.«

Wenn Agga nicht so ent setzt ge starrt hät te, wäre es ihm nicht

ein mal pein lich ge we sen. In den ver gan ge nen Jah ren hat te er

auf die har te Tour ler nen müs sen, dass sei ne Be hin de rung ihm

we der Mit leid noch sonst ir gend wel che Ver güns ti gun gen ein-

brach te. Im Ge fäng nis mach te er den an de ren Häft lin gen im-

mer rasch klar, dass mit ihm nicht zu spa ßen war und sei ne

Krü cke eine ge fähr li che Waf fe sein konn te. Wenn die Wär ter

ihm den Stock ab nah men, blie ben ihm noch sei ne Hän de. Dass

er nun schon ein gan zes Jahr in Frei heit ver bracht hat te, durf-

te ihn nicht dazu brin gen, sich selbst mit den Au gen an de rer

Men schen zu se hen – sonst wür de er ir gend wann ei nen Krüp-

pel er bli cken und er schre cken.

Er schnall te die Le der bän der ab und lehn te sich er leich tert

zu rück.

»Brannt wein?«, frag te Li reck un ge rührt.

»Für die Schmer zen«, füg te Agga hin zu.

»Wie, für die Schmer zen?«, frag te Ri nek. »Für mehr ist es

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nicht gut? Wenn ihr mir das Zeug ein ver lei ben wollt, weil es

euch nicht schmeckt, könnt ihr es be hal ten.«

Aber er griff nach dem Be cher und ließ es sich nicht neh men,

ihre Hand sanft zu be rüh ren. Kein Mäd chen, das so hübsch

war wie sie, soll te in ihm ei nen hilfs be dürf ti gen Kran ken se-

hen, oder er konn te sich gleich zu dem Kö nig in den Sarg le gen.

»Hat je mand Cham ija im Trau er zug ent deckt?«, frag te Bor lin.

»Die se böse Hexe wird Au gen ma chen, wenn wir mit ihr fer-

tig sind«, prahl te Yaro. »Hät te sie sich mal lie ber nicht mit Ni-

val an ge legt.«

Mora seufz te laut, wo rauf hin alle ver stumm ten und sie an-

starr ten.

»Frau Mora?«, frag te Agga vor sich tig. »Was ist mit Euch?«

Die Zau be rin stand ver lo ren mit ten im Raum, wie eine Frem-

de, die nicht zu die ser fröh li chen Grup pe da zu ge hör te.

»Was, wenn Ni val mich ge täuscht hat, da mit ich ihn ge hen

las se? Wenn er nie mals vor hat te, den Kö nig nur zum Schein zu

tö ten – wenn Pi vellius, wie er da im Sarg liegt, wirk lich tot ist?«

»Oh, aber nein«, wi der sprach Li reck. »Das wür de Ni val nicht

tun. Kennt Ihr ihn so schlecht?«

»Nicht der Ni val, der mir wie ein ei ge ner Sohn ist«, stimm te

Mora zu, das Ge sicht grau vor Angst und Sor ge. »Aber der Ni-

val, der un ter Chami jas Bann steht – was weiß ich schon über

ihn? Er hat ge tan, als wäre er wie der Herr sei ner selbst, als wir

ihn in die Enge ge trie ben ha ben, doch wie kann ich je man dem

ver trau en, der ver zau bert ist? Ich habe kei ne Ah nung, zu wel-

cher Hin ter list und Heim tü cke er fä hig ist. Was, wenn wir uns

la chend von ei nem Sarg ab ge wen det ha ben, in dem sich ein

ech ter To ter be fand?«

»Ni val wur de als Mör der ver haf tet. Das soll te doch so sein«,

wand te Yaro ein.

»Viel leicht ist er wirk lich ein Mör der«, sag te Mora lei se. »Ach,

mein ar mer Jun ge! Was, wenn es nie sei ne Ab sicht war, den

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Schlaf zau ber zu be nut zen? Ich fürch te mich, wie ich mich noch

nie ge fürch tet habe. Die Sol da ten ha ben den Sarg an uns vor-

bei ge tra gen, und mir war schlecht vor Angst und Ent set zen.

