memento mori - carpe diem = Gedichte thematisch erschließen · 2016-12-15 · 1 memento mori -...

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1 memento mori - carpe diem = Gedichte thematisch erschließen Themen und Motive erfassen I Untersuchungsergebnisse darstellen I Gedichte vor ihrem historischen Hintergrund interpretieren I Vanitasgedanke und Jenseitshoffnung 1 Martin Opitz: Ach Liebste, lass uns eilen (1624) Ach Liebste, lass uns eilen, Wir haben Zeit: Es schadet das Verweilen Uns beiderseit. Der schönen Schönheit Gaben Fliehn Fuß um Fuß: Dass alles, was wir haben, Verschwinden muss. Der Wangen Zier verbleichet, Das Haar wird greis, Der Äuglein Feuer weichet, Die Flamm wird Eis. Das Mündlein von Korallen Wird ungestalt, Die Händ' als Schnee verfallen, Und du wirst alt. Drumb lass uns jetzt genießen Der Jugend Frucht, Eh dann wir folgen müssen Der Jahre Flucht. Wo du dich selber liebest, So liebe mich, Gib mir, dass, wann du gibest, Verlier auch ich. 2 Andreas Gryphius: Thränen des Vaterlandes, anno 1636 (1636) Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun 1 Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret. Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret, Das Rathaus liegt im Graus 2 , die Starcken sind zerhaun, Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun, Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfahret, Hier durch die Schanz 3 und Stadt, rinnt allzeit frisches Blut. Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut, Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen. Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod, Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen. 1 schweres Geschütz 2 Schutt 3 Befestigungsanlage Jacques Callot: Die großen Schrecken des Krieges: Plünderung und Brandschatzung eines Dorfes 1632/33 Aufnahme des barocken Vrtba-Gartens in Prag

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memento mori - carpe diem = Gedichte thematisch erschließen Themen und Motive erfassen I Untersuchungsergebnisse darstellen I Gedichte vor ihrem historischen Hintergrund interpretieren I Vanitasgedanke und Jenseitshoffnung 1MartinOpitz:AchLiebste,lassunseilen(1624) AchLiebste,lassunseilen,WirhabenZeit:EsschadetdasVerweilenUnsbeiderseit.DerschönenSchönheitGabenFliehnFußumFuß:Dassalles,waswirhaben,Verschwindenmuss.DerWangenZierverbleichet,DasHaarwirdgreis,DerÄugleinFeuerweichet,DieFlammwirdEis.DasMündleinvonKorallenWirdungestalt,DieHänd'alsSchneeverfallen,Undduwirstalt.DrumblassunsjetztgenießenDerJugendFrucht,EhdannwirfolgenmüssenDerJahreFlucht.Wodudichselberliebest,Soliebemich,Gibmir,dass,wanndugibest,Verlierauchich. 2AndreasGryphius:ThränendesVaterlandes,anno1636(1636)Wirsinddochnunmehrganz,jamehrdennganzverheeret!DerfrechenVölkerSchar,dierasendePosaunDasvomBlutfetteSchwert,diedonnerndeKartaun1HatallerSchweißundFleißundVorrataufgezehret.DieTürmestehninGlut,dieKirchistumgekehret,DasRathausliegtimGraus2,dieStarckensindzerhaun,DieJungfernsindgeschänd't,undwowirhinnurschaun,IstFeuer,PestundTod,derHerzundGeistdurchfahret,HierdurchdieSchanz3undStadt,rinntallzeitfrischesBlut.DreimalsindschonsechsJahr,alsunserStrömeFlut,VonLeichenfastverstopft,sichlangsamfortgedrungen.Dochschweigichnochvondem,wasärgeralsderTod,WasgrimmerdenndiePest,undGlutundHungersnotDassauchderSeelenSchatzsovielenabgezwungen.

1schweresGeschütz2Schutt3Befestigungsanlage

JacquesCallot:DiegroßenSchreckendesKrieges:PlünderungundBrandschatzungeinesDorfes1632/33

Aufnahme des barocken Vrtba-Gartens in Prag

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4 SimonDachLetzteRedeeinervormalsstolzenundgleichjetztsterbendenJungfrau(1641)IcharmerMadensack!derichvorwenigWochenBelebt,geradundschöngleicheinemHirschegingundhochgeehretwarundmanchenGrußempfingLieghiernunhergestrecktundbinnurHautundKnochen;

5 DieGliedersterbennur,dieAugensindgebrochen.Wardieses,dassichmichmitGoldesobehing?IhrFreunde,haltetMundundNasezu,ichstink.AchGott!sowirdmeinPrachtundÜbermutgerochen!IhrJung-undFrauenkommt,kommtspiegelteuchinmir!

