Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3
Transcript of Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3
Mannheimer GeschichtsblätterSonderveröffentlichung 3
Herausgeber
Prof. Dr. Hermann Wiegand
Prof. Dr. Alfried Wieczorek
Dr. Claudia Braun
PD Dr. Michael Tellenbach
Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen Band 45
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Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter Inhalt
Stimmen aus Natur und Jenseits
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123
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65
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83
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41
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55
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Widmung
Vorwort der Herausgeber
Alfried Wieczorek, Hermann Wiegand und Michael
Tellenbach
Musik als Menschheitsphänomen
Einführung in die Ausstellung „Musik-Welten"
Reiss-Engelhorn-Museen – Museum Bassermannhaus
Michael Tellenbach und Horst Pulkowski
3
4
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Musik der Gottheiten
Afrikanische Leiern und ihre antiken Ursprünge
Wendy Eixler
Mythos und Musik
Susanne Rühling
Apollon und die Musen auf einer Weinkanne
Claudia Braun
Gesang der Götter
Arnd Adje Both
Die heilige Harfe ngombi im Bwiti-Kult Zentral-
afrikas
Wendy Eixler
Psalter mit Kasten
Liselotte Homering
Musik und Tanz in der indischen Mythologie
Ludwig Pesch
Klingendes Wort – schwebender Klang:
Gregorianischer Choral
Christof Nikolaus Schröder
Elfenbeinsyrinx mit Satyr und Nymphe
Liselotte Homering
Höllenglocken und der Klang einer gotischen Ka-
thedrale – die akustische Illusion einer Musikwelt
David-Emil Wickström
Barockorgel
Liselotte Homering
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19
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Hofmusik in Japan
Silvain Guignard
Viola d´Amore
Horst Pulkowski
Beatboxing
Volker Meyer-Dabisch
Verschlüsselte Botschaften auf Musikinstrumenten
der Bergstämme Nordthailands
Gretel Schwörer-Kohl
Jagdhorn und Jagdhornsignale
Horst Pulkowski
Afrikanische Sprechtrommeln
Andreas Meyer
Trompeten und Hörner Altamerikas –
Symbole der Herrschaft im Reich der weltlichen
und spirituellen Mächte
Friedemann Schmidt
Musik und Botschaft
Musik bei Hofe
Musikwelten Tibets
Gert-Matthias Wegner
Die Natur im Klang: Pfeifgefäße Altamerikas
Arnd Adje Both
Sind es die Stimmen der Geister?
Vogelstimmen, Flöten und andere übersinnliche
Klänge in Papua-Neuguinea
Alexis Th. von Poser
Die Rückkehr der Geisterfrau
Die Geistertrommel der Kayan (Papua-Neuguinea)
in den Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen
Alexis Th. von Poser
Rätsche, Ratsche, Räppel oder Rappel
Markus J. Weber und Tanja Vogel
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Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer GeschichtsblätterInhalt
Impressum
Träumen und heilen: Die Rolle schamanischer
Trommeln und Musik bei den Chepang, Nepal
Diana Riboli
Die Trommel der Saami als Abbild von Weltbild
und ritueller Praxis im Wandel
Erich Kasten
Clubräume – Freiräume
Sabine Vogt
Die Entwicklung der Musikelektronik –
Exemplarische Stationen und Einsatz in der
populären Musik
Heiko Wandler
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195
203
207
Musik und Verwandlung
Tanzmeistergeige
Liselotte Homering
Masken aus dem Kameruner Grasland
Wendy Eixler
Im Bann von Maske, Tanz und Schellenklang
Tanja Vogel
„Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tan-
zen verstünde." Igor Strawinskys Ballett „Le Sacre
du Printemps"
Horst Pulkowski
Masken und Musikinstrumente aus Neuirland
Markus Schindlbeck
Tanz und Maske
„Eine Armee von Generälen"
Die Hofmusik des Kurfürsten Carl Theodor in
Mannheim und Schwetzingen in den Jahren von
1743 bis 1778
Bärbel Pelker
Kurfürst Carl Theodor mit Traversfl öte
Andreas Krock
Musik im Königreich Benin (Westafrika)
Alexander Pilipczuk
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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter
Arnd Adje Both
Gesang der Götter
Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass vielen
Musikinstrumenten vorspanischer Kulturen die
Gestalt von Göttern gegeben wurde. Nicht nur
aus dem Grund, dass sie häufi g in Tempelanlagen
ausgegraben wurden, muss es eine sehr enge Ver-
bindung zwischen der Musikpraxis und religiösen
Vorstellungen gegeben haben.
