Narzi und Goldmund. Erz¤hlung - eBook.de

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Hermann Hesse Narziß und Goldmund Suhrkamp

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Hesses Roman ›Narziß und Goldmund‹ setzt mit

großer sprachlicher Schönheit ein und scheint in

einer mittelalterlichen Zeitlosigkeit zu schweben, die

dem poetischen Bedürfnis dieses der rohen Aktualität

widerstrebenden Geistes entspricht, ohne darum

seine schmerzliche Fühlung mit den Problemen der

Gegenwart zu verleugnen … ein wunderschönes Buch

mit seiner Mischung aus deutsch-romantischen und

modern-psychologischen, ja psychoanalytischen Ele-

menten … eine in ihrer Reinheit und Interessantheit

durchaus einzigartige Romandichtung.

Thomas Mann

st

ISBN 3-518-36774-9

9 783518 367742

ISBN 3-518-36774-9

€ 9,00 [D]

Hermann HesseNarziß und Goldmund

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An dieser Erzählung schrieb Hesse von April 1 9 2 7 bis Januar 1 9 2 9 . Zunächst gab es drei Varianten für den Titel: Narziß oder der Weg zur Mutter, Das Lob der Sünde, schließlich entschied er sich für Narziß und Goldmund mit dem Untertitel Geschichte einer Freund­schaft, der 1929 für den Vorabdruck in der Zeitschrift Die Neue Rundschau verwendet wurde, in der Erstausgabe von 1 9 3 0 jedoch entfiel. »Ich habe in diesem Buch«, schrieb Hesse 1 9 3 3 an eine Lese­rin, »der Idee von Deutschland und deutschem Wesen, die ich seit Kindheit in mir hatte, einmal Ausdruck gegeben und ihr meine Liebe gestanden - gerade weil ich alles, was heute spezifisch >deutsch< ist, so sehr hasse.« So ist es kein Zufall, daß der Dichter seine Erzählung im Mittelalter, der vorreformatorischen Welt des Würzburger Bild­hauers Tilman Riemenschneider und in dem ihm von seiner eigenen Schulzeit her bestens vertrauten gotischen Ambiente des Klosters Maulbronn, angesiedelt hat, das als Mariabronn zum Ausgangs­und Endpunkt für die Abenteuer des Künstlers Goldmund wird. »In Narziß und Goldmund bekommen die zwei Grundformen des schöpferischen Menschen Gestalt: der Denker und der Träumer, der Herbe und der Blühende, der Klare und der Kindliche. Beide ver­wandt, obwohl in allem ihr Gegenspiel, beide vereinsamt, beide von Hesse gleich gerecht in ihren Vorzügen und Schwächen erkannt, gleich exakt wiedergegeben.« Max Herrmann-Neiße »Narziß und Goldmund gehört zu den Büchern, die einen Künstler tief beeindrucken. Es besitzt Zauber und große Weisheit, - Lebens­weisheit, wie D. H. Lawrence sagen würde. Es ist wie eine Kadenz über die Metaphysik der Kunst. Jeder, der dieses Buch liest, wird in sich eine mächtige Erweckung der ewigen Wahrheit der Kunst er­fahren.« Henry Miller in »Die Kunst des Lesens«

Hermann Hesse, am 2. 7. 1 8 7 7 in Calw/Württemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und einer württembergischen Missio­narstochter geboren, 1946 ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur, starb am 9. 8. 1 9 6 2 in Montagnola bei Lugano.

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Hermann Hesse Narziß

und Goldmund Erzählung

Suhrkamp

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der Übersetzung, des öff entlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,

auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografi e, Mikrofi lm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

www.suhrkamp.de eISBN ----

Die Erstausgabe erschien bei S. Fischer, Berlin

Umschlagabbildung: Tilman Riemenschneider. Trauernde Maria aus Acholshausen

Foto: Ulrich Kneise, Eisenach (Ausschnitt), um . Mainfränkisches Museum, Würzburg.

© Copyright by Hermann Hesse, Montagnola

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Narziß und Goldmund

Erzählung

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Erstes Kapitel

or d e m v o n Doppelsäulchen get ragenen R u n d b o g e n

V des Klos te re inganges v o n Mar i ab ronn , dicht am Wege, stand ein Kas t an ienbaum, ein vereinzelter S o h n des Südens , von einem Rompilger vor Zeiten mitgebracht, eine Edelka­stanie mit starkem Stamm; zärtlich hing Ihre runde K r o n e über den Weg, a tmete breitbrüstig im Winde, ließ im Früh­ling, wenn alles ringsum schon grün war und selbst die Klo ­sternußbäume schon ihr rötliches Junglaub trugen, noch lange auf ihre Blätter warten, trieb dann um die Zeit der kür­zesten Nächte aus den Blattbüscheln die matten, weiß grünen Strahlen ihrer fremdartigen Blüten empor, die so mahnend und beklemmend herbkräftig rochen, und ließ im Oktober, wenn Obst und Wein schon geerntet war, aus der gilbenden Krone im Herbstwind die stacheligen Früchte fallen, die nicht injedemjahr reif wurden, u m welche die Klosterbuben sich balgten und die der aus dem Welschland stammende Subprior Gregor in seiner Stube im Kaminfeuer briet. Fremd und zärtlich ließ der schöne Baum seine Krone überm Ein­gang z u m Kloster wehen, ein zartgesinnter und leicht frö­stelnder Gast aus einer anderen Zone, verwandt in geheimer Verwandtschaft mit den schlanken sandsteinernen Doppel­säulchen des Portals und dem steinernen Schmuckwerk der Fensterbogen, Gesimse und Pfeiler, geliebt von den Wel­schen und Lateinern, von den Einheimischen als Fremdling begafft.

