Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen...

12
Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und qualitative Facetten Joël Bühler 1 , Ferdinand Keller 2 und Damian Läge 1 1 Universität Zürich, Schweiz, Psychologisches Institut, Angewandte Kognitionspsychologie 2 Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Zusammenfassung. Theoretischer Hintergrund: Das BDI-II deckt mit 21 Depressionssymptomen die Breite der Depression ab und ist geeignet, die Symptomstruktur der Depression zu erforschen. Eine Vielzahl an faktorenanalytischen Studien erbrachte aber bislang keinen Konsens. Fragestellung: Nonmetrische Multidimensionale Skalierung (NMDS) soll daher die divergierenden Resultate ein- ordnen und ein Modell der Symptomstruktur schaffen. Methode: Mittels NMDS wird die Symptomstruktur des BDI-II (N = 266 Depressive) in einen 2-dimensionalen Raum abgebildet. Ergebnisse: Die NMDS-Lo ¨sung legt eine Facettenstruktur nahe, welche von den faktorenanalytischen Modellen bislang unzula ¨nglich erfasst wird. Schlussfolgerungen: Neben einem generellen Kernsyndrom finden sich fu ¨nf spezifische Facetten (verminderte Aktivierung, psychovegetative Symptome, gesteigerte Aktivierung, Hoffnungslo- sigkeit und negative Einstellung zum Selbst), die die Heterogenita ¨t der Symptomatik innerhalb der Depression aufzeigen und damit die Existenz von Subtypen in der Depression nahelegen. Schlu ¨sselwo ¨rter: Beck Depressionsinventar II; Depression; Nonmetrische Multidimensionale Skalierung The symptom structure of the BDI-II: Core symptoms and qualitative facets Abstract. Background: The BDI-II (Beck Depression Inventory-II) is a commonly used self-assessment scale for depression and consists of 21 symptoms. To investigate the symptom structure of depression, the BDI-II has been analyzed by many factor analytic studies; results, however, are inconsistent. Objective: To reexamine the diverging results on the basis of Nonmetric Multidimensional Scaling (NMDS). Method: NMDS was applied to BDI-II data of 266 depressed patients. Results: A facet-oriented symptom structure was obtained, which cannot be captured adequately by the existing factor models. Conclusions: The NMDS solution suggests a depressive core syndrome and five specific facets (diminished arousal, psychovegetative symptoms, increased arousal, hopelessness, and negative attitude towards self), which indicate structural heterogeneity in depressive symptoms suggesting the existence of subtypes within depression. Key words: Beck Depression Inventory II; Depression; Nonmetric Multidimensional Scaling Im Vorlauf zu den geplanten Revisionen des DSM-IV und der ICD-10 ist seit einigen Jahren die Diskussion zur Ho- mogenita ¨t der Diagnosekategorie „Major Depression“ erneut aufgeflammt. Die weitergehende Unterteilung der Depressi- on in spezifischere Subgruppen und deren Verankerung in den Manualen wird vielerorts gefordert (z. B. Damm, Eser, Schu ¨le, Mo ¨ller, Rupprecht & Baghai, 2009; Fink & Taylor, 2007; Joiner, Walker, Pettit, Perez & Cukrowicz, 2005; Par- ker, 2007; Shorter, 2007; Stewart, McGrath, Quitkin & Klein, 2007). Geeignete Grundlage fu ¨r die Subklassifikation der Depression und fu ¨r die entsprechende Klassifikation der depressiven Patienten wa ¨re ein Wissen u ¨ber die Struktur der Symptome. Eine allgemein anerkannte Liste dieser Sympto- me liegt beispielsweise mit dem DSM vor und wird von Tests wie dem BDI erfasst (Beck, Ward, Mendelsohn, Mock & Erbaugh, 1961), einem weit verbreiteten Inventar zur Er- fassung des Schweregrades der Depression. Seit 1996 liegt mit dem BDI-II (Beck, Steer & Brown, 1996) eine revidierte Fassung des Inventars in englischer und seit 2006 auch in deutscher Sprache vor (Hautzinger, Keller & Ku ¨hner, 2006). Die Revision zollte Kritiken un- ter anderem von Moran und Lambert (1983) Rechnung, dass die diagnostischen Kriterien des – damals aktuellen – DSM-III nicht vollsta ¨ndig im Fragebogen abgebildet wu ¨rden. Das BDI ist kein Test mit auf Messwiederholun- gen hin konstruierten Items, sondern es will die tatsa ¨chli- chen Symptome der Depression einzeln fu ¨ r sich erfassen. Die Items sind deswegen mit den jeweiligen vier Aussa- gen auch so strukturiert, dass der Schweregrad jedes Items fu ¨r sich genommen mo ¨glichst gut eingescha ¨tzt werden kann. In der Summe ergibt sich daraus zwar der nu ¨tzliche Gesamtschweregrad der Erkrankung, doch ist der Test nicht auf einige wenige Subskalen (mit Untersummen) hin konstruiert worden. Vielmehr entspricht die gemessene Zeitschrift fu ¨r Klinische Psychologie und Psychotherapie, 41 (4), 231 – 242 Hogrefe Verlag, Go ¨ttingen 2012 DOI: 10.1026/1616-3443/a000170

Transcript of Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen...

Page 1: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

Die Symptomstruktur des BDI-II:Kernsymptome undqualitative Facetten

Joël Bühler1, Ferdinand Keller2 und Damian Läge1

1Universität Zürich, Schweiz, Psychologisches Institut, Angewandte Kognitionspsychologie2Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie

Zusammenfassung. Theoretischer Hintergrund: Das BDI-II deckt mit 21 Depressionssymptomen die Breite der Depression ab und istgeeignet, die Symptomstruktur der Depression zu erforschen. Eine Vielzahl an faktorenanalytischen Studien erbrachte aber bislangkeinen Konsens. Fragestellung: Nonmetrische Multidimensionale Skalierung (NMDS) soll daher die divergierenden Resultate ein-ordnen und ein Modell der Symptomstruktur schaffen. Methode: Mittels NMDS wird die Symptomstruktur des BDI-II (N=266Depressive) in einen 2-dimensionalen Raum abgebildet. Ergebnisse: Die NMDS-Losung legt eine Facettenstruktur nahe, welche vonden faktorenanalytischen Modellen bislang unzulanglich erfasst wird. Schlussfolgerungen: Neben einem generellen Kernsyndromfinden sich funf spezifische Facetten (verminderte Aktivierung, psychovegetative Symptome, gesteigerte Aktivierung, Hoffnungslo-sigkeit und negative Einstellung zum Selbst), die die Heterogenitat der Symptomatik innerhalb der Depression aufzeigen und damit dieExistenz von Subtypen in der Depression nahelegen.Schlusselworter: Beck Depressionsinventar II; Depression; Nonmetrische Multidimensionale Skalierung

The symptom structure of the BDI-II: Core symptoms and qualitative facets

Abstract. Background: The BDI-II (Beck Depression Inventory-II) is a commonly used self-assessment scale for depression andconsists of 21 symptoms. To investigate the symptom structure of depression, the BDI-II has been analyzed by many factor analyticstudies; results, however, are inconsistent. Objective: To reexamine the diverging results on the basis of Nonmetric MultidimensionalScaling (NMDS). Method: NMDS was applied to BDI-II data of 266 depressed patients. Results: A facet-oriented symptom structurewas obtained, which cannot be captured adequately by the existing factor models. Conclusions: The NMDS solution suggests adepressive core syndrome and five specific facets (diminished arousal, psychovegetative symptoms, increased arousal, hopelessness, andnegative attitude towards self), which indicate structural heterogeneity in depressive symptoms suggesting the existence of subtypeswithin depression.Key words: Beck Depression Inventory II; Depression; Nonmetric Multidimensional Scaling

Im Vorlauf zu den geplanten Revisionen des DSM-IV undder ICD-10 ist seit einigen Jahren die Diskussion zur Ho-mogenitat der Diagnosekategorie „Major Depression“ erneutaufgeflammt. Die weitergehende Unterteilung der Depressi-on in spezifischere Subgruppen und deren Verankerung inden Manualen wird vielerorts gefordert (z.B. Damm, Eser,Schule, Moller, Rupprecht & Baghai, 2009; Fink & Taylor,2007; Joiner, Walker, Pettit, Perez & Cukrowicz, 2005; Par-ker, 2007; Shorter, 2007; Stewart, McGrath, Quitkin &Klein, 2007). Geeignete Grundlage fur die Subklassifikationder Depression und fur die entsprechende Klassifikation derdepressiven Patienten ware ein Wissen uber die Struktur derSymptome. Eine allgemein anerkannte Liste dieser Sympto-me liegt beispielsweise mit dem DSM vor und wird vonTests wie dem BDI erfasst (Beck, Ward, Mendelsohn, Mock& Erbaugh, 1961), einem weit verbreiteten Inventar zur Er-fassung des Schweregrades der Depression.

