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Universität Wien – Institut für Psychologie Möglichkeiten der Freizeitgestaltung von Menschen mit Behinderung Rehabilitationspsychologie Prof. Alfred Schabmann Mag a . Margarete Pökl (7300178) Sabine Gruber (9209072) WS 2001/2002

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Universität Wien – Institut für Psychologie

Möglichkeiten der Freizeitgestaltung von Menschen

mit Behinderung

Rehabilitationspsychologie

Prof. Alfred Schabmann

Maga. Margarete Pökl (7300178)

Sabine Gruber (9209072)

WS 2001/2002

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ..........................................................................................................3

2 Auf der Spur der „geistigen Behinderung“........................................................4

2.1 Definition und gesellschaftlicher Einfluss............................................................. 4

2.2 Unmittelbarer Einfluss durch Eltern und ExpertInnen........................................... 6

3 Freizeit...............................................................................................................8

3.1 Definition und Typenunterscheidung .................................................................. 8

3.2 Behinderung, Freizeit und Integration ................................................................ 9

4 Die Situation geistig behinderter Menschen in ihrer Freizeit .........................12

4.1 Freizeitangebote aus der Sicht der „Freizeit-Verantwortlichen“:...........................13

4.1.1 Kurse, Bildung, kreative Angebote .............................................................14

4.1.2 Sport .......................................................................................................14

4.1.3 Offene Angebote und Clubs.......................................................................14

4.1.4 Reisen und Urlaub ....................................................................................15

4. 2 Freizeitangebote aus der Sicht der NutzerInnen .................................................16

4.3 Konsequenzen, die aus diesen Ergebnissen gezogen werden sollten....................16

5 Freizeit und Behinderung - Ergebnis einer Internet-Recherche.....................17

5.1 Verkehrsmittel und öffentliche Anlagen .............................................................17

5.2 Gastronomie ....................................................................................................19

5.3 Kultur..............................................................................................................20

5.4 Kunst ..............................................................................................................22

5.5 Urlaub und Reisen............................................................................................23

5.6 Sport...............................................................................................................26

5.7 Diverse andere Angebote .................................................................................29

6 Negatives und Positives ..................................................................................31

7 Conclusio .........................................................................................................35

8 Literaturverzeichnis ........................................................................................36

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1 Einleitung Die ständige Ausweitung der arbeitsfreien Zeit in der modernen Lebenswelt hat zur Folge,

dass der Freizeitbereich für alle Menschen zunehmend größere Bedeutung erlangt. Sinn und

Zweck der freien Zeit ist jedoch nicht mehr nur Erholung und Ausgleich zur Schul- bzw.

Berufsarbeit, sondern sie stellt auch einen wichtigen Bereich für persönliche Entfaltung und

Teilnahme am sozialen Leben dar. Eine Definition der Freizeit als Komplementärbegriff zur

Arbeitszeit ist heute nicht mehr angebracht, denn sie berücksichtigt einen Großteil der

Bevölkerung nicht und wird auch der größeren Bedeutung der Freizeit nicht gerecht. Neben

der Erwerbstätigkeit ist Freizeit zu einem Bereich geworden, in dem viele Menschen Chancen

und Freiheiten zur Selbstverwirklichung sehen, die es im Hinblick auf Sinnfindung zu nutzen

gilt. Genauso wie alle anderen Menschen haben auch Behinderte das Recht auf die

Entwicklungsmöglichkeiten und die Lebensfreude, die mit einer sinnvollen Nutzung der freien

Zeit verbunden sind. Menschen mit Behinderung haben prinzipiell die gleichen Freizeitbedürf-

nisse wie Menschen ohne Behinderung, auch wenn sie in einigen Bedürfnissen gewisse

Einschränkungen hinnehmen müssen. Das Freizeitverhalten behinderter Menschen ist nicht

entscheidend anders als jenes der Nichtbehinderten, sie haben ähnliche Hobbys und

wünschen sich soziale Kontakte. Freizeitförderung ist Teil der umfassenden

Rehabilitationsaufgabe bei geistig behinderten Menschen und wesentlich für die Erfüllung

menschlicher Grundbedürfnisse und die Bereicherung ihres Lebens. Leider aber findet eine

Integration vor allem im Freizeitbereich nicht in dem Maß statt, wie sie gesellschaftlich

erwünscht wäre. Immer noch konzentriert sich die Freizeit auf den engen familiären Rahmen

und die Sondereinrichtungen, Kontakte außerhalb dieser Bereiche sind selten. Ein Mangel an

Angeboten, die ein Zusammentreffen ermöglichen könnten, bedingt einerseits die

Abgeschlossenheit von Menschen mit Behinderung und andererseits die Ablehnung dieser

Menschen durch Nichtbehinderte aufgrund von Entfremdung.

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2 Auf der Spur der „geistigen Behinderung“

2.1 Definition und gesellschaftlicher Einfluss

Nach Durchsicht der gängigen Definitionen zu geistiger Behinderung wird schnell deutlich,

dass die unterschiedlichen Definitionen in direktem Zusammenhang gesellschaftlicher

Normen, Wertvorstellungen und Erwartungen zu sehen sind sowie von der Bereitschaft, auch

„andere“ Formen menschlichen Lebens zu akzeptieren. Behinderung wird dabei meistens

nicht im positiven Sinne als eine mögliche Form menschlichen Lebens verstanden, in dessen

Vordergrund die Persönlichkeit eines Menschen steht, sondern als Defizit, Krankheit,

Schwäche oder Schädigung, bei der die dahinterstehende Persönlichkeit lediglich eine

geringe Rolle zu spielen scheint.

Große verbale und verständnismäßige Unterschiede weisen auch die einzelnen

fachspezifischen Zugänge auf.

Aus medizinischer Sicht wird geistige Behinderung folgend beschrieben:

„Behinderung, geistig: veraltete Bezeichnung Oligophrenie, Schwachsinn; Bezeichnung für

angeborene oder frühzeitig erworbene signifikant unterdurchschnittliche Intelligenz und

Anpassungsfähigkeit; (...) Ätiologie: angeborene Stoffwechselstörungen,

Chromosomenaberrationen, Embryopathie, Fetopathie, frühkindlicher Hirnschaden, Fehlen

angemessener Lerninhalte, soziale Isolation; Symptome: Intelligenzminderung, eventuell

Störung der Affektivität und psychomotorischer Retardierung“ (Pschyrembel, 1994, S.171).

Aus psychologischer/pädagogischer Sicht:

„Als geistig behindert gilt, wer infolge einer organisch-genetischen oder anderweitigen

Schädigung in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so sehr

beeinträchtigt ist, dass er voraussichtlich lebenslanger sozialer und pädagogischer Hilfen bedarf.

Mit der kognitiven Beeinträchtigung gehen solche der sprachlichen, sozialen, emotionalen und

motorischen Entwicklung einher“ (Zima, 1998, S. 11).

Eine mögliche Zugangsweise aus feministischer Sicht

„Geistige Behinderung ist eine mögliche Daseinsform von Frauen (Anm. der Autorinnen: oder

Männern), die erst im Kontext von Gesellschaft zur eigentlichen Behinderung wird (Henschel,

1997, S. 32). (...) Das Phänomen „geistige Behinderung“ wird durch 3 Faktoren konstituiert:

1) Durch die individuelle Schädigung,

2) durch die daraus resultierende Beeinträchtigung, die dann wiederum

3) zu Benachteiligung und Isolation führt“ (Henschel, 1997, S. 31).

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Immer wieder taucht in der Literatur auf, dass geistige Behinderung mit wenig sozialer

Anpassungsfähigkeit einhergeht. Dazu meint Jorswieck (1969) im gängigen Vokabular der

60er und 70er Jahre:

„Unterbegabte unterliegen stärkerem sozialen Druck oder Belastungen als Normalsinnige

und entwickeln deswegen eher Verhaltensstörungen. Das Selbstkonzept, das Retardierte

aufbauen ... bewirkt, dass das für stupid gehaltene Kind sich korrekterweise stupid

verhält. Die geringe Selbsteinschätzung, aber auch die Einschätzung durch andere, halten

den Schwachbegabten in seiner diskriminierenden Sozialrolle“ (vgl. S. 172ff, zit. in Zima,

1998, S. 12).

Geistige Behinderung wird auch mit etwas Starrem und Unveränderbarem gleichgesetzt,

dabei ist diese besondere Lebensweise ebenso - wie jede andere - Entwicklungsprozessen

unterworfen.

In unserer Gesellschaft ist es hauptsächlich so, dass Menschen mit Behinderung ausgegrenzt

werden. Sie entsprechen nicht der „Norm“ und deshalb will man mit ihnen nichts zu tun

haben. Das drängt Menschen mit Behinderung jedoch in die Isolation. Busch und Mannhaupt

(1994) meinen hierzu:

„Sein Abbild der Umwelt, seine emotionale Beziehung zu ihr und seine

Persönlichkeitsentwicklung sind dann im wesentlichen als Resultate der isolierenden

Bedingungen zu betrachten und nicht alleine durch die körperliche Schädigung determiniert. (...)

Verhaltensauffälligkeiten (...) sind unter isolierten Bedingungen entwicklungslogisch und

erscheinen erst im Bezug auf die gesellschaftliche Normalität als auffällig. Folgt man dieser

Argumentation, dann sollten nicht die körperlichen Störungen, sondern die isolierenden

Lebensbedingungen Geistigbehinderter in fast allen Lebensbereichen (...) zu Ausgangspunkten

für die Überwindung geistiger Behinderung gemacht werden“ (S. 257).

Der Einfluss der gesellschaftlichen Norm- und Wertvorstellungen wird auch deutlich von

Ernst Klee (1980) aufgezeigt: "Menschen werden wohl mit einer Behinderung geboren, doch

zum 'Behinderten' werden sie erst später gemacht (S. 30, zit. in Zima, 1998 S. 12)."

Weiters bemerkt Angelika Henschel (1997):

„Die von der WHO vorgeschlagenen Unterscheidungen der Begriffe „Schädigung“,

„Beeinträchtigung“ und „Behinderung“ wird in der Umgangssprache kaum getroffen. In der

Regel wird von den „Behinderten“ gesprochen, also nicht von Menschen, die aufgrund ihrer

Schädigung beeinträchtigt sind und erst dadurch andere, durch soziale und gesellschaftliche

Bedingungen in ihrem Recht auf Selbstbestimmung ge- und behindert werden, also mit

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„Behinderung leben“ müssen. Diese defektspezifische Sicht- und Beschreibungsweise, die auch

dazu beiträgt, den Objektstatus dieser Frauen und Männer festzuschreiben, gilt es jedoch nicht

nur auf der sprachlichen Ebene zu durchleuchten. (...) Die Orientierung und Bewertung an einer

fiktiven Durchschnittsnorm, die der tatsächlichen Vielfalt menschlichen Seins kaum gerecht

werden kann, müsste dann nämlich ebenfalls kritisch hinterfragt werden“ (S. 7).

Was wäre aus gesellschaftlicher Sicht wichtig:

„Es macht aber sicher auch keinen Sinn, geistige Behinderung zu leugnen und so zu tun,

als ob Einschränkungen nicht existieren würden, und einen behinderten Menschen

"normal" zu machen. Vielmehr geht es darum, jeden Menschen, auch einen Menschen mit

geistiger Behinderung, als einzigartiges Individuum anzuerkennen, seine Behinderung zu

akzeptieren und Vorurteile abzubauen“ (Zima, 1999, S. 12).

Dazu gehört aber auch das Bewusstsein der Öffentlichkeit darüber, dass Behinderung eben

nicht mit „Defizit“ verbunden ist, sondern mit einem Recht auf Spaß und Vergnügen, das

dem Kind bzw. dem erwachsenen Menschen zur Entwicklung ermöglicht werden muss. Dafür

ist eine nach individuellen Bedürfnissen ausgerichtet Freizeitgestaltung ebenso wichtig, wie

das Bereitstellen von Spielzeug, das den Kindern Freude bereitet und mit dem sie

eigenständig spielen können.