Unter dem ausländischen Baume waren schon manche Generationen von Klosterschülern vorübergegangen; ihre Schreibtafeln unterm Arm, schwatzend, lachend, spielend, streitend, je nach der Jahreszeit barfuß oder beschuht, eine Blume im Mund, eine N u ß zwischen den Zähnen oder einen Schneeball in der Hand. Immer neue kamen, alle paar Jahre

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w a r e n es andere Gesichter , die meisten einander ähnlich: b lond und kraushaar ig . M a n c h e bl ieben da, w u r d e n N o v i ­zen, w u r d e n M ö n c h e , b e k a m e n das Haar geschoren, t r agen K u t t e und Str ick, lasen In B ü c h e r n , unterwiesen die K n a b e n , w u r d e n alt, starben. A n d r e , w e n n Ihre Schülerjahre vo rbe i w a r e n , w u r d e n v o n Ihren El te rn he lmgehol t , In Ri t te r ­burgen , In K a u f m a n n s - und Handwerke rhäuse r , liefen In die Welt und trieben Ihre Spiele und G e w e r b e , k a m e n e t w a ein­ma l zu e inem B e s u c h Ins K l o s t e r zurück, M ä n n e r g e w o r d e n , brachten kleine Söhne als Schüler zu den Patres, schauten lä ­chelnd und gedankenvo l l eine Welle z u m Kas tan ienbaum empor , ve r lo ren sich wiede r . In den Ze l l en und Sälen des Klos te r s , zwischen den runden schweren Fensterbogen und den s t r ammen Doppe l säu len aus ro t em Stein w u r d e gelebt, gelehrt , studiert, ve rwal te t , regiert; vielerlei K u n s t und W i s ­senschaft w u r d e hier getr ieben und v o n einer Genera t ion der andern vererbt , f r o m m e und wel t l iche , helle und dunkle . B ü c h e r w u r d e n geschr ieben und komment i e r t , S y s t e m e er­sonnen, Schriften der A l t e n gesammel t , Bi lderhandschri f ten gemal t , des Volkes G l a u b e gepflegt , des Volkes G l a u b e belä­chelt. Ge lehr samke i t und F r ö m m i g k e i t , Einfal t und V e r ­schlagenheit , Weisheit der E v a n g e l i e n und Weisheit der Gr iechen , we iße und schwarze M a g i e , v o n al lem gedieh hier e twas , für alles w a r R a u m ; es w a r R a u m für Einsiedelei und B u ß ü b u n g ebenso w i e für Gesel l igkei t und Wohlleben; an der Person des j e w e i l i g e n A b t e s und an der j e w e i l s herrschen­den S t r ö m u n g der Z e l t lag es, ob das eine oder das andere ü b e r w o g und vorher rschte . Zuze i ten w a r das K l o s t e r b e ­rühmt und besucht w e g e n seiner Teufelsbanner und D ä m o ­nenkenner , zuzeiten w e g e n seiner ausgezeichneten M u s i k , zuzeiten w e g e n eines hei l igen Vaters, der He l lungen und Wunder tat, zuzeiten w e g e n seiner Hech tsuppen und H i r s c h ­leberpasteten, ein j edes zu seiner Ze l t . U n d I m m e r w a r unter der Schar der M ö n c h e und Schüler , der f r o m m e n und der lauen, der fastenden und der feisten, I m m e r w a r zwischen den vie len, w e l c h e da kamen , lebten und starben, dieser und

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j e n e r E inze lne und B e s o n d e r e g e w e s e n , einer, den alle liebten oder alle fürchteten, einer, der auserwähl t schien, einer, v o n d e m noch lange gesprochen w u r d e , w e n n seine Ze i tgenossen vergessen w a r e n .

A u c h je tz t gab es i m K l o s t e r M a r i a b r o n n z w e i Einze lne und B e s o n d e r e , einen Al t en und einen J u n g e n . Z w i s c h e n den vie len B r ü d e r n , deren S c h w ä r m die Dormente, K i r c h e n und Schulsäle erfüllte, gab es z w e i , v o n denen j ede r wuß te , au f die j e d e r achtete. E s gab den A b t Danie l , den Al ten , und den Z ö g l i n g Narz iß , den J u n g e n , der erst seit k u r z e m das N o v i ­ziat angetreten hatte, aber seiner besonderen G a b e n w e g e n gegen alles H e r k o m m e n schon als Lehre r v e r w e n d e t w u r d e , besonders i m Griechischen. D ie se beiden, der A b t und der N o v i z e , hatten Ge l tung I m Hause , w a r e n beobachtet und w e c k t e n N e u g i e r d e , w u r d e n bewunde r t und beneidet und auch he lml ich gelästert .

