Moderne lernen (20/1) · tonte 1995 vor allem den Erinnerungswert – und vernachlässigte dabei...

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Moderne lernen (20/1) Dessau, Arbeitsamt (Bild: Stiftung Bauhaus Dessau, Foto: Nathalie Wächter) In den vergangenen Monaten wurde das Neue Bauen entlang seiner Ikonen gefeiert - von den Dessauer Projekten eines Walter Gropius bis zum Potsdamer Einsteinturm eines Erich Mendelssohn. Über ihren künstlerischen Wert hinaus verweisen diese Beispiele aber vor allem auf den denkmalpflegerischen Umgang mit dem Erbe der Moderne. Dabei musste unser Bild einer vorgeblich „weißen Moderne“ vielfach auf den Prüfstand gestellt werden. Das mR-Winterheft 2020 "Moderne lernen" (Redaktion: Andreas Putz) fragt daher nach der Sanierung der Sanierung. Die Beiträge dieses Heftes beruhen auf dem ersten Teil der Vortragsreihe "über das neue bauen hinaus" an der TU München, bereichert durch ein späteres Interview mit dem Architekten Jochem Jourdan. Ein Heft von moderneREGIONAL in Kooperation mit der TU München und der Wüstenrot Stiftung. Heftredaktion: Andreas Putz; Herausgeber: Karin Berkemann; redaktionelle Mitarbeit: Maximilian Kraemer, Peter Liptau, Johannes Medebach, Anja Runkel.

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Moderne lernen (20/1)

Dessau, Arbeitsamt (Bild: Stiftung Bauhaus Dessau, Foto: Nathalie Wächter)

In den vergangenen Monaten wurde das Neue Bauen entlang seiner Ikonen gefeiert - von denDessauer Projekten eines Walter Gropius bis zum Potsdamer Einsteinturm eines ErichMendelssohn. Über ihren künstlerischen Wert hinaus verweisen diese Beispiele aber vor allem aufden denkmalpflegerischen Umgang mit dem Erbe der Moderne. Dabei musste unser Bild einervorgeblich „weißen Moderne“ vielfach auf den Prüfstand gestellt werden. Das mR-Winterheft 2020"Moderne lernen" (Redaktion: Andreas Putz) fragt daher nach der Sanierung der Sanierung. DieBeiträge dieses Heftes beruhen auf dem ersten Teil der Vortragsreihe "über das neue bauenhinaus" an der TU München, bereichert durch ein späteres Interview mit dem Architekten JochemJourdan.

Ein Heft von moderneREGIONAL in Kooperation mit der TU München und der Wüstenrot Stiftung.Heftredaktion: Andreas Putz; Herausgeber: Karin Berkemann; redaktionelle Mitarbeit: MaximilianKraemer, Peter Liptau, Johannes Medebach, Anja Runkel.

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InhaltLEITARTIKEL: Über das Neue Bauen hinaus 1 ............................................................................. FACHBEITRAG: Das Maschinenlaboratorium der ETH Zürich 6 ................................................. FACHBEITRAG: Das Bauhaus-Gebäude in Dessau 11 .................................................................. FACHBEITRAG: Das Arbeitsamt in Dessau 17 .............................................................................. FACHBEITRAG: Die Meisterhäuser von Dessau 21 ...................................................................... PORTRÄT: Haus Schminke in Löbau 27 ......................................................................................... INTERVIEW: Gefühltes Denkmal „Haus am Dom“ 31 ................................................................. FOTOSTRECKE: Der Einsteinturm in Potsdam 36 ........................................................................

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LEITARTIKEL: Über das Neue Bauen hi-nausvon Thomas Danzl und Andreas Putz (20/1)

Das Konsumverhalten eines ganzen Jahrhun-derts fasste Le Corbusier in kurze Sätze: „Onjette aux ferrailles le vieil outil […]; on jette,on remplace.“ Spätestens in den frühen1960er Jahren aber wurde offenkundig, dassdie Hinterlassenschaften der Moderne nicht inewiger Jugend verharren. Angesichts des Zus-tands des Dessauer Bauhausgebäudes sprachder Architekturhistoriker Leonardo Benevolo1960 von einem „jammervollen Trümmer-haufen“. Dessen Wiederherstellung (1974-76)

geriet zu einer der ersten Rekonstruktionender Moderne. 20 Jahre später, als 1996 eineweitere Generalsanierung anstand, ging esauch methodisch um einen Paradigmenwech-sel: von einer wenig befundorientierten, teilsspekulativen Wiederherstellung zu einer subs-tanzschonenden Instandsetzung. Im gleichenJahr hielt die ICOMOS-Tagung„Konservierung der Moderne?“ in Leipzig fest:Die Bauten der Moderne sind so zu behandelnwie jedes andere Denkmal.

Stuttgart, Weißenhofsiedlung, Haus Scharoun (Bild: Runner1928, CC BY SA 3.0)

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Erinnerung vor Subs-tanz?Bezeichnenderweise spielte die Erhaltung vonmodernen Oberflächen, von Putz und Farbe,in der Fachdiskussion lange nur eine unterge-ordnete Rolle. Noch das ICOMOS-Seminarzum Erbe des 20. Jahrhunderts in Helsinki be-tonte 1995 vor allem den Erinnerungswert –und vernachlässigte dabei das Material. Nurwar damals die erneuernde Instandsetzungder Weißenhofsiedlung Stuttgart (1981-87)bereits warnendes Beispiel. Nicht nur der er-hebliche Verlust von Originalsubstanz, son-dern die geradezu mythische Suche nach demUrzustand weckte internationale Kritik. Eben-so wirkt die allgemeine Vorstellung nach, dieModerne sei eine Abfolge kurzzeitiger Moden.Bis heute werden allzu oft Nachbildungen,Neuinterpretationen und irreversible„Nachbesserungen“ damit begründet, dassmoderne Bauweisen und -stoffe kurzlebig undunzulänglich seien. Aber auch die Architekturder Moderne besteht nicht in einer entstof-flichten Ästhetik bloßer Formen.

Vermeintlich langlebigVon der Mitte der 1970er bis zum Ende der1990er Jahre hatte sich der Gegensatzzwischen „Bild“-Denkmalpflege und„geschichtsdidaktischer“ Denkmalpflege ver-stärkt. Die Vorstellung einer immer jungenModerne, die keine Runzeln verträgt, wurdeerst im neuen Jahrtausend ersetzt durch eineneue Praxis: Nachhaltigkeit, Authentizität, Re-

paratur, Pflege, Wartung und Monitoring. Da-her lohnt ein kurzer Blick auf die Wurzelnunseres Denkmalverständnisses, in den Kata-log zur Wanderausstellung „Eine Zukunft fürunsere Vergangenheit“ von 1975. SaskiaDurian-Ress schildert dort in ihrem Beitrag „K-lassische Denkmalpflege“ bereits zwei mehrdenn je gültige Strategien: Zum einen siehtsie das Denkmal als Datenspeicher, derSchutz für seine gesamte Lebensgeschichteeinfordert. Zum anderen sollten fachliche wieaußerfachliche Vertreter dabei mithelfen, zuerklären, zu beraten und zu vermitteln.

Dessau, Atelierhaus (Bild: Spyrosdrakopoulos,CC BY SA 4.0, 2014)

Bereits in den 1970er Jahren wurden vieleDenkmäler musealisiert – Befunde präsen-tierten sich als Präparate, als Palimpseste, dienur wenige Eingeweihte lesen konnten. In derTradition der „Gestaltenden Denkmalpflege“konzentrierte man sich auf das ästhetischeBild des Denkmals. Das Mittel zu diesemZweck waren vermeintlich überlegene, weil„moderne“ Industrieprodukte. Seither ist auchdiesseits der Alpen die operative Kunstkritik

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eines Cesare Brandis in die Baudenkmalpflegeeingesickert. Diese begreift Kunst- und Bauw-erk als historisch-ästhetisches Zeugnis in sein-er Materialität und in seinem überkommenenZustand. Jeglicher Eingriff sollte umsichtig, be-hutsam und wiederholbar sein. Alle Wertun-gen zum Material, zu seiner Geschichte undÄsthetik sind letztlich aufeinander zu bezie-hen.

Im Umgang mit dem Erbe der Moderne bedarfes der Vorsicht und des Respektes, auch vorspäteren Veränderungen. Ein derart „his-torisch gewachsener Zustand“ bringt unter-schiedlich starke Verluste der Substanz undder äußeren Erscheinung mit sich. Dabei kön-nen durchaus neue Materialien und neueWerte hinzukommen, die das ursprünglicheBild überformen, ja auslöschen. Eine Bestand-saufnahme und -kritik muss daher zunächstdrei Punkte neutral darstellen: Material –Geschichte – Ästhetik. Anschließend solltenfächerübergreifend und gemeinschaftlich diemöglichen Eingriffe und Verluste eingeschätztund kritisch abgewogen werden.

Brünn, Haus Tugendhat, Modell (Bild: Chris-tian Michelides, CC0 1.0, 2013)

NachjustierenWährend der erneuten Instandsetzung desDessauer Bauhausgebäudes (1998-2006)präzisierte man die historische Form. Endlichwurde die elegante Raffinesse des Far-bkonzeptes erforscht und wiederhergestellt.Erst mit der restauratorisch-mate-rialkundlichen Untersuchung erkannte man:Bei den von der Bauhaus-Wandmalereiklassegeprägten Farbflächen handelte es sich nichtum Kunsthandwerk, sondern um eine zeit-gemäße Variante der monumentalen Wand-malerei. Lediglich Schweizer Beispiele ließenahnen, dass die Farbgestaltungen repariertund wiederhergestellt werden konnten – inhöchster, am Bestand orientierter Qualität.Dieses Konzept konnte man zwischen 2001und 2003, unter der Bauherrschaft derWüstenrot Stiftung, am Meisterhaus Muche-Schlemmer umsetzen. Die Lehren darausließen sich später nicht nur für die Bauhaus-bauten in Dessau übertragen.

