MiPo'11: Im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz: Warum so viele Webplattformen ungenutzt...

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Im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz: Warum so viele Webplattformen ungenutzt bleiben Dr. Matthias Finck, effective WEBWORK GmbH 1 Zusammenfassung Anhand zweier Fallbeispiele virtueller Netzwerke werden Faktoren erarbeitet, warum es trotz als optimal empfundenen Softwareunterstützung nicht immer gelingt, die Nutzung von webbasierten Kooperationsplattformen in einem zufriedenstellenden Maße zu intensivieren. Als drei Hindernisse für eine erfolgreiche Nutzung werden (1) Diskrepanzen zwischen der Vorstellung einer gleichberechtigten Kooperation und der im Netzwerk tatsächlich geltenden Handlungspraxis einer unterschwelligen Konkurrenz, (2) dem schwer zu erreichenden Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen sowie (3) dem sogenannten Kaltstartproblem einer leeren Plattform herausgearbeitet. In diesem Beitrag werden anschließend Hinweise gegeben, wie Mitarbeiter nicht nur virtueller Netzwerke zur Aktivität und zum Austausch auf solchen Plattformen motiviert werden können, um eine nachhaltige Nutzung zu etablieren und die genannten Hindernisse zu überwinden. Dieser Beitrag ist eine zusammenfassende Darstellung der Erkenntnisse verschiedener Forschungsarbeiten, an denen der Autor im Zusammenhang mit dem VIRKON-Projekt beteiligt war (Finck et al. 2005, Finck et al. 2006, Finck et al. 2007, Finck & Janneck 2008, Janneck et al. 2006). 2 Hintergrund In diesem Beitrag dienen zwei Fallbeispiele virtueller Netzwerke, die im Rahmen des BMBF- Forschungsprojekts VIRKON von 2004 bis 2007 untersucht wurden, als Untersuchungsgegenstand. Das Kürzel des Forschungsprojekts VIRKON steht für: "VIRKON - Arbeiten in virtuellen Konstrukten, Organisationen und Netzen". Das BMBF-Projekt aus dem Förderprogramm "Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit" untersuchte den Einsatz von webbasierten Kooperationsplattformen zur Unterstützung von Freelancern. Ziel des Verbundprojektes war es, die Arbeitsbedingungen von freiberuflich in Netzwerken agierenden WissensarbeiterInnen in einer breit angelegten Untersuchung im Sinne webgestützter Aktionsforschung zu erfassen und zu analysieren. 2.1 Die Fallbeispiele Die zwei Fallbeispiele, die als empirischen Untersuchungsfeldes dieses Beitrages dienen, sind Netzwerke freiberuflicher Wissensarbeitern aus dem Bereich Informatik- und Management- Consulting, Organisationsentwicklung, Beratung und Training (vgl. Finck et al. 2006): Netzwerk A, gegründet 1997, versteht sich als „Pool für Berater zum Austausch von Kenntnissen, Erfahrungen und Arbeitsergebnissen und zum Aufbau neuen Fachwissens und innovativer persönlicher und sozialer Fähigkeiten“. Das Netzwerk setzt sich aus ca. 20 Personen mit interdisziplinären Expertisen in verschiedenen Themenfeldern der Informations- und Kommunikationstechnologie zusammen. Es bietet Beratungs- und Fortbildungsangebote für Freiberufler an und ermöglicht den Mitgliedern die Vermarktung ihrer Leistungsangebote über die Netzwerkkontakte. Zum Informationsaustausch finden alle

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Die Verteilung von Informationen innerhalb eines Großkonzerns ist ein wesentlicher Aspekt zur Stei-gerung der Wettbewerbsfähigkeit. Eine besondere Relevanz gilt dabei aktuellen Ergebnissen von Projekten aus Forschung- und Entwicklung. Innovationen die gerade aus solchen Querschnittsbereichen resultieren, haben oftmals einen weitreichenden Nutzen – über die unter-nehmensinternen Grenzen der einzelnen Bereiche und Produkte hinweg. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der gezielten Aufbereitung von Projektergebnissen aus Forschung & Entwicklung und deren bereichsübergreifenden, internen Kommunikation anhand eines Anwendungsbeispiels. Dabei werden die innerhalb der Daimler AG eingesetzten Medien und die sich dadurch ergebenden Informationsflüsse vorgestellt sowie auf die Informationsbrüche eingegangen.