Dazu scheint es notwendig, offen über die Situation von Menschen mit Behinderung in

unserer Gesellschaft zu diskutieren, um durch die dabei entstehende Sensibilisierung

gegenüber der ansonsten meist vermiedenen Thematik eine Basis für die dauerhafte

Integration von Menschen mit Behinderung ins Alltagsleben zu ermöglichen.

2.2 Unmittelbarer Einfluss durch Eltern und ExpertInnen

In direktem Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Einfluss auf den Umgang mit

Menschen mit Behinderung stehen die Vorstellungen von Eltern1 und einer großen Zahl von

Experten und Expertinnen.

Bei der Geburt eines behinderten Kindes2 stehen die Eltern zumeist vor einer Situation auf

die sie nicht vorbereitet sind. Sie müssen sich nicht nur in einer „gewöhnlichen“ Elternrolle

1 Hier vor allem die der Frauen, da sie in unserer Gesellschaft nach wie vor hauptverantwortlich für die Erziehung von Kindern gemacht werden.

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zurechtfinden, sondern sich auch mit der Tatsache auseinandersetzen, dass sie ein Kind mit

Behinderung haben, und deren Bedeutung für ihr weiteres Leben überdenken. Für viele ist

es eine Art von Schockerlebnis, das zunächst Angst, Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit und

Überforderung erzeugt.

Zudem sind viele der Eltern in einem sozialen Umfeld aufgewachsen, das behinderten

Menschen gegenüber sehr repressiv reagierte. Somit können nach der Geburt des Kindes

internalisierte Klischees wieder lebendig werden und den Umgang der Eltern mit ihrem Kind

zusätzlich erschweren. Mitunter entsteht dadurch eine gewisse Ambivalenz zwischen

Annahme und Ablehnung des Kindes, die von den Eltern ebenfalls erst „verarbeitet“ werden

muss.

Sie sehen sich auch oft in der vermeintlichen Lage, ein Leben lang Verantwortung für ihr

Kind übernehmen zu müssen. Das kann dazu führen, dass sie glauben alle Entscheidungen

für ihr Kind treffen zu müssen. Durch diese Fremdbestimmung wird jedoch die Autonomie

der Kinder, die gewisse Entscheidungen in ihrem Leben durchaus selbst treffen können sehr

einschränkt, und das behindert sie zudem in ihrer Identitätsentwicklung. „Man erwartet von

ihnen Anpassung und Dankbarkeit, und ihre Rechte und Forderungen werden ignoriert“

(Zima, 1999, S. 25).

Eine ähnliche Fremdbestimmung erfahren die Kinder bzw. Erwachsenen dann auch, wenn sie

ExpertInnen gegenüberstehen, die vorgeben zu wissen, was das Kind braucht oder nicht

braucht. Es beschleicht einem dabei das Gefühl der impertinenten Machtausübung und

Bevormundung.

Zudem sind sowohl Eltern als auch ExpertInnen sehr oft darum bemüht, dem

Kind/Erwachsenem alles Unangenehme fern zu halten und möglichst alle Wünsche zu

erfüllen. Aber: „Wir helfen dem Behinderten beim Erwachsenwerden umso mehr, je weniger

wir etwas für ihn tun und je mehr wir etwas mit ihm gemeinsam tun“ (Walter, 1996, S. 193,

zit. in Zima, 1998, S. 23)

In den letzten Jahren hat sich allerdings gezeigt, dass sowohl Eltern – somit in Folge auch

ihre Kinder – selbstbewusster geworden sind und auch unter den ExpertInnen ein Umdenken

stattgefunden hat.

2 Die Eltern werden aber oft schon vor der Geburt ihres Kindes in eine schwierige Entscheidungssituation gebracht. Durch die Amniozentese können bei z.B. Risikoschwangerschaften (high-risk-pregnancy) einige mögliche Schädigungen des Kindes erkannt werden. Dadurch werden die Eltern vor die Wahl gestellt: Abortus oder nicht Abortus (der in Österreich bei medizinischer Indikation bis hin zum 7. Schwangerschaftsmonats möglich ist!)

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Zudem kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass Menschen mit

Behinderung von nicht behinderten ExpertInnen unterstützt bzw. beraten werden müssen:

„Ein weiteres Modell, das der gegenseitigen Unterstützung dienen kann, stellt Claudia Schneider

in ihrem Beitrag Peer counseling – Beratung behinderter Frauen durch behinderte Frauen dar.

Sie bietet die Beratung von „Gleichartigen“ („peers“) die Chance, eine möglichst

selbstbestimmte Lebensführung von Frauen mit Behinderung zu unterstützen. Hilfreich ist

hierbei, dass die Beraterin aufgrund ihrer eigenen um die spezifischen Probleme, die äußeren

und psychosozialen Faktoren weiß, die zu alltäglichen Belastungen, zur Ausgrenzung und

Isolation beitragen können“ (Henschel, 1997, S. 10).

3 Freizeit

3.1 Definition und Typenunterscheidung

Hier stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, was unter Freizeit verstanden wird:

„In der Soziologie hauptsächlich als Komplementärbegriff zu Arbeit aufgefasst; bezeichnet die

dem Berufstätigen außerhalb der Arbeit zur Verfügung stehenden Zeit; lässt sich untergliedern

in „reproduktive“ Zeit, die ausgefüllt ist mit existenzerhaltenden Verreichungen, wie Schlafen,

Essen, Ruhen, Körperpflege, und „verhaltensbeliebige“ private Zeit. Mit der wachsenden Freizeit

haben sich zunehmend Staat, Kirche, Vereinigungen und die verschiedensten

Interessensgruppen der Frage der Gestaltung der Freizeit angenommen, für deren „sinnvolle“

Nutzung sie Einrichtungen zur Verfügung stellen“ (Meyers großes Taschenlexikon, 1990, S. 251)

Für die Befriedigung der Bedürfnisse im Bereich der „reproduktiven“ Freizeit können

Menschen mit Behinderung entweder selbst sorgen oder werden dabei von Eltern und

anderen Betreuungsperson unterstützt. Wie seht es jedoch mit der „verhaltensbeliebigen“

aus? Das Wort setzt sich aus Verhalten und beliebig zusammen. Damit wird zum Ausdruck

gebracht, ein beliebiges Verhalten an den Tag zu legen. Für viele Menschen mit Behinderung

wird das kein Problem darstellen – wobei die Frage nach den verschiedenen Möglichkeiten

einstweilen noch offen bleibt -, für andere hingegen wird das schwieriger werden, weil sie

nicht beliebig über ihr Verhalten verfügen können. Sie sind dann abhängig von Eltern oder

Betreuungspersonen und damit direkt von deren Einstellungen und indirekt von deren

finanziellen Möglichkeiten. „Beliebig“ impliziert jedoch auch, in der Freizeit einer frei

gewählten Freude und Spaß bereitenden Tätigkeit bzw. Aktivität nachzugehen.

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Zudem lassen sich nach Heid und Reckmann (1979) - zumindest unter Jugendlichen - sechs

verschiedene Freizeittypen unterscheiden:

• Berufsbezogener Freizeittyp: Jugendliche, die ihre Freizeit zur Weiterbildung nutzen.

• Hobbyorientierter Freizeittyp: unterschiedlichen Hobbys wird entweder alleine oder in

Gesellschaft nachgegangen

• Vielseitiger Freizeittyp: aktive Gestaltung der Freizeit, mit sozialen Kontakten.

• Erlebnisorientierter Freizeittyp: kurzfristig geplante Aktivitäten werden durchgeführt.

• Familienorientierter Freizeittyp: meistens Paare, die ihre Freizeit in der gemeinsamen

Wohnung verbringen.

• Regenerationsbezogener Freizeittyp: Regeneration und Erholung stehen im Vordergrund

(S. 133ff).

Somit muss auch in Hinblick der einzelnen Freizeittypen auf die unterschiedlichen

Bedürfnisse des Kindes/Jugendlichen Rücksicht genommen werden.

3.2 Behinderung, Freizeit und Integration

Jeder Mensch, ob behindert oder nicht behindert hat ein Recht auf Freizeit, Spaß, Vergnügen

und Spiel. Zumeist scheint es jedoch, dass behindert sein mehr mit „krank sein“, denn mit

Spaß verbunden wird.

Die Geschichte von Menschen mit Behinderung lässt erkennen, dass bis vor wenigen Jahren

noch keine Ansätze dazu bestanden haben, Behinderten den Freizeitraum zu öffnen. Das

kann zudem daran liegen, dass Freizeit ein eher moderner Begriff ist und erst in den letzen

Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat, oder aber auch daran, dass mensch Behinderung

eben weniger mit Freizeit und deren individuelle Gestaltung in Verbindung bringt.

Doch gerade Freizeitaktivitäten ermöglichen es Menschen mit Behinderung, aktiv am

Gesellschaftsleben teilzunehmen und Kontakte zu anderen Menschen herzustellen. Die

Möglichkeit zur (individuellen) Freizeitgestaltung hat somit den wichtigen Hintergrund der

sozialen Integration von Menschen, die sonst meistens im Hintergrund stehen. Es wird damit

ein gegenseitiges Kennenlernen ermöglicht - z.B. unter Kindern - , das sich wiederum positiv

auf die Einstellung aller auswirkt. Vorurteile, Vorbehalte, aber auch Berührungsängste

können dadurch abgebaut werden. „Ziel ist es durch geeignete Maßnahmen die

Gemeinsamkeiten zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern im Lebensbereich

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Freizeit zu fördern und neue, erkenntnisreiche Wege einer ´integrativen Kinder- und

Jugendarbeit´ zu beschreiten“ (Markowetz, 1998, S. 2).

„Zurecht verweist Jakob Muth (1989, S. 19) darauf, dass Integration als „Gemeinsamkeit von

behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft“

verstanden werden muss. Integration als „eine Lebens- und Daseinsform“ (vgl. Kobi, 1990, S.

62) darf nicht auf einige, uns Nichtbehinderte angenehme, Lebensbereiche beschränkt werden“

(Markowetz, 1998, S. 2).

Erst vor knapp 30 Jahren traten die ersten Ansätze bzw. Konzepte dazu in Erscheinung, wie

aus einem Artikel des deutschen Bildungsrates aus dem Jahre 1973 hervorgeht.

„Bereits 1973 betonte der Deutsche Bildungsrat in seinen Empfehlungen zur pädagogischen

Förderung behinderter und von Behinderung betroffener Kinder und Jugendlicher die zentrale

Funktion der Freizeitförderung im Rahmen der Rehabilitation Behinderter und gab zu erkennen,

dass sich die soziale Eingliederung Behinderter zu einem wesentlichen Teil im Freizeitbereich

vollzieht“ (vgl. Deutscher Bildungsrat, zit. in. Markowetz, 1998, S. 1)

Markowetz (1998) gibt aber weiter an:

„Leider wurden die Empfehlungen nicht in dem erwünschten Maße umgesetzt. Bis heute wird

das Freizeitangebot für Behinderte als „gravierende Mangelsituation trotz erfreulicher Initiativen

an vielen Orten und in vielfältiger Form (Zielniok, Schmidt-Thimme, 1990, S. 21) empfunden“

(Markowetz, 1998, S. 1).

Das Hauptaugenmerk scheint in Bezug auf die soziale Integration nach wie vor eher auf den

Leistungsbereich gelegt zu sein als auf den leistungsfreien Sektor Freizeit. Deshalb erscheint

es erforderlich, diese beiden Teilbereich zu differenzieren und beides eigenständig zu

diskutieren und auch zu finanzieren. Doch obwohl seit geraumer Zeit Forderungen von

Eltern, BetreuerInnen und auch von Teilen der Gesellschaft dazu bestehen, lässt sich eine

nur mäßige positive Entwicklung erkennen. „Integrative Angebote sind immer noch die

Ausnahme. Die vielen guten Ansätze haben kaum eigendynamische Entwicklungen erfahren.

Eine Ausweitung und Überführung in die Normalität ist weitgehend ausgeblieben“

(Markowetz, 1998, S. 2).

„Allerdings ist der bloße Kontakt noch kein Garant für eine gelungene Integration. Zuwenig wird

die Frage gestellt, was behinderte oder nicht behinderte Kinder und Jugendliche im

Handlungsfeld Integration wahrnehmen, denken und fühlen, wie sie die gemachten situativen

Erfahrungen bewerten und welchen Einfluss solche Erlebnisse auf ihr Selbstkonzept und ihr

Selbstwertgefühl haben“ (Markowetz, 1998, S. 3).

