Medientheorie antiquiert? Günther Anders Soziologie der Dinge Timo Kaerlein Wir brauchen keinen...

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Medientheorie antiquiert? Günther Anders‘ Soziologie der Dinge Timo Kaerlein Wir brauchen keinen Kanon, wir brauchen Kanonen Ringvorlesung des Promovierendennetzwerks Medien|Projekt SS 2012 07.05.2012

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  • Medientheorie antiquiert? Gnther Anders Soziologie der Dinge Timo Kaerlein Wir brauchen keinen Kanon, wir brauchen Kanonen Ringvorlesung des Promovierendennetzwerks Medien|Projekt SS 2012 07.05.2012
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  • Inhalt 1.Einstimmung: Pachinko 2.Gnther Anders: Vorbemerkungen zu Biographie und Methode 3.Das Projekt einer Soziologie der Dinge a.Antiquiertheit des Menschen als Theorie des Posthumanen b.Moralitt der Dingwelt 4.Fazit
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  • Inhalt 1.Einstimmung: Pachinko 2.Gnther Anders: Vorbemerkungen zu Biographie und Methode 3.Das Projekt einer Soziologie der Dinge a.Antiquiertheit des Menschen als Theorie des Posthumanen b.Moralitt der Dingwelt 4.Fazit
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  • Bildquelle: Roland Barthes, Das Reich der Zeichen, Frankfurt/M. 1981 (frz. OA 1970).
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  • Inhalt 1.Einstimmung: Pachinko 2.Gnther Anders: Vorbemerkungen zu Biographie und Methode 3.Das Projekt einer Soziologie der Dinge a.Antiquiertheit des Menschen als Theorie des Posthumanen b.Moralitt der Dingwelt 4.Fazit
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  • Gnther Anders Biographisches geboren 1902 als Sohn des Psychologen-Ehepaars Clara und William Stern studierte Philosophie und Kunstgeschichte bei Cassirer, Panofsky, Husserl und Heidegger Promotion 1923 bei Husserl Habilitation abgelehnt 1920er: Arbeit als Kulturjournalist in Berlin Ehe mit Hannah Arendt 1933 Emigration nach Paris, spter in die USA Odd jobs + Dozententtigkeit Auschwitz + Hiroshima: Einfluss auf sein Denken
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  • Abkehr vom Akademismus Wenn atomare Sprengkrper lagern, kann man sich nicht damit aufhalten, die Nikomachische Ethik zu deuten. Die Komik von 90 Prozent der heutigen Philosophie ist unberbietbar: Bcker, die fr Bcker Brtchen backen. Gnther Anders (1977), zitiert von Mathias Greffrath, Zorn der Vernunft, in: DIE ZEIT, Nr. 21, 19.05.2011.
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  • Gnther Anders Biographisches 1950 Rckkehr nach Europa (Wien) Ttigkeit als freier Autor weit gestreute Verffentlichungen Publikationen zu tagespolitischen Themen Mitgrnder der Anti-Atomkraft-Bewegung Tod 1992 in Wien
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  • Gnther Anders Kritischer Denker Es genu gt nicht, die Welt zu verndern. Das tun wir ohnehin. Und weitgehend geschieht das sogar ohne unser Zutun. Wir haben diese Vernderung auch zu interpretieren. Und zwar, um diese zu verndern. Damit sich die Welt nicht weiter ohne uns verndere. Und nicht schlielich in eine Welt ohne uns. Gnther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Band II, ber die Zerstrung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, 3. Aufl., Mnchen, 2002 (OA 1980), S. 5.
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  • Gnther Anders Vorbemerkungen zu Stil & Methode unerschtterlicher Pessimismus Prognostische Hermeneutik bertreibung als Entstellung in Richtung Wahrheit
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  • Fabel zum Sinn der bertreibung Malose bertreibung! sprach das Fensterglas, nachdem das Mikroskop seine Beobachtungen mitgeteilt hatte. Und die Seuche wtete weiter... Anders, Der Blick vom Turm. Fabeln von Gu nther Anders, Mu nchen, 1968, zitiert nach der DDR-Lizenzausgabe, Leipzig/Weimar 1984, S. 45.