Seit 1996 liegt mit dem BDI-II (Beck, Steer & Brown,1996) eine revidierte Fassung des Inventars in englischerund seit 2006 auch in deutscher Sprache vor (Hautzinger,Keller & Kuhner, 2006). Die Revision zollte Kritiken un-ter anderem von Moran und Lambert (1983) Rechnung,dass die diagnostischen Kriterien des – damals aktuellen –DSM-III nicht vollstandig im Fragebogen abgebildetwurden. Das BDI ist kein Test mit auf Messwiederholun-gen hin konstruierten Items, sondern es will die tatsachli-chen Symptome der Depression einzeln fur sich erfassen.Die Items sind deswegen mit den jeweiligen vier Aussa-gen auch so strukturiert, dass der Schweregrad jedes Itemsfur sich genommen moglichst gut eingeschatzt werdenkann. In der Summe ergibt sich daraus zwar der nutzlicheGesamtschweregrad der Erkrankung, doch ist der Testnicht auf einige wenige Subskalen (mit Untersummen) hinkonstruiert worden. Vielmehr entspricht die gemessene

Zeitschrift fur Klinische Psychologie und Psychotherapie, 41 (4), 231 – 242� Hogrefe Verlag, Gottingen 2012

DOI: 10.1026/1616-3443/a000170

Page 2: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

Varianz der „naturlichen“ Varianz der Symptome bei de-pressiven Personen, eben weil die Symptomliste den ge-samten Bereich der Depression nach DSM-Kriterien ab-bildet.

Mit dem Schritt vom DSM-III zum DSM-IV wurdedeswegen auch eine Revision des BDI notwendig, und mitihr auch eine wiederholte Prufung der psychometrischenEigenschaften des Fragebogens. Inzwischen liegt hierzueine Vielzahl an internationalen Studien vor, mit einemmethodischen Fokus auf der Faktorenanalyse. Diese Stu-dien suchen nach einer Ebene zwischen dem Summensc-ore (welcher aufgrund der grundsatzlich positiven Korre-liertheit aller 21 Symptome als Messung des Schweregra-des sinnvoll ist) und den Einzelsymptomen. Diese ge-suchte Zwischenebene kann allein schon aus Grunden derkognitiven Vereinfachung fur sinnvoll erachtet werden(um die 21 Symptome zu einer ubersichtlichen Anzahlkleinerer Pakete zu bundeln), sie mag aber auch fur dieKlassifikation von Subtypen der Depression fur vieleForscher Berechtigung besitzen.

Der bislang beschrittene faktorenanalytische Weg, zuden gesuchten Zwischenebenen zu gelangen, fuhrte zueiner kategorialen Differenzierung „kognitiv vs. soma-tisch“, daruber hinaus jedoch zu keinem einheitlichen Er-gebnis; im Gegenteil, die Resultate zur Faktorenstrukturim BDI-II divergieren erheblich, z.T. sogar innerhalbderselben Publikation: So fanden Beck et al. (1996) mit-tels exploratorischer Faktorenanalyse bei einer Stichprobeaus 500 ambulanten Patienten zwei oblique Faktoren,welche sie als kognitiv und somatisch-affektiv identifi-zierten. Auf den kognitiven Faktor luden die 9 Items„Versagensgefuhle“, „Wertlosigkeit“, „Traurigkeit“,„Pessimismus“, „Schuldgefuhle“, „Bestrafungsgefuhle“,„Selbstablehnung“, „Selbstkritik“ und „Suizidgedanken“,auf dem somatisch-affektiven Faktor die ubrigen 12 Items.In derselben Studie wurden auch 120 Studenten unter-sucht (Beck et al., 1996). In der studentischen Stichprobezeigten sich zwar auch wieder 2 oblique Faktoren, diesmalallerdings als somatischer Faktor (5 Items) und kogni-tiv-affektiver Faktor (16 Items). Der somatische Faktorwurde hier begrundet durch die Items „Energieverlust“,„Ermudung“, „Schlaf“, „Appetitveranderung“ und „Kon-zentrationsschwierigkeiten“, der kognitiv-affektive durchdie Ubrigen. Diese beiden Zuordnungsmuster wurden inden meisten Studien repliziert, die Gruppe der affektivenItems blieb dabei immer etwas unsicher in der Zuordnung:Je nach Stichprobe und Studie fielen sie dem somatischenoder dem kognitiven Faktor zu.

Aufgrund der durchgehenden positiven Korreliertheitaller 21 Symptome legten Arnau, Meagher, Norris undBramson (2001) einen anderen Ansatz zur Extraktion derFaktoren im BDI-II vor: Sie wendeten die Schmid-LeimanTransformation an (Schmid & Leiman, 1957), bei derFaktoren 2. Ordnung uber die Variablen (statt uber dieFaktoren) extrahiert und die gemeinsame Varianz aus den

Faktoren 1. Ordnung herauspartialisiert werden. Dieszeigte einen generellen Faktor (G-Faktor) 2. Ordnung, derdie meiste Varianz der beiden Faktoren 1. Ordnung (so-matisch-affektiv, kognitiv) erklaren konnte. Obwohl dieresultierenden Faktoren 1. Ordnung z. T. noch substanti-elle Ladungen aufwiesen, wurde die Losung mangels Si-gnifikanz zuruckgewiesen. Die vorgeschlagene Faktoren-struktur eines G-Faktors und zweier davon unabhangigenspezifischen Faktoren wurde von Ward (2006) wiederaufgegriffen. Die Zuordnung der Items zu den Faktorennahm er theoriegeleitet vor, wobei alle Items von einemG-Faktor beeinflusst sind und nur ein reduziertes Set anItems als Indikatoren fur den kognitiven respektive densomatischen Faktor dienen sollten. Die Symptome mitspezifischer kognitiver oder somatischer Varianz wurdenso von den unspezifischen affektiven Items getrennt,welche ausschließlich vom G-Faktor beeinflusst und ent-sprechend in der Zuordnung in einem Zwei-Faktoren-Modell unsicher waren. In einer Reanalyse von funf Da-tensatzen des BDI-II (Beck et al., 1996; Buckley, Parker &Heggie, 2001; Steer, Ball, Ranieri & Beck, 1999; Steer &Clark, 1997; Whisman, Perez & Ramel, 2000) zeigte ermittels konfirmatorischer Faktorenanalyse eine gute An-passungsleistung seines Modells an die Daten.

Tabelle 1 fasst die Resultate der exploratorischenFaktorenanalysen und des konfirmatorisch getestetenModells von Ward (2006) zusammen. Die fett gedrucktenSymptomnummern sind diejenigen, die bei allen Model-len entweder dem kognitiven oder dem somatischen Fak-tor zugeordnet wurden (großter gemeinsamer Nenner).Einzig die Studie von Osman, Downs, Barrios, Kopper,Gutierrez und Chiros (1997), welche eine substantiell an-dere Faktorenstruktur als die ubrigen Studien zeigt, wurdebei der Eruierung des gemeinsamen Nenners nicht miteinbezogen. (Damit ware eine weitere Reduktion der „so-matischen Symptome“ von funf (15, 16, 18, 19, 20) aufnur gerade zwei (16, 18) einhergegangen, was angesichtsder gesamthaften Datenlage nicht mehr sachgerecht er-scheint.)

Die unterschiedlichen Modelle wurden in der Folge inunterschiedlichen Studien mittels konfirmatorischer Fak-torenanalyse uberpruft. Eine der umfangreichsten Studiendazu stammt von Vanheule, Desmet, Groenvynck, Ros-seel und Fontaine (2008). Anhand eines Datensatzes von404 ambulant behandelten Patienten und 695 Personenaus der Normalbevolkerung wurden zehn verschiedene inder Literatur beschriebene faktorenanalytische Modelleuntersucht. Insgesamt wiesen alle Modelle ahnlicheKennwerte zur Passgute auf, wobei vier Modelle – vonBuckley et al. (2001), von Osman et al. (1997), von Vil-joen et al. (2003) und von Ward (2006) – eine besserePassgute in beiden Samples (klinisch und nicht klinisch)aufwiesen als das Referenzmodell von Beck et al. (1996).Alle ubrigen Modelle wiesen in mindestens einem Sampleschlechtere Kennwerte als das Referenzmodell auf. Eineweitere Studie (Quilty, Zhang & Bagby, 2010) bestatigte

232 Joel Buhler, Ferdinand Keller und Damian Lage

Page 3: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

gute Passguten fur das G-Faktor-Modell von Ward (2006)und das Dreifaktorenmodell von Osman et al. (1997) an-hand eines Datensatzes ambulant behandelter Patientenmit einer major depressive disorder (MDD) nach DSM-IV.

