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Forschung & Entwicklung KMU-Magazin Nr. 11, November 2017 70 Der Kontextfaktor Wetter ist für die wahr- genommene Nutzenstiftung eines Ange- bots für viele Kunden eine zentrale Ein- flussgrösse. Dies gilt insbesondere für Dienstleistungen im Outdoor-Bereich. Umso mehr erstaunt es, dass die erwarte- ten Wetterbedingungen bei der Preisfin- dung in Wissenschaft und Praxis bisher kaum Berücksichtigung finden. Das Forschungsprojekt In einem von der Kommission für Techno- logie und Innovation (KTI) der Schweize- rischen Eidgenossenschaft geförderten Forschungsprojekt werden erstmalig die Auswirkungen eines dynamischen Preis- managements untersucht, das systema- tisch die Wetterprognose im Angebots- preis berücksichtigt. Für die zu untersuchende Weltneuheit ei- nes meteo-dynamischen Pricings konnten für das Forschungsprojekt nachfolgende Partner gewonnen werden: die beiden Wintersportgebiete Pizolbahnen AG (Bad Ragaz, SG) und Belalp Bahnen AG (Na- ters, VS), der Ticketing-Spezialist Tipo AG als Bereitsteller der Buchungsplattform (www.tipo.ch) sowie SRF Meteo als aner- kannter Provider der Wetterdaten. Das Forschungsprojekt startete in der Winter- saison 2016 / 2017 und rief schweizweit ein enormes Medienecho mit nationaler TV-, Radio- und Printberichterstattung hervor. Obwohl es noch bis zum Ende der Wintersaison 2017 / 2018 läuft, liegen mittlerweile erste überzeugende Ergeb- nisse vor, die in diesem Artikel dargelegt werden. Es spricht daher einiges dafür, dass meteo-dynamisches Pricing die Zu- kunft des Preismanagements in wetterab- hängigen Branchen prägen wird, was auch durch das Auftreten erster Imitato- ren unterstrichen wird. Dynamic Pricing Unter dynamischem Pricing versteht man eine preispolitische Strategie, die zwecks Erfolgsoptimierung eine fortlaufende An- passung des Angebotspreises anhand ver- schiedener Faktoren beinhaltet. In der Re- gel wird unter dynamischem Pricing eine anbieterseitige, nicht verhandelbare Preis- vorgabe verstanden, die über einen be- stimmten Zeitraum variiert wird. Im Un- terschied zu üblichen Preisanpassungen erfolgt die Preisvariation «dynamisch», das heisst mit hoher intertemporaler Frequenz. Das idealtypische Beispiel für dynami- sches Pricing entstammt dem Airline-Be- kurz & bündig Bei zahlreichen Dienstleistungen, insbesondere im Outdoor-Bereich, ist das erwartete Wetter eine ent- scheidende Einflussgrösse für die wahrgenommene Nutzenstiftung durch den Kunden. Mit einem meteo-dynamischen Preismanagement, das den Kon- textfaktor Wetter und die situativ unterschiedliche Nutzenstiftung systematisch berücksichtigt, kann der Angebotspreis der Zahlungs- bereitschaft angeglichen werden. Damit werden Kaufanreize ge- schaffen und neue, preissensible Kundengruppen angesprochen. Die Forschung zeigt, dass die Ak- zeptanz einer wetterabhängigen Tageskarte sehr hoch ist und der Preis als fair empfunden wird. Es konnte ein substanzieller ökono- mischer Effekt erzielt werden. ! Prof. Dr. Dietmar Kremmel, Prof. Dr. Benjamin von Walter, Dr. Christian Heumann Wetterabhängige Preisfestlegung Mit meteo-dynamischem Pricing zum Erfolg Wie ein Forschungsprojekt der FHS St. Gallen belegt, können mit einer wetterabhängigen Preisfestlegung wirksame Kaufanreize geschaffen und das Marktpotenzial besser ausge- schöpft werden. Der folgende Beitrag erörtert theoretisch-konzeptionelle Grundlagen und zeigt auf, welche Ergebnisse mit diesem Ansatz konkret erzielt werden können.

