Max Weber und die Stadt im...

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Wilfried Nippel / Hinnerk Bruhns (Hg.) Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 140

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Wilfried Nippel / Hinnerk Bruhns (Hg.)

Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 140

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaf t

Herausgegeben vo n Helmut Berding , Jürgen Kock a

Hans-Peter Ulimann , Hans-Ulric h Wehle r

Band 14 0 Hinnerk Bruhns und Wilfried Nippe l (Hg. )

Max Weber un d die Stad t i m Kulturvergleic h

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich

Herausgegeben von

Hinnerk Bruhns und Wilfried Nippel

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

2000. Umschl·agabbildung: Die Stad t Arles im Mittelalter ,

in da s Amphitheater hineingebaut .

30682

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahm e

Max Webe r und die Stadt im Kulturvergleich:

hrsg. von Hinner k Bruhn s un d Wilfried Nippe l -Göttingen : Vandenhoeck un d Ruprecht , 200 0

(Kritische Studie n zu r Geschichtswissenschaft ; Bd . 140 ) ISBN 3-525-35746- X

Gedruckt mi t Unterstützun g der Fondation Maiso n de s Science s de l 'Homme, Paris .

© 2000 , Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen . - Printe d i n Germany. -http://www.vandenhoeck-ruprecht.de

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München

ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

Inhalt

Verzeichnis der Abkürzungen un d Kurztite l 7

Vorwort 9

WILFRIED NIPPE L

Webers »Stadt« . Entstehung - Struktu r der Argumentation - Rezeptio n 1 1

HINNERK BRUHN S

Webers »Stadt« und di e Stadtsoziologie 3 9

STEFAN BREUE R

Nichtlegitime Herrschaf t 6 3

RAYMOND DESCA T

Der Historiker , di e griechische Poli s und Webers »Stadt« 7 7

LUIGI CAPOGROSS I COLOGNES I Von den »Agrarverhältnissen« zu r »Stadt« 9 2

THOMAS SCHMELLE R Das paulinische Christentum un d die Sozialstruktur der antiken Stadt . Überlegungen z u Webers »Tag von Antiochien« 10 7

GERHARD DILCHE R

Max Webers »Stadt« und die historische Stadtforschun g de r Mediävistik 11 9

MANFRED HILDERMEIE R

Max Weber und die russische Stad t 14 4

MICHAEL MAN N

Max Webers Konzept der indischen Stad t 16 6

HELWIG SCHMIDT-GLINTZE R Max Weber und die chinesische Stad t im Kulturvergleic h 18 3

Autoren 20 1

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Verzeichnis der Abkürzungen und Kurztitel

Abkürzungen

AFK Archi v für Kulturgeschicht e ASS Archi v für Sozialwissenschaft un d Sozialpolitik GARS Ma x Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I-II I (1920/

21), ND Tübingen 198 8 GASS Ma x Weber, Gesammelt e Aufsätz e zu r Soziologi e un d Sozialpoliti k

(1924), ND Tübingen 198 8 GASW Ma x Weber, Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschich-

te (1924), ND Tübingen 198 8 GdS Grundri ß der Sozialökonomik GG Geschicht e und Gesellschaf t HZ Historisch e Zeitschrif t HJb Historische s Jahrbuch Jb Jahrbuc h JbbGOE Jahrbüche r für Geschichte Osteuropas JHI Journa l of the History of Ideas JNS Jahrbüche r für Nationalökonomie und Statistik KZSS Kölne r Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologi e MWG Ma x Weber-Gesamtausgabe MWG I/2 Ma x Weber, Die römische Agrargeschichte i n ihrer Bedeutung für das

Staats- und Privatrecht 1891 , hg. ν.J. Deinineer, Tübingen 198 6 MWG I/1 1 Ma x Weber, Zur Psychophysik der industriellen Arbeit . Schriften un d

Reden 1908-1912 , hg . v . W Schluchte r i n Zusammenarbei t mi t S . Frommer, Tübingen 199 5

MWG I/1 9 Ma x Weber, Die Wirtschaftsethik de r Weltreligionen. Konfuzianismu s und Taoismus. Schriften 1915-1920 , hg. ν. H. Schmidt-Glintzer in Zu­sammenarbeit mit Ρ Kolonko, Tübingen 198 9

MWG I/2 0 Ma x Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus. 1916-1920 , hg. ν. Η. Schmidt-Glintzer i n Zusammenar­beit mit K.-H. Golzio, Tübingen 199 6

MWG I/22- 5 Ma x Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesell-schaftlichen Ordnunge n und Mächte. Nachlaß, Teilband 5: Die Stadt , hg. v. W Nippel , Tübingen 199 9

MWG II/5 Ma x Weber, Briefe 1906-1908, hg. ν. Μ. R. Lepsius u. W J. Mommsen in Zusammenarbeit mit B. Rudhart u. M. Schön, Tübingen 199 0

MWG II/6 Ma x Weber, Briefe 1909-1910, hg. v. M. R. Lepsius u. W J. Mommsen in Zusammenarbeit mit B. Rudhart u. M. Schön, Tübingen 1994

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ND Nachdruc k Sch. Tb. Schmoller s Jahrbuch VSWG Vierteljahresschrif t fü r Sozial- und Wirtschaftsgeschicht e Wg Ma x Weber, Wirtschaftsgeschichte. Abri ß der universalen Sozial - und

Wirtschaftsgeschichte. Au s den nachgelassene n Vorlesunge n hg . v . S. Hellmann u. M. Palyi, München, Leipzig 1923

WL Ma x Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. v.J. Win-ckelmann, Tübingen 1973 4

WuG Ma x Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, hg. v.J. Winckelmann, Tübin-gen 19725

ZRG GA Zeitschrif t de r Savigny-Stiftung fü r Rechtsgeschichte . Germanistisch e Abteilung

Zs. Zeitschrif t

Kurztitel

Kocka, Weber J . Kocka (Hg.), Max Weber der Historiker, Göttingen 1986

Lebensbild Mariann e Weber, Max Weber. Ein Lebensbild, Tübin-gen 1926

Meier, Stadt Ch . Meie r (Hg.) , Di e okzidental e Stad t nac h Ma x Weber, München 1994 (HZ, Beiheft 17)

