Nachruf auf Karl-Heinz Hellwege

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fürchtete das Eindringen politisch motivierter Gruppeninteressen in die traditionell sachliche akademi- sche Diskussion, was seinem Natu- rell völlig widersprach, und zog sich aus der Selbstverwaltung vor- sichtig zurück. Nach seiner Emeri- tierung 1976 hat sich Professor Hellwege zusammen mit seiner Frau, Dr. Anne Marie, ganz der Weiterführung des „Landolt-Börn- stein“ gewidmet. Dieses große viel- bändige Sammelwerk physikali- scher Daten gestattete es ihm, über die Zeit der aktiven Forschungs- tätigkeit hinaus viele Jahre leben- digen Kontakt zur Physik und zu Kollegen in aller Welt zu halten. Durch seinen aufrechten Charakter und sein unerbittliches Hinterfra- gen physikalischer Zusammenhänge war er uns allen, Kollegen wie Schülern, stets ein Vorbild als Mensch und Naturwissenschaftler. Trotz seiner langen Jahre in Darmstadt blieb Herr Hellwege, in Bremerhaven geboren, in seiner tie- fen Seele der „Waterkant“ verbun- den, was ihn wohl auch dazu be- wog, sich eine Seebestattung zu wünschen. Johann Heber Physikalische Blätter 55 (1999) Nr. 9 70 Menschen Nachruf auf Karl-Heinz Hellwege Am 12. April 1999 verstarb Profes- sor Dr. phil. Karl-Heinz Hellwege im Alter von 89 Jahren. Professor Hellwege wurde im Jahr 1952 als Nachfolger von Professor Vieweg als Leiter des Instituts für Techni- sche Physik an die TH Darmstadt berufen. Von 1955 bis 1968 war er außerdem Leiter des Deutschen Kunststoff-Instituts. Sein Studium begann Professor Hellwege in den Wirren der Wirt- schaftskrise in Göttingen. Er pro- movierte bei Professor R.W. Pohl und habilitierte sich 1938 bei Pro- fessor G. Joos. Nach langer Unter- brechung durch den Krieg wurde er 1950 zum außerplanmäßigen Pro- fessor an der Universität Göttingen ernannt, bevor er den Ruf nach Darmstadt erhielt. Schon in jungen Jahren interes- sierten sich Herr Hellwege und sei- ne Frau, ebenfalls Physikerin, für die linienförmigen, atomartigen op- tischen Spektren der Seltenen Er- den in Kristallen. Die Analyse der Spektren erlaubte ihm, wesentliche Rückschlüsse über die elektroni- schen Eigenschaften der Seltenen Erden zu ziehen und vor allem die dominierende Rolle der Kristall- symmetrie aufzuzeigen. Nach diesen ersten Pionierarbei- ten entwickelte sich das Interesse für die Seltenen Erden weltweit fast lawinenartig. Es gibt heute kaum ei- ne Zeitschrift über Festkörperphysik oder Chemie, in der man keine Ar- beiten über Seltene Erden findet. Auch in die Anwendung haben sie breiten Eingang gefunden. Sie be- gegnen uns in Festkörperlasern, in magnetischen Materialien, in den Leuchtstoffen von Lampen und Bildschirmen, in der medizinischen Diagnostik und auf anderen Gebie- ten. Die Verdienste Herrn Hellweges in der Spektroskopie der Seltenen Erden haben wesentlich dazu beige- tragen, daß 1970 an der TH Darm- stadt und der Universität Frankfurt der gemeinsame Sonderforschungs- bereich „Festkörperspektroskopie“ eingerichtet werden konnte, einer der am längsten währenden Son- derforschungsbereiche der Deut- schen Forschungsgemeinschaft. Im Deutschen Kunststoff-Institut sah Herr Hellwege seine Aufgabe vor allem darin, auch auf die bis dahin von den Physikern stiefmüt- terlich behandelten Kunststoffe das an Kristallen erarbeitete Rüstzeug der Festkörperphysik anzuwenden. Heute sind diese Methoden aus der Kunststoffphysik und auch -chemie nicht mehr wegzudenken. Der einsetztenden Überpolitisie- rung der Hochschulen zu Ende sei- ner aktiven Zeit stand Herr Hellwe- ge sehr kritisch gegenüber. Er be- Prof. Dr. Johann Heber, Institut für Festkörperphysik, Technische Univer- sität Darmstadt Menschen Karl-Heinz Hellwege