Die neueste Wiederherstellung am Bauhaus inDessau (1998-2006) erhebt jedoch keinen Ab-solutheitsanspruch. Stattdessen geht es umwork in process, um die dynamische Wieder-aneignung des Wissens von farbigerFlächengestaltung – mit Nachuntersuchun-gen, Korrekturen und Feinjustierungen, mitverfeinerten materialkundlichen Unter-suchungsmethoden, mit Teilreparaturen undErneuerungszyklen.

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Offene ProzesseWas im Umgang mit dem hochwertigen Erbeder Moderne gelernt wurde, ist letztlich aufdie gesamte Epoche zu übertragen: Baudenk-malpflege und Restaurierung stellen nicht ei-nen einzigartigen, „ursprünglichen“ Zustand(wieder) her. Stattdessen geht es um be-wusste Eingriffe innerhalb der ständigenVeränderung am Denkmal. Diese sind wenigerabgeschlossene Objekte, als vielmehr offeneProzesse. Daher muss eine architektonischeLehre und Diskussion umdenken, die weiter-hin stark auf endgültige Bilder, auf unverän-derliche Ergebnisse fokussiert ist. Immer wied-er sollte über frühere Eingriffe, Transformatio-nen und Erhaltungsbemühungen gesprochenwerden. Und damit auch über frühereWertzuschreibungen und Betrachtungen – ger-

ade bei Denkmälern, über die scheinbar schonalles (oder vieles) bekannt ist. Eine offene Ein-ladung zu diesem Austausch über das Erbeder Moderne stellt die TUM-Vortragsreihe„über das neue bauen hinaus“ dar, und auchdie Beiträge des vorliegenden Online-Heftessind so zu verstehen.

Potsdam, Einsteinturm (Bild: Coenen, CC BYSA 3.0)

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LiteraturBenevolo, Leonardo, Geschichte der Architek-tur des 19. und 20. Jahrhunderts, München1964 [italienische Origiginalausgabe: Bari1960].

Denkmalpflege der Moderne. Konzepte für einjunges Architekturerbe, hg. von der Wüsten-rot Stiftung, Stuttgart/Zürich 2011.

Eine Zukunft für unsere Vergangenheit, Kata-log zur Wanderausstellung 1975-76 im Auf-trag des Deutschen Nationalkomitees für dasEuropäische Denkmalschutzjahr, vorbereitetvom Bayerischen Landesamt für Denk-malpflege, München 1975.

Le Corbusier, Vers une architecture. 2. Au-flage., Paris 1925.

Nägele, Hermann, Die Restaurierung derWeißenhofsiedlung 1981–87, Stuttgart 1992.

Petzet, Michael/Schmidt, Hartwig (Hg.),Konservierung der Moderne? Über den Um-gang mit Zeugnissen der Architek-turgeschichte des 20. Jahrhunderts (ICOMOS,Heft des Deutschen Nationalkomitees 24),München 1998.

Wohlleben, Marion/Meier, Hans-Rudolf (Hg.),Nachhaltigkeit und Denkmalpflege. Beiträgezu einer Kultur der Umsicht. Zürich 2003.

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FACHBEITRAG: Das Maschinenlaborato-rium der ETH Zürichnach einem Vortrag von Theresia Gürtler-Berger (20/1)

Sachliche Schwarz-Weiß-Aufnahmen vonSalvisbergs Baukomplex „Maschinenlaborato-rium und Fernheizkraftwerk der ETH Zürich“aus den 1930er Jahren prägen die Wahrneh-mung der Experten bis heute. Die Anlage desArchitekten Otto Rudolf Salvisberg gilt als

Inkunabel des Neuen Bauens in der Schweiz.Dennoch finden sich aktuell vor diesem in-zwischen denkmalgeschützten Komplex Bau-container und Schutthalden unter derAnkündigung der ETH Zürich: „Hier geht esvoran, morgen wird gebaut.“

Zürich, Maschinenlaboratorium, Straßenfassade des Lehrgebäudes zur Sonneggstraße, um 1934(Bild: ETH Bibliothek, Zürich, PD)

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Immer weiterbauenDas komplexe Ensemble des Maschinenlabora-toriums am Zürcher Hochschulplateau um-fasst das Lehrgebäude mit seiner geschwunge-nen Straßenfassade, die grossräumige Maschi-nenhalle und das Fernheizkraftwerk, neben di-versen Laboratorien sowie aerodynamischenVersuchsanlagen. 1972 wurde es mit einemgroßvolumigen Querbau verdichtet. Der Kom-plex kann auf eine lange Baugeschichtezurückblicken: 1929 begann Otto RudolfSalvisberg, neuer ETH Architekturprofessormit den ersten Entwürfen. Als der Ursprungs-bau 1941 fertiggestellt wurde, war Salvisberggerade verstorben. Ab 1945 stockte AlfredRoth bereits das Lehrgebäude auf. Insgesamtlassen sich bis zur ersten denkmalgerechtenSanierung von 1994 bis 2001 neun Bauetap-pen ablesen.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor in derBau- und Verformungsgeschichte des Maschi-nenlaboratoriums sind jedoch die fortlaufend-en Unterhaltsarbeiten: Generationen vonHausmeistern reparieren, tauschen aus undersetzen. Sie verändern wohl schleichend,aber massgeblich das ursprüngliche Erschein-ungsbild. Als im Rahmen solcher Unterhaltsar-beiten die originalen Metallfenster am Lehrge-bäude ausgewechselt werden sollten, op-ponierten die Architekturprofessoren derETH: Erst jetzt erstellte man einSanierungskonzept, gestützt auf derBaugeschichte und Befunde vor Ort. Am Endewurden die Fenster originalgetreu nachge-baut, und selbstverständlich blieb ein origi-

nales Referenzfenster erhalten. Aktuell sollder Komplex erneut ausgebaut werden, denndie ETH Zürich will neben ihrem Außencam-pus den Campus in der Innenstadt verdichten.Bereits seit 2000 denkt man über neueNutzungsmöglichkeiten für das brachgefall-ende Fernheizkraftwerk nach.

Oberflächen oder Ortbe-tonMit dem Hochkamin des Fernheizkraftwerkshatten die Stadtzürcher ein Problem, dennSalvisberg verwendete dafür – mitten in einemder repräsentativsten Viertel und bei besterFernwirkung – ausgerechnet Ortbeton. Als derBeton des Hochkamins bereits in den 1950erJahren bröckelte, wurde er mit Freude ver-putzt. Dagegen musste die feingliedrige Beton-fensterfront des Fernheizkraftwerks erst kurzvor 2000 saniert werden: Die Bewehrung-seisen wurden freigelegt, entrostet, mit einemSchutzanstrich versehen, die zu geringeÜberdeckung des Ortbetons mittels einerSchalung vergrößert. Mit Sackleinen wurdendie erforderlichen Abdichtungsanstriche abge-tupft, um rauhe Betonoberflächen nachzuah-men, verstärkt durch unregelmäßige Ab-drücke von Schalungsbrettern.

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Zürich, Maschinenlaboratorium, Textillaborund Fernheizkraftwerk mit Hochkamin an derClausiusstraße (Bild: Roland zh, CC BY SA4.0, 2011)

Auf den zeitgenössischen Fotografien scheintder asymmetrisch gesetzte Eingang in derLehrgebäude-Fassade zu leuchten. Dabei gibtes hier nur kleine Wandleuchten, die dafür ei-gentlich nicht ausreichen dürften. Bis die Be-funde zeigten, dass nicht nur die Wände mitgroßformatigen Kacheln vollständig belegtsind, sondern auch die Decke lackiert war, umdas Licht optimal zu reflektieren. Leider lie-fern die historischen Schwarz-Weiß- Aufnah-men keine Informationen über die originalen

Farbfassungen. Restauratoren untersuchtendie Wandoberflächen: Ihre Befunde zeigte,dass nicht nur jede Etage eine eigene Farbehatte, sondern auch die Räume unter-schiedlich farblich abgestimmt waren. DieRaumgestaltungen im Lehrgebäude konnten –allerdings angepasst an das heutigeFarbempfinden – größtenteils wieder-hergestellt werden. Teile der originalenMöblierung wurden gefunden und inven-tarisiert. Damit konnten Musterzimmer kom-plettiert werden. Ein Professor integrierte siein seine farblich rückgeführten Räume.

SpurengeschichteAktuell erfolgt gerade die zweite umfassendeSanierung des Maschinenlaboratoriums. Schw-erpunkt ist die Umnutzung des Fern-heizkraftwerks zu einem „Studenthouse“ mitArbeitsplätzen für Studenten. Dafür wurdejüngst das schon länger brachliegende Fern-heizkraftwerk endgültig leergeräumt. Die Ar-chitekten (Itten und Brechbühl aus Bern),aber auch die Bauherrschaft nahmen die Hin-weise der Denkmalpflege sowie der zugezoge-nen Experten auf, doch dem industriellenCharakter des Fernheizkraftwerks trotz derbereits vorausgegangenen hohen Verluste antechnischer Ausstattung wie Heizkessel, Koh-lentrichtern und Gitterrosttreppen bei der Um-nutzung in der architektonischen Sprache undin der Behandlung der Substanz verstärktRechnung zu tragen. Die rohen Betonwändeblieben, die Verletzungen durch die Bracheund die Neunutzung lassen sich als Spurenablesen. Die erforderlichen klimatischen An-

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passungen erfolgen jetzt additiv durch aufge-setzte neue Fensterelemente.

