Nationalökonomie und sozialwissenschaftliche Integration

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Miszellen National~konomie und sozialwissensehaftliche Integration Bemerkungen zu Gerd Fleischmanns glei~namigem Buch* Von Hans Albert, Mannheim (Eingegangen am 1. Oktober 1966) Ie Wet die Frage stellt, in welchem Bereich des sozialwissenschaftlichen Den- kens das am weitesten entwickelte TheoriengebKude zu finden ist, wird olme Zweifel die Antwort bekommen mfissen: in der NationalSkonomie. Wet aber die weitere Frage stellt, wo die st~irkste Isolierung gegen Ergebnisse und Methoden anderer Sozlalwissenschaften besteht, der wird vermutlieh mit der g]eichen Ant- WOl~ reehnen dfirfen, mSglicherweiso aul3erdem mit dam Hinweis, dab Theorie- bildung und relative Abseh]ieBung eng miteinander zusammenh~ugen, einer Bemerkung, der eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen ist. Nun hat das Problem der Isolierung seit langem immor wieder zu Kontroversen geffihrt, bei denen im wesentlichen die folgenden beiden Richtungen sieh GehSr zu versehaffen suchten: 1. die neoklassisehe Orthodoxie im weitesten Sinne, die den Akzent auf die interne Weiterentwieklung der sogenannten reinen Okonomie legte und einen Autonomieansprnch ffir die 5konomisehe Theoriebildung kultivierte, und 2. die heterodoxen StrSmungen des 5konomischen Denkens, vale der Marxis- mus, der Historismus und der Institutionalismus, die diesen Anspruch zurfiek- wiesen, im Zusammenhang damit auch meist die Bereiehsautonomie des 5kono- misehen Lebens selbst in Frage stellten und die Notwendigkeit betonten, die 5konomisehe Theorie mit den relevanten Teilen tier anderen Sozialwisssenschaften starker zu integrieren. Seit einiger Zeit haben sieh, vor allem unter dem Einflufl der K eynes- sehen Revolution und a~lderer Entwicklungen, die Fronten anseheinend etwas ver~ndert. Immer mehr wird die neotdassische Tradition auch yon innen her * G. Fleischmann: NationalSkonomio und sozialwissenschaftliche Inte- gration. Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Smdien in den Grenz- bereiehen der Wirtsehafts- und Sozial~ssensehaften, Bd. 5. Herausgegeben yon Erik Boettcher u.a., 125 S., Tiibingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1966.

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Miszellen

National~konomie und sozialwissensehaftliche Integration

Bemerkungen zu Gerd Fleischmanns g le i~namigem Buch*

Von

Hans Albert, Mannheim

(Eingegangen am 1. Oktober 1966)

Ie

Wet die Frage stellt, in welchem Bereich des sozialwissenschaftlichen Den- kens das am weitesten entwickelte TheoriengebKude zu finden ist, wird olme Zweifel die Antwort bekommen mfissen: in der NationalSkonomie. Wet aber die weitere Frage stellt, wo die st~irkste Isolierung gegen Ergebnisse und Methoden anderer Sozlalwissenschaften besteht, der wird vermutlieh mit der g]eichen Ant- WOl~ reehnen dfirfen, mSglicherweiso aul3erdem mit dam Hinweis, dab Theorie- bildung und relative Abseh]ieBung eng miteinander zusammenh~ugen, einer Bemerkung, der eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen ist. Nun hat das Problem der Isolierung seit langem immor wieder zu Kontroversen geffihrt, bei denen im wesentlichen die folgenden beiden Richtungen sieh GehSr zu versehaffen suchten:

1. die neoklassisehe Orthodoxie im weitesten Sinne, die den Akzent auf die interne Weiterentwieklung der sogenannten reinen Okonomie legte und einen Autonomieansprnch ffir die 5konomisehe Theoriebildung kultivierte, und

2. die heterodoxen StrSmungen des 5konomischen Denkens, vale der Marxis- mus, der Historismus und der Institutionalismus, die diesen Anspruch zurfiek- wiesen, im Zusammenhang damit auch meist die Bereiehsautonomie des 5kono- misehen Lebens selbst in Frage stellten und die Notwendigkeit betonten, die 5konomisehe Theorie mit den relevanten Teilen tier anderen Sozialwisssenschaften starker zu integrieren.