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Im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz: Warum so viele

Webplattformen ungenutzt bleiben Dr. Matthias Finck, effective WEBWORK GmbH

1 Zusammenfassung Anhand zweier Fallbeispiele virtueller Netzwerke werden Faktoren erarbeitet, warum es trotz als

optimal empfundenen Softwareunterstützung nicht immer gelingt, die Nutzung von webbasierten

Kooperationsplattformen in einem zufriedenstellenden Maße zu intensivieren.

Als drei Hindernisse für eine erfolgreiche Nutzung werden (1) Diskrepanzen zwischen der Vorstellung

einer gleichberechtigten Kooperation und der im Netzwerk tatsächlich geltenden Handlungspraxis

einer unterschwelligen Konkurrenz, (2) dem schwer zu erreichenden Gleichgewicht zwischen Geben

und Nehmen sowie (3) dem sogenannten Kaltstartproblem einer leeren Plattform herausgearbeitet.

In diesem Beitrag werden anschließend Hinweise gegeben, wie Mitarbeiter – nicht nur virtueller

Netzwerke – zur Aktivität und zum Austausch auf solchen Plattformen motiviert werden können, um

eine nachhaltige Nutzung zu etablieren und die genannten Hindernisse zu überwinden.

Dieser Beitrag ist eine zusammenfassende Darstellung der Erkenntnisse verschiedener

Forschungsarbeiten, an denen der Autor im Zusammenhang mit dem VIRKON-Projekt beteiligt war

(Finck et al. 2005, Finck et al. 2006, Finck et al. 2007, Finck & Janneck 2008, Janneck et al. 2006).

2 Hintergrund In diesem Beitrag dienen zwei Fallbeispiele virtueller Netzwerke, die im Rahmen des BMBF-

Forschungsprojekts VIRKON von 2004 bis 2007 untersucht wurden, als Untersuchungsgegenstand.

Das Kürzel des Forschungsprojekts VIRKON steht für: "VIRKON - Arbeiten in virtuellen Konstrukten,

Organisationen und Netzen". Das BMBF-Projekt aus dem Förderprogramm "Innovative

Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit" untersuchte den Einsatz von webbasierten

Kooperationsplattformen zur Unterstützung von Freelancern. Ziel des Verbundprojektes war es, die

Arbeitsbedingungen von freiberuflich in Netzwerken agierenden WissensarbeiterInnen in einer breit

angelegten Untersuchung im Sinne webgestützter Aktionsforschung zu erfassen und zu analysieren.

2.1 Die Fallbeispiele

Die zwei Fallbeispiele, die als empirischen Untersuchungsfeldes dieses Beitrages dienen, sind

Netzwerke freiberuflicher Wissensarbeitern aus dem Bereich Informatik- und Management-

Consulting, Organisationsentwicklung, Beratung und Training (vgl. Finck et al. 2006):

Netzwerk A, gegründet 1997, versteht sich als „Pool für Berater zum Austausch von

Kenntnissen, Erfahrungen und Arbeitsergebnissen und zum Aufbau neuen Fachwissens und

innovativer persönlicher und sozialer Fähigkeiten“. Das Netzwerk setzt sich aus ca. 20

Personen mit interdisziplinären Expertisen in verschiedenen Themenfeldern der

Informations- und Kommunikationstechnologie zusammen. Es bietet Beratungs- und

Fortbildungsangebote für Freiberufler an und ermöglicht den Mitgliedern die Vermarktung

ihrer Leistungsangebote über die Netzwerkkontakte. Zum Informationsaustausch finden alle

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zwei Monate Workshops statt, dazu monatliche Treffen am Kamin und

Arbeitsgruppentreffen zu speziellen Themen. Zur Kooperations- und

Kommunikationsunterstützung erprobte A vor dem Start des Forschungsprojekts

verschiedene Systeme, die allerdings kaum genutzt wurden.