Die Anregung der Denkmalpflege ein (digi-tales) Raumbuch zu erstellen, führte dazu,dass der Architekten- und Bauherrschaft sichintensiv mit dem Bestand auseinandersetzen.Gleichzeitig konnten Baualterspläne, sowie in-formative Kartierungen des Gebäudes nachBauteilen, Materialien und Erhaltungszustanderfolgen. Immer wieder gilt es im Dialog dieFrage zu beantworten: Wie umgehen mit demFlickwerk, das sich in der Abfolge von Eingriff-en gebildet hat? Wie die Brillanz dem Ge-bäudekomplex zurückgeben, ohne seine Ver-formungsgeschichte zu verleugnen.

ErinnerungsbilderDas Fernheizkraftwerk als begehbare, en-gbestückte Heizmaschinerie ist Vergangen-heit, nur mehr Erinnerungsbilder vorwiegendin Schwarz-Weiß blieben. 300 Studentensollen den neuen Zugang nutzen. Das verän-dert das äußere Erscheinungsbild und diestädtebauliche Einbindung ebenso die er-forderlichen Aufstockungen. Das Kernproblemliegt an einer anderen Stelle: Schon vorJahren wurde das Fernheizkraftwerk Stück fürStück abgebaut. Früher war man stolz auf die-ses Wunderwerk der Technik. Koks wurde vonder Bahn über einen Tunnel in 45 Meter Tiefeangeliefert, angesaugt und mit einem Becher-werk über 75 Höhenmeter in die Kohlen-trichter transportiert. In 20 Sekunden brachteder Lift – schneller als sein berühmtes Gegen-stück, der Birkenstock-Lift am Vierwaldstätter

See – die Monteure in den Tunnel. Die Die Se-rie von Öltanks wurde aus Lastwagen betankt.Mit dem Ende des Fernheizwerks in der Innen-stadt wurde diese Infrastruktur obsolet, derAbbau begann. Der Bau eines Atomreaktorszu Forschungszwecken unterblieb. Die Anlagefiel langsam leer, wurde Stück für Stück abge-baut, entkernt.

AusnahmenFür die zentrale große Maschinenhalle hatteSalvisberg 1930 diverse Ausnahmebewilligun-gen erwirkt. Die Halle wurde als Industrie-halle eingestuft, sodass die Stahlbinder fürden Brandfall nicht verschalt werden mussten.Heute erfordern Erdbebensicherheit undBrandfall aufwendige Simulationen und praxi-sorientierte Berechnungen, um die Binder sobelassen zu können. Belichtet wurde diegroße Maschinenhalle ursprünglich über eineGlasprismendecke. Im Verlauf der Unter-suchungen stellte man fest, dass diese Pris-men tatsächlich noch in der Decke stecken.Sie wurden zugedeckt und das Dach begrünt.Die Hoffnung der Denkmalpflege und der Ar-chitekten ist es, die Decke der Maschinenhallewieder zu öffnen, um der zentralen Halle dasLicht zurückzugeben. Offen sind die Fragender technischen Machbarkeit, der Beschat-tung, der Dichtigkeit und Lichtsteuerung.

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Zürich, Maschinenlaboratorium der ETH, um1934 (Bild: ETH Bibliothek, Zürich, PD)

Fragen an die nächsteGenerationDas Maschinenlaboratorium ist nach wie vorein lebendiger Organismus, und damitbaugeschichtlich und denkmalpflegerisch „einbunter Hund“. Auch wenn Studenten hier im-

mer noch u. a. Maschinenbau studieren, hatsich die Art der Nutzungen doch verändertund das Gebäude ebenso. Damit stellen sichFragen: Worin genau liegt bei einer derart lan-gen, verwickelten und anhaltendenBaugeschichte wirklich der Denkmalwerteines Objektes? Wieviel Patina ertragen wir?Wie schön, wie ansprechend müssen Ober-flächen und Räume nach Sanierungen sein?Wie stehen wir zur Alterung von Materialien?Jede Generation handelt neu aus, welche Denk-malobjekte sie haben und wie sie diese verfor-men will. Genau das geschieht gerade auchbeim Maschinenlaboratorium, einer Inkunabelder Moderne nach wie vor. Wir und die näch-ste Generation benötigen dazu aber möglichstviel an originaler Substanz, um auf ihren dannaktuellen Wissensstand neu entscheiden zukönnen. Deshalb bleibt als einzige Prämissean uns heute, weniger zu machen, um mehrAuthentisches tradieren zu können.

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FACHBEITRAG: Das Bauhaus-Gebäudein Dessaunach einem Vortrag von Monika Markgraf (20/1)

Es gibt nicht DIE eine große Renovierung desDessauer Bauhaus-Gebäudes, es gibt mehrere.Da ist zunächst die „Reko 76“ zu nennen, eineumfassende Maßnahme zu DDR-Zeiten.Zwischen 1996 und 2006 erfolgte dann die

sog. Generalsanierung. Aber weil nach derSanierung immer auch vor der Sanierung ist,werden kontinuierlich Arbeiten durchgeführt –deshalb entsteht zur Zeit ein langfristigerPflegeplan für das Bauhaus-Gebäude.

Dessau, Werkstatt-, Nordflügel, Brücke, Atelierhaus (Bild: M_H.DE, CC BY SA 3.0, 2013)

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Von wegen „weißeSchachtel“1926 entstand das Bauhaus-Gebäude nach Plä-nen von Walter Gropius, unter Mitwirkung derBauhaus-Werkstätten. Was zunächst wie einegroße Schachtel wirkt, ist ein komplexes Ge-bilde mit unterschiedlichen Teilen – gestaltetimmer entsprechend ihrer Funktion. DenWerkstattflügel mit seiner innovativenVorhangfassade z. B. nannte Gropius ein „Lab-oratorium der Ideen“. Hier wurden gemein-schaftlich die Bauhaus-Prototypen entwickelt.Das Atelierhaus (mit der Lochfassade mit denberühmten Balkonen) hingegen bot Wohn-und Arbeitsräume für Studierende und Jung-meister. Daher lag es etwas abseits, so konn-ten sich die jungen Leute zurückziehen. Ähn-lich ließe sich dieser Ansatz an anderen Ge-bäudeteilen durchdeklinieren.

Diese unterschiedliche Gestaltung setzt sichauch im Inneren fort. Im Werkstattflügel gibtes unverputzte Oberflächen, an denen derschalungsraue Beton sichtbar ist. Auf derBrücke finden sich farbige Deckenfelder. ImBordflügel hingegen sind – je Etage unter-schiedlich – die Unterzüge farbig gefasst. Sobetrachtet, wird die Gestaltung des Bauhaus-Gebäudes immer komplexer, je tiefer man sichhineindenkt.

Dessau, Bauhaus-Gebäude (Bild: Spyros-drakopoulos, CC BY SA 4.0, 2014)

Auf die Fenster kommt esanOriginale Fenster sind am Bauhaus-Gebäudeaußer in der Festebene vor allem in denNebenräumen wie Sanitärbereichen, Treppen-häusern und Kellern erhalten. Viele Fenstererneuerte man während der Maßnahme von1976, die auch eine Rekonstruktion der ge-samten Vorhangfassade umfasste. WeitereFenster wurden um 2000 wiederhergestellt –dieses Mal jedoch detail- und materialgetreu.2010 ersetzte man Fenster der Reko 76 durchthermisch getrennte Profile und Isoliervergla-sung für eine bessere Energie-Effizienz.

Als das Bauhaus in Dessau 1932 geschlossenworden war, gab es auch Abrisspläne. Dochstattdessen nutzte die nationalsozialistischeVerwaltung die Anlage und stellte so deren Er-haltung sicher. Am 7. März 1945 wurde dieStadt Dessau in weiten Teilen durch Brand-bomben zerstört, wovon das Bauhaus-Ge-bäude teilweise betroffen war. Insbesondere

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die Vorhangfassade aus Stahl und Glas konnteder Hitze nicht standhalten. In der unmittel-baren Nachkriegszeit mauerte man die Außen-wände mit kleinen Lochfenstern wieder auf.Als die DDR das Bauhaus wiederentdeckte,setzte man horizontale Stahlfenster ein, diedem ursprünglichen Erscheinungsbildnäherkamen. Geblieben waren die horizontal-en gemauerten Brüstungen, die dem Konzeptder Vorhangfassade widersprachen.

Dessau, wiederhergestelltes Bauhaus-Ge-bäude, 1983 (Bild: Bundesarchiv Bild183-1983-0804-025, CC BY SA 3.0)

Heute Müll, morgenwertvollFür das gesamte Gebäude gab es bereits 1976eine sehr umfangreiche Bestandserfassung –erstellt unter der Leitung des BauhäuslersKonrad Püschel, in Zusammenarbeit mit derHochschule für Architektur in Bauwesen inWeimar. Die auf dieser Grundlage durchge-führte Rekonstruktion umfasste Restau-rierung, Konstruktion, Instandhaltung, tech-nische Verbesserung usw. Die Reko 76 bildete

eine der ersten grundlegenden Sanierungs-maßnahmen an prominenten Bauhaus-Bautenüberhaupt. Zum Vergleich: Am StuttgarterWeißenhof ging es erst in den frühen 1980erJahren los.

Die Vorhangfassade wurde 1976 allerdingsnicht in Stahl, sondern in Aluminiumnachgestellt. Dabei hat man die Stege nichtwie zur Bauzeit außen dunkelgrau und innenweiß gestrichen, sondern einheitlich schwarzeloxiert. Die Fenster auf der Brücke und imNordflügel wurden durch vereinfachte Nach-bauten ersetzt. Einige der 1976 entferntenFenster verwendete man fürGartengewächshäuser in Dessau und Umge-bung. Um das Jahr 2000, im Rahmen diesersog. Generalsanierung, wurden sie entdeckt,restauriert und wieder am Gebäude eingeset-zt. Was heute als technisch unmöglich gilt,kann morgen wiederhergerichtet und am Orig-inalort integriert werden.