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  • Gnther Anders Vorbemerkungen zu Stil & Methode unerschtterlicher Pessimismus Prognostische Hermeneutik bertreibung als Entstellung in Richtung Wahrheit
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  • Inhalt 1.Einstimmung: Pachinko 2.Gnther Anders: Vorbemerkungen zu Biographie und Methode 3.Das Projekt einer Soziologie der Dinge a.Antiquiertheit des Menschen als Theorie des Posthumanen b.Moralitt der Dingwelt 4.Fazit
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  • Dingpsychologie [...] die Alltagswelt, mit der Menschen zu tun haben, in erster Linie eine Ding- und Apparatewelt ist, in der es auch Mitmenschen gibt; nicht eine Menschenwelt, in der es auch Dinge gibt und Apparate. [...] ob nicht heute ein Groteil unserer emotionalen Energien unseren Apparaten gilt. Anders, Antiquiertheit II, S. 60.
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  • Volksgemeinschaft der Apparate Wenn es eine Soziologie der Dinge gbe, dann wu rde deren Axiom lauten: Es gibt keine Einzelapparate. Vielmehr ist jedes ein zoon politikon; und auerhalb seiner Gesellschaft, als bloes Robinson-Ding, bliebe jedes untauglich. Das Wort Gesellschaft bezeichnet dabei aber nicht etwa nur seinesgleichen, nicht nur die Millionen von gleichzeitig funktionierenden Gerten oder deren Summe, sondern ein dem Apparat morphologisch entgegenkommendes Korrelat, eine ihn einbettende, nhrende, reinigende, aus Rohstoffen, Produzenten, Konsumenten, Geschwisterapparaten, Abfallkanalisationen bestehende Behausung- kurz: eine Umwelt. Anders (2002), Antiquiertheit II, S. 115.
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  • Prgung durch die Dinge Was uns prgt und entprgt, was uns formt und entformt, sind eben nicht nur die durch die Mittel vermittelten Gegenstnde, sondern die Mittel selbst, die Gerte selbst: die nicht nur Objekte mglicher Verwendung sind, sondern durch ihre festliegende Struktur und Funktion ihre Verwendung bereits festlegen und damit auch den Stil unserer Beschftigung und unseres Lebens, kurz: uns. Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Band I, ber die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, 3. Aufl., Mnchen, 2010 (OA 1956), S. 100.
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  • Adorno zur Prgekraft der Dinge Die Technisierung macht einstweilen die Gesten przis und roh und damit die Menschen. [...] Man wird dem neuen Menschentypus nicht gerecht ohne das Bewutsein davon, was ihm unablssig, bis in die geheimsten Innervationen hinein, von den Dingen der Umwelt widerfhrt. [...] Welchen Chauffierenden htten nicht schon die Krfte des Motors in Versuchung gefhrt, das Ungeziefer der Strae, die Passanten, Kinder und Radfahrer, zu Schanden zu fahren? In den Bewegungen, welche die Maschinen von den sie Bedienenden verlangen, liegt schon das Gewaltsame, Zuschlagende, stoweis Unaufhrliche der faschistischen Mihandlungen. Theodor W. Adorno, Minima Moralia, Frankfurt/M., 1979, S. 42f.
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  • Kategorischer Imperativ der Gertewelt Handle so, da die Maxime deines Handelns die des Apparats, dessen Teil du bist oder sein wirst, sein knnte oder negativ: Handle niemals so, da die Maxime deines Handelns den Maximen der Apparate, deren Teil du bist oder sein wirst, widerspricht. Anders (2002), Antiquiertheit II, S. 290.
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  • Akteur-Netzwerk-Theorie Beschrnkung auf die Position von Bruno Latour
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  • Bildquelle: www.thehindu.com, Denis Rouvrewww.thehindu.com
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  • Akteur-Netzwerk-Theorie Anspruch, das Soziale neu zu versammeln explizite Bercksichtigung nicht-menschlicher Akteure
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  • Artefakte als Mittler Die Menschen sind schon lange nicht mehr unter sich. Wir haben schon zu viele Handlungen an andere Akteure delegiert, die nun unser menschliches Dasein teilen. Eine Entwicklung, die zu weit fortgeschritten ist, als da uns ein Anti-Fetischismus-Programm noch in eine andere als eine nicht- menschliche Welt fhren knnte, eine Welt vor der Vermittlungsarbeit von Artefakten, also in die Welt der Paviane und anderer Primaten. Bruno Latour, ber technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie, Genealogie, in: Werner Rammert (Hg.), Technik und Sozialtheorie, Frankfurt/M., 1998, S. 2981: 46f.