Um Näheres über diese Zusammenhänge zu
erfahren, helfen insbesondere die schriftlichen
Quellen aus dem 16. Jahrhundert weiter, die vom
Leben und der Vorstellungswelt vorspanischer Kul-
turen berichten. Tatsächlich sind darin hinsichtlich
der Bedeutung von Musikinstrumenten in azte-
kischen Mythen wichtige Schlüsselinformationen
enthalten.
Die aztekische Sonnenlegende erzählt im Zuge
der Erschaffung des Menschen den Ursprung des
Schneckenhorns. Zu Beginn des fünften Weltzeit-
alters reist der Schöpfergott Quetzalcoatl („Gefi e-
derte Schlange“) hinab in die Unterwelt in das
Reich des Herrn der Toten Mictlantecuhtli. Dort soll
er die Knochen der Wesen vorangegangener Zeit-
alter beschaffen, aus deren gemahlener Substanz
später in Verbindung mit dem geopferten Blut der
Götter die Menschen geschaffen werden. Nach
langem und beschwerlichem Weg durch die Unter-
welt erfährt Quetzalcoatl, dass er viermal auf dem
Schneckengehäuse des Herrn der Toten zu blasen
und sich dabei den vier Weltrichtungen zuzuwen-
den habe, um die Knochen mitnehmen zu dürfen.
Das heißt, er solle sich im Zentrum der Unterwelt
einmal um die eigene Achse drehen und das Schne-
ckenhornritual ausführen. Allerdings glaubt der
Herr der Toten, Quetzalcoatl einen Streich gespielt
zu haben, denn auf seinem Schneckengehäuse
lässt sich nicht der geringste Ton erzeugen – die
Anblasöffnung fehlt. Quetzalcoatl ist somit vor die
Aufgabe gestellt, erst das Schneckenhorn selbst
zu erschaffen, um dann das Ritual ausführen zu
können. Was dem Herrn der Toten unmöglich
erscheint, gelingt Quetzalcoatl durch Zauberkraft.
Er ruft seine Helfertiere herbei, schwarze Bienen,
die den Kanal des Gehäuses aufbohren und somit
das Mundstück freilegen. Nachdem Quetzalcoatl
das Schneckenhornritual ausgeführt hat, muss
ihn sein Gegenspieler, Mictlantecuhtli, wenn auch
widerwillig, mit den Knochen davon ziehen lassen.
Somit stand der Erschaffung des Menschen durch
die Götter – ein Ereignis, das für die Azteken in der
Ruinenstätte von Teotihuacan stattgefunden hat –
nichts mehr im Wege.
An diesem Mythos ist abzulesen, dass dem in der
Unterwelt erstmalig produzierten Klang des Schne-
ckenhorns ein großes schöpferisches Potential bei-
gemessen wurde. Als Blasinstrument mit seinem
spiralförmigen Kanal wurde das Horn eng mit den
magischen Kräften des Quetzalcoatl in Verbindung
gebracht, und so wundert es nicht, dass die azte-
kischen Priester, deren Patron dieser Gott war, mit
dem Brustschmuck aus einer Sektion des Schne-
ckengehäuses ausgestattet waren. Der Mythos
liefert zudem eine Erklärung dafür, dass Musikin-
strumente viermal den Weltrichtungen entgegen
gespielt wurden, um die Wirksamkeit eines Ritu-
als zu gewährleisten. Ihm zufolge wurde diese
Musikpraxis mit einer Metapher umschrieben,
die „etwas (das heißt das Musikinstrument oder
den Klang) viermal in allen Richtungen um den
kostbaren kreisförmigen Grünstein (das heißt das
Zentrum der Welt) herumtragen“ lautete (nauhpa
xictlayahualochti in chalchiuhteyahualco). Klänge
wurden in diesem Sinne den vier Weltrichtungen
dargebracht, also nach aztekischem Verständnis
geopfert.
Es ist nicht klar, ob in anderen vorspanischen Kul-
turen vergleichbare mythologische Vorstellungen
existieren, die sich auch in der Musikpraxis nieder-
geschlagen haben.