Die vorliegende faktorenanalytisch orientierte For-schung kommt also nicht zu einem einheitlichen Resultat,fuhrt sie doch zu zwei ganz unterschiedlichen Modellen anSymptomzusammenhangen in der Depression: Insbeson-dere das G-Faktor Modell und die obliquen, meist 2-fak-

toriellen Modelle (in der Folge als 2-Faktoren Modellebezeichnet) unterscheiden sich inhaltlich erheblich. Esgeht dabei nicht bloß um die Klarung, ob bei der haufigreplizierten 2-Faktoren Struktur die affektiven Symptomedem kognitiven oder dem somatischen Faktor zuzurech-nen seien. Vielmehr geht es um die auch praxisrelevanteFrage, ob die Symptome der Depression in zwei gleich-berechtigte Kategorien zerfallen oder ob im Wesentlichenein depressives Syndrom existiert, dessen Symptome ko-gnitive und somatische Komponenten aufweisen.

Tabelle 1. Resultate der exploratorischen Faktorenanalysen des BDI-II (international). Fett gedruckte Items sind in allenStudien (mit Ausnahme der Studie von Osman et al. (1997)), stichprobenunabhangig dem kognitiven bzw. demsomatischen Faktor zugeordnet

Herleitung desModells

Autoren Faktor Items

psychiatrischeStichprobe

Beck et al. (1996) kognitiv 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch-affektiv 4, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18,

19, 20, 21psychiatrischeStichprobe

Steer et al. (1999) kognitiv 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch-affektiv 1, 4, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18,

19, 20, 21psychiatrischeStichprobe

Arnau et al (2001) kognitiv 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 14somatisch-affektiv 1, 4, 8, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18,

19, 20, 21psychiatrischeStichprobe

Bedi, Koopman & Thompson(2001)

kognitiv 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch-affektiv 1, 4, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18,

19, 20, 21psychiatrischeStichprobe

Buckley et al. (2001) kognitiv 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch 11, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21affektiv 4, 10, 12, 13

psychiatrischeStichprobe

Osman, Kopper, Barrios, Gutierrez& Bagge (2004)

kognitiv-affektiv 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 13,14

somatisch 11, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21psychiatrischeStichprobe

Viljoen, Grant, Griffiths & Wood-ward (2003)

kognitiv 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14somatisch-affektiv 1, 4, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 19,

20, 21psychiatrischeStichprobe

Keller, Hautzinger & Kuhner (2008) kognitiv 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch-affektiv 1, 4, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18,

19, 20, 21nicht-psychiatrischeStichprobe

Beck et al. (1996) kognitiv-affektiv 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12,13, 14, 17, 21

somatisch 15, 16, 18, 19, 20nicht-psychiatrischeStichprobe

Osman et al. (1997) negative Selbsteinstellung 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 14Leistungsbeeintrachtigung 4, 12, 13, 15, 17, 19, 20somatisch 10, 11, 16, 18, 21

nicht-psychiatrischeStichprobe

Dozois, Dobson & Ahnberg (1998) kognitiv-affektiv 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch 4, 10, 11, 12, 15, 16, 17, 18, 19,

20, 21nicht-psychiatrischeStichprobe

Keller et al. (2008) kognitiv 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch-affektiv 4, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18,

19, 20, 21

theoretischeHerleitung

Ward (2006) Generell Alle Itemskognitiv 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 14somatisch 15, 16, 18, 19, 20

Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und qualitative Facetten 233

Page 4: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

Wahrend die Prufung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund stand (und selbstverstandlichmit jeder Ubersetzung wieder notwendig wird), ruckte dieFrage: „Ist die im BDI-II enthaltene Symptomatik und dieFormulierung der Auspragungsgrade adaquat, um dasKonstrukt der Depression abzubilden?“ immer weiter ausdem Zentrum des Untersuchungsgegenstandes heraus. Sohat die klinische Praxis diese Frage positiv beantwortet,denn inzwischen ist das BDI-II eines der meistverbreitetenInventare zur Erhebung der Depression (Santor, Gregus &Welch, 2006). Das unterstreicht seine potenzielle Nutz-lichkeit auch fur die Theorie: Es ist entsprechend anzu-nehmen, dass das Konstrukt „Depression“ mit der Sym-ptomliste des DSM-IV und der Messung durch das BDI-IIhinreichend gut abgebildet wird (vgl. dazu auch Kuhner,Burger, Keller & Hautzinger, 2007).

Eine valide Abbildung der Depression ermoglicht nun,uber die empirisch erhobenen Daten des Inventars auchdie theoretischen Ansatze zum Storungsbild zu prufen. Dadie Analysen zur Struktur des BDI-II also auch eine Mo-dellierung der Symptomstruktur des Konstrukts Depres-sion selbst bedeuten, halten wir es fur sinnvoll, die fakto-renanalytisch nur unzureichend beantwortete Frage nocheinmal aufzugreifen und mit einer anderen Analyseme-thodik anzugehen. Die Debatte weist schließlich auchstarke praktische Implikationen auf, da immer wieder aufdie unterschiedlichen Ansprechraten der verschiedenenSubgruppen auf spezifische Therapien hingewiesen wur-de (z.B. Fink & Taylor, 2007; Stewart, Garfinkel , Nunes,Donovan & Klein, 1998). Eine der umfangreichstenUbersichten mit direkt davon abgeleiteten Therapieemp-fehlungen findet sich bei Damm, et al. (2009). Obwohl dienosologischen Betrachtungen in besagter Literatur uberdie reine Klassifikation nach symptomatischen Gesichts-punkten weit hinausgehen, konnte gezeigt werden, dasssich auch aus Unterschieden in der Symptomatik alleinverschiedene Subgruppen der Depression ableiten lassen(Sullivan, Prescott & Kendler, 2002). Daher musste manvon einem Modell, das den Anspruch erhebt die Sym-ptomstruktur des BDI-II (und also auch die Symptom-struktur der Depression) abzubilden, erwarten, dass dies inUbereinstimmung mit den breiteren Befunden zur De-pressionsforschung steht. Unter Berucksichtigung derwachsenden Unzufriedenheit mit dem heterogenen Sto-rungsbild der „Major Depression“, dem die Acta Psych-iatrica Scandinavica 2007 eine volle Spezialausgabe ge-widmet hat, musste sich diese Heterogenitat auch in denzugrundeliegenden Beeinflussungsfaktoren im BDI-IIwiederfinden lassen.

Erstaunlicherweise weisen die faktorenanalytischenModelle jedoch lediglich eine Unterscheidung der Symp-tomatik in kognitive und somatische (und z. T. affektive)Symptome auf, wobei die Frage bestehen bleibt, ob dieVariabilitat zwischen den kognitiven und somatischenSymptomen nun auf unterschiedliche Symptomauspra-

gungen von Subgruppen depressiver Patienten oder aufresiduale Kovarianzen der Kategorie (kognitiv/somatisch)zuruckzufuhren sind. Die starke Uberlappung der Symp-tomatik bei allen Subgruppen ist auf alle Falle fur Fakto-renanalysen (speziell exploratorische) schwer handhab-bar. Auch wenn spezifische symptomatische Eigenheitenbei unterschiedlichen Subgruppen depressiver Patientenexistieren, mussten sich diese substantiell voneinanderunterscheiden, um in einem eigenen Faktor reprasentiertwerden zu konnen, was offensichtlich in der vorhandenenDatenlage – zumindest beim BDI-II – nicht der Fall ist.Um diese feingliedrigen Symptomzusammenhange zuentdecken, bieten sich andere strukturentdeckende statis-tische Methoden an. In der vorliegenden Studie schlagenwir deshalb zur Modellierung der Struktur des BDI-II (unddamit zur Modellierung der Struktur der Depression) dieNonmetrische Multidimensionale Skalierung (NMDS)vor. Mithilfe der NMDS kann die Struktur eines Inventarsauf der Ebene der Items visualisiert werden, was im De-tailgrad weit uber die strukturentdeckenden Mittel der ex-ploratorischen Faktorenanalyse hinausgeht.