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Damit Kinder oder Jugendliche mit und ohne Behinderung ein Wir-Gefühl aufbauen können,

ist es notwendig, ihnen Möglichkeiten für gemeinsame Aktivitäten zu bieten. „Im Mittelpunkt

steht dabei die Begegnung zwischen Subjekten, die sich in ihren Denk-, Wahrnehmungs- und

Handlungskompetenzen bisweilen sehr deutlich voneinander unterscheiden“ (Markowetz,

1998, S. 4). Da die meisten Aktivitäten im Freizeitbereich jedoch zeitlich begrenzt sind, ist es

schwer, eine gewisse Kontinuität und Konsistenz innerhalb der neu entstandenen

Freundschaften zwischen den Kindern bzw. Jugendlichen aufrechtzuerhalten. Deshalb ist

erforderlich, Menschen mit Behinderung eine Freizeitintegration zu ermöglichen, die keiner

zeitlichen Begrenzung unterliegt, sondern einen permanenten und individuellen Zugang zu

den verschiedenen Einrichtungen - im Reich der „Normalität“ - gewährleistet.

„Integration im Freizeitbereich darf nicht auf wenige Tage oder Wochen im Jahr beschränkt

bleiben, sondern muss zu einem verlässlichen, wohnortnahen, selbst- und

interessensbestimmten Handlungs- und Erfahrungsfeld werden, innerhalb dessen regelmäßige

Kontakte möglich sind“ (Markowetz, 1998, S. 4).

Das hört sich rein theoretisch sehr einfach an, aber:

„Die Teilnahme an Freizeitaktivitäten scheitert meist an persönlichen Bedenken und

vorherrschenden Ängsten der nichtbehinderten Mensch. Durch Einstellungen, Vorurteile und

Informationsmangel wird Menschen mit Behinderung die Teilnahme an Freizeitaktivitäten häufig

verweigert. Dabei könnte durch gezielte Information über und Begegnung mit Menschen mit

Behinderung diese Hürde überwunden werden“ ((Markowetz, 1998, S. 36)

Deshalb sollte bezüglich Integration mehr Forschung betrieben werden, um mit den

Ergebnissen in der Öffentlichkeit bewusstseinsbildend und informativ arbeiten zu können –

aber auch, um etwaige Sponsoren zur finanziellen Unterstützung zu ermuntern. Dabei

könnte auch der Staat eindeutige Zeichen setzen: „Mit der Finanzierung solcher

Eingliederungshilfen könnte zum Ausdruck gebracht werden, dass Integration

unverzichtbarer Bestandteil einer zeitgemäßen Jugend- und Sozialpolitik ist“ (Markowetz,

1998, S. 16).

Dazu können ausgebildete BetreuerInnen - sogenannten IntegrationsbegleiterInnen - sowohl

Kinder als auch Eltern, sowie MitarbeiterInnen der verschiedenen Vereine, etc. dabei

unterstützen, eine Integration zu ermöglichen.

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Ein solches „Integrationsprogramm“3 kann folgendermaßen aussehen:

• Phase 1: Erstgespräche mit Eltern und Finden geeigneter IntegrationsbegleiterInnen

• Phase 2: Kontaktherstellung zwischen dem Kind, dessen Familie und der

IntegrationsbegleiterIn

• Phase 3: Suche nach einem passenden Verein

• Phase 4: Integration und Mitgliedschaft auf Probe

• Phase 5: Reflexion der Mitgliedschaft auf Probe und der gemachten integrativen

Erfahrungen

• Phase 6: Stabilisierung der Integrationsmaßnahme und Überführung in die

„Normalität“

• Phase 7: Nachbetreuung bei Bedarf durch die IntegrationsbegleiterInnen

(vgl. Markowetz, 1998, S. 7).

Damit kann erreicht werden, dass Kinder bzw. Jugendliche mit Behinderung, z.B. in einen

Sportclub integriert und als selbstverständlich mit unterstützt werden.

Durch eine Integration von Menschen mit Behinderung ins Alltägliche, d.h. ins für

nichtbehinderte Menschen Selbstverständliche, erfahren Menschen mit Behinderung nicht

nur Akzeptanz und Annahme, sondern können auch ihre Isolation verhindern und ihr „Ich“

stärken.

Nicht behinderte Menschen lernen durch den Umhang mit Menschen mit Behinderung mit

ihren Ängsten, Vorurteilen und Vorbehalten umzugehen und können dabei auch erfahren,

dass eine körperliche oder geistige Behinderung keine Hindernis für die Teilnahme am

Alltagsleben darstellt.

4 Die Situation geistig behinderter Menschen in ihrer Freizeit

Im Vergleich zu den Lebensbereichen Wohnen und Arbeit erscheint der Lebensbereich

Freizeit trotz einiger gut etablierter lokaler Initiativen eher unterentwickelt. Im Rahmen der

Alltagsbegleitung in Wohnstätten oder im Rahmen der arbeitsbegleitenden Maßnahmen in

Werkstätten gibt es Angebote zur Freizeitgestaltung. So gehen z.B. Mitarbeiter in

Wohnstätten an Sonntagnachmittag mit Bewohnern spontan spazieren oder auch essen. An

manchen Orten können Menschen mit geistiger Behinderung auch an allgemein zugänglichen

Angeboten der Gemeinde teilnehmen oder Freizeitclubs besuchen. Das sind allerdings meist 3 Dieses Phasenmodell wurde vom Verein PFIFF erstellt. Das ´Projekt zur Förderung integrativer Ferien- und Freizeitmaßnahmen`, kurz PFiFF wurde auf Initiative einer kleinen Gruppe engagierter Personen und auf dem Erfahrungshintergrund von zehn Jahren integrativer Ferien- und Freizeitarbeit am 25. Januar 1993 mit 33 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen. PFiFF ist ein eingetragener, gemeinnützig anerkannter Verein mit Sitz in Ladenburg.

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nur punktuelle Angebote, denn von einem flächendeckenden Freizeitangebot für geistig

behinderte Menschen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keinesfalls die Rede sein.

Auch in betreuten Einrichtungen ist es häufig so, dass der Freizeitbereich neben Wohnstätte

und Werkstätte eine Art fünftes Rad am Wagen darstellt, obwohl die Bedeutung der freien

Zeit für die Persönlichkeitsentwicklung der Menschen gesellschaftlich gesehen und auch in

der behindertenpolitischen Fachdiskussion unumstritten ist. Eine gesellschaftliche

Partizipation behinderter Menschen in der Freizeit ist immens wichtig, um ihre Integration zu

erreichen und zu sichern. Auf handlungspraktischer Ebene fällt es jedoch schwer, den

Lebensbereich Freizeit zu stärken, da es oft an der notwendigen Vernetzung der einzelnen

Initiativen, der praktischen Umsetzung theoretischer Konzepte und nicht zuletzt an einer

gesicherten Finanzierung gebricht. Der Gegensatz zwischen programmatischen Aussagen zur

Wichtigkeit und der real oftmals ungenügenden Ausstattung des Freizeitbereichs kann

anhand eines Teufelskreis-Modells erklärt werden: Da der Freizeitbereich wenig konturiert

ist, entsteht der Eindruck, er wäre weniger wichtig oder ohnehin irgendwie abgedeckt. So

kann die Potenzialität von Freizeitangeboten nicht nachgewiesen und in der Folge kann kaum

erfolgreiche Überzeugungsarbeit zur Verbesserung der finanziellen und strukturellen

Bedingungen geleistet werden.

Im Sommer 1998 fand in Deutschland eine bundesweite Befragung zur Situation von geistig

behinderten Menschen im Freizeitbereich statt, die von der Deutschen Lebenshilfe initiiert

und durchgeführt wurde. Dabei wurden an alle bekannten, ca. 200 Freizeitclubs dieser

Organisation, an alle Wohnheime und Werkstätten bzw. an alle Orts- und Kreisstellen der

Lebenshilfe Fragebogen versandt, um das jeweilige an diesem Ort angebotene, über

alltägliche und spontane Unternehmungen hinausgehende Freizeitangebot für Behinderte zu

erheben (Anzahl der Befragten = 166 Personen). Daneben wurden Fragebogen an die Be-

hinderten selbst ausgegeben, um ihre Wünsche, Vorstellungen und Meinungen zu dieser

Problematik zu erkunden. Der Rücklauf der Fragebogen war sehr groß (n = 753) und die

Resonanz auf diese Aktion eine sehr positive.

4.1 Freizeitangebote aus der Sicht der „Freizeit-Verantwortlichen“:

Die meisten Freizeitbereiche sind nach 1995 entstanden. Es können vier Angebotsbereiche

unterschieden werden:

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4.1.1 Kurse, Bildung, kreative Angebote

Die meisten dieser Angebote finden wöchentlich bzw. vierzehntägig statt. Am häufigsten

angeboten werden Basteln und Werken, Kochen und Backen, Musik und bildnerisches

Gestalten. Insgesamt werden diese Angebote weniger integrativ und in öffentlichen

Einrichtungen als zielgruppenbezogen innerhalb der Behindertenbetreuung organisiert und

durchgeführt. Genutzt werden diese Angebote vor allem von geistig behinderten Menschen

zwischen 15 und 49 Jahren, weniger von Angehörigen der Altersgruppen unter und über

diesem Lebensalter. Die Kurse werden überwiegend von hauptamtlich tätigen Personen

geleitet, die Gruppengröße beträgt bis zu 12 Teilnehmern. Tanzangebote weisen eine

größere Zahl von Nutzern auf. Angebote, die sich auf die sogenannten Kulturtechniken und

vor allem auf eine autonome Lebensführung, Selbstbestimmung, Selbstdurchsetzung und

Selbstdarstellung sowie auf Sexualität, Freundschaft oder Partnerschaft beziehen, spielen

gegenüber den musisch-kreativen Angeboten (z.B. Zeichnen, Basteln, Handarbeiten,

Tanzen) eine untergeordnete Rolle. Das bedeutet, dass Empowerment-Angebote, also

Angebote, die behinderte Menschen bei der Entfaltung ihres Lebensstils und der Realisierung

ihrer Lebensentwürfe zu unterstützen suchen, deutlich unterrepräsentiert sind.

4.1.2 Sport

Sportaktivitäten werden überwiegend wöchentlich angeboten. Am stärksten vertreten ist

Schwimmen, gefolgt von Kegeln und Gymnastik. Bis auf Schwimmen, wo auch der Anteil der

schwer behinderten Menschen hoch ist, nehmen an den sportlichen Angeboten in erster Linie

Personen teil, die als leicht oder mittelgradig behindert gelten. Jüngere und ältere Menschen

nehmen relativ häufig am Schwimmen teil, ältere Personen scheinen darüber hinaus auch oft

Kegel- und Gymnastikangebote zu nutzen, wobei das Kegeln als die Aktivität mit dem

stärksten integrativen Charakter (gemeinsame Teilnahme von Behinderten und

Nichtbehinderten) ausgewiesen wird. Die Gruppengröße bewegt sich zwischen sieben bis

zwölf Teilnehmern, alle Sportangebote werden vorrangig von hauptamtlichen Personen

begleitet, am Schwimmen und Kegeln nehmen aber auch oft ehrenamtliche Helfer teil.

4.1.3 Offene Angebote und Clubs

Besonders oft genannte offene Angebote sind Feste, Disco und Stadtbummel, seltener finden

offene Gesprächsrunden statt. An ersteren nehmen oft auch schwer behinderte Personen teil

und der Anteil der jüngeren und älteren Menschen ist hier recht hoch. Diese Gruppen finden

sich nur selten in Gesprächsrunden. Feste und Discos werden meist in Großgruppen

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durchgeführt, die übrigen Angebote in Gruppen mit sieben bis zwölf Personen. Vor allem bei

Festen und Discos werden auch ehrenamtliche Personen als Begleiter eingesetzt. Diese

Angebote weisen außerdem einen hohen integrativen Charakter auf, weil meist viele

nichtbehinderte Personen daran teilnehmen und diese Veranstaltungen auch in öffentlichen

Einrichtungen durchgeführt werden. Angebote, die in Freizeitinstitutionen angeboten

werden, werden eher von Menschen mit leichter bzw. mittlerer Behinderung

wahrgenommen. Menschen mit einem stärkeren Assistenzbedarf bleiben von solchen

Freizeitmaßnahmen weitgehend ausgeschlossen.

