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Mitteilungen des BDI 189 Der Gastroenterologe 2 · 2014 | Gastroenterologe 2014 · 8:189–191 DOI 10.1007/s11377-014-0879-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Korrespondenzadresse Berufsverband Deutscher Internisten e.V.  Schöne Aussicht 5  D-65193 Wiesbaden  Tel. 06 11/181 33 0  Fax 06 11/181 33 50  [email protected]www.bdi.de Redaktion W. Wesiack, Wiesbaden Im letzten Jahr erschien die drit- te Aktualisierung der deutschen Leitlinie zum kolorektalen Karzi- nom. Das Kapitel 10, das das Vor- gehen in der Nachsorge des ko- lorektalen Karzinoms beschreibt, wurde von der Leitlinienkom- mission vollständig überarbeitet [1]. Seit der ersten Publikation der Leitlinie im Jahr 2004 [2] sind durch einen Vielzahl von Studien neue Erkenntnisse ge- wonnen worden, die zu Neube- wertungen und geänderten Emp- fehlungen auch in der Nachsorge dieses häufigen Tumors führten. Die Nachsorge umfasst ver- schiedene diagnostische Maß- nahmen, die in den ersten 2 Jah- ren nach einer kurativen Ope- ration halbjährlich und danach jährlich für weitere zwei Jahre erfolgen sollten. Durch die Nach- sorge können frühzeitig Rezidive erkannt und falls möglich kura- tiv operiert werden. Primäre Zie- le sind also Heilung und Lebens- verlängerung der betroffenen Patienten. Den Leitlinien wird leider nicht immer gefolgt. Bei Menschen jenseits des 65. Le- bensjahres wurden nur in 74% der Fälle die empfohlenen Kolos- kopien und lediglich bei 47% eine Bestimmung des CEA durchge- führt. Nicht empfohlene Maß- nahmen wie CT und PET-CT er- folgten dagegen bei 48 und 7% der Betroffenen [3]. Effektivität der Nachsorge Lokalrezidive sind beim Ko- lon Karzinom mit 2–4% selte- ner als beim Rektum Karzinom mit 5–30%. Selbst nach optima- ler Therapie beträgt die Rezidiv Rate 5–10%. Bei Nachweis eines Sektion Gastroenterologie – Vorsitzende Prof. Dr. med. J. LabenzEv. Jung-Stilling Krankenhaus,  Medizinische Klinik, Wichern  str. 40,  57074 Siegen Dr. med. Siegfried Heuer Gastroenterologisches Zentrum   Dr. Heuer,   Eckendorfer Str. 91-93,  33609 Bielefeld  Editorial Nachsorge beim kolorektalen Karzinom – geändertes Vorgehen nach der aktualisierten deutschen Leitlinie von 2013 Lokalrezidivs liegt aber leider bei 40–74% der Patienten bereits ein metastasiertes Stadium mit ent- sprechend schlechter Progno- se vor. Das mittlere Überleben bei Lokalrezidiv und Metasta- sen liegt bei nur sechs Monaten. Ein dauerhaftes Überleben in dieser Situation kann praktisch nicht erzielt werden. Durch die alleinige Operation eines kura- tiv angehbaren Rezidivs liegt das Langzeitüberleben bei 10%. Ins- gesamt zeigen diese Zahlen, dass nur die wenigsten Patienten von der Nachsorge mit einem ver- längerten Überleben profitieren. Aus diesem Grunde sollte sie Ri- siko stratifiziert durchgeführt werden. Nach lokaler Abtragung eines pT1-low-risk-Karzinoms erfolgen lediglich endoskopische Befundkontrollen. Dieses Vor- gehen betrifft alle Patienten im UICC-Stadium I. Im Gegensatz dazu werden in den fortgeschrit- teneren UICC-Stadien II und III nach einer R0-Resektion regel- mäßige Nachsorgeuntersuchun- gen empfohlen. Eine Metaanalyse [4] unter- suchte, ob mehr Teste oder kür- zere Zeitintervalle zwischen den Nachsorgeterminen Auswirkun- gen auf die Mortalität der nachge- sorgten Patienten hatten. Durch eine intensivere Nachsorge konn- te zwar das 5-Jahres-Überleben nicht jedoch das tumorbezoge- ne Überleben verbessert wer- den. Die intensivere Nachsorge führte zu einer früheren Rezidiv Erkennung, wobei die berück- sichtigten Studien allerdings eine signifikante Heterogenität auf- wiesen. Hinweise auf eine Ab- senkung der Mortalität wurden erhalten, wenn in der Nachsorge