Dessau, Bauhaus-Gebäude, Werkstattflügelund Brücke (Bild: Spyrosdrakopoulos, CC BYSA 4.0, 2014)

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Energie in die FensterAls 2010 in Dessau das Thema energetischeErtüchtigung aufkam, wurde am Bauhauswieder über die Fenster diskutiert. Zum einenführt die Stahl-Glas-Fassade zu hohen En-ergieverlusten, zum andern prägte sie das Er-scheinungsbild des Bauhaus-Gebäudes. DieTransparenz, die Reflektionen – all dies würdesich durch thermisch getrennte Profile, durcheine Isolierverglasung völlig verändern. Dahersuchte man eine Lösung nicht im Baulichen,sondern in der Nutzung. Im Werkstattflügelmit der Vorhangfassade wurden die Arbeits-räume jeden Tag auf etwa 21 Grad geheizt,was im Winter kaum zu schaffen ist. DerAusweg lag darin, die ständigen Arbeitsplätzean anderer Stelle zu bündeln. In den schwerzu heizenden Zonen findet jetzt eine tem-poräre Nutzung statt: Seminare, Open Studiosusw. Alles Übrige muss zwar temperiert, abernicht permanent auf 21 Grad gehalten wer-den.

Es folgte eine sehr detaillierte Auseinanderset-zung damit, in welchem Bereich welche Fen-ster welche Bedeutung haben. Im Ergebniswurden einzelne Bereiche ausgewählt, in de-nen energetische Verbesserungen eingebautwerden konnten. Auf den ersten Blick lassensich die neuen Fenster tatsächlich nicht vonihren Vorgängern unterscheiden: Die Profil-breiten sind identisch, die Profiltiefen natür-lich nicht. Nur wenn sie das Element an-fassen, fühlt es sich anders an.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie sich die

Bewertung von Bauelementen innerhalb kurz-er Zeit ändern kann. Daher ist es unerlässlich,sich auch mit den originalen Bauteilen sehr ge-nau zu beschäftigen und diese aufzube-wahren. Im Bauforschungsarchiv werden Ele-mente und Materialproben aus den prägendenPhasen der Baugeschichte aufbewahrt. Sobesteht erstens die Möglichkeit, sie wieder amGebäude einzubauen. Zum zweiten können soRekonstruktionen wirklich detailgetreu erar-beitet werden. Und nicht zuletzt trägt dasOriginal Informationen, die kein Foto trans-portieren könnte.

Dessau, Bauhaus-Gebäude, Haupteingang(Bild: Spyrosdrakopoulos, CC BY SA 4.0,2014)

Oberflächen im BlickBei der Generalsanierung zwischen 1996 und2006 bildeten die Oberflächen ein zentralesThema. Die Farbigkeit der Innenräume wurdegeprägt von Hinnerk Scheper, dem Leiter derWerkstatt für Wandmalerei am Bauhaus. Umsein Ursprungskonzept in allen Details er-fassen zu können, wurden sehr umfassenderestauratorische Befunduntersuchungen

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vorgenommen. Denn beim Bauhaus-Gebäudegeht es nicht um eine geschmacklichgeprägte, dekorative Bemalung, sondern umeine architekturbezogene Ausgestaltung. DerWerkstattflügel beispielsweise wird durchschalungsraue Betonoberflächen, Hohlstein-decken und geschlämmte Mauern geprägt.Farbe wirkt auf matten oder glänzenden Un-tergründen unterschiedlich, damit wird in derBauhaus-Architektur gespielt.

Der Aspekt Fußboden konnte durch einsanierungsbegleitendes Forschungsprojektvertieft werden. Da war z. B. der Stein-holz-Estrich: zweilagig, durch Magnesit gebun-den, mit eingemischten Sägespänen. Dieporöse untere Schicht dient der Schall- undWärmedämmung, während die obere Schichtfester und dadurch auch stabiler ausfällt. Anzweiter Stelle ist Triolin zu nennen, das aufden ersten Blick an Linoleum erinnert. Dochin diesem Fall handelt es hier um einen frühenKunststoffbelag auf der Basis von Nitrocellu-lose mit einem Hanf-Rücken. Dieses Materialwurde nur in den 1920er und 1930er Jahrenhergestellt – so kann es heute quasi nichtersetzt werden. Umso wichtiger ist es, solcheFußbodenbeläge im Original zu erhalten.

Zudem wurde bei der Generalsanierung einedenkmalpflegerische Zielstellung fest-geschrieben – eine Art Rahmenplan. Darinwird z. B. festgelegt, dass man in einem bes-timmten Bereich möglichst nah an den Zus-tand von 1926 herankommen will. In einer an-deren Zone orientieren sich alle Maßnahmen

an der Reko 76. Nicht zuletzt gibt es Bereiche,in den z. B. technische Installationen möglichsind. Schon vor zehn Jahren bemühte sich dieStiftung Bauhaus um einen Pflegeplan für dasBauhaus-Gebäude, um bei der InstandhaltungKontinuität und Qualität zu sichern.

Dessau, Bauhaus-Gebäude, Atelierhaus (Bild:Spyrosdrakopoulos, CC BY SA 4.0, 2014)

Eine Datenbank für alleAm Bauhaus Dessau ist der Entwurf für eineDatenbank entstanden, die Informationen zurInstandhaltung und Pflege des Gebäudes syste-matisch erschließen will. Mit einer kleinenDatenbank stieß das Projekt schnell an seineGrenzen. Weiterführend wurde daher ein Fa-cility-Management-System aufgelegt, mit demdie Stiftung Bauhaus tatsächlich schon arbeit-et. Darin kann man Wartungspläne anlegen,Aufträge verfolgen und planen, Störungen mel-den usw. Zusätzlich ist ein Baustein „Denk-mal-Management“ entstanden, der an die Fa-cility-Management-Datenbank angedocktwird. Darauf ruht die Hoffnung der Verant-wortlichen, in diesem System endlich alle amBauhaus-Gebäude Beteiligten in einem System

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zusammenführen zu können.

Literatur

Markgraf, Monika (Hg.), Archäologie der Mod-ernde. Sanierung Bauhaus Dessau. Berlin2006

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FACHBEITRAG: Das Arbeitsamt in Des-saunach einem Vortrag von Berthold Burkhardt (20/1)

Als das Arbeitsamt in Dessau 1929 errichtetwurde, war es ein völlig neuer Gebäudetypdes industriellen Zeitalters. Es wirkte wie einUfo in bürgerlicher Umgebung. Denn dieserBau von Walter Gropius war architektonischund technologisch etwas ganz Neues. Aber

natürlich gab es hinter gründerzeitlichen Fas-saden ebenfalls viel moderne Technologie –von Elektrizität bis Zentralheizung. Der Kon-trast ist in der Architektursprache eklatant,unter anderen Gesichtspunkten jedochweniger.

Dessau, Arbeitsamt (Bild: M_H.de, GFDL/CC BY SA 3.0, 2009)

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VeränderungenIn der Geschichte des Arbeitsamtes gab esdrei massive Veränderungen: Einmal brachman zur NS-Zeit 1936 Fenster in die rundeUmfassungsmauer. Vor diesem Hintergrundwurde vor der Sanierung intensiv diskutiert,wie mit den Fensteröffnungen umzugehen sei.Die Holzelemente waren noch im Zustand von1936 gut erhalten. Letztlich hat das Argumententschieden, dass die dahinterliegenden Zim-mer als Arbeitsräume heute auch Fensterbenötigen.

Dessau, Arbeitsamt (Bild: Stiftung BauhausDessau, Foto: Nathalie Wächter)

Die zweite wichtige bauliche Veränderung bet-rifft die Außenanlagen. Hier wurde eine Umge-hungsstraße angelegt und direkt hinter demArbeitsamt ein Plattenbau aufgerichtet. DDR--Moderne und klassische Moderne treffenaufeinander – das kann man interessant find-en oder als Konflikt wahrnehmen. Drittenswird das Gebäude heute als Straßenverkehr-samt genutzt – immerhin auch eine öffentlicheNutzung mit Publikumsverkehr.

Hinter der FassadeIn den 1920er/1930er Jahren galt Stahlbau alshochmodern. Jedoch wurde das Material da-mals noch nicht offen gezeigt, sondern durchMauerwerk und Putz ummantelt bzw. hinterder Fassade verborgen – so auch beim Arbeit-samt. Eine Besonderheit lag in den gebogenenTrägern, die aus der Waggonfabrik in Dessaukamen.

Durch die Fassade des Arbeitsamtes zogensich vor der Sanierung feine Haarrisse, hinterdenen die Stahlprofile verliefen. Diese warenim Laufe der Zeit gerostet, hatten dadurch ihrVolumen vergrößert und ganze Steinschichtennach außen geschoben hat. Hätte man bei derSanierung jeden schadhaften Stahl freigelegt,hätte man die Wände abreißen und wiederneu aufbauen müssen. Stattdessen wurden dieSchadstellen so weit als drängend nötiggeöffnet, die verrosteten Stellen im Du-plex-Verfahren gestrichen und alles wiedermit einem gelben Ziegel geschlossen. Diesehandgefertigten Steine stammen aus einerkleinen regionalen Firma.

Licht und LuftEigentlich weist der Rundbau des Arbeit-samtes keine Belichtung auf – außer den Ober-lichtern. Diese Entscheidung traf Gropiusnicht aus architektonischen, sondern aus prag-matischen Gründen. So sollten die Arbeits-suchenden nicht ständig durch die Fenster hin-durch gesehen und abgelenkt werden. Bei denOberlichtern entschied man sich damals für

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eine Einfachverglasung, die heute wärmetech-nisch Kopfzerbrechen bereitet. Als weitereQuelle für indirektes Tageslicht dienten Shedsauf dem Rundbau aus einfachem Drahtglas.

