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EINF ¨ UHRUNG IN DIE TOPOLOGIE BERNHARD HANKE 1. Metrische R¨ aume und topologische R¨ aume Definition. Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d) bestehend aus einer Menge X und einer Abbildung d : X × X R 0 mit den folgenden Eigenschaften: F¨ ur alle x, y, z X gilt d(x, y)= d(y,x), d(x, y)=0 x = y, d(x, z ) d(x, y)+ d(y,z ). Wichtige Beispiele sind der euklidische Raum (R n ,d) mit der euklidischen Metrik d(x, y) := kx - yk oder auch Funktionenr¨ aume wie (C ([0, 1], R),d), die Menge der stetigen Abbildungen [0, 1] R versehen mit der Metrik d(f,g) := max t[0,1] |f (t) - g(t)| . Ist (X, d) ein metrischer Raum, so tr¨ agt jede Teilmenge A X eine (durch Einschr¨ ankung von d gegebene) induzierte Metrik. In metrischen R¨ aumen kann das Konzept einer stetigen Funktion bekannt- lich mittels des - δ-Kriteriums definiert werden: Definition. Es seien (X, d X ), (Y,d Y ) metrische R¨ aume. Eine Abbildung f : X Y heißt stetig, falls f¨ ur jedes x X und jedes > 0 ein (in der Regel von x abh¨ angiges) δ> 0 existiert mit d X (x, x 0 ) d Y (f (x 0 ),f (x)) <. In der Analysis beweist man viele n¨ utzliche S¨ atze f¨ ur auf Teilmengen von R definierte stetige reellwertige Funktionen. Als Beispiel verweisen wir auf den Zwischenwertsatz oder die Tatsache, dass jede auf einem beschr¨ ankten abgeschlossenen Intervall I R definierte stetige Funktion I R ihr Maxi- mum und Minimum annimmt. Wir werden unter anderem diese Tatsachen im abstrakteren topologischen Rahmen wiederfinden. Ist (X, d) ein metrischer Raum und x X , so definieren wir f¨ ur alle > 0 die offene Kugel um x mit Radius B (x) := {p X | d(p, x) <} . 1

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE

BERNHARD HANKE

1. Metrische Raume und topologische Raume

Definition. Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d) bestehend aus einerMenge X und einer Abbildung

d : X ×X → R≥0

mit den folgenden Eigenschaften: Fur alle x, y, z ∈ X gilt• d(x, y) = d(y, x),• d(x, y) = 0⇔ x = y,• d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z).

Wichtige Beispiele sind der euklidische Raum (Rn, d) mit der euklidischenMetrik d(x, y) := ‖x − y‖ oder auch Funktionenraume wie (C([0, 1],R), d),die Menge der stetigen Abbildungen [0, 1]→ R versehen mit der Metrik

d(f, g) := maxt∈[0,1]

|f(t)− g(t)| .

Ist (X, d) ein metrischer Raum, so tragt jede Teilmenge A ⊂ X eine (durchEinschrankung von d gegebene) induzierte Metrik.

In metrischen Raumen kann das Konzept einer stetigen Funktion bekannt-lich mittels des ε− δ-Kriteriums definiert werden:

Definition. Es seien (X, dX), (Y, dY ) metrische Raume. Eine Abbildungf : X → Y heißt stetig, falls fur jedes x ∈ X und jedes ε > 0 ein (in derRegel von x abhangiges) δ > 0 existiert mit

dX(x, x′) < δ ⇒ dY (f(x′), f(x)) < ε .

In der Analysis beweist man viele nutzliche Satze fur auf Teilmengen vonR definierte stetige reellwertige Funktionen. Als Beispiel verweisen wir aufden Zwischenwertsatz oder die Tatsache, dass jede auf einem beschranktenabgeschlossenen Intervall I ⊂ R definierte stetige Funktion I → R ihr Maxi-mum und Minimum annimmt. Wir werden unter anderem diese Tatsachenim abstrakteren topologischen Rahmen wiederfinden.

Ist (X, d) ein metrischer Raum und x ∈ X, so definieren wir fur alle ε > 0die offene Kugel um x mit Radius ε

Bε(x) := {p ∈ X | d(p, x) < ε} .1

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Definition. Eine Teilmenge U ⊂ X eines metrischen Raumes heißt offen,falls fur alle x ∈ U ein ε > 0 existiert mit

Bε(x) ⊂ U .

Man beweist nunProposition 1.1. Eine Abbildung X → Y zwischen metrischen Raumen istgenau dann stetig, falls fur alle offenen Teilmengen U ⊂ Y das Urbild

f−1(U) ⊂ Xoffen ist.

Diese Tatsache motiviert, den Begriff der Stetigkeit abstrakter zu fassenund alleine auf den Begriff der offenen Teilmengen abzustellen.

Definition. Ein topologischer Raum ist ein Paar (X, T ) bestehend aus einerMenge X und einer Menge T ⊂ P(X) von Teilmengen von X mit denfolgenden Eigenschaften.

• ∅ ∈ T , X ∈ T ,• U, V ∈ T ⇒ U ∩ V ∈ T ,• S ⊂ T ⇒

⋃U∈S U ∈ T .

Die Elemente von T werden offene Teilmengen von X genannt. Eine Teil-menge A ⊂ X heißt abgeschlossen, falls X \ A offen ist. Ist X ein topo-logischer Raum und x ∈ X, so nennen wir eine Teilmenge Y ⊂ X eineUmgebung von x, falls es eine offene Teilmenge U ⊂ X mit x ∈ U ⊂ Y gibt.

Das zweite obige Axiom besagt, dass der Schnitt endlich vieler offenerTeilmengen wieder offen ist und das dritte Axiom, dass die Vereinigungbeliebig vieler offener Teilmengen wieder offen ist.

Man kann leicht zeigen dass die Menge der offenen Teilmengen in einemmetrischen Raum (X, d) eine Topologie im obigen Sinne bilden. Wir nennendiese die von der Metrik induzierte Topologie. Umgekehrt kann man fragen,ob auf einem gegebenen topologischen Raum (X, T ) eine Metrik existiert,so dass die induzierte Topologie mit T ubereinstimmt. Falls dies der Fallist, so nennen wir den topologischen Raum (X, T ) metrisierbar. Allerdingsist nicht jeder topologische Raum ist metrisierbar - wir werden in Kurze einnotwendiges Kriterium fur Metrisierbarkeit kennenlernen.

Definition. Es sei (X, T ) ein topologischer Raum und A ⊂ X eine Teilmen-ge. Die Menge der Schnitte U ∩ A ⊂ A, wobei U ⊂ X offen ist, bildet eineTopologie auf A, die Unterraumtopologie, oder von T induzierte Topologie.

Eine Teilmenge V ⊂ A ist also genau dann offen (abgeschlossen) bezuglichder Unterraumtopologie, falls es eine offene (abgeschlossene) Menge U ⊂ Xgibt mit U ∩ A = V . Falls X ein metrischer Raum ist und A ⊂ X, so

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stimmt die Unterraumtopologie auf A mit der Topologie uberein, die von Aals metrischem Raum (mit der Metrik von X) induziert ist.

Man kann auf einer gegebenen Menge X zahlreiche Topologien angeben- die meisten davon sind eher kunstlich und unnutz. Zwei extreme Spezi-alfalle sind die der diskreten Topologie, bei der jede Teilmenge von X alsoffen erklart wird und die Klumpentopologie mit T = {∅, X}. Die diskreteTopologie ist ubrigens immer metrisierbar - die entsprechende Metrik wirddurch

d(x, y) ={

0 , falls x = y ,1 , falls x 6= y

definiert.Der Begriff des topologischen Raumes ist gerade deshalb so nutzlich, weil

er in ganz verschiedenen mathematischen Kontexten auftritt und daherSatze, die wir fur topologische Raume beweisen, in der Regel eine breiteAnwendung finden.

Definition. Ein topologischer Raum X heißt Hausdorffsch, falls fur allex, y ∈ X mit x 6= y eine Umgebung Ux von x und eine Umgebung Uy von yexistiert mit Ux ∩ Uy = ∅.

Falls X mehr als einen Punkt enthalt, so ist die Klumpentopologie nichtHausdorffsch. Damit ist diese auch nicht metrisierbar, denn es giltProposition 1.2. Jeder metrisierbare topologische Raum ist Hausdorffsch.

Proof. Sind x, y ∈ X zwei verschiedene Punkte, so setze d := d(x, y). Die of-fenen Kugeln um x und y mit Radius d/2 sind nach der Dreiecksungleichungdisjunkt. �

Spater in der Vorlesung werden wir auch hinreichende Bedingungen furdie Metrisierbarkeit eines topologischen Raumes kennenlernen.

Wir konnen nun den Stetigkeitsbegriff von metrischen Raumen auf allge-meine topologische Raume verallgemeinern.

Definition. Es seien X und Y topologische Raume. Eine Abbildung f :X → Y heißt stetig falls fur jede offene Menge U ⊂ Y das Urbild

f−1(U) ⊂ Xwieder offen ist. Eine bijektive stetige Abbildung f : X → Y mit stetiger In-verser f−1 : Y → X heißt Homoomorphismus. Sind X und Y homoomorph,so schreiben wir auch X ≈ Y .

Ist X ein topologischer Raum, A ⊂ X eine Teilmenge und f : X → Y ste-tig, so ist die Einschrankung f |A : A→ X ebenfalls stetig. Die Kompositionstetiger Abbildungen ist stetig.

Es ist leicht, Beispiele fur stetige, bijektive Abbildungen anzugeben, diekeine Homoomorphismen sind. Die Homomorphismen spielen in der Topolo-gie die gleiche Rolle wie die linearen Isomorphismen in der linearen Algebra,

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die biholomorphen Abbildungen in der Funktionentheorie, die Gruppeniso-morphismen in der Gruppentheorie, die Isometrien in der RiemannschenGeomtrie, etc. Eines der Grundprobleme der Topologie lasst sich wie folgtformulieren: Es seien topologische Raume X und Y gegeben. Entwickle Me-thoden, die es erlauben zu entscheiden, ob X und Y homoomorph sind odernicht.

Insbesondere die algebraische Topologie entwickelt effektive Methoden,diese Frage zu entscheiden. Ein prominentes Resultat in diese Richtung lau-tet:

Satz 1.3. Fur n 6= m sind die topologischen Raume Rn und Rm (mit der vonden von den jeweiligen Metriken induzierten Topologien) nicht homoomorph.

In dieser Vorlesung werden wir diesen Satz fur n = 2 zeigen. Im Zu-sammenhang mit topologischen Raumen mussen wir noch einige Vokabelneinfuhren.

Sind T und T ′ Topologien auf einem Raum X und gilt T ⊂ T ′, d.h. jedebzgl. T offene Teilmenge ist auch offen bzgl. T ′, so nennen wir T grober alsT und T ′ feiner als T . Damit ist die Klumpentopologie die grobste und diediskrete Topologie die feinste Topologie auf X.

Definition. Es sei (X, T ) ein topologischer Raum. Eine Menge B ⊂ T vonoffenen Teilmengen von X heißt Basis der Topologie, falls jede offene MengeU ∈ T Vereinigung von Mengen aus B ist. Wir nennen B ⊂ T eine Subbbasisder Topologie, falls jede offene Menge U ∈ T Vereinigung von Mengen ist,von denen jede Schnitt endlich vieler Mengen aus B ist.

Sind X und Y topologische Raume, f : X → Y eine Abbildung und B eineSubbasis der Topologie auf Y , so ist f genau dann stetig, falls f−1(U) ⊂ Xoffen ist fur alle U ∈ B.

In jedem metrischen Raum bilden die offenen Kugeln eine Basis der vonder Metrik induzierten Topologie. Wir konnen uns im R

n sogar auf die Ku-geln mit rationalen Mittelpunkten und rationalen Radien beschranken. Da-mit hat die Standardtopologie auf Rn sogar eine abzahlbare Basis.

Ist X eine Menge (zunachst ohne Topologie), so ist nicht jede MengeB ⊂ P(X) Basis einer Topologie auf X (denn B muss nicht abgeschlossenunter endlichen Schnitten sein). Jedoch ist B auf jeden Fall Subbasis einerTopologie T von X, die wir die von B erzeugte Topologie nennen wollen.Die Elemente von T sind genau die Teilmengen von X, die sich als Vereini-gung von Mengen schreiben lassen, von denen jede endlicher Schnitt von inB enthaltenen Teilmengen von X ist. Man uberlegt sich leicht, dass die Ge-samtheit all der so gebildeten Teilmengen von X tatsachlich eine Topologieauf X bildet und dass es keine grobere Topologie T gibt mit B ⊂ T .

Sind X und Y topologische Raume, so ist die Produktopologie auf X × Ydie Topologie, die von allen ”Streifen“ U×Y und X×V erzeugt wird, wobeiU offen in X und V offen in Y ist. Die ”Rechtecke“ U × V ⊂ X × Y bilden

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eine Basis der Produkttopologie, da der Schnitt endlich vieler Rechteckewieder ein Rechteck ist. Direkt aus der Konstruktion folgt:

Proposition 1.4. Die Produkttopologie auf X×Y hat die folgenden Eigen-schaften:

• Die Projektionen πX : X×Y → X und πY : X×Y → Y sind stetig.• Ist T eine grobere Topologie auf X × Y als die Produkttopologie, so

sind die Projektionen X×Y → X und X×Y → Y nicht beide stetig.

Mit anderen Worten: Die Produkttopologie ist die grobste Topologie auf X×Y so dass beide Projektionen auf die Faktoren stetig sind.

Ist eine Familie (Xi)i∈I von topologischen Raumen gegeben (I ist hiereine beliebige Indexmenge), so gibt es analog genau eine grobste Topologieauf

∏i∈I so dass alle Projektionen∏

i

Xi → Xi

stetig sind. Diese wird Produkttopologie auf∏iXi genannt. Eine Basis dieser

Topologie ist durch Teilmengen der Form∏i∈I\I0

Xi ×∏i∈I0

Ui

gegeben, wobei I0 ⊂ I eine endliche Teilmenge ist und Ui ⊂ Xi eine offeneTeilmenge fur i ∈ I0.

Gewissermaßen dual zur Produkttopologie ist die sogenannte Summento-pologie: Es seien (X, T ) und (Y, T ′) topologische Raume und X ∩ Y = ∅.Dann wird die Summentopologie auf der disjunkten Vereinigung X ∪ Y vonT ∪ T ′ erzeugt. Sie ist die feinste Topologie auf X ∪ Y , so dass die beidenInklusionen iX : X ↪→ X ∪ Y und iY : Y ↪→ X ∪ Y stetig sind.

Wir notieren die folgenden wichtigen Eigenschaften der Produkt- undSummentopologie. Die Beweise empfehlen wir als Ubung.

Proposition 1.5. Es seien X, Y , Z topologische Raume.

• Falls X ∩ Y = ∅, so ist eine Abbildung X ∪ Y → Z stetig genau

dann, falls die beiden Kompositionen XiX↪→ X ∪ Y → Z und Y

iY↪→

X ∪ Y → Z stetig sind.• Eine Abbildung Z → X × Y ist stetig genau dann, falls die beiden

Kompositionen Z → X × Y πX→ X und Z → X × Y πY→ Y stetig sind.

Es sei nunX ein topologischer Raum und A ⊂ X eine beliebige Teilmenge.Wir definieren das Innere

int(A) ⊂ A

als die Vereinigung aller in A enhaltenen offenen Mengen (da ∅ immer offenist, gibt es mindestens eine solche Teilmenge). Nach Definition ist int(A) ⊂ Aoffen und jede andere (in X) offene Teilmenge, die in A enthalten ist, ist

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auch in int(A) enthalten. Damit ist int(A) die großte in A enthaltene in Xoffene Teilmenge. Entsprechende definieren wir den Abschluss

A ⊃ A

als den Durchschnitt aller abgeschlossenen Teilmengen von X, die A ent-halten. Man beachte dabei, dass der Schnitt beliebig vieler abgeschlossenerMengen eines topologischen Raumen wieder abgeschlossen ist. A ist nachKonstruktion die kleinste abgeschlossene Teilmenge von X die A enthalt.Offensichtlich ist

A = X \ (int(X \A)) .

Proposition 1.6. Ein Punkt x ∈ X liegt genau dann in A, falls jede Um-gebung von x einen Punkt aus A enthalt.

Weiterhin setzen wir∂A := A \ int(A) .

Dies ist der Rand von A. Aus der vorherigen Proposition folgt

Proposition 1.7. Ein Punkt x ∈ X liegt genau dann in ∂A, falls jedeUmgebung von x sowohl Punkte von A als auch Punkte von X \A enthalt.

2. Zusammenhang und Wegzusammenhang

Anschaulich gesprochen ist ein topologischer Raum zusammenhangend,wenn er nicht in zwei oder mehr ”voneinander unabhangige“ Teile zerfallt.Es gibt zwei grundlegende mathematische Prazisierungen dieser Vorstellung,die wir in diesem Kapitel besprechen werden.

Definition. Ein topologischer Raum X heißt wegweise zusammenhangend,falls es fur je zwei Punkte x, y eine stetige Abbilung

γ : [0, 1]→ X

gibt, die x mit y verbindet, d.h. γ(0) = x, γ(1) = y.

Die euklidischen Raume Rn (mit der Standardtopologie) sind wegzusam-menhangend. Auch der topologische Raum ({p, q}, {∅, {p}, {p, q}}) ist weg-zusammenhangend (!). Die Vereinigung (−∞, 0)∪ (0,∞) ⊂ R (mit der Teil-raumtopologie) ist nicht wegzusammenhangend (wir werden weiter untensehen, warum).

Die Bedingung ”x, y lassen sich durch einen Weg in X verbinden“ defi-niert eine Aquivalenzrelation auf X. Die Aquivalenzklassen nennt man Weg-zusammenhangskomponenten. Das folgende Resultat ist offensichtlich:

Proposition 2.1. Ist f : X → Y eine stetige Abbildung und ist X wegzu-sammenhangend, so ist auch f(X) (mit der von Y induzierten Topologie)wegzusammenhangend.

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Etwas abstrakter ist der folgende Zusammenhangsbegriff:

Definition. Ein topologischer Raum X heißt zusammenhangend, falls Xnicht disjunkte Vereinigung zweier nichtleerer offener Teilmengen ist.

Die Teilmengen Q ⊂ R oder (−∞, 0) ∪ (0,∞) ⊂ R sind nicht zusam-menhangend.

Folgende Bedingungen sind aquivalent zum Zusammenhang von X:• Die einzigen zugleich offenen und abgeschlossenen Teilmengen vonX sind nur die leere Menge und X selber.• Ist f : X → D eine stetige Abbildung von X in einen diskreten RaumD (d.h. einen Raum mit diskreter Topologie), dann ist f konstant.

Aus der zweiten Bedingung folgert man leicht:Proposition 2.2. • Ist X → Y stetig und X zusammenhangend, so

ist auch f(X) zusammenhangend.• Ist {Yi}i∈I eine Familie zusammenhangender Teilmengen eines to-

pologischen Raumes X und gilt Yi ∩Yj 6= ∅ fur alle i, j, so ist ∪i∈IYiein zusammenhangender topologischer Raum.

Wir erhalten damit (Transitivitat folgt aus dem zweiten Teil der vorheri-gen Proposition)Korollar 2.3. Die Bedingung ”x, y liegen beide in einem zusammenhangen-den Teilraum von X“ definiert eine Aquivalenzrelation auf X.

Die Aquivalenzklassen zu dieser Aquivalenzrelation nennt man die Kom-ponenten von X.

Wir sehen, dass es in der Regel einfach ist zu zeigen, dass ein Raumwegzusammenhangend, bzw. nicht zusammenhangend ist. Das folgende fun-damentale Resultat liefert in vielen Fallen die anderen Implikationen.Proposition 2.4. Die Menge [0, 1] ⊂ R (mit der Teilraumtopologie) istzusammenhangend.

Proof. Angenommen, es gibt disjunkte nichtleere offene Mengen U, V ⊂ [0, 1]mit [0, 1] = U ∪ V . Ohne Einschrankung gilt 1 ∈ V . Wegen der Offenheitvon V gibt es ein ε > 0 mit (1− ε, 1] ⊂ V . Wir setzen

m := supU .

Nach dem vorher gesagten ist m < 1. Galte m ∈ U , so gabe es wegender Offenheit von U und wegen m < 1 ein δ > 0 mit [m,m + δ) ⊂ Uim Widerspruch zur Definition von m. Ahnlich fuhrt man m ∈ V zumWiderspruch (in diesem Fall muss m 6= 0 sein, da ansonsten U = ∅). Da[0, 1] = U ∪ V erhalten wir damit insgesamt einen Widerspruch. �

Es folgtKorollar 2.5. Jeder wegzusammenhangende Raum ist zusammenhangend.

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Proof. Sei X wegzusammenhangend aber nicht zusammenhangend. Es seiX = U ∪ V mit disjunkten, offenen, nichtleeren Teilmengen U, V ⊂ X. Wirwahlen x ∈ U und y ∈ V und verbinden diese Punkte durch einen Wegγ : [0, 1] → X. Dann ist γ−1(U) ∪ γ−1(V ) eine Zerlegegung von [0, 1] inzwei disjunkte, nichtleere offene Teilmengen. Dies ist unmoglich, da [0, 1]zusammenhangt. �

Insbesondere ist der obige Raum (−∞, 0) ∪ (0,∞) also nicht wegzu-sammenhangend. Weiterhin folgt, dass jede Wegzusammenhangskomponen-te eines Raumes in einer Zusammenhangskomponenten enthalten ist. DieUmkehrung des letzten Korollars gilt nicht: Man ksnn zusammenhangendeRaume konstruieren, die nicht wegzusammenhangend sind.

Als Folgerung unserer Betrachtungen erhalten wir den bekannten Zwi-schenwertsatz:Proposition 2.6. Es sei f : [0, 1]→ R eine stetige Abbildung. Gilt f(0) < 0und f(1) > 0, so existiert ein t ∈ [0, 1] mit f(t) = 0.

Proof. Ansonsten hatten wir im (f) ⊂ U ∪ V , wobei U := (−∞, 0), V :=(0,∞), und im (f) ∩ U 6= ∅ und im (f) ∩ (V ) 6= ∅, d.h.

(U ∩ im f) ∪ (V ∩ im f)

ware eine Zerlegung von im f in zwei disjunkte nichtleere offene Teilmengen.Dies widerspricht der Tatsache, dass im f zusammenhangend ist. �

3. Konvergenz

Ein zentraler Begriff in der Theorie metrischer Raume ist der der kon-vergenten Folge. Die entsprechende Definition fur allgemeine topologischeRaume lautet wie folgt.

Definition. Es sei X ein topologischer Raum, (xn)n∈N eine Folge in X undx ∈ X. Man sagt, die Folge (xn) konvergiert gegen x, falls fur jede UmgebungU ⊂ X von x ein N ∈ N existiert mit

xn ∈ Ufur alle n ≥ N . (Wir sagen auch, fur jede Umgebung U von x liegt die Folge(xn) schließlich in U). Man schreibt dann

x = limn∈N

xn

und sagt, x ist Grenzwert von (xn).

Fur metrische Raume ergibt sich der alte Konvergenzbegriff. KonvergenteFolgen konnen durchaus mehrere Grenzwerte haben: Die Folge, die abwech-selnd 0 und 1 annimmt, konvergiert in {0, 1} versehen mit der Klumpentopo-logie sowohl gegen 0 als auch gegen 1.

Ein wohlbekanntes Argument zeigt, dass der Grenzwert einer konvergen-ten Folge in X eindeutig bestimmt ist, falls X Hausdorff ist.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 9

Wir konnen mit Hilfe der konvergenten Folgen fur metrische Raume einaus den Grundvorlesungen bekanntes Stetigkeitskriterium angeben.Proposition 3.1. Es seien X und Y metrische Raume. Eine Abbildungf : X → Y ist genau dann stetig, falls folgendes gilt: Ist (xn) eine Folge inX, die gegen x ∈ X konvergiert, so konvergiert die Folge (f(xn)) in Y gegenf(x) ∈ Y .