In der vorliegenden Analyse werden die 21 Symptomedes BDI-II anhand der Nonmetrischen Multidimensiona-len Skalierung (NMDS) in einem Symptomraum abgebil-det. In diesem Symptomraum entsprechen die (euklidi-schen) Distanzen zwischen den Symptomen der bestenrelationalen Abbildung der Ahnlichkeiten (gemessen alsPearson-Korrelationen) der Symptome untereinander.Liegen also Symptome im Symptomraum nahe beieinan-der, so treten diese gehauft bei denselben Patienten und inahnlicher Schweregradauspragung auf. Bei großer Dis-tanz zwischen Symptomen treten sie (in Relation zu denanderen) selten bei denselben Patienten und/oder ahnli-cher Schweregradauspragung auf. Da dies – im weiterenSinne – auch das Ordnungskriterium bei exploratorischenFaktorenanalysen darstellt, lassen sich Faktorenstrukturenin einer NMDS-Losung als Symptomcluster, also Sym-ptome mit geringer Distanz zueinander, wiederfinden.Daruber hinaus folgt aber auch die Ordnung der Clusteruntereinander den Ahnlichkeiten zwischen darin enthalte-nen Symptomen. Sind sich also zwei Symptomcluster inRelation zu den anderen ahnlicher, so kommen dieseebenfalls naher zueinander zu liegen. Und es gibt nocheine Besonderheit in einer NMDS-Karte: Weist ein Sym-ptomcluster die hochsten Ahnlichkeiten zu allen anderenClustern auf, so wird dieses in der Mitte der Karte plat-ziert, da an dieser Stelle die Distanzen zu den ubrigenClustern am geringsten sind.

Fur die meisten Datensatze sind bereits 2-dimensiona-le Raume ausreichend, um die den Daten inharenteStruktur abzubilden, was eine „Symptomkarte“ ermog-licht und deren Interpretation begunstigt. Das Verfahrenhat sich in der Darstellung von Symptomstrukturen psy-chopathologischer Inventare bereits als außerst hilfreicherwiesen, wie Lage, Egli, Riedel und Moller (in Druck)anhand des AMDP-Inventars aufzeigen konnten.

234 Joel Buhler, Ferdinand Keller und Damian Lage

Page 5: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

Auch im Feld der Depressionsforschung ist dieMultidimensionale Skalierung (von der die NMDS einSpezialfall darstellt) nicht ganzlich neu. Cohen (2008)konnte anhand der Korrelationsmatrix fur die Depres-sionsstichprobe aus Beck et al. (1996) mittels Multidi-mensionaler Skalierung im 2-dimensionalen Raum zei-gen, dass sich eine 6-kategorielle Klassifikation derDepressionssymptome nach Beck, Rush, Shaw undEmery (1979) auch empirisch finden lasst und berich-tete daruber hinaus Anhaltspunkte fur eine – von BecksKlassifikation unabhangigen – „Arousal“-Dimension(mit 3 diskreten Auspragungen), nach der sich dieSymptome ordneten. Die MDS Losung, also der ent-standene 2-dimensionale Raum, wurde entsprechendanhand der resultierenden 3x6 Matrix („Arousal“ undSymptomkategorie) aufgeteilt und dahingehend inter-pretiert.

Des Weiteren haben Steinmeyer und Moller (1992)mittels NMDS-Analyse eine 2-dimensionale Facettenlo-sung der Hamilton-Depressionsskala zeigen konnen, diedurch zwei Ordnungsprinzipien – die Zentralitat und dieLage auf einem bestimmten Kreissegment – charakteri-siert werden konnte. Der Aspekt der Zentralitat in derLage der Symptome wurde als Indikator fur den Schwe-regrad der Depression gesehen, die Lage auf unterschied-lichen Kreissegmenten fur die Qualitat der Symptomatik(Somatisation, Kognition, Verlangsamung und Schlaf).Analog hat Steinmeyer (1993) die klinische Validitat derersten Version des BDI mittels NMDS untersucht und ge-funden, dass das BDI – besser als die HAM-D – intern undextern valide verschiedene klinisch bedeutsame Sym-ptomkreise depressiver Erkrankungen erfasst, wenn auchdie kognitive Seite ubergewichtet ist und mehr auf Psy-chomotorik zielende Items fehlen.

Durch die grafische Darstellungsweise in einer 2-di-mensionalen NMDS-Losung lassen sich auch die fakto-renanalytischen Modelle hervorragend vergleichen. Fureine stabile 2-faktorielle Struktur wurde man zwei dis-tinkte Cluster erwarten (die positive Grundkorrelationzwischen den obliquen Faktoren spielt in der relationalenNMDS-Losung keine Rolle), wahrend beim G-FaktorModell drei Cluster – mit ihren Schwerpunkten auf einerGeraden angeordnet – erwartet wurden. Die Pole solltendie spezifischen Symptome (kognitiv und somatisch), denMittelpunkt die unspezifischen Symptome (vorwiegendaffektiv) bilden. Dieser Gedanke wird im Methodik-Teilwieder aufgegriffen und im Detail beschrieben.

Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist entspre-chend zweigeteilt. Erstens soll durch die NonmetrischeMultidimensionale Skalierung der Symptome im BDI-IIeine Grundlage entstehen, auf der die divergierenden fak-torenanalytischen Modelle miteinander verglichen wer-den konnen; und zweitens erhoffen wir uns durch dieAbbildung der symptomatischen Struktur auf der Ebeneder Symptome eine detailliertere Modellierung der De-

pression als dies bislang in den faktorenanalytischen Mo-dellen der Fall ist.

Methodik

Stichproben

Als Datengrundlage fur die vorliegende Untersuchungdiente die Stichprobe, welche auch dem Manual derdeutschsprachigen Version des BDI-II zugrunde liegt(Hautzinger et al., 2006). Verwendet wurden ausschließ-lich depressive Patienten (N=266), welche im Rahmenvon stationaren und ambulanten Routinebehandlungen inunterschiedlichen Kliniken und Therapiezentren Deutsch-lands erhoben wurden. Das Durchschnittsalter der Stich-probe lag bei 48.8 Jahren (SD=15.7), der Frauenanteilbetrug 65.4 %.

Statistische Methoden

Zur Analyse der Daten wurde die Nonmetrische Multidi-mensionale Skalierung (NMDS) des SoftwarepaketsProDaX (Oberholzer, Egloff, Ryf & Lage, 2008) verwen-det. In der NMDS werden Objekte auf der Grundlage vonProximitaten (jedes Objekt von n Objekten besitzt n-1Proximitaten zu den ubrigen Objekten) in einen euklidi-schen Raum abgebildet. Die Berechnung der optimalenKonfiguration wird durch einen iterativen Algorithmusvorgenommen, der die Proximitatsmatrix in Distanzrela-tionen der Objekte umsetzt und diese moglichst rangtreu(bei der NMDS, bei der MDS intervalltreu) in einen nied-rig-dimensionalen Raum abbildet. Da eine solche Abbil-dung bei realen Daten und niedrig dimensionalen Raumenpraktisch nie perfekt moglich ist, mussen Abweichungenzwischen einer idealen (strikt rangtreuen) und einer realen(moglichst rangtreuen) NMDS-Losung in Kauf genom-men werden. Als Maß fur die Passgute der Abbildungsteht der Stresswert (Borg & Groenen, 2005). In der vor-liegenden Analyse wurde ein robuster Berechnungsalgo-rithums (Robuscal) eingesetzt (Lage, Daub, Bosia, Jager& Ryf, 2005), um den Einfluss verrauschter Daten so ge-ring wie moglich zu halten.