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Forschung & Entwicklung

KMU-Magazin Nr. 11, November 2017

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Der Kontextfaktor Wetter ist für die wahr-genommene Nutzenstiftung eines Ange-bots für viele Kunden eine zentrale Ein-flussgrösse. Dies gilt insbesondere für Dienstleistungen im Outdoor-Bereich. Umso mehr erstaunt es, dass die erwarte-ten Wetterbedingungen bei der Preisfin-dung in Wissenschaft und Praxis bisher kaum Berücksichtigung finden.

Das Forschungsprojekt

In einem von der Kommission für Techno-logie und Innovation (KTI) der Schweize-rischen Eidgenossenschaft geförderten Forschungsprojekt werden erstmalig die Auswirkungen eines dynamischen Preis-managements untersucht, das systema-tisch die Wetterprognose im Angebots-preis berücksichtigt.

Für die zu untersuchende Weltneuheit ei-nes meteo-dynamischen Pricings konnten für das Forschungsprojekt nachfolgende Partner gewonnen werden: die beiden Wintersportgebiete Pizolbahnen AG (Bad Ragaz, SG) und Belalp Bahnen AG (Na-ters, VS), der Ticketing-Spezialist Tipo AG als Bereitsteller der Buchungsplattform (www.tipo.ch) sowie SRF Meteo als aner-

kannter Provider der Wetterdaten. Das Forschungsprojekt startete in der Winter-saison 2016 / 2017 und rief schweizweit

ein enormes Medienecho mit nationaler TV-, Radio- und Printberichterstattung hervor. Obwohl es noch bis zum Ende der Wintersaison 2017 / 2018 läuft, liegen mittlerweile erste überzeugende Ergeb-nisse vor, die in diesem Artikel dargelegt werden. Es spricht daher einiges dafür, dass meteo-dynamisches Pricing die Zu-kunft des Preismanagements in wetterab-hängigen Branchen prägen wird, was auch durch das Auftreten erster Imitato-ren unterstrichen wird.

Dynamic Pricing

Unter dynamischem Pricing versteht man eine preispolitische Strategie, die zwecks Erfolgsoptimierung eine fortlaufende An-passung des Angebotspreises anhand ver-schiedener Faktoren beinhaltet. In der Re-gel wird unter dynamischem Pricing eine anbieterseitige, nicht verhandelbare Preis-vorgabe verstanden, die über einen be-stimmten Zeitraum variiert wird. Im Un-terschied zu üblichen Preisanpassungen erfolgt die Preisvariation «dynamisch», das heisst mit hoher intertemporaler Frequenz.

Das idealtypische Beispiel für dynami-sches Pricing entstammt dem Airline-Be-

kurz & bündig

› Bei zahlreichen Dienstleistungen, insbesondere im Outdoor-Bereich, ist das erwartete Wetter eine ent-scheidende Einflussgrösse für die wahrgenommene Nutzenstiftung durch den Kunden.

› Mit einem meteo-dynamischen Preismanagement, das den Kon-textfaktor Wetter und die situativ unterschiedliche Nutzenstiftung systematisch berücksichtigt, kann der Angebotspreis der Zahlungs-bereitschaft angeglichen werden. Damit werden Kaufanreize ge-schaffen und neue, preissensible Kundengruppen angesprochen.

› Die Forschung zeigt, dass die Ak-zeptanz einer wetterabhängigen Tageskarte sehr hoch ist und der Preis als fair empfunden wird. Es konnte ein substanzieller ökono- mischer Effekt erzielt werden.

!