In allgemeinen topologischen Raumen muss diese Diskussion verfeinertwerden. Eine Richtung ubertragt sich ohne Probleme.Proposition 3.2. Es seien X und Y topologische Raume und f : X → Yeine stetige Abbildung. Dann ist f folgenstetig, d.h. konvergiert in X dieFolge (xn)n∈N gegen x, so so konvergiert die Folge (f(xn))n∈N in Y gegenf(x).

Die andere Richtung ist aber problematisch, wie folgendes Beispiel zeigt.Es sei

X :=∏i∈R{0, 1}

das uber R indizierte (und damit aus uberabzahlbar vielen Faktoren beste-hende) Produkt des diskreten topologischen Raumes {0, 1}. Es sei p ∈ Xder Punkt mit allen Komponenten = 1. Wir versehen X mit der Produkt-topologie und betrachten den Teilraum

B := {(xi) ∈ X | xi = 1 fur endlich viele i} ∪ {p}

von X. Die Abbildung

f : B → {0, 1} , x 7→{

0 , falls x 6= p1 , falls x = p

ist nicht stetig (wobei {0, 1} wieder mit der diskreten Topologie versehenist), denn p ∈ B \ {p} (siehe Ubung 3 auf Blatt 2), d.h. jede Umgebung vonp ∈ B enthalt Punkte aus B \{p} und damit ist das Urbild von {1} ⊂ {0, 1}nicht offen in B. Wir behaupten, dass f trotzdem folgenstetig ist. Es seizunachst

(y(n))n∈Neine Folge in B mit lim y(n) = p (jedes y(n) besteht aus uberabzahlbar vielenKomponenten). Wir behaupten, dass es ein N ∈ N geben muss mit y(n) = pfur alle n ≥ N (damit ist also insbesondere (f(y(n)))n∈N konvergent in{0, 1}). Denn ansonsten existiert fur jedes m ∈ N ein nm ≥ m und y(nm) ∈B \{p}. Die Teilfolge (y(nm))m∈N liegt dann ganz in B \{p} und konvergiertdamit nicht gegen p (siehe wieder Ubung 3). Ist (y(n))n∈N eine Folge inB, diegegen ein q ∈ B\{p} konvergiert, so liegt die Folge schließlich in B\{p} (manzeigt leicht, dass dies eine offene Teilmenge von B ist) und somit die Folgeder Bilder schließlich in {0} ⊂ {0, 1}. Somit ist f insgesamt folgenstetig.

Das Problem besteht darin, dass es ”zu viele“ Umgebungen von p in Bgibt.

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Definition. Es sei X ein topologischer Raum und x ∈ X. Eine Umgebungs-basis von x ist eine Menge Bx bestehend aus Umgebungen von x, so dassjede Umgebung von x eine Umgebung umfasst, die Element von Bx ist.Der Raum X erfullt das erste Abzahlbarkeitsaxiom, falls jeder Punkt eineabzahlbare Umgebungsbasis besitzt.

Jeder metrische RaumX erfullt das erste Abzahlbarkeitsaxiom: Ist x ∈ X,so bilden die Mengen B1/n(x) ⊂ X, n ∈ N, eine abzahlbare Umgebungsbasisvon x.

Proposition 3.3. Es sei X ein topologischer Raum, der das erste Abzahl-barkeitsaxiom erfullt und Y ein beliebiger topologischer Raum. Dann ist jedefolgenstetige Abbildung f : X → Y auch stetig.

Proof. Angenommen f sei nicht stetig. Dann existiert eine offene MengeV ⊂ Y , so dass U := f−1(V ) ⊂ X nicht offen ist. Da insbesondere alsoU 6= ∅, gibt es ein x ∈ U , so dass U keine Umgebung von x ist. Es sei(Un)n∈N eine abzahlbare Umgebungsbasis von x. Ohne Einschrankung gelteUn+1 ⊂ Un fur alle n (sonst ersetze man Un+1 durch Un+1 ∩ Un). Da Ukeine Umgebung von x ist, gibt es Punkte xn ∈ Un \ U fur alle n. NachKonstruktion gilt limxn = x in X aber f(xn) konvergiert nicht gegen f(x)in Y , da f(xn) /∈ V fur alle n, im Widerspruch zur Folgenstetigkeit vonf . �

Das Problem in allgemeinen topologischen Raumen ist, dass Folgen alleineoft ”zu dunn“ sind. Man lost das Problem dadurch, dass man fur Folgenallgemeinere Indexmengen (als N) zulasst.

Definition. Eine gerichtete Menge ist eine Menge D zusammen mit einerpartiellen Ordnung ≤, so dass es fur α, β ∈ D immer ein γ ∈ D gibt mitγ ≥ α und γ ≥ β. Ist X ein topologischer Raum, so ist ein Netz in X eineAbbildung φ : D → X, wobei D eine gerichtete Menge ist.

Wir erhalten die altbekannten Folgen zuruck, wenn wir mit der gerichtetenMenge D = N arbeiten.

Definition. Es sei φ : D → X ein Netz und A ⊂ X. Wir sagen, das Netz φis schließlich in A, falls es ein α ∈ D gibt mit φ(β) ∈ A fur alle β ≥ α. DasNetz φ konvergiert gegen x ∈ X, falls es schließlich in jeder Umgebung vonx ist. In diesem Fall schreiben wir auch limφ = x.

Proposition 3.4. Ein topologischer Raum X ist Hausdorffsch genau dann,falls fur jedes in X konvergente Netz φ : D → X folgendes gilt: Konvergiertφ gegen x und gegen y, so gilt x = y.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 11

Proof. Sind U und V offene Mengen in X und ist φ schließlich in U undschließlich in V , so auch schließlich in U ∩ V (dies folgt aus der Definiti-on gerichteter Mengen). Damit ist der Limes konvergenter Netze in Haus-dorffraumen eindeutig bestimmt. Es sei nun umgekehrt X ein topologischerRaum, der nicht Hausdorffsch ist. Dann gibt es Punkte x, y ∈ X, x 6= y, diesich nicht durch offene Umgebungen trennen lassen. Wir konstruieren einNetz in X, das sowohl gegen x als auch gegen y konvergiert. Wir betrach-ten dazu die gerichtet Menge D bestehend aus allen Paaren (U, V ) offenerMengen in X mit x ∈ U , y ∈ V , versehen mit der partiellen Ordnung

(U, V ) ≤ (A,B)⇔ A ⊂ U,B ⊂ V .

Diese Menge ist gerichtet. Die Abbildung φ : D → X ordnet jedem Paar(U, V ) einen beliebigen Punkt aus U ∩ V zu. Wir behaupten, dass das Netzφ gegen x konvergiert. Sei dazu W ⊂ X eine Umgebung von x. Wir mussenzeigen, dass φ schließlich in W ist. Wir wahlen dazu eine offene UmgebungU ⊂ X von x mit U ⊂ W und eine beliebige offene Umgebung V vony. Ist nun (A,B) ≥ (U, V ), so ist φ(A,B) ∈ A ∩ B ⊂ U ∩ V ⊂ W , d.h.φ ist schließlich in W . Entsprechend zeigt man, dass φ schließlich in jederUmgebung von y ist. �

Wenn wir statt Folgen Netze benutzen, konnen wir nun tatsachlich dieAquivalenz von Stetigkeit und ”Folgenstetigkeit“ in jedem topologischenRaum zeigen.Proposition 3.5. Es sei f : X → Y eine Abbildung zwischen topologischenRaumen X und Y . Die Abbildung f ist genau dann stetig, falls folgendesgilt: Ist φ : D → X ein Netz, dass gegen x ∈ X konvergiert, so konvergiertdas Netz f ◦ φ : D → Y gegen f(x) (d.h. f ist netzstetig).

Proof. Falls f stetig ist, so zeigt man leicht, dass die in der Propositionangegeben Folgerung gilt. Wir nehmen nun umgekehrt an, f : X → Y istnicht stetig. Es gibt dann eine offene Menge V ⊂ Y , so dass U := f−1(V )nicht offen in X ist. Es sei x ∈ U ein Punkt, so dass U keine Umgebung von xist. Als gerichtete Menge D nehmen wir die Menge aller offenen Umgebungenvon xmit der durch die Inklusion gegebenen partiellen Ordnung, d.h. A ≤ B,falls B ⊂ A. Ist A ∈ D, so wahlen wir als φ(A) ∈ X einen beliebigen Punktin A\U (diese Menge ist nicht leer nach Wahl von x). Dann konvergiert dasNetz φ gegen x, das Netz f ◦ φ konvergiert jedoch nicht gegen f(x). �

Wir haben außerdemProposition 3.6. Ist A ⊂ X Teilmenge eines topologischen Raumes, sobesteht A genau aus den Limiten von Netzen in A, die in X konvergieren.

Proof. Ist x ∈ A, so schneidet jede Umgebung U von x die Menge A. Defi-nieren wir D als die gerichtete Menge der Umgebungen von x, so konnen wiralso leicht ein durch D parametrisiertes Netz φ in A definieren, das gegen xkonvergiert. Ist umgekehrt x Limes eines Netzes φ : D → A, so liegt dieses

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12 BERNHARD HANKE

Netz schließlich in jeder Umgebung von x, damit muss jede Umgebung vonx die Menge A nichtleer schneiden, somit ist x ∈ A. �

Wir erinnern: Ist (xn) eine Folge in einem metrischen Raum X, so nennenwir x ∈ X einen Haufungspunkt dieser Folge, falls jede Umgebung von xunendlich viele Folgenglieder enthalt. Wir definieren entsprechend:

Definition. Ein Haufungspunkt eines Netzes φ : D → X ist ein Punktx ∈ X, so dass fur jede Umgebung U ⊂ X von x das Netz haufig in U ist,d.h. fur alle α ∈ D existiert ein β ≥ α mit φ(β) ∈ U .

Ist x ∈ X Haufungspunkt einer Folge (xn) in einem metrischen Raum, sokonvergiert eine Teilfolge gegen x. Eine ahnliche Aussage gilt fur Netze. Diekorrekte Verallgemeinerung des Konzeptes der Teilfolge lautet wie folgt.

Definition. Sind D und D′ gerichtete Mengen, so nennen wir eine Abbil-dung h : D′ → D final, falls fur alle δ ∈ D ein δ′ ∈ D′ existiert mit h(α′) ≥ δfur alle α′ ≥ δ′. Ein Unternetz eines Netzes φ : D → X ist eine Kompositionφ ◦ h : D′ → X, wobei h : D′ → D eine finale Funktion ist.

Konvergiert ein Netz in X, so offensichtlich auch jedes Unternetz. Istφ : D → X ein Netz, so benutzen wir ahnlich wie bei Folgen die Schreibweisexα := φ(α).Proposition 3.7. Es sei φ : D → X ein Netz. Ein Punkt x ∈ X ist genaudann Haufungspunkt, falls ein Unternetz von φ gegen x konvergiert.

Proof. Es sei x ∈ X Haufungspunkt. Wir konstruieren ein Unternetz, dasgegen x konvergiert (die andere Richtung der Proposition ist einfach). Wirbetrachten die gerichtete Menge D′, die aus geordneten Paaren (α,U) be-steht, wobei α ∈ D, U eine Umgebung von x ist und xα ∈ U , mit derpartiellen Ordnung

(α,U) ≤ (α′, U ′) :⇔ α ≤ α′, U ′ ⊂ U .

Wir zeigen, dass D′ wirklich gerichtet ist. Seien dazu (α,U), (β, V ) ∈ D′.Da φ haufig in U ∩ V ist, gibt es ein γ ≥ α, β mit xγ ∈ U ∩ V . Damit istdann (γ, U ∩ V ) ≥ (α,U), (β, V ). Betrachte die Abbildung

h : D′ → D , (α,U) 7→ α .

Diese Abbildung ist final, denn ist δ ∈ D, so ist (δ,X) ∈ D′ und (α,U) ≥(δ,X) impliziert α ≥ δ. Wir behaupten, dass das Unternetz

φ′ : D′ h→ Dφ→ X

gegen x konvergiert. Es sei dazuN ⊂ X eine Umgebung von x. Da φ haufig inN ist, gibt es ein β ∈ D mit xβ ∈ N . Dann sind aber fur alle (α,U) ≥ (β,N)die Elemente x(α,U) in N , d.h. φ′ ist schließlich in N . �

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 13

4. Vollstandige metrische Raume

Definition. Eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißtCauchy-Folge, falls es fur jedes ε > 0 ein N ∈ N gibt mit

d(xn, xm) < ε

fur alle n,m ≥ N . Der metrische Raum (X, d) heißt vollstandig, falls jedeCauchy-Folge in X konvergiert.

Jede in einem metrischen Raum konvergente Folge ist automatisch eineCauchyfolge. Sind (X1, d1) und (X2, d2) vollstandige metrische Raume, soist auch X1 ×X2 mit der Produktmetrik d vollstandig, wobei

d((x1, x2), (y1, y2)) :=√d1(x1, y1)2 + d2(x2, y2)2

(die Metrik d induziert ubrigens die Produkttopologie auf X1 × X2).Da die Menge der reellen Zahlen mit der gewohnlichen Abstandsmetrikvollstandig ist, gilt dies somit auch fur die euklidischen Raume Rn, n ∈ N.Vollstandigkeit ist allerdings keine Homoomorphieinvariante: Das offene In-tervall (0, 1) ⊂ R ist mit der induzierten Metrik nicht vollstandig, jedochhomoomorph zu R mit der gewohnlichen Metrik.

Ist X ein vollstandiger metrischer Raum und A ⊂ X ein abgeschlossenerUnterraum, so ist A mit der induzierten Metrik ebenfalls vollstandig. Istallgemeiner A ⊂ X ein beliebiger Unterraum, so ist A ⊂ X der kleinstevollstandige Unterraum von X, der A enthalt, denn A besteht genau ausden Limiten von Folgen, die in A liegen und in X konvergieren.

Vollstandige metrische Raume sind zentrale Objekte in der Analysis. Wirwerden in diesem Abschnitt zeigen, dass jeder metrische Raum eine kanoni-sche Vervollstandigung besitzt.

Der Schlussel hierzu ist die Vollstandigkeit der reellen Zahlen und dieBetrachtung sogenannter Funktionenraume.

Definition. Es sei X eine Menge. Wir bezeichnen mit

B(X) := {f : X → R | supx∈X|f(x)| <∞}

die Menge der beschrankten Abbildungen X → R versehen mit der Metrik

d(f, g) := supx∈X|f(x)− g(x)| .

Man pruft leicht nach, dass es sich tatsachlich um eine Metrik auf B(X)handelt.Proposition 4.1. Der soeben definierte metrische Raum (B(X), d) istvollstandig.

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14 BERNHARD HANKE

Proof. Es sei (fn) eine Cauchy-Folge in B(X). Dann sind fur alle x ∈ X dieFolgen (fn(x)) Cauchy-Folgen in R (nach Definition der Metrik auf B(X))und konvergieren daher in R gegen eine (eindeutig bestimmte) Zahl, die wirf(x) nennen wollen. Es sei nun ε > 0 und N ∈ N so groß, dass d(fn, fm) < ε,falls n,m ≥ N . Man pruft leicht nach, dass dann d(fn, f) ≤ ε fur alle n ≥ N .Es gilt daher lim fn = f im metrischen Raum B(X). �

Sind (X, d) und (X ′, d′) metrische Raume, so heißt eine Abbildung f :X → X ′ eine Isometrie, falls f bijektiv ist und

d′(f(x), f(y)) = d(x, y)

fur alle x, y ∈ X. In diesem Fall ist auch f−1 eine Isometrie und f ist(bzgl. der induzierten Topologie) ein Homoomorphismus. Eine Abbildungf : X → X ′ heißt isometrische Einbettung, falls f nicht unbedingt bijektivist, jedoch obige Vertraglichkeit bezuglich der Metriken d und d′ erfullt. Indiesem Fall ist die induzierte Abbildung f : X → f(X) automatisch eineIsometrie (wobei f(X) die Einschrankung der Metrik von X ′ tragt).

Definition. Es sei X ein metrischer Raum. Eine Vervollstandigung von Xist ein vollstandiger metrischer Raum Y zusammen mit einer isometrischenEinbettung f : X → Y , so dass f(X) dicht in Y liegt, d.h. f(X) = Y .

Wir zeigen nun, dass jeder metrische Raum mindestens eine Vervollstandi-gung besitzt. Dazu zeigen wir:Proposition 4.2. Es sei X ein metrischer Raum. Dann existiert eine iso-metrische Einbettung von X in einen vollstandigen metrischen Raum.

Proof. Ohne Einschrankung sei X 6= ∅. Es sei x0 ∈ X fest gewahlt. Fura ∈ X definieren wir eine Abbildung φa : X → R durch

φa(x) = d(x, a)− d(x, x0) .

Die Abbildung φa ist beschrankt, denn

|φa(x)| ≤ d(x0, a)

wegen der Dreiecksungleichungen d(x, a) ≤ d(x, x0)+d(x0, a) und d(x, x0) ≤d(x, a) + d(a, x0). Wir erhalten also eine Abbildung

φ : X → B(X) , a 7→ φa .

Wir behaupten, dass φ eine isometrische Einbettung ist. Es seien also a, b ∈X. Nach Definition gilt dann

d(φa, φb) = supx∈X|d(x, a)− d(x, b)| .

Wieder nach der Dreiecksungleichung ist |d(x, a)− d(x, b)| ≤ d(a, b), so dassinsgesamt

d(φa, φb) ≤ d(a, b) .

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 15

In dieser Ungleichung kann nicht < stehen, denn

supx∈X|d(x, a)− d(x, b)| ≥ |d(b, a)− d(b, b)| = d(a, b) .

Somit ist φ tatsachlich eine isometrische Einbettung. �

Ist X ein metrischer Raum, so erhalten wir also die Vervollstandigung

φ(X) ⊂ B(X)

von X.Wir zeigen nun noch die Eindeutigkeit der Vervollstandigung eines metri-

schen Raumes.Proposition 4.3. Es sei X ein metrischer Raum und es seien

f1 : X → Y1 , f2 : X → Y2

Vervollstandigungen von X. Dann existiert eine Isometrie

g : Y1 → Y2

mit g|f1(X) = f2 ◦ f−11 .

Proof. Die Abbildung

f1(X)→ Y2 , x 7→ f2 ◦ f−11 (x)

ist nach Voraussetzung eine isometrische Einbettung. Wir setzen diese Ab-bildung wie folgt zu einer Abbildung

g : Y1 = f1(X)→ Y2

fort: Ist y ∈ Y1, so gibt es eine Folge (xn) in X mit lim f1(xn) = y. Da f1

eine isometrische Einbettung ist, ist (xn) eine Cauchy-Folge und da f2 eineisometrische Einbettung ist, ist (f2(xn)) eine Cauchy-Folge in Y2. Wir setzen

g(y) := lim f2(xn) .

Ist (x′n) eine andere Folge in X mit lim f1(x′n) = y, so ist

lim d(xn, x′n) = 0 ,

weil f1 eine isometrische Einbettung ist. Da dies auch fur f2 gilt, haben wir

lim f2(xn) = lim f2(x′n)

und die Definition von g(y) hangt somit nicht von der Auswahl der Folge(xn) ab. Man uberpruft nun leicht, dass g eine isometrische Einbettung ist.Ebenso setzt man die Abbildung

f2(X)→ Y1 , x 7→ f1 ◦ f−12 (x)

zu einer isometrischen Einbettung h : Y2 → Y1 fort. Ein weiteres Argumentzeigt nun dass g und h invers zueinander sind: h◦g : Y1 → Y1 ist die Identitatauf f1(X) und wegen der Eindeutigkeit der Fortsetzung auf Y1 (beachte, dassY1 Hausdorffsch ist) gilt h ◦ g = idY1 . Ebenso zeigt man g ◦ h = idY2 . �

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16 BERNHARD HANKE

In den Ubungen wird ein anderes Modell der Vervollstandigung eines me-trischen Raumes vorgestellt.

Wichtige Raume in der Analysis entstehen auf diese Art: Ist U ⊂ Rn eineoffene Menge, so ist der Banachraum Lp(U), 0 < p <∞, die Vervollstandi-gung der Menge C∞c (U), d.h. der Menge der unendlich oft differenzierbarenFunktionen U → R mit kompaktem Trager, versehen mit der Metrik

dp(f, g) := (∫U|f(x)− g(x)|p)1/p .

Elemente in Lp(U) sind Aquivalenzklassen von messbaren Funktionen f :U → R, so dass |f |p Lebesgue-integrierbar ist, wobei zwei solche Funktionenals aquivalent gelten, wenn sie bis auf eine Nullmenge in U ubereinstimmen.

Bezogen auf unsere Diskussion bedeutet dies die Angabe eines konkretenModells der Vervollstandigung von C∞c (U) bzgl. der Metrik dp.

5. Kompaktheit

Definition. Es sei X ein topologischer Raum. Eine offene Uberdeckung vonX ist eine Menge U offener Teilmengen von X, mit⋃

U∈UU = X .

Der Raum X heißt kompakt, falls jede offene Uberdeckung von X eine end-liche Teiluberdeckung besitzt.

Folgende Umformulieren dieser Definition ist manchmal nutzlich: Wir sa-gen, eine Menge C von Teilmengen von X habe die endliche Schnitteigen-schaft, falls der Schnitt je endlich vieler Mengen aus C nichtleer ist. Wirhaben dann:Proposition 5.1. Ein Raum X ist genau dann kompakt, falls jede Menge Cvon abgeschlossenen Teilmengen von X, die die endliche Schnitteigenschaftbesitzt, einen nichtleeren Schnitt hat, d.h.

⋂C∈C 6= ∅.

Man zeigt leicht, dass die Menge Q ∩ [0, 1] nicht kompakt ist.Proposition 5.2. Jede kompakte Teilmenge eines Hausdorffraumes ist ab-geschlossen.

Proof. Es sei X Hausdorffsch und A ⊂ X kompakt. Wahle ein beliebigesx ∈ X \A. Ist a ∈ A, so gibt es (in X) offene disjunkte Umgebungen Ua vona und Va von x. Da A kompakt ist und A = ∪a∈A(Ua ∩ A), gibt es endlichviele Punkte a1, . . . , ak ∈ A mit A ⊂ Ua1 ∪ . . . ∪ Uak . Dann liegt die offeneUmgebung Va1 ∩ . . .∩Vak von x ganz in X \A. Dieses Argument zeigt, dassX \A offen und somit A abgeschlossen ist. �

Proposition 5.3. Ist X kompakt und f : X → Y stetig, so ist auch f(X) ⊂Y kompakt.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 17

Proof. Ist U eine offene Uberdeckung von f(X), so ist {f−1(U) | U ∈ U} eineoffene Uberdeckung von X. Da diese eine endliche Teiluberdeckung besitzt,gilt dies also auch fur U . �

Proposition 5.4. Jeder abgeschlossene Teilraum eines kompakten Raumesist kompakt.

Proof. Sei X kompakt und A ⊂ X abgeschlossen. Ist U eine offene Uber-deckung von A, so gibt es eine Menge V offener Teilmengen von X mit

U = {V ∩A | V ∈ V} .Da X kompakt ist, hat aber die offene Uberdeckung V ∪{X \A} von X eineendliche Teiluberdeckung. Schneiden wir die in ihr enthaltenen Mengen mitA, erhalten wir eine endliche Teiluberdeckung von U . �

Die letzten beiden Tatsachen haben folgende wichtige Konsequenz:Proposition 5.5. Es sei f : X → Y eine bijektive stetige Abbildung voneinem kompakten Raum in einen Hausdorffraum. Dann ist f ein Homoomor-phismus.

Proof. Wir mussen zeigen, dass f−1 stetig ist. Da f bijektiv ist, konnenwir gleichbedeutend nachweisen, dass f abgeschlossen ist, d.h. ist A ⊂ Xabgeschlossen, so auch f(A) ⊂ Y . Ist aber A ⊂ X abgeschlossen, so ist Akompakt, somit auch f(A) ⊂ Y und damit ist f(A) als kompakter Teilraumdes Hausdorffraumes Y abgeschlossen. �

Proposition 5.6. Das Einheitsintervall [0, 1] ⊂ R ist kompakt.