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Mitteilungen des BDI

189Der Gastroenterologe 2 · 2014 |

Gastroenterologe 2014 · 8:189–191DOI 10.1007/s11377-014-0879-2© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

KorrespondenzadresseBerufsverband Deutscher Internisten e.V. Schöne Aussicht 5 D-65193 Wiesbaden Tel. 06 11/181 33 0 Fax 06 11/181 33 50 [email protected] www.bdi.de

RedaktionW. Wesiack, Wiesbaden

Im letzten Jahr erschien die drit-te Aktualisierung der deutschen Leitlinie zum kolorektalen Karzi-nom. Das Kapitel 10, das das Vor-gehen in der Nachsorge des ko-lorektalen Karzinoms beschreibt, wurde von der Leitlinienkom-mission vollständig überarbeitet [1]. Seit der ersten Publikation der Leitlinie im Jahr 2004 [2] sind durch einen Vielzahl von Studien neue Erkenntnisse ge-wonnen worden, die zu Neube-wertungen und geänderten Emp-fehlungen auch in der Nachsorge dieses häufigen Tumors führten.

Die Nachsorge umfasst ver-schiedene diagnostische Maß-nahmen, die in den ersten 2 Jah-ren nach einer kurativen Ope-ration halbjährlich und danach jährlich für weitere zwei Jahre erfolgen sollten. Durch die Nach-sorge können frühzeitig Rezidive

erkannt und falls möglich kura-tiv operiert werden. Primäre Zie-le sind also Heilung und Lebens-verlängerung der betroffenen Patienten. Den Leitlinien wird leider nicht immer gefolgt. Bei Menschen jenseits des 65. Le-bensjahres wurden nur in 74% der Fälle die empfohlenen Kolos-kopien und lediglich bei 47% eine Bestimmung des CEA durchge-führt. Nicht empfohlene Maß-nahmen wie CT und PET-CT er-folgten dagegen bei 48 und 7% der Betroffenen [3].

Effektivität der Nachsorge

Lokalrezidive sind beim Ko-lon Karzinom mit 2–4% selte-ner als beim Rektum Karzinom mit 5–30%. Selbst nach optima-ler Therapie beträgt die Rezidiv Rate 5–10%. Bei Nachweis eines

Sektion Gastroenterologie – Vorsitzende

Prof. Dr. med. J. Labenz Ev. Jung-Stilling Krankenhaus,  Medizinische Klinik, Wichern str. 40, 57074 Siegen

Dr. med. Siegfried Heuer Gastroenterologisches Zentrum  Dr. Heuer,  Eckendorfer Str. 91-93, 33609 Bielefeld 

EditorialNachsorge beim kolorektalen Karzinom – geändertes Vorgehen nach der aktualisierten deutschen Leitlinie von 2013

Lokalrezidivs liegt aber leider bei 40–74% der Patienten bereits ein metastasiertes Stadium mit ent-sprechend schlechter Progno-se vor. Das mittlere Überleben bei Lokalrezidiv und Metasta-sen liegt bei nur sechs Monaten. Ein dauerhaftes Überleben in dieser Situation kann praktisch nicht erzielt werden. Durch die alleinige Operation eines kura-tiv angehbaren Rezidivs liegt das Langzeitüberleben bei 10%. Ins-gesamt zeigen diese Zahlen, dass nur die wenigsten Patienten von der Nachsorge mit einem ver-längerten Überleben profitieren. Aus diesem Grunde sollte sie Ri-siko stratifiziert durchgeführt werden. Nach lokaler Abtragung eines pT1-low-risk-Karzinoms erfolgen lediglich endoskopische Befundkontrollen. Dieses Vor-gehen betrifft alle Patienten im

UICC-Stadium I. Im Gegensatz dazu werden in den fortgeschrit-teneren UICC-Stadien II und III nach einer R0-Resektion regel-mäßige Nachsorgeuntersuchun-gen empfohlen.