› Prof. Dr. Dietmar Kremmel, Prof. Dr. Benjamin von Walter, Dr. Christian Heumann

Wetterabhängige Preisfestlegung

Mit meteo-dynamischem Pricing zum ErfolgWie ein Forschungsprojekt der FHS St. Gallen belegt, können mit einer wetterabhängigen

Preisfestlegung wirksame Kaufanreize geschaffen und das Marktpotenzial besser ausge-

schöpft werden. Der folgende Beitrag erörtert theoretisch-konzeptionelle Grundlagen und

zeigt auf, welche Ergebnisse mit diesem Ansatz konkret erzielt werden können.

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reich. Hier wird der Preis in Abhängig keit von Buchungszeitpunkt und Auslas-tungs- bzw. Nachfragesituation fortlau-fend angepasst. In enger Begriffsdefini-tion wird von einem «dynamic pricing» dann gesprochen, wenn der Preis für das-selbe Produkt über den Zeitablauf häufig variiert wird. Dies ist in der Passagierluft-fahrt unter anderem bei sogenannten «Low Cost Carriern» zu beobachten. In Abgrenzung dazu geht es beim klassi-schen Revenue Management beziehungs-weise Yield Management der Fluglinien oft auch darum, leicht unterschiedliche Produkte durch Abgrenzungskriterien, wie zum Beispiel eingeschränkten Stor-nomöglichkeiten oder Mindestaufent-halt, im Sinne einer segmentorientierten Preis differen zierung anzubieten. Meist erfolgt dies in Zusammenhang mit einer Kontingentierung.

Wie das Beispiel zeigt, ist eine trenn-scharfe Abgrenzung zwischen dynami-schem Pricing und Revenue beziehungs-weise Yield Management nicht leicht – die Grenzen sind fliessend. Gleiches gilt auch für Ansätze der klassischen Preisdifferen-zierung, die durch eine a priori Festle-gung von Preispunkten für dasselbe Pro-dukt (für zum Beispiel unterschiedliche Kundensegmente oder Zeiträume) we-sentlich starrer ausfällt.

In anderen dynamischen Pricing-Ansät-zen wird der Preis auf Basis von Kunden-daten, Wettbewerbspreisen oder anderen Kontextfaktoren variiert. Ein dynami-sches Pricing aufgrund von Kundenda-ten wird zum Beispiel im Online-Handel angewendet. Das Internet bietet die Möglichkeit, Daten über den Kunden zu sammeln, um damit Rückschlüsse auf seine Zahlungsbereitschaft zu ziehen (Browser-Verlaufstracking, IP-Standort-bestimmung, Ermittlung Zugriffsgerät etc.) und in einen kundenspezifischen Angebotspreis zu transferieren. Ein der-artiges Vorgehen gilt bei Kunden als wenig akzeptiert beziehungsweise unfair. Bei ei-ner Orientierung an Wettbewerbspreisen wird im Online-Handel über entspre-chende Softwarelösungen der Angebots-

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Abb. 1: Meteo-dynamisch bepreiste Wintersport-Tageskarten

Sonntag 22. Januar 2017

Erwachsene Fr. 54.00Jugendliche Fr. 48.00Kinder Fr. 48.00

6 ̊C-1 ̊C

Montag 23. Januar 2017

Erwachsene Fr. 54.00Jugendliche Fr. 48.00Kinder Fr. 48.00

3 ̊C-2 ̊C

Dienstag 24. Januar 2017

Erwachsene Fr. 44.30Jugendliche Fr. 29.90Kinder Fr. 22.10

2 ̊C

18 % Rabatt

0 ̊C

Mittwoch 25. Januar 2017

Erwachsene Fr. 38.90Jugendliche Fr. 26.30Kinder Fr. 19.40

0 ̊C

28 % Rabatt

-2 ̊C

Donnerstag 26. Januar 2017

Erwachsene Fr. 33.50Jugendliche Fr. 22.60Kinder Fr. 16.70

38 % Rabatt

0 ̊C-3 ̊C

Freitag 27. Januar 2017

Erwachsene Fr. 33.50Jugendliche Fr. 22.60Kinder Fr. 16.70

38 % Rabatt

0 ̊C-4 ̊C

Samstag 28. Januar 2017

Erwachsene Fr. 27.00Jugendliche Fr. 18.30Kinder Fr. 13.50

0 ̊C

50 % Rabatt

-2 ̊C

Sonntag 29. Januar 2017

Erwachsene Fr. 27.00Jugendliche Fr. 18.30Kinder Fr. 13.50

1 ̊C

50 % Rabatt

-2 ̊C

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preis in Abhängigkeit von vergleichbaren Konkurrenzprodukten variiert.