Netzwerk B ist ein wesentlich kleineres Netzwerk, bestehend aus ca. 5-10 Personen.

Gegründet 1999, bietet das Netzwerk Dienstleistungen aus dem Bereich Organisations- und

Personalentwicklung, Beratung, Training und Coaching an. Im Gegensatz zu A bildet B ein

homogenes Netzwerk von Personen ähnlicher sozialwissenschaftlich orientierter Ausbildung

und zeichnet sich durch eine sehr geringe Formalisierung und Struktur aus. Zum Austausch

finden neben regelmäßigen, generelle Fragen im Netzwerk betreffenden Workshops immer

wieder relativ spontane Treffen zur Abstimmung einzelner Projekte statt. Zur technischen

Unterstützung wurde in B längere Zeit auf LOTUS NOTES gesetzt. Doch wie bei A

kristallisierte sich auch hier eine sehr geringe Nutzung heraus (vgl. Finck & Janneck 2008).

2.2 Methodik

Um Einsichten in die Nutzung von Kooperationsplattformen in den Netzwerken zu erhalten, wurde

methodisch auf eine Triangulation verschiedener quantitativer und qualitativer Methoden wie

Fragebögen, Einzel- und Gruppeninterviews, Analysen von Nutzungsstatistiken und begleitende

Beobachtung gesetzt (vgl. Flick 1998, Mayring 2003).

Um die subjektiven Perspektiven und Erfahrungen der Netzwerkmitglieder und die Dynamik im

Netzwerk in den Vordergrund zu rücken, wurden drei etwa einstündige Gruppeninterviews mit

insgesamt 15 Mitgliedern der beiden Freelancer-Netzwerke durchgeführt, die anhand eines

Leitfadens moderiert wurden. Zwei dieser Interviews wurden mit Einverständnis der Befragten auf

Tonband aufgenommen und transkribiert, das dritte Interview wurde von Hand mitprotokolliert. Die

Interviews wurden im Sinne einer zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2003)

ausgewertet.

Zusätzlich wurde der Umgang der Netzwerkmitglieder mit der jeweiligen Kooperationsunterstützung

im Zeitraum von über einem halben Jahr begleitet und der Umgang mit der Plattform sowie die

Konsequenzen hinsichtlich der Dynamik im Netzwerk mit einzelnen Mitgliedern in mehreren

Workshops gemeinsam reflektiert.

Ergänzend füllten alle Beteiligten einen Fragebogen aus, durch den zusätzliche Faktoren quantitativ

erfasst wurden. Die dort erhobenen Daten zur Mediennutzung bestätigen die Interviewergebnisse,

brachten interessanterweise inhaltlich jedoch kaum neue Erkenntnisse. Letztlich wurde die Nutzung

der Systeme durch die Auswertung technischer Nutzungsdaten – wie z.B. Nutzungsstatistiken –

ergänzt.

3 Entwicklung einer optimale Kooperationsunterstützung?! Beide Netzwerke hatten zum Zeitpunkt des Forschungsprojektes bereits Erfahrungen im Umgang mit

Kooperationsplattformen gesammelt, die sich allerdings alle als wenig erfolgreich herausstellten.

Aufgrund dieser Ausgangssituation wurde in Absprache mit den Netzwerkmitgliedern entschieden,

eine neue Kooperationsplattform einzuführen, die den Anforderungen des Netzwerks entsprechend

kontinuierlich weiterentwickelt werden sollte. Als Prototyp für die partizipative Weiterentwicklung

diente die webbasierte Kooperationsplattform CommSy, die grundlegende Kommunikations- und

Kooperationswerkzeuge zur Verfügung stellte.