D e n A b t l iebten die meisten, er hatte keine Feinde, er w a r v o l l Gü te , v o l l Einfal t , v o l l D e m u t . N u r die Gelehr ten des Klos te r s mischten In Ihre L iebe e twas v o n Herablassung; denn A b t Danie l moch te ein He i l ige r sein, ein Gelehr ter j e ­doch w a r er nicht. I h m w a r j e n e Einfal t eigen, we l che Weis­heit Ist; aber sein Latein w a r bescheiden, und Gr iechisch konnte er überhaupt nicht.

J e n e w e n i g e n , w e l c h e gelegent l ich die Einfal t des Ab te s et­w a s belächelten, w a r e n desto m e h r v o n Narz iß bezaubert , d e m Wunderknaben , d e m schönen J ü n g l i n g mi t d e m e legan­ten Gr iechisch , mi t d e m ritterlich tadellosen B e n e h m e n , mi t d e m stillen, e indringl ichen Denke rb l i ck und den schmalen, schön und streng gezeichneten L ippen . D a ß er w u n d e r b a r Gr iech isch konnte , l iebten die Gelehr ten an Ihm. Daß er so edel und fein w a r , l iebten beinahe alle an Ihm, vie le w a r e n In Ihn ver l lebt . D a ß er so sehr still und beherrscht w a r und so höfische Man ie ren hatte, nahmen manche Ihm übel .

A b t und N o v i z e , j e d e r t r ag au f seine A r t das Schicksal des A u s e r w ä h l t e n , herrschte auf seine A r t , litt auf seine A r t . J e ­der der beiden fühlte sich d e m andern mehr v e r w a n d t und

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mehr zu Ihm h ingezogen als zürn ganzen übr igen K l o s t e r ­v o l k ; dennoch fanden sie nicht zueinander, dennoch konnte keiner be im andern w a r m w e r d e n . D e r A b t behandelte den J ü n g l i n g mi t größter Sorgfa l t , mi t größter Rücks ich t , hatte u m Ihn S o r g e als u m einen seltenen, zarten, vielleicht al lzu­früh gerelften, viel leicht gefährdeten B r u d e r . D e r J ü n g l i n g n a h m j e d e n Befeh l , j e d e n Ra t , j edes L o b des Ab te s mit v o l l ­k o m m e n e r Ha l tung entgegen, wide r sp rach niemals , w a r nie ve r s t immt , und w e n n das Ur te i l des Ab te s über ihn richtig und sein einziges Las ter der H o c h m u t w a r , so wuß te er dies Las ter w u n d e r b a r zu ve rbe rgen . E s w a r gegen ihn nichts zu sagen, er w a r v o l l k o m m e n , er w a r allen über legen. N u r w u r ­den w e n i g e Ihm w i r k l i c h Freund, außer den Gelehrten, nur u m g a b seine Vornehmhe i t Ihn w i e eine erkältende Luft .

»Narz iß« , sagte der A b t nach einer Be ich te zu Ihm, »Ich bekenne mich eines harten Ur te i l s über dich schuldig. Ich habe dich oft für h o c h m ü t i g gehalten, und vielleicht tat ich dir dami t unrecht . D u bist sehr allein j u n g e r B r u d e r , du bist e insam, du hast B e w u n d e r e r , aber keine Freunde. Ich w o l l t e w o h l , Ich hätte An laß , dich zuwei len zu tadeln; aber es Ist kein An laß . Ich w o l l t e w o h l , du wäres t manchma l unart ig, w i e es j u n g e Leu te deines Al te r s sonst leicht sind. D u bist es nie. Ich so rge mich zuwei l en ein w e n i g u m dich, Narz iß .«

D e r J u n g e schlug seine dunklen A u g e n zu d e m Al t en auf. »Ich w ü n s c h e sehr, gnäd ige r Vater , E u c h keine S o r g e zu

machen . E s m a g w o h l sein, daß ich hochmüt ig bin, gnäd iger Vater . Ich bitte E u c h , m ich dafür zu strafen. Ich habe selbst zuzeiten den Wunsch, m ich zu strafen. Schickt mich in eine Einsiedelei , Vater, oder lasset m ich niedere Diens te tun.«

»Für beides bist du zu j u n g , l ieber B r u d e r « , sagte der A b t . »Überd ies bist du der Sprachen und des Denkens in h o h e m G r a d e fähig, me in Sohn ; es w ä r e eine Ve rgeudung dieser Got tesgaben , w o l l t e ich dir niedere Diens te auftragen. Wahr­scheinlich w i r s t du w o h l ein Lehre r und Gelehr ter w e r d e n . Wünsches t du dies nicht selbst?«

»Verzeiht, Vater, Ich we iß über meine Wünsche nicht so

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sehr genau Besche id . Ich w e r d e stets Freude an den Wissen­schaften haben, w i e sollte es anders sein? A b e r Ich g laube nicht, daß die Wissenschaften mein einziges Gebie t sein w e r d e n . E s m ö g e n j a nicht I m m e r die Wünsche sein, die e i ­nes M e n s c h e n Schicksal und Sendung bes t immen, sondern anderes, Vorbes t immtes .«

D e r A b t horchte und w u r d e ernst. D e n n o c h stand ein L ä ­cheln au f se inem alten Gesicht , als er sagte: »Sov ie l Ich die M e n s c h e n habe kennenlernen, ne igen w i r , zumal In der J u ­gend , alle ein w e n i g dazu, die Vorsehung und unsere W ü n ­sche mite inander zu ve rwechse ln . A b e r sage mir , da du deine B e s t i m m u n g vo rauszuwi s sen glaubst , ein Wort dar­über . Wozu denn glaubst du bes t immt zu sein?«

Narz iß schloß seine dunklen A u g e n halb, daß sie unter den langen schwarzen W i m p e r n ve r schwanden . E r s c h w i e g .