Als Proximitatsmaß diente die Pearson-Korrelation.Die Grundlage zur Berechnung des Symptomraumesstellte entsprechend die Korrelationsmatrix der Sympto-me, d. h. die paarweisen Korrelationskoeffizienten derSymptome des BDI-II dar. Durch die Verwendung derKorrelationsmatrix zur Berechnung des Symptomraumslassen sich in der Regel faktorenanalytisch gefundeneStrukturen in der NMDS-Losung als Cluster von Sym-ptomen wiederfinden (und zwar unabhangig von der Di-mensionalitat der NMDS-Losung). Der folgende Gedan-kengang zeigt, weshalb dies so gefunden wird:

Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und qualitative Facetten 235

Page 6: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

Es sei ein Datensatz gegeben, dessen wahre Strukturfaktorenanalytisch gut erfasst werden kann (kategorialeStruktur) und dessen Faktoren – vorerst – unabhangigvoneinander seien. In diesem Datensatz existieren alsoverschiedene Gruppen von Items, welche innerhalb derGruppen untereinander hochgradig korreliert, zwischenden Gruppen, entsprechend der geforderten Unabhangig-keit der Faktoren, bis auf zufallige Zusammenhange un-korreliert sind. Eine exploratorische Faktorenanalyse wirdin diesem Datensatz von n Items mit k Gruppen von Itemsk Faktoren finden, wobei jeder Faktor die Symptome derk Gruppen bestmoglich – das heißt mit maximaler Kova-rianz zu allen Symptomen innerhalb der Gruppe – repra-sentiert. Die NMDS-Losung wird entsprechend ausk Clustern bestehen, welche moglichst aquidistant imRaum verteilt zu liegen kommen werden. Cluster werdensich zeigen, da die Korrelationen zu gruppeneigenen Itemshoher sind als zu gruppenfremden (was eine hohere Ahn-lichkeit und entsprechend eine geringere Distanz zur Fol-ge hat). Aquidistanz im Raum wird sich einstellen, da dieKorrelationen zu allen gruppenfremden Items dieselbensind, bei postulierter Unabhangigkeit also null. Einestreng kategoriale Losung, in der mit wenigen Faktorenein Großteil an Varianz in den Daten erklart werden kann,wird sich in der NMDS-Losung demzufolge als klar dis-tinkte Item-Cluster zeigen mit nur geringen Intra-Cluster-Distanzen. Handelt es sich um eine Losung in der eherheterogene Konstrukte durch Gruppen von Variablen er-klart werden, so sind entsprechend großere Intra-Cluster-Distanzen zu erwarten.

Durch die relationale Darstellung der Items zueinanderbleibt allerdings ein nicht unwesentlicher Aspekt in denDaten unberucksichtigt: Eine Korrelationsmatrix mit vor-wiegend positiven Korrelationen – d. h. wenn die Sym-ptome allesamt positiv miteinander korreliert sind – wirdin der NMDS-Losung genau gleich reprasentiert, wiewenn die Korrelationsmatrix vorgangig am Mittelwertzentriert wurde. Dieser Umstand muss zwingend bei derInterpretation von NMDS-Losungen berucksichtigt wer-den. Die relationale Behandlung der Ahnlichkeiten zwi-schen den Items macht auch die vorab geforderte Unab-hangigkeit zwischen den Faktoren uberflussig. Es werdennur diejenigen Varianzen berucksichtigt, die auch auf un-terschiedliche Beeinflussungen der Faktoren zuruckge-hen. Positive Korrelationen zwischen den Faktoren, wiedies in den obliquen Faktorenmodellen zugelassen wird,zeigen sich in der NMDS-Losung nicht.

Die obengenannten Ordnungskriterien fur NMDS-Lo-sungen treffen gezielte Vorhersagen, wie sich die Sym-ptomstruktur auf der Ebene der Symptome zeigen musste,bei adaquater Modellierung der BDI-II Daten durch dieunterschiedlichen faktorenanalytischen Modelle. Eine2-Faktoren Struktur, die fur alle Symptome ausschließlicheinen beeinflussenden Faktor annimmt (z. B. fur die ko-gnitiven Symptome den kognitiven Faktor, fur die soma-tisch-affektiven Symptome den somatisch-affektiven

Faktor), musste sich in der NMDS-Losung als klar sepa-rierte 2-Cluster Losung zeigen. Die Kovarianzen der ko-gnitiven Symptome waren ausschließlich auf die Beein-flussung des kognitiven Faktors zuruckzufuhren, diejeni-gen der somatisch-affektiven Symptome auf die Beein-flussung des somatisch-affektiven Faktors. Die beidenCluster mussten voneinander in großer Distanz (im Ver-gleich zu den Distanzen innerhalb des Clusters) zu liegenkommen, da kein Symptom von beiden Faktoren beein-flusst wird. Die G-Faktor Struktur wurde sich grob in dreiSymptomcluster gliedern (kognitiver-, somatischer- undG-Faktor). Der G-Faktor spielt in der relationalen NMDS-Losung deshalb weiterhin eine Rolle, weil einige Sym-ptome exklusiv vom G-Faktor beeinflusst werden unddamit eine Art Zentrum bilden. Im G-Faktor Modell wer-den einzelne Items von mehreren Faktoren beeinflusst –die kognitiven Items vom G-Faktor und dem kognitivenFaktor und die somatischen Items vom G-Faktor und demsomatischen Faktor. Diese Symptome konnen entspre-chend als Linearkombination der beiden Faktoren aufge-fasst werden, wobei jedem Symptom unterschiedlicheGewichte fur die beeinflussenden Faktoren zugewiesenwerden konnen. Damit lasst das G-Faktoren Modell einedimensionale Ordnungskomponente zu. Die drei Sym-ptomgruppen mussten sich also auf einer Geraden anord-nen, mit denjenigen Symptomen in der Mitte, die aus-schließlich vom G-Faktor beeinflusst werden. Durch diedimensionale Ordnungskomponente besitzt dieses Modelldie Freiheit, die Distanzen zwischen den 3 Clustern auf einMinimum zu reduzieren, wobei im Extremfall ein flie-ßender Verlauf in drei (allerdings immer noch strikt von-einander getrennte) Bereiche entstehen kann.

Da fur jedes Faktorenmodell spezifische Vorhersagenzur Strukturierung der Symptome in der NMDS-Losunggetroffen werden konnen, lassen sich auf deren Grundlagedie unterschiedlichen faktorenanalytischen Modelle be-reits in einer 2-dimensionalen Darstellung der NMDSmiteinander vergleichen.

Ergebnisse

Abbildung 1 zeigt die NMDS-Losung der BDI-II Sym-ptome auf der Datengrundlage der 266 depressiven Pati-enten. Der Stresswert von 0.22 zeigt eine – fur die Anzahlan abgebildeten Objekten – akzeptable Einpassung in den2-dimensionalen Raum an (Gigerenzer, 1981). Zur Se-mantik fallt auf, dass die somatischen Items „Weinen“,„Unruhe“ und „Reizbarkeit“, sowie „Verlust an sexuellemInteresse“, „Appetitveranderung“ und „Schlaf“ zwei von-einander und von den ubrigen Items distinkte Cluster bil-den. Die kognitiven Symptome „Suizidgedanken“ und„Bestrafungsgefuhle“ positionieren sich ebenfalls etwasabseits. Eine weitere Auffalligkeit stellen die affektivenItems „Traurigkeit“, „Entschlusslosigkeit“, „Verlust anFreude“ und „Interessenverlust“ und das Symptom

236 Joel Buhler, Ferdinand Keller und Damian Lage

Page 7: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

„Energieverlust“ in der Mitte der Karte dar. Deren zentraleLage deutet auf eine hohe Ahnlichkeit mit allen ubrigenSymptomen hin. Insgesamt lasst die Karte eine klareClusterung (insbesondere eine klare Zweiteilung) derSymptome aber vermissen – eine kategoriale Losungdrangt sich nicht direkt auf.

Bei genauerer Betrachtung der Items in Relation zuihren Positionen auf imaginierten x- und y-Achsen stelltman fest, dass sich die kognitiven Symptome im linkenBereich der Karte, die somatischen vorwiegend im rechtenBereich der Karte und die affektiven Symptome etwa inder Mitte der Karte positionieren. Wenn diese auch nichtklar als Gruppen voneinander abgrenzbar sind, so lassensie sich doch als Regionen in der Karte wiederfinden. Die2-Faktoren Modelle klaren vorwiegend die Varianz ent-lang der x-Achse auf – was sich auch in der Namensge-bung der Faktoren widerspiegelt. Da die Distanz zwischenden außersten Symptomen auf der x-Achse großer ist alsdiejenige der außersten Symptome auf der y-Achse (waseinem elliptischen, entlang der x-Achse gestrecktenPunkteschwarm entspricht), ist entlang der x- Achse auchmehr Varianz aufzuklaren als entlang der y-Achse. Trotz-dem zeigt sich entlang der y-Achse in Abbildung 1 nochein substantieller Anteil an Varianz mit systematischemInformationsanteil. Eine dimensionale Struktur ist hierzwar nicht durchgangig vorhanden. Im oberen Bereich derKarte positionieren sich uberwiegend Symptome die miteinem geringen Aktivitatsniveau einhergehen, wahrendim unteren Bereich der Karte eher Symptome zu findensind, welche mit einem hohen Aktivitatsniveau assoziiertsind. Wahrend diese Interpretation im mittleren Bereichdes x-Achsenabschnitts gut passt, stimmt sie in denRandbereichen nur begrenzt. Im Diskussionsteil stellen

wir deshalb eine Facettenlosung vor, die uns fur die In-terpretation der NMDS-Losung adaquater erscheint.