Seit einiger Zeit haben sieh, vor allem unter dem Einflufl der K e y n e s - sehen Revolution und a~lderer Entwicklungen, die Fronten anseheinend etwas ver~ndert. Immer mehr wird die neotdassische Tradition auch yon innen her

* G. F l e i s c h m a n n : NationalSkonomio und sozialwissenschaftliche Inte- gration. Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Smdien in den Grenz- bereiehen der Wirtsehafts- und Sozial~ssensehaften, Bd. 5. Herausgegeben yon Erik B o e t t c h e r u.a. , 125 S., Tiibingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1966.

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m~hodiseh und inhalflieh kritisiert, und die Veffechter der Autonomiethese komm~n auch hier in Bedrgngnis, zumal ihre Gegner sieh heute weniger dee f~:iher iibliehen essentialistisehen Einw~ude bedienen, sondern vielmehr Argu- mente benutzen, die dem Arsenal der modernen Wissenschaftslehre entstammen. Die Argumentation ist verwickelter und teilweise auch ,,teclmischer" geworden. Die Problemsituatian scheint nicht mehr so gut fiberschaubar zu sein, wie das fr'dher vielleicht noch der Fall war.

Es ist daher aul3erordentlieh zu begriiBen, da~ nun ein Versuch vorliegt - das hier zu besprechende schmale, aber inhaltsreiche Buch yon Gerd F1 e i s c h - in a n n --, diese Problematik in niichterner und unvoreingenommener Weise zu aualysieren und aufzulSsen, soweit das mit den heute zur Verfiigung stehenden methodischen Mittoln mSglieh ist. Ausgehend van der wissenschaftstheoretisehen Position, die vor allem Karl P o p p e r entwiekelt hat, besch~'ftigt sieh F 1 e i s e h - m an n der Reihe nach mit fiir sein Thema relevanten Auffassungen, wobei sein ernsthaftes Bemfihen erkennbar ist, den beha~delten Standpunkten gerecht zu werden, atwh wo er Kritik ffir notwendig h~lt. Der Darstellung folgt jeweils eine detaillierte und fibersichtliche Argumentation, die das Ffir und Wider zu der be- treffenden Auffassung erkennen lgt~t, woran sich eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte anschliel]t. Aul]er einer kurzen Einleitung (A) und einer noch kfirzeren Schlu~bemerkung (E) enth~lt das Buch drei etwa gleich groBe Hauptteile, uud zwar: eine wissenschaftstheoretisehe Grundlegung (B), die Analyse von Auffassungen, die die Integrationsbedfirftigkeit der Nationa~Skonomie be- tonen (C), und die van solehen, die die Autanomie des 5konomisehen Denkens mehr oder weniger stark herausstellen (D). Ich will nun der Reihe n ~ h auf seine Ausfiihrtmgen eingehen, dabei allerdings Teil D vor Tell C behaJadeln, weit sieh diese Reihenfolge van meiner Sicht der Dinge her als praktiseh erweist.

II.

In seiner Einleitung sagt der Verfasser, dab er die ursprfingliehe Zielsetzung seiner Untersuchmlg preisgegeben babe. Er sei zun~ehst davon fiberzeugt gewesen, ,,da~ die NationMSkonomie einer engeren Verbindung mit den sozialwissenschaft- lichen Nachbardisziplinen bediirfe, um Fortschritte zu machen" und ,,dab viel- beklagte M~ngel" dieser Disziplin ,,nur durch eine sozialwissenschaftliehe Inte- gration zu beheben sind" (S. 1), sei aber aus zwei Griinden davon abgekommen, nach in dieser Beziehung relevanten methodologischen Vorschriften zu suchen: erstens sei es ibm als gewagt erschienen, ,,ein wissenschaftliehes Vorgehen als empfehlenswert hinzustellen, bevor sich dessen Erfolge ~berzeugend nachweisen lassen", und zweitens babe sich ihm aus dem Studinm moderner Wissenschafts- lehre die Einsicht ergeben, ,,dab die Suche nach Regeln, deren Anwendung den wissenschaftliehen Fortschritt sichern soll, auf einem MiBverst~nduis tier Funk- tion methodologischer Untersuchungen beruht", denn die Wissenschaftslehre kSnne keine Regeln fiir die Entdeekung guter Theorien Iiefern. F 1 e i s e h m a n n beschr~nkt sieh daher in seiner Untersuchung im allgemeinen bewuBt darauf, Feststellungen zu m~hen, die im R~men der yon ihm vertretenen wissensch~ts- theoretischen Konzeption mSglieh erscheinen. Ich werde sparer auf diesen Punkt zuriickkommen.