Bin ich schuld am Tod mei nes Kö nigs? Habe ich den At ten tä ter

ins Schloss ge hen las sen, ohne ihn zu rück zu hal ten?«

»Ni val ist stark und ge witzt.« Aus ge rech net Yaro, der ihn nur

kur ze Zeit ge kannt hat te, setz te sich für Mo ras Nef fen ein. »Es

war sein Plan, und er wird sich da ran hal ten. Fürch tet Euch

nicht. Wir müs sen bloß noch eine kur ze Zeit war ten, die wir

da für nut zen soll ten, al les für das Ein tref fen des Kö nigs vor-

zu be rei ten. Wenn wir ihn aus der Stadt schaf fen wol len, brau-

chen wir ei nen Kar ren und Klei dung, auch ein Bar bier wäre

hilf reich, um Pi vellius’ Aus se hen zu än dern.«

»Ich bin der bes te Bar bier von ganz Schenn«, be haup te te Bor-

lin. »Das hät te ich euch längst be wie sen, wenn ihr mich nur

las sen wür det.«

»Du haar lo ser Töl pel?«, höhn te Li reck. »Du hast doch schon

seit Jahr zehn ten ver ges sen, was Haa re über haupt sind! Wann

hast du die letz ten ge sich tet, vor ei nem hal ben Jahr hun dert?

Dich las se ich nicht mal mei nen Bart stut zen.«

Nach und nach ver lie ßen sie die Kü che, und am Schluss blie-

ben nur noch Agga und Ri nek üb rig. Das Mäd chen seufz te und

setz te sich ne ben ihn auf den Fuß bo den.

»Wie sie im mer alle über Ni val re den«, murr te sie. »Wie über

ei nen klei nen dum men Jun gen. Da bei ist er ein Mann. Ein in-

te res san ter Mann. Nur lei der sind die in die ser Stadt alle für

Lin nia re ser viert!« Sie warf Ri nek ei nen feind se li gen Blick zu.

»Ich nicht«, ver si cher te er. »Ich bin bloß ihr Bru der. Wenn du

dich für Yaro er wärmst, musst du ihn selbst fra gen.«

Sie mus ter te ihn miss trau isch. »Ihr wür det also kei ne Zäu-

ne er rich ten, um den Ver lob ten Eu rer Schwes ter zu schüt zen?«

»Wir sind den wei ten Weg her ge kom men, und Linn hat ihn

kaum ei nes Bli ckes ge wür digt. Wenn sie sich in zwi schen für

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je mand an ders ent schie den hat, was soll ich mich da ein mi-

schen?«

»Und ob Ihr Yaro schüt zen wollt«, sag te Agga. He raus for-

dernd starr te sie Ri nek an. »Er ist der Ein zi ge, der zu un schul-

dig ist für die se Stadt vol ler Wöl fe und Zau be rer, und das wisst

Ihr ge nau.«

»Ja«, sag te er und lä chel te sie an, weil er merk te, wie un an-

ge nehm ihr das war, »aber für dich wür de ich eine Aus nah me

ma chen.«

»Ach was. Wie so, wenn ich fra gen darf?«

»Dein lieb rei zen des We sen … dei ne spitze Zun ge …« Er

streck te die Hand aus und strich ihr eine vor wit zi ge blon de

Sträh ne hin ter das Ohr. »Dei ne un ver gleich li che Schön heit …«

Er hat te es über trie ben. Agga schlug sei ne Hand weg, ihre

Au gen blitz ten. »Nicht nur Yaro hat eine Mau er um sich er-

rich tet«, fauch te sie. »Ihr soll tet die Gren zen an de rer ein we-

nig bes ser ak zep tie ren. Nicht je des Schloss lässt sich mit Eu rem

Krück stock ein schla gen!«

Ri nek lach te in sich hi nein. Er konn te nicht an ders, als die

Wort ge plän kel mit Agga zu ge nie ßen. Viel leicht soll te er Yaro

lie ber nach Hau se schi cken. Les ter, der Mül ler von Brina und

Rin eks Va ter, brauch te Hil fe, und hier in Lan han nat wur de

es von Tag zu Tag ge fähr li cher. Yaro fühl te sich in der gro ßen

Stadt nicht wohl – und es wür de auch nicht scha den, die Kon-

kur renz aus dem Weg zu ha ben.

Ge fahr. Schö ne Frau en. Ein to ter Kö nig, den es zu ret ten galt.

Ri nek war in sei nem Ele ment.

»Die ses War ten macht mich ganz ver rückt.«

Yaro ver schränk te die Arme hin ter dem Kopf und lehn te sich

in dem Schau kel stuhl der Haus her rin zu rück, die ge ra de ir-

gend et was für den Kö nig vor be rei te te – oder für ih ren Nef fen,

wer wuss te das schon zu sa gen?