Abbildung 2 zeigt zusatzlich zur NMDS-Losung ver-tikal bzw. horizontal schraffiert die kategoriale Zuordnungder Items zum kognitiven und zum somatisch-affektivenFaktor, so wie diese im vorliegenden Datensatz mittelsPromax-Rotation und zweifaktorieller Losung gefundenwerden und in Keller et al. (2008) ausfuhrlich beschriebensind. Die Abbildung der Symptome in der Karte folgt derBefundlage aus Tabelle 1 zum kognitiven und zum soma-tischen Faktor: Symptome, welche einheitlich dem ko-gnitiven Faktor zugeordnet wurden sind als Quadrate,Symptome, welche einheitlich dem somatischen Faktorzugeordnet wurden als Dreiecke, und Symptome, welcheuneinheitlich zugeordnet wurden sind als Kreise darge-stellt.

In der Symptomkarte von Abbildung 2 konnen derkognitive und der somatisch-affektive Faktor gemaß derZuordnung bei Keller et al. (2008) anhand der x-Achsevoneinander abgegrenzt werden. Allerdings wird auchdeutlich, dass insbesondere die affektiven Items „Traurig-keit“, „Entschlusslosigkeit“, „Verlust an Freude“ und „In-teressenverlust“, als auch die Items „Pessimismus“,„Energieverlust“ und „Weinen“, welche in etwa auf hal-bem Weg der x-Achse zu liegen kommen, sich nur inknapper Distanz zur Trennlinie zwischen den beiden Fak-toren positionieren, was eine Zuordnung zum einen oderanderen Faktor aus Sicht der NMDS-Losung unsichermacht.

Fur die in der Literatur einheitlich zugeordneten Sym-ptome zeigt sich der kognitive Faktor als robust (mit 8bestandig zugeordneten Symptomen) und kann auch in

Abbildung 1. NMDS-Losung derSymptomstruktur der BDI-II Itemsin einer Stichprobe von depressivenPatienten (N=266).

Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und qualitative Facetten 237

Page 8: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

der NMDS-Losung als Facette identifiziert werden – al-lerdings mit betrachtlicher Varianz zwischen den zusam-mengefassten Symptomen. Der somatische Faktor dage-gen, der unter Ausschluss der Studie von Osman et al.(1997) noch funf Symptome umfasst, kann in der NMDS-Losung nicht als Facette identifiziert werden. Dafur ist dieLage der funf Symptome zu unterschiedlich, und das nichtenthaltene Symptom „Verlust an sexuellem Interesse“ be-findet sich zwischen den beiden Gruppen von Symptomen„Appetitveranderung“ / „Schlaf“ und „Energieverlust“ /„Konzentrationsschwierigkeiten“ / „Ermudung“.

Diskussion

Die NMDS-Losung der BDI-II Symptome (Abbildung 1)zeigt nur ansatzweise eine kategoriale Losung. Die ko-gnitiven und affektiven Symptomgruppen konnen zwarstrikt voneinander getrennt werden, der Ubergang zwi-schen den Faktoren zeigt sich in der NMDS-Losung al-lerdings als unscharf (geringe Distanz zwischen den„Rand-Symptomen“ der jeweiligen Faktoren). In einemobliquen 2-Faktoren Modell ist die Zuordnung der Sym-ptome nahe der Trennlinie (Abbildung 2) zu einem derbeiden Faktoren entsprechend unsicher. Betroffen sindvorwiegend die affektiven Symptome, was die stichpro-benabhangigen Resultate bei deren Zuordnung in den2-Faktoren Modellen erklart.

Gerade bei den mittig positionierten Symptomen,welche in ihrer Zuordnung stichprobenabhangig reagie-ren, handelt es sich allerdings um Kernsymptome der De-pression (Damm, et al., 2009). Der Fokus der beidenFaktoren (kognitiv und somatisch) liegt aber eher in denRandbereichen der NMDS-Losung und damit bei denspezifischeren Symptomen der Depression. Nun stellt sichdie Frage, inwieweit eine Zweikomponenten-Kategorisie-rung sachdienlich ist, wenn der zentrale Aspekt quasi nur„mitkategorisiert“ wird. Die Bildung zweier Subskalenvon BDI-II Items auf der Grundlage von obliquen zweiFaktorenlosungen ist vor dem Hintergrund der NMDS-Losung entsprechend abzulehnen.

Die durchwegs positive mittlere Korrelation zwischenden Symptomen (r-=0.4, sr =0.12) und die gesamthaftwenig kategoriale NMDS-Losung deutet eher in Richtungeines unspezifischen depressiven Syndroms, wie dies vomG-Faktor Modell konstatiert wird (Ward, 2006). Der Ein-bezug von spezifischen kognitiven und somatischenSymptomen und deren Zuordnung zu den jeweiligenFaktoren im Modell hilft, die verbleibenden (orthogona-len) maximalen Restvarianzanteile zu bestimmen und zu-zuordnen. Vor dem Hintergrund der NMDS-Losung stelltdas G-Faktor Modell von Ward (2006) also das am bestenpassende Faktorenmodell dar, obschon es einiges an Va-riabilitat (speziell entlang der y-Achse) unerklart lasst.Offen bleibt zudem die Frage, ob diese maximalen Rest-

Abbildung 2. Symptomstruktur des BDI-II in einer Stichprobe von depressiven Patienten (N=266). vertikal bzw. horizontalschraffiert sind die Faktoren gemaß exploratorischer Faktorenanalyse des zugrundeliegenden Datensatzes. Die Quadratebzw. Dreiecke zeigen den großten gemeinsamen Nenner der exploratorischen Faktorenanalysen in der Literatur (vgl. dazuTabelle 1).

238 Joel Buhler, Ferdinand Keller und Damian Lage

Page 9: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

varianzanteile aufgrund von unterschiedlichen Subtypender Depression (Personengruppen) oder aufgrund beste-hender Kovarianzen zwischen Symptomen derselben Ka-tegorie (kognitiv/somatisch) entstehen. Die Beantwortungdieser Frage geht uber die hier vorliegende Untersuchunghinaus, konnte aber vielleicht uber eine Latent ClassAnalyse untersucht werden – ahnlich der Untersuchungvon Sullivan et al. (2002), allerdings beschrankt auf eineStichprobe von depressiven Patienten.

Die NMDS-Losung zeigt zusatzlich zur Variabilitatzwischen kognitiven und somatischen Symptomen erheb-liche (und in den Faktorenanalysen unerklarte) Varianzentlang der y-Achse. Diese Strukturanteile werden in denFaktorenanalysen selten berucksichtigt, da sie alleinenicht mehr genugend Varianz fur einen eigenen Faktorenthalten. (In einer Hauptkomponentenanalyse des vor-liegenden Datensatzes beispielsweise musste eine dritteHauptkomponente als nicht mehr interpretierbar zuruck-gewiesen werden, vgl. Keller et al., 2008). In der Multi-dimensionalen Skalierung dagegen scheint das Ord-nungskriterium eines Aktivitatsniveaus bzw. eines„Arousals“, zwar nicht auf Item-, aber doch auf Konzept-ebene stabil: Sowohl in der hier vorgelegten Arbeit alsauch in der Arbeit von Cohen (2008) konnte ein solchesentlang der y-Achse identifiziert werden. Auch bezuglichder Anordnung der Symptome entlang der x-Achse sinddie beiden Losungen – bis auf die Symptome Energiever-lust und Suizidgedanken – in identische Regionen unter-teilbar. Zur Interpretation der MDS-Losung zieht Cohen(2008) eine Einteilung des Raums in 18 Regionen (3„Arousal“ mal 6 Symptomkategorien) heran, vor dessenHintergrund die Platzierung der Symptome interpretiertwird. Damit verliert er allerdings die durch Multidimen-sionale Skalierung gewonnene dimensionale Sicht auf dieLosung und bewegt sich wieder auf einer (freilich detail-lierteren) rein kategorialen Interpretationsebene.