10Lernthier,wasHochmutsei,wasStand,GestaltundZier'Ihrseht,ichmussdavon,meinLebenwillsichschließen.Lebtallewohl,undhabteuchstetsinguterAcht!GedenktwiemichderTodsoscheußlichhatgemacht!Ichtanztenurvoran,ihrwerdetfolgenmüssen.

5AndreasGryphius:Einsamkeit(1650)IndieserEinsamkeitdermehrdennödenWüsten,GestrecktaufwildesKraut,andiebemoosteSee,BeschauichjenesTalunddieserFelsenHöh,AufwelchenEulennurundstilleVögelnisten.

5 Hier,fernvondemPalast,weitvondenPöbelsLüsten,Betrachtich,wiederMenschinEitelkeitvergeh,WieaufnichtfestemGrundallunserHoffensteh,WiedievorAbendschmähn,dievordemTagunsgrüßten.DieHöhl,derraueWald,derTotenkopf,derStein,

10 DenauchdieZeitauffrisst,dieabgezehrtenBeinEntwerfenindemMutunzähligeGedanken.DerMauernalterGraus,diesungebauteLandIstschönundfruchtbarmir,dereigentlicherkannt,Dassalles,ohneinGeist,denGottselbsthält,musswanken.

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6FriedrichvonLogau:AbgedankteSoldaten(1654)WürmerimGewissen,Kleiderwohlzerrissen,WohlbenarbteLeiber,WohlgebrauchteWeiber,UngewisseKinder,WederPferdnochRinder,

NimmerBrotimSacke,NimmerGeldimPacke,Habenmitgenommen,DievomKriegekommen:WerdannhatdieBeute?EitelfremdeLeute.

6ChristianHoffmannvonHoffmannswaldau:DieWelt(1679)WasistdieWeltundihrberühmtesGlänzen?WasistdieWeltundihreganzePracht?EinschnöderScheininkurzgefasstenGrenzen,EinschnellerBlitzbeischwarzgewölkterNacht,EinbuntesFeld,daKummerdistelngrünen,EinschönSpital,sovollerKrankheitsteckt,EinSklavenhaus,daalleMenschendienen,EinfaulesGrab,soAlabasterdeckt.DasistderGrund,daraufwirMenschenbauenUndwasdasFleischnureinenAbgotthält.Komm,Seele,kommundlerneweiterschauen,AlssicherstrecktderZirkeldieserWelt!StreichabvondirderselbenkurzesPrangen,HaltihreLustnureineschwereLast:SowirstduleichtindiesenPortgelangen,DaEwigkeitundSchönheitsichumfasst.Alabaster:kostbarwirkendeGipsart

FriedrichvonLogau(1605-1655)

Innenaufnahme des Spiegelkabinetts der Würzburger Residenz

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AUFGABEN 1. Untersuchen Sie die Gedichte arbeitsteilig und ermitteln Sie jeweils das Thema und zentrale Motive.

Werten Sie auch die Abbildungen aus. Benutzen Sie die Kompetenzboxen. 2. Entwerfen Sie ein Schaubild, in dem Sie festhalten, wie die verschiedenen Themen und Motive des

Barock miteinander verbunden sind. 3. Recherchieren Sie auf der Grundlage Ihrer Ergebnisse den historischen Kontext des Barock. 4. Stellen Sie anhand Ihrer Untersuchungsergebnisse das Welt- und Menschenbild des Barock in einem

zusammenhängenden Text dar (1 DIN A4 Seite, ungelocht). ARBEITSANREGUNGEN 1. Diskutieren Sie mit ihren Mitschülern, ob Barocklyrik heute noch aktuell ist und welche zeitlosen

Botschaften sie enthält. 2. Betrachten Sie die Gedichtformen (Sonett, Bildgedicht, ... ) und diskutieren Sie, warum diese Formen

gewählt wurden (Tipp: Denken Sie an die Ambitionen der barocken Sprachgesellschaften!). SCHREIBTEIL 1. Entwerfen Sie ein Sonett zum Themenkreis ‚Krieg’ oder ‚Vergänglichkeit’. Achten Sie mindestens auf

die Einhaltung des Reimschemas. Metrum und antithetische Bauform sind fakultativ. 2. Gestalten Sie die Textform grafisch, z.B. durch die Verwendung eines geeigneten Bildes oder einer

Emblematik (Verwenden sie ein DIN A4 Blatt einseitig, ungelocht!). Kompetenzbox:

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