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»Wa rum bist du Linn nicht ge folgt?«

Die se Fra ge lag Ri nek schon seit Ta gen auf der Zun ge. Im-

mer hin wa ren sein bes ter Freund und sei ne Schwes ter seit

ih rer Kind heit mit ei nan der ver lobt. Als sich in der Stadt he-

rum sprach, dass die he raus ra gen de Dra chen jä ge rin der kö nig-

li chen Gar de mit Schimpf und Schan de hi naus ge wor fen wor-

den war, wa ren sie alle fas sungs los ge we sen. Ihre lie be Lin nia,

ver bannt, weil sie sich mit den Dra chen ver bün det hat te und

schuld am Tod ei nes Rit ters war? Es war kaum zu glau ben.

»Du woll test sie nach Hau se ho len«, sag te Ri nek. »Aber jetzt,

da sie ge hen muss te, bleibst du hier. Er zähl mir nicht, dass es

we gen der Ver ban nung ist.«

Yaro sack te in sich zu sam men. »Nein, des we gen nicht. Und

ir gend wie doch. Ich weiß nicht mehr, wer sie ei gent lich ist.

Für dich als ih ren Bru der ist es an ders. Egal, was ge schieht, du

bist und bleibst ihr Bru der. Aber wir woll ten hei ra ten.« Trau rig

schüt tel te er den Kopf. »Sie hat sich so ver än dert.«

»Das war zu er war ten, als sie Brina ver ließ, um eine Dra chen-

jä ge rin zu wer den. Du hast ja wohl nicht an ge nom men, dass

aus ei ner Mül lers toch ter eine er folg rei che Ritt erin wird und sie

trotz dem die sel be bleibt.«

Yaro hob die Schul tern.

»Ihr soll tet das klä ren«, be stimm te Ri nek. »Rei te ihr nach.

Ich hab mit mei nen Wet ten ge nug Geld ver dient, für ein klei-

nes Pferd müss te es rei chen. Viel leicht holst du sie nicht mehr

ein, aber dann triffst du we nigs tens nicht viel spä ter ein als

sie. Soll sie nach Hau se kom men und das Dorf leer vor fin den?

Mei ne El tern brau chen dich in der Müh le. Wenn das Heer dich

ein zie hen will, kannst du dich im mer noch ver ste cken. Au ßer-

dem …« Er zö ger te.

»Der Krieg wird hier her kom men.«

»Ganz recht. Du warst beim Laran stag da bei. Scha rech-Par

wird die Stadt an grei fen, um zu un ter mau ern, dass er wirk lich

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Lar ans Erbe ist.« Seit Hun der ten von Jah ren sa ßen die Nach-