»Spr ich, me in S o h n « , mahnte nach l a n g e m Warten der A b t . M i t leiser S t i m m e und gesenkten A u g e n begann N a r ­ziß zu sprechen.

»Ich g laube zu wissen , gnäd ige r Vater, daß Ich v o r a l lem z u m Klos te r leben bes t immt bin. Ich w e r d e , so g laube Ich, M ö n c h w e r d e n , Priester we rden , Subpr lo r und vielleicht A b t w e r d e n . Ich g laube dies nicht, w e l l Ich es w ü n s c h e . M e i n Wunsch geht nicht nach Ä m t e r n . A b e r sie w e r d e n mi r auferlegt werden .«

L a n g e s c h w i e g e n beide. »Warum hast du diesen Glauben?« fragte zögernd der

A l t e . »Welche Eigenschaf t In dir, außer der Gelehrsamkei t , Ist es w o h l , die In d iesem Glauben zu Wort k o m m t ? «

»Es Ist die E igenschaf t« , sagte Narz iß l angsam, »daß Ich ein Gefühl für die A r t und B e s t i m m u n g der M e n s c h e n habe, nicht nur für meine eigene, auch für die der andern. D iese Eigenschaf t z w i n g t mich , den andern dadurch zu dienen, daß Ich sie beherrsche. W ä r e Ich nicht z u m Klos te r leben g e ­boren , so w ü r d e Ich Rich te r oder Staatsmann w e r d e n m ü s ­sen.«

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» M a g sein«, nickte der A b t . »Hast du deine Fähigkei t , M e n s c h e n und ihre Schicksale zu erkennen, an Beisp ie len erprobt?«

»Ich habe sie erprobt .« »Bis t du bereit , m i r ein Be i sp ie l zu nennen?« »Ich bin bereit .« »Gut . D a ich nicht in die Gehe imnisse unserer B r ü d e r

ohne deren Wissen e indr ingen möchte , mags t du m i r v i e l ­leicht sagen, w a s du über mich , deinen A b t Danie l , zu w i s ­sen meinst .«

Narz iß h o b seine L ide r und bl ickte d e m A b t in die A u ­gen .

»Ist es E u e r Befeh l , gnäd ige r Vater?« » M e i n Befeh l .« »Es fällt m i r s chwer , zu sprechen, Vater .« » A u c h m i r fällt es s c h w e r j u n g e r B r u d e r , dich z u m S p r e ­

chen zu z w i n g e n . Ich tue es dennoch. Sprich!« Narz iß senkte den K o p f und sagte flüsternd: »Es ist w e ­

nig , w a s ich v o n E u c h w e i ß , verehr ter Vater . Ich we iß , daß Ihr ein D iene r Got tes seid, d e m es l ieber w ä r e , Z i e g e n zu hüten oder in einer Einsiedele i das G l ö c k c h e n zu läuten und die Be ich ten der B a u e r n anzuhören, als ein großes K los t e r zu regieren. Ich w e i ß , daß Ihr eine besondere L iebe zur hei l i ­gen M u t t e r Got tes habet und zu ihr a m meisten betet. Ihr betet zuwei len da rum, daß die gr iechischen und anderen Wissenschaften, die in d iesem K l o s t e r gepflegt we rden , keine V e r w i r r u n g und Gefahr für die Seelen E u r e r A n b e ­fohlenen sein m ö g e n . Ihr betet zuwei len , daß E u c h gegen den Subpr io r G r e g o r die G e d u l d nicht ver lasse . Ihr betet zu ­we i l en u m ein sanftes E n d e . U n d Ihr werde t , so g laube ich, erhört w e r d e n und ein sanftes E n d e haben.«

Still w a r es in d e m kleinen S p r e c h z i m m e r des A b t e s . End l i ch sprach der A l t e .

» D u bist ein S c h w ä r m e r und hast Ges ichte« , sagte der greise H e r r freundlich. » A u c h f r o m m e und freundliche G e ­sichte können täuschen; verlaß dich nicht au f sie, w i e auch

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Ich m i c h nicht au f sie ver lasse . - K a n n s t du sehen, B r u d e r S c h w ä r m e r , w a s Ich über diese Sache Im Herzen denke?«

»Ich kann sehen, Vater, daß Ihr sehr freundlich darüber denket . Ihr denket das Fo lgende : >Dieser j u n g e Schüler Ist ein w e n i g gefährdet, er hat Gesichte , er hat vielleicht zu v ie l m e ­ditiert. Ich könnte Ihm viel leicht eine B u ß e auferlegen, sie w i r d Ihm nicht schaden. Ich w e r d e aber die B u ß e , die Ich Ihm auferlege, auch selbst au f m i c h nehmen . < - D ies ist es, w a s Ihr soeben denket.«

D e r A b t e rhob sich. Läche lnd w i n k t e er d e m N o v i z e n , sich zu verabschieden.