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fürchtete das Eindringen politischmotivierter Gruppeninteressen indie traditionell sachliche akademi-sche Diskussion, was seinem Natu-rell völlig widersprach, und zogsich aus der Selbstverwaltung vor-sichtig zurück. Nach seiner Emeri-tierung 1976 hat sich ProfessorHellwege zusammen mit seinerFrau, Dr. Anne Marie, ganz derWeiterführung des „Landolt-Börn-stein“ gewidmet. Dieses große viel-bändige Sammelwerk physikali-scher Daten gestattete es ihm, überdie Zeit der aktiven Forschungs-tätigkeit hinaus viele Jahre leben-digen Kontakt zur Physik und zuKollegen in aller Welt zu halten.Durch seinen aufrechten Charakterund sein unerbittliches Hinterfra-gen physikalischer Zusammenhängewar er uns allen, Kollegen wieSchülern, stets ein Vorbild alsMensch und Naturwissenschaftler.

Trotz seiner langen Jahre inDarmstadt blieb Herr Hellwege, inBremerhaven geboren, in seiner tie-fen Seele der „Waterkant“ verbun-den, was ihn wohl auch dazu be-wog, sich eine Seebestattung zuwünschen.

Johann Heber

Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 970

Menschen

Nachruf auf Karl-Heinz HellwegeAm 12. April 1999 verstarb Profes-sor Dr. phil. Karl-Heinz Hellwegeim Alter von 89 Jahren. ProfessorHellwege wurde im Jahr 1952 alsNachfolger von Professor Viewegals Leiter des Instituts für Techni-sche Physik an die TH Darmstadtberufen. Von 1955 bis 1968 war eraußerdem Leiter des DeutschenKunststoff-Instituts.

Sein Studium begann ProfessorHellwege in den Wirren der Wirt-schaftskrise in Göttingen. Er pro-movierte bei Professor R.W. Pohlund habilitierte sich 1938 bei Pro-fessor G. Joos. Nach langer Unter-brechung durch den Krieg wurde er1950 zum außerplanmäßigen Pro-fessor an der Universität Göttingenernannt, bevor er den Ruf nachDarmstadt erhielt.

Schon in jungen Jahren interes-sierten sich Herr Hellwege und sei-ne Frau, ebenfalls Physikerin, fürdie linienförmigen, atomartigen op-tischen Spektren der Seltenen Er-den in Kristallen. Die Analyse derSpektren erlaubte ihm, wesentlicheRückschlüsse über die elektroni-schen Eigenschaften der SeltenenErden zu ziehen und vor allem diedominierende Rolle der Kristall-symmetrie aufzuzeigen.

Nach diesen ersten Pionierarbei-ten entwickelte sich das Interesse

für die Seltenen Erden weltweit fastlawinenartig. Es gibt heute kaum ei-ne Zeitschrift über Festkörperphysikoder Chemie, in der man keine Ar-beiten über Seltene Erden findet.Auch in die Anwendung haben siebreiten Eingang gefunden. Sie be-gegnen uns in Festkörperlasern, inmagnetischen Materialien, in denLeuchtstoffen von Lampen undBildschirmen, in der medizinischenDiagnostik und auf anderen Gebie-ten.

Die Verdienste Herrn Hellwegesin der Spektroskopie der SeltenenErden haben wesentlich dazu beige-tragen, daß 1970 an der TH Darm-stadt und der Universität Frankfurtder gemeinsame Sonderforschungs-bereich „Festkörperspektroskopie“eingerichtet werden konnte, einerder am längsten währenden Son-derforschungsbereiche der Deut-schen Forschungsgemeinschaft.

Im Deutschen Kunststoff-Institutsah Herr Hellwege seine Aufgabevor allem darin, auch auf die bisdahin von den Physikern stiefmüt-terlich behandelten Kunststoffe dasan Kristallen erarbeitete Rüstzeugder Festkörperphysik anzuwenden.Heute sind diese Methoden aus derKunststoffphysik und auch -chemienicht mehr wegzudenken.

Der einsetztenden Überpolitisie-rung der Hochschulen zu Ende sei-ner aktiven Zeit stand Herr Hellwe-ge sehr kritisch gegenüber. Er be-

Prof. Dr. JohannHeber, Institut fürFestkörperphysik,Technische Univer-sität Darmstadt

Menschen

Karl-Heinz Hellwege