Eine Metaanalyse [4] unter-suchte, ob mehr Teste oder kür-zere Zeitintervalle zwischen den Nachsorgeterminen Auswirkun-gen auf die Mortalität der nachge-sorgten Patienten hatten. Durch eine intensivere Nachsorge konn-te zwar das 5-Jahres-Überleben nicht jedoch das tumorbezoge-ne Überleben verbessert wer-den. Die intensivere Nachsorge führte zu einer früheren Rezidiv Erkennung, wobei die berück-sichtigten Studien allerdings eine signifikante Heterogenität auf-wiesen. Hinweise auf eine Ab-senkung der Mortalität wurden erhalten, wenn in der Nachsorge

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eine Bildgebung der Leber ent-halten war. Kurative Operatio-nen erfolgten häufiger in der in-tensiver nachgesorgten Gruppe.

Überlebensvorteile ergeben sich also nur für eine Minder-heit der nachgesorgten Patienten. Es sollte daher keine Diagnostik über die empfohlenen Maßnah-men hinaus erfolgen. Eine Nach-sorge ist entsprechend auch nur dann indiziert, wenn der Nach-weis eines Rezidivs therapeu-tische Konsequenzen hat. Neu aufgenommen wurde die Emp-fehlung zu einer programmier-ten Nachsorge bei Patienten im UICC-Stadium IV nach kurati-ver Metastasen Therapie.

Diagnostische Maßnahmen in der Nachsorge

Es gibt keine Daten dazu, wel-che Teste über eine Bildgebung der Leber hinaus in der Nach-sorge zur Anwendung kommen sollen. In den USA wurde die Computertomographie des Ab-domens in das Nachsorgepro-gramm aufgenommen, nach-dem in einer Studie gezeigt wer-den konnte, dass durch jährliche CT-Untersuchungen in den ers-ten 3 Jahren nach Operation eine frühzeitigere Rezidiv Erkennung, häufigere Rezidiv Operationen und ein besseres Überleben er-möglicht wurden [5]. Die Stu-die war ursprünglich als Thera-piestudie und nicht zur Prüfung der Rolle des CTs in der Nachsor-ge angelegt. Sonographien erfolg-ten nicht, so dass diese Arbeit auf unsere Verhältnisse in Deutsch-land nicht übertragen werden kann. Aus diesem Grunde hat sich die Leitlinienkommission gegen einen Einsatz der Compu-tertomographie in der Nachsor-ge ausgesprochen. Die Sonogra-phie ist weiterhin die Bildgebung der ersten Wahl.

Im Hinblick auf die großen Fortschritte bei der Chirurgie von Lungenmetastasen bei ko-lorektalem Karzinom wurde er-neut geprüft, ob Röntgen-Tho-rax-Untersuchungen regelhaft durchgeführt werden sollten. Bisher war hierzu von der Leitli-

nienkommission keine Empfeh-lung gegeben worden.

Eine Kohorten Studie [6] zeigte, dass nach 5 Jahren 5,8% der Patienten Lungenmetasta-sen aufwiesen. Insbesondere Pa-tienten mit Rektumkarzinom hatten gegenüber Patienten mit Kolonkarzinom ein 2,8fach und 2,6-fach erhöhtes Risiko für syn-chrone bzw. metachrone Lungen-metastasen. Das Dreijahresüber-leben bei Nachweis von Lungen-metastasen war mit maximal 14% sehr niedrig. Synchrone Lungen-metastasen wurden in 4,1% und metachrone Lungenmetastasen in 14,3% der Fälle operiert. Die schlechte Prognose dieser Pa-tienten konnte nur bei mögli-cher kurativer Metastasen Chir-urgie deutlich gebessert werden. Eine Vielzahl von weiteren Stu-dien zeigte, dass der Prozentsatz der durch eine Röntgen-Thorax-Untersuchung entdeckten Lun-genmetastasen zwischen 0,8 und 8,8% lag, wobei in den seltensten Fällen dadurch eine Operation ermöglicht wurde.