Schluchter, Antikes W Schluchte r (Hg.) , Max Webers Sicht des Christentum antike n Christentums . Interpretatio n un d Kritik ,

Frankfurt a . M. 1985 Schluchter, Hinduismus W Schluchte r (Hg.), Max Webers Studie über Hindu-

ismus un d Buddhismus . Interpretatio n un d Kritik , Frankfurt a . M. 1984

Schluchter, Okzidentales W Schluchter (Hg.), Max Webers Sicht des okzidenta-Christentum le n Christentums . Interpretatio n un d Kritik , Frank -

furt a.M. 1988 Winckelmann, Hauptwerk J . Winckelmann, Ma x Webers hinterlassenes Haupt -

werk: Die Wirtschaft un d die gesellschaftlichen Ord -nungen un d Mächte . Entstehun g un d gedankliche r Aufbau, Tübingen 1986

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Vorwort

Max Webers Werk stellt bis heute den wichtigsten Versuch dar, die Besonder-heit der europäischen Entwicklung seit der Antike durch umfassende Kultur -vergleiche zu erhellen. In dem ca. 1911-1914 entstandenen, erst posthum pu-blizierten Tex t »Di e Stadt « ha t Weber ein e vorläufig e Synthes e seine r uni -versalhistorischen Studien erarbeitet. Seine Leitfrage ist , warum sich trotz der Ubiquität des Phänomens Stadt nur im Okzident ein sich selbst verwaltendes städtisches Bürgertum herausgebildet habe. Diese Frage, und zugleich die nach den Besonderheiten der städtischen Sozialverfassung in China und Indien und deren Konsequenzen fü r die unterschiedliche ökonomisch e Entwicklung i m Orient, vertieft Weber in seinen Studien zur Wirtschaftsethik der Weltreligio-nen. Während der Vergleich zwischen den großen Kulturkreisen des Abendlan-des und des Orients darauf zielt, die Einzigartigkeit der okzidentalen Stadtge-meinde herauszustellen, geht es bei dem innerokzidentalen Vergleich zwischen Antike und Mittelalter vornehmlich darum zu zeigen, warum trotz auffälliger Parallelitäten i n den jeweiligen Verfassungsentwicklungen ers t im Mittelalte r wesentliche Voraussetzungen für die Entstehung des »modernen Kapitalismus« und des »modernen Staats« gelegt werden konnten.

Die Beiträge in diesem Band untersuchen die Stellung von Webers Untersu-chungen über die Stadt im Kontext seines Gesamtwerkes, rekonstruieren den Forschungsstand in diversen Disziplinen zu Webers Zeit und fragen, wiewei t die Weberschen Kategorie n und Modell e auch nach heutigem Stan d der Er-kenntnis wesentliche Instrument e fü r kulturvergleichend e Untersuchunge n darstellen oder einer Reformulierung bedürfen .

Es handelt sich um die überarbeiteten Beiträge zu einer von Hinnerk Bruhns (Centre de Recherches Historiques, Paris) und Wilfried Nippe l (Humboldt -Universität zu Berlin) im Juni 199 7 in Berlin organisierten Tagung, die durch die finanzielle Unterstützun g aus Mitteln der DFG-Forschergruppe »Gesell -schaftsvergleich« (Humboldt-Universität ) un d de r Maiso n de s Science s d e l'Homme (Paris ) ermöglicht wurde. Letzterer danken wir auch für einen Zu-schuß zu den Druckkosten. Für die organisatorische Vorbereitung der Konfe-renz danken wir Andreas Gutsfeld, für Mitarbeit bei der Redaktion des Bandes Guido Kirner, für wertvolle Hinweise und die Aufnahme des Bandes in diese Reihe den Herausgebern der »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft« .

Hinnerk Bruhns, Wilfried Nippe l Paris und Berlin, im Mai 2000

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WILFRIED N I P P E L

Webers »Stadt«. Entstehung - Struktu r der Argumentation - Rezeptio n

I. Zur Entstehun g de s Texte s

Die 192 1 posthu m i m »Archi v fü r Sozialwissenschaf t un d Sozialpolitik « er -schienene,1 späte r i n »Wirtschaf t un d Gesellschaft « (WuG ) aufgenommen e Abhandlung »Die Stadt« ist nicht mehr von Max Weber veröffentlicht worden . Ihr unvermittelter Abbruc h sprich t dafür , da ß sie unvollende t blieb . Über di e Genese des Textes liegen keine gesicherten Nachrichten vor. Ein Hinweis ist in einem Brie f Webers vo m 21 . Juni 191 4 a n de n Historike r Geor g vo n Belo w enthalten:

»Ich werde woh l i m Winte r anfangen , eine n ziemlic h umfangreiche n Beitra g zu m ›Grundriß der Sozialwissenschaften‹ drucke n zu lassen, der die Formen der politischen Verbände vergleichend und systematisch behandelt, auf die Gefahr hin, dem Anathema: ›Dilettantenvergleiche‹ zu verfallen. Ich meine: das was der mittelalterlichen Stadt spe-zifisch ist , also: das was die Geschichte grade uns darbieten soll (darin sind wir absolut einig!), ist doch nur durch die Feststellung was andern Städten (antiken , chinesischen , islamischen) fehlte, zu entwickeln - un d so mit Allem.«2

Dieses Selbstzeugni s belegt Webers Absicht, i n absehbarer Zei t seinen Beitra g zum - wi e e s richti g heiße n mu ß - »Grundri ß de r Sozialökonomik « (GdS ) vorzulegen un d in diesem Kontext auch das Thema »Stadt « in einer universal -historischen Perspektive zu behandeln. Aus dem Brief an Below läßt sich nich t eindeutig schließen , daß Weber diesen Abschnitt scho n fertiggestell t hatte . Da er jedoch bereit s in einem Brie f an den Verlag vom 30. Dezember 191 3 davo n gesprochen hatte , daß er fü r da s geplante Werk nebe n eine r »geschlossen e [n] Theorie un d Darstellun g [...] , welch e di e große n Gemeinschaftsforme n zu r Wirtschaft i n Beziehun g setzt« , auc h ein e »umfassend e soziologisch e Staats -und Herrschaftslehr e ausgearbeitet « habe, 3 ist wahrscheinlich, da ß zu dem i m

1 AS S 47, 1921, S. 621-772. - Zum folgenden vgl. ausführlicher W. Nippel, Einleitung und Editorischer Bericht, in: MWG I/22-5.

