Musterlösung: Schiller „Die Räuber“ (II, 2) · PDF...

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Page 1: Musterlösung: Schiller „Die Räuber“ (II, 2) · PDF fileErschließung eines dramatischen Textes Jgst. 10 © digitale-schule-bayern.de Melanie Nierla hingebe. Als Beweis zeigt

Erschließung eines dramatischen Textes

Jgst. 10

© digitale-schule-bayern.de

Melanie Nierla

Musterlösung: Schiller „Die Räuber“ (II, 2) In dem vorliegenden Textauszug erhält Maximilian von Moor die Nachricht vom vermeintlichen Tod seines Sohnes Karl. Dies ist ein Teil von Franz´ Intrige gegen seinen verhassten Bruder. Franz von Moor, von Geburt an hässlich und ungeliebt, neidet dem älteren Karl die Liebe des Vaters und die Aussicht auf das Erbe. Er beschließt, einen Keil zwischen Maximilian von Moor und dessen Erstgeborenen zu treiben und legt dem Vater einen fingierten Brief vor, in dem von großen Schandtaten Karls die Rede ist. Der leichtgläubige Vater verstößt daraufhin seinen Ältesten, der sich in Leipzig aufhält, wobei Franz die Nachricht erneut in seinem Sinn manipuliert und Karl keine Hoffnung auf Versöhnung lässt. Da Franz selbst nun das väterliche Erbe antreten wird, beschließt er, das Ableben des alten Moor durch eine List zu beschleunigen. An dieser Stelle setzt der vorliegende Textauszug ein. Zu Beginn betritt Hermann als Bote und mit verstellter Stimme (Regieanweisung S. 40, Z. 13) das Zimmer. Er wendet sich direkt an den alten Moor (S. 40, Z. 13), um sich dessen Aufmerksamkeit zu vergewissern, und gibt vor, von dessen Sohn Karl zu berichten. Vom Alten ermuntert („Du weißt von meinem Sohn?“ S. 40, Z. 22) beginnt er zu erzählen, er habe Karl in Leipzig kennen gelernt. Dieser sei verarmt gewesen („mit unbedecktem Haupt, barfuß“ S. 40, Z. 25) und habe sich beim Ausbruch des Preußisch-Österreichischen Kriegs den Truppen angeschlossen. Dort habe Karl auch verlauten lassen, er „hab(e) keinen Vater mehr“ (S. 40, Z. 31f.). Damit macht Hermann indirekt dem alten Moor Vorwürfe, an dem Zerwürfnis mit Karl die Schuld zu tragen. Der alte Moor reagiert auf diese Nachricht wie von Franz erwartet voll Schuldgefühle und mit Scham, denn er „verhüllt sein Haupt in das Kissen“ (Regieanweisung S. 40, Z. 39). Hermann berichtet weiter, dass Karl kurze Zeit später als Fahnenträger ehrenvoll in der Schlacht bei Prag gefallen sei. Er spart bei seinen Ausführungen nicht an Übertreibungen („Er tat Wunder“ S. 40, Z. 1) und Übertreibungen. Er berichtet z.B. „fünf Regimenter mussten neben [Karl] wechseln, er stand. Feuerkugeln fielen rechts und links, Euer Sohn stand“ (S. 41, Z. 1ff.). Amalia reagiert auf diese Äußerungen mit „Entzückung“ (Regieanweisung S. 41), während der alte Moor sprachlos verharrt. Nun mischt sich Franz in das Gespräch ein, um die Wirkung des Gehörten bei seinem Vater zu verstärken. Er spielt die Rolle des erschütterten Bruders und klagt Hermann an, dass dieser implizite Vorwurf dem Vater den „Todesstoß“ (S. 41, Z. 18) geben müsse. Damit macht er zugleich deutlich, dass auch er den alten Moor für den vermeintlichen Tod Karls verantwortlich macht. Hermann treibt die List anschließend auf die Spitze, indem er ein blutiges Schwert als Beweis für seine Nachricht vorzeigt und dabei erläutert, Karl habe als letzte Botschaft an den Vater ausrichten lassen, dass der väterliche Fluch ihn in Verzweiflung und Tod getrieben hätten (S. 41, Z. 28f.). Der alte Moor reagiert nun äußerst impulsiv und zeigt tiefe Erschütterung. Die Regieanweisung (S. 41, S. 27) beschreibt ihn als „grässlich schreiend, sich die Haare ausraufend“. Er glaubt einfältig den erfundenen Ausführungen Hermanns. Auch Franz geht nun zum erneuten Angriff über und macht seinen Vater direkt für den Tod Karls verantwortlich („Was habt Ihr gemacht, Vater?“ S. 41, Z. 30f.). Da der alte Moor aber schweigt, machen sich Hermann und Franz daran, Amalia davon zu überzeugen, dass es Karls letzter Wille gewesen sei, dass sie sich nun Franz

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Erschließung eines dramatischen Textes

Jgst. 10

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Melanie Nierla

hingebe. Als Beweis zeigt Hermann ein Bildnis Amalias, das Karl bei sich getragen hatte. Amalia hegt im Gegensatz zum alten Moor aber Zweifel („Feiler, bestochener Betrüger!“ S. 41, S. 38f.). Plötzlich mischt sich der alte Moor zunächst „schreiend, sein Gesicht zerfleischend“ (Regieanweisung S. 42, Z. 3), dann „lallend“ (Regieanweisung S. 42, Z. 9) in das Gespräch ein und wiederholt zweimal den Vorwurf, er selbst sei Schuld an Karls Tod. Auffällig dabei ist, dass er weniger Karls Tod betrauert als seine eigene Verantwortung daran. Dass der Dialog mittlerweile eine Wendung genommen hat, bemerkt er nicht. Er ist so in seinen Schuldgefühlen und seinem Selbstmitleid gefangen, dass er nicht mehr adäquat reagieren kann. Franz` List, das Ableben seines Vaters zu beschleunigen, indem er in diesem Gefühle von Reue und Scham evoziert, ist aufgegangen. Der alte Moor glaubt leichtgläubig und einfältig den Ausführungen Hermanns, obwohl diese vor Übertreibungen und Unglaubwürdigkeiten strotzen. Die Nachricht vom vermeintlichen Tod Karls treibt ihn in die Handlungsunfähigkeit. Am Ende ist er kommunikationsunfähig und dem Wahnsinn nahe. Die Wandlung vom zunächst noch agierenden zum handlungsunfähigen Vater zeigt sich auch in der sprachlichen Darstellung. Beim Empfang des falschen Boten beherrschen Imperative die Satzstruktur („Tritt her...schone mein nicht! Reicht ihm einen Becher Wein!“ S. 40, Z. 11f.). Im Anschluss versucht er das Gespräch mit Fragen („Woher weißt du das?“ S. 40, Z. 18; „Du weißt von meinem Sohn?“ S. 40, Z. 22) zu beschleunigen. Nach der Todesbotschaft ist die Satzstruktur aufgebrochen, Ellipsen und Ausrufe herrschen nun vor („Stille, o stille!“ S. 40, Z. 39f.; „Wehe, wehe!“ S. 42, Z. 3). Seine letzten drei Äußerungen bestehen nur noch aus der fast wörtlichen, elliptischen Wiederholung der Botschaft Hermanns: „Mein Fluch ihn gejagt in den Tod! gefallen in Verzweiflung!“ (S. 41, 28f; S. 42, 4f. und 9f.) Maximilian von Moor findet keine eigenen Worte mehr, um seinen Schmerz Ausdruck zu verleihen. Die Botschaft hat ihn schwer erschüttert und sich tief in seinem Inneren eingeprägt.