Nachbarschutz im Bauordnungsrecht - bbik.de · Konflikte vorhabenbezogen •Baugenehmigung...

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Nachbarschutz im Bauordnungsrecht 1

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Nachbarschutz im Bauordnungsrecht

1

1. Teil

Systematik

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Nachbarschutz

öffentlich-rechtlich

•BbgBO

•BauGB

•BImSchG

privat-rechtlich

•BbgNRG

•BGB

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Beziehungen

Über-/Unterordnung

(Öffentliches Recht)

uBAB

Nachbar

Gleichgeordnet

(Zivilrecht)

NB NB

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Konflikte

vorhabenbezogen

• Baugenehmigung

• Baurechtsverstoß

nutzungsbedingt

• Immissionen (Licht, Lärm, Gerüche)

persönlich

• Nachbarstreit

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Nachbarschutz

Baugenehmigungsverfahren

• Prüfung der planungsrechtlichen Zulässigkeit

• Prüfung der Anforderungen nach der BauO – Standsicherheit

– Brandschutz

– Abstandsflächen

• andere öffentlich-rechtliche Vorschriften

Genehmigungsfreie Vorhaben

• Keine präventive Prüfung

• Bauherr ist für die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften verantwortlich

aber

• bei Verstoß: repressive Maßnahmen möglich > (Ordnungsverfügung)

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Bauordnung

• Technische Vorschriften zur Bauausführung

• Verfahrensvorschriften

• Bauwerksicherheit (Gefahrenabwehr)

– Standsicherheit

– Brandschutz

• Abstandsflächenrecht

• Barrierefreiheit

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2. Teil

Verfahrensrecht

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Nachbar i. S. d. BbgBO

• Nachbarn sind die Eigentümer oder Erbbauberechtigten der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke. (§ 64 Abs. 1 BbgBO)

– formeller Nachbarbegriff > Verfahrensbeteiligung

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Nachbarbeteiligung

• Vor der Zulassung von Abweichungen (BauO) und vor der Erteilung von Befreiungen (BauGB), die öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berühren können, hat die Bauaufsichtsbehörde die betroffenen Nachbarn von dem Vorhaben zu benachrichtigen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen zu geben.

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Nachbarbeteiligung

• Die Benachrichtigung entfällt, wenn der Nachbar dem Vorhaben, der Zulassung der Abweichung oder der Erteilung der Befreiung schriftlich zugestimmt oder die Zustimmung bereits schriftlich gegenüber der Bauaufsichtsbehörde verweigert hat. (§ 64 Abs. 3 BbgBO)

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Verfahrensrechte des Nachbarn

• Der Nachbar hat das Recht, die vom Bauherrn eingereichten Bauvorlagen bei der Bauaufsichtsbehörde einzusehen. (§ 64 Abs. 4 BbgBO)

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Rechtsbehelf

• Baugenehmigung Nachbarn nicht zugestellt

• ohne oder

• mit unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung >

• Jahresfrist zur Einlegung des Widerspruchs (§§ 70 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO) von dem Zeitpunkt an, in dem er sichere Kenntnis von der Erteilung der BG erlangt hat oder hätte erlangen können (Baubeginn!)

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Prozessrecht

• Werden drittschützende Normen durch die Bauaufsichtsbehörde bei Erteilung einer Baugenehmigung nicht oder fehlerhaft angewandt, so kann der Nachbar die Baugenehmigung anfechten (§ 42 Abs. 1, Abs. 2, 113 Abs. 1 VwGO).

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3. Teil

Materielles Recht

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§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BbgBO Allgemeine Anforderungen

• Bauliche Anlagen, andere Anlagen und Einrichtungen sowie ihre Teile sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und Eigentum, nicht gefährdet werden.

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§ 6 Abs. 1 Satz 1 BbgBO Abstandsflächen

• Vor den Außenwänden von Gebäuden sind Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten.

• Schutzziele:

– Belichtung

– Belüftung

– Sozialabstand

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§ 11 Abs. 1 BbgBO Standsicherheit

• Jede bauliche Anlage muss standsicher sein.

• Die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und anderer Anlagen und Einrichtungen sowie die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks dürfen nicht gefährdet werden.

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§ 13 Abs. 3 BbgBO Schallschutz

• Erschütterungen, Schwingungen oder Geräusche, die von ortsfesten Anlagen oder Einrichtungen in baulichen Anlagen oder auf Grundstücken ausgehen, sind so zu dämmen, dass Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen.