In der neuen Leitlinie wird daher lediglich eine Kann-Emp-fehlung für eine Bildgebung der Lunge und dies nur für Patienten mit Rektumkarzinom im Sta-dium UICC II und III gegeben. So kann bis zum fünften Jahr nach operativer Resektion des Tumors jährlich eine Röntgen-Thorax-Untersuchung erfolgen.

Der Einsatz der Koloskopie in der Nachsorge wirkt sich güns-tig auf das Überleben aus. Bis-her lag die Empfehlung zur ers-ten Nachsorgekoloskopie bei drei Jahren nach der Operation. Stu-dien hatten aber gezeigt, dass Zweitkarzinome insbesondere innerhalb der ersten 12 Monate nach der Operation des Primär-tumors koloskopisch diagnos-tiziert wurden. Möglicherweise wurde die Aufmerksamkeit des Untersuchers durch die Primär-diagnose eines Kolonkarzinoms abgelenkt, so dass Zweitkarzino-me übersehen wurden. Die Emp-fehlung in der aktualisierten Leit-linie lautet daher, dass Patienten eine Koloskopie prä- oder inner-halb von 6 Monaten postopera-

tiv (bei zuvor nicht passierbarer Stenose) erhalten sollten. Neu ist, dass eine Koloskopie 1 Jahr nach Operation und anschließend bei unauffälligem Befund alle fünf Jahre wiederholt wird, um me-tachrone Karzinome oder Poly-pen zu erkennen. Ist die kom-plette Koloskopie wegen nicht passierbarer Stenose postoperativ im Zeitraum von 6 Monaten er-folgt, sollte die nächste Kolosko-pie erst nach fünf Jahren durch-geführt werden.

Nicht geändert hat sich der Einsatz der übrigen diagnosti-schen Maßnahmen im Rahmen der Nachsorge. Hierzu gehören die regelhafte Durchführung von Anamnese, körperlicher Unter-suchung, CEA und Abdomen Sonographie.

Rehabilitation nach Operation

Ausdrücklich wird in den neuen Empfehlungen nach Abschluss der Primärtherapie eine AHB von allen rehabilitationsfähigen Patienten empfohlen. Dabei soll-te allerdings sichergestellt sein, dass eine indizierte adjuvante Chemotherapie zeitgerecht ein-geleitet werden kann. Alterna-tiv kann auch die Anschlussheil-behandlung nach Abschluss der adjuvanten Chemotherapie er-folgen.

Zur Tertiärprävention gibt es Kohorten Studien, die auf einen Zusammenhang von körperli-cher Aktivität und erniedrigter Rezidiv Rate und verbessertem Überleben hinweisen. Aus die-sem Grunde sollten Patienten in der Nachsorge zu körperlicher Aktivität angehalten werden. Kei-ne Empfehlungen können zu Er-nährung, komplementären Maß-nahmen oder alternativer Medi-zin gegeben werden.

Die Leitlinie zum kolorekta-len Karzinom berücksichtigt alle Aspekte zur Vorsorge, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des ko-lorektalen Karzinoms. Die Emp-fehlungen basieren auf über 1000 Arbeiten, die von der Leitlinien-kommission gesichtet und be-wertet wurden. Jedem Internis-

ten und Gastroenterologen, der Patienten mit kolorektalen Kar-zinomen behandelt, kann emp-fohlen werden, diese im Internet frei verfügbaren und hilfreichen Empfehlungen in seinem Be-handlungsalltag zu berücksichti-gen (http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien.7.0.html).