Proof. Es sei U eine offene Uberdeckung von [0, 1] und

S := {s ∈ [0, 1] | [0, s] besitzt eine endliche Teiluberdeckung von U} .Da 0 ∈ S, gilt S 6= ∅. Es sei b = supS. Wir behaupten S = [0, b]. Ansonstenware namlich S = [0, b). Wir finden dann ein U ∈ U mit b ∈ U und damitgibt es ein ε > 0 mit (b−ε, b] ⊂ U . Da [0, b−ε/2] von endlich vielen Elementenaus U uberdeckt wird, gilt dies somit auch fur [0, b] im Widerspruch zuS = [0, b). Um die Proposition zu zeigen, mussen wir also nur noch b = 1nachweisen. Gilt aber b < 1, so zeigt man mit einem ahnlichen Argumentwie eben, dass es ein ε > 0 gibt mit [0, b + ε/2] ⊂ S im Widerspruch zurDefinition von S. �

Es folgt, dass jedes abgeschlossene Intervall [a, b] ⊂ R kompakt ist (denn esist homoomorph zu [0, 1]. Umgekehrt muss jede kompakte Teilmenge K ⊂ Rbeschrankt sein, sonst hatte die offene Uberdeckung

K ⊂⋃n∈N

(−n, n)

keine endliche Teiluberdeckung. Wir erhalten alsoProposition 5.7 (Heine-Borel). Eine Teilmenge von R ist genau dann kom-pakt, wenn sie beschrankt und abgeschlossen ist.

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18 BERNHARD HANKE

Korollar 5.8. Es sei X kompakt und f : X → R stetig. Dann nimmt f ihrMinimum und Maximum an.

Proof. f(X) ⊂ R ist kompakt, also beschrankt und abgeschlossen. Dahersind inf f(X) und sup f(X) endlich und in f(X) enthalten. �

Wir wollen dieses Resultat auf die Raume Rn ausdehnen. Dazu zeigenwir:Proposition 5.9. Es seien X und Y kompakt. Dann ist auch das topologi-sche Produkt X × Y kompakt.

Proof. Es sei U eine offene Uberdeckung von X × Y . Jede Menge in U istVereinigung von offenen Kastchen U×V mit U ⊂ X,V ⊂ Y offen. Es genugtdaher zu zeigen, dass jede Uberdeckung von X durch offene Kastchen eineoffene Teiluberdeckung besitzt. Ist x ∈ X, so wird {x} × Y durch endlichviele dieser Kastchen

(U1 × V1) ∪ . . . ∪ (Uk × Vk)uberdeckt, da Y kompakt ist. Dann ist der Schnitt Ux := U1 ∩ . . .∩Uk ⊂ Xoffen und es wird Ux × Y durch endlich viele der Kastchen uberdeckt. Manwahle eine endliche Teiluberdeckung von (Ux)x∈X und erhlt daraus eineendliche Teiluberdeckung von X × Y durch offene Kastchen. �

Korollar 5.10 (Heine-Borel). Eine Teilmenge A ⊂ Rn ist genau dann kom-pakt, wenn sie beschrankt und abgeschlossen ist.

In den Ubungen wird ein allgemeines Kriterium angegeben, wann einmetrischer Raum kompakt ist (Vollstandigkeit und totale Beschranktheit).

Fur metrische Raume ist Kompaktheit gleichbedeutend mit Folgenkom-paktheit: Ein metrischer Raum ist genau dann kompakt, wenn jede Folge einekonvergente Teilfolge besitzt. Eine Richtung dieser Aussage wird (fur topo-logische Raume, die das erste Abzahlbarkeitsaxiom erfullen) in den Ubungenbewiesen. Die andere Richtung folgt daraus, dass ein folgenkompakter metri-scher Raum vollstandig und total beschrankt sein muss (Beweis ebenfalls alsUbung empfohlen). Fur allgemeine topologische Raume mussen wir wiedermit Netzen arbeiten, die Folgerung bleibt aber die gleiche:Proposition 5.11. Es sei X ein topologischer Raum. Dann sind aquivalent:

• X ist kompakt.• X ist netzkompakt, d.h. jedes (nichtleere) Netz D → X hat ein

konvergentes Unternetz.

Proof. Wir beweisen zunachst, dass jeder netzkompakte Raum auch kom-pakt ist. Die andere Richtung folgt etwas spater aus der Diskussion univer-seller Netze.

Es sei also X netzkompakt und C eine Familie abgeschlossener Teilmen-gen von X mit der endlichen Schnitteigenschaft (d.h. der Schnitt je endlichvieler Mengen in C ist nichtleer). Wir konnen annehmen, dass C abgeschlos-sen unter endlichen Schnitten ist (indem wir die Schnitte je endlich vieler

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 19

Mengen C ∈ C zu C hinzunehmen). Wir erhalten eine gerichtete Ordnungauf C durch

C ≥ C ′ ⇔ C ⊂ C ′ .(Diese Ordnung ist gerichtet, weil C abgeschlossen unter endlichen Schnittenist). Wir definieren ein Netz φ : C → X indem wir fur C ∈ C ein Elementφ(C) ∈ C auswahlen. Diese Netz ist nicht leer, falls X 6= ∅, was wir ohneEinschrankung annehmen konnen. Nach Voraussetzung existiert ein konver-gentes Unternetz von φ, gegeben durch eine gerichtete Menge D′ und einefinale Abbildung h : D′ → C. Es sei x ∈ X ein Grenzwert des Unternet-zes φ ◦ h. Sei nun C ∈ C. Dann gibt es ein α ∈ D′ so dass φ ◦ h(β) ∈ Cfur alle β ≥ α, d.h. das Netz φ ◦ h ist schließlich in C. Da C = C giltsomit also insbesondere x ∈ C. In diesem Argument war C ∈ C beliebig.Somit ist x ∈

⋂C∈C C und dieser Schnitt somit nicht leer. Daraus folgt die

Kompaktheit von X. �

Der Rest dieses Abschnittes ist dem Beweis der folgenden Verallgemeine-rung von Proposition 5.9 gewidmet.

Satz 5.12 (Tychonoff). Es sei (Xi)i∈I eine Familie kompakter Raume.Dann ist das topologische Produkt

∏i∈I Xi ebenfalls kompakt.

Der Beweis beruht auf der Betrachtung sogenannter universeller Netze.

Definition. Ein Netz φ : D → X heißt universell, falls fur jede TeilmengeA ⊂ X, das Netz entweder schließlich in A oder schließlich in X \A ist.

Bevor wir den nachsten Satz zeigen, erinnern wir an das Zornsche Lemma:Es sei P eine nichtleere partiell geordnete Menge, in der jede Kette C ⊂ P(d.h. C ist eine Teilmenge, in der jedes Element mit jedem anderen verglichenwerden kann) eine obere Schranke besitzt (dies ist ein p ∈ P mit p ≥ c furalle c ∈ C). Dann besitzt P ein maximales Element (d.h. ein m ∈ P , so dassfur alle p ∈ P die Implikation m ≤ p⇒ m = p gilt).

Proposition 5.13. Jedes nichtleere Netz φ : D → X besitzt ein universellesUnternetz.

Proof. Es sei φ : D → X ein Netz mit D 6= ∅. Wir betrachten die MengeP aller Mengen A von Teilmengen von X, die die folgenden Eigenschaftenhaben:

• Falls A ∈ A, dann ist φ haufig in A,• falls A,B ∈ A, dann ist A ∩B ∈ A.

Wir konnen zum Beispiel A = {X} nehmen. Die Menge P ist durch dieInklusionsrelation partiell geordnet und jede Kette C ⊂ P von solchen Men-gen besitzt eine obere Schranke, gegeben durch die Vereinigung

⋃A∈C A.

Nach dem Zornschen Lemma gibt es eine maximale Menge A0 in P mit denbeiden obigen Eigenschaften. Offensichtlich gilt X ∈ A0 (sonst konnten wir

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20 BERNHARD HANKE

diese Menge einfach zu A0 hinzunehmen, im Widerspruch zur Maximalitatvon A0). Wir betrachten nun die Menge

D′ := {(A,α) ∈ A0 ×D | φ(α) ∈ A}zusammen mit der gerichteten Ordnung

(A,α) ≤ (B, β)⇔ B ⊂ A ,α ≤ β .Die Zuordnung

h : D′ → D , (A,α) 7→ α

ist final (da fur alle α ∈ D das Paar (X,α) in D′ liegt). Wir beweisen, dassdas Unternetz φ ◦ h : D′ → X universell ist.

Es sei zunachst S ⊂ X eine Teilmenge, so dass dieses Unternetz haufig inS ist. Nach Definition bedeutet dies, dass fur alle (A,α) ∈ D′ ein (B, β) ≥(A,α) existiert mit h ◦ φ((B, β)) = φ(β) ∈ S. Da B ⊂ A haben wir alsoφ(β) ∈ B ∩ S ⊂ A ∩ S. Dies zeigt, dass φ haufig in S ∩ A ist, falls A ∈ A0

(denn φ ist dann haufig in A, d.h. es existiert ein α ∈ D mit φ(α) ∈ Aund somit ist (A,α) ∈ D′). Daraus folgt, dass S ∈ A0: Ansonsten konntenwir alle Mengen der Form S ∩ A mit A ∈ A0 zu A0 hinzunehmen (d.h. eswird insbesondere S = S ∩ X hinzugenommen), so dass die beiden obigenEigenschaften immer noch gelten.

Falls nun das Unternetz φ ◦ h ebenfalls haufig in X \ S ist, so hatten wirmit dem gleichen Argument X \ S ∈ A0 also auch

∅ = S ∩ (X \ S) ∈ A0

nach der zweiten der beiden obigen Eigenschaften. Wegen D 6= ∅ ist dasNetz φ aber sicher nicht haufig in ∅ (d.h. die erste der beiden Eigenschaftenist verletzt) und aus diesem Widerspruch folgt, dass φ ◦ h nicht haufig inS und gleichzeitig haufig in X \ S sein kann. Ist also φ ◦ h haufig in einerTeilmenge S ⊂ X, so ist φ ◦ h sogar schließlich in S. Ist nun A ⊂ X, so istφ ◦ h (wie jedes Netz in X) haufig in A oder haufig in X \ A. Nach demvorher Gesagten ist das Netz φ ◦ h daher schließlich in A oder in X \A. �

Wir konnen nun die obige Charakterisierung von kompakten Raumen zuEnde fuhren.Proposition 5.14. Es sei X ein topologischer Raum. Dann sind aquivalent:

• X ist kompakt.• Jedes nichtleere universelle Netz in X konvergiert.• Jedes nichtleere Netz in X hat ein konvergentes Unternetz.

Proof. Es sei X kompakt und es sei φ : D → X ein universelles Netz. Ange-nommen, φ ist nicht konvergent. Ist x ∈ X, so gibt es eine offene UmgebungUx von x, so dass φ nicht schließlich in Ux. Wegen der Universalitat ist dannφ schließlich in X \ Ux, d.h. es gibt einen Index αx ∈ D, so dass φ(β) /∈ Ux,falls β ≥ αx. Es sei Ux1 , . . . , Uxk eine endliche Teiluberdeckung. Wir wahlenein β ≥ αx1 , . . . , αxk (so ein β existiert, da D gerichtet ist) und schließen,dass φ(β) /∈ Ux1 ∪ . . . ∪ Uxk = X, ein Widerspruch, da D 6= ∅.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 21

Falls jedes universelle Netz in X konvergiert, dann hat jedes nichtleereNetz ein konvergentes Unternetz, da jedes (nichtleere) Netz ein universellesUnternetz hat.

Die verbleibende Implikation wurde bereits weiter oben gezeigt. �

Wir kommen nun zum Beweis des Satzes von Tychonoff. Direkt aus derDefinition der Produkttopologie folgt: Ist (Xi)i∈I eine Familie topologischerRaume und φ : D → X ein Netz, so sind die folgenden Aussagen aquivalent.

• Das Netz φ konvergiert gegen (xi)i∈I (mit xi ∈ Xi).• Fur alle i0 ∈ I gilt: Ist πi0 :

∏iXi → Xi0 die kanonische Projektion,

so konvergiert das Netz πi0 ◦ φ in Xi0 gegen xi0 .Mit anderen Worten: Die Produkttopologie ist die Topologie der ”punktwei-sen Konvergenz“.

Proof. (des Satzes von Tychonoff) Ist eine Familie (Xi)i∈I von kompaktenRaumen gegeben, so mussen wir nach Proposition 5.14 zeigen, dass jedesnichtleere universelle Netz φ : D →

∏iXi konvergiert. Ist φ : D →

∏iXi

universell und i0 ∈ I, so auch die Komposition πi0 ◦ φ : D → Xi0 universell(dies ist leicht zu zeigen) und da Xi0 kompakt ist, konvergiert πi0 ◦φ in Xi0 .Daher konvergiert nach der Vorbemerkung auch das Netz φ. �

Der Beweis des Satzes von Tychonoff wird in der Literatur manchmal mitsoganannten Ultrafiltern gefuhrt. Das Konzept der (Ultra-)Filter ist aqui-valent zum Konzept der (universellen) Netze, dem wir in unserer Vorlesungden Vorzug geben. Der Satz von Tychonoff spielt eine wichtige Rolle bei demBeweis des Satzes von Banach-Alaoglu in der Funktionalanalysis. Wichtigist noch folgende Bemerkung: Eine Folge ist genau dann ein universellesNetz, wenn sie schließlich konstant ist. Jede Folge hat aber ein universellesUnternetz. Dies zeigt, dass Unternetze von Folgen etwas anderes sind alsTeilfolgen. Ist D′ → D eine finale Abbildung gerichteter Mengen, kann jatrotzdem D′ viel ”komplizierter“ sein als D.

6. Lokalkompakte Raume

Definition. Ein topologischer Raum X heißt lokalkompakt, falls jeder Punktx ∈ X eine kompakte Umgebung besitzt.

Offensichtlich sind die Raume Rn lokalkompakt.Es sei X ein lokalkompakter Hausdorffraum. Wir definieren eine Teilmen-

ge U der disjunkten Vereinigung

X+ := X ∪ {∞}

als offen, falls U ⊂ X und U offen in X ist oder falls∞ ∈ U und X \U ⊂ Xkompakt ist. Es folgt aus der Hausdorffeigenschaft (Lokalkompaktheit isthier nicht notwendig), dass man so wirklich eine Topologie auf X+ erhalt.

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22 BERNHARD HANKE

Proposition 6.1. Es sei X ein lokalkompakter Hausdorffraum. Dann istX+ mit der eben definierten Topologie ein kompakter Hausdorffraum.

Proof. Ist U eine offene Uberdeckung von X+, so gibt es ein U ∈ U mit∞ ∈ U . Da U auch eine offene Uberdeckung der kompakten Menge X \U ist,konnen wir eine endliche Teiluberdeckung auswahlen und erhalten zusam-men mit U eine endliche Teiluberdeckung von X+. Die Hausdorffeigenschaftvon X+ folgt direkt aus der Lokalkompaktheit von X. �

Wir nennen X+ mit der oben definierten Topologie die Einpunktskompak-tifizierung von X. Ist X selbst kompakt, so tragt X+ die Summentopologiedes Raumes X und des einpunktigen topologischen Raumes {∞}. Beispiels-weise ist die Einpunktkompaktifizierung von Rn homoomorph zu Sn wieman mit Hilfe der stereographischen Projektion beweist.

Falls X und Y lokalkompakte Hausdorffraume sind und f : X → Y einestetige Abbildung ist, so betrachten wir die Abbildung

f+ : X+ → Y + f+|X = f , f+(∞) =∞ .

Diese Abbildung ist nicht automatisch stetig (sei z.B. X = R, Y = {p}und f : X → Y die eindeutig bestimmte Abbildung). Eine hinreichendeBedingung ist aber die folgende:

Definition. Eine Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Raum-en heißt eigentlich, falls das Urbild jeder kompakten Menge in Y unter fkompakt in X ist.

Die folgende Tatsache ist nun leicht zu zeigen.Proposition 6.2. Ist f : X → Y eine stetige Abbildung zwischen lokalkom-pakten Hausdorffraumen, so ist die induzierte Abbildung f+ : X+ → Y +

genau dann stetig, falls f eigentlich ist.

7. Quotientenraume

Dieser Abschnitt ist einem wichtigen Konstruktionsverfahren topologi-scher Raume gewidmet, dem ”Verkleben“. Sei allgemein X ein topologi-scher Raum, Y eine Menge und f : X → Y eine surjektive Abbildung. DieQuotiententopologie oder auch Finaltopologie auf Y bzgl. f ist die feinste To-pologie, so dass f stetig ist. Eine Teilmenge U ⊂ Y ist also offen bezuglichdieser Topologie genau dann, falls f−1(U) ⊂ X offen ist (denn Urbildneh-men ist mit Schnitt- und Vereinigungsbildung vertraglich). Eine surjektiveAbbildung f : X → Y zwischen topologischen Raumen heißt Identifizierung,falls die Topologie auf Y genau die Finaltopologie bezuglich f ist.Proposition 7.1. Die Komposition von Identifizierungen ist wieder eineIdentifizierung. Eine surjektive Abbildung f : X → Y ist genau dann eineIdentifizierung, falls folgendes gilt: Ist Z ein topologischer Raum und g :Y → Z eine Abbildung, so ist g genau dann stetig, falls g ◦ f : X → Z stetigist.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 23

Ein wichtiges Beispiel ist das folgende: Sei ∼ eine Aquivalenzrelati-on auf einem topologischen Raum X. Dann konnen wir X/ ∼ mit derQuotiententopologie (bzgl. der kanonischen Abbildung X → X/ ∼) ver-sehen, den entstehenden topologischen Raum nennen wir einen Quotien-tenraum. Quotientenraume von kompakten (zusammenhangendend, weg-zusammenhangenden) Raumen sind ebenfalls kompakt (zusammenhangen,wegzusammenhangend). Ist X ein Hausdorffraum, so muss der Quotien-tenraum X/ ∼ aber nicht Hausdorffsch sein (betrachte z.B. die Relationx ∼ y ⇔ x− y ∈ Q auf X := R).

Ist A ⊂ X eine nichtleere Teilmenge des topologischen Raumes X, sobezeichnet X/A den Quotientenraum bzgl. der Aquivalenzrelation

x ∼ y ⇔{

x, y ∈ A oder(x /∈ A oder y /∈ A) und x = y ,

.

d.h. die Aquivalenzklassen sind A und die einpunktigen Mengen {x} mitx ∈ X \A.

Definition. Wie nennen einen topologischen Raum X normal, falls er Haus-dorffsch ist und fur je zwei disjunkte abgeschlossene Teilmengen A,B ⊂ Xoffene disjunkte Teilmengen U, V ⊂ X existieren mit A ⊂ U , B ⊂ V .

Wir wollen hier die Hausdorffeigenschaft explizit fordern, denn sonst warez.B. jede Menge mit der Klumpentopologie ein normaler topologischer Raum(insbesondere sind hier die einpunktigen Mengen nicht abgeschlossen, fallsdie Menge mehr als ein Element enthalt).Proposition 7.2. Ist X normal und A ⊂ X abgeschlossen, so ist X/Aebenfalls normal.

Beispiel. Wir betrachten die Spharen Sn = {x ∈ Rn+1 | ‖x‖ = 1} ⊂ Rn+1

mit der Unterraumtopologie. Der Quotientenraum bzgl. der von der Relati-on x ∼ y ⇔ x = −y erzeugten Aquivalenzrelation heißt der n-dimensionalereell-projektive Raum RPn. Eine alternative Beschreibung erhalt man wiefolgt: Wir betrachten die Aquivalenzrelation auf der EinheitskreisscheibeDn ⊂ Rn, die jeweils gegenuberliegende Punkte auf dem Rand Sn−1 identi-fiziert (und naturlich jeden Punkt mit sich selbst). Wir behaupten, dass derentstehende Quotientenraum homoomorph zu RPn ist. Dazu betrachten wirDn als die obere Hemisphare von Sn. Die entsprechende Inklusion i : Dn →Sn kann man explizit als (x1, . . . , xn) 7→ (x1, . . . , xn,

√1− x2

1 − . . .− x2n)

definieren. Die (stetige) Komposition Dn → Sn → RPn faktorisiert durchDn/ ∼ und wir erhalten eine Abbildung k : Dn/ ∼→ RPn, die das Dia-gramm

Dn i−−−−→ Sny yDn/ ∼ k−−−−→ RPn

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24 BERNHARD HANKE

kommutativ macht. Nach Proposition 7.1 ist k stetig. Offensichtlich ist kauch bijektiv. Da Dn/ ∼ kompakt (klar) und RPn Hausdorff (dies ist leichtdirekt zu zeigen) ist, ist k ein Homoomorphismus.

Wir erwahnen noch einige besonders wichtige Beispiele von Quotien-tenraumen. Sind X,Y topologische Raume, A ⊂ X eine Teilmenge undist f : A → Y eine stetige Abbildung, so bezeichnet Y ∪f X die Anheftungvon X entlang f . Sie ist definiert als der Quotientenraum der disjunktenVereinigung X∪Y (falls X ∩ Y 6= ∅, so macht man die Raume kunstlichdisjunkt, indem man zu X × {0} und Y × {1} ubergeht) versehen mit derSummentopologie bzgl. der kleinsten Aquivalenzrelation, die jedes a ∈ Amit f(a) ∈ Y identifiziert. In diesem Sinne konnen wir X/A auch als Y ∪pXschreiben, wobei Y ein einpunktiger Raum und p : A → Y die eindeutigbestimmte Abbildung ist. Man beweist leichtProposition 7.3. Ist Y ∪f X ein Anheftungsraum und A ⊂ X abgeschlos-sen, so ist Y ↪→ Y ∪fX, y 7→ [y] ein Homoomorphismus auf einen abgeschlos-senen Teilraum und X \ A ↪→ Y ∪f X,x 7→ [x] ist ein Homoomorphismusauf einen offenen Teilraum.

Ist f : X → Y eine stetige Abbildung, so ist der Abbildungszylinder Zf vonf der Verkleberaum Y ∪f0 (X × [0, 1]), wobei f0 : X × {0} = X → Y gleichf ist. Wir identifizieren in dieser Situation oft X mit X × {1} ⊂ Zf und Ymit Y ⊂ Zf . Der Abbildungskegel Cf ist der Quotientenraum Zf/(X ×{1}).

Dieses Kapitel bietet auch eine gute Gelegenheit, Simplizialkomplexe ein-zufuhren. Sie stellen eine enge Verbindung zwischen Topologie und Kombi-natorik her.

Definition. Ein abstrakter Simplizialkomplex ist ein Paar (X,Σ) bestehendaus einer total geordneten Menge X und einer Teilmenge Σ ⊂ P(X) derPotenzmenge von X (diese wird Menge der abstrakten Simplizes genannt)mit den folgenden Eigenschaften:

• Jedes Simplex σ ∈ Σ ist endlich. Wir setzen dimσ := |σ| − 1.• Ist ein Simplex σ ∈ Σ gegeben, so sind alle Teilmengen von σ eben-

falls Simplizes. Insbesondere ist also ∅ ∈ Σ und dim ∅ = −1.Ist σ ∈ Σ ein Simplex, so heißen die Teilmengen von σ Seiten von σ. Wirnennen einne Simplizialkomplex (X,Σ) endlich, falls die Menge der SimplizesΣ endlich ist.

Wir bezeichnen mit [n] die total geordnete Menge {0, 1, . . . , n}. Wir defi-nieren den abstrakten Simplizialkomplex (”volles n-dimensionales Simplex“)∆nabstr als die Potenzmenge P([n]).Wir konnen jedem abstrakten Simplizialkomplex wie folgt einen topolo-

gischen Raum zuordnen: Wir bezeichnen mit ei ∈ Rn+1 (wobei 0 ≤ i ≤ n)den i-ten kanonischen Basisvektor und setzen

∆n := {∑

0≤i≤ntiei | 0 ≤ ti ≤ 1,

∑ti = 1} ⊂ Rn+1 .