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§ 26 Abs. 2 Nr. 1 BbgBO Brandwände

• Brandwände sind herzustellen als Grenzwand (§§ 16 bis 19 des Brandenburgischen Nachbarrechtsgesetzes) zum Abschluss von Gebäuden an der Grenze zu Nachbargrundstücken

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Drittschützende Normen der BauO

• Abwehrrecht des Nachbarn gg. Vorhaben des Bauherrn setzt voraus, dass das Vorhaben materiell gg. eine öffentlich-rechtliche Vorschrift verstößt, die neben Gemeinwohlinteressen zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist

• > subjektiv-öffentliche Rechte

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Rechtsverletzung des Nachbarn

• „Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.“ (§ 42 Abs. 2 VwGO)

• „soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist…“ (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)

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Rechtsprechung

• OVG Berlin Brandenburg hat Drittschutz z. B. bejaht für:

– Abstandsflächenrecht

– Standsicherheit

– Brandschutz

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4. Teil

Abstandsflächenrecht

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Bauvorhaben an der Grenze

Beschluss OVG 2 S 60.13

vorgehend VG Potsdam, Az: 4 L 279/13

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§ 6 Abs. 1 BbgBO Abstandsflächen

• Eine Abstandsfläche ist nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude an die Grundstücksgrenze gebaut werden muss oder darf.

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Beschluss OVG 2 S 60.13

• Das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht verletzt. Das Vorhaben erweist sich gegenüber der Antragstellerin nicht als rücksichtslos.

• VG und OVG erkennen, dass es normalen städtebaulichen Verhältnissen entspricht, dass bei einer planungsrechtlichen Situation, die einen Grenzanbau zulässt, tatsächlich an der Grenze gebaut wird.

• Nachbareigentümer kann nicht erwarten, dass der Bauherr von der Ausnutzung seines Grundstücks absieht und einen Abstand einhält, der durch die örtlichen Gegebenheiten nicht vorgegeben ist.

• VG und OVG sehen keine erdrückende Wirkung durch das Bauvorhaben, die das Gefühl vermittelt, eingemauert zu sein bzw. in einem Gefängnishof zu sein.

Beschluss OVG 2 S 60.13

• Drittschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften werden durch die Baugenehmigung nicht verletzt.

• Die Voraussetzungen, unter denen eine grenzständige bauliche Anlage nach § 6 Abs.1 Satz 2 BbgBO eine Abstandsfläche nicht einhalten müssen, sind erfüllt.

• Nach § 6 Abs.1 Satz 2 BbgBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an der Grundstücksgrenze errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude an der Grundstücksgrenze gebaut werden muss oder darf.

• Sowohl das Verwaltungsgericht Potsdam wie auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sehen die vier genehmigten Stadtwohnhäuser in Reihenbauweise nach § 6 Abs.1 Satz 2 BbgBO als planungsrechtlich grenzständig zulässig an, weil sich das Bauvorhaben nach § 34 Abs.1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.

§ 6 Abs. 10 Satz 1 BbgBO

• Garagen und Nebengebäude ohne Aufenthaltsräume und mit nicht mehr als 3 m Gebäudehöhe dürfen ohne Abstandsflächen auch unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet werden (Grenzbebauung).

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VG Frankfurt (Oder) Beschl. vom 30.09.2014 7 L 297/14:

„Schon der Wortlaut von § 6 Absatz 10 Satz 1 BbgBO steht einer erweiternden Auslegung in dem Sinne, dass nur die innerhalb des Bereichs von bis zu 3 m Abstand zur Nachbargrenze erreichte Gebäudehöhe maßgeblich sei, entgegen.“

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§ 6 Abs. 10 Satz 2 BbgBO

• Die entlang der Grundstücksgrenzen errichteten Außenwände dürfen insgesamt eine Länge von 15 m und entlang einer Grundstücksgrenze eine Länge von 9 m nicht überschreiten.

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Einhaltung der Maße

• Zu addieren sind die Längen aller Grenzgaragen und Grenznebengebäuden auf dem Grundstück.

• Auf den Zeitpunkt des Entstehens der Grenzgebäude kommt es nicht an.

• Ist das Grenzgebäude an ein Hauptgebäude angebaut, wird nur die Länge des Grenzgebäudes angerechnet.

• Andere Gebäude als Grenzgaragen und Grenznebengebäude bleiben bei der Berechnung außer Betracht, auch wenn eine Außenwand auf der Grenze steht

(vgl. Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Förster zu § 6 Rn. 177)

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Dachüberstand

• Mit der Länge der privilegierten Grenzbebauung von 9 m an einer und insgesamt 15 m an allen Grundstücksgrenzen ist das Höchstmaß der nachbarlichen Belastung festgelegt. Das bedeutet, dass bei diesen baulichen Anlagen (Garagen, Carports, Abstellräume) immer die Gesamtlänge der Bebauung einschließlich etwaiger Dachüberstände zu messen ist.