Steinmeyer und Moller (1992) dagegen legen in ih-rer NMDS-Losung des HAMD gerade auf die Dimen-sionalitat, also auf die Interpretation einer Region imKontext der Gesamtstruktur, grosses Gewicht. DieKernsymptome der Depression im HAMD fanden sie inihrer Losung mittig positioniert und vermuteten dieseals Symptome mit maximaler Schweregradabhangig-keit. Aquivalent dazu die vorliegende NMDS-Losungdes BDI-II: Auch hier zeigen sich die Kernsymptomeder Depression in der Mitte der Struktur (Abbildung 3).Rund um diese Kernsymptome lasst sich eine Facetten-struktur finden, die selbst auch wieder eine dimensio-nale Ordnung aufweist: Von 12 Uhr im Uhrzeigersinnbeginnend, uber die vorwiegend somatischen Facetten„verminderte Aktivierung“, „psychovegetative Sym-ptome“ und „gesteigerte Aktivierung“ (wobei „gestei-gerte Aktivierung“ und „verminderte Aktivierung“ dieAntipoden der y-Achse bilden), zu den kognitiven Fa-cetten der „Hoffnungslosigkeit“ und der „negativenEinstellung zum Selbst“ (wobei die Gruppen somati-

sche und kognitive Symptome die Antipoden derx-Achse bilden). Die Facetten kategorisieren die Sym-ptome entsprechend ihren zentralen Merkmalen inner-halb der Gesamtstruktur. Das von Cohen (2008) als di-mensionales Ordnungskriterium vorgeschlagene„Arousal“ finden wir aber starker kategorial gepragt. Immittleren x-Achsenabschnitt herrscht zwar noch mehr-heitlich eine dimensionale Ordnung der Symptome, ge-gen die linken und rechten Aussenbereiche der Kartehin wird diese Ordnung aber sichtlich schwacher. Statteiner „Arousal“-Dimension, die ein globales, fur dengesamten Symptomraum gultiges Ordnungskriteriumdarstellen wurde, schlagen wir deshalb ein lokaleres„Arousal“-Ordnungskriterium auf der Basis der beidenAktivierungsfacetten vor. Die außeren Facetten grenzendie spezifischeren Symptome – welche als Diskrimi-nierungsgrundlage bei unterschiedlichen Subtypen derDepression herangezogen werden konnten – voneinan-der und gegen die Kernsymptome hin ab. In der Mitteder NMDS-Losung vermuten wir generelle, der De-pression inharente Symptome, die bei allen Subtypender Depression gefunden werden und eine maximaleSchweregradabhangigkeit aufweisen.

Die Facetten zeigen, dass sich innerhalb der Sympto-matik der Depression ausgepragte, semantisch interpre-tierbare Varianzquellen zeigen. Dies begunstigt die Inter-pretation, dass sich innerhalb des Storungsbilds der De-pression nach symptomatischen Gesichtspunkten unter-scheidbare Subtypen bilden lassen. Die Facettenlosungdes BDI-II unterstutzt damit die Forderung nach einerfeingliedrigeren Unterteilung der Depression (z.B.Damm, et al., 2009; Fink & Taylor, 2007; Joiner et al.,2005; Parker, 2007; Stewart et al., 2007; Shorter, 2007).Die bislang von den Faktorenmodellen ignorierte Kom-ponente der Aktivierung zeigt sich als klar ausgepragtesOrdnungskriterium zwischen den Facetten der „vermin-derten-“ und der „gesteigerten Aktivierung“. Diese syste-matische Varianzquelle in den Daten, die immer wiedermit der Klassifikation von Subtypen in Verbindung ge-bracht wird, zeigt sich ausschließlich in der sensitiverenNMDS-Losung.

Die reine Zerlegung der Depressionssymptome in einekognitive und somatische Komponente scheint vor demHintergrund der NMDS-Losung entsprechend als aufge-zwungen. Obwohl damit die hauptsachliche varianzstif-tende Quelle – nach dem generellen Faktor – erfasst wer-den kann, wird es der Struktur der Daten nicht gerecht. DieOrdnung der Symptome ist eher dimensionaler als kate-gorialer Natur. Damit deckt eine Facettenlosung die prak-tischen und theoretischen Anforderungen an eine Katego-risierung wesentlich besser ab und wird von den Datenklar unterstutzt. Die geringe Anzahl an beteiligten Sym-ptomen pro Facette lasst die Bildung von Subskalen al-lerdings auch auf der Grundlage der Facettenlosung alswenig zweckdienlich erscheinen (zumindest wenn es umdie Bestimmung des Schweregrads einer Erkrankung

Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und qualitative Facetten 239

Page 10: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

geht). Das fuhrt dazu, dass der an sich hohe Detailgrad anInformation, der in den Daten des BDI-II grundsatzlicherfasst wird, leider noch nicht vollumfanglich erschlossenwerden kann.

Einschrankend ist anzumerken, dass es sich bei derhier vorgestellten Facettenlosung des BDI-II um eineAuswertung exploratorischen Charakters handelt. EineValidierung anhand einer unabhangigen Stichprobe warewunschenswert – insbesondere im Hinblick auf die Sta-bilitat der Facettenlosung. Mit der MDS-Losung vonCohen liegt zwar potentiell eine Struktur vor, auf die hingepruft werden konnte, in drei Belangen unterscheidensich aber die beiden Studien: Erstens wurden zwei unter-schiedliche Algorithmen (im Speziellen zwei verschiede-ne Minimierungsfunktionen) verwendet, zweitens handeltes sich bei Cohen (2008) um eine gemischte Stichprobevon ambulant behandelten Depressiven und Patienten mitanderen affektiven Storungen (knapp die Halfte derStichprobe von Beck et al. (1996) weisen die Diagnoseeiner Angst-, Anpassungs- oder anderen Storung auf),wahrend in der vorliegenden Studie nur depressive Pati-enten untersucht wurden und drittens stammen die Datenaus der englischen Version des BDI-II. Die Attribuierungder Unterschiede in den beiden Losungen auf spezifischeFaktoren wird entsprechend unsicher. Weiter ist anzumer-ken, dass mit dem BDI-II ein reines Selbsterfassungsin-ventar vorliegt; ob und wie weit sich die hier gefundeneFacettenstruktur auch in einer Aussensicht auf die De-

pression replizieren lasst, geht uber den Rahmen dieserStudie hinaus.

Immerhin wird durch die NMDS die symptomatischeStruktur des BDI-II erstmalig derart abbildbar, dass auchwenig erfahrene Diagnostiker die komplexen Symptom-verflechtungen erkennen konnen. Eine Darstellung desBDI-II Befundes direkt in einer NMDS-Losung (also eineVisualisierung des individuellen Symptomprofils durchschweregradabhangige Einfarbung der Symptome)konnte damit auch praktische Relevanz aufweisen: Diefarbliche Kodierung des Schweregrades der Einzelsym-ptome liesse auf einen Blick allenfalls vorherrschendeProblembereiche erkennen – namlich als Anhaufungenvon hohen Symptomschweregraden innerhalb spezifi-scher Facetten. Die Interpretationsgrundlage bliebe dabeiaber die individuell eingefarbte Symptomkarte, womitauch die dimensionale Ordnung der Symptome nicht ausden Augen verloren werden kann. Die bislang primareBetrachtung des numerischen Schweregrades wurde alsoum eine bildliche Darstellung des Symptomprofils er-ganzt, dessen Analyseebene sich nicht weiter auf aggre-gierte Werte, sondern direkt auf die Symptome respektivedie Facetten bezoge. Im Grundsatz fande sich so eineDarstellungsform, welche sowohl quantitative als auchqualitative Aspekte der Depression berucksichtigen wur-de und damit – als praktische Anwendung – die Dia-gnostik und eine darauf aufbauende Behandlungsplanungmoglicherweise vereinfachen konnte.

Abbildung 3. Facettenlosung des BDI-II. Wahrend die affektiven Symptome in Richtung Mitte platziert werden, differen-zieren gegen außen hin die Facetten „verminderte Aktivierung“, „psychovegetative Symptome“, „gesteigerte Aktivierung“,„Hoffnungslosigkeit“ und „negative Einstellung zum Selbst“ die Symptomatik unterschiedlicher Storungsbereiche.

240 Joel Buhler, Ferdinand Keller und Damian Lage

Page 11: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

Literatur

Arnau, R. C., Meagher, M. W., Norris, M. P. & Bramson, R.(2001). Psychometric evaluation of the Beck Depression In-ventory-II with primary care medical patients. Health Psy-chology, 20, 112–119.