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 25

Dies ist der Standard-n-Simplex. Jeder Punkt in ∆n ist durch seine baryzen-trischen Koordinaten (t0, . . . , tn) eindeutig bestimmt. Der Simplex ∆n istmit der von Rn+1 induzierten Topologie ein kompakter topologischer Raum.

Ist k ≤ n, so induziert jede ordnungserhaltende Abbildung

φ : {0, 1, . . . , k} → {0, 1, . . . , n}

eine Einbettung (d.h. Homoomorphismus auf das Bild) iφ : ∆k → ∆n gege-ben durch

(t0, . . . , tk) 7→ (0, 0, . . . , t0, 0, . . . , t1, . . . , 0, 0, tk, . . .) ,

wobei die 0-en genau an den Stellen eingefugt werden, die nicht im Bild vonφ liegen.

Ist nun ein abstrakter Simplizialkomplex (X,Σ) gegeben, so setzen wir

S :=⋃

σ∈Σ∆σ

(disjunkte Vereinigung), wobei ∆σ das geometrische Simplex der Dimensiondimσ ist. Der Raum S ist mit der Summentopologie versehen: Eine Teil-menge U ⊂ S ist genau dann offen, falls fur alle σ ∈ Σ die Menge U ∩∆σ

offen in ∆σ ist. Wir fuhren nun auf S die Aquivalenzrelation ∼ ein, die furjede Inklusion φ : τ → σ den Punkt x ∈ ∆τ mit iφ(x) ∈ ∆σ identifiziert. Da-bei haben wir stillschweigend die Menge σ mit der total geordneten Menge{0, 1, . . . , |σ|} (durch die eindeutig bestimmte ordnungserhaltende Bijektion)identifiziert und die Menge τ (nach dieser Identifizierung) als Teilmenge von{0, 1, . . . , |σ|} angesehen. Wir nennen den Quotientenraum S/ ∼ die geome-trische Realisierung von Σ. Diese wird auch mit |X| bezeichnet und der zu(X,Σ) gehorende geometrische Simplizialkomplex genannt. Offensichtlich istjeder Simplizialkomplex ein normaler Raum und jeder endliche (geometri-sche) Simplizialkomplex kompakt.

Beispiel. |∆nabstr| ≈ ∆n.

Definition. Ein topologischer Raum heißt triangulierbar, wenn erhomoomorph zu einem geometrischen Simplizialkomplex ist. Die konkre-te Angabe so eines Homoomorphismus bezeichnet man als Triangulierung.Einen triangulierten topologischen Raum nennt man auch (geometrischen)Simplizialkomplex.

Sehr viele in der Praxis auftretenden topologischen Raume sind triangu-lierbar.

Beispielsweise sind die Spharen Sn ⊂ Rn+1 triangulierbar. Denn Sn

ist homoomorph zur geometrischen Realisierung des Simplizialkomplexes(X,Σ) mit X = {0, 1, . . . , n+ 1}, Σ := {σ ⊂ X | dimσ < n+ 1}.

Zum Beweis dieser Tatsache diskutieren wir allgemeiner konvexe Korperim R

n.

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26 BERNHARD HANKE

Definition. eine Teilmenge K ⊂ Rn heißt konvex, falls mit je zwei Punktenx, y ∈ K auch die Verbindungsstrecke {tx + (1 − t)y | 0 ≤ t ≤ 1} in Kliegt. Ein konvexer Korper im R

n ist eine abgeschlossene konvexe Teilmengevon Rn. Ist K ⊂ Rn eine beliebige Teilmenge, so ist die konvexe Hulle vonK der Durchnitt aller konvexen Teilmengen von Rn, die K enthalten (daRn selbst konvex ist, bildet man hier den Durchschnitt uber ein nichtleeres

Mengensystem).

Da der Durchschnitt konvexer Mengen offenbar wieder konvex ist, ist diekonvexe Hulle von K ⊂ Rn selbst konvex. Sie ist die kleinste konvexe Menge,die K enthalt.

Proposition 7.4. Es sei K ⊂ Rn ein konvexer Korper und 0 ∈ int(K).Dann schneidet jeder Strahl im R

n mit Anfangspunkt 0 den Rand von K inhochstens einem Punkt. Ist K zusatzlich beschrankt (also kompakt), dannschneidet jeder Strahl den Rand von K in genau einem Punkt.

Proof. Es sei R ein Strahl mit Anfangspunkt 0 und es seien p, q ∈ R ∩ Kverschiedene Punkte. Wir zeigen, dass mindestens einer der Punkte p oder qim Inneren von K liegt (daraus folgt, dass nicht beide Punkte auf dem Randvon K liegen konnen). Es sei q auf dem Strahl R weiter von 0 entfernt als p.Da 0 ∈ int(K) gibt es eine offene Kugel B ⊂ K, die 0 enthalt. Es sei Cq(B)die Vereinigung aller Strecken, die q und einen Punkt aus B verbinden. DaK konvex ist, gilt Cq(B) ⊂ K. Der Punkt p liegt dann im Inneren von Cq(B)und somit auch im Inneren von K.

Sei nun K kompakt. Ist R ⊂ Rn ein Strahl mit Anfangspunkt 0, so enthaltR Punkte aus dem Inneren von K (da 0 ∈ int(K)) und Punkte aus Rn \K(sonst ware K unbeschrankt). Da R ≈ [0,∞) zusammenhangend ist, mussaber R noch weitere Punkte enthalten (denn int(K) und Rn \K sind beideoffen). Es gilt aber Rn \ (int(K) ∪ (Rn \K)) = ∂K. �

Proposition 7.5. Es sei K ⊂ Rn ein beschrankter (also auch kompakter)konvexer Korper mit 0 ∈ int(K). Dann ist die Abbildung

f : ∂K → Sn−1 , x 7→ x

‖x‖

ein Homoomorphismus.

Proof. Die Abbildung f ist als Komposition der Inklusion ∂K ↪→ Rn \ 0 mit

der radialen Retraktion x 7→ x‖x‖ stetig. Die vorhergehende Proposition zeigt,

dass f bijektiv ist. Damit ist f ein Homoomorphismus, da ∂K kompakt undSn−1 Hausdorffsch ist. �

Proposition 7.6. Es sei K ⊂ Rn ein kompakter konvexer Korper mit nicht-leerem Inneren. Dann ist K homoomorph zum abgeschlossenen EinheitsballDn = B1(0) ⊂ Rn und ∂K ist homoomorph zu Sn−1 = ∂Dn.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 27

Proof. Nach einer Translation konnen wir annehmen, dass 0 ∈ int(K). Essei f : ∂K → Sn−1 wie in der vorhergehenden Proposition. Wir definierenF : Dn → K durch

x 7→ ‖x‖f−1(x

‖x‖) , falls x 6= 0 ,

und F (0) = 0. Die Funktion F ist injektiv und surjektiv und stetig aufDn \ {0}. Stetigkeit von F an 0 ∈ Dn folgt daraus, dass ‖x‖ fur alle x ∈ Kdurch eine feste Zahl M ∈ R nach oben beschrankt ist und somit ‖F (x)‖ ≤M‖x‖ fur alle x ∈ K. Somit ist F ein Homoomorphismus, da Dn kompaktund K Hausdorffsch ist. Die zweite Behauptung in der Proposition folgt nununmittelbar. �

Da ∆n homoomorph zu einem kompakten konvexen Korper im Rn mit

nichtleerem Inneren ist, folgt nun:Korollar 7.7. ∆n ≈ Dn, ∂∆n ≈ Sn−1.

Ist (X,Σ) ein abstrakter Simplizialkomplex und X endlich, so kann mansich die geometrische Realisierung |Σ| auch folgendermaßen vorstellen. Essei |X| = n, der Einfachheit schreiben wir X = {1, 2, 3, . . . , n} und es seienn affin unabhangige Punkte x1, . . . , xn ∈ RN gegeben, wobei N groß ge-nug gewahlt wurde. Wir betrachten nun die Vereinigung all jener affinenSimplizes im R

N , die von Punkten xi1 , . . . , xik aufgespannt werden, falls{i1, . . . , ik} ∈ Σ; so ein Simplex ist gegeben durch die Teilmenge

{k∑i=1

tixik | 0 ≤ ti ≤ 1 ,∑

ti = 1} ⊂ RN .

Die Vereinigung all dieser affinen Simplizes ist (mit der von RN induziertenTopologie) homoomorph zu |Σ|.

8. Metrisierbarkeit

Lemma 8.1 (Lemma von Urysohn). Es sei X ein normaler topologischerRaum, F ⊂ U ⊂ X Teilmengen von X, wobei F abgeschlossen und U offenist. Dann gibt es eine stetige Funktion f : X → [0, 1], die auf F konstantgleich 0 und auf X \ U konstant gleich 1 ist.

Proof. In einem ersten Schritt konstruieren wir fur jede dyadische Zahl r =m2n , 0 ≤ m ≤ 2n eine offene Teilmenge Ur ⊂ X, wobei

r < s⇒ Ur ⊂ Usund F ⊂ U0, U ⊂ U1. Die Konstruktion benutzt Induktion nach n. Zunachstsetzen wir U1 := U und wahlen unter Ausnutzung der Normalitat von X eineoffene Menge U0 ⊂ X mit F ⊂ U0 und U0 ⊂ U1. Im nachsten Schritt wahlenwir wieder unter Ausnutzung der Normalitat von X eine offene TeilmengeU1/2 mit

U0 ⊂ U1/2 , U1/2 ⊂ U1 .

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28 BERNHARD HANKE

Im nachsten Schritt wahlen wir offene Mengen U1/4, U3/4 ⊂ X mit

U0 ⊂ U1/4 , U1/4 ⊂ U1/2 , U1/2 ⊂ U3/4 , U3/4 ⊂ U1 .

Dieses Verfahren setzen wir fort.Wir definieren nun

f : X → R , x 7→ inf{r ∈ [0, 1] | x ∈ Ur} ,falls x ∈ U1 und f(x) = 1, falls x /∈ U1. Offensichtlich gilt f = 0 auf F undf = 1 auf X \ U . Zu zeigen bleibt die Stetigkeit von f . Sind α, β ∈ R, sosind die Urbilder

f−1((−∞, α)) = {x ∈ X | f(x) < α} =⋃r<α

Ur ,

f−1((β,∞)) = {x ∈ X | f(x) > β} =⋃r>β

(X \ Ur) =⋃s>β

(X \ Us)

offen in X (bei der letzten Gleichheit verwenden wir Ur ⊂ Us fur alle dya-dischen Zahlen r < s). Da die Mengen der Form (−∞, α) und (β,∞) eineSubbasis der Topologie auf R bilden, ist die Stetigkeit von f bewiesen. �

Definition. Ein topologischer Raum erfullt das zweite Abzahlbarkeitsaxiom,falls eine abzahlbare Basis der Topologie existiert.

Der folgende Satz zeigt die Bedeutung normaler Raume.Satz 8.2 (Metrisierbarkeitssatz von Urysohn). Es sei X ein topologischerRaum, der das zweite Abzahlbarkeitsaxiom erfullt. Dann ist X genau dannmetrisierbar, wenn er normal ist.

Proof. Wir haben bereits in den Ubungen gezeigt, dass jeder metrisierba-re Raum normal ist. Es sei nun X ein normaler topologischer Raum, derdas zweite Abzahlbarkeitsaxiom erfullt. Wir konstruieren einen metrischenRaum M und eine Einbettung

f : X →M

(d.h. f induziert einen Homoomorphismus f : X → f(X)). Damit ist Xhomoomorph zu einem metrisierbaren Raum (namlich f(X) ⊂M) und da-mit selbst metrisierbar.

Es sei B eine abzahlbare Basis der Topologie auf X. Falls U, V ∈ B mitU ⊂ V , so wahlen wir (mit Hilfe des Lemmas von Urysohn) eine stetigeFunktion fU,V : X → [0, 1], die auf U gleich 0 und auf X \V konstant gleich1 ist. Wir betrachten nun die Abbildung

f : X →M :=∏

U,V ∈B,U⊂V

[0, 1] , x 7→ (fU,V (x)) .

Wir behaupten, dass f eine Einbettung ist. Offensichtlich ist f stetig (dadie einzelnen Komponenten stetig sind).

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 29

Um zu zeigen, dass f ein Homoomorphismus ist, zeigen wir, dass dieinduzierte Abbildung f : X → f(X) abgeschlossen ist, d.h. ist C ⊂ Xabgeschlossen, dann auch f(C) ⊂ f(X). (Wir behaupten ubrigens nicht,dass f selbst abgeschlossen ist, also dass f(X) ⊂ M abgeschlossen ist). Seidazu φ : D → C ein Netz, so dass das Netz f ◦ φ : D → M gegen einenPunkt in f(X) konvergiert. Es gibt ein x ∈ X, so dass dieser Punkt gleichf(x) ist. Wir zeigen, dass x ∈ C. Daraus folgt f(x) ∈ f(C) und damitenthalt f(C) alle seine Randpunkte (als Teilraum von f(X)) und ist damitabgeschlossen in f(X). Falls aber x /∈ C, so gibt es eine offene BasismengeV ∈ B mit x ∈ V und V ∩ C = ∅. Wegen der Normalitat von X (wegender Hausdorffeigenschaft von X ist {x} ⊂ X abgeschlossen) existiert nunnoch eine offene Umgebung U von x mit U ⊂ V (eigentlich finden wir offenetrennende Umgebungen U1, U2 von {x} und X \V . Wir setzen dann einfachU := U1). Durch eventuelle Verkleinerung von U konnen wir annehmen, dassU ∈ B. Das Netz fU,V ◦φ : D → C ist nun konstant gleich 1 (denn C ⊂ X\V )und kann daher nicht gegen fU,V (x) = 0 konvergieren. Widerspruch.

Die Abbildung f ist schließlich noch injektiv: Falls x, y ∈ X und x 6= y,so gibt es (wie gerade eben vorgefuhrt) offene Basismengen U, V ∈ B mitx ∈ U , y ∈ X \V und U ⊂ V und dann trennt bereits die Funktion fU,V diePunkte x und y.

Die Abbildung f ist somit als Homoomorphismus auf ihr Bild nachge-wiesen. Als abzahlbares Produkt von metrisierbaren Raumen ist M selbstmetrisierbar (siehe Ubungsblatt 4, Aufgabe 3). Damit ist alles gezeigt.

Der Metrisierbarkeitssatz von Urysohn setzt das zweite Abzahlbar-keitsaxiom voraus. Wir zitieren nun ohne Beweis ein Resultat, dass fur belie-bige topologische Raume eine notwendige und hinreichende Bedingung furMetrisierbarkeit angibt.

Definition.• Es sei X ein topologischer Raum. Eine Menge T von Teilmengen vonX heißt lokalendlich, wenn jeder Punkt in X eine Umgebung besitztdie nur endlich viele in T enthaltene Mengen trifft.• Wir nennen einen topologischen Raum X regular, wenn er Haus-

dorffsch ist und sich fur jeden Punkt x ∈ X und jede abgeschlosseneMenge C ⊂ X mit x /∈ C disjunkte Umgebungen von x und C findenlassen.

Regularitat ist also starker als die Hausdorffeigenschaft und schwacher alsNormalitat.Satz 8.3 (Metrisierbarkeitssatz von Bing-Nagata-Smirnov). Ein topologi-scher Raum X ist genau dann metrisierbar, wenn er eine Basis B besitzt,deren Elemente sich auf abzahlbar viele lokalendliche Teilmengen von B ver-teilen.

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30 BERNHARD HANKE

9. Der Erweiterungssatz von Tietze

Satz 9.1. Es sei X ein normaler Raum und F ⊂ X eine abgeschlosseneTeilmenge. Ist f : F → R stetig, so existiert eine stetige Fortsetzung g : X →R von f , d.h. g|F = f . Wir konnen außerdem erreichen, dass supx∈F f(x) =supx∈X g(x) und infx∈F f(x) = infx∈X g(x).

Die Funktion g wird als Limes einer gleichmaßig konvergenten Funktio-nenfolge konstruiert.

Definition. Es sei X ein topologischer Raum und (Y, d) ein metrischerRaum. Eine Folge von Abbildungen (fn)n∈N, fn : X → Y konvergiertgleichmaßig gegen f : X → Y , falls fur alle ε > 0 ein N ∈ N existiertmit

d(fn(x), f(x)) < ε ,

fur alle x ∈ X und alle n ≥ N .

Mit dem ublichen ε/3-Argument beweist man:Proposition 9.2. Es seien X,Y wie eben und (fn) eine gleichmaßig gegendie Funktion f : X → Y konvergente Folge stetiger Abbildungen. Dann istauch f stetig.

Wir kommen nun zum Beweis des Satzes von Tietze. Sei zunachst fbeschrankt. Ohne Einschrankung sei 0 ≤ f(x) ≤ 1 fur alle x ∈ X undsup f = 1, inf f = 0. Nach dem Lemma von Urysohn existiert eine stetigeAbbildung g1 : X → [0, 1/3] mit

g1(x) ={

0, falls x ∈ F und f(x) ≤ 1/3 ,1/3, falls x ∈ F und f(x) ≥ 2/3 .

Wir setzen f1 := f − g1|F und bemerken, dass 0 ≤ f1(x) ≤ 2/3 fur allex ∈ F . Induktiv nehmen wir an, wir haben bereits eine stetige Abbildungfn : F → R konstruiert mit 0 ≤ fn(x) ≤ (2/3)n fur alle x ∈ F . Wir findendann eine Funktion gn+1 : X → [0, 1/3 · (2/3)n], wobei

gn+1(x) ={

0, falls x ∈ F und fn(x) ≤ 1/3 · (2/3)n ,1/3 · (2/3)n, falls x ∈ F und fn(x) ≥ 2/3 · (2/3)n .

Wir setzen fn+1 := fn − gn+1|F .Nach Konstruktion konvergiert die Reihe

∞∑n=0

gn

stetiger Funktionen gleichmaßig gegen eine Funktion g : X → [0, 1]. Daherist g insbesondere stetig. Falls x ∈ F , so gilt nach Konstruktion

fn(x) = f(x)− (g1(x) + g2(x) + . . .+ gn(x))

und 0 ≤ fn(x) ≤ (2/3)n. Somit gilt g|F = f und die Konstruktion von g istbeendet. Die Bedingung an die Schranken von g ist ebenfalls erfullt, denn0 ≤ g(x) ≤ 1 fur alle x ∈ X.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 31

Es sei nun f unbeschrankt, sagen wir, f ist unbeschrankt in beide Richtun-gen. Wir wahlen einen Homoomorphismus h : (−∞,∞)→ (0, 1) und erwei-tern die Funktion h◦f : F → (0, 1) zu einer stetigen Funktion g : X → [0, 1]wie eben beschrieben. Wir konnen nun nicht einfach mit dem Inversen von hkomponieren, da g durchaus die Werte 0 oder 1 annehmen kann. Wir mussendaher g auf der Menge

C := {x ∈ X | g(x) = 0 oder g(x) = 1}noch abandern, jedoch ohne dabei g auf F zu andern. Die Menge C istabgeschlossen und wegen g = f auf F gilt C∩F = ∅. Nach Urysohn existierteine stetige Funktion k : X → [0, 1], die auf C konstant gleich 0 und auf Fkonstant gleich 1 ist. Wir ersetzen nun g durch die Funktion

g : x 7→ k(x) · g +12

(1− k(x)) .

Das Bild dieser Funktion liegt in (0, 1) und sie stimmt auf F mit h ◦ fuberein. Daher ist h−1 ◦ g die gewunschte Erweiterung von f . Die anderenFalle (wenn f nur in eine Richtung unbeschrankt ist) behandelt man analog.

10. Homotopie

Definition. Es seien f, g : X → Y zwei stetige Abbildungen zwischen to-pologischen Raumen X und Y . Wir sagen f ist homotop zu g, falls es einestetige Abbildung

H : X × [0, 1]→ Y

gibt mit H(−, 0) = f und H(−, 1) = g. In diesem Falle schreiben wir f ' g.

Die folgenden Tatsachen sind leicht zu zeigen:Proposition 10.1. • Die Relation ”f ist homotop zu g“ ist eine

Aquivalenzrelation.• Es seien f, g : X → Y , h : X ′ → X und k : Y → Y ′ stetige

Abbildungen. Gilt f ' g, so auch f ◦ h ' g ◦ h und k ◦ f ' k ◦ g.

Proof. Wir diskutieren nur die Transitivitat der Homotopierelation (die an-deren Behauptungen sind recht leicht zu zeigen). Es sei H : X × [0, 1]→ Yeine Homotopie von f : X → Y nach g : X → Y und G : X × [0, 1] → Yeine Homotopie von g : X → Y nach h : X → Y . Wir behaupten, dass dann

K : X × [0, 1]→ Y , (x, t) 7→{

H(x, 2t) , falls 0 ≤ t ≤ 1/2G(x, 2t− 1) , falls 1/2 ≤ t ≤ 1

eine Homotopie von f nach h ist. Zu zeigen bleibt nur, dass K wohldefi-niert und stetig ist. Wohldefiniertheit ist klar (denn H(−, 1) = G(−, 0)).Die Stetigkeit gilt wegen der folgenden allgemeinen Tatsache (”stuckweisedefinierte stetige Abbildungen“): Es sei T ein topologischer Raum und (Ti)eine Uberdeckung von T durch endlich viele abgeschlossene Mengen. Sinddann fi : Ti → S stetige Abbildungen in einen festen topologischen Raum S

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32 BERNHARD HANKE

und stimmen fur alle i, j die Abbildungen fi und fj auf dem Uberlapp Ti∩Tjuberein, dann ist die Abbildung T → S, t 7→ fi(t), falls t ∈ Ti, stetig. �

Beispiel.• Es sei Y ⊂ Rn eine konvexe Menge (d.h. mit je zwei Punkten x, y ∈ Y

liegt auch die Strecke von x nach y in Y ). Dann sind zwei Abbildun-gen f, g : X → Y immer homotop, denn sie lassen sich durch einelineare Homotopie

H(x, t) := tg(x) + (1− t)f(x)

verbinden.• Ist X = {p} ein einpunktiger Raum, so sind Homotopien H :X × [0, 1] → Y nichts anderes als Wege in Y mit AnfangspunktH(p, 0) und Endpunkt H(p, 1). Solche Wege schreiben wir einfacherals Abbildungen γ : [0, 1] → Y . Ist η : [0, 1] → Y ein weiterer Wegund gilt γ(1) = η(0), so konnen wir den zusammengesetzten Wegγ · η : [0, 1]→ Y mit

t 7→{

γ(2t) , 0 ≤ t ≤ 1/2η(1− 2t) , 1/2 ≤ t ≤ 0

definieren. Wie oben zeigt man die Stetigkeit von γ ·η (”erst γ, dannη“).

Definition. Eine stetige Abbildung f : X → Y ist eine Homotopieaqui-valenz, falls eine stetige Abbildung g : Y → X existiert mit g ◦ f ' idXund f ◦ g ' idY . In diesem Fall nennt man g ein Homotopieinverses zuf . Existiert eine Homotopieaquivalenz X → Y , so nennen wir X und Yhomotopieaquivalent, geschrieben X ' Y .

Die Relation ”X und Y sind homotopieaquivalent“ definiert eine Aquiva-lenzrelation auf der Klasse der topologischen Raume. Symmetrie und Refle-xivitat sind klar. Transitivitat sieht man so: Ist f : X → Y eine Abbildungmit Homotopieinverser g : Y → X und ist h : Y → Z eine Abbildung mitHomotopieinverser k : Z → Y , so gilt

(gk)(hf) = g(kh)f ' g ◦ idY ◦ f ' idX

und entsprechend ist (hf)(gk) ' idZ . Die Aquivalenzklassen bezuglich dieserAquivalenzrelation nennt man Homotopietypen.

Definition. Ein topologischer Raum heißt kontrahierbar, wenn er homoto-pieaquivalent zum einpunktigen Raum ist.