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3.1 Ein partizipativer Entwicklungsprozess als Basis1

Zu Beginn des Entwicklungsprozesses stand eine ausführliche Kontexterkundung. Auf einem Kick-Off-

Workshop, an dem nahezu alle Netzwerkmitglieder teilnahmen, stellten wir die

Entwicklungsmethodik – partizipativer Prozess, schnelles Prototyping (vgl. Floyd et al. 1989) – vor

und besprachen das weitere Vorgehen mit den Netzwerkmitgliedern. Unter Verwendung von

Gruppeninterviews und ergänzenden Fragebögen wurden Daten zur Arbeitssituation der

Freiberufler, der organisatorischen Praxis im Netzwerk, den Kommunikationsmustern, den

Erfahrungen mit bisherigen Plattformen und den Anforderungen an die Informationstechnologie im

Netzwerk erhoben. Abschließend wurden in einem Brainstorming Hoffnungen, Möglichkeiten und

bisherige Probleme im Zusammenhang mit dem Einsatz einer Kooperationsplattform gesammelt.

Auf eine ausführliche Analyse der Arbeitsabläufe mittels einer Beobachtung der Nutzer am

Arbeitsplatz musste verzichtet werden, weil konkrete Arbeitsabläufe im Netzwerk erst mit

Einführung der Plattform entwickelt wurden: Bisherige Systeme waren nicht genutzt worden. Die

informelle Arbeit im Netzwerk war somit weit von der beabsichtigten entfernt und zeitlich zudem

sehr stark mit der selbstständigen Tätigkeit verwoben – ein typisches Phänomen bei der Gestaltung

von Software für neue bzw. noch wenig bekannte Nutzungskontexte.

3.2 Widerspruch zwischen formuliertem und erlebtem Entwicklungserfolg

Die regelmäßigen Evaluationen der jeweiligen Systemversionen der neuen Plattform lieferten ein

stetig positives Ergebnis hinsichtlich der Systemgestaltung. Das System wurde von der großen

Mehrheit der Befragten als sinnvolle Unterstützung für die Netzwerkarbeit angesehen und als

einfach zu benutzen bezeichnet, Handhabungsprobleme traten kaum auf.

Abb. 1: Befragungsergebnisse

Trotzdem nutzten die Mitglieder die Plattform mehrheitlich – wenn überhaupt – nur passiv (lesend)

und beteiligten sich kaum an der aktiven Bereitstellung von Inhalten (Abbildung. 1). Diese weiterhin

geringe Nutzungsintensität führte sowohl bei den wenigen aktiven Netzwerkmitgliedern als auch bei

den Entwicklern zu Frustration (vgl. Finck et al. 2005).

1 Ausführliche Beschreibung des Entwicklungsprozesses bei Janneck et al. 2006.

0

1

2

3

4

5

6

7

8

stimmt

nicht

stimmt

wenig

stimmt

eher

stimmt

sehr

n

Das System wareine sinnvolleUnterstützung

Das System isteinfach zu benutzen

Es sind häufigerProblemeaufgetreten

Die Mehrheitbeteiligt sichregelmäßig

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4 Gründe für die Nutzungshemmnisse

4.1 Verzerrte Leitbilder bei der Plattformnutzung2

Die Ergebnisse der Anforderungsermittlung im Entwicklungsprozess zeigten eine starke Betonung

einer gleichberechtigten, nichthierarchischen Form der Zusammenarbeit und der Bedeutung des

gegenseitigen Vertrauens in der von freiwilligem Engagement geprägten Kooperation (vgl. Finck et

al. 2005, Janneck et al. 2005, Finck et al. 2006).

Auf dieser Basis entstand das Leitbild einer gleichberechtigten Kooperation als Grundlage für die

Entwicklung einer Systemvision (vgl. Beyer & Holtzblatt 1997). Übertragen auf die Gestaltung der

Kooperationsunterstützung führten diese sozialen Voraussetzungen zu Gestaltungsanforderungen,

die eine gleichberechtigte Teilhabe und unbeschränkten Zugang zu Informationen als wesentliche

Erfolgskriterien auswiesen.