»Es Ist gu t« , sagte er. » N i m m deine Gesichte nicht allzu e rns t , j unge r B r u d e r ; G o t t fordert noch manches andere v o n uns, als Ges ichte zu haben. N e h m e n w i r an, du habest e inem alten M a n n e dami t geschmeichel t , daß du i h m einen leichten T o d versprachst . N e h m e n w i r an, der alte M a n n habe einen A u g e n b l i c k lang diese Versprechung gern gehört . E s Ist nun genug . D u sollst einen R o s e n k r a n z beten, m o r g e n nach der Frühmesse , du sollst Ihn mi t D e m u t und H i n g a b e beten und nicht obenhin, und Ich w e r d e dasselbe tun. G e h nun, Narz iß , es ist g e n u g geredet .«

E i n andermal hatte der A b t Danie l zu schlichten zwischen d e m j ü n g s t e n der lehrenden Patres und Narz iß , die sich über einen Punkt Im Lehrp lan nicht e inigen konnten: Narz iß drang mi t g r o ß e m El fe r auf die E in führung gewis se r Ä n d e ­rungen I m Unter r ich t , w u ß t e sie auch mi t überzeugenden G r ü n d e n zu rechtfertigen; Pater L o r e n z aber, aus einer A r t v o n Elfersucht , w o l l t e nicht darauf eingehen, und j e d e r neuen B e s p r e c h u n g folgten T a g e eines ve r s t immten S c h w e l ­gens und Schmol lens , bis Narz iß Im Gefühl des Rechthabens nochmals mi t der Sache anfing. Schließlich sagte Pater L o ­renz, e twas gekränkt : » N u n , Narz iß , w i r w o l l e n d e m Streit ein E n d e machen . D u we iß t j a , daß die Entsche idung bei m i r und nicht bei dir läge , du bist nicht me in K o l l e g e , sondern me in Gehi l fe und hast dich m i r zu fugen. A b e r da die Sache dir gar so w ich t ig scheint und da Ich dir z w a r an A m t s g e w a l t ,

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nicht aber an Wissen und G a b e n über legen bin, w i l l Ich nicht selbst die En t sche idung treffen, sondern w i r w e r d e n sie unse­r e m Vater A b t vo r t r agen und Ihn entscheiden lassen.«

S o taten sie denn, und A b t Danie l hör te den Streit der be i ­den Gelehr ten über Ihre Auf fassung des Unterr ichts In der G r a m m a t i k geduld ig und freundlich an. N a c h d e m sie beide Ihre M e i n u n g e n ausführlich dargelegt und begründet hatten, bl ickte der alte M a n n sie fröhlich an, schüttelte ein w e n i g das greise H a u p t und sprach: »Liebe B r ü d e r , Ihr glaubet j a w o h l beide nicht, daß Ich v o n diesen Sachen ebensovie l vers tünde w i e Ihr. E s ist löbl ich v o n Narz iß , daß die Schule Ihm so sehr a m Herzen Hegt und daß er den Lehrp lan zu verbessern strebt. Wenn aber sein Vorgesetz ter anderer M e i n u n g ist, so hat Narz iß zu s c h w e l g e n und zu gehorchen, und alle Verbes ­serungen der Schule w ö g e n es nicht auf, w e n n Ihre twegen O r d n u n g und G e h o r s a m In d iesem Haus gestört w ü r d e n . Ich tadle Narz iß , daß er nicht nachzugeben wuß te . U n d euch beiden j u n g e n Gelehr ten w ü n s c h e Ich, es m ö g e euch nie an Vorgese tz ten mange ln , w e l c h e d ü m m e r sind als Ihr; nichts ist besser g e g e n den H o c h m u t . « M i t d iesem gu tmüt igen Scherz entließ er sie. A b e r er ve rgaß ke ineswegs , w ä h r e n d der nächsten T a g e ein A u g e darauf zu haben, ob zwischen den beiden Lehre rn w i e d e r ein gutes E i n v e r n e h m e n bestehe.

U n d nun begab es sich, daß ein neues Ges icht i m Klos t e r er ­schien, das so v ie le Ges ichter k o m m e n und gehen sah, und daß dies neue Ges ich t nicht zu den unbemerk ten und schnell w i e d e r vergessenen gehör te . E s w a r ein J ü n g l i n g , der, schon vor l ängs t v o n se inem Vater angemeldet , an e inem Frühl ings­tage eintraf, u m In der Klos te r schu le zu studieren. B e l m K a ­s tanienbaum banden sie Ihre Pferde an, der J ü n g l i n g und sein Vater, und aus d e m Portal k a m der Pför tner Ihnen entgegen.

D e r K n a b e bl ickte an d e m noch win terkahlen B a u m e m ­por . »Einen solchen B a u m « , sagte er, »habe ich noch nie g e ­sehen. E i n schöner , m e r k w ü r d i g e r B a u m ! Ich möch te w o h l wissen , w i e er heißt.«

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D e r Vater, ein ältlicher Her r , mi t e inem versorg ten und et­w a s verknif fenen Gesicht , k ü m m e r t e sich nicht u m die Worte des J u n g e n . D e r Pfor tner aber, d e m der K n a b e alsbald woh lge f i e l , gab Ihm Auskunf t . D e r J ü n g l i n g dankte Ihm freundlich, gab Ihm die H a n d und sagte: »Ich heiße G o l d ­m u n d und soll hier zur Schule gehen.« Freundlich lächelte der M a n n Ihn an und g ing den A n k ö m m l i n g e n v o r a n durchs Portal und die breiten Steintreppen hinauf, und G o l d m u n d betrat das K l o s t e r ohne Z a g e n mi t d e m Gefühl , an diesem O r t schon z w e i Wesen begegne t zu sein, denen er Freund sein konnte , d e m B a u m und d e m Pför tner .