4.1.4 Reisen und Urlaub

Von allen Angeboten werden Tagesfahrten am häufigsten genannt, aber auch alle anderen

Fahrten oder Reisen haben recht hohe Werte. An Tagesfahrten und Ferienfreizeiten ist der

Anteil der schwer behinderten Menschen recht hoch und es besteht auch eine breite

Altersstreuung, wobei ältere Menschen besonders häufig bei Tagesfahrten mitmachen. Auch

die Gruppengröße der einzelnen Unternehmungen weist eine hohe Streuung auf:

Tagesfahrten und mehrwöchige Urlaubsreisen werden häufig in Großgruppen mit über 20

Teilnehmern durchgeführt, was aber die Integration von Menschen mit geistiger Behinderung

in die Gesellschaft eher erschwert. Es ist außerdem zweifelhaft, ob bei Großgruppenreisen

die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Teilnehmers wirklich ausreichend berücksichtigt

werden können. Als Begleiter bei solchen Veranstaltungen dienen meist hauptamtliche

Personen, der Anteil der ehrenamtlichen Begleiter ist hier wesentlich höher als bei anderen

Angeboten.

Über die Konzeption der einzelnen Freizeitangebote entscheiden überwiegend die Leiter

eines Freizeitbereichs und leitende Mitarbeiter der Institutionen, in die die Behinderten

eingebunden sind, die Betroffenen selbst haben hingegen weniger Einfluss, was nicht im

Sinne der Selbstbestimmung ist. Die Bedeutung des Freizeitbereichs wird von allen

Verantwortlichen hoch eingeschätzt, sie nehmen aber an, dass die Freizeitarbeit durch die

allgemeine Öffentlichkeit eher weniger Wertschätzung erfährt, was zeigt, dass hier viel

Öffentlichkeitsarbeit notwendig ist, um die nichtbehinderte Bevölkerung für

Freizeitbedürfnisse und kulturelle Partizipation behinderter Menschen zu sensibilisieren. Auf

die Frage nach ihren Veränderungswünschen nannten die Befragten in erster Linie die

Selbstbestimmung der Nutzer und Angebote für Schwerbehinderte. Darüber hinaus besteht

der Wunsch nach gesicherten Fahrmöglichkeiten, genügend Helfern und einem

Erfahrungsaustausch mit anderen Anbietern. Außerdem wird ein unzureichendes Angebot für

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Jugendliche und Ältere, das Fehlen zuverlässiger Teammitglieder und die geringe

Wertschätzung in der Öffentlichkeit beklagt.

4. 2 Freizeitangebote aus der Sicht der NutzerInnen

Befragt wurden 753 behinderte und von der Lebenshilfe betreute Personen (53% Männer

und 47% Frauen), was das Ergebnis aufgrund der hohen Stichprobenzahl doch recht

repräsentativ erscheinen lässt.

Insgesamt wurden alle Angebote sehr positiv bewertet. Am beliebtesten erwiesen sich dabei

Tagesfahrten, Schwimmen, Feste und Discos, also Bereiche, die auch am häufigsten

angeboten werden. An der Spitze der Wünsche der befragten Behinderten stand der nach

Aktivitäten gemeinsam mit Nichtbehinderten, was anschaulich dokumentiert, dass auf diesem

Gebiet vermehrt Anstrengungen unternommen werden müssen. Außerdem wünschten sie

sich mehr Helfer, eine Verbilligung der Angebote, bessere Informationen über Angebote

sowie mehr Angebote und Wahlmöglichkeiten. Die Zufriedenheit im Hinblick auf integrative

Aktivitäten ist relativ gering, während die Zufriedenheit in Bezug auf Zuverlässigkeit von

Helfern sehr hoch ist. Sehr wichtig wird das Thema der Selbst- oder Mitbestimmung

eingeschätzt, als weniger wichtig erschien den Befragten die Zusammenarbeit mit anderen

Lebenshilfe-Einrichtungen, was wiederum als Indiz für den starken Wunsch seitens der

Betroffenen nach Integration im Freizeitbereich gedeutet werden.

4.3 Konsequenzen, die aus diesen Ergebnissen gezogen werden sollten

Obwohl von Seiten der befragten Behinderten weitgehend Zufriedenheit mit den gegebenen

Freizeitangeboten geäußert wurde, erscheinen dennoch viele Aspekte als dringend

verbesserungsbedürftig:

Um den Wünschen und Interessen der behinderten Menschen besser entsprechen zu

können, muss das bestehende Freizeitangebot im Hinblick auf Selbst- und

Mitbestimmungsmöglichkeiten ausgeweitet werden. Es sollte vor allem mehr Angebote

geben, die auf Förderung von Entscheidungs- und Handlungsautonomie und von

sogenannten Empowerment-Kompetenzen zielen.

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Die Freizeitangebote müssen auch schwer behinderte Menschen sowie Kinder, Jugendliche

und alte Menschen erreichen. Außerdem sollte angesichts der Tatsache, dass es für die

Altersgruppe der 15 – 49 Jährigen kaum unterschiedliche Angebote gibt, auf eine stärkere

altersspezifische Differenzierung der Freizeitangebote Wert gelegt werden.

Um die Wichtigkeit von Freizeit und das Recht auf kulturelle Partizipation behinderter

Menschen zu verdeutlichen, ist eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit unabdingbar, um die

nichtbehinderte Bevölkerung für die Rechte und Wünsche von geistig Behinderten zu

sensibilisieren.

Ferienreisen und Tagesfahrten sollten mit kleineren Gruppen durchgeführt werden, denn von

Großgruppen geht eine desintegrierende Wirkung aus, weil sie den Eindruck erzeugen,

behinderte Menschen kämen in Massen vor, und außerdem erschwert das Auftreten in einer

Großgruppe den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung, was eine Art Gettoisierung bewirkt.

Freizeitangebote sollten in verstärktem Maß integrativ organisiert werden. Um das zu

erreichen, sollten Anstrengungen unternommen werden, um nichtbehinderte Personen in das

Angebot einzubeziehen bzw. es sollten vermehrt öffentliche Einrichtungen genutzt und eine

stärkere Kooperation mit anderen Anbietern oder Organisationen gesucht werden.

Verbessert werden müssen auch die Fahrgelegenheiten und die Organisation von Fahrten.

Und schließlich müssen bessere und sichere Finanzierungsgrundlagen für Freizeitbereiche

und –angebote geschaffen werden bzw. die schon bestehenden Möglichkeiten ausgeschöpft

und vor allem nicht weiter gekürzt werden.

5 Freizeit und Behinderung - Ergebnis einer Internet-Recherche

In diesem Abschnitt unserer Arbeit geben wir die Ergebnisse einer Suche nach

Freizeitangeboten für behinderte Menschen im Internet wieder. Diese Auflistung erhebt

keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie möchte nur ein wenig zur Erläuterung der

derzeitigen Situation dieser Menschen im Freizeitbereich beitragen.

5.1 Verkehrsmittel und öffentliche Anlagen

Auf http://www.info.wien.at ist nachzulesen, dass die Wiener Straßenbahnen und Busse für

Rollstuhlfahrer nur bedingt zugänglich sind, da mit Stufen ausgestattet. Nur auf wenigen

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Buslinien verkehren Niederflurbusse, doch viele von diesen sind nicht mit entsprechenden

Rampen ausgestattet, womit sie für RollstuhlfahrerInnen unbenutzbar sind. Andere

wiederum haben zwar eine ausklappbare Rampe, doch manche Fahrer klappen diese einfach

nicht aus, und verhindern so die Benutzung des Verkehrsmittels durch eine behinderte

Person. Ein diesbezüglicher Erfahrungsbericht einer Betroffenen ist auf

http://www.bizeps.or.at/artikel/99/991116.html nachzulesen. 4/5 der Wiener U-Bahn-

Stationen haben Blinden-Tast-Streifen, die den Weg zu Stiegen, Rolltreppen und Aufzügen

weisen. Bei den Wiener Linien kann man einen tastbaren U-Bahn Stationsplan mit

Beschreibungen der einzelnen Stationen anfordern. Viele U-Bahn-Stationen verfügen jedoch

nicht über Lifte, so z.B. auf der Linie U1 die Stationen Reumannplatz und

Taubstummengasse. Laut Beförderungsgesetz der Wiener Linien dürfen Rollstuhlfahrer nach

wie vor nicht ohne Begleitperson fahren.

Auf http://www.bizeps.or.at/artikel/01/010519.html erfährt man, dass ab Juni 2001 von den

ÖBB die Einstiegshilfen für Rollstuhlfahrer, Hebelifte, ersatzlos gestrichen wurden. Diese

waren von der Behindertenbewegung mühsam erkämpft worden, denn das

Vorgängermodell, Tragestühle, die man drei Tage vor Fahrtantritt bestellen musste, war

unzumutbar gewesen. Fahrzeuggebundene Einstiegshilfen, also in den Waggon integrierte

Hublifte, die vom Zugsbegleiter bedient werden können, wurden von den ÖBB stets

abgelehnt. Die Waggons selbst sind zu einem großen Teil rollstuhluntauglich.

Für Freizeitfahrten gibt es für Personen mit orthopädischen Behinderungen, also

Rollstuhlfahrern und schwer gehbehinderten Personen, die öffentliche Verkehrsmittel nicht

benutzen können, den Freizeitfahrtendienst z.B. von Wien-Sozial. Auf

http://www.wien.gv.at/ma12/behind-05c.htm wird man darüber informiert, dass dieser

Dienst für 60 Freizeitfahrten pro Monat, die mit Spezialfahrzeugen, Pkws oder Mietwagen

bzw. als Sammeltransporte durchgeführt werden, zur Verfügung steht. Bedingt durch den

Konkurs eines Wiener Fahrtendienstes hat sich die Lage, was die Freizeitfahrten betrifft,

relativ chaotisch gestaltet. Freizeitfahrten finden daher kaum oder, vor allem an den

Wochenenden, überhaupt nicht statt. Zahlreiche Berichte über diese triste Situation finden

sich auf http://www.bizeps.or.at. Dass die derzeit allerorten anzutreffenden Sparmaßnahmen

auch vor Behindertentransporten nicht Halt machen, zeigt eine Notiz auf

http://www.rollon.at, die darauf hinweist, dass ab 1.2.2002 die Tiroler GKK für alle Fahrten

mit Johannitern einen Selbstbehalt von ca. € 8,- einführt.

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Öffentliche WC-Anlagen für Behinderte sind derzeit für alle Personen zugänglich und daher

oft in einem bejammernswerten hygienischen Zustand, zumal sie vor allem in Städten gern

als Schlafstätten missbraucht werden. Abhilfe sollen hier die sogenannten Euro-

Zylinderschlösser bieten, die in Deutschland seit 1976 üblich sind und die sich dort sehr

bewährt haben. Sie werden nicht nur in öffentlichen Toilette-Anlagen und auf Autobahn-

Raststätten eingebaut, sondern auch in den Liften öffentlicher Gebäude, Kaufhäuser und

Freizeiteinrichtungen. Derzeit wird dieses System auch in Österreich, Italien und der Schweiz

eingeführt und in Tschechien und Kroatien erprobt. Wenn man RollstuhlfahrerIn oder schwer

gehbehindert ist, kann man beim ÖAR unter Beilegung des Nachweises seiner Behinderung

um 250,- Schilling einen solchen Euro-Schlüssel erwerben. Auf

http://www.oear.or.at/service/euro-wc.htm kann eine Liste abrufen werden, die darüber

informiert, welche Anlagen in ganz Österreich derzeit mit diesem System ausgerüstet sind.

