Montessori-Pädagogik im Regelkindergarten · Das zentrale Motto Maria Montesso-ris „Hilf mir, es...

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Maria Montessori (1870-1952) war ei- ne italienische Ärztin. Durch ihre Ar- beit kam sie mit geistig behinder- ten Kindern in Kontakt, die auf engs- tem Raum und ohne Spielzeug ihr Leben fristeten. Darüber schockiert begann sie, sich für Pädago- gik zu interessieren und ent- wickelte neue Erziehungs- methoden. Maria Montessori erkannte und war überzeugt: „Kinder brauchen nicht geformt zu werden! Sie benötigen unse- re Unterstützung für die Ent- faltung ihrer eigenen Fähigkei- ten.“ Ich arbeite als Erzieherin in einer Familiengruppe mit 17 Kinder. Ein grundlegendes Prinzip meiner Tätigkeit am Vormittag ist die Freiarbeit. Sie beträgt ca. 30 Minuten. In dieser Zeit wählen sich die Kinder entsprechend ihren Wünschen Montessorimaterialien aus und „arbeiten“ für sich oder paarwei- se auf einem kleinen, eigenen Tep- pich. Den Begriff „Arbeit“ prägte Ma- ria Montessori selbst. Sie bezeichne- te die gezielte Beschäftigung der Kin- der mit einem Sachthema als „Arbeit“, um den Ernst der Spieltätigkeit zu un- terstreichen. Das zentrale Motto Maria Montesso- ris „Hilf mir, es selbst zu tun“ und die daraus abgelteitenden 6 Grundsätze stehen dabei im Mittelpunkt meiner Tä- tigkeit. 1. Der Erzieher: Er beobachtet das Kind und gestal- tet die Umgebung nach dessen Be- dürfnissen. Er hilft, berät und beglei- tet das Kind in seiner Entwicklung. Jedes Kind ist einzigartig und indivi- duell. Meine Aufgabe ist es, wahrzu- nehmen, wo die Interessen des Kindes liegen. Ich muss den Kindern Rahmen- bedingungen schaffen, unter denen sie sich ausprobieren können. Das erfor- dert von mir die Fähigkeit, mich als Erzieherin zurückzunehmen und nicht voreilig einzugreifen. Wenn jüngere Kin- der sich beispielsweise anziehen, dau- ert dies länger. Wenn etwas beim Es- sen verschüttet wird, kann ich die Kin- der selbst den Lappen holen und auf- wischen lassen. Ich versuche damit, die Kinder nicht zu bedienen, sondern sie schrittweise zur Selbständigkeit zu erziehen. 2. Die Gruppe als Gemeinschaft: Im Kinderhaus lebt das Kind in al- tersgemischten Gruppen, in denen durch das Miteinander verschie- dener Altersstufen, Geschlechter und Charaktere sein Sozialverhal- ten geprägt wird. In meiner Familiengruppe bedeutet dies, dass größere Kinder den Klei- neren helfen, wenn sie neu in meine Gruppe kommen. Sie übernehmen pa- tenschaftlich kleine Ämter, indem sie beispielsweise den Waschraum zeigen, erklären, wo die Handtücher hängen, mit ihnen gemeinsam Tisch decken oder ihnen beim An- und Ausziehen helfen. Bei der Freiarbeit zeigen meine Er- fahrungen, dass die kleineren Kinder die Älteren in der Arbeit mit den Montessori-Materia- lien zunächst beobachten. Da- raufhin sagt ein älteres Kind beispielsweise „Komm, ich zeige dir das…“ und erklärt dem Jüngeren seine Arbeit. So lernen beide Kinder vonei- nander: das Selbstwertgefühl wird gestärkt und die soziale Kompe- tenz beider Kinder kann sich entwi- ckeln. 3. Alles zu seiner Zeit – die sensiblen Perioden: Kinder sind in einzelnen Lernpha- sen besonders empfänglich für den Erwerb bestimmter Fähigkeiten. Diese Phasen gilt es zu erkennen und zu fördern. Während der Arbeitstätigkeit wäh- len sich die Kinder ein Material aus, wofür sie gerade Interesse haben. Durch diese freie Wahl wenden sie sich dem Lerngegenstand mit hoher Aufmerksamkeit zu. Erfahrungsgemäß wählen sich die Kinder über einen län- geren Zeitraum immer wieder die glei- chen Materialien für ihre Arbeitsphase aus, bis das Interesse „gesättigt“ ist Montessori-Pädagogik im Regelkindergarten Ein Erfahrungsbericht aus einer Familiengruppe Kindertagesstätte AM KARSWALD Karswaldstraße 1 – 01477 Arnsdorf – Leiterin: Liane Lafeld Telefon: 03 52 00/2 42 94 – E-Mail: [email protected] 10 1 Klare Regeln in der Bauecke: nur wer die Karte umhängen hat, darf entscheiden, wer mitspielen kann.