Schliesslich kann eine Dynamisierung des Angebotspreises auf verschiedenen Kontextfaktoren beruhen, worunter auch der Einflussfaktor Wetter subsumiert wer-den kann. In der amerikanischen Major Baseball League wird der Preis neben der Kapazitätsauslastung zum Beispiel durch Berücksichtigung von Faktoren wie Riva-lität der Teams, Tabellenrang des Geg-ners oder Starting Pitchers ermittelt.

Wetter als Nutzenkomponente

Die Berücksichtigung des Kontextfaktors Wetter bei der Preisfindung reiht sich in die jüngere Forschungsrichtung der nach-fragebezogenen Preisbestimmung ein. Die verbreitete kostenorientierte Preis-festlegung (Cost-Plus Pricing) wurde mit einem Wandel von Verkäufer- zu Käufer-märkten vielfach durch eine Orientierung an den Strategien direkter Konkurrenten bei vorwiegend austauschbaren Angebo-ten (Market-Based Pricing) sowie der Nachfrageseite bei Angebotsunterschie-den (Value Pricing) ersetzt. Beim nach-fragebezogenen Zugang spielt der gestif-tete Kundennutzen eine zentrale Rolle. Die Preise orientieren sich an dem vom Kunden wahrgenommenen Wert eines Angebots.

Gerade im Bereich von Outdoor-Veran-staltungen ist es evident, dass der wahrge-nommene Nutzen in erheblichem Aus-mass durch die erwartete Wettersituation mitbestimmt ist. Der wahrgenommene Nutzen ist der zentrale Treiber für die Zahlungsbereitschaft, die im Falle einer schlechten Wetterprognose deutlich tie-fer ausfällt. Bei der herkömmlichen Vor-gabe eines starren Angebotspreises bleibt dieser Umstand unberücksichtigt, was dazu führt, dass viele Tagesgäste bei er-wartetem Schlechtwetter auf ein Winter-sporterlebnis an diesem Tag verzichten, weil für sie das Preis-Leistungs-Verhältnis ganz einfach nicht stimmt. Hingegen kann mit einer Preisfindung, die den wichtigen Kontextfaktor Wetter berücksichtigt, ein

adäquater Kaufanreiz geschaffen werden. Auf diese Weise wird eine Balance zwi-schen dem vom Kunden wahrgenomme-nen Angebotsnutzen, seiner daraus abge-leiteten Zahlungsbereitschaft sowie dem Angebotspreis hergestellt. Zudem können durch diese Innovation preisorientierte Kundengruppen (beispielsweise Fami-lien) verstärkt angesprochen sowie Neu-kunden gewonnen werden.

Durchschnittsertrag steigern

Hinzu kommt, dass es sich bei Dienstleis-tungen wie der Tageskarte einer Berg-bahn um sogenannte «perishable goods», das heisst verfallende Dienstleistungen, handelt. Gelingt es einer Bergbahn nicht, ihre Dienstleistung für einen bestimmten Tag zu verkaufen, so verfällt die Dienst-leistung ohne Gegenwert. Da Bergbahnen von Haus aus nur eine begrenzte An- zahl an verkaufbaren Wintersporttagen vorfinden, ist es für diese zentral, dass der durchschnittliche Ertrag pro Winter-sporttag so hoch wie möglich ausfällt. Dies umso mehr, da die Fixkosten sehr hoch sind, während die Grenzkosten pro zusätzlichem Kunden kaum ins Gewicht fallen. Jeder weitere Erlös entspricht da-her einem zusätzlichen Deckungsbeitrag beziehungsweise bei bereits gegebener Fixkostendeckung einem zusätzlichen

Gewinn. Das meteo-dynamische Pricing mit seiner Ausrichtung am Kundennut-zen kann so dazu beitragen, dass durch die Generierung von Zusatzumsätzen der Durchschnittsertrag gesteigert wird.