2 De r Brief ist mit einigen abweichenden Lesungen abgedruckt in: G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Bd. 1, Leipzig 19252, S. XXIVf.

3 Zitier t bei Winckelmann, Hauptwerk, S. 36.

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Sommer 191 4 vorliegenden Manuskrip t auc h Ausführunge n zu m Them a »Stadt« gehörten. Da Weber jedoch seinen GdS-Beitrag bis zum August 1914 wegen der Redaktionsarbeiten am Gesamtwerk und ständiger Umarbeitungen seines eigenen Textes nicht zum Druck gebracht hat,4 läßt sich seinen Äußerun-gen nicht entnehmen, in welcher Form der Abschnitt über die »Stadt« zu die-sem Zeitpunkt vorgelegen hat.

Webers Intention, den Themenkomplex »Stadt« innerhalb seines GdS-Bei -trags zu behandeln, wird auch aus seinem auf den 2. Juni 1914 datierten Plan für das Gesamtwerk deutlich, in dem er für die III. Abteilung »Wirtschaft und Ge-sellschaft« im Kapitel 8: »Die Herrschaft«, einen Abschnitt c): »Die nichtlegiti-me Herrschaft . Typologi e de r Städte « vorgesehen hatte. 5 Es kann bezweifel t werden, da ß de r überliefert e Tex t diese r Konzeptio n entspricht , jedenfall s dann, wenn »Typologie der Städte« unter »nichtlegitime Herrschaft« zu subsu-mieren ist. Webers Ausführungen zu r fehlenden Legitimitä t von Stadtregimes betreffen nur Teile des Textes (zur Kommunegründung durch coniuratio, zu den Sonderverbandsbildungen des popolo im italienischen Mittelalter sowie zu Ent-sprechungen in der Antike), keinesfalls aber die Abhandlung insgesamt .

Es gibt allerdings Indizien dafür, daß Weber sich auch den vorliegenden Text als Teil seines GdS-Beitrags vorgestellt hat. Der Text ist mit einer Fülle von Vor-und Rückverweisen - »wi e wir sehen werden«, »wie wir sahen«, etc. - versehen . Die Mehrzahl der mehr als vierzig Bemerkungen dieser Art läßt sich innerhalb des vorliegenden Textes der »Stadt« auflösen; mindestens drei zielen jedoch auf die älteren Teile von WuG, drei weitere stellen Zweifelsfälle dar . Eine Ankün-digung an anderer Stelle in WuG läßt sich als Verweis aus einem anderen Teil des Werkes auf die »Stadt« verstehen.6 Allerdings bleibt zu bedenken, daß nicht eindeutig zu rekonstruieren ist , auf weichen Textbestand und in welcher An-ordnung sich Weber zum Zeitpunkt der Einfügung dieser Querverweise bezo-gen hat.

Deshalb is t mi t der Feststellung , da ß Weber alle m Anschein nac h be i de r Niederschrift der »Stadt« von einer Einordnung in seinen GdS-Band ausging , noch nicht ausgemacht, ob bzw. in welcher Form er den Text in WuG integriert hätte. Auf Grund de r stark religionssoziologischen Ausrichtun g is t vermutet worden, daß der Text letztlich der »Wirtschaftsethik der Weltreligionen« zuge-ordnet worden wäre.7 Ein Anhaltspunkt dafür könnte in den Verlagsmitteilun-

4 Winckelmann , Hauptwerk,S.36-41. 5 Di e Datierung ergibt sich aus dem Vorwort zur I. Abteilung des GdS, Tübingen 1914 , S.

VII-ΓΧ; der Werkplan is t ebd. , S . X-XIII, abgedruckt; wieder in : Winckelmann , Hauptwerk , S . 165-167 und S. 168-171 .

6 Vgl . H. Orihara, Eine Grundlegung zur Rekonstruktion von Max Webers »Wirtschaft und Gesellschaft«. Di e Authentizität der Verweise im Text des »2. und 3. Teils« der 1 . Auflage, in : KZSS 46, 1994, S. 103-121 .

7 W . Schluchter, Max Webers Religionssoziologie. Eine werkgeschichtliche Rekonstruktion, in: ders., Antikes Christentum, S. 525-560, hier S. 542.

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gen vom 25. Oktober 191 9 für den 2. Band der »Gesammelten Aufsätze zu r Religionssoziologie« vorliegen. Weber kündigte hier an, daß die Aufsätze erwei-tert werden sollten »durch eine kurze Darstellung der ägyptischen und meso -potamischen und der zarathustrischen religiösen Ethik, namentlich aber durch eine der Entstehung der sozialen Eigenart des Okzidents gewidmeten Skizz e der Entwicklung des europäischen Bürgertums in der Antike und im Mittelal-ter«.8 Schon am 11. September hatte Weber in einem Brief an den Verleger von einem, für diesen Band noch zu schreibenden Aufsatz (»im Kopf fertig«) übe r die »allgemeinen Grundlage n de r occidentalen Sonderentwicklung « gespro -chen.9 Ob beide Ankündigungen denselben Aufsatz meinen und wie sich dieser letztlich zum vorliegenden Text über die »Stadt« verhalten hätte, läßt sich nicht klären. Eine eindeutige werkgeschichtliche Zuordnung des erhaltenen Textes der »Stadt« ist somit nicht vorzunehmen. Er hätte vermutlich umgestaltet wer-den müssen, wenn Weber ihn in WuG oder in die »Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie« bzw. in Teilen in beide Werke hätte übernehmen wollen.