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Page 1: Montessori-Pädagogik im Regelkindergarten · Das zentrale Motto Maria Montesso-ris „Hilf mir, es selbst zu tun“ und die daraus abgelteitenden 6 Grundsätze stehen dabei im Mittelpunkt

Maria Montessori (1870-1952) war ei-ne italienische Ärztin. Durch ihre Ar-beit kam sie mit geistig behinder-ten Kindern in Kontakt, die auf engs-tem Raum und ohne Spielzeug ihr Leben fristeten. Darüber schockiertbegann sie, sich für Pädago-gik zu interessieren und ent-wickelte neue Erziehungs-methoden.

Maria Montessori erkannteund war überzeugt: „Kinderbrauchen nicht geformt zuwerden! Sie benötigen unse-re Unterstützung für die Ent-faltung ihrer eigenen Fähigkei-ten.“

Ich arbeite als Erzieherin ineiner Familiengruppe mit 17Kinder. Ein grundlegendesPrinzip meiner Tätigkeit amVormittag ist die Freiarbeit. Sie beträgtca. 30 Minuten. In dieser Zeit wählensich die Kinder entsprechend ihrenWünschen Montessorimaterialien ausund „arbeiten“ für sich oder paarwei-se auf einem kleinen, eigenen Tep-pich. Den Begriff „Arbeit“ prägte Ma-ria Montessori selbst. Sie bezeichne-te die gezielte Beschäftigung der Kin-der mit einem Sachthema als „Arbeit“,um den Ernst der Spieltätigkeit zu un-terstreichen.

Das zentrale Motto Maria Montesso-ris „Hilf mir, es selbst zu tun“ und diedaraus abgelteitenden 6 Grundsätzestehen dabei im Mittelpunkt meiner Tä-tigkeit.

1. Der Erzieher:Er beobachtet das Kind und gestal-tet die Umgebung nach dessen Be-

dürfnissen. Er hilft, berät und beglei-tet das Kind in seiner Entwicklung.

Jedes Kind ist einzigartig und indivi-duell. Meine Aufgabe ist es, wahrzu-nehmen, wo die Interessen des Kindesliegen. Ich muss den Kindern Rahmen-

bedingungen schaffen, unter denen siesich ausprobieren können. Das erfor-dert von mir die Fähigkeit, mich als Erzieherin zurückzunehmen und nichtvoreilig einzugreifen. Wenn jüngere Kin-der sich beispielsweise anziehen, dau-ert dies länger. Wenn etwas beim Es-sen verschüttet wird, kann ich die Kin-der selbst den Lappen holen und auf-wischen lassen. Ich versuche damit,die Kinder nicht zu bedienen, sondernsie schrittweise zur Selbständigkeit zuerziehen.

2. Die Gruppe als Gemeinschaft: Im Kinderhaus lebt das Kind in al-tersgemischten Gruppen, in denendurch das Miteinander verschie-dener Altersstufen, Geschlechterund Charaktere sein Sozialverhal-ten geprägt wird.