Bei der Sanierung wurde die horizontale Glas-decke im Rundbau in eine Klima- bzwIsolierebene umgewandelt, indem das zuersetzende Riffelglas mit einer Scheibe ausSicherheitsglas ergänzt wurde. Dadurch kon-nte die heutige Vorschrift nach einer sicherenÜberkopfverglasung erfüllt werden.Gleichzeitig konnten die originalen Sheds er-halten werden. Das bauzeitliche beliebte pris-matische Luxfer-Riffelglas wirkt sich günstigfür eine gleichmäßige Lichtstreuung aus.

Da Gropius die Wände jeweils über den Türenenden ließ, können sich die Räume gegen-seitig Licht spenden. Die gefliesten Wändesind wie die Fußböden mit Terrazzo erhalten.So wollte man eine leicht zu säubernde Ober-fläche schaffen, wenn Arbeiter in ihrer Kluftzur Beratung kamen. Die hellen Fliesen warenübrigens dasselbe Modell, das auch bei derBerliner U-Bahn zum Einsatz kam. Nur dieRäume der Mitarbeiter wurden verputzt. DieBelüftung der Räume wurde durch ein mech-anisches System durch Klappen in der Licht-decke und in den Sheds gewährleistet. Heutekönnte man das Problem ähnlich lösen, würdedann aber auf Motor und Funksteuerungzurückgreifen. Warmluft wurde über eineHeizanlage mit Kohlebetrieb erzeugt, dieheute nicht mehr vorhanden ist. In allen ra-

dialen Achsen wurden Röhren im Keller oderim Erdreich verbaut, durch die man frischeangewärmte Luft in die hohlen Stützenpressen und über das Klappensystem wiederentfernen konnte. Die mechanische his-torische Lüftungsanlage wurde bei derSanierung wieder in Betrieb genommen.

Die Belüftung der Räume wurde jeweils durcheine Klappe gewährleistet, die über ein mech-anisches System die Verbindung zurDachebene herstellte. Heute könnte man dasProblem ähnlich lösen, würde dann aber aufMotor und Funksteuerung zurückgreifen.Warmluft wurde über eine Heizanlage mit Koh-lenbetrieb erzeugt, die heute nicht mehrvorhanden ist. In allen radialen Achsen wur-den Röhren im Keller oder im Erdreich ver-baut, durch die man frische angewärmte Luftin die hohlen Stützen pressen und über dasKlappensystem wieder entfernen konnte. Diehistorische Lüftungsanlage wurde bei derSanierung wieder in Betrieb genommen.

Fensterlos buntNach historischen Fotografien konnten dieOriginal-Lampen nachgekauft werden:Bauhaus-Kugelleuchten von Marianne Brandt.Um den heutigen Vorschriften zu ent-sprechen, wurde eine Zusatzbeleuchtung ober-halb der Lichtdecke angebracht. So lassensich die Kugelleuchten bei Bedarf – z. B. umdie Verhältnisse der 1920er Jahrenachzuempfinden – separat einschalten.Kleine technische Novitäten waren damals dieGropius-Klinken und ein kleines Rechteck in

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der Fliesenwand, in dem der Sachbearbeiterden Text „bitte warten“ oder „bitte eintreten“einschalten konnte.

Dessau, Arbeitsamt (Bildquelle: Peter Kühn imAuftrag der Stadt Dessau)

Das Raumprogramm sah verschiedene Funk-tionsbereiche vor. Unter anderen einen Bera-tungsraum und einen Raum, in dem Arbeitge-ber Stellen anboten. Gleich nach der Eröff-

nung des Arbeitsamtes gab es seitens der Mi-tarbeiter Unmut wegen der fehlenden Fen-ster. Mit verschiedenen Farbanstrichen jedesMitarbeiterraums versuchte man zunächst dieBeschwerden zu mildern. Die Türen waren ur-sprünglich beschriftet, nach Berufsgruppen –jede von ihnen hatte einen eigenen Eingang.

Sichtbar machenBei der Sanierung mussten die Stahlbe-ton-Vordächer gefestigt werden. Dafür legteman deren Eindeckung frei und brachte eineTextilbewehrung auf. So ließ sich viel Original-substanz erhalten. Ähnlich ging man auch beiden Fenstern von 1936 vor: Nach außen siehtman sauber gemauerte Gewände und Ges-imse, im Inneren wurde bei den Durch-brüchen viele Fliesen beschädigt. Diese An-schlussstellen wurden bei der Sanierung sicht-bar belassen, um auf die Veränderungwährend der NS-Zeit hinzuweisen. Die Außen-fenster konnten entlang der vorhandenenStahlprofile ohne weiteres durch dünnesIsolierglas ersetzt werden. Am Verwaltungs-trakt hingegen hat man Kastenfenster ausge-bildet, um beiden Ansprüchen zu entsprechen:Möglichst viel Originalsubstanz zu erhaltenund einen möglichst hohen Nutzungskomfortzu erreichen.

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FACHBEITRAG: Die Meisterhäuser vonDessaunach einem Vortrag von Winfried Brenne (20/1)

In Dessau standen Architekten, Restaura-toren, Konservatoren und Nutzer vor wenigenJahren vor einer schwierigen Entscheidung:Man konnte die Meisterhäuser entweder indie Bauhaus-Zeit zurückversetzen oder statt-dessen ihre „Schändung“ durch die National-sozialisten sichtbar machen. Diesesaußergewöhnliche Gebäude-Ensemble war1926 nach Entwürfen von Walter Gropius ents-tanden – je ein Doppelhaus für Moholy-Na-gy-Feininger, Muche-Schlemmer und Kandin-

sky-Klee sowie ein einzelnes Wohnhaus fürGropius selbst. Nach der Schließung desBauhauses hatten die Meister die Stadt in den1930er Jahren verlassen müssen. Im Kriegwurden die Häuser Gropius und Moholy-Nagyzerstört und 2014 durch Neubauten vom Ber-liner Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez(BFM) ersetzt. Heute gehören die Meisterhäus-er zum Weltkulturerbe und werden als Stil-Iko-nen verehrt. Bei ihrer Restaurierung galt esdaher, diesem großen Bild nicht zu unterlie-gen.

Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Nordansicht vor und nach der Sanierung von 2001 (Bild: ©Brenne Architekten)

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Das Doppelhaus Muche-SchlemmerDas kubische Wohnhaus der Maler GeorgMuche und Oskar Schlemmer wurde 1998 bis2001 vom Architekturbüro Brenne – beauf-tragt von der Wüstenrot Stiftung als Treuhän-derin – saniert. Dabei ging es im Kern um dieFrage, welche der verschiedenen Zeitschicht-en herausgearbeitet werden sollte. Neben derBaugeschichte war ebenso die Ereignis-geschichte zu beachten, denn nach demWegzug der Meister wurden ihre Häuser inder NS-Zeit negiert. Später hat auch die DDRihre baulichen Spuren hinterlassen. Umsolche Details festschreiben zu können, wareine gründliche Bestandsaufnahme unerläss-lich. Allein für das Haus Muche-Schlemmerwurde Raum für Raum eine Dokumentationvon 20 Ordnern zusammengetragen.

Ebenso mussten bestimmte Baustoffe geprüftwerden, um mit ihnen auch ein Stück Authen-tizität bewahren zu können. Beim HausMuche-Schlemmer waren beispielsweise nochweite Teile des bauzeitlichen Putzes vorhan-den. Der darüber aufgetragene Zemen-t-Spritzputz wurde bei der Restaurierung mitdem Mikromeißel heruntergenommen und derverbliebene Originalbestand ausgebessert. Ins-gesamt haben die Meisterhäuser die Zeiten er-staunlich gut überdauert, denn ihre Bautech-nik war und ist von einer hohen substanziellenQualität.

Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Nordan-sicht, Bauphasenplan (Bild: © Brenne Ar-chitekten)

Pappe aus den 1920ernBei der bauklimatischen Untersuchung gilt einbesonderes Augenmerk den vorkragenden Ele-menten, die wie als Kältebrücke wirken undFeuchtigkeit anziehen können. DiesesProblem löste man in den 1920er Jahren inDessau-Törten mit einer Dämmung aus einerArt Wellpappe. Eine solche brachte man auchim unteren Drittel des Wandsockels in MuchesSchlafzimmer auf, um die Strahlung von derBalkonplatte zu vermindern. Da diese Meth-ode funktioniert hat, wurde sie bei der Restau-rierung beibehalten. Bei den ungedämmtenauskragenden Stellen an der Nordfassadehingegen wurde nun eine Wandheizung im un-teren Wandbereich verlegt und im Keller bei-der Häuser eine Begleitheizung am Wandsock-el ergänzt, damit sich keine Feuchtigkeit nied-erschlagen kann. Solche Maßnahmen wurdenmöglichst ohne große Eingriffe umgesetzt.

Mit Blick auf die Gebäudetechnik galt es zuverstehen, wie die Ausstattung ursprünglich

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angelegt war. Denn die damals wohlüberlegtgeführten Kanäle ließen sich nun für neueTechnik nutzen. Bei der gesamten Unter-suchung wurde Raum um Raum verglichen, obsich Zeitschichten für die Farbfassung ermit-teln ließen, um ein Gesamtbild zu entwickeln.Im Haus Muche-Schlemmer konnte man soeinzelne Zimmer authentisch wiederher-stellen. Wo hingegen zu große Wissenslückenklafften, wurden die Räume in einer neutralenFarbe gestrichen. Dabei beließ man Brüchesichtbar – wie Heizkörper aus DDR-Zeiten.