Seine wissenschaftstheoretisehe Grundlegung beginnt mit einem Interpreta- tionsvorschlag ffir die Zielsetmmg der NationalSkanomie, der Erkl~rung und Prognose auf theoretiseher Grundiage als Ziele herausstellt und damit gleichzeitig die Bedeutung der Theoriebfldung akzenmiert, wie es der in der allgemeinen Wissenschaftslehre vorherrschendeu Auffassung entsprieht. F 1 ei s e h m a n n benutzt diese Gelegenheit, um die Grundziige der heutigen Logik der Erkl~rung

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und Prognose an Hand gut gew~hlter 5konomischer Beispiele eingehend zu er- lgutern. Um die Eigenschaften erfahrungswissenschaftlicher Theorien zu pr~zi- sieren, geht er dann anf das Problem des empirischen Gehalts und auf das P o p p e r - Kriterium e~n, das die prinzipielle Falsifizierbarkeit realwissensehaft- licher Systeme postuliert. Dabei r~umt er MiBverstgndnisse ans, die man in die- sere Zusammenhang oft finder. Es folgt eine Behandlung des Begriindungs- problems realwissenschafflieher Theorien und im Zusammenhang damit eine Kritik des Induktivismus und des Instrumentalismus, der sich im 5konomisehen Denken nicht selten in Verbindung mit der beliebten Redeweise vonder Theorie a~s einem ,Werkzeugka~ten" finder. Daran schliel]t sieh ein Absdmitt fiber An- n~iherung an die Wahrheit als regulative Idee und den kritisehen Vergleich rivali- sierender Theorien an, der den Pop p e r schen theoretischen Pluralismus ex- pliziert und das Problem der Entscheidung zwischen theoretischen Alternativen - - wieder unter Vel"wendtmg 5konomischer Beispiele -- untersucht. Dabei wird festgestellt, eine Voraussetzung fiir die regulative Ftmktion der Idee der An- n~hertmg an die Wahrheit bestehe darin, dab man bereit sei, ,,riwlisierende Theorien nieht Ms ein (~bel zu betra~ten" (S. 26).

Der n~chste Abschnitt des Kapitels client einer Pr~isierung des Integrations- begriffs, der fiir die Untersuchtmg in Betracht kommt. F l e i s e h m a n n betont bier, dal3 er sich ,,anf die Frage der Integration yen Disziplinen in ihren Aus- sagen i~ber die Wirklichkeit, genauer: auf die mSgliehe Bedeutung yon Theorien verschiede~er Sozialwissenschaften fi£r die NationalSkonomie" beschr~nken, also Fragen der institutioneUen Vereinigung yon Wissenscha~ten, der Verbindung zwisehen ihren Problemen und der ~oertragung yon Forschungstechniken bewu~t ausschalten wolle. Er sieht daher im wesentlichen zwei mSgliche Ansatzpunkte der Integration: die Prognose yon Randbedingungen fiir die Anwendung 5konomiseher Theorien und die Erkl~rung nationalSkonomiseher Theorien mit Hilfe yon Theorien anderer Sozialwissensehaften, webei er als Beispiel fiir einen solehen Versuch die D u e s e n b e r r y s c h e Konsumtheorie anfiihrt. Das Kapitel scMieBt mit einem grberbliek fiber die fiir das Integrationsproblem relevanten wissen- schaftstheoretisehen Positionen in Thesenfom mit kurzen Erl~uterungen.