Beck, A. T., Rush, A. J., Shaw, B. F. & Emery, G. (1979). Cog-nitive therapy of depression. New York: Guilford Press.

Beck, A. T., Steer, R. A. & Brown, G. K. (1996). Manual for theBeck Depression Inventory-II. San Antonio, TX: Psycholo-gical Corporation.

Beck, A. T., Ward, C. H., Mendelsohn, M., Mock, J. & Erbaugh,J. (1961). An Inventory for measuring depression. Archivesof general Psychiatry, 4, 561–571.

Bedi, R. P., Koopman, R. F. & Thompson, J. M. (2001). Thedimensionality of the Beck Depression Inventory-II and itsrelevance for tailoring the psychological treatment of womenwith depression. Psychotherapy: Theory, Research, Prac-tice, Training, 38, 306– 318.

Borg, I. & Groenen, P. J. (2005). Modern MultidimensionalScaling, Theory and Applications (2. Ausg.). New York:Springer.

Buckley, T. C., Parker, J. D. & Heggie, J. (2001). A psychometricevaluation of the BDI II in treatment-seeking substanceabusers. Journal of Substance Abuse Treatment, 20, 197 –204.

Cohen, A. (2008). The underlying structure of the Beck De-pression Inventory: A multidimensional scaling approach.Journal of Research in Personality, 42, 779–786.

Damm, J., Eser, D., Schule, C., Moller, H.-J., Rupprecht, R. &Baghai, T. C. (2009). Depressive Kernsymptome. Nerven-arzt, 80, 515–531.

Dozois, D. J., Dobson, K. S. & Ahnberg, J. L. (1998). A psy-chometric evaluation of the Beck Depression Inventory-II.Psychological Assessment, 10, 83–89.

Fink, M. & Taylor, M. A. (2007). Resurrecting melancholia. ActaPsychiatrica Scandinavica, 115 (Suppl. 433), 14 –20.

Gigerenzer, G. (1981). Messung und Modellbildung in der Psy-chologie. Munchen, Basel: E. Reinhardt.

Hautzinger, M., Keller, F. & Kuhner, C. (2006). BDI-II. BeckDepressions Inventar Revision – Manual. Frankfurt: Har-court Test Services.

Joiner, T. E., Walker, R. L., Pettit, J. W., Perez, M. & Cukrowicz,K. C. (2005). Evidence-based assessment of depression inadults. Psychological Assessment, 17 (3), 267– 277.

Keller, F., Hautzinger, M. & Kuhner, C. (2008). Zur faktoriellenStruktur des deutschsprachigen BDI-II. Zeitschrift fur Klini-sche Psychologie und Psychotherapie, 37 (4), 245–254.

Kuhner, C., Burger, C., Keller, F. & Hautzinger, M. (2007). Re-liabilitat und Validitat des revidierten Beck Depressionsin-ventars (BDI-II) – Befunde aus deutschsprachigen Stichpro-ben. Der Nervenarzt, 78, 651–656.

Lage, D., Daub, S., Bosia, L., Jager, C. & Ryf, S. (2005). DieBehandlung ausreißerbehafteter Datensatze in der Nonme-trischen Multidimensionalen Skalierung – Relevanz, Pro-blemanalyse und Losungsvorschlag (Forschungsberichteaus der angewandten Kognitionspsychologie Nr. 21). Zu-rich: Universitat, Psychologisches Institiut.

Lage, D., Egli, S., Riedel, M. & Moller, H. J. (in Druck). Ex-ploring the structure of psychopathological symptoms – re-considering the AMDP factor-analytic syndromes by com-bining the categorical and the dimensional perspective. In-ternational Journal of Methods in Psychiatric Research.

Moran, P. W. & Lambert, M. J. (1983). A review of currentassessment tools for monitoring changes in depression. In M.S. Lambert, E. R. Christensen & S. DeJulio, The assessmentof psychotherapy outcome (S. 263 –303). New York: Wiley.

Oberholzer, R., Egloff, S., Ryf, S. & Lage, D. (2008). ProDaXHandbuch. Von ProDaX – proximity data explorer. Zugriffam 29.10.2012. Verfugbar unter http://prodax.ch/NMDS-handbuch.html.

Osman, A., Downs, W. R., Barrios, F. X., Kopper, B. A., Gu-tierrez, P. M. & Chiros, C. E. (1997). Factor structure andpsychometric characteristics of the Beck Depression Inven-tory-II. Journal of Psychopathology and Behavioral Assess-ment, 19, 359 –376.

Osman, A., Kopper, B. A., Barrios, F., Gutierrez, P. M. & Bagge,C. L. (2004). Reliability and validity of the Beck depressioninventory-II with adolescent psychiatric inpatients. Psycho-logical Assessment, 16, 120 –132.

Parker, G. (2007). Defining melancholia: the primacy of psy-chomotor disturbance. Acta Psychiatrica Scandinavica, 115(Suppl. 433), 21 –30.

Quilty, L. C., Zhang, K. A. & Bagby, R. M. (2010). Te latentsymptom structure of the Beck Depression Inventory-II inoutpatients with major depression. Psychological Assess-ment, 22 (3), 603 –608.

Santor, D. A., Gregus, M. & Welch, A. (2006). Eight decades ofmeasurement in depression. Measurement, 4 (3), 135–155.

Schmid, J. & Leiman, J. M. (1957). The development of hierar-chical factor solutions. Psychometrika, 22, 53–61.

Shorter, E. (2007). The doctrine of the two depressions in histo-rical perspective. Acta Psychiatrica Scandinavica, 115(Suppl. 433), 5–13.

Steer, R. A. & Clark, D. A. (1997). Psychometric characteristicsof the Beck Depression Inventory-II with college students.Measurement & Evaluation in Counseling & Development,30, 128–136.

Steer, R. A., Ball, R., Ranieri, W. F. & Beck, A. T. (1999).Dimensions of the Beck Depression Inventory-II in clini-cally depressed outpatients. Psychological Reports, 55,443 –446.

Steinmeyer, E. M. (1993). Zur klinischen Validitat des BeckDepressionsinventars: Eine facettentheoretische Reanalysemultizentrischer klinischer Beobachtungsdaten. Der Ner-venarzt, 64, 717 –726.

Steinmeyer, E. M. & Moller, H. J. (1992). Facet theoretic analy-sis of the Hamilton-D Scale. Journal of Affective Disorders,25, 53–62.

Stewart, J. W., Garfinkel , R., Nunes, E. V., Donovan, S. & Klein,D. F. (1998). Atypical features and treatment response in theNational Institute of Mental Health Treatment of DepressionCollaborative Research program. Journal of Clinical Psy-chopharmacology, 18 (6), 429 –434.

Stewart, J., McGrath, P. J., Quitkin, F. M. & Klein, D. F. (2007).Atypical depression: current status and relevance to melan-cholia. Acta Psychiatrica Scandinavica, 115 (Suppl. 433),58– 71.

Sullivan, P. F., Prescott, C. A. & Kendler, K. S. (2002). Thesubtypes of major depression in a twin registry. Journal ofAffective Disorders, 68, 273 –284.

Vanheule, S., Desmet, M., Groenvynck, H., Rosseel, Y. & Fon-taine, J. (2008). The factor structure of the Beck DepressionInventory-II. Assessment, 15, 177 –187.

Viljoen, J. L., Grant, L. I., Griffiths, S. & Woodward, T. S.(2003). Factor structure of the Beck Depression Inventory-II

Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und qualitative Facetten 241

Page 12: Die Symptomstruktur des BDI-II: Kernsymptome und ......Wa¨hrend die Pru¨fung der psychometrischen Eigen-schaften des BDI-II vor allem zu Beginn der Faktoren-analysen im Vordergrund

in a medical outpatient sample. Journal of Clinical Psycho-logy in Medical Settings, 10, 289– 291.

Ward, L. C. (2006). Comparison of factor structure models forthe Beck Depression Inventory-II. Psychological Assess-ment, 18, 81 –88.

Whisman, M. A., Perez, J. E. & Ramel, W. (2000). Factorstructure of the Beck Depression Inventory-Second Edition(BDI-II) in a student sample. Journal of Clinical Psychology,56, 545–551.

Manuskript eingereicht: 13.12.2011Manuskript angenommen: 14.03.2012

Lic. phil. Joel Buhler

Universitat ZurichPsychologisches InstitutAngewandte KognitionspsychologieBinzmuhlestrasse 14 / 288050 ZurichSchweizE-Mail: [email protected]

242 Joel Buhler, Ferdinand Keller und Damian Lage