EntscheidungsprozesseNach der Restaurierung blieb in Dessau einProblem: Niemand kann permanent 20 Doku-mentations-Ordner im Kopf haben, die zudemständig um neue Fakten ergänzt werden. Fürdas Gebäude lag seit 1998 eine Denk-malpflegerische Zielstellung vor, die 2014 fort-geschrieben wurde und auf den Ergebnisseneiner umfassenden Bestandserfassung basiert.Die Fülle an Informationen wurde in Formeines digitalen und interaktiv nutzbaren Raum-buchs gebündelt, mithilfe dessen der Umgangmit dem Bestand hinsichtlich baulicher Ein-griffe, Nutzung und Belastbarkeit definiertwerden konnte.

Statt sich in Einzelentscheidungen zu verzet-teln, sollten alle an der InstandsetzungBeteiligten gemeinsam den großen Bogen imBlick behalten. Am Ende bleibt bei solchenProjekten kein anderer Weg, als immer wiederdie gleiche Diskussion neu aufzubrechen und

schließlich durch Fakten zu überzeugen.Allein gründliche Recherche und transparenteAbstimmung sind zielführend.

Dessau, Haus Muche-Schlemmer, Westansichtnach der Sanierung (Bild: © Brenne Ar-chitekten)

Die BaustellenprobeOft zeigen sich die Probleme einer Restau-rierung ganz konkret auf der Baustelle. Wennz. B. die Fensterbleche eingeputzt werden undsich im Nachhinein ausdehnen, bricht derPutz ab und es kann Wasser eindringen, waszu Schäden an der Fassade führt. Um solcheFehler vorausschauend zu vermeiden, wurdensolche Details bei den Meisterhäusern system-atisch erfasst und in das Pflegehandbuchaufgenommen. So ließ sich die Wasserführung(vor allem bei dem immer häufigeren Starkre-gen) unkompliziert lösen. Durch solche An-sätze konnte man im Umgang mit dem Baubeständig lernen und die neuen Erkenntnissein das Gesamt-Gestaltungskonzept einbezie-hen.

Zu Beginn der Maßnahme hatte die Wüstenrot

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Stiftung für eine Wiederherstellung des Zus-tands der 1930er Jahre plädiert, um die„Schändung“ durch die Nationalsozialistensichtbar zu machen. Die Stadt Dessau hinge-gen bevorzugte eine Annäherung an dieBauhaus-Zeit. Am Ende konnte diebauzeitliche Architektur des MeisterhausesMuche-Schlemmer durch Freilegung derbauzeitlichen Oberflächen und durch Rekon-struktion verlorengegangener Bauteile wied-ergewonnen werden. Im Inneren blieben je-doch – z. B. im bauzeitlichen Linoleumboden –Spuren der gesamten Nutzungsgeschichteablesbar. Bewahrt wurden z. B. viele Ein-bauschränke und Lochbleche der Fenster-bänke sowie Außentüren und Fenster, dieTreppenhaus- und Atelierfenster hingegenmussten wiederhergestellt werden. Seit 2002finden im Meisterhaus Muche-Schlemmer nunAusstellungen und Präsentationen vom De-sign-Zentrum Sachsen-Anhalt statt. Zudem di-ent der Bau für Studienzwecke und als Gäste-haus.

Dessau, Haus Kandinsky-Klee, Nordansichtnach der Sanierung (Bild: © Brenne Ar-chitekten)

Das Haus Kandinsky-KleeDas Meisterhaus der Maler Wassily Kandinskyund Paul Klee wurde bis in die 1930er Jahrehinein bewohnt. Mit dem Ziel, das Hausseinem ursprünglichen Erscheinungsbildzurückzuführen und gleichzeitig als Ausstel-lungsort herzurichten, wurde das Haus 1998bis 2000 im Auftrag der Stadt Dessau und derHochtief AG durch das Planungsbüro Codemadenkmalgerecht saniert. 2017 entschied sichdie Stiftung Bauhaus Dessau zu einererneuten Sanierung, beauftragt von derWüstenrot Stiftung. Zunächst wurde das BüroBrenne Architekten mit einer Machbarkeitss-tudie beauftragt, um das Ziel der Sanierungzu definieren. Der ganzheitliche Sanierungsan-satz wurde in einem diskursiven Verfahrenmit allen Beteiligten entwickelt. 2018 bis 2019erfolgte die Sanierung durch das Büro BrenneArchitekten. Scheinbar waren nur wenigeSchäden zu beheben, doch das eigentlicheProblem lag in der Nutzung. Kurz zuvor hatteman das Gebäude zum Museum umgebautund damit das fragile Meisterhaus bautech-nisch bis aufs Äußerste ausgereizt. Allein fürdie Klimatisierung und den Einsatz der neuenMedien war massiv in die Substanz eingegriff-en worden.

Ziel der aktuellen Sanierung war es daher,das Meisterhaus Kandinsky-Klee selbst alsAusstellungsobjekt zu inszenieren. Zu Beginnmusste untersucht werden, welche Verän-derungen vorlagen und wie der bauzeitlicheZustand wiederherzustellen sei. Im Oberges-choss hatte man beispielsweise Auslässe für

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die Klimaanlage eingefügt und Nischen in denWänden geschlossen. In den WCs und Bädernwaren die Klimageräte untergebracht, zudemmusste eine Vielzahl von Versorgungsleitun-gen gelegt werden. Diese kleinen, aber inten-siven Eingriffe belasteten in der Summe dasGebäude. Zudem verfügten die Nutzer nichtüber die finanziellen Mittel, dieses hohe Maßan Klimatisierung auf Dauer aufrechtzuerhal-ten. Bei der Sanierung von 2019 sollten daherwieder vertiefende Einblicke in die Bau- undZeitgeschichte möglich werden. Dazu wurdeein Maßnahmenkatalog erarbeitet, um dasschrittweise erarbeitete Wissen zumbauzeitlichen Zustand wieder sichtbar zumachen.

Kandinskys EsszimmerKandinsky Esszimmer beispielsweise war ur-sprünglich eine regelrechte Kunstinstallation.Heute wird (fast) das gesamte originale Mo-biliar in Paris im Centre Pompidou verwahrt.Im Meisterhaus selbst stand zur Diskussion,den Schrank wiederherzustellen. Durch denschwarzen Schiebeschrank hatte man das Es-sen hindurchgereicht, darin Geschirr ver-wahrt und dahinter alles Mögliche verschwin-den lassen. Nach der umfassenden restaura-torischen Untersuchung des Esszimmer-schranks war klar, dass fast alles – vomSchrank-Corpus bis zu den Führungselemen-ten für die Türen – noch vorhanden war.Selbst die Ebene der Durchreiche ließ sichidentifizieren. So schien es sinnhaft, diesesMöbel auch in seiner architektonischen Qual-

ität wiederherzustellen. Als der Tischlerstufenweise die Schrankelemente beifügte,musste bis auf die Schiebetüren kaum einneues Bauteil ergänzt werden.

Ein anderer Diskussionspunkt lag bei den au-thentischen Wandflächen, die eigentlich un-verändert belassen werden sollten. Doch dieheutige Eigentümerin und Nutzerin, die Stif-tung Bauhaus Dessau, sah die teilweise sehrgeschädigten Putzoberflächen durchAusbesserungen und Unebenheiten sehr kri-tisch, sodass hier ein Restaurierungskonzepterarbeitet wurde, in dem jede Wand desRaumes einzeln bewertet wurde, um die Bear-beitung der gestörten Oberflächen festzule-gen. Für jede Wiederherstellung einer Farbge-bung ist der Untergrund entscheidend. Mankann entweder alle Brüche zeigen oder eineFarbschicht wie auf einem neuen Putz aufbrin-gen, möglichst ohne das Darunterliegende zuzerstören.

Im Licht der Vergangen-heitZuletzt sei noch auf einen Faktor hingewie-sen, der normalerweise gar nicht in den Blickkommt: das bauzeitliche Licht, das wiederumdie Gestaltung der Wandflächen entscheidendbeeinflusst. Jeder Raum hat die von den Res-tauratoren ermittelte Auszugsfassung der Far-bgebung von Kandinsky bzw. Klee wiederer-halten. Um die Farbwiedergabe der Ober-flächen zu jeder Zeit erlebbar zu machen,

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wurde das schwache Licht durch einLeuchtkonzept ergänzt, das durch dimmbareLichtstärke und -temperatur eine bauzeitliche

Lichtatmosphäre ermöglicht. Per App steuer-bar, kann das Licht an heute angemessen emp-fundene Sehgewohnheiten angepasst werden.

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PORTRÄT: Haus Schminke in Löbauvon Felix Wellnitz (20/1)

Für den Nudelfabrikanten Fritz Schminke unddessen Familie gestaltete der Architekt HansScharoun von 1930 bis 1933 im ostsäch-sischen Löbau ein mondänes Wohnhaus. Dies-er Schlüsselbau der Moderne wird in einemAtemzug genannt mit Inkunabeln wie Miesvan der Rohes Haus Tugendhat, Le CorbusiersVilla Savoye und Frank Lloyd Wrights Falling-

water. Seit 1978 steht Haus Schminke unterDenkmalschutz. Es ist heute nicht nur Muse-um und Veranstaltungsort, sondern kann auchfür Übernachtungen gebucht und damit inseiner ursprünglichen Nutzung erlebt werden.Im Bauhaus-Jubiläumsjahr spielte es eine tra-gende Rolle – obwohl (oder gerade weil)Scharoun kein Bauhäusler war.