Aus einem Tempel von Teotihuacan sind Wand-
malereien von Schneckengehäusen bekannt, die
in eine Unterwasserwelt plaziert sind. Durch Volu-
ten, den vorspanischen Zeichen für Klang, sind die
Gehäuse als klingend dargestellt, obwohl sie noch
ihr spitz zulaufendes Ende, also kein Mundstück,
aufweisen. Diesen Darstellungen könnte ein mit
der aztekischen Version vergleichbarer Mythos
zugrunde liegen, der – sollte dies zutreffen – auf
ein beträchtliches Alter zurückgeblickt haben dürf-
te. In Teotihuacan sind zudem häufi g Darstellungen
von Schneckenhörnern in vier- oder achtfacher Aus-
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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer Geschichtsblätter
Abb. 1 Pfeife mit der Darstellung des Windgottes EhecatlGolfküste, MexikoUm 500 n. Chr.Keramik, FarbmittelH 21 cm x B 5,5 cm x T 6,5 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung FreudenbergInv.-Nr. V Am 7131
Gesang der Götter
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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter
Arnd Adje Both
Abb. 2 Flöte mit der Darstellung des Alten Gottes IzamnáMaya, MexikoUm 600 n. Chr.Keramik, FarbmittelH 27 cm x B 8 cm x T 11 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung FreudenbergInv.-Nr. V Am 7176
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Gesang der Götter
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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer Geschichtsblätter
ist so groß, dass sich der Kopf des Spielers hinter
ihm verbirgt. So konnte er im Ritual selbst zum Fle-
dermausgott werden.
Ein anderer aztekischer Mythos erzählt, wie
die Musik auf die Erde kam. Es handelt sich dabei
gleichzeitig um die Entstehungsgeschichte der mit
Fell bespannten Standfußtrommel (huehuetl) und
der Schlitztrommel (teponaztli).
Zu einer Zeit, als die Menschen noch keine Musik
kannten, lebten diese beiden Instrumente, von
denen das eine drei Füße und das andere große
Ohren hatte, als Sänger am Hof der Sonne. Mit den
drei Füßen sind die aus dem Baumstamm ausge-
schnitzten Standfüße der Felltrommel und mit den
großen Ohren die beiden vibrierenden Zungen der
Schlitztrommel gemeint. Um den Menschen die
Möglichkeit zu geben, mit den Gottheiten in Ver-
bindung zu treten (das heißt „Klänge zu opfern“),
begaben sich in der einen Version des Mythos der
Windgott und in der anderen der Gott Tezcatlipoca
(„Rauchender Spiegel“) mittels magischer Gesän-
ge auf den Weg zur Sonne, um deren Sänger zu
veranlassen, sich auf der Erde als Trommeln nie-
derzulassen. Dazu rufen sie Wale und Schildkröten
herbei, die eine Brücke über das Meer zur Sonne
schlagen. Die Sonne verbietet ihren Hofmusikern,
den magischen Gesängen zuzuhören, doch sind
die Klänge mächtig genug, sie zu verzaubern und
so auf die Erde zu locken. Hier manifestieren die
Sänger sich endlich in ihrer uns bekannten Form.
In diesem Mythos werden die Trommeln als
göttliche Wesen beschrieben, die der Sphäre der
Sonne entstammen. Tatsächlich genossen sie bei
den Azteken besondere Verehrung. Der Symbolik
erhaltener Trommeln zufolge könnte es sich bei
den beiden Wesen um die Götter der Musik, Xochi-
pilli („Blumenprinz“) und Macuilxochitl („5-Blume“),
gehandelt haben, denn diese sind häufi g auf den
Trommeln dargestellt. Auf der berühmten Felltrom-
mel von Malinalco fi ndet sich auf der einen Seite
die Darstellung von Xochipilli, der zwei Handrasseln
schwingt und ein Vogelkostüm trägt, und auf der
anderen Seite das Zeichen „4-Bewegung“ (nahui
olin) für das fünfte Weltzeitalter. Die Steindarstel-
lung einer aztekischen Schlitztrommel in Original-
größe zeigt hingegen Macuilxochitl. Seine Augen
sind in zwei Handfl ächen dargestellt und um den
Mund herum rankt eine Blume, das Zeichen für
führung zu fi nden, die einen mit den vier Weltrich-
tungen in Verbindung stehenden Zahlensymbolis-
mus nahe legen.