kom men des Hei li gen Bra han auf dem Thron, aber der wah-

re Held des Vol kes war des sen äl tes ter Sohn Laran ge we sen,

der le gen dä re Dra chen tö ter. Bis vor kur zem wa ren noch alle

da von aus ge gan gen, er hät te kei ne Kin der ge habt – und erst

recht hat te nie mand auch nur im Traum da mit ge rech net, ein

sol cher Erbe könn te aus dem ver fein de ten Ti joa kom men. »Auf

kei nen Fall wird Prinz Ar ian ihm den Thron frei wil lig über las-

sen. Das heißt, frü her oder spä ter wird es hier schlim mer als

ir gend wo sonst in Schenn. Wenn die ser Mann tat säch lich den

Dra chen be feh len kann, wird Lan han nat in Flam men auf ge-

hen. Ver schwin de von hier, Yaro. Ich kann nicht zu las sen, dass

mei ne Schwes ter ih ren zu künf ti gen Mann und mei ne El tern

ih ren bes ten Hel fer ver lie ren.«

Yaro nick te lang sam. »Das klingt nicht so, als hät test du die

Ab sicht mit zu kom men.«

»Das Geld wird bloß für ein Reit tier rei chen.«

»Ach!« Sein Freund schüt tel te den Kopf. »Wenn es nur das

wäre – dann rei test du, und ich gehe eben zu Fuß.«

»Nein, Yaro, ich blei be.«

»Was willst du hier denn noch? Du hast dich doch nicht etwa

in Agga ver guckt?«

Wie soll te er es er klä ren? Er hat te sein gan zes Le ben in sei nem

Hei mat dorf Brina ver bracht, und als er sein Bein ver lo ren hat te,

hat te er wei ter ge macht, als wenn nichts wäre. Aber der Weg in

die Haupt stadt hat te ihm die Au gen ge öff net. Hier war ein an-

de res Le ben mög lich, das über har te kör per li che Ar beit hi naus-

ging, und er war sich durch aus da rü ber im Kla ren, dass er die

Müh le ir gend wann wür de auf ge ben müs sen. Um noch ein an-

de res Hand werk zu ler nen, das er im Sit zen aus ü ben konn te –

Schus ter viel leicht? –, war er zu alt, und im mer deut li cher wur-

de ihm, dass nichts da von für ihn in Fra ge kam. Nicht, seit dem

er das Bren nen ge hei mer Wor te auf der Zun ge ge spürt hat te.

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»Ich muss sie be schüt zen. Mora und die al ten Män ner. Sie ha-

ben sonst nie man den. Ich glau be kaum, dass es rei chen wird,

wenn Agga den Sol da ten aus Ti joa die Au gen aus kratzt.«

»Mora kann zau bern. Sie kann sich be stimmt bes ser ver tei di-

gen als du.« Yaro stöhn te auf. »Das ist es, oder? Die Zau be rei?

Willst du, dass sie dich un ter rich tet?«

»Zu Hau se in Brina müss te ich mich ver ste cken. Ich könn te

mit über haupt nie man dem da rü ber re den.«

»Rede mit mir«, schlug Yaro vor. »Oder mit Lin nia. Wenn sie

wirk lich eine Zau be rin ist, wäre sie be stimmt froh da rü ber zu er-

fah ren, dass du eben falls Ta lent hast. Ge heim hal ten musst du es

hier wie dort, in ganz Schenn steht auf Ma gie die To des stra fe.«

»Zu Hau se war ich schon oft ge nug im Ge fäng nis. Das Ver lies

un ter dem Schloss ken ne ich we nigs tens noch nicht.«

»Ver lies? Wenn man dich er wischt, un ter den Au gen des Kö-

nigs, bist du tot!«

Ri nek muss te sich ein ge ste hen, dass er ge nau so ge dacht hat-

te, als er noch nichts von sei nem ma gi schen Blut ge wusst hat te.

Ver steck es. Ver heim li che es, und al les ist in Ord nung. Aber seit-

dem er ge schmeckt hat te, wie es war zu zau bern, seit er ge-

heilt und da bei un ge ahn tes Ver gnü gen emp fun den hat te, war

er nicht ge willt, da mit auf zu hö ren. Zu Hau se in Brina hat te er

kei ne Chan ce, an die wich ti gen Zu ta ten he ran zu kom men, die

man zum Zau bern brauch te: Schup pen oder Hör ner von Dra-

chen. Zwar würz te man auch in der Pro vinz Nelc ken die Spei-

sen mit Can ess – ob wohl nie mand dort ahn te, dass es sich da bei

um Dra chen staub han del te, um den fei nen Ab rieb der har ten

Schup pen –, doch das ge nüg te ihm nicht. Wer soll te ihm die

Wör ter bei brin gen, die man brauch te, um ganz neue Zau ber

zu be wir ken, um Din ge zu er rei chen, von de nen er nicht ein-

mal zu träu men wag te?

»Du kannst kein Zau be rer wer den, mein Freund«, sag te Yaro

kopf schüt telnd.

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»Wenn es Krieg gibt, hat der Prinz bald Bes se res zu tun, als

Ma gier zu ja gen.«

»Nein, denn das wer den die Fein de aus Ti joa er le di gen,

wenn sie mit ih ren Sol da ten und ih ren ei ge nen Zau be rern her-

kom men. Aber was dis ku tie re ich hier mit dir. Du warst noch

nie Ar gu men ten zu gäng lich. Im mer mit dem Kopf durch die

Wand!«

»Tja«, mein te Ri nek. Ihm woll te par tout kei ne schlag fer ti ge

Ant wort ein fal len.

»Ich soll te we nigs tens ab war ten, bis wir den Kö nig in Si cher-

heit ge bracht ha ben.« Yaro mus ter te Rin eks Ge sicht und seufz-

te. »Dazu braucht ihr mich gar nicht, stimmt’s? Wenn Ni val erst

wie der da ist …«

»Ich schi cke dir eine Nach richt«, ver sprach Ri nek.