D i e A n g e k o m m e n e n w u r d e n erst v o m Pater Schu lvor s t e ­her, g e g e n A b e n d auch noch v o m A b t selbst empfangen . A n beiden Or ten stellte der Vater, ein kaiserl icher B e a m t e r , se i ­nen S o h n G o l d m u n d v o r , und m a n lud ihn ein, eine Welle Gas t des Hauses zu sein. E r machte j e d o c h nur für eine N a c h t v o m Gastrecht G e b r a u c h und erklärte, m o r g e n zurückreisen zu müssen . A l s Geschenk bot er d e m K l o s t e r das eine seiner beiden Pferde an, und die G a b e w a r d a n g e n o m m e n . D i e U n ­terhaltung mi t den geist l ichen Her ren ver l i e f artig und kühl ; aber s o w o h l der A b t w i e der Pater bl ickte den ehrerbietig s chwe lgenden G o l d m u n d mi t Freude an, der hübsche zärtl i­che J u n g e gefiel Ihnen sogle ich . D e n Vater ließen sie andern Tages ohne B e d a u e r n w i e d e r ziehen, den S o h n behielten sie gerne da. G o l d m u n d w u r d e den Lehre rn vorges te l l t und b e ­k a m ein B e t t I m Schlafsaal der Schüler . Ehrerb ie t ig und mit be t rübtem Ges ich t n a h m er A b s c h i e d v o n se inem w e g r e i t e n ­den Vater, stand und bl ickte Ihm nach, bis er zwischen K o r n ­haus und M ü h l e durch das enge B o g e n t o r des äußeren K l o ­sterhofes v e r s c h w a n d . E i n e Träne hing Ihm an der langen b londen W i m p e r , als er sich u m w a n d t e ; da empf ing Ihn schon der Pför tner mi t e inem l iebkosenden Schlag auf die Schulter .

»Junges Her rchen« , sagte er tröstend, »du mußt nicht t rau­r ig sein. D i e meisten haben Im A n f a n g ein klein w e n i g H e l m ­w e h , nach Vater, M u t t e r und Geschwis t e rn . A b e r du wi r s t

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schnell sehen: es läßt sich auch hier leben, und gar nicht übel .«

»Danke , B r u d e r Pför tner« , sagte der J u n g e . »Ich habe keine G e s c h w i s t e r und keine Mut te r , Ich habe bloß den V a ­ter. «

»Dafür findest du hier K a m e r a d e n und Gelehrsamkei t und M u s i k und neue Spiele , die du noch nicht kennst , und dies und j enes , du w i r s t schon sehen. U n d w e n n du einen brauchst , der es gu t mi t dir meint , dann k o m m nur zu mir .«

G o l d m u n d lächelte Ihn an. »Oh , Ich danke E u c h sehr. U n d w e n n Ihr m i r eine Freude machen wol le t , dann zeigt m i r bitte bald, w o unser Röß le in steht, das me in Vater hiergelassen hat. Ich m ö c h t e es begrüßen und sehen, o b es i h m auch gut gehe.«

D e r Pför tner n a h m Ihn sogle ich mi t und führte Ihn In den Pferdestall b e i m K o r n h a u s . D a roch es In lauer D ä m m e r u n g scharf nach Pferden, nach M i s t und nach Gers te , und In e inem der Stände fand G o l d m u n d das braune Pferd stehen, das Ihn h ierherget ragen hatte. E r legte d e m Tier , das ihn schon erkannt hatte und Ihm den K o p f lang en tgegen­streckte, beide H ä n d e u m den Hals , legte i h m die Wange an die breite, we iß gefleckte Stirn, streichelte es zärtlich und f lü­sterte Ihm Worte Ins O h r : »Grüß dich Got t , B l e ß , me in T i e r ­chen, me in B r a v e r , geht es dir gut? Has t du mich noch Heb? Has t du auch zu fressen? D e n k s t du auch noch an daheim? B l e ß , R ö ß c h e n , l ieber K e r l , w i e gut , daß du dagebl ieben bist, Ich w i l l oft zu dir k o m m e n und nach dir sehen.« E r zog aus d e m Ä r m e l u m s c h l a g ein S tück Frühstücksbrot , das er beisei­tegebracht hatte, und gab es In kleinen B r o c k e n d e m Tie r zu fressen. D a n n n a h m er Absch i ed , folgte d e m Pför tner über den Hof, der breit w i e der Mark tp la t z einer großen Stadt und z u m Teil mi t L inden bewachsen w a r . A m Innern E i n g a n g dankte er d e m Pför tner und gab i h m die Hand , dann merk te er, daß er den Weg zu se inem Schulsaal nicht mehr w i s se , der Ihm gestern gezeigt w o r d e n w a r , lachte ein w e n i g und w u r d e rot, bat den Pförtner , Ihn zu führen, und der tat es gerne.

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D a n n trat er in den Schulsaal , w o ein Du tzend K n a b e n und J ü n g l i n g e au f den B ä n k e n saßen, und der Lehrgehi l fe Narz iß wende t e sich u m .

