Mathematik und Geschlecht - ph- · PDF fileMathematik gilt als schwieriges Feld – als...

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  • 30 Mathematikunterrichtund GeschlechtEmpirische Ergebnisse undpdagogische Anstze

  • Bildungsforschung Band 30

    Mathematikunterricht und GeschlechtEmpirische Ergebnisse und pdagogische Anstze

    Impressum

    HerausgeberBundesministeriumfr Bildung und Forschung (BMBF)Referat Bildungsforschung11055 Berlin

    BestellungenSchriftlich an den HerausgeberPostfach 30 02 3553182 Bonn

    oder perTel.: 01805-262 302Fax: 01805-262 303(0,14 Euro/Min. aus dem deutschenFestnetz)

    E-Mail: [email protected]: http://www.bmbf.de

    Bonn, Berlin 2009

    Autor:Dr. Jrgen Budde, Zentrum fr Schul- und Bildungs- forschung, Universitt Halle

  • Jrgen Budde

    Mathematikunterricht und Geschlecht

    Empirische Ergebnisse und pdagogische Anstze

  • Inhaltsverzeichnis

    Das Wichtigste in Krze 5

    1 Zum Aufbau der Studie 11

    2 Kompetenzen und Berufswahlverhalten 13 2.1 Mathematische Kompetenzen und Leistungen 13 2.1.1 Elementar- und Primarbereich 13 2.1.2 Sekundarstufe I 15 2.1.3 Sekundarstufe II 19 2.1.4 Problemlsen 20 2.2 Berufswahl 21

    3 Die Seite der Lernenden: Selbstkonzept und Unterricht 29 3.1 Interesse, Selbstkonzept und Angst 29 3.2 Unterrichtsbeteiligung und Unterrichteinstellung von Mdchen und Jungen 31 3.3 Unterricht und Benotungen 34

    4 Die Seite der Lehrenden: geschlechtsbezogene Erwartungen und Unterrichtsgestaltung 41 4.1 Erwartungen an Mdchen und Jungen im Mathematikunterricht 41 4.2 Unterrichtsgestaltung und Geschlecht der Lehrkrfte 43

    5 Fachkultur und Geschlecht 47 5.1 Das Image von Mathematik als mnnliche Geschlechterdomne 47 5.2 Fachkultur und Schule 48

    6 Pdagogische Anstze 53 6.1 Konzepte fr geschlechtergerechten Mathematikunterricht 53 6.1.1 Getrennter Unterricht? 53 6.1.2 Vernderter Unterricht: Praxis- und Lebensweltorientierung 55 6.1.3 Reattributionstraining 57 6.2 Praxis- und Projektbeispiele 58 6.2.1 Unterrichtspraxis: SINUS und SINUS-Transfer 58 6.2.2 GirlsDay Mdchen-Zukunftstag 61 6.2.3 Universittsprojekte: Mentoring-Programme und Sommerschulen 62

    Anhang 65

    Literatur 67

  • Das Wichtigste in Krze

    Mathematik gilt als schwieriges Feld als Schulfach hufig unpopulr, als Vor-liebe verpnt und als Lehrstoff trocken so das Image. Andererseits sieht die OECD in mathematischer Kompetenz die Fhigkeit, sich auf eine Weise mit der Mathematik zu befassen, die den Anforderungen des gegenwrtigen und knftigen Lebens einer Person als konstruktivem, engagierten und reflektieren-den Brger entspricht. Fachleute aus der Wirtschaft wiederum sehen in ma-thematischer Kompetenz eine Schlsselqualifikation auf dem Arbeitsmarkt. Soweit nur einige Blickwinkel. In der Praxis ergeben sich in Auenbild, Innen-wahrnehmung und Lehrmethoden der Mathematik ebenso wie in den Auswir-kungen auf Schule, Studium und Beruf einige Schwierigkeiten. Das hat auch mit einem Faktor zu tun, der manchmal zu wenig Beachtung erfhrt: Welche Rolle spielt das Geschlecht im Mathematikunterricht?

