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MISCHVERSUCHE OHNE MISCHEN? R uß ist als elektrisch leitender Zusatz für Kompositwerkstoffe weit ver- breitet. Das Pulver muss gleichmä- ßig im Polymermaterial verteilt sein; Be- reiche mit geringerer Rußdichte wirken isolierend und vermindern die Qualität des Produkts beträchtlich. Ob der Ruß gut dispergiert wird, hängt davon ab, mit welchem Partner ein Pulverkörnchen be- vorzugt in Oberflächenkontakt tritt: mit anderen Körnchen (Klümpchenbildung) oder mit der umgebenden Schmelze (Dis- pergierung). Und hier kommt die Ober- flächenwissenschaft ins Spiel. Der ‚Gewinn’, den das Pulver durch den Kontakt mit der Schmelze erzielt, wird durch die Benetzungsenthalpie aus- gedrückt – eine Größe, die über die Ober- flächenspannungen der Komponenten zugänglich ist. Eine große Rolle spielt da- bei die Polarität der jeweiligen Oberflä- chen: Der naturgemäß unpolare Ruß wird durch polare Polymere wie Nylon 6.6 und PET schlecht benetzt. Um das Dispergierverhalten zu verbessern, wird Ruß in der Regel vorbehandelt. Gespannte Schmelzen Bei der hier vorgestellten Untersuchung lagen fünf Polymere (Hersteller und Pro- dukte sind anonymisiert) und vier unter- schiedlich behandelte Rußproben vor. Ohne Voruntersuchungen wären dem- nach 20 Mischungs- und/oder Extru- sionsversuche notwendig. Die Stärke des oberflächenphysika- lischen Ansatzes liegt darin, dass die Dis- pergierbarkeit schon im Vorfeld abge- schätzt werden kann, um eine Voraus- wahl der Kandidaten für Versuche im halbtechnischen Maßstab zu treffen. Die Oberflächenspannung der Flüssigkeit be- einflusst die Dispergierbarkeit beträcht- lich. Bei Polymerschmelzen wird sie we- gen der hohen Viskosität optisch an ei- nem hängenden Tropfen bestimmt – eine Spezialität der Tropfenkonturanalyse- Methode. Doch die Charakterisierung der Oberfläche reicht noch tiefer: Die Oberflächenspannung entsteht durch polare und unpolare (dispersive) Wech- selwirkungen zwischen Molekülen, die auch beim Kontakt mit dem Pulver eine Autoren Dr. Christine Bilke-Krause, Leiterin Applikationslabor, Krüss, Hamburg, [email protected] Dr. Christopher Rulison, Laboratory Manager, Augustine Scientific, Newbury, Ohio/USA, [email protected] Dr. Frank Thomsen, technischer Redakteur, Krüss, Hamburg, [email protected] Rußschwarzer Compound-Klassiker: Auf die Mischung kommt es an. 74 Plastverarbeiter · Februar 2009 MESSEN DER OBERFLÄCHENENERGIE VON PULVERN UND SCHMELZEN Wenn Pulver als Compounds oder Ad- ditive in Polymerschmelzen zur Klümpchenbildung neigen, wird das Dispergieren beim Verarbeiten zur Achilles- ferse. Um die Dispergierbarkeit des Pulvers in der Schmelze schon im Vorwege abzuschätzen und die Zahl auf- wändiger Extrusionsversuche zu reduzieren, helfen Messungen der Oberflächenspannung mit Tensiometern. Am Beispiel von vorbehandeltem Ruß wird das kostensparende Potenzial dieser Messtechnik verdeutlicht. KOSTENEFFIZIENZ Auf wenige Versuche reduziert Kommen Pulver als Compounds oder Addi- tive in Polymerschmelzen, sollen sich keine Klümpchen bilden. Oberflächenenergeti- sche Untersuchungen mit Tensiometern und Kontaktwinkelmessgeräten ermögli- chen es, die Mischbarkeit eines Pulvers mit einer Polymerschmelze abzuschätzen, ohne dass die Komponenten in Kontakt treten. Dadurch kann die Zahl aufwändiger und teurer Mischungsversuche im halbtech- nischen Maßstab reduziert werden. (Bild: © Timo Schwach-Fotolia.com) AUTOMATION/MESSTECHNIK

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MISCHVERSUCHE OHNE MISCHEN?

R uß ist als elektrisch leitender Zusatz für Kompositwerkstoffe weit ver-breitet. Das Pulver muss gleichmä-

ßig im Polymermaterial verteilt sein; Be-reiche mit geringerer Rußdichte wirken isolierend und vermindern die Qualität des Produkts beträchtlich. Ob der Ruß gut dispergiert wird, hängt davon ab, mit welchem Partner ein Pulverkörnchen be-vorzugt in Oberflächenkontakt tritt: mit anderen Körnchen (Klümpchenbildung) oder mit der umgebenden Schmelze (Dis-pergierung). Und hier kommt die Ober-flächenwissenschaft ins Spiel.