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  • Akteur-Netzwerk-Theorie Verflechtung von Sozialem und Technischem Gesellschaft -> Kollektiv Ethnomethodologie, dichte Beschreibung erweiterter Handlungsbegriff ( Anders)
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  • Inhalt 1.Einstimmung: Pachinko 2.Gnther Anders: Vorbemerkungen zu Biographie und Methode 3.Das Projekt einer Soziologie der Dinge a.Antiquiertheit des Menschen als Theorie des Posthumanen b.Moralitt der Dingwelt 4.Fazit
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  • Mensch ohne Welt Pathologie der Freiheit aufgegriffen von Sartre (zur Freiheit verurteilt) hnlich bei Gehlen (Mngelwesen) [Anders] beschreibt den Menschen als kontingenten Teil der Natur, als ein durch den anthropologischen Defekt seiner Unfestgelegtheit gebrochenes und der Erlangung einer absoluten Identitt nicht mchtiges Wesen. Margret Lohmann, Philosophieren in der Endzeit. Zur Gegenwartsanalyse von Gnther Anders, Mnchen, 1996, S. 156. Negative Anthropologie Unfestgelegtheit des Menschen, d. h.: die Tatsache, da dem Menschen eine bestimmte bindende Natur fehlt; positiv: seine pausenlose Selbstproduktion, seine nicht abbrechende geschichtliche Verwandlung Anders (2010), Antiquiertheit I, S. 309.
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  • Welt ohne Mensch Denn worauf wir abzielen, ist ja stets, etwas zu erzeugen, was unsere Gegenwart und Hilfe entbehren und ohne uns klaglos funktionieren knnte - und das heit ja nichts anderes als Gerte, durch deren Funktionieren wir uns berflssig machen, wir uns ausschalten, wir uns. Da dieser Zielzustand immer nur approximativ erreicht wird, das ist gleichgltig. Was zhlt, ist die Tendenz. Und deren Parole heit eben:. Gnther Anders, Die atomare Drohung. Radikale berlegungen, Mu nchen, 1981 (OA Endzeit und Zeitenende 1972), S. 199.
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  • Prometheisches Geflle zwischen Mensch und Technik Zweifel am (impliziten) Anthropozentrismus Technik als Subjekt der Geschichte Prometheisches Geflle Diskrepanzphilosophie Produkte (z.B. Waren) haben Bedrfnisse
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  • Handlungsspektrum von Dingen in der ANT Auer zu determinieren und als bloer Hintergrund fr menschliches Handeln zu dienen, knnen Dinge vielleicht ermchtigen, ermglichen, anbieten, ermutigen, erlauben, nahelegen, beeinflussen, verhindern, autorisieren, ausschlieen und so fort. Latour, Eine neue Soziologie fr eine neue Gesellschaft. Einfhrung in die Akteur- Netzwerk-Theorie, Frankfurt/M. 2007 (engl. OA 2005), S. 124.
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  • ANT Posthumane Gesellschaftstheorie Soziologie der Dinge und Assoziationen erweitertes Symmetrieprinzip dadurch auch: Affirmation von Technik (Logik des technological fix) Der Triumph der Apparatewelt besteht darin, da er den Unterschied zwischen technischen und gesellschaftlichen Gebilden hinfllig und die Unterscheidung zwischen den beiden gegenstandslos gemacht hat. Anders, Antiquiertheit II, S. 110.
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  • Inhalt 1.Einstimmung: Pachinko 2.Gnther Anders: Vorbemerkungen zu Biographie und Methode 3.Das Projekt einer Soziologie der Dinge a.Antiquiertheit des Menschen als Theorie des Posthumanen b.Moralitt der Dingwelt 4.Fazit
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  • ANT berlegene Moralitt der Dingwelt Delegation von Aufgaben an nicht-menschliche Akteure erleichtert Durchsetzung von Handlungsprogrammen Aber: Entlastung von moralischen Entscheidungen fhrt tendenziell zu ihrer Verunmglichung Prescription is the moral and ethical dimension of mechanisms. In spite of the constant weeping of moralists, no human is as relentlessly moral as a machine, especially if it is (she is, he is, they are) as user friendly as my Macintosh computer. We have been able to delegate to nonhumans not only force as we have known it for centuries but also values, duties, and ethics. It is because of this morality that we, humans, behave so ethically, no matter how weak and wicked we feel we are. The sum of morality does not only remain stable but increases enormously with the population of nonhumans. Latour: Where are the missing masses? The sociology of a few mundane artifacts, in: Wiebe E. Bijker/John Law (Hg.), Shaping technology/ building society. Studies in sociotechnical change, Cambridge, Mass., 1992), S. 225258:232.