Um die Diskrepanz zwischen der positiven Bewertung der Plattform und der geringen Nutzung auf

den Grund zu analysieren, wurden die Interaktionsstrukturen im Laufe der Zusammenarbeit im

Netzwerk einer weiteren Analyse unterzogen, u.a. durch teilnehmende Beobachtung auf Netzwerk-

Workshops. Hierbei wurde eine Kluft zwischen dem kommunizierten Leitbild und der alltäglichen

Praxis im Netzwerk deutlich: Die Zusammenarbeit im Netzwerk wurde statt von der propagierten

gleichberechtigten Kooperation von einem starken informellen Hierarchiegefälle geprägt und die

Netzwerkmitglieder standen in einem impliziten Konkurrenzverhältnis zueinander, das durch die

schlechte wirtschaftliche Situation noch verschärft wurde.

Vor diesem Hintergrund wird die geringe Nutzung verständlich: In dieser unklaren

Kooperationssituation ergeben sich – abgesehen von wenigen konkreten, gemeinsam bearbeiteten

Aufträgen – kaum Kooperationsanlässe, zudem ist in einer Konkurrenzsituation die Bereitstellung

ökonomisch relevanter Inhalte auf der Kooperationsplattform nicht problemlos. Vordergründig galt

es ein rein kooperatives Szenario zu unterstützen, tatsächlich befanden sich die Teilnehmer aber in

einer permanenten – wenn auch unterschwelligen – Konkurrenzsituation. Dadurch entstand auch

eine Befürchtung, dass kein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen bei der Plattform existieren

könnte.

4.2 Das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen3

So stellte sich dann als ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung bei der Erarbeitung gemeinsamer

Informationsressourcen die von den Mitarbeitern geäußerte Befürchtung, mehr Zeit, Aufwand oder

Informationen in die Beteiligung zu investieren, als sie an Nutzen zurückbekommen. Diese

Befürchtung führte zu der paradoxen Situation, dass die Nutzung der Plattform als wichtig und

gewinnbringend angesehen wurde, die Bereitschaft zur Beteiligung jedoch gering war.

Wichtig war den Beteiligten eine mittelfristige Ausgeglichenheit zwischen Geben und Nehmen,

sowohl im Hinblick auf die Mediennutzung als auch allgemein auf den Umgang im Netzwerk:

„Wenn man sich austauscht, darf das nicht so einseitig sein. Es kann schon mal einseitig sein,

aber man darf nicht irgendwann das Gefühl haben, man wird ausgenutzt.“ – „Ich hab schon

die Erfahrung gemacht, dass es vielen Leuten wichtig ist, dass es ein Geben und Nehmen ist.“

2 vgl. Janneck et al. 2006 3 vgl. Finck et al. 2005

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– „Das kann asymmetrisch stattfinden – sagen wir, ich kriege jetzt was von ihm, aber ich habe

für dich etwas anzubieten.“ (Interviewaussagen)

Bezogen auf Kooperationsplattformen bedeutet das, dass eigene Beiträge wahrscheinlicher werden,

wenn man sich selber etwas von der Nutzung verspricht.

In der Praxis erschien es jedoch auf der Seite der aktiveren Mitglieder so, dass Aktivität fast

ausschließlich von ihnen selbst erzeugt wurde. Das führte zu Frustrationserlebnissen, weil (zumindest

teilweise zu Unrecht, wie im vergangenen Abschnitt gezeigt) vermutet wurde, dass die passiveren

Teilnehmer die Plattform gar nicht benutzen oder lediglich Ergebnisse abgreifen:

„ ...dann passiert viel auf der Plattform, und dann ist es auch interessant, zu unterschiedlichen

Zeiten, also dann, wenn es einem passt, sich darauf zu begeben und Informationen zu holen

oder zu geben. Wenn wenige das nur nutzen, ist wenig Bewegung drauf, und die Erfahrung,

ich guck dahin und es war doch nichts, führt dazu, dass man sich daraus zurückzieht.“

(Interviewaussagen)

Die Angst vor einem Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen bezieht sich dabei vor allem auf

ökonomisch relevante Inhalte. Zwar wurde in unseren Interviews die Wichtigkeit des Netzwerks als

Halt gebende soziale Struktur betont – wie sich auch im Leitbild wiederspiegelt, jedoch bezieht sich

die Nutzung der Plattform fast ausschließlich auf Inhalte mit ökonomischem Nutzen. So waren

beispielsweise auf der Kooperationsplattform im Untersuchungszeitraum lediglich drei der über 40

eingestellten Materialien privater Natur (wie etwa private Fotografien), alle übrigen beschäftigen sich

mit ökonomischen Themen.