• Außenwandlänge bemisst sich nach dem Dach (fingierte Außenwand)

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Luft-Wärme-Pumpe

VG Frankfurt (Oder) Urt. VG 7 K 346/10

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• Baugenehmigung für ein EFH schließt die Errichtung und den Betrieb einer Luftwärmepumpe ein. Vorbelastung durch bereits genehmigte LWP. Nachbar fühlt sich durch die Geräusche belästigt.

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VG Frankfurt (Oder) Urt. VG 7 K 346/10

• BG – ohne Nebenbestimmungen - verstößt zu Lasten der Klägerin gegen das Rücksichtnahmegebot

• Keine ausreichende Lärmbelastungsprognose

• BG stellt nicht ausreichend sicher, dass die Klägerin vom Betrieb der Pumpe nicht rücksichtslos beeinträchtigt wird

• Maßstab für Rücksichtslosigkeit ergibt sich aus dem Immissionsschutzrecht

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Immissionsschutzrecht

• Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass … erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG)

• Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG)

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Immissionsschutzrecht

• Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. (§ 3 Abs. 1 BImSchG)

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Immissionsschutzrecht

• Immissionen im Sinne dieses Gesetzes sind auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen. (§ 3 Abs. 2 BImSchG)

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Konkretisierung

• 6. VV zum BImSchG = Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)

z. B. im WA:

55 dB (A) tags

40 dB (A) nachts

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Regeln des baurechtlichen Nachbarschutzes

• Ein Bauvorhaben, dass gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt, verletzt den Nachbarschutz.

• Eine öffentlich-rechtliche Norm ist nachbar-/drittschützend, wenn sie (auch) ein subjektives Recht gewährt.

• Die Beachtung drittschützender Normen indiziert die Einhaltung des Rücksichtnahmegebots.

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Grenzen des Rücksichtnahmegebots

• Das Gebot der Rücksichtnahme gilt nicht einseitig, d. h. nur aus der Perspektive des Nachbarn, sondern es gilt wechselseitig zwischen Bauherrn und Nachbarn.

• Rechtsmissbrauch: Nachbar kann nicht die Einhaltung einer nachbarschützenden Norm verlangen, die er selbst auf seinem Grundstück verletzt.

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5. Teil

Präventiver Nachbarschutz

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Präventiver Nachbarschutz?

• Ein Nachbar befürchtet durch eine Baugenehmigung für ein Vorhaben mit einer Festbrennstoffanlage könnte die später beabsichtigte Bebaubarkeit seines Grundstücks eingeschränkt werden.

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„Schornsteinkreis“

• Die Austrittsöffnung von Schornsteinen bei Feuerungsanlagen für feste Brennstoffe, die ab dem 22. März 2010 errichtet oder wesentlich geändert werden, müssen bei Feuerungsanlagen mit einer Gesamtwärmeleistung bis 50 Kilowatt in einem Umkreis von 15 Metern die Oberkanten von Lüftungsöffnungen, Fenstern oder Türen um mindestens 1 Meter überragen; der Umkreis vergrößert sich um 2 Meter je weitere angefangene 50 Kilowatt bis auf höchstens 40 Meter. (1. BImSchV, § 19 Abs. 1 Nr. 2)

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OVG Hamburg - Beschl. 2 Bs 177/11

• Ein Anlagenbetreiber kann im Hinblick auf den Schutz der Nachbarschaft grundsätzlich auch nachträglich zur Erhöhung seines Schornsteins verpflichtet werden, ohne dass die Rücknahme oder der Widerruf der erteilten Baugenehmigung erforderlich ist (BVerwG, Beschl. v. 9.3.1988, DÖV 1988, 560).

• Denn § 22 BImSchG gebietet dem Betreiber einer Anlage diese auf Dauer an die Immissionsvermeidungs und –minderungspflichten anzupassen; die Betreiberpflichten sind dynamisch.

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Präventiver Nachbarschutz

• Die Bedenken des Nachbarn sind nicht hinderlich für die Erteilung der Baugenehmigung. Der Betreiber der Anlage unterliegt gemäß § 22 BImSchG einer dauerhaften Anpassungspflicht.

• In der BG sollte ein Hinweis auf die Anpassungspflicht gegeben werden.

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Wärmedämmung an Außenfassaden

• Mit der 2. Änderung des Nachbarrechtsgesetztes Brandenburg vom 3. Juni 2014 wurde die Duldung der Überbauung durch Wärmedämmung in § 19 a BbgNRG eingefügt und näher geregelt.

• Bei Bemessung der Abstandsflächen werden nachträglich angebrachte WDVS nicht berücksichtigt (§ 6 Abs. 7 Nr. 4 BbgBO).

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