Prof. Dr. Axel Holstege

Medizinische Klinik 1Klinikum LandshutRobert-Koch-Str.184034 Landshut

Literatur

1.   Pox  et  al:  S3-Leitlinie  Kolorektales Karzinom  Version  1.0  –  Juni  2013 AWMF-Registernummer: 021/007OL. Z Gastroenterol 2013; 51: 753-854.

2.   Schmiegel  et  al.  S3-Leitlinienkonfe-renz „Kolorektales Karzinom” 2004 Z Gastroenterol. 2004;42: 1129-77.

3.  Cooper et al. Cancer. 2008; 113: 2029-37

4.  Jeffery et al. Follow-up strategies for patients treated for non-metastatic colorectal  cancer.  Cochrane  Data-base Syst Rev. 2007 ;(1):CD002200. 

5.  Chau et al. The value of routine serum carcino-embryonic antigen measure-ment and computed tomography in the surveillance of patients after ad-juvant chemotherapy for colorectal cancer. J Clin Oncol. 2004; 22: 1420-9.

6.  Mitry  et  al.  Epidemiology,  manage-ment  and  prognosis  of  colorec-tal  cancer  with  lung  metastases:  a 30-year population-based study. Gut. 2010; 59: 1383-8. 

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Wissenschaft und Ökonomie

Der Gemeinsame Bundesaus-schuss erhält mit jeder neuen gesetzlichen Regelung in unse-rem Gesundheitswesen weite-re Aufgaben und wird allmäh-lich zum mächtigsten Selbstver-waltungsorgan in der Kranken-versorgung. Er entwickelt sich zu einer Art Mammutbehörde. Ur-sprünglich hatte der Vorgänger, der Ausschuss Ärzte und Kran-kenkassen nur zwei wesentliche Betätigungsfelder: Neue ambu-lante Behandlungsverfahren und eine sinnvolle Arzneimittelthe-rapie. Dieser Ausschuss wurde in den Gemeinsamen Bundesaus-schuss (G-BA) überführt, wobei auch die Krankenhäuser als drit-te Bank in die Entscheidung ein-bezogen wurden. Die Gremien sind bis heute in der Regel pari-tätisch besetzt: je die Hälfte sind sogenannte Leistungserbringer, die andere Hälfte Kostenträger, sprich Krankenkassen. Beteiligt werden auch die Patientenvertre-ter, aber nur mit beratender Stim-me. Dies wird damit begründet, dass im Vergleich zu den Kör-perschaften Kassenärztliche Ver-einigung oder Krankenkasse die Selbsthilfegruppen nicht demo-kratisch legitimiert sind. Sie bil-den sich mehr oder weniger zu-fällig.

Die Arzneimitteltherapie ist weiter mit das Wichtigste Aufga-benfeld des Gemeinsamen Bun-desausschusses. Hier fällt insbe-sondere die Umsetzung des AM-NOG ins Gewicht. Auch die neu-en Behandlungsverfahren wer-den weiter bearbeitet, aber mehr beraten als entschieden. Beson-dere Bedeutung gewinnen da-bei in Zukunft Qualitätsvorga-ben für operative und technische Leistungen und die Umsetzung der neu eingeführten spezialfach-ärztlichen Versorgung.

Der Gemeinsame Bundes-ausschuss hat damit nahezu alle politischen Vorgaben mit Leben zu erfüllen und die für die Pra-xis erforderlichen Details zu be-schließen.

Er ist letzten Endes das Organ, das den Leistungskatalog unse-rer gesetzlichen Krankenversi-cherung beschließt, definiert, was medizinisch sinnvoll oder nicht sinnvoll ist und über Qua-litätsvorgaben indirekt oder di-rekt beschließt, wer an der Ver-sorgung der gesetzlich versicher-ten Patienten beteiligt wird. Über die Verteilung der Leistungen be-stimmt er automatisch auch über die Geldflüsse im System für die verschiedenen Leistungserbrin-ger. Begründet werden die Ent-scheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses überwiegend mit wissenschaftlichen Untersu-chungsergebnissen, insbesondere nach den Kriterien der evidenz-basierten Medizin. Der theoreti-sche Ansatz dieses Konzeptes ist klar: wissenschaftlich begründe-te Daten bestimmen, was, wo und wie in der Gesetzlichen Kranken-versicherung angeboten wird. Verantwortlich sind damit nicht die Politiker und der Gesetz-geber, sondern die Organe der Selbstverwaltung. Über Honora-re und Finanzierungen entschei-det übrigens das Gremium G-BA nicht und gibt sich damit den An-schein, wertfrei zu arbeiten.