5.2 Gastronomie

Unter http://www.info.wien.at kann in der Rubrik Spezielles auch eine Site mit der

Bezeichnung „Wien für Gäste mit Handicap“ abgerufen werden. Hier findet man Angaben

über Hotels, Opern, Theater, Kinos, Sehenswürdigkeiten und Restaurants, die

behindertengerecht ausgestattet sind. Liest man darüber im Koalitionspakt der Wiener ÖVP

mit der SPÖ aus dem Jahr 1996: „Dem Abbau von Barrieren kommt erhöhte Bedeutung zu"

und "Ämter und Behörden, Straßenraum (Gehsteigabsenkungen), Schulen, Kultur- und

Freizeiteinrichtungen, Wohnungen und Betriebe sind für Behinderte zugänglich zu machen",

so ist es schon erstaunlich, wie viele Einrichtungen heute, sechs Jahre später, in diesen

Listen zu finden sind, die dieser Forderung nicht gerecht werden. Neben den Adressen von

Restaurants und Café ist in diesem Lokalführer angegeben, wie viele Stufen jeweils zu

bewältigen sind, welcher Art und wie breit Türen sind und ob es ein Behinderten-WC gibt.

Gerade der letzte Punkt ist äußerst unbefriedigend, denn viele Lokale sind nicht mit einem

Behinderten-WC ausgestattet, so z.B. auch die renommierten Cafés Griensteidl und

Schottenring. In einzelnen Restaurants gibt es Blindenspeisekarten, die vom Verein

„Blickkontakt“ zur Verfügung gestellt wurden. Allerdings sind nur insgesamt 13 Gaststätten in

Wien angegeben, die über dieses Service verfügen. Außerdem wird empfohlen, sich vor dem

Besuch des betreffenden Lokals telefonisch über die Erreichbarkeit der Blindenspeisekarte zu

informieren.

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Auf http://www.cam-in-lokale.at kann man in einer Suchmaschine nach Restaurants, Bars,

Cafés, Nachtlokalen, Discos, etc. suchen und hat dabei die Möglichkeit, einen Button

„Rollstuhl geeignet“ anzuklicken. Dieser Liste zufolge gibt es in ganz Wien keine einzige

Disco, die Rollstuhlfahrern zugänglich ist. Die Suchmaschine der Site

http://www.gastroweb.at, die die Suchkriterien „behindertengerecht“ und „rollstuhltauglich“

unterscheidet, weist dagegen vier Discos als „rollstuhlgeeignet“ aus. Dafür ergibt eine Suche

nach behindertengerechten Bäckereien/Konditoreien und Stehcafés hier keinen Treffer.

5.3 Kultur

Obwohl in den letzten Jahren der Aspekt der zugänglichen Infrastruktur immer mehr an

Bedeutung gewonnen hat, wird der Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung immer

noch ignoriert und sogar bei der Planung von Neubauten nicht ausreichend beachtet.

Inakzeptabel ist vor allem die Situation bei der Zugänglichkeit der öffentlichen Gebäude

sowie der öffentlichen Verkehrsmittel. Dadurch sind vielerorts Menschen mit Behinderung auf

„Helfer“ oder unadäquate Alternativen angewiesen, oder sie müssen, speziell im kulturellen

Bereich, auf gewünschte Aktivitäten verzichten.

Wie bereits erwähnt, findet man auf http://www.info.wien.at auch Angaben über Theater,

Museen und ähnliche Einrichtungen. Die meisten Museen scheinen für Behinderte ohne

größere Probleme besuchbar zu sein. Wieder finden sich Angaben über das Vorhandensein

von Behindertenparkplätzen, Lage des Haupteingangs, Art und Breite der Türen und über die

Verfügbarkeit von Liften und Toiletteanlagen. Manchmal stehen auch Leihrollstühle zur

Verfügung oder es gibt Tastpunkte für Sehbehinderte. Gelegentlich ist der Eintritt für

Begleitpersonen frei, so z.B. im Schönbrunner Palmenhaus. Ähnliches gilt auch für die

Wiener Kirchen. Für Opern, Theater und Konzertsäle findet man Angaben über die Anzahl

von vorhandenen Rollstuhlplätzen. Ihre Zahl erscheint allerdings äußerst gering, so gibt es

z.B. in der Wiener Volksoper (wie auch in vielen anderen Kulturstätten) nur zwei solcher

Plätze. Die Wiener Staatsoper hält immerhin 20 Plätze bereit, jedoch ist hier eine

Voranmeldung nötig. Im Musikverein muss man sich eine Woche im Voraus für einen

Rollstuhlplatz anmelden, was das spontane Besuchen eines hier stattfindenden Konzerts

unmöglich macht. Das Theater in der Josefstadt wiederum weist dezidiert darauf hin, dass

Rollstühle nicht im Zuschauerraum bleiben dürfen.

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Die meisten Wiener Kinos sehen Plätze für Rollstuhlfahrer vor und einige sind auch mit

induktiven Höranlagen ausgestattet. Dass es aber in der Praxis für RollstuhlfahrerInnen alles

andere als angenehm sein kann, ein Kino zu besuchen, bestätigt der Erfahrungsbericht eines

Betroffenen, der unter http://www.service4u.at/frame.html?/info/VERANST.html nachzulesen

ist. Er gibt hier seine Erlebnisse in zwei Wiener Kinos wieder. Im UCI Lassallestraße führt

vom Haupteingang eine Rampe ins Innere, deren Neigung für Rollstuhlfahrer sehr

unangenehm ist. Die in allen Sälen vorhandenen Rollstuhlplätze befinden sich jeweils in den

ersten Reihen, was das Filmvergnügen angesichts der dabei entstehenden Genickstarre sehr

beeinträchtigt. Im Donauplexx/Kinopolis sieht man sich als RollstuhlfahrerIn am

Haupteingang mit 30 Stufen konfrontiert. Es gibt zwar einen Lift, doch dieser ist versperrt

bzw. angeblich funktionsuntüchtig. Das Behinderten-WC ist nicht versperrbar. Die

Rollstuhlplätze befinden sich hier auf einem separaten Balkon, wodurch eine Interaktion mit

anderen Kinobesuchern unmöglich ist.

In Innsbruck fand vor kurzem, wie http://www.rollon.at zu entnehmen, der 3.

Integrationsball statt. Er will mehr sein als ein reiner „Feier-Abend“, denn er möchte der

Begegnung von behinderten und nichtbehinderten Menschen und der Förderung des

gegenseitigen Verständnisses füreinander dienen. Während diese Veranstaltung in Österreich

eine der wenigen dieser Art ist, scheint man in Deutschland eindeutig wieder einmal weiter

zu sein. http://www.pa-te.com/article.php?sid=381&mode= thread&order=0 informiert über

die Diskothek SCREAM in Dessau, die sich einen Namen wegen ihres Engagements zur

Integration von Behinderten gemacht hat. Hier heißt es jeden ersten Dienstag im Monat:

„Disco - offen für alle“. Unter diesem Motto werden Behinderte und nicht Behinderte

eingeladen. Auch die Faschingsdisco für Behinderte des MCC blickt auf eine lange Tradition

zurück. Seit 1982 feiern Behinderte und nicht Behinderte aus Dessau und Umgebung

gemeinsam mit dem Carneval Club in Dessau die sogenannte „Fünfte Jahreszeit“.

Freak-Radio ist eine Gruppe von behinderten und nichtbehinderten Radiomachern, die

gemeinsam mit Radiosendungen für "Menschen mit besonderen Bedürfnissen" an die

Öffentlichkeit gehen. Durch möglichst viel Information bzw. die Darstellung, wie Betroffene

mit ihrer Behinderung umgehen, will man Vorurteile und Misstrauen zwischen behinderten

und nichtbehinderten Menschen abbauen. Im Unterschied zu anderen Sendungen rund um

das Thema Behinderung gestalten hier fast ausschließlich behinderte Menschen die

Sendungen. Das Programm ist auf MW 1476 zu empfangen. Gesendet wird jeden Dienstag

und Donnerstag ab 20.30 Uhr, und jeden ersten Mittwoch im Monat findet im

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Radiokulturhaus in der Wiener Argentinierstraße bei freiem Eintritt ein Radiocafé statt. Das

aktuelle Programm des Senders kann auf http://1476.orf.at nachgelesen werden.

http://www.bizeps.or.at/artikel/02/020102.html berichtet über katholische und evangelische

Gottesdienste für Gehörlose in Wien. Seit kurzem gibt es auch die Site

http://www.internetgottesdienst.at, die von einem Querschnittgelähmten gemeinsam mit

einigen Freunden ins Leben gerufen wurde. Jeden ersten Donnerstag im Monat ist im Chat

auch ein Priester anwesend.

5.4 Kunst

Kunst, egal ob Bild oder Musikstück, ist immer Ausdruck der individuellen Persönlichkeit, der

Leidenschaften, Ängste und Träume. Ein Bild zum Beispiel lädt den Betrachter zu einer Reise

ein, bei der es unwichtig ist, ob sein Schöpfer ein Handicap hat oder nicht. Kunst ist somit

eine Möglichkeit, Gefühle und Gedanken zu vermitteln, die sonst beim Blick auf die

Behinderung unter den Tisch gefallen wären.

Unter http://www.wheelit.de/community/freizeit/kreative-koepfe entsteht derzeit eine

umfassende Ausstellung von Werken behinderter Menschen. http://www.rollon.at informiert

in der Rubrik Kunst über den Kalender SEH-WEISEN 2002 der Lebenshilfe, der mit

farbenprächtigen und phantasievollen Bildern geistig behinderter Menschen ausgestattet ist.

Sehr bekannt in aller Welt ist die 1950 in Liechtenstein gegründete Vereinigung der Mund-

und Fußmalenden Künstler, die ca. 500 Mitglieder umfasst. Auf der Homepage dieser

Organisation (http://www.vdmfk.com) gibt es auch einen Online-Shop, in dem man

Kunstdrucke, Glückwunschkarten, Kalender, Mousepads und Puzzles mit Motiven dieser

Künstler erwerben und auch einen Bildschirmschoner gratis downloaden kann.

Wenig bekannt hingegen sind die Maler aus Hartheim, die in einem von Netdays-Austria

geförderten Projekt mit Schülern des Gymnasiums der Abtei Schlierbach zusammenarbeiten.

Ziel dieses Projekts ist ein gemeinsames, kreatives Arbeiten von behinderten und

nichtbehinderten Jugendlichen. Daneben soll Menschen mit Behinderung die Nutzung des

Mediums Internet ermöglicht werden. Die Künstler schaffen mit einem Graphikprogramm

Bilder und die Schüler erarbeiten zu diesen musikalische Improvisationen und

Interpretationen.

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Das Ergebnis der Arbeit ist auf http://schulen.eduhi.at/gymschlierbach/handicap/ zu

bewundern.

Auf http://www.rollon.at gibt es viele Berichte über behinderte KünstlerInnen aus allen

Sparten. So z.B. über den schwer körperbehinderten Musikproduzenten und Songwriter K.

Kianzka aus der Steiermark, der mit dem Lied "Hand in Hand" wochenlang in den Charts war

und der mit einem Benefizkonzert, an dem zahlreiche österreichische Popgrößen beteiligt

waren, bekannt wurde. Hier findet sich auch ein Bericht über die Tanzgruppe Bilderwerfer,

deren körper- und geistig behinderte Mitglieder durch ihre Beteiligung an der Eröffnung des

Wiener Opernballs eine gewisse Berühmtheit erlangten, obwohl es nicht wirklich

gerechtfertigt erscheint, in diesem Fall von Integration zu sprechen, denn dafür hätte man

sie in die Eröffnungspolonaise des Jungdamen- und Jungherren-Komitees integrieren

müssen, anstatt sie durch eine eigene Tanzeinlage letztlich wieder abzugrenzen. In Hamburg

gibt es ein breites Spektrum integrativer Freizeitgruppen, darunter eine integrative

Bauchtanzgruppe. Das Training findet hier nicht wie in zahlreichen Tanzstudios in frontaler

Reihe gegenüber einer Spiegelwand statt, sondern im Kreis, sodass alle Teilnehmer ein oder

mehrere Gegenüber haben. Außerdem wird nicht das obligate Dauerlächeln eingeübt,

sondern eine Vielzahl von Gesichtsausdrücken erprobt und bewusst gemacht (Hinz 1996).