»Und das Du ell zwi schen un se rem Prin zen und dem ti joa-

ni schen Kö nig?«

»War test du auch nicht ab.« Er konn te sich kaum er klä ren,

wa rum es ihm auf ein mal so wich tig war, Yaro nach Hau se

zu schi cken. Frü her hät te Ri nek nicht ein mal da rü ber nach ge-

dacht, sei nen Freund den lan gen Weg nach Brina al lei ne be-

wäl ti gen zu las sen, schließ lich war der Schmie de sohn und

Mül ler ge hil fe kein Kämp fer. Was, wenn er an ge grif fen wur-

de? Trotz dem muss te er auf bre chen. Wo her kam die ses Ge fühl

dro hen den Un heils? War es das sel be, das auch Mora um her-

trieb, eine Ah nung, die je den be fiel, der sich sei nem ma gi schen

Erbe ge öff net hat te?

Ir gend wie wuss te Ri nek, dass die Zeit knapp wur de.

»Die se Dra chen schup pe nimmst du mit, um dich not falls zu

ver tei di gen.«

»Aber …«

»Komm heil nach Hau se, Yaro. Küm me re du dich um die

Müh le. Ei ner muss es tun, und wir ha ben nur dich.«

Yaro nick te lang sam. »Ja«, sag te er, »ei ner muss es tun.«

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Ri nek hät te sich er leich tert füh len müs sen, als Yaro aus dem

Stadt tor ritt. Doch die böse Ah nung lag wie ein schwe rer Stein

auf sei ner Brust. Er schüt tel te sich wie ein nas ser Hund – als

könn te er die un gu ten Ge füh le aus sei nem Her zen wie Was-

ser trop fen aus sei nem Haar he raus schleu dern.

»Ist er weg?«, frag te Li reck.

Der Kar ren stand an der Stra ße, zu ge deckt mit ei ner Pla ne

aus di ckem Sack tuch. An die Deich sel war ein rie si ges, bors ti-

ges Schwein ge spannt.

»Wo habt ihr denn das her?«, woll te Ri nek wis sen. »Ich dach-

te, ihr hät tet ein Pony ge kauft?«

Agga trat aus der Haus tür und schlang ihr Woll tuch en ger

um die Schul tern. Der Wind, der um die Ecken fuhr, trug schon

den Ge ruch des Herbs tes mit sich.

»Sie ha ben das bil ligs te Pferd ge kauft, das es auf dem Markt

gab«, sag te sie und kraul te dem Schwein den Rü cken. »Es hat

uns ei nen Hau fen Pfer de äp fel hin ter las sen und ist da nach tot

zu sam men ge bro chen.«

Das Ge fühl dro hen den Un heils konn te sich doch wohl nicht

auf sol che Klei nig kei ten be zo gen ha ben?

»Wir ha ben kein Geld mehr«, sag te sie. »Pfer de sind teu er wie

nie; eine Men ge Leu te flie hen aus der Stadt.«

»Das habe ich ge merkt, als ich für Yaro ei nes kau fen woll-

te.« Ri nek be trach te te das Schwein. »Viel leicht ist das hier bald

mehr wert als je des Pferd, wenn der Krieg erst be gon nen hat.«

»Krieg?«, schnaub te Li reck. »Un ser Prinz wird die sem da her-

ge lau fe nen Be trü ger schon zei gen, wie ein ech ter Nach kom me

Bra hans aus sieht! Wie ein ge prü gel ter Hund wird Scha rech-Par

nach Ti joa zu rück schlei chen. Es gibt kei nen Krieg!«

»Wir müs sen auf bre chen, es wird dun kel«, zisch te Bor lin.

»Wenn ihr wei ter so trö delt, kom men wir noch zu spät zum

Treff punkt!«

Nur Mora und Kas idov, der mit ei nem Gicht an fall im Bett

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Maja Winter

Die Drachenjägerin 3Das unterirdische Reich

ORIGINALAUSGABE

Paperback, Klappenbroschur, 592 Seiten, 13,5 x 20,6 cmISBN: 978-3-442-26823-8

Blanvalet

Erscheinungstermin: September 2011

Ein unwiderstehliches Lesevergnügen – voller Liebe, Abenteuer und Magie Einzig mit Hilfe des Schreibergesellen Nival hat sie eine Chance. Aber an dem dunklenGeheimnis, das der junge Mann vor ihr verbirgt, könnte ihre Freundschaft zerbrechen …