In meiner Familiengruppe bedeutetdies, dass größere Kinder den Klei-neren helfen, wenn sie neu in meineGruppe kommen. Sie übernehmen pa-tenschaftlich kleine Ämter, indem siebeispielsweise den Waschraum zeigen,

erklären, wo die Handtücherhängen, mit ihnen gemeinsamTisch decken oder ihnen beimAn- und Ausziehen helfen. Beider Freiarbeit zeigen meine Er-fahrungen, dass die kleinerenKinder die Älteren in der Arbeitmit den Montessori-Materia-lien zunächst beobachten. Da-raufhin sagt ein älteres Kindbeispielsweise „Komm, ichzeige dir das…“ und erklärtdem Jüngeren seine Arbeit.So lernen beide Kinder vonei-nander: das Selbstwertgefühl

wird gestärkt und die soziale Kompe-tenz beider Kinder kann sich entwi-ckeln.

3. Alles zu seiner Zeit – die sensiblen Perioden:

Kinder sind in einzelnen Lernpha-sen besonders empfänglich für denErwerb bestimmter Fähigkeiten.Diese Phasen gilt es zu erkennenund zu fördern.

Während der Arbeitstätigkeit wäh-len sich die Kinder ein Material aus,wofür sie gerade Interesse haben.Durch diese freie Wahl wenden siesich dem Lerngegenstand mit hoherAufmerksamkeit zu. Erfahrungsgemäßwählen sich die Kinder über einen län-geren Zeitraum immer wieder die glei-chen Materialien für ihre Arbeitsphaseaus, bis das Interesse „gesättigt“ ist

Montessori-Pädagogik im Regelkindergarten Ein Erfahrungsbericht aus einer Familiengruppe

Kindertagesstätte

AM KARSWALDKarswaldstraße 1 – 01477 Arnsdorf – Leiterin: Liane Lafeld

Telefon: 03 52 00/2 42 94 – E-Mail: [email protected]

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Klare Regeln in der Bauecke: nur wer die Karte umhängen hat,darf entscheiden, wer mitspielen kann.

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sind, sich gegenseitig zu helfen. Siewollen schnell fertig werden, damit sievor der Mittagsruhe noch gemeinsamspielen oder basteln können.

Zusammenfassung: Mit der Aus-bildung zur Montessori-Pädagogin ver-änderten sich auch meine Sichtweisenauf die Kinder. Ich habe erkannt, dassin jedem Kind ein enormes Potentialsteckt, sich selbst zu entwickeln. Es istmir wichtig geworden, dafür geeigneteBedingungen in meinem Arbeitsumfeldzu schaffen. Eine gelingende Montes-soriarbeit braucht aber neben der Ver-änderung der eigenen Haltung als Er-zieher auch besondere Materialien, diesehr kostenintensiv sind. Auch die Ar-beitszeit der Kinder muss am Vormittagorganisiert werden. Aus den Rückmel-dungen der Eltern meiner Gruppe er-kenne ich jedoch auch den Gewinn derMontessoriarbeit: Kinder erarbeiten sicheine ganz eigene, besondere Selbstän-digkeit in ihrem Tun. Sie erleben den

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die geometrischen Körper, der ro-sa Turm und die braune Treppe.

Ich beobachte in meiner Arbeit, dassdie Kinder mit Hilfe ihrer Hände die Ma-terialien untersuchen und sich das Wis-sen über dieses Tun in das Bewusst-sein einprägt. Kinder lernen dadurchbeispielsweise beim „Wasserschütten“Mengenverhältnisse zu erfassen. Aufeinem Tablett stehen dafür verschiedendicke, dünne, hohe und niedrige Gefä-ße zur Verfügung. Das Umfüllen schultzudem Aufmerksamkeit und Koordina-tionsfähigkeit.