Am Hamburger Thalia-Theater läuft seit mehreren Jahren ein integratives Theaterprojekt. Es

geht hier nicht darum, dass geistig behinderte Menschen einfach dabei sind, sondern es

werden ganz neue Formen entwickelt. Für jede Szene eines Stücks werden jeweils zwei

Fassungen einstudiert, je nachdem, ob z.B. die schwer mehrfach-behinderte Mitspielerin

schreit oder ob sie ruhig bleibt (Hinz 1996).

5.5 Urlaub und Reisen

Für die meisten Menschen ist Reisen ein Grundbedürfnis, da es eine einzigartige Möglichkeit

ist, Abwechslung in den Alltag zu bringen, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen

und vor allem neue Kulturen zu entdecken. Es ist diskriminierend, dass behinderten

Menschen ihr Recht auf Reisen durch ungenügende Zugänglichkeit der touristischen

Infrastruktur vorenthalten wird.

Auf den Informationsseiten der Gemeinde Wien http://www.info.wien.at finden sich auch

Angaben über Ferienaktionen für Kinder mit Behinderungen, die von diversen Organisationen

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wie dem Verein Wiener Jugenderholung (http://www.wiener-jugenderholung.at/), der

Kinderdrehscheibe und den Wiener Kinderfreunden, die dezidiert darauf hinweisen, dass an

ihren Fahrten auch schwerst behinderte Kinder teilnehmen können.

Unter dem Motto „Es gibt keine Hindernisse durch Behinderung“ organisiert der Sonderdienst

des Malteser Ritterordens in Wien neben diversen anderen Aktivitäten, wie Schwimmen in

behindertengerechten Schwimmbädern, Kino- und Konzertbesuchen, dem Besuch von

Museen und Ausstellungen und regelmäßigen Treffen im Kaffeehaus, Ausflüge,

Besichtigungstouren auch von nichtbehindertengerechten Sehenswürdigkeiten,

Bergwanderungen und Reisen. Informationen darüber können unter http://www.malteser.at

abgerufen werden, und auf http://www.malteser.at /MHDA/tirol.behinderten.htm findet man

unter anderem auch Erfahrungsberichte von Teilnehmern.

Eine sehr umfangreiches Urlaubsangebot ist mit Hilfe einer deutschen Suchmaschine auf

http://tourismus-suchmaschine.com erschließbar. Unter der Rubrik „Behindertengerechter

Urlaub“ findet man Angaben über behindertengerechte Unterkünfte, Behindertenfreizeiten,

Busreisen für Behinderte und Urlaub für geistig Behinderte. Die meisten dieser Angebote

beziehen sich auf Deutschland. In diesem Jahr wird z.B. für geistig Behinderte ein

„Handicapped-Erlebnisurlaub“ im südlichen Teutoburger Wald für Gruppen und alleinreisende

Personen mit geistiger und körperlicher Behinderung angeboten. Eine betreute Gruppenreise

für geistig Behinderte und Rollstuhlfahrer hat Gambia zum Ziel.

Einen Anbieter solcher Reisen gibt es auch in Österreich: das Reisekontor Swoboda GesmbH,

Neilreichgasse 113, im 10. Wiener Gemeindebezirk. Dieses Unternehmen betreibt eine

Homepage mit dem Titel „Aktion Gemeinsam Reisen“ mit der URL

http://members.chello.at/georg.freund/. Destinationen sind diverse Orte in Europa, Afrika,

Amerika und Fernost. Innerhalb Europas werden auch betreute Busreisen und betreute

Flugreisen angeboten. Die Preise, soweit überhaupt angegeben, erscheinen allerdings

unverhältnismäßig hoch. So kostet z.B. eine betreute Flugreise nach Teneriffa samt

vierzehntägigem Aufenthalt pro Person stattliche 1780.-- Euro. Für die Betreuung durch eine

mitreisende Krankenschwester werden pro 30 Minuten pflegerischer Tätigkeiten weitere

10,5.-- Euro kassiert. Der Online-Katalog dieses Veranstalters enthält auch Angebote für

Sport- und Erlebnisferien, wie einen Fahrkurs für Blinde in Finnland mit dem Rallye-Meister

Juha Kankunnen, eine Fischerwoche in Finnland für Körperbehinderte und Blinde und eine

fünftägige Handbike-Tour durch Finnland. Zu allen diesen Angeboten gibt es Preise nur auf

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Anfrage, wobei man allerdings bereits sämtliche persönliche Daten angeben muss, was als

ziemlich unreelle Vorgangsweise erscheint.

Eine sehr interessante Site im Zusammenhang mit Kultur und Reisen für Menschen mit

Behinderung findet man unter http://www.paraculture.at/. Hinter diesem Namen steht ein

europäisches Forschungsprojekt, dem es ein Anliegen ist, behinderten Menschen ein

barrierefreies Reisen und eine uneingeschränkte Teilnahme am kulturellen Gesellschaftsleben

zu ermöglichen und sie in ihrer selbstständigen Lebensführung und Mobilität zu unterstützen.

Diese Organisation überprüft vor Ort die Gegebenheiten, sammelt behindertenspezifische

Informationen und gibt diese kostenlos an alle Interessierten weiter. Untersuchungen

ergaben, dass es in den hochfrequentierten Tourismusregionen, wie z.B. in Tirol oder Wien,

zumindest ein größeres Informationsangebot vorhanden ist. Die tatsächlich für Menschen mit

Behinderung in Anspruch nehmbaren Kultur- und Reiseangebote aber sind gebietsweise nicht

ausgereift bzw. erschlossen und somit nur teilweise verfügbar. Speziell in ländlichen

Gebieten ist eine behindertengerechte Infrastruktur nur minimal bis überhaupt nicht

vorhanden. Bei der Planung und Umsetzung touristischer und kultureller Angebote muss

nicht nur auf die Wünsche des „normalen Menschen“ eingegangen werden, sondern es

müssen auch die Grundbedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden.

Dieses Projekt setzt sich außerdem zum Ziel, bei Touristikfachleuten ein Bewusstsein für die

spezifischen Bedürfnisse von behinderten Touristen zu bilden bzw. zu schärfen; es

unterstützt die Forderung behinderter Menschen nach gleicher Freiheit der Mobilität sowie

ihre Teilnahme an allen touristischen Aktivitäten in den von ihnen gewählten Destinationen.

Da Tourismusfachleute normalerweise wenig bis keine Erfahrung im Umgang mit

behinderten Menschen haben, können sie auch deren Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllen.

Paraculture bietet daher entsprechende Schulungen an, in denen die Teilnehmer

(Stadtführer, Reisebüroangestellte, gastgewerbliches und Hotelpersonal, Angestellte von

Transportunternehmen und in Fremdenverkehrsbüros) lernen sollen, ihre Vorurteile und

Hemmungen gegenüber behinderten Menschen abzubauen und sich auf diese Gäste

einzustellen. Die Kursteilnehmer werden über verschiedene Behinderungsarten informiert,

sollen das Potential und die Fähigkeiten behinderter Menschen kennen lernen und werden

darüber aufgeklärt, wie sie sich „richtig“ verhalten und „richtig“ handeln. Die Projektleiterin

ist von Beruf Sozialpädagogin und hat eine langjährige Berufserfahrung als

Behindertenpädagogin.

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5.6 Sport

Sportliche Betätigung erfüllt im Leben nichtbehinderter ebenso wie behinderter Menschen

aller Altersstufen wesentliche Funktionen: Sie dient der körperlichen Geschicklichkeit und

Fitness, ist eine Möglichkeit der Freizeitgestaltung, ermöglicht soziale Kontakte und bietet die

Gelegenheit, sich an anderen zu messen. Für behinderte Menschen ist jedoch die richtige

Auswahl der jeweiligen Sportart sehr wichtig, denn eine falsche körperliche Betätigung kann

gesundheitlich schädlich sein und z. B. bei Spastikern zusätzlich Verkrampfungen und

Fehlhaltungen fördern. Im Vergleich zu den bisher behandelten Bereichen erscheint auf dem

Sportsektor das Angebot an Möglichkeiten relativ groß zu sein, und es scheint auch, dass es

im Sport die geringsten Probleme mit einer Integration behinderter Menschen gibt. Eine

Dokumentation des Instituts für Sportwissenschaften der Universität Wien aus dem Jahr

1994 (Dinold 1995) weist in einer tabellarischen Aufstellung, nach Bundesländern getrennt,

eine Fülle von Sportvereinen und –gruppen für behinderte Menschen aus. Darunter finden

sich auch einige, die sowohl Behinderten als auch Nichtbehinderten zugänglich sind. Ziel

dieser Arbeit war es, Informationen zu sammeln, um am Institut eine Vermittlungs- und

Kooperationsstelle einzurichten. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass viele der

sportlichen Angebote unter dem Etikett „Therapie“ laufen, was bewirkt, dass sie von

manchen Betroffenen als Zwangsmaßnahme abgelehnt werden könnten. Dem möchte man

entgegenwirken und das Bewusstsein für die Wichtigkeit und Notwendigkeit von

gemeinsamem Sporttreiben oder kreativem Bewegen verstärken.

Auf der Homepage der Gemeinde Wien (http://www.wien.at) findet sich auch eine Liste der

Wiener Bäder, in der darüber informiert wird, dass der Eintritt für Behinderte ermäßigt sei.

Nähere Angaben über behindertengerechte Ausstattung finden sich jedoch nicht. In

Vorarlberg gibt es eine Initiative zur sinnvollen Freizeitgestaltung des Vereins „Rettet das

Kind“ (Homepage-URL: http://www.rettet-das-kind.at). Unter dem Motto „Splish-Splash-

Badespaß“ werden Schwimmkurse für behinderte Kinder und Jugendliche angeboten.

Das Institut KEIL (http://www.institutkeil.at/frame_zusatz.htm) bietet seit 1968 neben

Therapiegruppen, integrativem Kindergarten, integrativer Schule, Wohntraining und

speziellen Berufsausbildungen für cerebral bewegungsgestörte Kinder und Jugendliche aus

ganz Österreich auch die Möglichkeit zu sportlicher Betätigung. Es gibt hier unter anderem

Skibobkurse auf speziell adaptierten Skibobs und Reitkurse, die im Reitstall Zuckermantelhof

in Strasshof/NÖ. abgehalten werden.

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Die URL http://www.oebsv.or.at führt auf die Homepage des Österreichischen

Behindertensportverbands, der 1958 gegründet wurde. Nach langen Diskussionen wurden in

den 80er Jahren schließlich auch mentalbehinderte Sportler in den Verband eingegliedert. Da

es bislang nicht gelungen ist, dem Behindertensport in Österreich eine gesetzlich garantierte

Finanzierung zu sichern, hat der Verband mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die

Republik Österreich gewährt zwar regelmäßig Zuschüsse, die Förderung des

Behindertensports ist im Sportförderungsgesetz jedoch nicht erwähnt. Erst 1996 wurde der

Behindertensportverband von der Österreichischen Sportorganisation (BSO) offiziell

anerkannt. Im Rahmen dieses Verbandes kann eine Vielzahl von Sportarten, von

Leichtathletik über Schifahren bis Sitzvolleyball, ausgeübt werden und in einigen davon gibt

es auch Österreichische Staatsmeisterschaften.

Andere überregionale Verbände sind z.B. der Versehrtensportverband und die AFAPA

(Austrian Federation of Adapted Physical Activity). Auf http://www.rollon.at ist nachzulesen,

dass die USI am Sportinstitut der Universität Innsbruck jeden Donnerstagabend Training in

Basketball, Speedball, Hockey und Badminton durchführt, das dadurch gekennzeichnet ist,

dass hier Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam Sport betreiben. Außerdem wird hier

eine Sportwoche für Amputierte, Blinde und Sehbehinderte, Gehörlose und Hörbehinderte,

Cerebralparetiker, Mentalbehinderte und Rollstuhlfahrer im Alter von acht bis 71 Jahren, als

Gelegenheit gemeinsam Sport, Spiel und Spaß zu erleben, angeboten.