Die Eingrenzung seine r Entstehungszeit kan n nu r aufgrund interne r Evi -denz sowie der Korrelation mit den sonstigen bio-bibliographischen Informa -tionen über Webers Arbeiten erfolgen, da der Text selbst keine expliziten An-haltspunkte fü r Datierunge n liefert . Di e au s Webers verwendeter Literatur , soweit rekonstruierbar, zu erschließenden Datierungshinweise können nur zur Feststellung eines Terminus post quem fuhren . Nebe n ältere r Literatur wird eine Reihe von Arbeiten verwendet, die zwischen 1908 und Ende 1913 erschie-nen sind. Daraus kann man weder herleiten, wann Weber mit der Niederschrift des Textes begonnen noch zu welcher Zei t e r die sei t Ende 191 3 verfugbare Literatur eingearbeitet hat.

Für ein e Bestimmun g de s wahrscheinlichen Entstehungszeitraum s bleib t man auf inhaltliche Überlegungen angewiesen. Es sollte außer Zweifel stehen, daß Webers Arbeit an der »Stadt« frühestens nach der Anfang 1908 10 erfolgten Fertigstellung de r letzte n Fassun g de r »Agrarverhältniss e i m Altertum « fü r das »Handwörterbuch de r Staatswissenschaften«11 eingesetzt haben kann . Im Schlußabschnitt diese s Artikels hatte Weber erstmals eine »wirklich kritisch e Vergleichung der Entwickelungsstadien de r antiken Poli s und der mittelalterli -chen Stadt«12 für angebracht erklärt und in Grundzügen auch skizziert. Für die späteren Ausführungen zu r griechischen und römischen Antike stellte dieser

8 Abgedruck t in: MWG I/19, S. 28, 9 H.Schmidt-Glintzer , Editorische r Bericht, in: MWG I/19, S. 44.

10 De r 1. Band der 3. Auflage trägt zwar das Datum 1909, der Faszikel mit dem Beitrag We-bers is t jedoch scho n i m April 190 8 erschienen; vgl . A. Winterling , Rezension MW G I/2 , in : Gnomon, 61,1989, S. 401-407), hier S. 401, Α 2.

11 Hie r zitiert nach GASW, S. 1-288. 12 Ebd. , S. 288.

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Lexikonartikel, wie sich aus einer Reihe von Parallelen erkennen läßt, zweifel-los eine wichtige Grundlage dar.

Der Inhalt der »Stadt« spricht weiter dafür, daß große Teile in der vorliegen-den For m erst sei t ca . 191 1 entstanden sind , al s Weber an den Studie n übe r Konfuzianismus und Hinduismus sowie über das antike Judentum, das Chri-stentum und den Islam arbeitete. Eine Reihe von Ausführungen i n der »Stadt« lesen sich wie Kurzversionen seiner ausführlicheren Analysen in den religions-soziologischen Aufsätzen, von denen zumindest diejenigen z u China, Indien und zum Judentum 191 3 in ersten Fassungen vorlagen.13 In der aus dem Jahre 1913 stammenden Einleitung zur »Wirtschaftsethik de r Weltreligionen« heiß t es, daß das Christentum i n der »Stadt des Okzidents i n ihre r Einzigartigkei t gegenüber allen anderen Städten« und im »Bürgertum in dem Sinne, in wel-chem es überhaupt nur dort in der Welt entstanden ist« , seinen »Hauptschau-platz« gefunden habe. 14 Die inhaltliche Übereinstimmun g mi t wesentliche n Thesen des »Stadt«-Textes liegt auf der Hand, ohne daß sich daraus schließen ließe, dieser Text müsse schon (in welchem Zustand auch immer) vorgelegen haben.

Es ist durchaus damit zu rechnen, daß Weber auch im Laufe des Jahres 1914 noch an der »Stadt« gearbeitet hat. Diese Arbeit muß jedoch spätestens mit dem Ausbruch de s Ersten Weltkriegs unterbroche n worde n sein . Weber meldet e sich am 2. August 191 4 freiwillig zu m Militärdienst un d wurde beim Aufbau der Heidelberger Reservelazarette eingesetzt. Diese Aufgabe ha t zumindest in den ersten Monaten seine ganze Arbeitskraft in Anspruch genommen und eine längere Unterbrechun g seine r wissenschaftlichen Arbei t bedingt. 15 Sei t dem Sommer 1915 und dann intensiv nach der Entlassung aus dem Militärdienst am 30. September 1915 hat sich Weber wieder mit seinen Studien zur Wirtschafts-ethik der Weltreligionen befaßt.16 Denkbar wäre, daß ersieh bei dieser Gelegen-heit zugleich auch wieder der »Stadt« zugewendet hat; Anhaltspunkte dafür gibt es jedoch nicht. Insgesamt ergibt sich, daß wesentliche Partien, wenn nicht das Ganze des »Stadt«-Textes erst seit ca. 1911 entstanden sein dürften. In der vor-liegenden Form repräsentiert er wahrscheinlich einen Bearbeitungsstand von 1914. Fü r später e Zusätz e ode r Überarbeitunge n gib t e s kein e zwingende n Hinweise; die Möglichkeit kann aber auch nicht definitiv ausgeschlossen wer-den.

Die Ungewißheit übe r den Status des nachgelassenen Texte s hat auch di e Geschichte seiner posthumen Publikation bestimmt. Am 30. Juni 1920 schrieb

13 Vgl . Schmidt-Glintzer, in: MWG 1/19, hier S. 34-40. 14 MW G V19, S. 87. Die Datierung ergibt sich aus Webers Fußnote ebd., S. 83. 15 Vg l W.J . Mommsen, in: M. Weber , Zur Politik im Weltkrieg. Schriften un d Reden 1914 -

1918, hg . von W. J . Mommse n (MW G 1/15) , Tübingen 1984 , S . 23-25 , sowi e Lebensbild , S . 527ff.