Ein Raum X ist offensichtlich genau dann kontrahierbar, wenn die Iden-titat X → X homotop zu einer Abbildung X → X ist, deren Bild aus genau

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 33

einem Punkt besteht. Dabei kann dieser Punkt beliebig in X gewahlt wer-den. Nach dem obigen Beispiel sind also nichtleere konvexe Teilmengen imRn immer kontrahierbar.Der Beweis der folgenden Tatsache ist eine Ubung.

Lemma 10.2. Es sei X ein topologischer Raum und Y ein kontrahierbarertopologischer Raum. Dann sind alle stetigen Abbildungen X → Y homotop.Proposition 10.3. Die Spharen Sn ⊂ Rn+1 sind nicht kontrahierbar.

Wir fuhren den Beweis an dieser Stelle nur fur n = 0, 1 explizit aus. DieFalle n ≥ 2 konnen wir mit den Mitteln dieser Vorlesung leider noch nichtbehandeln.

Proof. Fur n = 0 gilt S0 = {±1} ⊂ R. Angenommen

id : S0 → S0

ist homotop zur konstanten Abbildung c : S0 → S0 mit Wert −1. Es seiH : S0 × [0, 1] → S0 eine entsprechende Homotopie. Dann definiert aberH(+1,−) : [0, 1]→ S0 einen Weg von +1 nach −1 und dies widerspricht derTatsache, dass S0 nicht zusammenhangend ist.

Wir zeigen mit Hilfe des Begriffes der Windungszahl, dass S1 nicht kon-trahierbar ist. Angenommen, S1 sei kontrahierbar. Dann ist die Identitatid : S1 → S1 also homotop zu einer konstanten Abbildung S1 → S1. Fassenwir S1 als Teilmenge von C \ {0} auf, dann ist die Abbildung

γ1 : S1 → C \ {0} , x 7→ x

homotop zu einer konstanten Abbildung

γ0 : S1 → C \ 0 .

Jeder stetigen Abbildung γ : S1 7→ C\{0} kann man aber eine Windungszahl

W (γ) :=1

2πi

∫γ

dz

z

zuordnen (wir fassen hier γ als geschlossene Kurve in C \ {0} auf) undman zeigt in der Analysis mit Hilfe des Satzes von Stokes, dass diese Win-dungszahl sich unter einer Homotopie von γ nicht andert (und außerdemganzzahlig ist). Da aber W (γ1) = 1 und W (γ0) = 0, kann γ1 nicht homotopzu γ0 sein. �

Definition. Es seien f, g : X → Y stetige Abbildungen und A ⊂ X eineTeilmenge. Wir nennen f und g homotop relativ zu A, falls es eine HomotopieH : X × [0, 1] → Y von f nach g gibt mit H(a, t) = H(a, 0) fur alle a ∈ A,t ∈ [0, 1]. Wir schreiben dann f ' g rel A.

Definition. Es sei X ein topologischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge.Wir nennen A einen Retrakt von X, falls es eine Retraktion r : X → A gibt,d.h. r ist stetig und r|A = idA. Wir nennen A einen Deformationsretrakt von

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34 BERNHARD HANKE

X, falls es eine Retraktion r : X → A gibt, so dass die Abbildung i◦r ' idX .Dabei ist i : A → X die Inklusion. Weiterhin nennt man A einen starkenDeformationsretrakt von X, falls es eine Retraktion r : X → A gibt mitidX ' i ◦ r rel A.

Ist A ⊂ X ein Deformationsretrakt, so sind insbesondere A und X ho-motopieaquivalent. Als homotopieinverses Paar von Abbildungen kann mandie Inklusion i : A ↪→ X und eine Retraktion r : X → A mit i ◦ r ' idXnehmen. Dann ist r ◦ i = idA und i ◦ r ist zur Identitat homotop.

Wir erwahnen das folgende nutzliche Lemma, das grob besagt, dass wirHomotopien mit Verklebungen vertauschen durfen. Es wird in den Ubungenbewiesen.Lemma 10.4. Es sei X ein topologischer Raum und ∼ eine Aquivalenzre-lation auf X. Diese Aquivalenzrelation induziert eine Aquivalenzrelation aufX × [0, 1] durch

(x, t) ∼ (x′, t′)⇔ t = t′, x ∼ x′ .Dann sind die Raume (X × [0, 1])/ ∼ und (X/ ∼) × [0, 1] kanonischhomoomorph.

Beispiel. Die Abbildung

γ : I := [0, 1]→ S1 , s 7→ e2πi·s

ist homotop zu einer konstanten Abbildung indem wir γ mit der Homotopie

I × [0, 1]→ I , (s, t) 7→ s · t

komponieren. γ ist aber nicht homotop zu einer konstanten Abbildunge rela-tiv zu {0, 1} ⊂ I. Angenommen, H : I× [0, 1]→ S1 ware so eine Homotopie.Da H(0, t) = H(1, t) = 1 fur alle t, faktorisiert H durch die Abbildung

q : I × [0, 1]→ S1 × [0, 1] , (s, t) 7→ (e2πis, t) .

Diese Abbildung ist eine Identifizierung nach Lemma 10.4 und damit indu-ziert H eine stetige Abbildung S1 × I → S1, die offensichtlich eine Homo-topie von der Identitat S1 → S1 zur konstanten Abbildung S1 → S1, x 7→ 1darstellt. Dies ist aber nach Proposition 10.3 unmoglich.

Beispiel. Es sei f : X → Y eine stetige Abbildung. Dann ist Y ein starkerDeformationsretrakt des Abbildungszylinders Zf = Y ∪f0 X × [0, 1]. EineDeformationsretraktion ist durch die Homotopien

H1 : Y × [0, 1]→ Y , (y, t) 7→ y

und

H2 : (X × [0, 1])× [0, 1]→ X × [0, 1] , ((x, s), t) 7→ (x, s(1− t))

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 35

gegeben. (Wir erhalten dann zunachst eine Homotopie (Y ∪(X × [0, 1])) ×[0, 1]→ Y . Diese faktorisiert aber offensichtlich durch die Abbildung

(Y ∪(X × [0, 1])× [0, 1]→ Zf × [0, 1]

und induziert somit wieder nach Lemma 10.4 eine Homotopie Zf × [0, 1]→Y ).

Definition. Es sei X ein topologischer Raum. Wir definieren dann π0(X)als die Menge der Wegekomponenten von X.

Ist ∼ die Aquivalenzrelation, die Punkte identifiziert, falls sie in der glei-chen Wegekomponente liegen, so gilt also π0(X) = X/ ∼.Proposition 10.5. Es sei f : X → Y eine stetige Abbildung. Dann indu-ziert f eine Abbildung

f∗ : π0(X)→ π0(Y ) .

Falls f ' g, so gilt f∗ = g∗. Ist weiterhin Z ein topologischer Raum undg : Y → Z eine stetige Abbildung, so gilt

(g ◦ f)∗ = g∗ ◦ f∗ .

Außerdem haben wir idX∗ = idπ0(X).

Proof. Die Abbildung f bildet Punkte, die sich durch einen Weg verbindenlassen, wieder auf Punkte ab, die sich durch einen Weg verbinden lassen.Daher faktorisiert die Komposition

Xf→ Y → Y/ ∼

durch X/ ∼ und induziert die gesuchte Abbildung f∗ : π0(X) → π0(Y ). Istf ' g mit einer Homotopie H : X × [0, 1] → Y , so lassen sich fur jedesx ∈ X die Werte f(x) und g(x) durch den Weg H(x,−) verbinden unddamit stimmen die Kompositionen

Xf→ Y → Y/ ∼

undX

g→ Y → Y/ ∼uberein. Dies impliziert f∗ = g∗. Die anderen Aussagen der Proposition sindsehr leicht zu zeigen. �

Korollar 10.6. Ist f : X → Y eine Homotopieaquivalenz, so ist f∗ :π0(X)→ π0(Y ) bijektiv.

Proof. Es sei g : Y → X ein Homotopieinverses zu f . Dann ist

g∗ ◦ f∗ = (g ◦ f)∗ = (idX)∗ = idπ0(X) .

Die andere Komposition behandelt man analog. �

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36 BERNHARD HANKE

11. Die Fundamentalgruppe

Lemma 11.1 (Reparametrisierungslemma). Es seien φ1, φ2 : [0, 1]→ [0, 1]stetige Abbildung, die auf {0, 1} ubereinstimmen. Es sei F : P × [0, 1] → Yeine Homotopie. Setzen wir Gi(p, t) := F (p, φi(t)), so sind die AbbildungenG1, G2 : P × [0, 1]→ Y homotop relativ zu P × {0, 1}.

Proof. Die gesuchte Homotopie H : (P × [0, 1])× [0, 1]→ Y ist durch

(p, t, s) 7→ F (p, sφ2(t) + (1− s)φ1(t))

gegeben. �

Wir wenden dieses Lemma im folgenden fur einpunktige Raume P , d.h.fur Wege in Y an.

Es sei X ein topologischer Raum und x0 ∈ X ein festgewahlter Punkt(”Basispunkt“); wir sprechen auch von einem punktierten Raum. Wir defi-nieren nun

π1(X,x0)als die Menge aller geschlossenen Wege γ : [0, 1]→ X mit γ(0) = γ(1) = x0

von x0 nach x0 modulo der Aquivalenzrelation

γ1 ∼ γ2 ⇔ γ1 ' γ2 rel {0, 1} ,d.h. wir identifizieren geschlossene Wege, die sich uber geschlossene in x0

basierte Wege ineinander homotopieren lassen. Die durch γ : [0, 1] → Xreprasentierte Klasse in π1(X,x0) bezeichnen wir mit [γ].

Es sei cx0 der konstante Wege in X mit Wert x0. Ist γ ein Weg in X, sobezeichnet γ−1 : [0, 1]→ X, t 7→ γ(1− t) den zu γ inversen Weg.Proposition 11.2. Die Hintereinanderschaltung von Wegen

(γ1, γ2) 7→ γ1 · γ2

induziert eine Gruppenstruktur auf π1(X,x0) mit neutralem Element [cx0 ].

Proof. Ist γ1 ' γ′1 rel {0, 1} und γ2 ' γ′2 rel {0, 1}, so gilt auch γ1 · γ2 'γ′1 · γ′2 rel {0, 1}. Dazu setzt man die entsprechenden Homotopien horizontalzusammen. Wir erhalten also eine wohldefinierte Verknupfung auf π1(X,x0).Das Assoziativgesetz folgt nun aus

γ1 · (γ2 · γ3) ' (γ1 · γ2) · γ3 rel {0, 1}(fur in x0 basierte Schleifen γ1, γ2, γ3). Diese Homotopie erhalt man ausdem Reparametrisierungslemma, wobei wir als P einen einpunktigen Raumwahlen, die Homotopie F : P × [0, 1] → Y als γ1 · (γ2 · γ3), die Abbildungφ1 : [0, 1]→ [0, 1] als die Identitat und die Abbildung φ2 durch

t 7→

2t, 0 ≤ t ≤ 1/4t+ 1/4, 1/4 ≤ t ≤ 1/2(t+ 1)/2, 1/2 ≤ t ≤ 1

definieren. Die Neutralitat von [cx0 ] folgt aus

cx0 · γ ' γ ' γ · cx0 rel {0, 1}

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 37

und dies beweist man ganz ahnlich wieder mit dem Reparametrisierungs-lemma. Die Existienz von Inversen folgt aus

γ−1 · γ ' cx0 ' γ · γ−1 rel {0, 1} .

Hier benutzen wir das Reparametrisierungslemma mit F (p, t) := γ(t),

φ1(t) :={

2t , 0 ≤ t ≤ 1/21− 2t , 1/2 ≤ t ≤ 1 .

und φ2(t) := 0. �

Wir schreiben die Verknupfung auf π1(X,x0) ebenfalls als ·, also

[γ1] · [γ2] := [γ1 · γ2] .

Wir nennen die π1(X,x0) mit der soeben eingefuhrten Gruppenstruktur dieFundamentalgruppe von (X,x0). Ist P = {p} ein einpunktiger Raum, so giltoffensichtlich

π1(P, p) = 1 .

Dabei bezeichnet hier und im folgenden 1 die Gruppe mit einem (dem neu-tralen) Element.

Offensichtlich hangt π1(X,x0) nur von der Wegekomponenten von X ab,die x0 enthalt. Die Abhangigkeit vom Basispunkt x0 ist jedoch subtiler.Proposition 11.3. Es seien x0, x1 ∈ X Basispunkte in der gleichen Zu-sammenhangskomponenten von X. Dann induziert jeder Weg η : [0, 1]→ Xvon x0 nach x1 einen Isomorphismus

hη : π1(X,x1) ∼= π1(X,x0) .

Es gilt hη = hη′, falls η ' η′ rel {0, 1}.

Proof. Der Isomorphismus ist durch

hη : π1(X,x1)→ π1(X,x0) , [γ] 7→ [η · γ · η−1]

gegeben (dabei ist γ eine in x1 basierte geschlossene Kurve in X). Wirkonnen auf der rechten Seite innerhalb der eckigen Klammern auf rundeKlammern verzichten, denn

(η · γ) · η−1 ' η · (γ · η−1) rel {0, 1}

wie man ahnlich zu oben mit dem Reparametrisierungslemma zeigt. ZurWohldefiniertheit nehmen wir an, [γ′] = [γ]. Man zeigt dann leicht, dassη · γ · η−1 ' η · γ′ · η−1. Ganz ahnlich beweist man, dass hη = hη′ , fallsη ' η′ rel {0, 1}. Die Tatsache, dass hη ein Homomorphismus ist folgt aus

hη([γ] · [γ′]) = [η · γ · γ′ · η−1] = [η · γ · η−1 · η · γ′ · η−1] = hη([γ]) · hη([γ′]) ,

wobei wir η−1 · η ' cx0 rel {0, 1} benutzt haben. Man zeigt leicht, dass hη−1

ein Inverses zu hη ist. �

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38 BERNHARD HANKE

Ist η′ ein anderer (moglicherweise nicht zu η homotoper) Weg von x0

nach x1, so definiert η · (η′)−1 ein Element κ ∈ π1(X,x0) und es gilt fur alleg ∈ π1(X,x1), dass

hη(g) = κ · hη′(g) · κ−1 .

Somit gilt im allgemeinen hη 6= hη′ , falls π1(X,x0) nicht abelsch ist (dies istdurchaus moglich wie wir in Kurze sehen werden).

Es seien nun (X,x0) und (Y, y0) punktierte Raume. Wir nennen einestetige Abbildung f : X → Y basispunkterhaltend oder punktiert, fallsf(x0) = y0. Ist f : X → Y eine punktierte Abbildung, so definieren wireine Abbildung

f∗ : π1(X,x0)→ π1(Y, y0)

durch die Setzungf∗([γ]) := [f ◦ γ] .

Diese Abbildung ist wohldefiniert, denn ist H : [0, 1] × [0, 1] → X eineHomotopie von γ nach γ′ relativ {0, 1}, so ist f ◦H eine Homotopie von f ◦γnach f ◦γ′ relativ {0, 1}. Indem man die Definition der Gruppenverknupfungauf π1 und die Definition des neutralen Elementes einsetzt, erhalt man:Proposition 11.4. Die Abbildung f∗ : π1(X,x0)→ π1(Y, y0) ist ein Grup-penhomomorphismus. Sind f : (X,x0) → (Y, y0) und g : (Y, y0) → (Z, z0)punktierte stetige Abbildungen, so gilt

(g ◦ f)∗ = g∗ ◦ f∗ .

Fur die (offensichtlich basispunkterhaltende) Abbildung idX : X → X habenwir

idX∗ = idπ1(X,x0) .

Sind weiterhin f, g : X → Y punktierte stetige Abbildungen und ist f 'g rel {x0}, so haben wir

f∗ = g∗ .

Definition. Wir nennen einen topologischen Raum X einfach zusam-menhangend, falls X wegzusammenhangend ist und π1(X,x0) = 1 (Grup-pe mit einem Element) fur ein (und damit nach Proposition 11.3 fur alle)x0 ∈ X.

Proposition 11.5. Ist X zusammenziehbar, so ist X einfach zusam-menhangend.

Dass X wegzusammenhangend ist, ist klar. Zum Beweis von π1(X,x0) = 1sei P = {p} ein einpunktiger Raum und i : P → X und f : X → P ein Paarvon Abbildungen mit i ◦ f ' idX und f ◦ i ' idP (dies ist ohnehin klar).Wir erhalten induzierte Abbildungen

i∗ : π1(P, p)→ π1(X, i(p)) , f∗ : (X, i(p))→ (P, p) .

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 39

Offensichtlich ist f ◦ i ' idP rel {p} und somit haben wir mit Proposition11.4

f∗ ◦ i∗ = (f ◦ i)∗ = (idP )∗ = idπ1(P,p) .

Da π1(P, p) = 1, haben wir also bereits ”eine Halfte“ der letzten Propositiongezeigt. Dass i∗ ◦ f∗ = idπ1(X,x0) ist jedoch nicht so einfach zu zeigen, da wirnicht annehmen konnen, dass i ◦ f ' idX relativ zu x0 (d.h. es konnte sein,dass der Basispunkt x0 wahrend der Homotopie bewegt werden muss).

Die Aussage von Proposition 11.5 folgt aber (mit Y := P und (X,x0), fwie eben) aus:Proposition 11.6. Es seien X und Y wegzusammenhangende Raume undes sei x0 ∈ X ein Basispunkt. Ist f : X → Y eine Homotopieaquivalenz, soinduziert f einen Isomorphismus

f∗ : π1(X,x0)→ π1(Y, f(x0)) .

Diese Proposition ist insofern allgemeiner als fur den Beweis von Pro-position 11.5 benotigt als wir hier nicht einmal annehmen, dass f einHomotopieinverses g : Y → X hat mit g(f(x0)) = x0. Das heißt, wirhaben nicht einmal einen Kandidaten fur eine zu f∗ inverse Abbildungπ1(Y, f(x0))→ π1(X,x0).

Proof. Es sei g : Y → X homotopieinvers zu f . Wir setzen y0 := f(x0) undx1 := g(y0). Wir erhalten Abbildungen

π1(X,x0)f∗→ π1(Y, y0)

g∗→ π1(X,x1) .

Die Abbildung g ◦ f ist homotop zu idX , jedoch nicht unbedingt rel {x0}.Wir konnen also nicht unmittelbar folgern, dass g∗ ◦ f∗ = idπ1(X,x0). Daherargumentieren wir wie folgt: Es sei

H : X × [0, 1]→ X

eine Homotopie von g ◦ f nach idX . Es sei

η : [0, 1]→ X

der Weg von x1 nach x0, den der Punkt x1 wahrend dieser Homotopie be-schreibt. Ist nun γ : [0, 1]→ X eine in x0 basierte Schleife, so gilt

g∗ ◦ f∗([γ]) = hη([γ])

und da hη : π1(X,x0) → π1(X,x1) ein Isomorphismus ist, folgt, dass auchg∗ ◦ f∗ ein Isomorphismus ist. Daher ist f∗ injektiv und g∗ surjektiv. Da g :Y → X ebenfalls eine Homotopieaquivalenz ist, zeigt ein analoges Argument,dass auch g∗ injektiv ist. Damit ist g∗ ein Isomorphismus. Weil g∗ ◦ f∗ einIsomorphismus ist, gilt dies schließlich auch fur f∗. �

Beispiel. Wir haben bereits fruher gesehen, dass S1 nicht einfach zusam-menhangend ist.

Proposition 11.7. Fur n ≥ 2 ist die Sphare Sn einfach zusammenhangend.

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40 BERNHARD HANKE

Proof. Es seien U , bzw. V die Sphare Sn ohne Nord, bzw. Sudpol. Wirwahlen als Basispunkt in Sn einen beliebigen Punkt x ∈ U ∩ V . Ist nunγ : [0, 1] → Sn eine in x basierte Schleife, so ist γ−1(U), γ−1(V ) eine of-fene Uberdeckung von [0, 1]. Es sei λ ∈ R eine Lebesguezahl fur dieseUberdeckung. Es sei N ∈ N so groß, dass 1/N < λ. Dann gilt fur alle0 ≤ k ≤ N − 1:

γ([k/N, (k + 1)/N ]) ⊂ U , oder γ([k/N, (k + 1)/N ]) ⊂ V .

Wir finden also endlich viele Zahlen 0 = z0 < z1 < . . . < zl = 1, so dass dieBilder γ([zi, zi+1]) ⊂ Sn entweder ganz in U oder ganz in V liegen und zwarabwechselnd. Insbesondere ist γ(zi) ∈ U ∩ V fur alle i = 0, . . . , l. Es sei ηiein Weg in U ∩ V , der x mit γ(zi) verbindet (i = 1, 2, . . . , l − 1). An dieserStelle geht die Voraussetzung n ≥ 2 entscheidend ein - denn nur dann istU ∩ V wegzusammenhangend. Wir setzen nun

γi := γ|[zi,zi+1] .

Nach Prakomposition mit einem monoton wachsenden Homoomorphismus[0, 1] → [zi, zi+1] konnen wir γi als auf [0, 1] definierten Weg auffassen. Esgilt nun

γ ' γ0 · η−11 · η1 · γ1 · η−1

2 · η2 · . . . · η−1l−1 · γl−1 rel {0, 1}

Aber γ0 · η−11 , η1 · γ1 · η−1

2 , etc. sind alle in x basierte Schleifen, die ent-weder ganz in U oder ganz in V verlaufen. Da U, V ≈ Rn einfach zusam-menhangend sind, sind diese Schleifen also alle homotop zur konstantenSchleife cx relativ {0, 1}. Also gilt in π1(Sn, x):

[γ] = [γ0 · η−11 ] · [η1 · γ2 · η−1

2 ] · . . . · [η−1l−1 · γl−1] = 1

und dies war zu beweisen. �

Die Bezeichnungen π0 und π1 kommen von folgender alternativer Sichtwei-se auf unsere Definitionen: Wir wahlen auf Sn ⊂ Rn+1 den festen Basispunktp := (1, 0, 0, . . . , 0). Ist (X,x0) ein punktierter Raum, so definiert man ganzallgemein

πn(X,x0)

als die Menge der basispunkterhaltenden Abbildungen Sn → X moduloder Aquivalenzrelation, die zwei Abbildungen f und g genau dann identifi-ziert, falls f ' g rel {p}. Man zeigt leicht, dass diese Definition fur n = 1mit der vorherigen ubereinstimmt. Falls n = 0, so ist nach dieser Definiti-on π0(X,x0) genau die Menge der Wegzusammenhangskomponenten von Xund zwar unabhangig von der Wahl von x0. Daher kann man bei π0 auchauf die Angabe des Basispunktes verzichten. Wir haben weiterhin gesehen,wie man auf π1(X,x0) eine Gruppenstruktur definiert. Ein ahnliches Vor-gehen fuhrt zu Gruppenstrukturen auf πn(X,x0) fur alle n ≥ 1. Man kannzeigen, dass diese sogar abelsch ist, falls n ≥ 2. Auf π0(X) ist jedoch keineGruppenstruktur definiert. Die Berechnung der Gruppen πn(X,x0) ist ein

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 41

schwieriges und fundamentales Problem der algebraischen Topologie. Bei-spielsweise sind die Gruppen πn(S2, p) nicht fur alle n explizit berechnet.

12. Die Sprache der Kategorientheorie

Dieser Abschnitt fasst einige Begriffsbildungen der Kategorientheorie zu-sammen, die in der Topologie, aber auch in anderen Bereichen der Mathe-matik immer wieder auftauchen. Wir behandeln hier die Kategorientheoriealso weniger als eigenstandige mathematische Disziplin, sondern als Formu-lierung vereinheitlichender mathematischer Prinzipien.