1991 wurde im Elisabethinum in Innsbruck unter dem Motto „Gemeinsam Grenzen

überwinden“ die Sportgruppe Handicap gegründet, die mittlerweile zum größten

Behindertensportverein Tirols angewachsen ist. Auf http://www.rollon.at/1freizeit/

3sport/sporthandi.html ist das breite Angebot an Sportarten abrufbar: Zu den beliebtesten

gehören neben Schwimmen, Leichtathletik und Langlaufen das Boccia. Obmann Wieser und

sein Team bemühen sich, neben dem therapeutischen Breitensport auch Wettkampfsport

anzubieten, was ihnen gelingt, wie die Teilnahme von Sportlern dieses Vereins an

Wettbewerben von den Tiroler Meisterschaften bis zu den Paralympics 1996 in Atlanta

beweist.

Der Integrative Sportverein der Caritas der Katholischen Kirche Vorarlbergs präsentiert sich

auf http://web.utanet.at/jagerinb. Er wurde 1995 als selbstständiger Sportverein für

Behinderte und Nichtbehinderte mit dem Ziel, möglichst viele Sportarten anzubieten, um es

auch möglichst vielen Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung zu ermöglichen,

ein geeignetes Angebot zu finden, gegründet. Ziel ist es außerdem, dass behinderte und

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nichtbehinderte Menschen gemeinsam Sport treiben, Spaß haben, neue Bekanntschaften

schließen, Berührungsängste abbauen, Freunde finden und miteinander die Freizeit

verbringen können. Der Sportverein der Caritas ist kein leistungsorientierter Verein, sondern

arbeitet auf Breitensportbasis. Durch die wöchentlichen Trainingsangebote bzw. die

Teilnahme an sonstigen Veranstaltungen sollen Integration und Normalisierung gefördert

werden. Die Teilnahme an regionalen, nationalen und internationalen Meisterschaften,

Feriencamps und Sport- und Erlebniswochen haben dazu beigetragen, dass sich die

Lebensqualität und das Selbstwertgefühl der Menschen mit einer Behinderung erhöht haben.

Durch eine reiche Palette an Veranstaltungen und anderen Angeboten und Präsenz in den

Medien möchte der Verein die Öffentlichkeit für die Notwendigkeit des Sports mit

Mentalbehinderten sensibilisieren. Der Verein hat seinen Sitz in Bludenz und bietet folgende

Sportarten (manche davon in Gemeinschaft mit örtlichen Vereinen) an: Schwimmen, Boccia,

Stockschießen, Floorhockey, Fußfall, Fitnesscenter, Ski nordisch und alpin, Segeln,

Leichtathletik, Tennis und Radfahren.

Die größten internationalen Wettkämpfe für behinderte Sportler sind die Paralympics und die

Special Olympics. Erstere sind für Menschen mit Körperbehinderung gedacht, an letzteren

dürfen nur geistig behinderte Menschen teilnehmen.

Seit 1960 begleiten die Paralympics die Olympischen Spiele. Was damals mit ca. 400

SportlerInnen und beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit begann, bricht heute, was

Teilnehmer- und Zuschauerzahlen angeht, die Rekorde. Das Österreichische Paralympische

Komitee betrachtet es als seine wichtigste Aufgabe, den österreichischen Athletinnen und

Athleten, die sich mit ihren Leistungen für die Spiele qualifiziert haben, die Teilnahme an

diesen Wettkämpfen auch zu ermöglichen. Das bedeutet einen ständigen Kampf um Geld,

um Respekt und Anerkennung. Dass die österreichischen Paralympics-TeilnehmerInnen, was

die Medaillenausbeute betrifft, schon oft wesentlich besser abgeschnitten haben als die

österreichischen Olympia-TeilnehmerInnen, sei hier nur am Rande erwähnt. Nähere

Informationen über die Paralympics finden sich auf der Site http://www.oepc.at. In der Zeit

von 7. bis 16. März 2002 werden in Salt Lake City 21 österreichische SportlerInnen

Österreichs Farben bei den Paralympics vertreten.

Special Olympics ist eine internationale Sportorganisation, die mehr als einer Million

Jugendlichen und Erwachsenen mit geistiger Behinderung ganzjährige Trainings- und

Wettkampfmöglichkeiten bietet. Als Ziel nennt die Organisation, die 1968 in den USA

gegründet und in unseren Breiten vor allem durch das Engagement von Arnold

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Schwarzenegger bekannt wurde, „allen Menschen mit geistiger Behinderung eine Chance zu

geben, nützliche und aktive Mitbürger zu werden, die in ihrem Lebensfeld akzeptiert und

respektiert werden.“ (http://www.specialolympics.at/) Teillnahmeberechtigt sind alle

Menschen mit Mentalbehinderung, die älter als acht Jahre sind, und die Wettkämpfe werden

in 20 Sommersportarten, wie Schwimmen, Radsport, Boccia und Segeln, und sechs

Wintersportarten, wie Langlauf, alpiner Schilauf, Stockschießen und Eiskunstlauf,

ausgetragen. Neben den Wettkämpfen findet ein sogenanntes Elternprogramm mit

Besichtigungen und dergleichen statt. Leider ist es den MedaillengewinnerInnen nicht

gestattet, ihre Titel zu verteidigen, denn aus finanziellen Gründen darf man nur einmal im

Leben an den Special Olympics teilnehmen. Den Special Olympics Eid „Lasst mich gewinnen!

Wenn ich nicht gewinnen kann, so lasst es mich wenigstens versuchen“ werden heuer

wieder einige Hundert Sportler und Sportlerinnen aus aller Welt schwören, wenn die Special

Olympics in der Zeit vom 27. Juni bis 2. Juli 2002 in Bludenz stattfinden.

5.7 Diverse andere Angebote

Diverse weitere Freizeitangebote halten in erster Linie die einzelnen Organisationen für

behinderte Menschen, aber vereinzelt auch unabhängige Institute bereit. So gibt es z.B. in

Wien die Behinderten-Tanzschule Prof. Heinz Mundstein im 16. Bezirk. „Ich bin OK“ ist eine

Kulturvereinigung behinderter und nichtbehinderter Menschen im 2. Bezirk. Hinter dem

„Theater SOB 31“ im 9. Bezirk steht der Verein zur Förderung der Kultur behinderter

Menschen. Sehr bekannt ist der „Club 21“ im 14. Bezirk, der behinderten und

nichtbehinderten Besuchern Möglichkeiten zu einer sinnvollen Freizeitgestaltung bietet. Hier

stehen Hobbyräume für kreative Arbeit mit verschiedenen Materialien, wie Holz, Metall, Stoff,

Farben oder Glas, eine Dunkelkammer, Brett- und Gesellschaftsspiele, Tischtennistische, eine

Küche für gemeinsames Kochen, ein Wiener Kaffeehaus und eine Diskothek zur Verfügung.

Das ÖIMB (Integrative Feste für Menschen mit und ohne Behinderung) verwirklicht

integrative Projekte, bei denen behinderte Menschen mit Nichtbehinderten in Form von

Festen zusammentreffen, die ca. fünfmal im Jahr stattfinden. Ziel dieser Organisation ist es,

die Lebensqualität der behinderten Menschen zu steigern, die Neugierde der

Nichtbehinderten zu wecken und Berührungsängste abzubauen, damit Tanz und Musik im

öffentlichen Rahmen auch für behinderte Menschen zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Die Möglichkeit, diesen Verein, der keinerlei öffentliche Förderungen erhält, durch Spenden

zu unterstützen, besteht auf http://oeimb.move.to. Einige Adressen von Vereinen mit

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kulturellen Angeboten für integrative Gruppen gibt es in der Dokumentation des Instituts für

Sportwissenschaften (Dinold 1995).

Die Spielothek (6, Garberstraße 20a) bietet Spielraum und Spielzeugverleih für Kinder mit

besonderen Bedürfnissen von 0-10 Jahren. Dahinter steht das Wiener Hilfswerk, ein soziales

Dienstleistungsunternehmen, das seit 1947 soziale, sozialmedizinische und

sozialpädagogische Projekte betreibt. Als zentrales Anliegen nennt diese Organisation auf

ihrer Homepage (http://www.wiener.hilfswerk.at) Hilfe zur Selbsthilfe und vorbeugende

Hilfe. Unter dem Motto „Miteinander – Hand in Hand“ bietet sie Hilfestellung für Menschen in

unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenssituationen.

Eine der Ideen von Baden-Powell, dem Gründers der Pfadfinderbewegung, war

Chancengleichheit für alle. In diesem Sinne betreuen die Österreichischen Pfadfinder derzeit

ca. 250 Behinderte in 20 Gruppen. Behinderte und nichtbehinderte Kinder und Jugendliche

gestalten hier gemeinsam aktiv ihre Freizeit, wobei unter dem Motto „So gut ich kann“ auf

die körperliche und geistige Entwicklung des Einzelnen Rücksicht genommen wird.

Informationen dazu gibt es auf http://www.ppoe.at/wir/handicap.htm.

Im Wohnhaus Rosa-Jochmann-Ring 44/1, 1120 Wien, das der Lebenshilfe Wien gehört,

leben derzeit zwölf Menschen mit geistiger Behinderung im Alter von 23 bis 66 Jahren.

Entsprechend dem Normalisierungsprinzip und der Integration in das Umfeld verbringen die

Bewohner einen Teil ihrer Freizeit in einem Genossenschaftsbau am Leberberg. Hier können

unter anderem Bildungseinrichtungen, wie die Volkshochschule und eine Bücherei, aber auch

ein Kaffeehaus und diverse andere Einrichtungen besucht werden. Besonders geschätzt

werden, laut Angabe auf http://www.lebenshilfewien.at/Familie/index.html?/DBPages/00/01/

01/35.html, die Mal- und Bastelkurse der VHS und das sonntägliche Pfarr-Café, wo sich die

Gelegenheit zur Begegnung mit vielen Familien mit Kindern bietet.

Das Internet wird heutzutage von vielen Menschen gern zur Freizeitgestaltung genutzt. So

erfreut sich z.B. das Chatten großer Beliebtheit. Es bietet vor allem jenen Menschen, die aus

welchen Gründen auch immer, ans Haus gefesselt sind, eine Möglichkeit, mit der Außenwelt

in Kontakt zu treten. Ein gewisser Vorteil ist dabei gewiss auch die Tatsache, dass man beim

Chatten seine jeweiligen Gesprächspartner nicht sieht. So wird eine Kommunikation möglich,

die im realen Leben aufgrund der Behinderung des einen und der Vorurteile des anderen

Partners in vielen Fällen undenkbar wäre und die möglicherweise sogar zum Abbau von

Ressentiments führen kann. Spezialchats für behinderte Menschen finden sich auf

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http://www.rollon.at, einem Forum in erster Linie für körperbehinderte Menschen, aber auch

auf diversen anderen Sites, wie etwa http://www.handicap-life.de/, einer generell sehr

informativen Seite, die daher auch von vielen Menschen häufig frequentiert wird.

6 Negatives und Positives

Bei dieser Fülle an Material mag der Eindruck entstehen, die Lage der Behinderten sei auf

dem Freizeitsektor ohnehin recht zufriedenstellend. Dieser Eindruck ist aber leider falsch,

denn es gibt zahlreiche Fälle, in denen behinderten Menschen nach wie vor gleiche

Möglichkeiten und Rechte verweigert werden, und vor allem geistig behinderte Menschen

stehen eindeutig im Abseits. Viele behinderte Menschen erfahren tagtäglich, vor allem auch

im Freizeitbereich, Diskriminierung, gegen die sie sich oft erst gar nicht zu wehren trauen.

Mangels behindertengerechter Verkehrsmittel sind behinderte Menschen auf

Sonderfahrtendienste, für die manchmal sogar Rettungsautos eingesetzt werden,

angewiesen. Diese Fahrtendienste stehen, abhängig von der jeweiligen Gemeinde, nur für

einige wenige Fahrten im Monat zur Verfügung, und die Fahrtwünsche müssen oft schon

mehrere Tage im Voraus bekannt gegeben werden. Im Zuge der Sparmaßnahmen auf allen

Gebieten ist es derzeit vor allem um die Freizeitfahrten sehr schlecht bestellt.