16 Vgl . Lebensbild, S. 561.

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Marianne Webe r a n de n Verlag Moh r (Siebeck) , da ß si e Manuskript e ihre s Mannes gefunden habe , darunter: »ein großes Konvolut: Formen der Stadt«.17

Sie hat das Manuskript schließlich im Oktober 192 0 an den Verlag geschickt, weil der Herausgeber des »Archivs«, Emil Lederer, auf den Abdruck in der Zeit-schrift drängte . Allerdings erschien der Text unter dem Titel »Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung« erst im August 1921. Im Juni 192 1 schloß Mari-anne Weber mit dem Verlag einen Vertrag über die Herausgabe der von Weber für den GdS verfaßten Teile. Bis in den Herbst hinein korrespondierte sie mit Siebeck wegen der Aufnahme der »Stadt« in den GdS, da sie sich über die Zu-ordnung nicht schlüssig war und eine Aufnahme in eine künftige Ausgabe »ge-sammelter Aufsätze« erwog, bevor sie doch den Druck in GdS verlangte. Gegen Bedenken des Verlegers verwies Marianne Weber schließlich am 26. Oktober 1921 auf den Werkplan von 191 4 und darauf da ß Max Weber »zweifellos di e Stadt als höchste Form der Vergesellschaftung i n den Grundriß aufnehmen « wollte. So wurde der Text unter dem Titel »Die Stadt« in der 3. Lieferung des GdS im April 1922 noch einmal veröffentlicht (die letzten vier Seiten erst in der 4. Lieferung vom Dezember 1922) . Allerdings erhielt er nicht die Plazierung , die dem Werkplan von 1914 entsprochen hätte , sondern wurde in den 2. Teil (»Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung«) al s letztes, VIII. Ka-pitel nach der »Rechtssoziologie« eingestellt.18 Die in dieser Fassung gegenüber dem Erstdruck im »Archiv« vorgenommenen kleineren Texteingriffe sowie die neue Paragrapheneinteilung mi t Einfügung eine s fünften Paragraphe n gehen auf Marianne Weber und Melchior Paly i zurück . Ungeklär t ist , ob der Tite l »Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung« (so im Erstdruck; in WuG ist der Untertitel weggelassen), die Untergliederung des Textes sowie die (ersten vier) Zwischentitel au f Weber oder auf die Herausgeber zurückgehen ; anstößig ist zumal di e Überschrif t »Di e Plebejerstadt« , d a sich diese r Begrif f (ander s al s derjenige der »Geschlechterstadt«) in Webers Text nicht findet .

17 Di e Korresponden z finde t sic h i m Depona t de s Verlagsarchivs Moh r (Siebeck ) i n de r Bayerischen Staatsbibliothek ; di e wichtigsten Brief e sin d be i Winckelmann , Hauptwer k abge -druckt.

18 Ers t in der 4. und 5. Auflage von WuG (1956 bzw. 1972 ) hat Johannes Winckelmann den Text unte r Berufun g au f den Werkplan von 191 4 als Teil de r Herrschaftssoziologi e vo n WuG präsentiert. In der 4. Auflage i n Kapitel IX als Abschnitt 8 und in der 5. Auflage in Kapitel Dt als Abschnitt 7. Die unterschiedliche Abschnittszählung ergibt sich daraus, daß Winckelmann in der 5. Auflage de n in die Auflage von 1956 neu hineingenommenen (2. ) Abschnitt »Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft« al s nicht zu WuG gehörend wieder entfernt und stattdessen in WL, S. 475-488 eingeordnet hatte.

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II. Die Themen de r Abhandlun g

Leitfrage des Textes ist, warum sich trotz der Ubiquität des Phänomens Stadt nur im Okzident ein sich selbst verwaltendes Bürgertum herausgebildet habe. Es geht Weber darum, einerseits den Okzident vom Orient abzusetzen, ande-rerseits die unterschiedlichen Ausprägungen der okzidentalen Stadtgemeind e herauszuarbeiten. Fü r den Okzident stehe n griechisch-römische Antike und europäisches Mittelalter , fü r di e Antike di e autonome n Stadtstaate n Athen , Sparta und Rom in ihrer jeweiligen Blütezeit; für das Mittelalter werden je nach Argumentationsbedarf die italienischen Städt e (be i denen zwischen See - und Binnenstädten z u unterscheide n ist) , die Städt e de s kontinentale n Bereich s nördlich der Alpen oder die englischen Städte herangezogen. Für den kontra-stierenden Vergleich mit dem Orient nimmt Weber sowohl auf das ägyptische und vorderasiatische Altertum al s auch au f China, Japan un d Indie n Bezug . Weitere Beispiele (aus Rußland, Mekka, Konstantinopel oder sogar den Städten der afrikanischen Goldküste) kommen im Einzelfall zur Hervorhebung spezi-eller Gesichtspunkte hinzu. Während der Vergleich zwischen den großen Kul-turkreisen darauf zielt, die Einzigartigkeit der okzidentalen Stadtgemeinde her-auszustellen, geht es bei dem innerokzidentalen Vergleich zwischen Antike und Mittelalter vornehmlich darum zu zeigen, warum sich trotz auffälliger Paralle -len in den jeweiligen Verfassungsentwicklungen ers t im Mittelalter wesentliche Voraussetzungen für den »modernen Kapitalismus« und den »modernen Staat« ergaben.19

1. Aspekte der Stadtgeschichte in früheren Arbeiten Webers

Die »Stadt«-Studie bietet einen in dieser Form im Weberschen Werk einzigarti-gen universalhistorischen Entwur f Al s Vorstudien können mit gewissen Ein-schränkungen seine früheren Arbeiten zur Antike gelten, da sich in ihnen fest-stellen läßt, wie Weber seine universalhistorische Perspektive erweitert, wie er zu methodischen Klärungen gelangt, die für seine weiteren Arbeiten grundle-gend werden sollten, und wie er Deutungsmuster entwickelt, die er dann in der »Stadt« auf zuvor nicht behandelte Materialien anwenden sollte.