Als erste der wissenschaftstheoretischen Positionen, ,die die Autonomie der 5konomisehen Theorie begriinden oder nahelegen" (D), behandelt F l e i s c h - m an n die Auffassung Ludwig v. M i s e s', der die NationalSkonomie bekanntlich ale apriorisehe Wissenschaft betra~htet. Man daxf ibm wohl darin zustimmen, dab der M i s es sche Apriorismus zwar ,nicht als repr~sentativ ffir die Gesamtheit der National5konomen a~zusehen ist", da~ abet die ,,MehrzaM der National- 5konomen" einer selehen Konzeption ,,zweifellos sehr viel n~her steht als dem Empirismus" (S. 74). Eine Analyse dieser Anffassung lohnt sieh daher nicht nur im speziellen Zusammenhang mit der Integrationsproblematik, sondern ganz all- gemein im Hinbliek auf Grundlagenfragen des 5konomischen Denkens. ~hnliches kazan man iiberhaupt ffir die ganze vorliegende Untersud~ung in Ansprueh nob- men, die ja in einem fort auf Probleme von a.Ugemeiner metaSkonomiseher Bedeu- tung eingeht. M i s e s vertritt die Auffassung, ,,dab eine Sozialwissenschaft, die sich die Entdeekung allgemeiner Gesetze zum Ziel gesetzt hat, notwendig ans apriorisehen Theorien bestehen mui3" (S. 75). Er h~t anscheinend, wie F I e i s e h - m a n n feststellt, eine empirische Theorie dieses Bereichs schon deshalb fiir un- mSglieh, ,,weil lode Aussage iiber beoba~htete soziale Tatbestgnde theoretisehe Elemente enth~lt". Das ist zwar ein Einwand gegen einen naiven Empirismus, wie er vielfach noch vertreten wird, aber z. B. nicht gegen die P o p p e r sche Kon- zeption, die ohne theoriefreie Beobachtungsanssagen anskommt. Der zweite M isessehe Einwax~d gegen die MSglichkeit e~er empirisehen Sozialtheorie be- zieht sieh anf die UnmSglichkeit tier empirischen Prlifung der betreffenden Aus-

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sagen, da naeh M i s e s bestenfalls Gedankenexperimente in Frage kommen. Daraus unmittelbar positive Folgerungen fiir eine apriorische Sozialtheorie zu ziehen, hieBe abet offenbar aus der Not eine Tugend zu maehen. M is e s hilft sich bier mit der These, daft menschliehes Handeln seinen Ursprung aus der Vernunft habe und dab man daher durch bloBes Denken zu Aussagen iiber dieses Handeln gelangen kSnne, deren Wa.hrheit so sicher sei wie die mathematischer SEtze. Daft eine auf diese Weise praxeologisch gedeutete NationalSkonomie keiner Integration mit anderen Sozialwissensehaften bedarf, scheint auf der Hand zu liegen.

Die Gegenargumentation F t e i s e h m a n n s kann daran ankniipfen, daB M i s e s selbst immer wieder die prognostisehe Verwendbarkeit der theoretischen Okonomie betout. Das ist, wie sich zeigen l£1]t, nicbt mit ihrem apriorisehen Charakter zu vereinbaren. Eine der beiden Annahmen miil3te also eigenflieh auf- gegeben werden. Die M i sessche ,,LSsung" des Dilemmas liegt offenbar darin, dab er einmaI die eine Annahme festhElt und implicite anf die andere verzichtet, ein audermal abet umgekehrt verf~hrt. Man hat bier offenbar das alte 8kono- mische Problem vor sieh, ,,de~ Kuehen zu essen und doch zu behalten", aber diesmal auf die methodologisehe Ebene gehoben und mit einer neuen Antwort versehen, einer Antwort, die in anderem Kontext vom gleiehen Theoretiker mit Sicherheit zuriickgewiesen wiirde. Was die Verwendung empiriseher Priifungs- metho~d~n in den Soziatwissenschaften angeht, so wird mit Recht darauf ver- wiesen, dab sich der M i s e s sche Pessimismus in dieser Hinsieht IEngst als un- begriindet herausgestellt hat. F l e i s e h m a n n geht dann auf einen relativen Apriorismus ein, der nut die MSgliebkeit einer vorl~ufigen Suspendierung der Priifung bestimmter Hypothesen involviert. ObwohI eine Auffassung dieser Art prinzipell einer Integration nicht entgeg~nsteht, weist or mit Recht auf mSgliehe konservative Wirkungen wie die Dogmatisierung fraglos gewordener Grundan- nahmen hin, ain Hinweis, der meines Erachtens gerade fiir das 8konomisehe Denken yon erheblicher Bedeutung sein diirfte.