Wetterabhängige Tageskare

Auf Basis obenstehender Überlegungen wurde im Rahmen des Forschungspro-jekts gemeinsam mit den Wintersportge-bieten Pizol in St. Gallen und Belalp im Oberwallis ein meteo-dynamisches Preis-modell entwickelt sowie eine wetterab-hängige Tageskarte eingeführt. Das da-hinterstehende Konzept ist denkbar einfach: Je schlechter die Wetterprog-nose von SRF Meteo für einen bestimm-ten Wintersporttag ausfällt, umso güns-tiger ist der Preis für eine Tageskarte. Ausgehend von einem Referenzpreis, der den regulären Kassa- beziehungsweise Online-Preis für die Kundengruppe (Er-wachsene, Jugendliche, Kinder) darstellt, wird abhängig von der Vorhersage den Kunden ein bestimmter Rabatt gewährt.

Bei der Entwicklung des meteo-dynami-schen Pricing-Modells mussten zunächst die von SRF Meteo bereitgestellten, um-fangreichen Wetterdaten analysiert und kategorisiert werden. SRF Meteo unter-scheidet in der Wetterprognose dreissig

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Abb. 2: Umsatz, Kannibalisierungsrate und Nettoumsatz

Nettoumsatz 77 %

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idealtypische Wetterkonstellationen, die durch verschiedene Wettersymbole dar-gestellt werden.

Auf der Webseite der Buchungsplattform des Ticketing-Spezialisten Tipo AG spielen diese Wettersymbole daher eine zentrale Rolle, womit auch eine Anschlussfähigkeit an die medial verbreitete Wetterprognose gegeben ist.

Meteo-dynamisches Preismodell

Die Rabatthöhen wurden auf Grundlage einer Studie der FHS St. Gallen zur Zah-lungsbereitschaft bei unterschiedlichen Wetterprognosen festgelegt. In einer Un-tersuchung mit 147 Studierenden konnte belegt werden, dass die Zahlungsbereit-schaft bei verschiedenen erwarteten Wet-terbedingungen aufgrund der unter-schiedlichen Nutzenerwartung zum Teil erheblich variiert. Bei vergleichsweise schlechteren Bedingungen ist ein Preis-nachlass von bis zu 50 Prozent angezeigt, um der durchschnittlichen Zahlungsbe-reitschaft gerecht zu werden. Dies mar-kiert auch die maximale Rabattstufe im meteo-dynamischen Preismodell, die aber auch aus psychologischen und mar-ketingtechnischen Gründen («Tagesti-cket zum halben Preis») in dieser Höhe festgelegt wurde.

Daneben gibt es je nach Wetterprognose eine Handvoll weiterer Rabattstufen. Al-lerdings wird bei guten Wetterbedingun-gen kein Preisnachlass gewährt, da dies

unter Nutzenerwägungen nicht erforder-lich ist und auch die Studie zur Zahlungs-bereitschaft ergab, dass in diesem Fall tendenziell sogar noch ein etwas höherer Preis als der reguläre Ticketpreis für eine Tageskarte verlangt werden könnte. Ob-wohl es konzeptionell vorstellbar wäre, bei guten Bedingungen einen erhöhten Preis zu veranschlagen, wurde im vorlie-genden Modell auch aus Wettbewerbs-überlegungen davon Abstand genom-men. In theoretischer Hinsicht wäre es jedoch für manche Wintersportgebiete denkbar – zum Beispiel in den Wochen der Hochsaison bei sehr guter Kapazitäts-auslastung durch Wochengäste und Sai-sonabonnenten – einen Schritt in diese Richtung zu setzen.