    Jungen knnen rechnen, Mdchen besser reden dieses Vorurteil zieht sich durch ihre Schullaufbahnen wie ein roter Faden, von der ersten Klasse bis zum Abitur und darber hinaus. Dabei wird auch im laufenden, vom Bundesminis-terium fr Bildung und Forschung ausgerufenen Jahr der Mathematik deut-lich, wie zentral ein unbefangener Umgang mit mathematischen Fragestellun-gen zur Erlangung vergleichbarer Bildungschancen ist.1 Mathematische Kom-petenz, so heit es einleitend zur jngsten PISA-Studie von 2006, wird heute in vielen Berufs-, Wirtschafts- und Kulturbereichen vorausgesetzt. Grund ge-nug, Schlerinnen und Schlern gleiche Startvoraussetzungen zu verschaffen.

    Ein Vorhaben, das gar nicht frh genug ansetzen kann. Schlielich wird be-reits in der Grundschule die Basis knftiger Leistungs- und damit Chancenun-terschiede gelegt: Lehrkrfte, Eltern, auch Kinder und Jugendlichen selbst hal-ten Jungen fast von Beginn an fr mathematisch begabter als Mdchen. Das fhrt nicht nur zu grerem Interesse an Zahlen und Formeln, sondern auch zu besserer Motivation, strkerem Selbstbewusstsein und letztlich hheren Kompetenzen. Und das trotz anfangs hnlicher Voraussetzungen: Whrend Fhigkeiten und Interesse beim Schuleintritt noch dicht beieinander liegen, geht die Schere mit den Jahren zu Ungunsten der Schlerinnen immer weiter ausei-nander. Bereits in der 3. Klasse uern Mdchen verstrkt ngste, Lehrkrfte trauten ihnen weniger zu als ihren Altersgenossen. Die wiederum zeigen schon zu diesem Zeitpunkt sowohl greres Selbstvertrauen in ihre Rechenkompe-tenz als auch strkeres Interesse am Unterrichtsstoff. Mit dem Wechsel auf wei-terfhrende Schulen wchst beides nochmals signifikant an.

    Whrend es in anderen OECD-Staaten offenbar besser gelingt, Geschlechter-differenzen auszugleichen, scheint dies an deutschen Schulen nur begrenzt der Fall zu sein. Das bei Jungen gnstigere Selbstkonzept fhrt soweit, dass sie ihre Kompetenzen oft sogar noch hher einschtzen als ihr Interesse an der Materie. Mit einer kurzen Unterbrechung bis zur 7. Klasse, wo Schlerinnen dank stabi-lerer Lernzuwchse ein wenig aufholen knnen, wchst der mnnliche Kom-petenzvorsprung gemeinsam mit dem Selbstvertrauen, der Motivation und dem Interesse kontinuierlich an und zwar durch das ganze Bildungssystem hin-

    1 Vgl. http://www.jahr-der-mathematik.de.

  • Das Wichtigste in Krze

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    durch: In der Oberstufe etwa entscheiden sich Schlerinnen deutlich seltener fr Mathematik-Leistungskurse als Schler, an den Hochschulen belegen sie an-schlieend seltener mathematisch-technische Studiengnge und auch auf der akademischen Karriereleiter sind Frauen klar unterreprsentiert.

    Die weibliche Berufsorientierung deutet sich bereits frher an als bei ihren Mitschlern. Schon im Alter von zehn Jahren uern viele Mdchen sehr kon-krete Wnsche hin zu sozialen und kreativen Arbeitsfeldern. Wenn Jungen sp-ter ernstere Karriereplne formulieren, handelt es sich oft um handwerkliche oder mathematisch-technische Berufe. Dieser Prferenz geht die so genannte instrumentelle Motivation voraus: Jungen halten die Beschftigung mit Mathe-matik in strkerem Mae fr beruflich frderlich und auch persnlich von Nut-zen. Sie haben geringere Versagensngste und kaschieren Wissensdefizite durch offensive Strategien. Sie fordern mehr Aufmerksamkeit ein und schieben even-tuelle Fehlleistungen anders als Mdchen seltener auf persnliches Unver-mgen, sondern auf uerliche Faktoren wie Pech. Und sie haben weniger Angst davor, durch das Image des mathematisch interessierten Strebers aus-gegrenzt zu werden.