Jeder weiß, dass die inhaltli-chen Entscheidungen in unse-rem Gesundheitswesen unter Budgetierungsbedingungen und stringenten Vorgaben einer ein-nahmenorientierten Ausgaben-politik umgesetzt werden müs-sen. Auch den Entscheidungs-trägern, den sogenannten Bän-ken der Leistungserbringer und den Krankenkassen ist dies na-türlich nicht verborgen geblie-ben. Betrachtet man die Ent-scheidungspraxis im Gemeinsa-men Bundesausschuss, gewinnt man schon den Eindruck, dass ökonomische Vorgaben doch den Ausschlag geben. Wissen-schaft wird dann benötigt, wenn ökonomische Zwänge schein-begründet werden müssen und Verteilungskämpfe zwischen den Versorgungsebenen zu orga-

nisieren sind. Dies lässt sich mit unterschiedlichen Ansätzen rea-lisieren.

Legt man z. B. die Messlatte der Evidenz bei der Auswertung von wissenschaftlichen Ergeb-nissen zu einer neuen Untersu-chungsmethode besonders hoch, so kann man positive Entschei-dungen für das Behandlungs-verfahren fast ausschließen. An-dererseits kann man auch durch Akzeptanz einer Expertenmei-nung eine niedrige Evidenz ak-zeptieren. Über die geforderte Evidenzbasis lässt sich somit die Entscheidung positiv wie negativ beeinflussen.

Besonders gerne werden Vor-gaben, insbesondere interna-tional abgestimmte sogenann-te ESC-Leitlinien als Entschei-dungsgrundlage genommen, meist interpretiert von wissen-schaftlichen Gesellschaften, die mit den berufspolitischen Fall-stricken der Entscheidungspraxis zunächst nicht so vertraut sind.

Betrachtet man diese Leitli-nien, so fällt auf, dass sie in ver-hältnismäßig kurzer Zeit immer wieder überarbeitet werden, da sich neue Erkenntnisse und Stu-dien ergeben haben. Ihnen fehlt die notwendige Nachhaltigkeit. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Vorgaben in diesen Leit-linien nicht durch Studien belegt sind und nur mit einer Experten-meinung hinterlegt werden – mit der entsprechend niedrigeren Va-lidität.

Auch wissenschaftliche Ge-sellschaften haben inzwischen begriffen, dass durch die For-mulierungen von ESC-Leitlinien und ihre Interpretation Vertei-lungskämpfe zwischen Fach-gruppen, Versorgungsebenen und sogar Klinikstrukturen aus-getragen werden können.

Insbesondere die zur Zeit ge-führte Qualitätsdiskussion über die kathetergestützte Aorten-klappenimplantation (TAVI), über die wir schon mehrfach be-richtet haben, demonstriert, dass

die ökonomische Betrachtung auch den Fachgesellschaften nicht mehr fremd ist. Im Klar-text: Empfehlungen von Fach-gesellschaften sind zwar wissen-schaftlich begründet, können aber durchaus interessengesteu-ert sein.

Die wissenschaftlichen Ge-sellschaften laufen dabei Gefahr, dass sie zunehmend an Glaub-würdigkeit verlieren. Sie benöti-gen deshalb Unterstützung durch die in diesen Diskussionen erfah-renen Berufsverbände und soll-ten sich deshalb bei der Diskus-sion mit diesen in der Zukunft besser abstimmen.

Dr. med. Hans-Friedrich Spies

Vizepräsident und Schatzmeister im BDI e.V.

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