Das mangelnde Vertrauen in eine ausgewogene Plattformnutzung und das Gefühl, dass eine

Anfangsinvestition sich gegenüber den anderen Beteiligten nicht ausgleichen würde, führte zu einem

weiteren typischen Problem – dem Kaltstartproblem.

4.3 Das Kaltstartproblem4

Ein weiterer Grund für die geringe Nutzung der Plattform lag in dem Fehlen eines konkreten

Nutzungsanlasses bzw. eines konkreten Nutzungsinteresses, das von der Mehrzahl der

Netzwerkmitglieder geteilt wurde:

“Wenn es keine richtige Kooperation gibt, ist keine Plattform nötig.” – “...wo es einen klaren

inhaltlichen Weg und ein Thema gibt, an dem gearbeitet wird, (...), fand ich das sehr effizient

und funktionsfähig. In dem Moment, wo der inhaltliche Bearbeitungsprozess zu Ende war,

zogen sich alle wieder daraus zurück”. (Interviewaussagen)

Die Nutzung wurde von wenigen Einzelakteuren getragen, die auch an der Auswahl und der

Gestaltung der Plattform maßgeblich beteiligt waren. Sie bemühten sich, durch die Bereitstellung

von interessanten Inhalten über die Plattform Nutzungsanreize zu schaffen, wurden darin aber von

den übrigen Mitgliedern nicht ausreichend unterstützt, so dass das Kaltstartproblem bestehen blieb:

“Wenn das nur wenige nutzen, ist wenig Bewegung darauf, und die Erfahrung, ich guck`

dahin und es war doch nichts, führt dazu, dass ich mich zurückziehe.” (Interviewaussage)

4 vgl. Finck et al. 2007

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Da das Aufbereiten eigener Inhalte für die Plattform jedoch als sehr aufwändig bewertet wurde und

unklar blieb, welcher eigene Nutzen langfristig zu erwarten war, kamen kaum neue Inhalte hinzu, die

einen breiteren Nutzungsanreiz bieten könnten – ein Teufelskreis. Erschwerend bei diesen

Fallbeispielen kommt hinzu, dass die Befragten durch die Organisationsform des Netzwerks als

freiwilligem Zusammenschluss wenig Möglichkeiten sahen, verbindliche Verpflichtungen

einzufordern: Sämtliche Aktivitäten im Netzwerk beruhen auf freiwilligem Engagement, das im

Zweifelsfall den beruflichen Verbindlichkeiten untergeordnet werden musste. Prinzipieller

Zeitmangel war ein in diesem Zusammenhang häufig genannter weiterer Grund für die Nicht- oder

Wenig-Nutzung der Plattform.

4 Tipps für eine erfolgreiche Plattformgestaltung und -nutzung Die Erfahrungen der Fallbeispiele zeigen, dass eine geeignete Technologieauswahl bzw. -entwicklung

ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Nutzung ist, dass es darüber hinaus aber andere nicht-

technische Faktoren gibt, die noch viel stärker für Erfolg oder Misserfolg ausschlaggebend sein

können. Es gilt also sowohl technische als auch soziale Faktoren bei der Einführung einer

webbasierten Kooperationsplattform zu berücksichtigen.