6. Freiheit und Disziplin:Freiheit bedeutet nicht, alles zu-zulassen, was das Kind will. Frei-heit ist verbunden mit Ordnungund Disziplin. So findet das Kindeinen Rahmen, innerhalb dessenes sich verwirklichen kann. EinLeben in Gemeinschaft ist nurdann möglich, wenn sich jeder anRegeln hält.

und ein neuer Sachverhalt erschlos-sen werden kann. Manche Kinder ent-wickeln dabei zunächst ein besonde-res Interesse für Zahlen, andere eherfür Buchstaben. Ich als Erzieherin un-terstütze unentschlossene Kinder, in-dem ich Materialien vorstelle und ih-nen bei der Auswahl behilflich bin.

4. Die vorbereitete Umgebung:Das Kinderhaus soll ein Ort sein,wo sich das Kind wohl fühlt undGeborgenheit findet. Die Umge-bung im Kinderhaus ist so gestal-tet, daß das Kind die Möglichkeithat, selbständig zu handeln undsich damit geistig und körperlichfrei zu entwickeln.

Für die Ausgestaltung meines Grup-penzimmers bedeutet dies: alle Dingesind so angeordnet, dass die Kindersich selbst bedienen und sich die Ma-terialien ihren Wünschen entsprechendauswählen können. Die Materialien sinddabei themenweise in offenen, niedri-

gen Schränken untergebracht. Auf ei-ner Seite befinden sich beispielsweisedie Sinnesmaterialien, in einem ande-ren Teil des Zimmers die Materialien zurMathematik. Mein Gruppenraum solldamit ein pädagogisch gestalteter Le-bens-, Lern- und Entwicklungsraum zurfreien Entfaltung der Persönlichkeit derKinder sein.

5. Die Sinneserziehung:„Was nicht in den Sinnen war, kannnicht in den Verstand gelangen.“Maria Montessori entwickelte wäh-rend ihrer Tätigkeit spezielle Ma-terialien, welche die unterschiedli-chen Sinne des Kindes ansprechen.Diese wecken die Neugier des Kin-des und leiten zum selbständigenHandeln an. Typische Montessori-Materialien sind die Einsatzzylinder,

Im Alltag meiner Montessori-Grup-pe äußert sich dies so: Jeder wählt sei-nen Arbeitsplatz selbständig. Jederkann aber auch entscheiden, ob er ge-meinsam mit einem anderen Kind ar-beiten möchte. Jedes Material ist nureinmal vorhanden. Kinder müssen al-so auch warten, bis Materialien freiwerden oder ggf. Absprachen treffen.Eine Regel besagt, dass es für diePuppen- und Bauecke jeweils vierSchilder gibt. Kinder, die dort spielenmöchten, holen sich eines der Schil-der. Sind alle Schilder vergeben, müs-sen sich neu dazukommende Kindermit den Spielenden absprechen.

Nach dem Mittagessen gehen dieKinder selbständig zum Waschen, Zäh-neputzen und Ausziehen. Ich beobach-te häufig, dass einige Kinder bestrebt

Zusammenhalt einer Gruppe und erler-nen die Fähigkeiten, die es für ein ge-lingendes Miteinander einzubringen gilt.In meinem Beruf als Erzieherin kann ichauf 36 Jahre Erfahrung zurückblicken.Auch heute erfüllt mich diese Tätigkeit,ich gehe jeden Tag gern zur Arbeit. Dieneun letzten Jahre der Montessoriarbeitwaren dabei eine sehr gewinnbringen-de Zeit für mich. Ute Förster,

Erzieherin/Montessoripädagogin

vgl. Montessori, Maria; Eckstein, Percy;

Weber, Ullrich (2010): Kinder sind anders.

Klett-Cotta, Stuttgart 2 vgl. Montessori, Maria; Oswald, Paul;

Schulz-Benesch, Günter (2010):

Grundgedanken der Montessori-Päda-

gogik: Aus Maria Montessoris Schrifttum

und Wirkungskreis. Herder, Freiburg

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Farbige Perlentreppe

Hunderterbrett Trinomischer Würfel Streifenbrett zur Addition

Römische Brücke Rosa Turm Binomischer Würfel

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