Ein wesentliches Thema war die Frage nach der Eigenart und den Entwick-lungsschranken des antiken Kapitalismus gewesen,20 der nach Webers Einschät-zung au f der Ausnutzung politisch-militärisc h vermittelte r Erwerbschance n basiert hatte. Weber hatte sich dieser Fragestellung zunächst in seiner »Römi-schen Agrargeschichte« von 1891,21 dann in dem Aufsatz »Die sozialen Gründe

19 WuG , S . 788 (MW G 1/22-5 , S. 233) . 20 Vgl . L. Capogross i Colcgnesi (in diesem Band) . 21 MW G I/2 .

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des Untergangs der antiken Kultur« von 1896,22 schließlich in den verschiede-nen Fassungen des Artikels »Agrarverhältnisse im Altertum« für das »Handwör-terbuch der Staatswissenschaften« von 1897,1898 und (nun im Umfang einer Monographie) 1908/0 9 gewidmet . Dabe i zeigt e sic h ein e Ausweitung sei -nes Vergleichsrahmens von der römischen Geschichte über die gesamte grie-chisch-römische Antik e bi s zu r Behandlun g de s gesamte n vorderorienta -lischen Altertums , wi e si e i n de r fortschreitende n Einbeziehun g Ägyptens , Mesopotamiens un d Israel s i n den imme r länge r werdenden Fassunge n de r »Agrarverhältnisse« zum Ausdruck kam. Weber rezipierte eine umfängliche Li-teratur, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert für den Bereich der griechisch-römischen Welt verstärkt Themen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zuge-wendet hatte und die aufgrund der zunehmenden Erschließung monumentaler Quellen für Ägypten und den Alten Orient einen geradezu dramatischen Er-kenntniszuwachs verzeichnete. Auch wenn Weber sich in einem erstaunlichen Ausmaß darum bemühte , eine weitverzweigte spezialisiert e Literatu r auszu -werten, wird man für die Ausweitung seiner Darstellung der vorderorientali-schen Kulture n de m Werk Eduard Meyer s ein e gewichtig e Bedeutun g zu -schreiben können.23

In diesen Studien hatte das Thema Stadt bereits eine wichtige Rolle gespielt, da es Weber darum gegangen war, ein Gesamtbild der »Kultur« zu zeichnen. So hatte er in dem Essay von 189 6 die »Kultur des Altertums« al s »ihrem Wesen nach zunächst: städtische Kultur« definiert.24 Die Verlagerung der »Küstenkultur« ins Binnenland im Laufe der römischen Kaiserzeit habe zum Schwinden städ-tischer Kultur, zu ihrem »Winterschlaf« i m »ländlich gewordenen Wirtschafts-leben« geführt .

»Erst al s au f de r Grundlag e de r freie n Arbeitsteilun g un d de s Verkehr s di e Stad t i m Mittelalter wieder erstande n wa r [...] , d a erhob sich de r alt e Ries e i n neue r Kraf t un d hob auc h da s geistig e Vermächtni s de s Altertums empo r a n da s Lich t de r moderne n bürgerlichen Kultur«. 25

In der letzten Fassung der »Agrarverhältnisse« hat Weber betont, daß die »antike Agrargeschichte [...] i n ihrem Verlauf in die Peripetien der antiken Stadtgeschich-te so eng verflochten [war] , daß sie von ihnen isoliert kaum behandelt werden

22 Hie r zitiert nach GASW, S. 289-311. 23 Di e These von F. H. Tenbruck, Max Weber und Eduard Meyer, in : W. J. Mommse n u. W.

Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen 1988 , S. 337-379, Webers ge-samtes Spätwerk sei aus der Auseinandersetzung mi t Eduard Meyer erwachsen, ist allerdings in dieser Form nicht haltbar; vgl. W. Nippel, Max Weber, Eduard Meyer und die »Kulturgeschichte«, in: M. Hettling u.a. (Hg.), Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen , Themen, Analysen, Mün-chen 1991 , S. 323-330.

24 GASW , S. 291. 25 Ebd. , S. 310f.

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könnte«.26 Er führte weite r aus , daß »Organisationsitai/ten« festzustelle n seien , »die sich, bis zu einem gewissen Maße bei allen denjenigen ›antiken‹ Völkern, von der Sein e bi s zu m Euphrat , welch e überhaup t städtische Entwickelung gekann t haben, wiederholt z u habe n scheinen«. 27 Auf die Stuf e eine s auf Dörfern un d Hausgemeinschaften basierende n Bauerngemeinwesen s mi t eine r lockere n politischen Struktu r folg t de r Zusammenschlu ß i n eine r vo n eine r Bur g ge -schützten Siedlung und die Herausbildung eines »Burgenkönigtums« mi t einer »persönliche [n] Gefolgschaft«. 28 Danac h gabelt sich die Entwicklung: I m Orien t kann der König seine Macht ausbauen, die Grundrenten und Handelsgewinn e weitgehend monopolisieren , di e Bevölkerung z u fron- un d abgabepflichtige n Untertanen mache n und sich ein Heer und eine Bürokratie aufbauen . S o ent-steht ein »bürokratisches Stadtkönigtum « bzw . in einer späteren Phase bei ent -sprechender territoriale r Ausdehnun g un d fortschreitende r Rationalisierun g des Herrschaftsapparate s de r »autoritär e Leiturgiestaat , de r planmäßig di e Dek -kung der Staatsbedürfnisse durc h ein kunstvolle s System von öffentlichen La -sten erstrebt und die ›Untertanen‹ al s reine Objekte behandelt«. 29

Für die mediterrane Entwicklung is t dagegen entscheidend, daß ein Krieger -adel Anteil an den Grundrenten und Handelsgewinnen nehme n kann, der ihm Eigenständigkeit gegenüber dem Monarchen sichert , der schließlich einer »sich selbst verwaltende[n], militärisc h gegliederte[n ] städtische[n ] Gemeinde« wei -chen muß. 30 Hie r kan n sic h au s de r militärische n Notwendigkei t de r fort -schreitenden Einbeziehun g de r breiteren Bürgerschaf t ein e Entwicklun g vo n der »Adels- « übe r di e »Hopliten- « bi s hi n zu r »demokratische n Bürgerpolis « ergeben.31 Schließlic h setz t sic h auc h i n de n hellenistische n Reiche n un d i m römischen Reic h de r bürokratisc h organisiert e Leiturgiestaa t durch , de r de n Kapitalismus »erstickt«. 32