Der ‚Gewinn’, den das Pulver durch den Kontakt mit der Schmelze erzielt, wird durch die Benetzungsenthalpie aus-gedrückt – eine Größe, die über die Ober-flächenspannungen der Komponenten zugänglich ist. Eine große Rolle spielt da-bei die Polarität der jeweiligen Oberflä-chen: Der naturgemäß unpolare Ruß wird durch polare Polymere wie Nylon 6.6 und PET schlecht benetzt. Um das Dispergierverhalten zu verbessern, wird Ruß in der Regel vorbehandelt.

Gespannte Schmelzen Bei der hier vorgestellten Untersuchung lagen fünf Polymere (Hersteller und Pro-dukte sind anonymisiert) und vier unter-schiedlich behandelte Rußproben vor. Ohne Voruntersuchungen wären dem-nach 20 Mischungs- und/oder Extru -sionsversuche notwendig.

Die Stärke des oberflächenphysika-lischen Ansatzes liegt darin, dass die Dis-pergierbarkeit schon im Vorfeld abge-schätzt werden kann, um eine Voraus-wahl der Kandidaten für Versuche im halbtechnischen Maßstab zu treffen. Die Oberflächenspannung der Flüssigkeit be-

einflusst die Dispergierbarkeit beträcht-lich. Bei Polymerschmelzen wird sie we-gen der hohen Viskosität optisch an ei-nem hängenden Tropfen bestimmt – eine Spezialität der Tropfenkonturanalyse-Methode. Doch die Charakterisierung der Oberfläche reicht noch tiefer: Die Oberflächenspannung entsteht durch polare und unpolare (dispersive) Wech-selwirkungen zwischen Molekülen, die auch beim Kontakt mit dem Pulver eine

Autoren Dr. Christine Bilke-Krause, Leiterin Applikationslabor, Krüss, Hamburg, [email protected] Dr. Christopher Rulison, Laboratory Manager, Augustine Scientific, Newbury, Ohio/USA, [email protected] Dr. Frank Thomsen, technischer Redakteur, Krüss, Hamburg, [email protected]

Rußschwarzer Compound-Klassiker: Auf die Mischung kommt es an.

74 Plastverarbeiter · Februar 2009

MESSEN DER OBERFLÄCHENENERGIE VON PULVERN UND SCHMELZEN Wenn Pulver als Compounds oder Ad-ditive in Polymerschmelzen zur Klümpchenbildung neigen, wird das Dispergieren beim Verarbeiten zur Achilles-ferse. Um die Dispergierbarkeit des Pulvers in der Schmelze schon im Vorwege abzuschätzen und die Zahl auf-wändiger Extrusionsversuche zu reduzieren, helfen Messungen der Oberflächenspannung mit Tensiometern. Am Beispiel von vorbehandeltem Ruß wird das kostensparende Potenzial dieser Messtechnik verdeutlicht.

KOSTENEFFIZIENZ Auf wenige Versuche reduziert Kommen Pulver als Compounds oder Addi-tive in Polymerschmelzen, sollen sich keine Klümpchen bilden. Oberflächenenergeti-sche Untersuchungen mit Tensiometern und Kontaktwinkelmessgeräten ermögli-chen es, die Mischbarkeit eines Pulvers mit einer Polymerschmelze abzuschätzen, ohne dass die Komponenten in Kontakt treten. Dadurch kann die Zahl aufwändiger und teurer Mischungsversuche im halbtech-nischen Maßstab reduziert werden.

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AUTOMATION/MESSTECHNIK

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wichtige Rolle spielen. Durch Kontakt-winkelmessungen der Schmelzen auf dem gänzlich unpolaren Werkstoff PTFE können diese beiden Komponenten be-stimmt werden.

Gleich und Gleich gesellt sich gern – der Ruß ist umso besser dispergierbar, je ähnlicher seine Oberflächenpolarität der des Polymers ist. Die Oberflächenenergie der Pulver wurde mit Hilfe der

Washburn-Methode (siehe Kasten) mit dem Tensiometer K100 von Krüss be-stimmt. Dabei wird die Steiggeschwin-digkeit verschiedener chemisch reiner Prüfflüssigkeiten in einer Packung des Pulvers gemessen; diese Geschwindigkeit hängt mit der Oberflächenenergie und deren polaren und dispersiven Wechsel-wirkungsanteilen zusammen. Da schlecht benetzbare Pulver die Flüssig-

keit nicht adsorbieren, wurde die Ober-flächenenergie einiger Rußproben durch Kontaktwinkelmessungen auf einem Pulverbett bestimmt.

Bei einem Vergleich der Oberflächen-polaritäten zeigt sich, dass nur der stark behandelte Ruß im Bereich der Polymere liegt und folglich nur bei dieser Probe ei-ne wirklich gute Benetzung und Disper-gierbarkeit erwartet werden kann.

� Um die Disper-gierbarkeit von Pul-ver in der Schmelze abzuschätzen, hel-fen Messungen der Oberflächenspan-nung.