Löbau, Haus Schminke, Wohnzimmer (Bild: Schmid/Wellnitz)

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Hans Scharoun und dasKlimaIn Berlin als Architekt tätig, lehrte Scharounsieben Jahre an der Staatlichen Kuns-takademie in Breslau, nach Kriegsende dannan der TU Berlin. Zudem gehörte er denprominenten Vereinigungen „Gläserne Kette“und „Der Ring“ an. Mit Haus Schminke lie-ferte er nicht nur einen innovativen Entwurf,sondern zeigte gleichermaßen Kompetenz fürbauklimatische Zusammenhänge: Im Erdges-choss öffnen sich durch Schiebe-Elemente freischaltbare Räume nach Süden und zum nord-seitig gelegenen Garten. Das südorientierteBandfenster im Wohnzimmer ruht auf einerdurchlaufenden, schwarzen Natursteinfenster-bank, die als Wärmespeicher für die einfall-ende Solarstrahlung wirkt.

Im direkt anschließenden, dreiseitig verglas-ten Wintergarten findet sich ein „Pflanzen-becken“ – direkt unter der nach Südengeneigten, aufgeglasten Wand. Die Nordfen-ster wurden im Obergeschoss mit Tauwasser-rinnen ausgestattet. Somit wusste Scharounum diese kältesten und vorrangigtauwassergefährdeten Oberflächen. Ebenfallsnoch erhaltene, sichtbare Gussheizkörper unddie Fußbodenheizung im Wintergarten sindTeil der Raumgestaltung.

Löbau, Haus Schminke, Behaglichkeitsfeld imWohnzimmer (Bild: Schmid/Wellnitz)

BehaglichkeitenBei Baudenkmalen steht der Schutz vor Schä-den stets im Vordergrund. Dennoch brauchtjede Nutzung auch eine gute thermische Be-haglichkeit und einen begrenzten Energiebe-darf. Neben diesen zentralen, eng zusammen-hängenden bauklimatischen Aspekten mussauch im Bestand die Frage erlaubt sein: Wielassen sich die CO2-Emmissionen senken? ImNeubau, aber auch bei Sanierungsmaßnah-men gelten dabei die Regeln der Energieeins-parverordnung (EnEV) und der zugeordnetenNormen. Besonders im Denkmal aber findensich historische Konstruktionen, die nachaktueller Normung kaum bewertet werdenkönnen.

In enger Zusammenarbeit der Stiftung HausSchminke mit der OTH Regensburg wurden(vor der Ertüchtigung zum Bauhausjahr) einzweijähriges bauphysikalisches Monitoringund eine thermische Gebäudesimulationdurchgeführt: um die Bausubstanz bzw. derenbauklimatische Wirkung zu erforschen und

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um die Auswirkungen möglicher Sanierungs-maßnahmen auf Raumklima, Energiebedarfund Bausubstanz darzustellen. Im Haus Sch-minke zeigen die meisten Räume auch unterheutigen Maßstäben durchaus gute Be-haglichkeiten. Nur der Wintergarten liefertbei Minusgraden oder Sommerhitze unbe-hagliche Tiefst- und Höchsttemperaturen –aber das ist in einer Übergangszone zwischeninnen und außen kein Mangel.

Neue SchädenSeit der umfassenden Sanierung von 2000sind neue Schäden fast ausschließlich an denDachoberlichtern und am Außenputz wiederoder neu entstanden. Die damals ebenfallssanierten Fensterkonstruktionen – Stahlpro-file mit Einfachverglasung und Glashalteleis-ten aus Eiche – zeigen keine Kondensatschä-den. Nur Wasserflecken an einigen ansonstenvöllig intakten Holzleisten weisen darauf hin,dass zeitweise Tauwasser anfällt. Das hatauch damit zu tun, dass Fugen nicht mit Kittverschlossen sind und immer wieder austrock-nen können. Als Schwachpunkt bleibt ein ver-gleichsweiser hoher Energiebedarf, der vorallem dem hohen Glasanteil geschuldet ist. Eswurden zwar enorme solare Wärmegewinnegemessen, die aber durch die Einfachgläserschnell wieder abfließen und der Energiebi-lanz kaum gutgeschrieben werden können.

Löbau, Haus Schminke, Wintergarten (Bild:Schmid/Wellnitz)

Wie dicht ist zu dicht?Die Forschungen haben ergeben: Eine denk-malpflegerisch unkritische Dichtung deraktuell sehr luftdurchlässigen Fensterfalze hatein größeres Energieeinsparpotential. Zwarwäre eine sehr schlanke Isolierverglasungnoch effektiver, ist aber denkmalpflegerischkeine Option. Die Wärmedämmung des Dachsund der opaken Außenwände hätte nur einengeringen Nutzen, da die Wärmeverluste überdie Glasflächen vorherrschen. Allerdingssteigt mit der höheren Luftdichtheit auch das

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Schimmel- und Tauwasserrisiko. Daher solltendie Raumluftfeuchten nach dieser Maßnahmeunbedingt messtechnisch überwacht werden.

Bei Bedarf müsste man dann entsprechendlüften, um dieses einmalige Baukunstwerk zuschützen.

Löbau, Haus Schminke (Bild: Frank Vincentz, GFDL oder CC BY SA 3.0, 2012)

Literatur

Graupner, Lobers, in: Burkhardt, Berthold (Hg.), Haus Schminke. Geschichte einer Ins-tandsetzung, Stuttgart 2002, S. 123.

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INTERVIEW: Gefühltes Denkmal „Hausam Dom“der Architekt Jochem Jourdan im Gespräch (20/1)

Das ehemalige Frankfurter Hauptzollamt istkein ausgewiesenes Denkmal. Dennoch wurdees bei seinem Umbau von 2003 bis 2006 wieeines behandelt. Der 1926/27 vom nicht mal30-jährigen Werner Hebebrand (1899-1966)gestaltete Bau in prominenter Lage am Kaiser-dom war sowohl Teil des Neuen Frankfurt (He-bebrand zählte von 1925 bis 1929 zum Mitar-beiterstab von Ernst May) als auch eines derletzten Relikte der 1944 zerstörten Altstadt. Jelänger das Zollamt mehr oder weniger un-berührt die Zeiten überdauerte, desto stärkerwurde es trotz seiner modernen Formen alsTeil jenes verlorenen Sehnsuchtsorts erkannt,entwickelte sich zum emotionalen Denkmal.

Frankfurt, Haus am Dom (Bild: Jourdan &Müller Steinhauser Architekten)

Die Stadt hatte die Immobilie Anfang der2000er Jahre ans Bistum Limburg verkauft,das hier das „Haus am Dom“ plante; einekatholische Bildungs-, Konferenz- und Verans-taltungsstätte. Nach Wettbewerb übernahmdie Planungen hierfür das Frankfurter BüroJourdan & Müller Steinhauser Architekten,das mit Bauen im Bestand seit Langem ver-traut ist. Und sich doch mit teils harschenReaktionen auf die ersten Entwürfe konfron-tiert sah. Vor allem das zunächst vorgeseheneFlachdach und die Fassadengestaltung fandenkeinen Anklang. Die damalige Oberbürg-ermeisterin Petra Roth wurde zitiert, „es zieheihr die Schuhe aus“.

Jochem Jourdan plante um und entschied sichfür ein Satteldach. Nicht nur beim Altbau, son-dern auch beim neu zu errichtenden Kopfbauam Südende, der an den kaiserlichen Krö-nungsweg grenzt und für den ein nach 1945wiedererrichteter Bauteil abgerissen wurde.So heftig die Kritik am ersten Entwurf war, soeinhellig war das Lob für den realisiertenzweiten: Das „Haus am Dom“ wurde am 14.Januar 2007 durch Bischof Franz Kamphauseröffnet. 2008 zeichnete es der BDA Hessenmit der Martin-Elsaesser-Plakette aus, imgleichen Jahr wurde es vom Land Hessen als

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„Vorbildlicher Bau“ prämiert. Alt-Bürgermeis-terin Petra Roth ist heute oft zu Gast.

Daniel Bartetzko traf sich mit Jochem Jourdanim Haus am Dom – zu einem Gespräch überein nicht denkmalgeschütztes Denkmal der1920er Jahre – und wie man es samt seinerUmgebung wieder für die Stadtgesellschaftöffnet.

Frankfurt, Haus am Dom (Bild: Jourdan &Müller Steinhauser Architekten)

DB: War das Haus am Dom, dessen Bau jastets unter öffentlicher Beobachtung stand,ein schwieriges Projekt?

JJ: Das Flachdach fand keinen Anklang – alsohaben wir Änderungen vorgenommen. Dochals schweren Konflikt hatten wir das nichtempfunden. Werner Hebebrand ging es übri-gens genau so: Auch er wollte in den 1920ernerst ein Flachdach bauen. Die Proteste derFrankfurter Altstadtfreunde um FriedLübbecke führten dann zum schließlich ausge-führten Satteldach. Bischof Kamphaus als uns-er Bauherr war immer offen und interessiert,und die Vorgabe, dass der ehemalige Zollabfer-

tigungssaal im Erdgeschoss fürs Museum fürModerne Kunst als Ausstellungsraum ver-bleiben sollte, war auch von Anfang an klar.Wir konnten also das Projekt weitgehend pla-nungsgemäß umsetzen und standen immer inDialog. So gesehen war das Haus am Dom al-so kein ungewöhnlich schwieriges Projekt.

Frankfurt, Haus am Dom, ehemaliger Zollsaalmit verschlossener Bodenöffnung (Bild: Jour-dan & Müller Steinhauser Architekten)

DB: Die Bausubstanz der 1920er Jahre, beider viele Materialien, für die damals nochkeine Langzeiterfahrungen vorlagen, verwen-det wurden, bereitet heute oft Probleme. Gabes auch hier böse Überraschungen?

JJ: Da das Gebäude sowohl 1926/27 als auchbeim vereinfachten Wiederaufbau Ende der1940er Jahre sehr sorgsam ausgeführt wurde,fanden wir kaum Schäden vor. Es handelt sichum einen Stahlskelettbau, dessen Stützen mitBacksteinen verkleidet sind. Hilfreich für dieSubstanz war natürlich, dass Werner Hebe-brand selbst auch den Wiederaufbau leitete.Er kannte die Konstruktion und beschwor

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keine unbeabsichtgten Folgeschäden herauf,wie sie durch unpassende Materialien,Isolierung oder nicht durchdachte Statik ent-stehen können.