»Ich bin G o l d m u n d « , sagte er, »der neue Schüler .« Narz iß grüßte kurz , ohne Lächeln , w i e s Ihm einen Platz In

der hintern B a n k an und fuhr sofort in seinem Unter r ich t fort.

G o l d m u n d setzte sich. E r w a r erstaunt darüber, einen so j u n g e n Lehre r zu finden, k a u m einige J a h r e älter als er selbst, und w a r erstaunt und t ief erfreut darüber, diesen j u n g e n L e h ­rer so schön, so v o r n e h m , so ernst, dabei so g e w i n n e n d und l iebenswer t zu finden. D e r Pför tner w a r nett mi t i h m g e w e ­sen, der A b t w a r i h m so freundlich begegne t , drüben i m Stall stand B l e ß und w a r ein S tück He ima t , und nun w a r da dieser erstaunlich j u n g e Lehrer , ernst w i e ein Gelehr ter und fein w i e ein Pr inz , und mi t dieser beherrschten, kühlen, sachlichen, z w i n g e n d e n S t i m m e ! D a n k b a r hör te er zu, ohne doch gleich zu vers tehen, v o n w a s da die R e d e sei. I h m w u r d e w o h l . E r w a r zu guten, zu l iebenswer ten M e n s c h e n g e k o m m e n , und er w a r bereit , sie zu l ieben und u m ihre Freundschaft zu w e r ­ben. A m M o r g e n i m Be t t , nach d e m E r w a c h e n , hatte er sich b e k l o m m e n gefühlt , und m ü d e v o n der langen Re i se w a r er auch noch, und b e i m A b s c h i e d v o n se inem Vater hatte er et­w a s w e i n e n müssen . A b e r je tz t w a r es gut , er w a r zufrieden. L a n g e und i m m e r w i e d e r sah er den j u n g e n Lehrer an, freute sich an seiner straffen schlanken Gestal t , se inem kühl bl i tzen­den A u g e , seinen straffen, klar und fest die Si lben formenden L ippen , an seiner beschwing ten , unermüdl ichen S t i m m e .

A b e r als die Unter r ichtss tunde zu E n d e w a r und die S c h ü ­ler sich l ä rmend erhoben, schrak G o l d m u n d auf und merk te e twas beschämt , daß er eine ganze Welle geschlafen hatte. U n d nicht er allein merk te es, auch seine Banknachba rn hat­ten es gesehen und flüsternd wel te r gemelde t . K a u m hatte der j u n g e Lehre r den Saal ver lassen, da zupften und stießen die K a m e r a d e n G o l d m u n d v o n allen Selten.

»Ausgeschlafen?« fragte einer und grinste.

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»Feiner Schüler!« höhnte einer. » A u s d e m w i r d ein s chö ­nes Ki rchenl ich t w e r d e n . Dachs t gleich In der ersten Stunde ein!«

» B r i n g t ihn zu Be t t , den K le inen« , schlug einer v o r , und sie ergriffen Ihn an A r m e n und Be inen , u m Ihn unter G e ­lächter w e g z u t r a g e n .

S o aufgeschreckt w u r d e G o l d m u n d zornig; er schlug u m sich, suchte sich zu befreien, b e k a m Püffe und w u r d e schließlich fallen gelassen, w ä h r e n d einer Ihn noch an e i ­n e m Fuße festhielt. V o n d iesem trat er sich g e w a l t s a m los , w a r f sich a u f den ersten besten, der sich stellte, und w a r alsbald mi t Ihm In einen heftigen K a m p f ve rwicke l t . Sein G e g n e r w a r ein starker K e r l , und alle sahen d e m Z w e i ­k a m p f mi t B e g i e r d e zu. A l s G o l d m u n d nicht unterlag und d e m Starken e inige gute Fausthiebe beibrachte, hatte er schon Freunde unter den K a m e r a d e n , noch ehe er einen v o n Ihnen mi t N a m e n kannte . Plötzl ich aber stoben alle In größter Has t davon , und k a u m w a r e n sie w e g , so trat der Pater M a r t i n herein, der Schulvors teher , und stand d e m a l ­lein zurückgebl iebenen K n a b e n gegenüber . Ve rwunde r t sah er den K n a b e n an, dessen blaue A u g e n ver legen aus d e m hochgerö te ten und e twas zerschlagenen Gesicht b l i ck­ten.

»ja, w a s Ist denn mi t dir?« fragte er. » D u bist doch G o l d m u n d , nicht? H a b e n sie dir denn e twas getan, die L o t ­terbuben?«

» O nein«, sagte der K n a b e , »Ich bin mit i h m fertig g e ­w o r d e n . «

» M i t w e m denn?« »Ich we iß nicht. Ich kenne noch keinen. E ine r hat mi t

m i r gekämpf t .« »So? Ha t er angefangen?« »Ich we iß nicht. N e i n , Ich g laube , Ich habe selber ange ­

fangen. S ie haben m i c h gehänselt , da w u r d e Ich böse.« » N u n , du fängst j a gu t an, me in J u n g e . A l s o m e r k e dir:

w e n n du noch e inmal hier I m S c h u l z i m m e r Prügele len aus-

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kämpfs t , g ibt es Strafe. U n d je tz t mache , daß du z u m V e s ­perbrot k o m m s t , vo rwär t s !«

Läche lnd sah er G o l d m u n d nach, w i e er beschämt d a v o n ­l ief und u n t e r w e g s das zerzauste hel lb londe Haa r mi t den F ingern zu strählen bemüh t w a r .