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Aufstellung der � Dispergierbarkeit aller Mischungen in der Versuchsreihe.

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MESSMETHODEN Optische Kontaktwinkelmessung Ein Tropfen einer Flüssigkeit auf einer festen Oberfläche nimmt eine charakteristische Form ein, die von der Benetzbarkeit ab-hängt. Der Kontaktwinkel ist die Tangente zwischen Probenebene und Tropfen, die im Dreiphasenpunkt (fest, flüssig, gasförmig) am Schattenbild des Tropfen gemessen wird. Anhand von Messungen mit mehre-ren Prüfflüssigkeiten kann die Oberflächen-energie und des Festkörpers und deren po-larer und dispersiver Anteil berechnet wer-den. Oberflächenspannungsmessung mit der Pendant-Drop-Messung Aufgrund der Oberflächenspannung sind Flüssigkeiten bestrebt, eine möglichst klei-ne Oberfläche einzunehmen – in der Schwe-relosigkeit sind Tropfen deshalb kugelför-mig. Aufgrund der Erdanziehung weicht ein hängender Tropfen von der Kugelform ab, und zwar umso stärker, je kleiner die Ober-flächenspannung ist. So kann aus der Kon-tur eines hängenden Tropfens die Oberflä-chenspannung der Flüssigkeit berechnet werden. Pulver-Kontaktwinkelmessung mit der Washburn-Methode Bei der Washburn-Methode berührt ein Pul-ver, das sich in einem Röhrchen befindet, die Oberfläche einer Testflüssigkeit. Das Pulver verhält sich wie ein Bündel Kapillaren; ent-sprechend sorgt die Kapillarkraft dafür, dass die Flüssigkeit in der Pulverpackung auf-steigt. Die Änderung der Steighöhe mit der Zeit hängt von der Benetzbarkeit und somit vom gesuchten Kontaktwinkel ab.

Polymer Temperatur (°C)

Oberflächen- spannung

(mN/m)

dispersiver Anteil

(mN/m) PS

ABS

PET

Nylon 6,6

MF (Formmasse)

250

250

270

270

140

30,25

37,59

39,65

45,90

58,43

26,18

27,27

25,63

28,45

24,20

polarer Anteil (mN/m)

4,07

10,32

14,01

17,54

34,23

Oberflächen- polarität

% 13,46

27,54

35,35

38,02

58,59

Grad der Ober-flächen- modifizierung

Oberflächen- energie (mN/m)

dispersiver Anteil

(mN/m)

Oberflächen- polarität

%

unbehandelt

wenig

mittel

stark

17,97

21,15

24,85

40,20

17,96

20,56

23,83

29,15

0,06

2,78

4,11

27,49

polarer Anteil

(mN/m)

0,01

0,59

1,02

11,05

KONTAKT Dr. Martin Kirchner, Kundenbetreuer, Krüss, Hamburg, [email protected]

Rührende Versuche Hält die Methode, was sie verspricht; sa-gen die Zahlen tatsächlich etwas über die Dispergierbarkeit der Pulver aus? Um dieser Frage nachzugehen, wurden Rührversuche angestrengt und deren Er-gebnisse mit Benetzungsenthalpien kor-reliert, die sich für alle Polymer-Ruß-Kombinationen ergaben. Jeweils 5 g Po-lymer wurden aufgeschmolzen, mit 0,5 g Ruß versetzt und unter gleichen Bedin-

Überall dort, wo Füllstoffe in Schmelzen dispergiert werden sollen, ist die Polarität der beteiligten Oberflächen entschei-dend. Also auch bei Prozessen, die dem Ruß-Problem entgegengesetzt sind: mi-neralische, polare Füllstoffe, die in unpo-laren Polymeren wie PP oder PE disper-giert werden. Obwohl scheinbar völlig anders gelagert, können auch solche Pro-bleme mit denselben analytischen Me-thoden bearbeitet werden.

gungen eine Minute gerührt. Das Misch-ergebnis wurde visuell eingeschätzt und qualitativ in vier Kategorien eingeteilt. Eine Aufstellung der Dispergierbarkeiten aller Mischungen zeigt, dass die Disper-gierbarkeit gut durch den Wert der Be-netzungsenthalpie wiedergegeben wird.

Mit oberflächenenergetischen Mes-sungen kann also die Dispergierbarkeit von Ruß in Polymerschmelzen abge-schätzt werden – aber nicht nur von Ruß.

Aussagen über die Dispergierbar-keit des untersuchten Pulvers: Das Mischergebnis wird in vier Kategorien eingeteilt.

Die Ergebnisse der mit der Methodenkombination untersuchten Polymere.

Untersuchungsergebnisse für Polymere und Pulver

Die Tabelle führt Ergebnisse zweier Methoden auf: 1) Washburn-Methode; 2) Kontaktwinkel auf Pulverbett für die Pulver, die wegen mangelnder Adsorption mit Washburn nicht bestimmt werden konnten.

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