Definition. Eine Kategorie C besteht aus den folgenden Daten:• Eine Klasse ob C von Objekten von C.• Eine Klasse mor C von Morphismen von C.• Fur jeden Morphismus f ∈ mor C zwei eindeutig bestimmte Objekte

dom f , cod f in ob C, genannt Quelle und Ziel (”domain“, ”codo-main“) von f . Wir schreiben

Af−→ B

falls, A,B ∈ ob C, f ∈ mor C, dom f = A, cod f = B.• Eine Operation, die jedem Paar (f, g) von Morphismen aus C mit

cod f = dom g einen Morphismus g ◦ f ∈ mor C, die ”Kompositionvon g und f“ zuordnet. Diese hat die Eigenschaften dom(g ◦ f) =dom f , cod(g ◦ f) = cod g. Weiterhin ist diese Operation assoziativ,d.h. falls f, g, h ∈ mor C, cod f = dom g, cod g = domh, so habenwir (h ◦ g) ◦ f = h ◦ (g ◦ f).• Eine Operation, die jedem Objekt A ∈ ob C einen Morphismus A 1A−→A zuordnet, den Identitatsmorphismus. Diese hat die Eigenschaftenf ◦ 1A = f und 1A ◦ g = g fur alle Morphismen f, g ∈ mor C mitdom f = A und cod g = A.

Wir machen die folgenden Bemerkungen:• In dieser Definition benutzen wir die Begriffe ”Klasse“, ”Operati-

on“und das Zeichen ∈ im naiven Sinne, ohne Bezug auf die Men-genlehre. Statt ”Klasse“ hatte man auch ”Ansammlung“ schreibenkonnen. Insbesondere sind ob C und mor C nicht notwendigerweiseMengen. Dies wird an den nachfolgenden Beispielen deutlich.• Wir konnten in der Definition auf die Angabe der Objekte ob C ver-

zichten: Es gibt eine 1 − 1-Beziehung zwischen ob C und der Klas-se von Morphismen e ∈ mor C, die die Eigenschaften f ◦ e = f ,e ◦ g = g fur alle f, g ∈ mor C mit cod e = dom f , dom e = cod gerfullen: Notwendigerweise gilt namlich fur einen solchen Morphis-mus dom e = cod e. Und setzen wir A := dom e, so folgt, indem wir indie erste der beiden obigen Gleichungen f = 1A setzen, dass e = 1A.Diese Klasse von Morphismen umfasst also genau die Morphismen

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42 BERNHARD HANKE

der Form 1A mit A ∈ ob C und steht daher in 1 − 1-Korrespondenzmit ob C.• Wenn wir C(A,B) fur die Klasse der Morphismen A

f−→ B schreiben,so sind C(A,B) und C(A′, B′) disjunkt, falls A 6= A′ oder B 6= B′.• Die Einheitsmorphismen 1A fur Objekte A ∈ ob C sind eindeutig

bestimmt: Ist 1′A ein weiterer Einheitsmorphismus, so ist 1A = 1A ◦1′A = 1′A.

Definition. Wir nennen einen Morphismus Af−→ B in einer Kategorie

C einen Isomorphismus, falls in C ein Morphismus Bg−→ A existiert mit

f ◦g = 1B und g ◦f = 1A. Eine Kategorie C heißt klein, falls ob C und mor CMengen sind.

Diese Begriffsbildungen leben von der Fulle an Beispielen in allen Berei-chen der Mathematik.

Beispiel.• Die Kategorie Set der Mengen hat als Objekte alle Mengen (in ir-

gendeinem Modell der Mengenlehre), und als Morphismen Af−→ B

die Abbildungen f : A → B. Die Verknupfung f ◦ g ist durch dieubliche Komposition von Abbildungen definiert und ist A ∈ obSeteine Menge, so definieren wir 1A als die Identitat A→ A.• Wir haben die Kategorien Grp von Gruppen und Gruppenhomo-

morphismen, Rng von Ringen und Ringhomomorphismen, ModRvon R-Moduln (fur einen festen Ring R) und R-linearen Abbildun-gen, V ectk von k-Vektorraumen (k ein fester Korper) und k-linearenAbbildungen, etc.• Wir bezeichnen mit Top die Kategorie der topologischen Raume und

der stetigen Abbildungen und mit Met die Kategorie der metrischenRaume und der stetigen Abbildungen. Mit KompHaus bezeichnenwir die Kategorie der kompakten Hausdorffraume und der stetigenAbbildungen und mit Top∗ die Kategorie der punktierten topologi-schen Raume und basispunkterhaltenden Abbildungen.• Ist C eine Kategorie, so bezeichnet Cop die zu C entgegengesetzte Ka-

tegorie. Diese hat die gleichen Objekte und Morphismen wie C unddie Identitatsmorphismen stimmen uberein. Jedoch sind die Zuord-nungen dom und cod vertauscht und die Komposition von Morphis-men umgedreht. D.h. sind A

f−→ B, Bg−→ C Morphismen in C, so

sind Bf−→ A, C

g−→ B Morphismen in Cop und der Morphismusg ◦ f in C stimmt mit dem Morphismus f ◦ g in Cop uberein.• Es sei C eine kleine Kategorie mit nur einem Objekt e und mit der Ei-

genschaft, dass jeder Morphismus in C ein Isomorphismus ist. Dannist insbesondere C durch die Menge mor C und die Verknupfung ◦von Morphismen sowie die Identitat 1e ∈ mor C eindeutig bestimmt

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 43

und das Tripel (mor C, ◦, 1e) bildet eine Gruppe. Allgemeiner defi-nieren wir ein Gruppoid als eine kleine Kategorie, in der alle Mor-phismen Isomorphismen sind. Ein wichtiges Beispiel ist das Funda-mentalgruppoid π(X) eines topologischen Raumes X. Dieses hat alsObjekte die Punkte aus X und sind x, y ∈ X Objekte von π(X),so besteht die Menge von Morphismen x −→ y aus der Menge vonWegen γ : [0, 1]→ X von x nach y, wobei wir γ und γ′ identifizieren,falls γ ' γ′ rel {0, 1}. Man zeigt ganz ahnlich wie in der fruherenDiskussion der Fundamentalgruppe, dass π(X) wirklich ein Grup-poid ist. Das Fundamentalgruppoid vermeidet also die Festlegungauf einen Basispunkt in X, allerdings erhalt man auch nur wenigeralgebraische Struktur (namlich die eines Gruppoides und nicht einerGruppe).• Jede partiell geordnete Menge (P,≤) konnen wir als Kategorie in-

terpretieren mit ob C = P und (p → q) ∈ mor C genau dann, fallsp ≤ q. Fur Objekte p, q ∈ P gibt es also hochstens einen Morphis-mus p→ q. Fur p ∈ P ist der Identitatsmorphismus der Morphismusp→ p. Dieser existiert, da p ≤ p.• Die Kategorie Rel von Mengen und Relationen hat die selben Objek-

te wie Set, aber Morphismen A→ B sind in dieser Kategorie Rela-tionen zwischen A undB, d.h. Teilmengen von A×B. SindR ⊂ A×Bund S ⊂ B ×C Relationen, so ist die Komposition A S◦R−→ C die Re-lation {(a, c) ∈ A × C | ∃b ∈ B mit (a, b) ∈ R, (b, c) ∈ S} zwischenA und C.• Es sei C eine Kategorie und ∼ eine Aquivalenzrelation auf mor C, so

dass– f ∼ g ⇒ dom f = dom g, cod f = cod g.– Ist f ∼ g und ist k ∈ mor C mit cod f = dom k (bzw. dom f =

cod k), so gilt k ◦ f ∼ k ◦ g (bzw. f ◦ k ∼ g ◦ k).Dann konnen wir eine neue Kategorie C/ ∼ definieren mit ob(C/ ∼) = ob C und mor(C/ ∼) = (mor C)/ ∼. So erhalten wir zum Beispieldie Homotopiekategorie HTop = Top/ ∼, wobei zwei Morphismenf und g genau dann aquivalent sind, falls f ' g. Die KategorieHTop∗ hat als Objekte die punktierten topologischen Raume undals Morphismen basispunkterhaltende Homotopieklassen von basis-punkterhaltenden stetigen Abbildungen.

Definition. Es seien C und D Kategorien. Ein Funktor F : C → D be-steht aus zwei Abbildungen (die beide F genannt werden) ob C → obD undmor C → morD, so dass domF (f) = F (dom f) und codF (f) = F (cod f) furalle f ∈ mor C, F (1A) = 1F (A) fur alle A ∈ ob C und F (g ◦ f) = F (g) ◦ F (f)fur alle komponierbaren Morphismen g, f ∈ mor C. Ein Funktor Cop → Dheißt oft auch kontravarianter Funktor von C nach D, wahrend ein FunktorC → D wie oben definiert ein kovarianter Funktor von C nach D ist.

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Beispiel.

• Fur die Kategorien Grp, AbGp, Rng, Top, ..., gibt es Funktoren U indie Kategorie Set, den Vergissfunktor. Ist z.B. G eine Gruppe, so istU(G) die unterliegende Menge von G und ist f : G → H ein Grup-penhomomorphismus, so ist U(f) : U(G)→ U(H) die Abbildung f ,betrachtet als Abbildung zwischen Mengen.• Es gibt einen Funktor F : Set → Grp, der jeder Menge A die freie

Gruppe uber A zuordnet und jeder Abbildung Af−→ B den ein-

deutig bestimmen Gruppenhomomorphismus F (f) : F (A)→ F (B),der auf der Menge A von Erzeugern mit f ubereinstimmt. Die Ein-deutigkeit des Gruppenhomomorphismus F (f) stellt sicher, dassF (g ◦ f) = F (g) ◦ F (f) fur Mengenabbildungen f : A → B undg : B → C.• Der Potenzmengenfunktor P : Set → Set schickt eine Menge A zur

Menge P (A) aller Teilmengen von A. Falls f : A→ B eine Abbildungist, so ist P (f)(X) := f(X) ⊂ B fur alle X ⊂ A. Wir haben aucheinen Funktor P ∗ : Setop → Set mit der gleichen Wirkung auf denObjekten von Set, jedoch ist P ∗(f)(Y ) := f−1(Y ) fur alle Y ⊂ B.P ∗ definiert also einen kontravarianten Funktor von Set nach Set.• Es sei k ein Korper. Dann gibt es einen kontravarianten Funktor ∗ :V ectk → V ectk, der einem k-Vektorraum V den dualen VektorraumV ∗ = homk(V, k) zuordnet und einer linearen Abbildung f : V →Wdie lineare Abbildung f∗ : W ∗ → V ∗ definiert durch f∗(φ) := φ ◦ ffur alle φ ∈ homk(V, k).• Es sei Cat die Kategorie, deren Objekte die kleinen Kategorien und

deren Morphismen die Funktoren zwischen ihnen sind. Dabei seidie Komposition von Funktoren in der offensichtlichen Weise defi-niert und fur eine Kategorie C der Identitatsfunktor 1C durch dieIdentitaten auf ob C und mor C gegeben. Dann ist op ein kontrava-rianter Funktor Cat → Cat: Ist F : C → D ein Funktor, so istF op : Cop → Dop durch genau die gleichen Daten wie F gegeben.• Sind P und Q partiell geordnete Mengen (die wir wie vorhin erklart

als Kategorien auffassen), so ist ein Funktor P → Q nichts anderesals eine ordnungserhaltende Abbildung P → Q.• π0 definiert einen Funktor Top → Set und auch einen FunktorHTop → Set. π1 definiert einen Funktor Top∗ → Grp und aucheinen Funktor HTop∗ → Grp. Ahnlich definiert das Fundamental-gruppoid π(X) einen Funktor Top→ Gpd, wobei Gpd die Kategorieder Gruppoide und der Funktoren zwischen ihnen ist.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 45

Definition. Es seien F,G : C → D Funktoren. Eine naturliche Transforma-tion α : F → G ist eine Abbildung

ob C → morDA 7→ αA

so dass F (A) αA−→ G(A) fur alle A ∈ ob C und so dass fur jeden Morphismus

Af−→ B in C das Diagramm

F (A)F (f)−−−−→ F (B)

αA

y αB

yG(A)

G(f)−−−−→ G(B)

kommutiert. Ist H : C → D ein weiterer Funktor und β : G → H einenaturliche Transformation, so konnen wir die Komposition β ◦ α : F → Hbilden, indem wir (β◦α)A := βA◦αA setzen. Wir haben auch eine naturliche

Transformation 1F : F → F , wobei (1F )A als F (A)1F (A)−→ F (A) definiert

wird. Auf diese Weise erhalten wir eine Kategorie [C,D] der Funktoren C →D und der naturlichen Transformationen zwischen ihnen.

Beispiel.• Es sei k ein Korper und C = D = V ectk. Die Zuordnungen

V 7→ V ∗∗ , f 7→ f∗∗ fur f : V →W linear

definieren einen kovarianten Funktor ∗∗ : C → D und es gibt einenaturliche Transformation α : 1V ectk → ∗∗ gegeben durch

V 7→ αV , VαV−→ V ∗∗ , αV (v) := Auswertung auf v .

Schranken wir α auf die Kategorie fdV ectk der endlichdimensiona-len Vektorraume ein, so ist αV ein Isomorphismus fur jedes V ∈ob fdV ectk. Daher definiert α einen Isomorphismus in der Funktor-kategorie [fdV ectk, fdV ectk].• Wir haben eine naturliche Transformation α : 1Set → P , wobeiP : Set→ Set der kovariante Potenzmengenfunktor ist. Dabei setzenwir αA(a) := {a}. Dies ist wirklich eine naturliche Transformation,denn ist f : A → B eine Abbildung, so gilt P (f)({a}) = {f(a)} furalle a ∈ A.

Definition. Es seien C und D Kategorien. Eine Aquivalenz zwischen C undD ist ein Paar von Funktoren F : C → D, D → C und naturlicher Isomor-phismen 1C → G◦F , 1D → F ◦G. Wir schreiben C ' D, falls eine Aquivalenzzwischen C und D existiert.

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46 BERNHARD HANKE

Beispiel. Ist k ein Korper, so ist die Kategorie fdModk aquivalent zurKategorie fdModopk . Dabei ist der Funktor ∗ : fdModk → fdModopk seineigenes Inverses (bis auf naturlichen Isomorphismus).

13. Uberlagerungen

Gruppen dienen der Beschreibung von Symmetrien. Die Fundamental-gruppe eines topologischen Raumes entspricht in vielen Fallen den Symme-trien eines gewissen ”Uberlagerungsraumes“. In den folgenden Abschnittenwird die Klassifikationstheorie der Uberlagerungen vorgestellt.

Definition. Es sei p : X → Y eine stetige Abbildung topologischer Raumeund U ⊂ Y eine Teilmenge. Wir sagen, U wird durch p gleichmaßig uberla-gert, falls es einen diskreten topologischen Raum D und einen Homoomor-phismus φ : p−1(U) ≈ U × D gibt, so dass mit der Standardprojektionπ : U × D → U auf den ersten Faktor die Abbildungen p und π ◦ φ aufp−1(U) ubereinstimmen, d.h. das folgende Diagramm ist kommutativ:

p−1(U)φ−−−−→ U ×D

p

y π

yU

=−−−−→ U

Die Abbildung p ist eine Uberlagerung, falls jeder Punkt in Y eine Umgebungbesitzt, die durch p gleichmaßig uberlagert wird.

Beispielsweise istR→ S1 , t 7→ e2πit

eine Uberlagerung.Ist p eine Uberlagerung, so ist p ein lokaler Homoomorphismus, d.h. je-

der Punkt in X besitzt eine Umgebung U , so dass p|U : U → p(U) einHomoomorphismus ist. Diese letzte Eigenschaft impliziert aber in der Regelnicht, dass p eine Uberlagerung ist wie das Beispiel

(0, 1)→ S1 , t 7→ e2πit

zeigt.Es sei p : X → Y eine Uberlagerung und Y zusammenhangend. Ist fur ein

y ∈ Y das Urbild p−1(y) ⊂ X eine endliche Teilmenge mit d Elemengen, sogilt dies fur alle y ∈ Y , denn y 7→ ](p−1(y)) ist eine lokalkonstante Funktion(in dem Sinne, dass jeder Punkt in Y eine Umgebung besitzt, auf der dieFunktion konstant ist), falls p eine Uberlagerung ist. Wir nennen dann p eined-blattrige Uberlagerung. Ansonsten heißt p eine unendliche Uberlagerung.

Die fundamentale Eigenschaft von Uberlagerungen ist die folgende ”ein-deutige Wegeliftungseigenschaft“.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 47

Proposition 13.1. Es sei p : X → Y eine Uberlagerung und γ : [0, 1]→ Yein Weg. Ist x ∈ X ein Punkt mit p(x) = γ(0), so gibt es einen eindeutigbestimmten Weg γ : [0, 1]→ X mit γ(0) = x und p ◦ γ = γ.

Proof. Wir uberdecken Y durch offene Teilmengen, die gleichmaßig durchp uberlagert werden. Die Urbilder dieser Mengen unter γ bilden eine of-fene Uberdeckung von [0, 1]. Wir wahlen eine Lebesguezahl λ fur die-se Uberdeckung und n ∈ N so groß, dass 1/n ≤ λ. Da dann fur allek ∈ {0, 1, . . . , n − 1} das Bild γ([k/n, (k + 1)/n]) ganz in einer Teilmengevon Y liegt, die gleichmaßig uberlagert wird, konnen wir γ induktiv de-finieren, wobei im k-ten Schritt γ am Punkt k/n bestimmt ist und uber[k/n, (k + 1)/n] ausgedehnt werden muss. Dies ist eindeutig moglich, daγ([k/n, (k + 1)/n]) ⊂ Y gleichmaßig uberlagert ist. �

Wege sind spezielle Arten von Homotopien. Das folgende Theorem istdaher eine Verallgemeinerung der eben bewiesenen Proposition.Satz 13.2 (Homotopie-Liftungstheorem). Es sei p : X → Y eine Uberlage-rung und

F : W × [0, 1]→ Y

eine Homotopie. Weiterhin sei f : W → X eine Liftung von F (−, 0), d.h.p ◦ f = F (−, 0). Dann existiert eine Homotopie

F : W × [0, 1]→ X

mit F (−, 0) = f und p ◦ F = F .

Proof. Wir definieren fur alle w ∈ W die Abbildung F auf {w} × [0, 1]gemaß der vorhergehenden Proposition. Diese Liftung erfullt p ◦ F = F .Außerdem ist die Liftung F eindeutig (denn die Liftung von Wegen ist ein-deutig). Zu zeigen bleibt die Stetigkeit von F . Es sei (w, t) ∈ W × [0, 1].Indem wir die Kompaktheit von [0, 1] und die Existenz einer Lebesguezahlausnutzen, finden wir ein n ∈ N, und eine offene Umgebung U ⊂ W vonw, so dass F (U × [k/n, (k + 1)/n]) fur alle 0 ≤ k ≤ n − 1 in einer offenenTeilmenge von Y liegt, die durch p gleichmaßig uberdeckt wird. Wir zeigeninduktiv, dass es fur alle 0 ≤ k ≤ n eine offene Umgebung Uk von w gibt mitUk ⊂ U und F stetig auf Uk × [0, k/n]. Wir setzen U0 := U . Angenommen,Vk ist bereits konstruiert. Wegen Uk ⊂ U liegt dann F (Uk × [k/n, k + 1/n])in einer offenene Teilmenge T ⊂ Y , die durch p gleichmaßig uberdeckt wird.Sei nun D eine diskrete Menge und φ : p−1(T ) ≈ T ×D wie in Definition 13.Es sei d ∈ D das eindeutig bestimmte Element mit F (w, k/n) ∈ T ×{d}. Esexistiert nun eine offene Umgebung Uk+1 von w mit Uk+1 ⊂ Uk und

F (Uk+1 × {k/n}) ⊂ T × {d} .

Dies benutzt die Tatsache, dass F auf Uk × [0, k/n] bereits als stetig nach-gewiesen wurde und dass T ×{d} offen in X ist. Nach der Konstruktion von

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48 BERNHARD HANKE

F (durch Liftung von Wegen) ist aber nun F auf Uk+1 × [k/n, (k + 1)/n]durch die Abbildung

(v, t) 7→ (p|φ−1(T×{d}))−1 ◦ F

gegeben und damit stetig. Somit ist F auf Uk+1 × [0, k/n] und auch aufVU+1 × [k/n, (k + 1)/n] stetig. Da beide Mengen abgeschlossen in Uk+1 ×[0, (k + 1)/n] sind, folgt die Stetigkeit von F auf Uk+1 × [0, (k + 1)/n]. �

Dieses Theorem hat einige bemerkenswerte Korollare. Es sei dabei immerp : X → Y eine Uberlagerung.

Korollar 13.3. Es seien γ0, γ1 Wege in Y mit den gleichen Anfangs- undEndpunkten und mit γ0 ' γ1 rel {0, 1}. Es seien γ0, γ1 : [0, 1]→ X Liftungenvon γ0 und γ1 mit den gleichen Anfangspunkten. Dann gilt γ0(1) = γ1(1)und γ0 ' γ1 rel {0, 1}.Korollar 13.4. Es sei γ : [0, 1]→ Y ein geschlossener Weg, der homotop zueinem konstanten Weg rel {0, 1} ist. Dann ist jeder Lift γ : [0, 1]→ X auchein geschlossener Weg und homotop zu einem konstanten Weg rel {0, 1}.Korollar 13.5. Es seien x0 ∈ X ein beliebiger Punkt und y0 := p(x0).Dann ist

p∗ : π1(X,x0)→ π1(Y, y0)

injektiv und hat als Bild die Elemente g ∈ π1(Y, y0) mit der folgenden Ei-genschaft: g wird durch einen in y0 basierten geschlossenen Weg in Y re-prasentiert, der sich zu einem geschlossenen in x0 basierten Weg in X liftenlasst. Die letztgenannte Eigenschaft ist daruberhinaus unabhangig unter Ho-motopie rel {0, 1} und hangt somit nicht von der speziellen Wahl einesReprasentanten von g ab.

Korollar 13.6. Es sei Y ein wegzusammenhangender Raum, der eine weg-zusammenhangende nichttriviale Uberlagerung p : X → Y besitzt, d.h. p istmindestens zweiblattrig. Ist y0 ∈ Y , so gilt π1(Y, y0) 6= 1.

Proof. Es seien x1, x2 ∈ X zwei verschiedene Punkte uber y0 und es seiγ : [0, 1]→ X ein Weg, der x1 mit x2 verbindet. Dann ist p ◦ γ ein geschlos-sener Weg in Y , der sich nicht zu einem geschlossenen Weg in X liften lasst(sonst waren alle Lifts geschlossen, aber γ ist ein nichtgeschlossener Lift).Somit gibt es Elemente in π1(Y, y0), die nicht im Bild von p∗ liegen. Da1 ∈ π1(Y, y0) sicher im Bild liegt (p∗ ist ja ein Gruppenhomomorphismus),muss π1(Y, y0) 6= 1 sein. �

Da die kanonische Projektion S2 → RP 2 = S2/ ∼ eine Uberlagerung ist,folgt aus dem letzten Korollar, dass RP 2 nichttriviale Fundamentalgruppehat (bzgl. eines beliebigen Basispunktes). Andererseits ist S2 einfach zusam-menhangend (siehe Proposition 11.7). Insgesamt folgt also

Korollar 13.7. RP 2 ist nicht homoomorph zu S2.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 49

Wir berechnen nun explizit die Fundamentalgruppe des Kreises S1. Wirbetrachten dazu wieder die Exponentialabbildung

p : R→ S1 , t 7→ e2πit .

Diese ist eine Uberlagerung. Es sei f : [0, 1] → S1 ein bei 1 ∈ S1 basiertergeschlossener Weg. Es sei f : [0, 1]→ R die Liftung von f mit f(0) = 0. Wirsetzen

deg f := f(1) ∈ Z .Wie wir bereits bewiesen haben, hangt deg f nur von der Homotopieklassevon f relativ {0, 1} ab. Daher erhalten wir eine induzierte Abbildung

deg : π1(S1, 1)→ Z .

Wir zeigen:Proposition 13.8. Die Abbildung deg ist ein Gruppenisomorphismus.