Rollstuhlfahrern ist heute teilweise noch immer die verpflichtende Mitnahme einer

Begleitperson vorgeschrieben, so z.B. bei Fahrten mit den Wiener Linien und beim Besuch

des Wiener Donauturms. Damit wird ihnen die Fähigkeit abgesprochen, allein zu

entscheiden, ob und wann sie eine Begleitperson benötigen. Auch heute werden noch immer

Transportmittel angekauft, die nicht behindertengerecht sind, so z.B. Waggons für die

Badner Bahn. Und dass die Serviceleistungen der ÖBB für behinderte Menschen gänzlich

unzufriedenstellend sind, wurde bereits an anderer Stelle dieser Arbeit besprochen.

Immer wieder kommt es vor, dass behinderte Menschen eines Lokals verwiesen oder nicht

bedient werden, weil sie „nicht in das Lokal passen“ oder weil „die anderen Gäste“ angeblich

keine behinderten Menschen sehen wollen. Auch Freizeiteinrichtungen bilden hier keine

Ausnahme, wie der Fall einer steirischen Rollstuhlfahrerin aus dem Jahr 2000 beweist. Ihr

wurde vom Besitzer der Zutritt zum Sauna- und Freizeitparadies „Kawailani“ in Frohnleiten

verwehrt mit der Begründung: „Wer sich selbst nicht einigermaßen vernünftig fortbewegen

kann, der darf nicht hinein. Wir nehmen ja auch keine Betrunkenen." (Kleine Zeitung 2.

Dezember 2000; zitiert nach: http://www.bizeps.or.at/artikel/00/001202_4.html). Und das

obwohl sich die Frau vorher telefonisch erkundigt und auch eine Pflegehelferin der Mobilen

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Hilfsdienste als Begleitung mitgebracht hatte. Das zuständige Gewerbeamt bestätigte, dass

der Unternehmer nicht gezwungen werden könne, behinderte Menschen einzulassen.

Rollstuhlfahrer werden übrigens auch in Wien ohne ersichtlichen Grund von der Teilnahme

am jährlichen Stadtmarathon ausgeschlossen. Die Tatsache, dass in vielen Geschäften und

Restaurants die Begleitperson anstelle des behinderten Menschen angesprochen wird, zeigt

ebenfalls, wie tiefgehend die Diskriminierung in den Köpfen vieler Menschen verankert ist.

Nach wie vor werden Restaurants und Kulturbetriebe eröffnet, die zum Teil sogar öffentliche

Gelder erhalten, aber keine Bestimmungen befolgen müssen, die einen barrierefreien Zugang

obligatorisch vorschreiben. Einrichtungen, die Gelder der öffentlichen Hand erhalten, müssen

aber für alle Menschen benutzbar sein, denn diese Gelder stammen ja schließlich auch von

den Betroffenen selbst. Viele Hotels geben zwar Informationen über Kinderspielplätze,

Sportmöglichkeiten und dergleichen, jedoch keinerlei Angaben über Türbreiten, Anzahl und

Höhe der Stufen oder die Zugänglichkeit der Toiletten. Es gelten noch immer Gesetze, die

die Stufen am Eingang zu Geschäften und öffentlichen Gebäuden und nicht abgesenkte

Gehsteige zulassen.

Die Gebärdensprache der gehörlosen Menschen ist in Österreich nicht als eigenständige

Sprache anerkannt, daher wird sie auch auf Veranstaltungen und in Bildungseinrichtungen

nicht angeboten. Auch der ORF versieht Nachrichten und Informationssendungen im

Fernsehen höchst selten mit Untertiteln; der Einsatz der Gebärdensprache findet nur in ganz

wenigen Sendungen statt. Tageszeitungen und ganze Bibliotheken sind für blinde und

sehbehinderte Menschen aufgrund der fehlenden spezifischen Aufbereitung nicht zugänglich,

was eine immense Benachteiligung darstellt, zumal hieraus auch erhebliche Auswirkungen

auf die Möglichkeit der Teilnahme am Leben der Gesellschaft entstehen. In Österreich wird

aber auch bei der Gestaltung von Internet-Seiten nicht Rücksicht auf die Bedürfnisse von

sehbehinderten und blinden Menschen genommen, womit ihnen der Zugang zu einer immer

stärker an Bedeutung gewinnenden Informationsquelle verwehrt wird.

Es ist nicht möglich, für behinderte Menschen Kranken- und Unfallversicherungen

abzuschließen. Einer Mutter, die ein Versicherungsbündel für ihr neugeborenes Kind

abschließen wollte, wurde von der Versicherungsgesellschaft, als diese entdeckte, dass das

Kind behindert ist, in rüdem Ton erklärt, dass es unerwünscht sei, solche Versicherungen für

behinderte Menschen abzuschließen. Auf http://www.bizeps.or. at/artikel/00/000209.html

kann man auch einen anderen Fall nachlesen: Führende Landespolitiker des Landes

Niederösterreichs empfahlen vor einiger Zeit Eltern den Abschluss einer

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Schülerunfallversicherung, die vor allem den Freizeit- und Ferienbereich sowie das

Vorschulalter abdeckt. Ein entsprechendes Empfehlungsschreiben wurde gemeinsam mit

dem Angebot und einem Erlagschein wiederholt auch an Sonderschulen verteilt. Dieser

Unfallschutz gilt jedoch nicht für Kinder mit Behinderungen. Das seit 1997 bekannte Problem

mit dem Versicherungsschutz für behinderte Menschen ist noch immer nicht gelöst.

Solange das Bild von behinderten Menschen in großem Maß von Sendungen wie „Licht ins

Dunkel“ oder „Vera“, die medial Schicksale oft sehr reißerisch und voyeuristisch präsentieren

und damit den Menschen auf seine Behinderung reduzieren, geprägt wird, wird sich in der

Einstellung und im Verhalten der Mehrheit der Bevölkerung Behinderten gegenüber kaum

etwas ändern und Berichte über behinderte Menschen, die auf der Straße angepöbelt oder

verspottet werden, werden wohl auf der Tagesordnung bleiben.

Glücklicherweise gibt es andererseits viele Fälle, in denen behinderte Menschen als

vollwertige Glieder der Gesellschaft gesehen werden und auch am Freizeitbereich den Anteil

haben, der ihnen zusteht. Stellvertretend für sie wollen wir hier zwei Beispiele anführen: das

eines jungen Mannes aus Belgien und das eines Mädchens aus Österreich.

Jacques Dumont ist ein junger Mann Anfang 20 mit Down Syndrom und lebt mit seinen

Eltern und jüngeren Brüdern in einer belgischen Großstadt. Untertags arbeitet er in einem

Büro, wo er die Adressier- und Kopiermaschine bedient, Botengänge erledigt und für seine

Kollegen, die ihn als hilfsbereiten und vertrauenswürdigen Menschen schätzen, Kaffee kocht.

Er kann öffentliche Verkehrsmittel benutzen, erledigt selbst seine persönlichen Einkäufe und

besucht allein Freunde und Verwandte. Da er in einer sehr musikalischen Familie

aufgewachsen ist, hat er Freude an Oper und Ballett und hört gern klassische Musik. Seine

Lesefähigkeiten sind zwar gering, doch er hält sich über Radio und Fernsehen über aktuelle

Ereignisse auf dem Laufenden. Jacques fährt Fahrrad, kann gut schwimmen und hat Schi

fahren gelernt. Er unternimmt allein Zug- und Flugzeugreisen und hat schön öfters Ferien

auf einem Bauernhof gemacht, wo er bei der Heuernte half und sogar Traktor fahren lernte.

Viele seiner Freizeitbeschäftigungen führt Jacques eigenständig durch: Er besucht z.B.

regelmäßig einen „normalen“ Schwimmclub. Ein anderes seiner Hobbys ist das Knüpfen von

Wollteppischen. Jacques ist ein Mensch mit beträchtlichen Behinderungen sowohl geistiger

als auch körperlicher Art, aber diese stellen in seinem Fall keine unüberwindbaren

Hindernisse für sein Leben in der Gemeinschaft dar. (Einen ausführlichen Bericht über diesen

jungen Belgier findet man auf http://www.lebenshilfewie.at/Familie/index.html?/DB/Pages/

00/01/01/35. html.)

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Die elfjährige Barbara lebt mit ihrer Familie in Innsbruck, auch sie hat Down-Syndrom. Nach

integriertem Kindergarten und integrierter Volksschule besucht Barbara nun die zweite

Klasse Hauptschule in Innsbruck, eine Integrationsklasse. Gern lädt sie gern Freunde zu sich

ein oder telefoniert mit ihnen, was sie selbstständig erledigen kann, da sie auch alle

Telefonnummern auswendig kennt. Barbara kann Briefe schreiben, lesen und im Zahlenraum

von 10 mit Hilfe von Geld oder Perlen auch rechnen. Als Lieblingsfreizeitbeschäftigungen

nennt Barbara Spiele spielen, fernsehen und sportliche Aktivitäten, wie Schi fahren, Roller

skaten, Eis laufen, schwimmen und tauchen. Barbara liebt Musik und kann viele Songtexte

auswendig. Sie spielt Flöte und musiziert gern auf diesem Instrument. Das Mädchen hat

auch eine eigene Homepage, auf der es regelmäßig über seine Aktivitäten informiert und

über die man auch Kontakt mit ihm aufnehmen kann (URL: http://www.myworld.privateweb.

at/barbara/barbara.htm)

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7 Conclusio

Freizeitgestaltung, Kulturangebote und öffentliches Leben schaffen Raum für Erholung,

Bedürfnisbefriedigung und Autonomie. Freizeit bedeutet Zeit zur freien Verfügung zu haben,

die selbstbestimmt eingeteilt und ausgefüllt werden kann. Die gleichberechtigte Teilnahme

an diesem dritten Bereich neben Wohnung und Ausbildung/Arbeit hat für Menschen mit

Behinderung die gleiche Bedeutung wie für nichtbehinderte Menschen. Die Freizeit vieler

behinderter Menschen ist gekennzeichnet durch Passivität und Einsamkeit, durch

Sonderangebote von Behindertenfreizeitclubs oder durch „tagesstrukturierende Maßnahmen“

der Sondereinrichtungen. Ursachen dafür sind einerseits der Mangel an persönlichen

Assistenzdiensten und diverse Sparkonzepte öffentlicher und privater Stellen, andererseits

ein Mangel an Freizeitaktivitäten und Gemeinschaftsformen, die Begegnungs- und

Kommunikationsmöglichkeiten für Menschen mit und ohne Behinderung schaffen. Menschen

mit Behinderung haben dieselben Freizeitinteressen wie nichtbehinderte Menschen, deshalb

sollten Freizeitangebote nicht als Sonderangebote für Menschen mit Behinderung angeboten

werden. Obwohl es bereits Bestrebungen in Richtung integrative Freizeit gibt, muss auf

diesem Gebiet noch vieles verbessert und vor allem ausgebaut werden. Derzeit wird hier zu

wenig gefördert, es wird mehr geduldet und zum Teil sogar behindert.

Aus mangelnden Begegnungs- und Kommunikationserfahrungen der sogenannten

„normalen“ Menschen mit Behinderten resultieren Diskriminierung und Ignoranz. Vor allem in

den Bereichen Freizeit und Kultur werden behinderte Menschen tagtäglich diskriminiert. Der

Aufenthalt in Cafés, Discotheken und Hotels wird nicht nur durch bauliche Bedingungen

erschwert, sondern auch durch inakzeptables Verhalten vieler Menschen ihren behinderten

Mitbürgern gegenüber. Richterliche Urteile über die Anerkennung der Minderung der

Urlaubsqualität durch die Konfrontation mit Menschen mit Behinderung sind traurige

Beispiele dieser Diskriminierung. Um die tief verwurzelten Vorurteile, deren Beseitigung

immer wieder zur entscheidenden Voraussetzung jeglicher Integrationsmaßnahmen erklärt

und deren Bestehen immer wieder zur Rechtfertigung der Ausgrenzung verwendet wird,

bedarf es einer Diskussion der gesellschaftlichen Bedingungen für ihr Ent- und Bestehen.

Eine kritische Darstellung der alltäglichen Lebensbedingung der Behinderten und ihrer Sicht

ihrer Bedürfnisse und Interessen erscheint als ein erster und notwendiger Schritt zur

Korrektur der öffentlich vorherrschenden Ideologien über Behinderte.

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8 Literaturverzeichnis

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