Blasinstrumente spielten in vorspanischen Kul-
turen wohl deshalb eine so große Rolle, da sie mit
Hilfe des Atems – also des Windes – zum Klingen
gebracht werden. Der Wind galt als beseelt, von
großer schöpferischer Kraft, und wurde in Gestalt
der Gottheit Ehecatl (Windgott) verehrt, die eng
mit Quetzalcoatl verbunden war. In keinem Instru-
ment wird dieser Bezug deutlicher als in einer Pfei-
fe der Golfküstenkulturen Mexikos, die sich in den
Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen befi n-
det, und zeigt, dass sich diese Vorstellungen nicht
nur auf die Kultur der Azteken beschränken. Die
Pfeife (Abb. 1) ziert die Gestalt des Windgottes mit
seiner charakteristischen Schnabelmaske. Genauer
gesagt handelt es sich hier um eine so genannte
Kolbenpfeife (spanisch: „fl auta de émbolo“), denn
in ihrem Inneren befi ndet sich ein Tubus, der in Auf-
und Abwärtsbewegung durch die Röhre der Pfeife
gleitet und Flatterklänge hervorruft. Der Spieler
musste seinen Kopf dazu in den Nacken werfen
und dann in der Rückwärtsbewegung sein Kinn auf
die Brust fallen lassen, wobei die Figur des Ehecatl
zunächst dem Himmel entgegen und dann nach
vorne gerichtet war.
Bei einem anderen Instrument der Reiss-Engel-
horn-Museen handelt es sich um eine polyglobu-
lare Gefäßfl öte der Maya-Kultur, die das Gesicht
des Alten Gottes Izamná ziert (Abb. 2). Das hervor-
ragend erhaltene Instrument ist randgeblasen und
hat in den unteren beiden Kammern jeweils zwei
Griffl öcher, die vorne mit den Zeigefi ngern und
hinten mit dem Daumen geöffnet und geschlos-
sen werden können. Das Gesicht des Gottes mit
seinen charakteristischen Falten zeigt beim Spiel
nach vorne und stellt wie bei vielen anderen Blasin-
strumenten mit fi gürlichen Applikationen eine Art
Maske dar. Mit der Flöte lässt sich ein warmer, tiefer
Klang produzieren, der aufgrund der Ausformung
des Mundstücks zugleich sehr „windig“ klingt.
Um ein wirkliches Maskeninstrument handelt
es sich bei einem weiteren Objekt der Reiss-Engel-
horn-Museen, das den Golfküstenkulturen Mexikos
zuzuordnen ist (Abb. 3). Es stellt den Fledermaus-
gott dar, in dessen Körper eine Pfeife mit großem
Sekundärresonator integriert ist. Das Instrument
Abb. 3 (vorherige Dop-pelseite) Vorder- und Rückseite einer Pfeife in Form des FledermausgottesGolfküste, MexikoUm 600 n. Chr.Keramik, FarbmittelH 34 cm x B 22 cm x T 15 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung FreudenbergInv.-Nr. V Am 7164
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Arnd Adje Both
Abb. 4 Statue des Xochipilli Azteken, Mexiko1350-1520 n. Chr.Vulkanischer SteinH 74,5 cm x B 26 cm x T 31 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung von MaxInv.-Nr. V Am 1085
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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer Geschichtsblätter
mit der applizierten Maske des Xochipilli, die das
Schallloch verdeckt. Ähnliche Vorstellungen leben
bis heute in ethnischen Gruppen Mexikos fort. So
weisen die vergöttlichten Keramiktrommeln der
Maya-Lacandón (Selva Lacandona, Chiapas) Schall-
löcher auf, die ähnlich jenen der aztekischen Kera-
miktrommeln so angebracht sind, dass der Klang
hinter dem Bildnis der Gottheit entweicht. Die im
Klangkörper der Standfußtrommeln der Huichol
(Sierra Madre Occidental, Nayarit und Jalisco) ange-
brachten Löcher werden als „Mund“ der Trommel-
gottheit bezeichnet. Wie schon anhand der oben
genannten Maya-Flöte gezeigt, wurde das Kon-
zept in vorspanischen Kulturen auch auf andere
Instrumente übertragen, besonders auf Keramik-
fl öten, die Götter darstellen. Quellen aus dem 16.
Jahrhundert zufolge sprach Tezcatlipoca durch die
Flöte und tat den Menschen auf diese Weise seinen
Willen kund.
Musiker nahmen also die Stellung von erfah-
renen Mittlern ein, die zu einer Kommunikation
mit der spirituellen Welt fähig waren und deshalb
hohes Ansehen genossen. Da sie der Stimme von
Göttern zum Ausdruck verhalfen, liegt es auf der
Hand, dass die Musik in diesem Zusammenhang
als göttlicher Gesang aufgefasst wurde. Dabei gab
es keinen Unterschied zwischen Vokal- und Instru-
mentalmusik, ein Musikinstrument zu spielen, hieß
„auf ihm zu singen“, so wie der Tanz als ein „Gesang
mit den Füßen“ verstanden wurde.