Für di e divergierend e Entwicklun g mach t Webe r primä r die » unterschied -lichen geographische n Bedingunge n verantwortlich , di e e r au f di e Forme l des Gegensatze s vo n de r »Küstenkultur « de r griechisch-römische n un d de r »Stromufer- un d Bewässerungskultur « de r ägyptische n un d vorderorientali -schen Antike zuspitzt . Seiner Theorie liege n zwe i - au s heutiger Sicht proble -

26 Ebd. , S. 34. 27 Ebd. , S. 35. 28 Ebd. , S. 36. 29 Ebd. , S. 39f . 30 Ebd. , S. 37. 31 Vgl.J . Deininger, Die politischen Strukturen des mittelmeerisch-vorderorientalischen Al -

tertums in Max Webers Sicht, in : Schluchter, Antikes Christentum, S . 72-110, hier S . 81-90; 5 . Breuer, Stromuferkultu r un d Küstenkultur . Geographisch e un d ökologisch e Faktore n i n Ma x Webers ökonomischer Theorie der antiken Staatenwelt‹, ebd., S. 111-150; S.-U. Chon, Max We-bers Stadtkonzeption . Ein e Studi e zu r Entwicklung de s okzidentalen Bürgertums , Göttinge n 1985, S. 104-159 .

32 GASW , S. 275.

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matische - Annahme n zugrunde. Zum einen die Vorstellung, die Anlage von Städten se i primär aus Handelsinteressen erfolg t un d die Kontrolle übe r di e Fernhandelsgewinne entscheidend für den Fortgang sozialer Differenzierun g gewesen. Diese weder beweis- noch widerlegbare These hat Weber seit seiner »Römischen Agrargeschichte«33 wie ein Axiom eingesetzt. Zum zweiten wird unterstellt, daß die Notwendigkeiten der Stromregulierung die bürokratischen Strukturen in den orientalischen Monarchien bedingten.34

Angesichts dieser Gegenüberstellung zweie r Grundmuster von Kulturent -wicklung hat Weber in den »Agrarverhältnissen« verschiedentlich die Gemein-samkeit von Strukturen in Antike und Mittelalter angesprochen, zugleich aber davor gewarnt, vorschnelle Analogien zu ziehen, die »oft direkt schädlich fü r die unbefangen e Erkenntnis « seien. 35 I m Schlußabschnit t diese r lange n Ab-handlung widmet er sich ausführlich der Frage nach der »Eigenart der antiken Polis« und danach, »wie sie sich denn zur ›Stadt‹ des Mittekltets verhält«,36 wobei es ihm darauf ankommt, warum »da s Mittelalter unste t kapitalistischen Ent -wicklung längst vor dem Auftauchen kapitalistischer Organisationsformen nä-het stand al s di e Polis«. 37 Als wesentliche Faktore n werden de r Vorrang de r Landwirtschaft i n der Antike einerseits, des Gewerbes im Mittelalter anderer-seits betont. Weiter wird die Rolle der Zünfte des Mittelalters sowohl fü r die Organisation der gewerblichen Arbeit wie als Instrument politischer Interes-senvertretung hervorgehoben; für beides habe es in der Antike kein Äquivalent gegeben. Schließlich wird die militärische Prägung der antiken Polis akzentu-iert, während die mittelalterliche Stad t »von Anfang an, und zunehmend, bür-gerlichem Charakters« gewesen sei, nämlich auf »friedlichen Marfeierwerb zu-geschnitten«.38

Die unterschiedlichen militärischen Möglichkeiten der autonomen Polis als »vollkommenste Militärorganisation«39 de s Altertums einerseits , der i n größer e Herrschaftsverbände eingebettete n Stad t de s Mittelalters andererseit s hätte n den jeweiligen Charakter des Bürgertums geprägt: »Der ›Bürger‹ ist im Mittel-alter von Anfang an in weit höherem Maße ›homo oeconomicus‹ als der Bürger einer antiken Polis es sein will oder kann«.40 Weber betont jedoch wiederholt , daß diese Entgegensetzung vor allem dann gerechtfertigt sei , wenn man an die

33 MW G I/2, S. 202-204. 34 Di e neuere Forschung ist aufgrund archäologische r Evidenz für Mesopotamien zu dem

Ergebnis gekommen, daß die Bewässerung zuerst auf lokaler Ebene organisiert worden ist , die damit verbundenen organisatorischen Notwendigkeiten demnach nich t zwingend den Aufbau größerer Herrschaftseinheiten forderten, aber doch begünstige haben.

35 GASW,S.4 . 36 Ebd. , S. 254. 37 Ebd. , S. 258. 38 Ebd. , S. 262. 39 Ebd . 40 Ebd .

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»industrielle Binnenstadt « i n Frankreich , Deutschlan d ode r England denke , während die »Seestädte« Italiens aufgrund ihrer Ausrichtung auf den Fernhan-del wie ihrer militärischen Möglichkeiten mehr Analogien zum antiken Muster zeigten. Ziel eines eingehenden Vergleiches zwischen Antike und Mittelalte r sei nicht die Suche nach »Parallelen« und »Analogien«, sondern »die Herausar-beitung der Eigenart jeder von beiden, im Endresultat so verschiedenen, Ent -wickungen«.41

Webers Arbeiten zur Antike dienten auch der methodischen Verständigung über den heuristischen Gebrauch von Idealtypen, besonders in der Auseinan-dersetzung mit diversen Stufentheorien, wie sie seinerzeit in der historischen Nationalökonomie verbreitet waren. Insbesondere galt dies für die Ablehnung von »Kulturstufen« , di e eine bei alle n Völkern gegeben e quas i gesetzmäßig e Entwicklung vom Nomadentum zum Ackerbau postulierten. Weber hat seine Position in der Abhandlung »Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung i n de r deutsche n Literatu r de s letzte n Jahrzehnts« 190 4 grundsätzlich entwickelt. 42