Frankfurt, Haus am Dom, wiederhergestellteFarbfassung im Flur(Bild: Daniel Bartetzko)

Die Nachkriegsgestaltung ist ja heute auf denersten Blick nicht mehr zu erkennen, doch un-ter dem neuen Satteldach blieb zum Beispieldas nahezu unveränderte Flachdach bestehen.Im Büroflur des vierten Stocks ist es anhandder geknickten Betonträger noch immer ables-bar. Und wie viel 1920er auch um das Jahr2000 noch im Gebäude steckten, offenbartendie Wände: In jeder Etage kamen die ur-sprünglichen Farbfassungen zum Vorschein,ebenso fanden sich Teile des zugehörigen Li-noleumbodens. Somit ist in den Büroetagenjetzt wieder die originale Gestaltung zu find-en. Selbst feine Details wie die abgerundetenTürlaibungen haben bis heute jede Ren-ovierung seit 1945 überdauert. Genauso das

verglaste Eck-Treppenhaus an der Nordseite,das man als Zitat der Fagus-Werke von WalterGropius und Adolf Meyer lesen kann. In dengeschmiedeten Eisenfenstern blieben diebauzeitlichen Bleiverglasungen von Hans Leis-tikow erhalten. Dieses auch von uns kaumveränderte Treppenhaus wird heute nicht be-heizt, um Kondenswasserbildung zu vermei-den.

DB: Durch Abriss und den Neubau des soge-nannten Domforums am Südende haben Sieden alten Baukörper aufgebrochen. Zwischenaltem und neuem Teil befindet sich nun überdem ebenfalls neuen Haupteingang eine Artvertikales gläsernes Foyer. Ist das gewollteUnruhe?

JJ: Es ist ein Schritt hin zur früheren Klein-teiligkeit der Bebauung gewesen, die ja heutemit der neuen Altstadt vollends wieder-hergestellt ist. Man erkennt das Haus am Domvon nahem als Einheit, aus der Entfernung istes dagegen, obwohl immer noch groß, Teil derParzellierung. Der gekrümmte Hebe-brand-Bau weist in der Domstraße auch kun-stvoll den Blick aufs Domportal. Und durchdas Verlegen der Tiefgaragen-Einfahrt, die di-rekt neben dem Portal lag, ist nun der Platzvorm Dom ebenfalls wieder zum öffentlichenRaum geworden. Er wird unter anderemdurch den neuen Kopfbau gerahmt. In dessenGiebelsaal haben wir zwei weitere Leis-tikow-Fenster integriert, die aus einem Depotdes Bistums stammen. Sie entstanden in denfrühen 1950ern und waren ursprünglich in

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der Wahlkapelle des Doms verbaut.

Frankfurt, Haus am Dom, Einfahrt zur Tief-garage (Bild: Daniel Bartetzko)

DB: War die Tiefgarageneinfahrt der neuenAltstadt also im Weg?

JJ: Sie durchschnitt den Zugang über die Dom-straße Richtung Altstadt und weiter RichtungMain, auch wenn sie als solches gar nicht sobeherrschend war. Jetzt ist die Einfahrt einigeMeter nach Norden versetzt und im Unterges-choss des ehemaligen Zollsaals im Hebe-brand-Bau integriert. Hierfür wurde ein Fen-sterelement durch ein Tor ersetzt und dieRampe hinunter so geneigt, dass die rück-seitige Fassade unberührt bleiben konnte. Die-ses Durchstechen des Hauses wäre bei einemeingetragenen Baudenkmal schwierigdurchzusetzen gewesen. Zumal die Sockelges-chosse mit ihrer Muschelkalk-Verblendungund den Eisenfenstern zu den herausragendenDetails des Gebäudes zählen.

Der Saal selbst war früher mit dem Unterges-choss durch eine große Öffnung im Boden ver-bunden, die die Stadt Anfang der 1980er ver-schlossen hatte. Es ist dabei geblieben, der Bo-den ist nun mit Asphalt beschichtet. Der ur-sprüngliche Zugang zum Saal über diebauzeitliche Treppe von der Domstraße ausblieb bestehen, sodass die Besucher des MMKnicht erst durchs Haus am Dom kommenmüssen. Die einfach verglasten Fenster imSaal haben wir mit dahinter gesetzten,belüfteten Kastenfenstern gedoppelt, sodassdas Raumklima angenehm bleibt. Das Hausam Dom hat im Neubau ja eigene Säle unddas Foyer ist ebenfalls groß genug für Verans-taltungen. Trotzdem gibt es natürlich auch ei-nen Durchgang zwischen Zollsaal und Foyer.

DB: Nach über zehn Jahren Nutzung: Hat sichdas Gebäudekonzept bewährt, funktioniertdas Haus am Dom?

JJ: Die einzige spätere Ergänzung war ein Pub-likums-Zugang zur Dachterrasse, die nun auchfür Veranstaltungen nutzbar ist. Hierfür ist imObergeschoss eine Wendeltreppe installiertworden. Und nachdem jetzt die neue Altstadtfertig ist, wurde die Fassade neu gestrichen,denn sie hatte unter der jahrelangen Baus-taub-Berieselung gelitten. Insgesamt wird dasHaus am Dom als Teil der neuen Altstadtwahr- und angenommen. Und als die überkon-fessionelle Begegnungs- und Kulturstätte, diees von Anfang an sein sollte.

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Frankfurt, Haus am Dom, Jochem Jourdan foto-grafiert durchs Fenster im Giebelsaal dierekonstruierte „Goldene Waage“ (Bild: DanielBartetzko)

Jochem Jourdan (*1937) studierte an der Tech-nischen Hochschule Darmstadt u. a. bei TheoPabst und Karl Gruber Architektur und legte1965 bei Ernst Neufert die Diplom-Hauptprü-

fung ab. Er war Assistent am Lehrstuhl vonRolf Romero. 1969 gründete er in Darmstadtmit seinem Partner Bernhard Müller die Pro-jektgruppe Architektur und Städtebau PAS(heute Jourdan & Müller Steinhauser Architek-ten). Seit 1980 ist der Bürositz in Frankfurtam Main. Jourdan realisierte unter anderemdie Überbauung der Lindenstraße am BerlinMuseum in Berlin-Kreuzberg (Teil der IBA1987), die Kasseler documenta-Halle am Frie-drichsplatz, die Hessische Landeszentralbank(mit Bernhard Müller, Wolfgang Rang,Michael Landes und Norbert Berghoff) – undin unmittelbarer Nachbarschaft zum Haus amDom die Rekonstruktion des Frankfurter Alts-tadthauses „Goldene Waage“. Von JochemJourdan stammt auch der 1997 entwickelteund 2008 fortgeschriebene Frankfurter Hoch-hausentwicklungsplan.

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FOTOSTRECKE: Der Einsteinturm inPotsdammit historische Bildern und einem Text nach einem Vortrag von Helge Pitz (20/1)

Inzwischen bin ich 83 Jahre alt und habe auchnoch ein paar Kinder. Der Einsteinturm isteines davon. Er ist etwas Besonderes, denn erfolgt seit 1924 seiner ursprünglichen Bestim-mung: die Relativitätstheorie praktischnachzuweisen. Doch die Verbindung von Stahl-beton, Mauerwerk und Spritzputz macht diesegebaute Plastik seit fast hundert Jahren zum

Patienten. Schon kurz nach der Einweihungtraten erste Schäden auf – eigentlich ist derganze Turm ein gebauter Schaden. Und einKunstwerk. Doch bevor wir mit unserem Büroeinen Plan für die Sanierung aufstellten,haben wir auf einer gründlichen bauhis-torischen Untersuchung bestanden. Deshalblohnt ein Bilder-Rundgang durch dieGeschichte des Einsteinturms.

Die populär-wissenschaftliche Zeitschrift „Ko-ralle“ zeigte den Einsteinturm 1926 als Titel-motiv (Bild: historische Abbildung)

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Gestaltet vom Architekten Erich Mendelssohn,begleitet vom Astrophysiker Erwin Finlay Fre-undlich, benannt nach einem Nobel-preisträger, wurde der Einsteinturm 1924eröffnet (Bild: historische Blaupause)

Erste Überlegungen wurden ab 1910 ausgetauscht, 1927/28 erfolgte die erste Sanierung (Bilder:links: Briefwechsel Mendelsohn-Freundlich; rechts: Bundesarchiv Bild 146-1978-069-15A, CC BYSA 3.0)

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Jugendstil, Expressionismus oder doch eine Inkunabel der Klassischen Moderne? (Bild: Jean-PierreDalbéra, CC BY 2.0, 2013)

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Der Einsteinturm, der im Inneren ein Teleskopbirgt, dient als Sonnenobservatorium (Bild:Jean-Pierre Dalbéra, CC BY 2.0, 2013)

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Alle fünf bis zehn Jahre stieß die Baukonstruktion technisch an ihre Grenzen: Spannungsrisse,Wasserschäden und Putzabplatzungen (Bild: Schadensbilder, 1990er Jahre, Büro Pitz & Hoh)

Mitte der 1990er Jahre wurde der Turm vonGerüsten umgeben: für Untersuchungen undzum Austrocknen durchnässter Stellen (Bild:1990er Jahre, Büro Pitz & Hoh)

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Bis 1999 wurde der Einsteinturm – unter Wahrung von so viel Originalsubstanz wie möglich – ren-oviert. Künftig soll ein Pflegeplan Abhilfe schaffen (Bild: Coenen, CC BY SA 3.0)