Proof. Wir zeigen zunachst, dass deg ein Homomorphismus ist. Seien dazuf, g : [0, 1]→ S1 bei 1 basierte geschlossene Wege. Es seien f , g : [0, 1]→ R

die Liftungen von f und von g mit Anfangspunkt 0 ∈ R. Wir setzen n :=f(1), m := g(1). Dann ist die Komposition

f · (g + n) : [0, 1]→ R

der eindeutig bestimmte Lift von f ·g mit Anfangspunkt 0 ∈ R. Somit habenwir

deg(f · g) = (f · (g + n))(1) = m+ n = deg(f) + deg(g) .Die Abbildung deg ist surjektiv, denn ist γ : [0, 1]→ R ein Weg mit Anfang0 und Ende n ∈ Z, so gilt deg(p◦γ) = n. Die Abbildung deg ist aber auch in-jektiv: Angenommen f : [0, 1]→ S1 ist ein in 1 basierter geschlossener Wegmit deg f = 0. Dann gilt f(1) = 0, d.h. auch f : [0, 1]→ R ist ein geschlosse-ner Weg. Diesen konnen wir in R relativ {0, 1} auf den konstanten Weg mitWert 0 ∈ R zusammenziehen. Komposition einer solchen Homotopie mit pzeigt, dass [f ] ∈ π1(S1, 1) das neutrale Element reprasentiert. �

Es sei nun f : S1 → S1 eine Abbildung mit f(1) = 1. Wir konnen dieseals geschlossenen in 1 basierten Weg [0, 1] → S1 auffassen. Wir definierendann deg f ∈ Z wie eben und nennen diese Zahl den Abbildungsgrad von f .Man sieht:Proposition 13.9. Die Abbildung S1 → S1, z 7→ zn hat Abbildungsgrad nfur alle n ∈ Z.

Die Abbildung f : S1 → S1 induziert auch eine Abbildung f∗ :π1(S1, 1)→ π1(S1, 1). Identifizieren wir π1(S1, 1) mit Z uber den oben dis-kutieren Isomorphismus, so haben dann:

deg f = f∗(1) ∈ Z .Ist f : S1 → S1 eine beliebige stetige Abbildung, so induziert f immer nocheine Abbildung f∗ : π1(S1, 1) → π1(S1, f(1)). Letzte Gruppe ist kanonischisomorph zu π1(S1, 1) ∼= Z, da π1(S1, 1) abelsch ist. Wir erhalten also wieder

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50 BERNHARD HANKE

einen wohldefinierten Abbildungsgrad deg f ∈ Z. Man uberzeugt sich, dassdieser nur von der Homotopieklasse von f abhangt (wobei die betrachtetenHomotopien nicht basispunkterhaltend sein brauchen): Ist H : S1× [0, 1]→S1 eine Homotopie, so bezeichne γ den Weg t 7→ H(1, t). Man uberzeugt sichwie im Beweis von Proposition 11.6, dass fur jedes Element g ∈ π1(S1, 1)gilt:

(H0)∗(g) = hγ((H1)∗(g)) .Nach Identifikation von π1(S1,H0(1)) und π1(S1,H1(1)) mit π1(S1, 1) wer-den also (H0)∗(g) und (H1)∗(g) auf das gleiche Element abgebildet (hierbenutzen wir wieder, dass π1(S1, 1) abelsch ist). Bezeichnen wir mit [S1, S1]die Menge der Homotopieklassen von Abbildungen S1 → S1, so erhalten wiralso eine kanonische Bijektion

[S1, S1]→ Z , [f ] 7→ deg f .

Insbesondere tragt [S1, S1] eine Gruppenstruktur.Korollar 13.10 (Fundamentalsatz der Algebra). Es sei P ein nicht-konstantes Polynom mit komplexen Koeffizienten. Dann hat P eine Null-stelle in C.

Proof. Ohne Einschrankung konnen wir annehmen, dass

P (X) = Xn + an−1Xn−1 + . . .+ an

mit n > 0. Falsl P keine Nullstellen hat, konnen wir die Homotopie

S1 × [0, 1]→ S1 , F (z, t) :=P ((1− t)z/t)|P ((1− t)z/t)

=tnP ((1− t)z/t)|tnP ((1− t)z/t)|

betrachten. Da

tnP ((1− t)z/t) = (1− t)nzn + an−1(1− t)n−1zn−1t+ . . .+ a0tn ,

ist F auch bei t = 0 definiert und dort stetig. Wir haben F (z, 0) = zn undF (z, 1) = P (0)/|P (0)|. Daher ist die Abbildung z → zn homotop zu einerkonstanten Abbildung, im Widerspruch (wegen n > 0) zu den Bemerkungendirekt vor dem Korollar. �

Wir wenden uns nun einer Variante des vorhin besprochenen Liftungs-problems zu. Es sei p : X → Y eine Uberlagerung, x0 ∈ X ein Punkt undy0 := p(x0). Es sei W ein topologischer Raum und f : W → Y eine ste-tige Abbildung. Es sei w0 ∈ W ein Punkt mit f(w0) = y0. Existiert danneine stetige Abbildung g : W → X, so dass p ◦ g = f und g(w0) = x0?Dieses Problem hat nicht in jedem Falle eine Losung, wie man am Beispielp : R → S1, t 7→ e2πit, W = S1 und f : S1 → S1 = id sieht. Der folgen-de Satz gibt aber eine umfassende Antwort. Wir brauchen zunachst einenneuen Begriff aus der mengentheoretischen Topologie.

Definition. Ein topologischer Raum X heißt lokal wegzusammenhangend,wenn fur jeden Punkt x ∈ X und jede Umgebung U ⊂ X von x eine wegzu-sammenhangende Umgebung V ⊂ X von x existiert mit V ⊂ U .

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 51

Satz 13.11 (Liftungstheorem). Es sei die Situation wie vor der Definitiongegeben. Daruberhinaus sei W wegzusammenhangend und lokal wegzusam-menhangend. Dann existiert eine Losung g : W → X des Liftungsproblemsgenau dann, falls

f∗(π1(W,w0)) ⊂ im(p∗ : π1(X,x0)→ π1(Y, y0)) .

In diesem Fall ist die Liftung g sogar eindeutig.

Proof. Die im Theorem beschriebene Bedingung ist notwendig fur die Exi-stenz von g, da dann f∗ = p∗ ◦ g∗ wegen der Funktorialitat von π1. Es seinun die angegebene Bedingung erfullt. Wir versuchen g wie folgt zu kon-struieren: Es sei w ∈W beliebig. Da W wegzusammenhangend ist, existiertein Weg γ : [0, 1] → W von w0 nach w. Wir definieren g(w) als den End-punkt des Lifts f ◦ γ von f ◦ γ mit Anfangspunkt x0. Als erstes zeigen wir,dass diese Definition nicht von der Auswahl des Weges γ abhangt. Sei alsoγ′ : [0, 1] → W ein anderer Weg von w0 nach w. Dann ist γ · (γ′)−1 eingeschlossener in w0 basierter Weg. Damit ist auch f ◦ (γ · (γ′)−1) ein ge-schlossener in y0 basierter Weg. Nach Voraussetzung liegt er im Bild vonp∗ : π1(X,x0)→ π1(Y, y0) und lasst sich daher zu einem geschlossenen Wegin X mit Anfangspunkt x0 liften. Da dieser Lift Endpunkt x0 hat, muss er

mit der Komposition f ◦ γ · f ◦ γ′−1

ubereinstimmen. Insbesondere gilt alsof ◦ γ(1) = f ◦ γ′(1) und obige Definition von g ist unabhangig von der Wahlvon γ.

Offensichtlich gilt p ◦ g = f , g(w0) = x0 und jede Losung des Liftungs-problems muss mit dem eben definierten g ubereinstimmen (wegen der ein-deutigen Wegeliftungseigenschaft). Es bleibt noch zu zeigen, dass das ebendefinierte g stetig ist. Sei w ∈ W und y := f(w). Wir wahlen eine offe-ne Umgebung U ⊂ Y von y, die durch p gleichmaßig uberdeckt wird. SeiV ⊂W eine wegzusammenhangende Umgebung von w mit f(V ) ⊂ U . Es seiγ ein fester Weg in W von w0 nach w. Ist w′ ∈ V , so konnen wir einen Wegvon w0 nach w′ konstruieren, indem wir γ mit einem kleinen in V gelegenenWeg γw′ komponieren, der w mit w′ verbindet. Da f(V ) ⊂ U gleichmaßiguberdeckt wird, ist somit g auf V die Komposition von f mit dem Inversenvon p, die U auf die Komponenten von p−1(U) abbildet, die g(w) enthalt(denn der Lift der Komposition f ◦γw′ liegt ganz in dieser Komponente vonp−1(U)). Damit ist g|V stetig. �

Man kann sich an Beispielen uberzeugen, dass die Voraussetzung ”W lokalwegzusammenhangend“ wirklich notwendig ist.

Aus dem eben bewiesenen Satz folgt, dass das Liftungsproblem immereindeutig losbar ist, falls W einfach zusammenhangend und lokal wegzu-sammenhangend ist.

Definition. Es sei p : X → Y eine Uberlagerung. Eine Decktransformationdieser Uberlagerung ist ein Homoomorphismus φ : X → X mit p ◦ φ = p.

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52 BERNHARD HANKE

Die Decktransformationen einer Uberlagerung bilden eine Gruppe mit derKomposition als Verknupfung. Wir nennen diese Gruppe Deck(p).Korollar 13.12. Es seien p : X → Y eine Uberlagerung und x0, x1 ∈ Xmit p(x0) = p(x1). Falls X einfach zusammenhangend und lokal wegzu-sammenhangend ist, so gibt es eine eindeutig bestimmte Decktransformationφ : X → X mit φ(x0) = x1.

Das letzte Korollar erlaubt eine interessante Folgerung. Es sei wieder p :X → Y eine Uberlagerung und X sei einfach zusammenhangend und lokalwegzusammenhangend. Sei y0 ∈ Y ein Basispunkt, so dass p−1(y0) nichtleerist (dies ist automatisch der Fall, wenn p surjektiv ist). Wir erhalten eineAbbildung

π1(Y, y0)→ Deck(p)wie folgt: Es sei x0 ∈ X ein Punkt mit p(x0) = y0. Wir betrachten einElement g ∈ π1(Y, y0). Es sei γ : [0, 1] → Y ein Reprasentant von g. DerEndpunkt des Lifts γ von γ mit Anfangspunkt x0 ist ein Punkt x1 ∈ Xmit p(x1) = y0. Weiterhin ist x1 unabhangig von der Auswahl eines Re-prasentanten von g ∈ π1(Y, y0). Nach dem Korollar gibt es eine eindeutigeDecktransformation ψg ∈ Deck(p) mit ψg(x0) = γ(1). Wir erhalten einewohldefinierte Abbildung

Ψ : π1(Y, y0)→ Deck(p) , g 7→ Ψg .

Diese ist ein Gruppenhomomorphismus: Seien g, g′ ∈ π1(Y, y0) mit Re-prasentanten γ, γ′ : [0, 1] → Y . Es seien γ, γ′ : [0, 1] → X die Lifts vonγ und γ′ mit Anfangspunkt x0. Die Komposition Ψg ◦ γ′ ist dann der Liftvon γ′ mit Anfangspunkt Ψg(x0) = γ(1). Somit ist der komponierte Wegγ · (Ψg ◦ γ′) der Lift von γ ·γ′ mit Anfangspunkt x0. Da der Endpunkt dieserKomposition der Punkt Ψg·g′(1) = Ψg ◦ γ′)(1) = (Ψg ◦Ψg′)(1) ist, gilt nachdem Eindeutigkeitsteil des letzten Korollares also

Ψg·g′ = Ψg ◦Ψg′

und dies war zu zeigen. Es ist leicht zu sehen, dass Ψ surjektiv ist undtrivialen Kern hat. Somit giltProposition 13.13. Die eben definierte Abbildung π1(Y, y0)→ Deck(p) istein Gruppenisomorphismus.

Wir bemerken, dass diese Abbildung Ψ : π1(Y, y0) → Deck(p) im allge-meinen von der Auswahl des Punktes x0 abhangt.

Wir haben nun einen wichtigen Zusammenhang erkannt: Falls X → Yeine surjektive Uberlagerung ist und X einfach zusammenhangend und lo-kal wegzusammenhangend ist, so konnen wir die Fundamentalgruppe von Ymit den Symmetrien (d.h. den Decktransformationen) der gegebenen Uber-lagerung identifizieren (nach der Wahl von Basispunkten). Dies motiviertdie folgende Definition:

Definition. Eine Uberlagerung p : X → Y heißt universell, falls p surjektiv,X einfach zusammenhangend und lokal wegzusammenhangend ist.

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 53

Direkt aus dem Liftungstheorem ergibt sich:Proposition 13.14. Es seien p : X → Y und p′ : X ′ → Y universelleUberlagerungen. Dann gibt es einen Homoomorphismus φ : X → X ′ mitp′ ◦ φ = p.

(Man sollte sich klarmachen, warum in der Proposition die Surjektivitatvon p und von p′ benotigt werden).

Dieser Homoomorphismus φ ist naturlich nicht eindeutig bestimmt: Furalle x ∈ X und x′ ∈ X ′ mit p(x) = p′(x′) existiert ein Homoomorphismus φder eben genannten Art mit φ(x) = x′.

Fur sehr viele topologische Raume Y existiert eine universelle Uberla-gerun X → Y . Bevor wir einen allgemeinen Existenzsatz beweisen, veran-schaulichen wir noch den Zusammenhang von Decktransformationen undFundamentalgruppe an einigen Beispielen. Folgende grundlegende Beobach-tung folgt aus unseren Satzen:Proposition 13.15. Es sei p : X → Y eine Uberlagerung, es sei X weg-zusammenhangend und lokal wegzusammenhangend und G sei eine Gruppebestehend aus Decktransformationen von X, die die folgende Eigenschafthat: Fur alle y ∈ Y und x0, x1 ∈ p−1(y) existiert ein g ∈ G mit g(x0) = x1.(Man sagt auch: G operiert transitiv auf p−1(y)). Dann gilt G = Deck(p).

Es genugt, die geforderte Eigenschaft fur einen einzigen Punkt y ∈ Yzu testen, falls p surjektiv ist. Wir werden spater Beispiele sehen, wo dieDecktransformationsgruppe nicht transitiv auf den Fasern operiert. Die inder letzten Proposition formulierte Bedingung ist also nicht notwendig.

Wahlt man p : X → Y als eine universelle Uberlagerung, so ergibt sich imZusammenspiel mit der Tatsache Deck(p) ∼= π1(Y, y0) eine effektive Methodezur Bestimmung der Fundamentalgruppe von Y .

Wir fuhren noch eine bequeme Sprechweise ein. Es sei X ein topologischerRaum und

φ : G→ Homoo(X)

ein Gruppenhomomorphismus von einer Gruppe G in die Gruppe derHomoomorphismen von X. Wir sprechen dann auch von einer Wirkung oderOperation der GruppeG aufX. Ist g ∈ G, so nennen wir den Homoomorphis-mus φ(g) : X → X auch oft nur g. Wir definieren eine Aquivalenzrelation∼ auf X durch

x ∼ y ⇔ ∃g ∈ G mit g(x) = y .

und setzenX/G := X/ ∼

(mit der Quotiententopologie). Dies ist der Orbitraum der gegebenen Grup-penwirkung von G auf X.

Definition. Es sei φ : G → Homoo(X) eine Gruppenwirkung auf demtopologischen Raum X. Wir nennen diese Wirkung eigentlich diskonti-nuierlich, falls jeder Punkt x ∈ X eine Umgebung U besitzt, so dass

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54 BERNHARD HANKE

g(U) ∩ U 6= ∅ ⇒ g = e, wobei e ∈ G das neutrale Element bezeichnet.

Folgende Proposition folgt nun unter anderem aus Proposition 13.15.Proposition 13.16. Es sei eine eigentlich diskontinuierliche Wirkung einerGruppe G auf dem zusammenhangenden und lokal wegzusammenhangendenRaum X gegeben. Dann ist die kanonische Projektion

p : X → X/G

eine Uberlagerung mit Decktransformationsgruppe G.

Beispiel. Wir betrachten die Standarduberlagerung p : S2 → RP 2. DaS2 einfach zusammenhangend und lokal wegweise zusammenhangend und psurjektiv ist, handelt es sich um eine universelle Uberlagerung. Die Grup-pe G := {idS2 , ψ} mit ψ(x) := −x besteht aus Decktransformationen vonp und operiert transitiv auf den Fasern. Nach Proposition 13.15 gilt alsoπ1(RP 2, x0) ∼= Z/2 fur alle x0 ∈ RP 2.

Wir geben folgende schone Anwendung der Berechnung der Fundamen-talgruppe von RP 2.Satz 13.17 (Borsuk-Ulam). Es sei f : S2 → R

2 eine stetige Abbildung.Dann existiert ein Punkt x ∈ S2 mit f(x) = f(−x).

Proof. Angenommen, es existiert ein f : S2 → R2, fur das die angegebene

Folgerung nicht gilt. Dann definiert

φ : S2 → S1 , x 7→ f(x)− f(−x)‖f(x)− f(−x)‖

eine Abbildung mit der Eigenschaft φ(−x) = −φ(x) fur alle x ∈ S2. Wirerhalten somit eine stetige Abbildung φ : RP 2 → S1, die das folgende Dia-gramm kommutativ macht:

S2 φ−−−−→ S1

can.

y t7→t2y

RP 2 φ−−−−→ S1

Es sei nun x0 ∈ RP 2 ein Basispunkt und γ eine in x0 basierte Schleife in RP 2,die den Erzeuger η von π1(RP 2, x0) ∼= Z/2 reprasentiert. Die Liftung diesesWeges zu einem Weg in S2 lauft von einem Punkt in S2 zum gegenuberlie-genden Punkt. Verfolgen wir diese Schleife unter der Komposition von φ undder rechten vertikalen Abbildung, so folgt, dass φ∗(η) ein ungerades Vielfa-ches des Erzeugers von π1(S1, φ(x0)) ∼= Z ist (und damit von 0 verschieden).Da aber jeder Gruppenhomomorphismus Z/2 → Z trivial ist, erhalten wireinen Widerspruch. �

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 55

Wir wenden uns nun der Existenz universeller Uberlagerungen zu. Wirstarten mit einer Voruberlegung: Es sei p : X → Y eine universelle Uber-lagerung und es sei U ⊂ Y eine wegzusammenhangende offene Teilmenge,die durch p gleichmaßig uberlagert wird. Sei y ∈ U und γ : [0, 1] → Y eingeschlossener in y basierter Weg, der ganz in U verlauft. Wir wahlen einenPunkt x ∈ p−1(y). Wir konnen nun die Schleife γ zu einer geschlossenenSchleife γ an x liften (da die Schleife ganz in U verlauft). Weil X einfachzusammenhangend ist, ist γ ' cx rel {0, 1} und die Komposition so einerHomotopie mit p zeigt, dass γ ' cy rel {0, 1} in Y . Der von der Inklusions-abbildung i : U ↪→ Y induzierte Gruppenhomomorphismus

i∗ : π1(U, y)→ π1(Y, y)

schickt also alle Elemente auf das neutrale Element. Diese Beobachtungmotiviert die folgende Definition:

Definition. Ein topologischer Raum X heißt semilokal einfach zusam-menhangend, falls jeder Punkt x ∈ X eine offene Umgebung U ⊂ X besitzt,so dass der von der Inklusion U ⊂ X induzierte Gruppenhomomorphismus

π1(U, x)→ π1(X,x)

trivial ist (d.h. jede in x basierte Schleife, die ganz in U verlauft, kannin X relativ zu den Endpunkten zu einer konstanten Schleife homotopiertwerden).

Das folgende Resultat liefert eine Art Umkehrung zu obiger Beobachtung.Satz 13.18. Es sei Y ein wegzusammenhangender und lokal wegzusam-menhangender Raum. Dann sind die folgenden Aussagen aquivalent:

• Y besitzt eine universelle Uberlagerung.• Y ist semilokal einfach zusammenhangend.

Proof. Eine Richtung haben wir bereits oben gezeigt. Es sei nun Y semilokaleinfach zusammenhangend. Es sei y ∈ Y ein festgewahlter Punkt. Wir defi-nieren X als die Menge aller in y startenden Wege in Y , wobei wir zwei Wegeidentifizieren, wenn sie relativ Endpunkten homotop sind. (Wir betrachtenin diesem Beweis immer nur Homotopien relativ zu den Endpunkten). DieZuordnung γ 7→ γ(1) definiert eine Abbildung

p : X → Y .

Wir werden nun eine Topologie auf X konstruieren, so dass p eine Uberla-gerung und X einfach zusammenhangend ist. Eine offene Teilmenge N ⊂ Yheiße gut, falls N wegzusammenhangend ist und jede Schleife an einemPunkt z ∈ N , die ganz in N verlauft, zur konstanten Schleife cz homoto-piert werden kann (in Y ). Nach den Voraussetzungen an Y bilden die gutenTeilmengen eine Basis der Topologie auf Y . Ist N ⊂ Y eine gute Teilmengeund γ ein Weg in Y von y zu einem Punkt z ∈ N , so sei

N[γ] ⊂ X

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56 BERNHARD HANKE

die Menge aller Wege, die zu einer Zusammensetzung γ · α homotop sind,wobei α ein Weg ist, der ganz in N verlauft und bei z startet. Man uberzeugtsich davon, dass N[γ] wirklich nur von der Homotopieklasse von γ abhangt.Es ist nun nicht schwer, die folgenden Tatsachen nachzuweisen (beim drittenPunkt ist wichtig, dass N gut ist):

• Ist β ein Weg in N , der bei z startet, so gilt N[γ·β] = N[γ].• Sind N ⊂ N ′ eine Inklusion von guten Teilmengen, so ist N[γ] ⊂ N ′[γ].• Sind γ und γ′ Wege von y nach z ∈ N , wobei N gut in Y ist, so

gilt N[γ] = N[γ′], falls γ und γ′ homotop sind (dies haben wir bereitsoben bemerkt) und N[γ] ∩N[γ′] = ∅ sonst.

Wir erklaren nun eine Teilmenge U ⊂ X als offen, falls es fur jeden Wegγ ∈ U eine gute Umgebung von γ(1) ⊂ Y gibt mit

N[γ] ⊂ U .

Offensichtlich sind die leere Menge und ganz X offen, ebenso wie beliebi-ge Vereinigungen offener Mengen. Nach dem zweiten obigen Punkt ist derSchnitt zweier offener Mengen offen, denn der Schnitt zweier guter Umge-bungen eines Punktes z ∈ Y enthalt eine gute Umgebung von z. Somithandelt es sich wirklich um eine Topologie. Weiterhin sieht man mit demersten Punkt, dass alle Mengen der Form N[γ] offen sind. Diese bilden nachder Definition offener Mengen in X sogar eine Basis der Topologie auf X.Fur alle guten N ⊂ Y und alle Wege von y zu einem Punkt in N ist dieProjektion p : N[γ] → N stetig. Dies folgt daraus, dass die guten Teilmengeneine Basis der Topologie auf Y bilden und dass fur alle guten N ⊂ Y undalle Wege γ von y zu einem Punkt in N die Projektion p eine BijektionN[γ] → N induziert. Eine inverse Abbildung q : N → N[γ] ist dabei wie folgtdefiniert: Es sei z ∈ N der Endpunkt von γ. Ist w ∈ N ein Punkt, so sei α einWeg in N von z nach w (N ist nach Voraussetzung wegzusammenhangend).Wir setzen dann q(w) := [γ · α]. Diese Definition ist unabhangig von derAuswahl von α, denn je zwei Wege von z nach w in N sind in Y homo-top (dies benutzt wieder die besondere Eigenschaft guter Teilmengen). Ausdiesen Betrachtungen folgt auch, dass p eine offene Abbildung ist (dennp(N[γ]) = N und die N[γ] bilden eine Basis der Topologie auf X). Somit istjede Einschrankung p : N[γ] → N sogar ein Homoomorphismus.