4.1 Niedrigschwellige, flexible Gestaltung als Grundvoraussetzung

Die Untersuchung der beiden Fallbeispiele zeigte, dass vor allem in selbstorganisierten Netzwerken

mit einem hohen Maß an Freiwilligkeit, Kooperationsplattformen nur dann eine Unterstützung

darstellen, wenn der Zu- und Umgang für die Mitglieder möglichst niedrigschwellig ist. Andernfalls

verzichten die Beteiligten auch im Bewusstsein möglicher Nachteile eher auf die Verwendung solcher

Systeme. Aus dieser Forderung an Niedrigschwelligkeit lassen sich Implikationen für die Gestaltung

ableiten:

Einfacher Zugang: Die Plattform zur Netzwerkunterstützung sollte möglichst einfach zu benutzen

sein. Eine Orientierung an Basisfunktionalitäten, die flexibel für verschiedene Zwecke nutzbar

gemacht werden können, trägt hierzu bei.

Gleichberechtigte Teilhabe: Die flachen Netzwerkhierarchien sollten ihre Entsprechung in einer

einfachen Rechtestruktur finden, die eine gleichberechtigte Teilhabe der Mitglieder ermöglicht. Das

für die Zusammenarbeit nötige Vertrauen der Mitglieder muss über soziale Aushandlungsprozesse

gefördert werden (vgl. Vereinbarung von Nutzungskonventionen).

Flexible Anpassung an Netzwerkstrukturen: Die Gestaltung des Systems muss die dynamischen,

themen- und projektorientierten Teambildungsprozesse und Aktivitäten im Netzwerk unterstützen,

indem insbesondere die Mitglieder und ihre Qualifikationen sowie die im Netzwerk bearbeiteten

Themenfelder abgebildet und flexibel (um-) strukturiert werden können.

Einbettung in die vorhandene Infrastruktur: In einem selbstorganisierten Netzwerk muss mit einer

inhomogenen informationstechnischen Ausstattung der Beteiligten gerechnet werden. Die

eingesetzte Technologie sollte daher plattformunabhängig sein und sich mit etablierten

Kommunikationsmedien und -kanälen zu einer Gesamtinfrastruktur ergänzen (vgl. Finck et al. 2005).

4.2 Bewusste Begleitung des Technologieaneignungsprozesses

Wenn die technischen Anforderungen an die Plattformgestaltung erfüllt sind, dann ist der Moment

der Plattformeinführung zentral für den nachhaltigen Erfolg. Zum Einen gilt es genau zu beobachten,

ob sich durch die Plattformeinführung Eigenschaften des Netzwerks vergegenständlichen, die zuvor

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von dem Mitgliedern nicht gesehen wurden – wie das Missverhältnis zwischen Kooperation und

Konkurrenz in unserem Beispiel. Hier bedarf es einer sehr aufmerksamen Beobachtung im

Einführungsprozess.

Zum Anderen bedarf es einer Vereinbarung von Nutzungskonventionen. Um eine die Wahrung der

Interessen der Gesamtgruppe zu ermöglichen, ist die Vereinbarung von Konventionen, die einen

Mittelweg zwischen unterschiedlichen Nutzungsweisen finden, unabdingbar. So kann z. B. zwischen

der unterschiedlichen Nutzung einer Plattform als Pull- oder Push-Medium vermittelt werden, indem

bestimmte Mindestnutzungsintervalle vereinbart werden. Um sicherzustellen, dass wichtige Beiträge

sofort wahrgenommen werden, könnte auf diese dann ausnahmsweise zusätzlich per E-Mail

hingewiesen werden, oder man richtet eine spezielle Mailingliste ein, über die jene Mitglieder, die

eine E-Mail-Benachrichtigung wünschen, erreicht werden können, während die übrigen von der E-

Mail-Flut „verschont“ bleiben. Weitere Bereiche, in denen die Vereinbarung von

Nutzungskonventionen notwendig ist, reichen von den Zugangsvoraussetzungen über den Umgang

mit (vertraulichen) Informationen, bestimmte Mindestleistungen bei der Nutzung, die inhaltliche

Strukturierung der Plattform, Form und Benennung von Beiträgen u. ä. bis hin zu eventuellen

Sanktionen bei Verstößen gegen die vereinbarten Regeln. All diese Maßnahmen tragen dazu bei,

Verlässlichkeit und Vertrauen bei der Nutzung zu etablieren.