Der hohen Grad der Formalisierung vorspa-
nischer Musikpraktiken, zu denen besondere
Schutzvorkehrungen wie Rauchopfer und die Wei-
hung der Instrumente zählten, ist auf dieses Ver-
ständnis zurückzuführen.
Musik und Opfer. Bemerkenswert ist, dass an den
Seiten der Trommel Jaguarfelle dargestellt sind, es
sich hier also um die Darstellung eines Instruments
handelt, das aus einer Schlitztrommel und einer
doppelseitig bezogenen Felltrommel besteht.
Archäologische Funde im Zentrum von Mexiko-
Stadt belegen, dass mehrere Schreine des azte-
kischen Tempelbezirks den Göttern der Musik
geweiht waren.
Diese Strukturen, die „Roten Tempel“, bargen
nicht nur eine Fülle an Miniaturnachbildungen
der aztekischen Musikinstrumente – Metallschel-
len, Keramiktrommeln, Flöten, Klangsteine, und
andere Instrumente – sondern auch Statuen der
Götter der Musik, die wohl ursprünglich auf den
Schreinen platziert waren und dort, umringt von
den Nachbildungen des Instrumentariums, verehrt
wurden. Berichten aus der frühen Kolonialzeit und
Darstellungen in Bilderhandschriften zufolge wur-
den diese Statuen, von denen sich eine sehr gut
erhaltene des Gottes Xochipilli in den Sammlungen
der Reiss-Engelhorn-Museen befi ndet (Abb. 4), im
Rahmen großer Kreistänze geschmückt und in das
Zentrum des Tanzes gestellt. Auch hier fi nden wir
wieder eine Anlehnung an die vier Weltrichtungen
und das Zentrum der Welt.
Der aztekische Mythos von der Entstehung der
Musik auf der Erde legt nahe, dass Musikinstru-
mente als Gefäße aufgefasst wurden, die während
des Spiels von der jeweiligen Gottheit bewohnt
waren. Ihre Klänge wurden in diesem Zusammen-
hang als die Stimme oder der „Blumengesang“
(xochicauicatl) der Götter wahrgenommen. Kein
Instrument verdeutlicht dieses Verständnis so ein-
deutig wie aztekische Gefäßtrommeln aus Keramik
Gesang der Götter
Sonderveröffentlichung 3Impressum Mannheimer Geschichtsblätter
208
Begleitbuch „Musik-Welten“
Herausgeber
Hermann Wiegand
Alfried Wieczorek
Claudia Braun
Michael Tellenbach
Inhaltliche Konzeption
Alfried Wieczorek
Michael Tellenbach
Arnd Adje Both
Wendy Eixler
Autoren
Dr. Arnd Adje Both
Dr. Claudia Braun
Wendy Eixler M. A.
Prof. Dr. Silvain Guignard
Liselotte Homering
Dr. Erich Kasten
Andreas Krock M. A.
PD Dr. Andreas Meyer
Volker Meyer-Dabisch
Dr. Bärbel Pelker
Dr. Ludwig Pesch
Dr. Alexander Pilipczuk
Dr. Alexis Th. von Poser
Prof. Dr. Horst Pulkowski
Dr. Diana Riboli
Susanna Rühling M.A.
Dr. Markus Schindlbeck
Friedemann Schmidt
Christof Nikolaus Schröder,
Mag. rer. publ.
Prof. Dr. Gretel Schwörer-Kohl
PD Dr. Michael Tellenbach
Tanja Vogel M. A.
Dr. Sabine Vogt
Dr. Heiko Wandler
Markus J. Weber
Prof. Dr. Gert-Matthias
Wegner
Dr. David-Emil Wickström
Exponatfotografi e
Jean Christen
Wissenschaftliche Redaktion
und Lektorat
Claudia Braun
Luisa Reiblich
Jutta Hitzfeld
Tanja Vogel
Graphische Gestaltung
Reiss-Engelhorn-Museen
Mannheim
Produktion
Verlag Regionalkultur,
Heidelberg – Ubstadt-Weiher
– Basel
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NiNO Druck GmbH
Neustadt a. d. Weinstr.
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© 2011 Reiss-Engelhorn-
Museen Mannheim und
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Abbildung auf der Vorderseite:
Musik-Welten
Foto: Jochen Hähnel
Siehe Seite 9
Abbildung auf der Rückseite:
Die Reiss-Engelhorn-Museen
mit dem Museum Zeughaus
im Zentrum, dem Museum
Weltkulturen in der rechten
unteren Bildhälfte und dem
Museum Bassermannhaus für
Musik und Kunst in der linken
unteren Bildhälfte
Foto: rem, Jean Christen