Wir behaupten nun, dass jedes guteN ⊂ Y durch p gleichmaßig uberdecktwird. In der Tat ist p−1(N) eine disjunkte (nach dem dritten obigen Punkt)Vereinigung von Mengen der Form N[γ], (parametrisiert nach den Homoto-pieklassen von Wegen γ von y zu einem festgewahlten Punkt z ∈ N) undalle N[γ] ⊂ X sind offen und p induziert einen Homoomorphismus N[γ] → Nfur jede solche Homotopieklasse (dies haben wir im vorigen Absatz gezeigt).Wir haben somit nachgewiesen, dass p : X → Y wirklich eine Uberlagerungist. Die Abbildung p ist surjektiv, da X wegzusammenhangend ist.

Zu zeigen bleibt also noch, dass X einfach zusammenhangend und lokalwegzusammenhangend ist. Der zweite Punkt folgt daraus, dass er fur Y gilt

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 57

und p ein lokaler Homoomorphismus ist. Wir wahlen nun die Homotopieklas-se des konstanten Weges cy als Basispunkt x ∈ X. Es sei [γ] ∈ X beliebig.Die Abbildung

[0, 1]→ X , t 7→ (s 7→ γ(st))definiert dann eine stetigen Pfad von cy nach γ in X (fur die Stetigkeitbeachte man, wieder, dass p ein lokaler Homoomorphismus ist). Der RaumX ist somit wegzusammenhangend.

Es sei nun γ : [0, 1] → X, t 7→ γt ein geschlossener in x(= [cy]) basier-ter Weg in X. Insbesondere ist also [γ1] = [cy]. Komposition mit p (d.h.Propjektion auf die Enpunkte der Wege in dieser Familie) fuhrt auf einengeschlossenen Weg η in Y . Nach Konstruktion ist dann γ der eindeutige Liftvon η mit Anfangspunkt x. Es existiert aber noch ein anderer Lift

γ′ : [0, 1]→ X , t 7→ [γ′t]

wobei γ′t(s) := η(st). Wegen der Eindeutigkeit von Liftungen muss [γ′(1)] =[γ(1)] sein, also ist η = γ1 homotop zu cy relativ zu den Endpunkten, mitanderen Worten: η ist zusammenziehbar. Damit ist auch der Lift γ zusam-menziehbar (durch Liftung einer Homotopie) und dies war zu zeigen. �

Wir betrachten die Hawaiianischen Ohrringe

H :=⋃

n∈N>0

S11/n(1/n, 0) ⊂ R2

wobei S11/n(1/n, 0) ein Kreis mit Mittelpunkt (1/n, 0) und Radius 1/n ist

und H die Teilraumtopologie von R2 tragt. Der Raum H ist wegzusam-menhangend, lokal wegzusammenhangend, aber nicht semilokal einfach zu-sammenhangend. Daher hat H nach dem letzten Satz keine universelle Uber-lagerung.

Unsere theoretischen Untersuchungen von Uberlagerungen konnen wirnun mit dem folgenden Klassifikationssatz abschließen. Wir beginnen miteiner Definition:

Definition. Es seien p : (X,x) → (Y, y) und p′ : (X ′, x′) → (Y, y) Uberla-gerungen (wobei

wir hier auch Basispunkte uber y in X und X ′ fixieren). Diese heißenaquivalent, falls es einen Homoomorphismus φ : X → X ′ mit p′ ◦ φ = p undφ(x) = x′ gibt.

Wir haben bereits weiter oben gezeigt, dass universelle Uberlagerungeneines topologischen Raumes Y immer aquivalent sind (nach Wahl von Ba-sispunkten). Wir sprechen dann auch von ”der“ universellen

Uberlagerung von Y und bezeichen diese mit Y → Y .Satz 13.19 (Klassifikation von Uberlagerungen). Es sei Y ein wegzusam-menhangender, lokal wegzusammenhangender und semilokal einfach zusam-menhangender Raum. Es sei y ∈ Y ein Basispunkt. Dann gibt es eine bijek-tive Korrespondenz zwischen:

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58 BERNHARD HANKE

• (Basispunkterhaltenden) Aquivalenzklassen von (nichtleeren) wegzu-sammenhangenden Uberlagerungen von Y mit festgewahltem Basis-punkt uber y.• Untergruppen H ⊂ π1(Y, y).

Ist p : (X,x) → (Y, y) eine Uberlagerung, so ist die entsprechende Unter-gruppe durch H := p∗(π1(X,x)) gegeben.

Proof. Sind die wie eben definierten Untergruppen fur zwei Uberlagerungengleich, so sind die entsprechenden Uberlagerungen aquivalent. Dies folgtdirekt aus dem Liftungstheorem. Es sei nun H ⊂ π1(Y, y) eine Untergruppe.Wir mussen eine Uberlagerung p : X → Y und einen Punkt x ∈ X finden mitp(x) = y und p∗(π1(X,x)) = H. Nach dem vorhin gezeigten Satz existierteine universelle Uberlagerung π : Y → Y . Es sei y ∈ Y ein Punkt uber y.Nach dieser Festlegung haben wir einen Isomorphismus

Ψ : π1(Y, y) ∼= Deck(π)

wie weiter oben definiert. Wir konnen also vermittels Ψ die UntergruppeH ⊂ π1(Y, y) als Untergruppe von Deck(π) auffassen. Insbesondere operiertH auf Y . Wir setzen X := Y /H. Die Abbildung π induziert eine stetigeAbbildung

p : X → Y

Man uberzeugt sich leicht, dass es sich um eine Uberlagerung handelt (indemman durch π gleichmaßig uberdeckte offene Mengen in Y betrachtet - diesewerden dann durch die Wirkung von Deck(π) einfach permutiert). Es seix ∈ X das Bild von y unter der Projektion Y → X. Wir behaupten, dassp∗(π1(X,x)) = H. Wie wir weiter oben gesehen haben, stimmt das Bild vonπ1(X,x) unter p∗ mit den geschlossenen in y basierten Wegen γ in Y uberein,die sich zu einem geschlossenen in x basierten Weg in X liften lassen. Diesbedeutet aber (nach Definition von Ψ) genau, dass der Lift von γ nach Ymit Anfang y einen Endpunkt der Form Ψ(h)(y) hat, wobei h ∈ H. Dasbedeutet aber (nach Definition von Ψ), dass [γ] ∈ H. �

Wir untersuchen noch die Rolle des uber y ∈ Y gewahlten Basispunktes inX. Ist allgemein p : X → Y eine Uberlagerung mit wegzusammenhangendemX, ist y ∈ Y und x, x′ ∈ p−1(y), so gilt

p∗(π1(X,x)) = g · p∗(π1(X,x′))g−1

wobei g ∈ π1(Y, y) durch die Projektion eines (beliebigen) Weges in X vonx nach x′ in X ist. Aus dieser Betrachtung (und aus der Tatsache, das mangeschlossene in y basierte Wege in Y immer zu Wegen in X mit Startpunktx liften kann) sowie aus dem Liftungstheorem folgt fur den Fall, dass Xzusatzlich lokal wegzusammenhangend ist:Proposition 13.20. Die folgenden Aussagen sind aquivalent:

• p∗(π1(X,x)) ist normal in π1(Y, y).

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 59

• Fur alle Punkte x1, x2 ∈ p−1(y) gilt

p∗(π1(X,x1)) = p∗(π1(X,x2)) .

• Fur alle Punkte x1, x2 ∈ p−1(y) gibt es eine Decktransformationφ ∈ Deck(p) mit φ(x1) = x2.

Man zeigt daruberhinaus leicht, dass in diesem Falle Deck(p) mit derQuotientengruppe π1(Y, y)/p∗(π1(X,x)) identifiziert werden kann und dassX/Deck(p) zum Raum Y

kanonisch homoomorph ist.Wenn wir im Klassifikationstheorem auf die Wahl des Basispunktes in

X verzichten wurden (und bei Aquivalenzen von Uberlagerungen auf dieErhaltung von Basispunkten), erhielten wir also eine 1 − 1-Korrespondenzvon Aquivalenzklassen von Uberlagerungen von Y und Konjugationsklassenvon Untergruppen von π1(Y, y).

Definition. Eine Uberlagerung X → Y heißt regular, falls p∗(π1(X,x)) ⊂π1(Y, y) eine normale Untergruppe ist.

Im Sinne der letzten Proposition sind die regularen Uberlagerungen (mitwegzusammenhangendem und lokal wegzusammenhangendem X) also dieUberlagerungen mit maximaler Symmetrie (in dem Sinne, dass die Deck-transformationsgruppe transitiv auf den Fasern operiert).

Diese Resultate weisen eine gewisse Analogie zur Galoistheorie aus derAlgebra auf: Ist (Y, y) wegzusammenhangend, lokal wegzusammenhangendund semilokal einfach zusammenhangend, so entsprechen sich Aquivalenz-klassen von wegzusammenhangenden Uberlagerungen (mit Basispunkt) undUntergruppen von π1(Y, y). Genau die Uberlagerungen, die zu normalen Un-tergruppen gehoren, haben dabei ein Maximum an Symmetrie in dem Sin-ne, dass die Decktransformationsgruppe transitiv auf den Fasern operiert.Ist K ⊂ L eine Galoissche Korpererweiterung (d.h. endlich, separabel undnormal), so entsprechen sich genau die Zwischenkorper K ⊂ L′ ⊂ L und Un-tergruppen der Galoisgruppe Gal(L/K). Dabei entspricht H ⊂ Gal(L/K)dem Fixkorper L′ := LH (also den Elementen in L die durch alle Elementeaus H fixiert werden). Die normalen Untergruppen liefern dabei Korperer-weiterungen, K ⊂ L′ die Galoissch sind (d.h. maximale Symmetrie in demSinne aufweisen, dass K genau der Fixkorper von Gal(L′/K) ist). DieseAnalogie kann innerhalb der Theorie der Schemata (in der algebraischenGeometrie) prazisiert werden.

14. Eine Anwendung in der Gruppentheorie

Es sei M eine Menge und W (M ∪ M−1) die Menge der Worter uberder Sympbolmenge M ∪ M−1 := {m,m−1 | m ∈ M}, d.h. Elemente inW (M ∪M−1) sind Ausdrucke der Form

s1s2s3 . . . sk ,

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60 BERNHARD HANKE

wobei si ∈ M ∪ M−1. Wir betrachten das leere Wort als Element vonW (M ∪ M−1). Wir bezeichnen zwei Worter als aquivalent, geschriebenW1 ∼ W2, wenn sie durch wiederholtes Entfernen oder Einfugen einer Zei-chenkette der Form mm−1 oder m−1m auseinander hervorgehen. Dies defi-niert offensichtlich eine Aquivalenzrelation.

Sind W1 und W2 Worter, so definieren wir das Wort W1W2 durch Anein-anderfugen. Das Inverse eines Wortes W = s1s2s3 . . . sk ist das Wort

W−1 := s−1k s−1

k−1 . . . s−11 ,

wobei wir (m−1)−1 gleich m setzen.Diese beiden Operationen sind mit der Aquivalenzrelation auf W (M ∪

M−1) vertraglich und induzieren entsprechende Operationen auf

F (M) := W (M ∪M−1)/ ∼ ,die diese Menge zu einer Gruppe machen. Sie heißt die freie Gruppe uberM .

Es ist nicht schwer, die folgende universelle Eigenschaft der freien Gruppeuber M nachzuweisen.Proposition 14.1. Es sei G eine Gruppe und f : M → G eine Abbildung(von Mengen). Dann existiert ein eindeutig bestimmter Gruppenhomomor-phismus F : F (M)→ G, so dass F |M = f .

Man kann freie Gruppen auch uber diese universelle Eigenschaft definie-ren.

Ist n ∈ N, so ist die freie Gruppe in n Erzeugern Fn definiert als F (M),wobei M eine Menge mit n Elementen ist. Diese Sprechweise ist gerecht-fertigt, da F (M) ∼= F (M ′), falls M und M ′ die gleiche Machtigkeit haben.Umgekehrt legt auch der Isomorphietyp einer freien Gruppe F (M) die Kar-dinalitat von M fest (Robinson, A course in the theory of groups, Springer,2.3.9). Wir erlautern kurz den folgenden Spezialfall.Proposition 14.2. Sind n,m naturliche Zahlen und ist Fn ∼= Fm, so giltm = n.

Proof. Dies liegt daran, dass die Abelisierung (Fn)ab eine freie abelscheGruppe An mit n Erzeugern ist. Und ist n 6= m, so sind An und Am nichtisomorph (dies sieht man z.B. nach Tensorieren mit Q und der Tatsache,dass endlich dimensionale Vektorraume mit verschieden langen Basen nichtisomorph sein konnen). �

Ein Wort W ∈ W (M ∪M−1) heißt reduziert, falls es keine Zeichenketteder Form mm−1 oder m−1m enthalt.Proposition 14.3. Jede Aquivalenzklasse von Wortern aus W (M ∪M−1)enthalt ein eindeutig bestimmtes reduziertes Wort.

Proof. Existenz ist klar. Es sei nun R(M) die Menge der reduzierte Worterin W (M ∪M−1). Ist m ∈M , so definieren wir eine Abbildung

φm : R(M)→ R(M) ,

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 61

durchs1 . . . sk 7→ ms1 . . . sk ,

falls s1 6= m−1 unds1 . . . sk 7→ s2 . . . sk ,

falls s1 = m−1. Die Abbildung φm ist bijektiv. Die so definierte FunktionM → Perm(R(M)) lasst sich nach der universellen Eigenschaft eindeutig zueinem Gruppenhomomorphismus

F (M)→ Perm(R(M)) , g 7→ φg

erweiteren. Das Symbol m−1 geht dann offensichtlich in die Funktion φm−1 :R(M)→ R(M) uber, die durch

s1 . . . sk 7→ m−1s1 . . . sk ,

falls s1 6= m unds1 . . . sk 7→ s2 . . . sk ,

falls s1 = m, gegeben ist. Es seien nun v, w aquivalente reduzierte Worter.Ist v = s1 . . . sk mit si ∈M ∪M−1, so haben wir

φ[v] = φs1 . . . φsk

und Anwenden dieser Permutation auf das leere Wort e ergibt

φv(e) = s1 . . . sk = v ,

denn v ist reduziert. Ebenso erhalten wir φ[w](e) = w. Aber [v] = [w] nachVoraussetzung. Daraus folgt die Behauptung. �

Wir werden mit topologischen Methoden das folgende rein algebraischeErgebnis beweisen. Dabei heißt eine Gruppe G frei, falls es eine Menge Mgibt, so dass G ∼= F (M).Satz 14.4 (Nielsen-Schreier). Untergruppen freier Gruppen sind frei.

Der Beweis braucht etwas Vorbereitung.Ein Graph ist ein eindimensionaler geometrischer Simplizialkomplex

(d.h. die maximale Dimension von auftretenden Simplizes ist 1). Die 0-dimensionalen Simplizes eines Graphen G nennen wir die Ecken von G unddie eindimensionalen Simplizes die Kanten. Diese Mengen werden mit V (G)(Vertices) und E(G) (Edges) bezeichnet.

Ein Graph heißt Baum, wenn er zusammenziehbar ist. Ist G ein beliebigerGraph, so heißt ein Untergraph (also Unterkomplex) T ⊂ G ein maximaleroder aufspannender Baum, falls T ein Baum ist und alle Ecken vonG enthalt.Proposition 14.5. Jeder zusammenhangende Graph enthalt einen Spann-baum.

Proof. Wir beweisen allgemeiner: Ist H ⊂ G ein Untergraph, so ist H starkerDeformationsretrakt eines Graphen K ⊂ G, der alle Ecken von G enthalt.Zum Beweis konstruieren wir zunachst eine Folge von Untergraphen

H = H0 ⊂ H1 ⊂ H2 ⊂ . . . G

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62 BERNHARD HANKE

wie folgt: Hi+1 entsteht aus Hi durch Anfugen aller Kanten in G, die minde-stens eine Ecke in Hi haben. Die Vereinigung

⋃i∈NHi ist ein offener (denn ist

x ∈ Hi, so ist eine Umgebung von x in G in der Menge Hi+1 enthalten) undabgeschlossener (denn diese Vereinigung ist Unterkomplex) Unterraum vonG und stimmt daher mit G uberein, da G ein zusammenhangender Raumist.

Wir definieren nun Teilgraphen

H = K0 ⊂ K1 ⊂ . . . ⊂ G

mit der Eigenschaft Ki ⊂ Hi wie folgt: Der Graph Ki+1 entsteht aus Ki,indem man fur jede Ecke in Hi+1, die nicht in Ki liegt genau eine Kanteaus Hi+1 einfugt, die diese Ecke mit einer Ecke aus Ki verbindet. Offen-sichtlich enthalt Ki+1 alle Ecken aus Hi+1. Somit enthalt der UntergraphK :=

⋃iKi ⊂ G alle Ecken von G. Nach Konstruktion ist Ki ein star-

ker Deformationsrektrakt von Ki+1. Wir parametrisieren diese Deformati-onsretraktion von Ki+1 auf Ki mittels eines Zeitparameters im Intervall[1/(2i+1), 1/2i]. Diese Retraktionen konnen wir zu einer stetigen Abbildung

Ψ : K × [0, 1]→ K

zusammenfugen, indem wir Punkte in Ki+1 \Ki bis zum Zeitpunkt 1/2i+1

konstant lassen, dann gemaß der obigen Homotopie auf Ki (bis zum Zeit-punkt 1/2i) retrahieren und dann anschließend wie Punkte aus Ki behan-deln. Fur die Wohldefiniertheit ist wichtig, dass wir starke Deformationsre-traktionen benutzen, d.h. Punkte in Ki wirklich bis zum Zeitpunkt 1/2i

konstant bleiben. Um die Stetigkeit on Ψ zu prufen, mussen wir (nachder Definition der Topologie auf Simplizialkomplexen) nur prufen, dass dieEinschrankung von Ψ auf σ × [0, 1] fur alle Simplizes σ ⊂ K stetig ist.Ist aber e ⊂ K eine Kante, so ist Ψ auf e × [0, 1/2i+1] konstant, fallse ∈ E(Ki+1) \ E(Ki) und anschließend offensichtlich stetig, d.h. Ψ|e×[0,1]

ist insgesamt stetig. Nach Konstruktion ist Ψ eine Deformationsretraktionvon K auf H. �

Mit der gleichen Idee wie in diesem Beweis zeigt man: Ist T ⊂ G einSpannbaum, so ist jeder Punkt p ∈ T ein starker Deformationsretrakt vonT . Wir erhalten die folgende Beschreibung des Homotopietyps von zusam-menhangenden Graphen (ist M eine beliebige Menge, so ist ein Bouquet vonSpharen S1 uber M der Raum

⋃MS

1/ ∼, wobei ∼ die disjunkte Vereinigungder Punkte 1 ∈ S1 zu einem Punkt identifiziert. Die Spharen werden alsoalle an 1 ∈ S1 verklebt. Dieser Raum wird mit

∨M S1 bezeichnet.)

Satz 14.6. Es sei G ein zusammenhangender Graph und T ⊂ G ein Spann-baum. Es sei M die Menge der Kanten von G, die nicht in T liegen. Dann istG homotopieaquivalent zu einem Bouquet von Spharen S1 uber der MengeM .

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EINFUHRUNG IN DIE TOPOLOGIE 63

Proof. Wir schreiben

G = T ∪φ⋃

m∈M[0, 1]

wobei φ :⋃m∈M{0, 1} → T die Ecken des Simplex [0, 1], das zum Element

m ∈ M gehort mit den entsprechenden Ecken in T identifiziert (T enthaltja alle Ecken von G). Ist p ∈ T ein beliebiger Punkt, so ist φ wegen derZusammenziehbarkeit von T homotop zu einer konstanten Abbildung cp :⋃m∈M{0, 1} → T mit Wert p. Wie in Aufgabe 3 auf Blatt 9 sieht man nun,

dass

T ∪φ⋃

m∈M[0, 1] ' T ∪cp

⋃m∈M

[0, 1]

letzterer Raum ist aber ein Bouquet von Spharen S1 uber der Menge M ,das mit T am Punkt p verklebt wurde. Da p ein starker Deformationsretraktvon T ist, ist dieser Raum homotopieaquivalent zum Bouquet allein. �

Wir berechnen nun noch die Fundamentalgruppe eines Bouquets vonSpharen.Proposition 14.7. Es sei M eine Menge und

X :=∨M

S1

ein uber M parametrisiertes Bouquet von Spharen. Dann ist π1(X,x) ∼=F (M) (mit einem beliebigen Basispunkt x ∈ X).

Proof. Wir erlautern den Beweis nur fur den Fall, dass M zwei Elementeenthalt, der allgemeine Fall geht analog.

Es sei also M = {a, b}. Wir betrachten den Cayley-Graphen G von M .D.h. die Ecken von M sind die Elemente von F (M) und zwei Ecken e, f sinddurch eine Kante verbunden, wenn e und f (als Elemente von F (M)) durchMultiplikation (von rechts) mit a oder b auseinander hervorgehen, d.h. (e, f)bildet genau dann eine Kante, falls f = ea, f = eb, f = ea−1 oder f = b−1.Wir betrachten das neutrale Element als Basipunkt von G, genannt p. DieGruppe F (M) operiert auf G: Ist g ∈ F (M), so schicken wir eine Ecke e ∈ Gauf die Ecke ge und eine Kante (e, f) auf die Kante (ge, gf). Diese Operationist eigentlich diskontinuierlich und der Orbitraum kann mit einem Bouquetvon 2 Spharen S1 identifiziert werden. Wir behaupten nun, dass G ein Baumist (daraus folgt, dass G einfach zusammenhangend ist und somit nach denPropositionen 13.16 und 13.13 die Behauptung der Proposition). Ein Wegin einem Graphen ist eine Folge von aufeinanderfolgenden Kanten der Form

(e1, e2), (e2, e3), . . . , (ek−1, ek)

wobei niemals eine Kante sofort wieder zuruckgelaufen wird, d,h. ei+1 6= ei−1

fur alle i. Ist F ein Graph mit Basipunkt f und lasst sich jede Ecke in F mitf durch genau einen Weg verbinden, so ist F ein Baum. Dies folgt direktaus der Konstruktion in Proposition 14.5.

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Genau diese Eigenschaft trifft aber nach Proposition 14.3 auf den Cayley-Graphen einer freien Gruppe zu, denn ein Weg im Cayley-Graphen ent-spricht einem reduzierten Wort. �

Wir brauchen noch:Lemma 14.8. Es sei G ein Graph und p : F → G eine Uberlagerung. Dannist auch F ein Graph.

Proof. Wir mussen F die Struktur eines eindimensionalen Simplizialkom-plexes geben. Ist V (G) die Eckenmenge von G, so nehmen wir p−1(V (G))als Eckenmenge von F . Ist e ⊂ G eine Kante und v ∈ G eine Ecke von e,so konnen wir fur jeden Lift v von v die Kante e mit Anfanspunkt v liften.Diese Prozedur liefert uns eine Menge von Kanten in F . Der so definiertegeometrische Simplizialkomplex kann mit F identifiziert werden (die Topo-logie von F stimmt mit der Simplizialkomplextopologie uberein, da p einlokaler Homoomorphismus ist). �

Beweis des Nielsen-Schreier Satzes. Es sei G = F (M). Ist Y ein uber Mparametrisiertes Bouquet von 1-Spharen und y ∈ Y , so gilt

π1(Y, y) ∼= F (M) .

Indem wir jede S1 in drei 1-Simplizes aufteilen, konnen wir Y als Graphauffassen. Der Raum Y ist semilokal einfach zusammenhangend und daherkann der Klassifikationssatz von Uberlagerungen auf Y angewendet werden.Es sei nun H ⊂ G eine Untergruppe und p : (X,x)→ (Y, y) eine Uberlage-rung mit zusammenhangendem X und

p∗(π1(X,x)) = H ⊂ π1(Y, y) .

Da p∗ injektiv ist, gilt also

π1(X,x) ∼= H .

Nach dem Lemma ist X ein zusammenhangender Graph und daher homo-topieaquivalent zu einem Bouquet von S1en. Daher ist π1(X,x) (also auchH) eine freie Gruppe. �

Es ist uber die hier entwickelte Analogie nicht schwer zu sehen (obwohldie Aussage zunachst uberrascht), dass es fur jedes n ∈ N

eine Untergruppe H ⊂ F2 gibt mit H ∼= Fn.