Dabei ist es wichtig, dass allen Mitgliedern die Möglichkeit gegeben wird, sich an der Aushandlung

der Nutzungskonventionen gleichberechtigt zu beteiligen, um eine hohe Akzeptanz der Maßnahmen

zu erreichen. Die erzielten Vereinbarungen sollten in geeigneter Form transparent und für alle

Beteiligten zugänglich festgehalten werden.

4.3 Moderation der Nutzung

Ist der Aneignungsprozess erfolgreich abgeschlossen, so sind zentrale Anforderungen an eine

Moderation der Nutzung bereits erbracht. Zwei der drei unterscheidbaren Phasen („Vorbereitung der

Nutzung“ und die “Begleitung der anfänglichen Nutzung“ ) sind zentraler Bestandteil des

Moderationsprozesses im Rahmen der Technologieaneignung. Aber auch danach ist eine

permanente Moderation der Plattform von Nöten, um z.B. das sogenannte Chaosproblem zu

vermeiden, bei dem anfänglich stark wachsende Inhalte wegen mangelnder Strukturierung im

Erstellungsprozess zu einer wachsenden Unübersichtlichkeit führen und damit zu einer

nachlassenden Akzeptanz der Plattform (siehe Abb. 2).

Die Untersuchungen zeigen, dass in Netzwerken immer bestimmte Personen die Rolle des

Moderators übernehmen, auch wenn diese nicht explizit so benannt ist. Häufig handelt es sich dabei

um besonders engagierte und aktive Mitglieder, die sowohl Administrations- und Supportaufgaben

übernehmen als auch inhaltliche Impulse geben. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zu

Entwicklung und Akzeptanz der Plattform (Pape et al. 2002). Dabei ist es hilfreich, wenn diese Rolle

nicht nur implizit übernommen, sondern explizit benannt und bestimmten Personen zugewiesen

wird, da ihre Tätigkeit andernfalls von den übrigen Mitgliedern unter Umständen ambivalent

beurteilt oder sogar als Anmaßung verstanden wird (Pape et al. 2002).

In vielen Fällen kann es auch sinnvoll sein, die als Aufgabe der Moderation externen Experten

zuzuweisen. Dadurch werden eventuell auftretende Vorurteile gegenüber dem netzwerkinternen

Moderator – wie z.B. einer Stärkung der eigenen Position im Netzwerk durch Ausnutzung besonderer

Technikexpertise vermieden.

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Abb. 2: Moderationsaufgaben und Nutzungsvariationen

4 Fazit Webbasierte Kooperationswerkzeuge in Netzwerken zu etablieren ist eine vielschichtige, und vor

allem nicht allein technische Aufgabe. Natürlich spielt die Gestaltung der Software eine zentrale

Rolle. Sie ist aber nur notwendige, keine hinreichende Bedingung.

So machen die Fallbeispiele z.B. deutlich, wie die Orientierung an einem gleichermaßen von Nutzer

wie Softwareentwickler erlebten, aber letztlich im Arbeitsprozess nicht gelebten und damit nicht der

Arbeitsorganisation entsprechenden Leitbild zu falschen und unbefriedigenden Softwarenutzung

führen kann. Die Betreuung der Technologieaneignungsprozesse und die Steigerung der Akzeptanz

bei den Teilnehmern sind zentrale Aufgaben.

Letztlich sind die Erkenntnisse natürlich auf virtuelle Freelancernetzwerke bezogen. Und einige

besondere Herausforderungen, wie z.B. das hohe Maß an Freiwilligkeit und gleichberechtigter

Kooperation lassen sich nicht 1:1 auf z.B. Mitarbeiternetzwerke in Unternehmen abbilden. Dennoch

sind grundlegende Probleme wie das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen oder eine

unterschwellige Konkurrenzsituation recht gut übertragbar. Und somit dürften die Ergebnisse dieses

Papier eine breitere Anwendbarkeit haben, als nur auf den begrenzten in den Fallbeispielen

demonstrierten Kontext.

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