G o l d m u n d w a r selbst der M e i n u n g , seine erste Tat In d ie­sem Klos te r leben sei recht unart ig und töricht gewesen ; z iemlich zerknirscht suchte und fand er seine Schu lkamera ­den b e i m Vesperbrot . A b e r er w u r d e mi t A c h t u n g und Freundlichkei t empfangen , er versöhnte sich ritterlich mi t se inem Feinde und fühlte sich v o n S tund an w o h l a u f g e n o m ­m e n In d iesem K r e i s e .

Zweites Kapitel

Wenn er Indessen mi t allen gu t Freund w a r , einen wi rk l i chen Freund fand er doch nicht so bald; es w a r keiner unter den Mi t schüle rn , d e m er sich besonders v e r w a n d t oder gar z u g e ­neigt fühlte. S ie aber w a r e n v e r w u n d e r t , In d e m schneidigen Faus tkämpfer , den sie geneig t w a r e n für einen l iebenswerten R a u f b o l d zu halten, einen sehr friedfertigen K o l l e g e n zu fin­den, der eher nach d e m R u h m eines Musterschülers zu stre­ben schien.

Z w e i M e n s c h e n i m K l o s t e r gab es, zu denen G o l d m u n d sein H e r z h ingezogen fühlte, die Ihm gefielen, die seine G e ­danken beschäftigten, für die er B e w u n d e r u n g , L iebe und Ehrfurcht fühlte: den A b t Danie l und den Lehrgehi l fen N a r ­ziß. D e n A b t w a r er geneigt für einen Hei l igen zu halten, seine Einfal t und Gü te , sein klarer, sorgl icher B l i c k , seine A r t , das Befeh len und Reg le r en demüt ig als einen Diens t zu vol lz iehen, seine guten, stillen Gebärden , das alles zog Ihn gewa l t i g an. A m liebsten w ä r e er der persönl iche D iene r d ie­ses F r o m m e n g e w o r d e n , w ä r e I m m e r gehorchend und die­nend u m Ihn g e w e s e n , hätte all seinen knabenhaften D r a n g nach D e v o t i o n und H i n g a b e Ihm als beständiges Opfe r dar-

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gebracht und ein reines, edles, he i l igmäßiges Leben v o n Ihm gelernt . D e n n G o l d m u n d w a r gesonnen, nicht nur die K l o ­sterschule zu absolv ieren , sondern w o m ö g l i c h ganz und für I m m e r i m K l o s t e r zu bleiben und sein Leben Go t t zu we ihen ; so w a r es sein Wille , so w a r es seines Vaters Wunsch und G e ­bot , und so w a r es w o h l v o n G o t t selbst bes t immt und ge fo r ­dert. N i e m a n d schien es d e m schönen, strahlenden K n a b e n anzusehen, und doch lag eine B ü r d e auf Ihm, eine B ü r d e der Herkunf t , eine gehe ime B e s t i m m u n g zu Sühne und Opfer . A u c h der A b t sah es nicht, o b w o h l G o l d m u n d s Vater Ihm einige A n d e u t u n g e n gemach t und deutlich den Wunsch g e ­äußert hatte, sein S o h n m ö g e für I m m e r hier Im Klos t e r b le i ­ben. I rgendein gehe imer M a k e l schien an der Gebur t G o l d ­munds zu haften, I rgend e twas Verschwiegenes schien Sühne zu fordern. A b e r der Vater hatte d e m A b t nur w e n i g gefallen, er hatte seinen Worten und se inem ganzen e twas w i c h t i g ­tuerischen Wesen höfl iche K ü h l e entgegengestel l t und seinen A n d e u t u n g e n keine g roße B e d e u t u n g e ingeräumt .

J e n e r andere, der G o l d m u n d s L iebe e rweck t hatte, sah schärfer und ahnte mehr , aber er hielt sich zurück. Narz iß hatte recht w o h l bemerk t , w e l c h ein holder G o l d v o g e l Ihm da zugef logen w a r . E r , der In seiner Vornehmhei t Vere in­samte, hatte alsbald In G o l d m u n d den Verwand ten g e w i t ­tert, o b w o h l er In a l lem sein Gegensp ie l zu sein schien. Wie Narz iß dunkel und hager , so w a r G o l d m u n d leuchtend und blühend. Wie Narz iß ein D e n k e r und Zerg l iedere r , so schien G o l d m u n d ein T r ä u m e r und eine kindl iche Seele zu sein. A b e r die Gegensä tze überspannte ein Geme insames : beide w a r e n sie v o r n e h m e Menschen , beide w a r e n sie durch sicht­bare G a b e n und Z e i c h e n v o r den andern ausgezeichnet, und beide hatten sie v o m Schicksa l eine besondere M a h n u n g mi t ­b e k o m m e n .

B r e n n e n d n a h m Narz iß an dieser j u n g e n Seele teil, deren A r t und Schicksa l er ba ld erkannt hatte. G l ü h e n d bewunder t e G o l d m u n d seinen schönen, über legen k lugen Lehrer . A b e r G o l d m u n d w a r schüchtern; er fand keine andere Welse, u m

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