Spielerische Komponente

Die Preise für die wetterabhängigen Tages-karten werden sofort nach Vorliegen einer neuen Wetterprognose für die verschiede-nen Tage automatisiert neu berechnet und allenfalls angepasst – eine Aktualisierung findet vier Mal pro Tag statt. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine mittelfristige Wetterprognose eine höhere Schwan-kungsbreite in der Genauigkeit aufweist als eine kurzfristige Vorhersage.

Im vorliegenden Modell wurde die Buch-barkeit der wetterabhängigen Tageskarte aber ganz bewusst auf den maximalen Zeitraum von einer Woche ausgedehnt, für den eine brauchbare Wettervorher-sage verfügbar ist. Damit werden dem

Kunden mehrere Handlungsoptionen ein-geräumt und es soll unterstützt werden, dass er mit der wetterabhängigen Tages-karte nicht nur ganz kurzfristige Optimie-rungen vornimmt, sondern sich damit im Idealfall auch kontinuierlich beschäftigt (Steigerung des Kunden-Involvements).

Zudem ergibt sich aus dem längeren möglichen Buchungszeitraum auch eine spielerische Komponente: Aufgrund der grös seren Schwankungsbreite bei einer Prognose von mehreren Tagen im Vorhi-nein besteht auch die Chance, dass sich das Wetter tatsächlich besser entwickelt. Buchungen zu einem früheren Zeitpunkt stellen daher implizit auch eine Wette auf den Wetterverlauf dar. Allerdings profi-tiert der Kunde in jedem Fall bereits zum Kaufzeitpunkt vom prognoseabhängigen Rabatt, während sich durch einen besse-ren, tatsächlichen Wetterverlauf ein Zu-satznutzen einstellen kann.

Substanzieller Effekt

Die im Folgenden dargestellten Ergeb-nisse basieren auf einer Analyse der Bu-chungsdaten sowie auf Online-Befragun-gen der Kunden bei der Ticket-Buchung und nach der Absolvierung des Winter-sporttages. Durch dieses mehrstufige Vor-gehen ist sichergestellt, dass die Auswir-kungen des meteo-dynamischen Pricings umfassend beleuchtet werden können.

Der Verkaufsstart fand in der Wintersai-son 2016 / 17 in der zweiten Januarhälfte statt. Es gab ein reges Interesse und es konnten in den beiden mitwirkenden, mittelgrossen Wintersportgebieten ge-samthaft zirka 2 200 Stück wetterabhän-gige Tageskarten verkauft werden. Damit wurde mit dem meteo-dynamischen Pri-cing ein nennenswerter Umsatz generiert. Zur Beurteilung der Frage, wie gross der ökonomische Vorteil tatsächlich ausfällt, stellt sich die Frage nach der Kannibalisie-rungsrate beziehungsweise dem realisier-ten Nettoumsatz. Bei der Kannibalisie-rungsrate handelt es sich um den pro- zentualen Umsatzverlust durch Kunden, die den Wintersporttag zu regulären Prei-

* Umsatzverlust bei Tickets mit regulärem Preis×100 Umsatz mit wetterabhängiger Tageskarte

Umsatz MDP 100 %

23 % Kannibalisierungsrate *

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Porträt

Prof. Dr. Dietmar KremmelProfessor für Marketing ManagementLeiter Kompetenzzentrum Marketing Management

Prof. Dr. oec. HSG Dietmar Kremmel leitet das Kompe-tenzzentrum Marketing Management am Institut für Un-ternehmensführung der FHS St. Gallen (Projektleiter). Sei-ne Forschungs- und Beratungsschwerpunkte umfassen

Produkt- und Markenmanagement, Preispolitik und strategisches Marketing.