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  • Dinge fordern neue moralische Entscheidungen Beispiel von Peter-Paul Verbeek: Ultraschallgert Bildquelle: www.szene3.at
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  • [...] wer wollte nicht schon einmal mit einem Messer in der Hand damit auch auf irgend etwas oder irgend jemanden einstechen? Jedes Artefakt hat sein Skript und das Potential, einen Passanten aufzuhalten und zu zwingen, in seiner Geschichte eine Rolle zu bernehmen. Latour, Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt/ M., 2000 (engl. OA 1999), S. 215. Weder Menschen noch Waffen tten. Vielmehr muss die Verantwortung fr ein Handeln unter den verschiedenen Akteuren verteilt werden. Latour, Die Hoffnung der Pandora, S. 219.
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  • Gnther Anders Antiquiertheit der Bosheit Auflsung individueller Moral und Unmoral Bosheit ist also nach Anders letztlich genauso antiquiert wie der Ha. Die Tendenz unserer Zivilisation, zu einer gigantischen Maschine zu werden, in der nur mehr der Sachzwang gilt, liquidiert schleichend den Menschen als Urheber seiner Taten, fr die er noch zur Verantwortung gezogen werden knnte. Konrad Paul Liessmann, Gnther Anders. Philosophieren im Zeitalter der technologischen Revolutionen, Mnchen, 2002, S. 112. Anthropofugalitt
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  • Inhalt 1.Einstimmung: Pachinko 2.Gnther Anders: Vorbemerkungen zu Biographie und Methode 3.Das Projekt einer Soziologie der Dinge a.Antiquiertheit des Menschen als Theorie des Posthumanen b.Moralitt der Dingwelt 4.Fazit
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  • Vielen Dank fr Ihre Aufmerksamkeit!
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  • Ausgewhlte Literaturhinweise Anders, Gnther, Die Antiquiertheit des Menschen 1. ber die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, 3. Auflage, Mnchen, 2010 (OA 1956). Anders, Gnther, Die Antiquiertheit des Menschen 2. ber die Zerstrung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, 3. Auflage, Mnchen, 2002 (OA 1980). Anders, Gnther, Die atomare Drohung. Radikale berlegungen, Mu nchen, 1981 (OA Endzeit und Zeitenende 1972). Barthes, Roland, Das Reich der Zeichen, Frankfurt/M. 1981 (frz. OA 1970). Conradi, Tobias/Derwanz, Heike/Muhle, Florian (Hg.), Strukturentstehung durch Verflechtung. Akteur-Netzwerk- Theorie(n) und Automatismen, Mnchen, 2011. Degele, Nina, Einfhrung in die Techniksoziologie, Mnchen, 2002. Dries, Christian, Gnther Anders, Paderborn, 2009. Fohler, Susanne, Techniktheorien. Der Platz der Dinge in der Welt des Menschen, Mnchen, 2003. Latour, Bruno, Eine neue Soziologie fr eine neue Gesellschaft. Einfhrung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt/M., 2007 (engl. OA 2005). Latour, Bruno, Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt am Main, 2002 (engl. OA 1999). Latour, Bruno, ber technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie, Genealogie, in: Werner Rammert (Hg.), Technik und Sozialtheorie, Frankfurt, 1998, S. 29-81. Latour, Bruno, Der Berliner Schlssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin, 1996 (frz. OA 1993). Rammert, Werner/Schulz-Schaeffer, Ingo (Hg.), Knnen Maschinen handeln? Soziologische Beitrge zum Verhltnis von Mensch und Technik, Frankfurt/Main, 2002. Ruffing, Reiner, Bruno Latour, Paderborn, 2009. Verbeek, Peter-Paul, Moralizing technology. Understanding and designing the morality of things, Chicago, London, 2011.