    Das im internationalen Vergleich besonders ausgeprgte Ungleichgewicht in Deutschland kann auch fr Schler negative Folgen haben. So neigen sie zur berschtzung eigener Fhigkeiten und werden im Vergleich zu hnlich sach-kundigen, aber sozial kompetenteren Schlerinnen schlechter benotet. Ins-gesamt aber beeintrchtigt das Image der Mathematik als mnnlich geltendes Fach tendenziell die Chancengleichheit zu Ungunsten der Mdchen und hono-riert gleichsam Geschlechterinszenierungen in beide Richtungen: Whrend Sch-ler in Mathematik sowohl fr gute Leistungen als auch fr oppositionelle Hal-tung Anerkennung als Jungen finden knnen, erhalten Schlerinnen sie als Md-chen eher dann, wenn sie mit Unsicherheit und Flei zwei vermeintlich weibli-che Verhaltensweisen zeigen.

    Die Ursachen dafr sind bei allen Akteurinnen und Akteuren zu suchen, denn die Annahme, Jungen besen hhere mathematische Kompetenzen, ist an Schulen ebenso wie in der Familie weit verbreitet eine wesentliche Blockade zur Realisierung gleicher Chancen. Verglichen mit denen der Schlerinnen und Schlern sind die geschlechtsbezogenen Vorurteile im Lehrkrper sogar noch verbreiteter. Sie beurteilen Jungen als kreativer und Mdchen als fleiiger, erkl-ren mnnliche Leistungsdefizite schneller mit fehlendem Willen und weibliche mit intellektuellen Mngeln, setzen grere Leistungsdifferenzen voraus als vor-handen und frdern damit geschlechtsspezifische Selbstbilder. Je mehr die Lehr-personen Mathematik als Jungenfach vermitteln, desto geringer ist das Selbst-vertrauen der Schlerinnen. Ein Bild, das auch von Elternseite mehrheitlich ge-sttzt wird. Inwieweit hier Aufklrungsarbeit in den Familien geleistet werden kann, wird sich noch zeigen, da dieser Bereich weitgehend unerforscht ist.

    Doch das wre ohnehin nur ein Ansatz unter vielen, um Geschlechterste-reotype zum Wohle der Chancengleichheit im Mathematikunterricht zu ent-krften. Vor allem zur Strkung des weiblichen Selbstbildes gibt es erfolgreiche Frderprogramme. Eines davon ist das so genannte Reattribuierungstraining. Da Schlerinnen die Grnde fr Fehlleistungen meist bei sich selber suchen,

  • Das Wichtigste in Krze

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    wird ihr Selbstkonzept durch gezieltes Feedback gestrkt. Resonanz ist auch bei einem anderen Modell von zentraler Bedeutung: In Frderprogrammen an den Universitten werden Schlerinnen von Fachleuten meist Mathematikerin-nen motiviert, beraten, untersttzt und erhalten zugleich weibliche Vorbilder, die im naturwissenschaftlich-technischen Bereich nach wie vor selten sind. De-rart individuelle Anstze haben indes den Nachteil, dass sie leistungsschwache Jungen ebenso auer Acht lassen wie leistungsschwache Mdchen. Auerdem vernachlssigen sie andere Aspekte des Ungleichgewichts im Mathematik-unterricht wie beispielsweise Migrationshintergrund und knnen Geschlechter-unterschiede verfestigen, statt sie zu relativieren. Projekte wie der seit 2001 durchgefhrte bundesweite Aktionstag Girls Day, an dem 10- bis 15-jhrige Mdchen mnnertypische Beruf