Prof. Dr. Benjamin von WalterProfessor für Marketing Management

Prof. Dr. oec. HSG Benjamin von Walter ist Professor am Kompetenzzentrum Marketing Management am Institut für Unternehmensführung der FHS St. Gallen (Projektmit-glied). Seine Forschungs- und Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Dienstleistungsmarketing, Mar-

kenführung und Personalmarketing.

Dr. Christian HeumannDozent für Marketing Management

Dr. Christian Heumann ist Dozent am Kompetenzzentrum Marketing Management am Institut für Unternehmens-führung der FHS St. Gallen (Projektmitglied). Seine For-schungs- und Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich wertorientiertes Kundenmanagement und Data Analytics.

Kontakt

[email protected]@[email protected]

Auch in der kommenden Wintersaison 2017 / 18 können wetterabhängige Ta-geskarten für die Skigebiete Belalp und Pizol gebucht werden (www.belalp.ch, www.pizol.com, www.tipo.ch). Saisonstart ist am 8. / 9. Dezember 2017.

sen in Anspruch genommen hätten, nun aber vom Preisvorteil der wetterabhängi-gen Tageskarte profitieren.

Wie aus Abbildung 2 ersichtlich ist, be-trägt die Kannibalisierungsrate 23 Pro-zent des Umsatzes der wetterabhängigen Tageskarte (Umsatz MDP), womit sich ein effektiver Nettoumsatz von 77 Pro-zent ergibt. Die erfreulich tiefe Kanniba-lisierungsrate konnte zum einen durch eine sorgsame, forschungsgestützte Aus-gestaltung des Pricing-Algorithmus mit seinen wetterbezogenen Rabattstufen si-chergestellt werden. Zum anderen gelang es, mit dem meteo-dynamischen Pricing-Ansatz zahlreiche Kunden auf die Piste zu locken, die sonst nicht gekommen wären. In diesem Zusammenhang ist erwähnens-wert, dass der Anteil an gewonnenen Neukunden, die noch nie im jeweiligen Gebiet Wintersport betrieben haben, sich mit zirka 20 Prozent (Belalp) und zirka 36 Prozent (Pizol) recht hoch darstellt.

Hohe Kundenakzeptanz

Neben diesen eindrücklichen Absatzda-ten ist das Angebot einer wetterabhängi-gen Tageskarte aber auch in Bezug auf die Kundenwahrnehmung und -akzeptanz ein voller Erfolg. Der Preis der wetterab-hängigen Tageskarte wird von zirka 80 Prozent als fair beziehungsweise sehr fair wahrgenommen. Dabei ist interessant, dass die Zustimmung zu dieser Feststel-lung nach Absolvierung des Skitages so-gar noch etwas höher ausfiel. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass den Kunden ein unmittelbarer wetterbeding-ter Preisvorteil bei der Buchung einge-räumt wurde und sich für zahlreiche Kunden das wahrgenommene Wetter am Skitag noch besser als erwartet präsen-tierte. In Bezug auf die Vorteilhaftigkeit dieses neuen Angebots sehen zirka 80 Prozent einen grossen bis sehr grossen und zirka 15 Prozent einen moderaten Vorteil. Demgegenüber wird das mit ei-ner wetterabhängigen Tageskarte ver-bundene Risiko als moderat (zirka 45 %) beziehungsweise wenig oder gar nicht vorhanden (zirka 35 %) eingestuft.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der meteo-dynamisch ermittelte Preis als fair empfunden wird und in der Ange-botsinnovation einer wetterabhängigen Tageskarte ein grosser Vorteil bei gerin-gem beziehungsweise kalkulierbarem Ri-siko gesehen wird. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die abgefragte Wahr-

scheinlichkeit eines Wiederholungskaufs auf einer Skala von 1 (sehr niedrig) bis 7 (sehr hoch) im Mittel mit 6.1 recht hoch ausfällt. Dieser Wert wird sogar noch von der Wahrscheinlichkeit der Weiteremp-fehlung der wetterabhängigen Tages-karte übertroffen, die auf der Skala den Mittelwert von 6.2 aufweist. «