Für seine weiteren Arbeiten wurde vor allem die Auseinandersetzung mi t dem Konzept der »Wirtschaftsstufen« relevant , wie sie unter anderem Schön-berg, Schmoller und Bücher vorgestellt hatten,43 die in verschiedenen Varian-ten ein e Sequen z vo n »Hauswirtschaft « übe r »Stadtwirtschaft « zu r »Volks -wirtschaft« angenomme n hatten . Vo r allem Kar l Bücher s Model l wa r vo n führenden Althistorikern wie Eduard Meyer und Karl Julius Beloch scharf an-gegriffen worden,44 weil sie Bücher eine gesetzmäßige Abfolge von Stufen so-wie ein e Identifikatio n de r Antike mi t de r Stuf e de r Hauswirtschaf t unter -stellten - o b zu Rech t ode r nicht , kan n hie r dahingestell t bleiben . Dagege n verfochten si e eine weitgehende strukturell e Gleichartigkei t von antiker un d frühmoderner Ökonomie . Gegen die Stufentheorien von Schmoller und Bü-cher wandten sich auch Mediävisten wie namentlich Georg von Below, der eine Gleichsetzung der Stadtwirtschaft mi t dem Mittelalter ablehnte. 45 In der me-

41 Ebd. , S. 288. 42 Ebd. , S . 508-556 . Vgl . W. Nippel, Methodenentwicklung un d Zeitbezüge i m althistori -

schen Werk Max Webers, in: GG 16, 1990, S. 355-374, hier S. 360-363. 43 G . Schönberg, Zur wirtschaftlichen Bedeutun g des deutschen Zunftwesens im Mittelalter,

in: JNS 9 , 1867 , S. 1-7 2 un d 97-169, hier S. 1 4 und 164 ; G. Schmoller ,Studien über die w i r t -schaftliche Politi k Friedrich s des Großen un d Preußen s überhaup t von 1680-1786 , in : Jb. fü r Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich 8,1884,1-61, hier S. 15ff.; Κ Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, Tübingen 1893 , S. 1-78*.

44 E . Meyer, Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums, Jena 1895;J . Beloch, Die Gross-industrie i m Altertum, in : Zs. für Socialwissenschaf t 2 , 1899 , S. 18-26 ; ders., Zur griechischen Wirtschaftsgeschichte, ebd. 5, 1902, S. 95-103 u. 169-179.

45 G . v. Below, Zur Würdigung der historischen Schule der Nationalökonomie. IV. Schmol-lers Stufentheorie, in : Zs. für Socialwissenschaf t 7 , 1904 , S. 367-391; ders., Über Theorien der wirthschaftlichen Entwicklung der Völker, mit besonderer Rücksicht auf die Stadtwirthschaft des deutschen Mittelalters, in: HZ 86,1901, S. 1-77; ders., Der Untergang der mittelalterlichen Stadt-

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diävistischen Diskussion kam noch die Kritik an Sombart hinzu, der in seinem »Modernen Kapitalismus« von 1902 die Abgrenzung zwischen der Bedarfsdek-kungswirtschaft des Mittelalters und der Erwerbswirtschaft der Neuzeit vertre-ten hatte.46

Wie scho n i n seine m »Objektivitäts«-Aufsat z vo n 190 4 i n bezu g au f di e »Stadtwirtschaft«,47 hat Weber in den »Agrarverhältnissen« von 1908/09 auch die (auf Rodbertu s zurückgehende) 48 Kategori e de r »Haus- « bzw . »Oikenwirt -schaft« »i m Sinn e eine r ›idealtypischen ‹ Konstruktio n eine r Wirtschaftsverfas -sung« interpretiert , di e nich t mi t de r antike n Ökonomi e i n ihre r gesamte n räumlichen un d zeitliche n Erstreckun g gleichgesetz t werde n dürfe. 49 Weber verstand unter dem Oikos den Typ des fürstlichen oder grundherrlichen Haus-halts, der vorrangig an Bedarfsdeckung interessiert ist und diesen Bedarf durch Fronarbeiten und Naturalabgaben von Abhängigen deckt. In der Sache distan-zierte e r sic h eindeuti g von de n modernisierende n Annahme n Meyer s un d Belochs, hielt gleichwohl an der Kategorie des »antiken Kapitalismus« fest, ge-rade um seine von politischen und militärischen Faktoren bedingte Eigenart in Abgrenzung zum modernen Kapitalismus bestimmen zu können.

2. Die Themen der »Stadt« im Kontext der zeitgenössischen Forschung

Weber beginnt seine Studie mit Erörterungen zur Kategorie der Stadt, in denen er verschiedene siedlugsgeographische, könonomische und rechtiche Merk-male durchspielt und immer wieder die Inkongruenz dieser Kriterien betont. Für die ökonomische Definition is t entscheidend, daß es sich um eine Markt-ansiedlung handelt, bei der aufgrund eine r bestehenden Produktionsspeziali -sierung die ortsansässige Bevölkerung regelmäßig einen erheblichen Teil ihres Alltagsbedarfes au f dem Mark t deckt . Ei n grundlegende s Unterscheidungs -merkmal besteh t darin, welche Schichten mi t ihrer Kaufkraf t wesentlic h di e Erwerbschancen der ortsansässigen Produzenten bestimmen. In der »Konsu-mentenstadt« stamm t di e Kaufkraf t entwede r au s Einnahmen patrimoniale r und politische r Natur , de n Mittel n eine s Fürsten (»Fürstenstadt« ) bzw . den Gehältern un d Pfründe n vo n Beamte n (»Beamtenstadt«) , ode r au s diverse n

Wirtschaft (über den Begriff der Territorialwirtschaft), in: JNS 3. Folge 21,1901, S. 449-473 und 593-631.

46 S o u.a. G. v. Befow, Die Entstehung des modernen Kapitalismus [Rezension W. Sombart, Der moderne Kapitalismus, Leipzig 1902], in: HZ 91,1903, S. 432-485; H. Sieveking, Die mittel-alterliche Stadt. Ein Beitrag zur Theorie der Wirtschaftsgeschichte, in : VSWG 2, 1904 , S. 177-218.

47 WL,S . 191. 48 J. Κ Rodbertus, Untersuchungen auf dem Gebiete der Nationalökonomie des klassischen

Alterthums II, in: JNS 4, 1865 , S. 341-427, hier S. 345ff. 49 GASW,S.7 .

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