Der n~chste Abschnitt ist einer Auffassung gewidmet, die sich in der effah- rungswissenschaftlichen NationalSkonomie mit der logischen Konsistenz als Wahrheitsgarantie zufriedengeben mSchte. Als Verfechter einer derartigen Auf- fassung wird Walter E u c k e n herausgestellt, dessen wissenschaftstheoretische Anschauungen in der Tat, wie der Verfasser bemerkt, im deutschen Sprachbereich noch erheblichen Einflul] haben. In dreifacher Hinsieht bestimmt E u c k e n die NationalSkonomie als Erfahrungswissensehaft: 1. Erfahrungen sind fiir ihn ,Aus- gangspunkt der Theoriebildung"; 2. sie ermSglichen die Feststellung, ob fiir die Theoriebildung relevante GleichfSrmigkeiten vorliegen, und 3. sie sind fiir die Setzung der Bedingungen maBgebend, aus denen bei der Theoriebildung ,,all- gemeine Wahrheiten abgeleitet" werden, ,,denen Denknotwendigkeit zukommt" (S. 88 f.). F l e i s c h m a n n stellt zunKchst die Frage, ,,ob die ats denkaotwendig angesehenen hypothetisehen Urteile iiberhaupt empirisehera Gehalt haben" (S. 90). Er bezieht sieh dabei anf eine fKihere Analyse yon mir, die zeigen sollte, dab die yon E u c k e n charakterisierten S~itze eigentlich nur als Iogische Implikationen und damit gehaltlose Aussagen verstanden werden kSnnen. Das ist nat/irlich eine Deutungshypothese, aber eine solche, die meines Era~htens mat den relevanten E u e k e n s c h e n Textstellen besser in FAnklang steht als aaldere in Betracht kom- mende Deutungen. F l e i s e h m a n n weist in diesem Zusammenhang daxauf hin, daft sich ,,die klare Unterscheidung tier modernen Logik zwischen empirischen KonditionalsKtzen und analytisehen (logiseh wahren) Wenn-Dann-S~tzen noch nicht lange durchgesetzt" hat, so dab E u c k e n, ,,dem diese Unterscheidung often- bar unbekannt war" (S. 90), nicht unbedingt in dieser Weise zu interpretieren sei. Er bietet dann eine plausible Erkl/~rung d~i i r an, warum man zu Behauptungen

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wie den E u c k e n schen iiber die Denknotwendigkeit der betreffenden Aussagen gelangen konnte.

Nun, es dfiffte hente sehwer sein, sich ein genaues Bild veto Zustandekom- men der Euckenschen Anschauungen zu machen, und eine wohlwollende Inter- pretation hat iiberdies auch sonst ihre Vorziige. Aber es mu/3 bier doch darauf aufmerksam gemacht werden, dab die Unterseheidung zwisehen analytischen und empirisdaen Anssagen keine Erfindung moderner Logiker ist. Auf was es in unserem Zusammenhang ankommt, scheint mir weniger die Unkenntnis dieses Unterschiedes bei E uc k e n zu sein als vielmehr die der Gehaltlosigkeit logisch wahrer Aussagen, die aueh andere 0konomen schon dazu verfiihrt hat, analytische Systeme wegen ihrer Sicherheit vorzuziehen. Auch E u c k e n seheint sich nieht dariiber klar gewesen zu sein, dab Gewil]heit immer nur durch Gehaltlosigkeit erkauft werden karm.

Die Vorzugswiirdigkeit dieser Dentung zeigt sich meines Erachtens schon in dem zweiten Punkt, den F l e i s c h m a n n be~ E u c k e n moniert: dab ,,die logische Ricbtigkeit der Ableitung der S~tze der Theorie" yen diesem gleieh- gesetzt wird ,,mit der Wahrheit der Theorie" (S. 92). In diesem Punkt gibt es offenbar, wie er selbst feststellt, keinen Interpretationsspielraum. Da~ diese E u c k e n sche These, die im iibrigen auch sonst noch h~ufig im 5konomiseheu Denken zu linden ist, relativ leicht ad absurdum gefiihrt werden kann, wird den wissenschaftstheoretisch geschulten Leser nieht iiberraschen (vgl. a. a. O., S. 92 ff.). Nur, wenn man den Kontext, in dem diese These steht, zur Deutung heranzieht, dr~ingt sich meines Erachtens der Verdacht auf, dab E u e k e n bier gar nicht so sehr auf die Widerspruchslosigkeit der Theorie abste]len wollte, wie F1 e i s e h - m an n an~immt, als vielmehr wiederum auf die oben behandelte Denknotwendig- keit. Dazu mi t re man allerdings annehmen, dab die yon ihm erw~hnten ,,Bedin- gungen" nicht nur als Pr~missen der Ableitung eine Rolle spielen, sondern daft sie dariiber hinaus in den Wenn-Komponenten der abgeleiteten theoretischen Aussagen erhalten bleiben. Eine solche Deutung macht meines Erachtens viele Passagen der E u e k e n sehen Darstellung verst~indlicher, als das sonst der Fall w~re. Seine Auffassung wiirde dann allerdings dem M i s e s schen Apriorismus n~iher kommen als in der yon F l e i s c h m a n n vorgezogenen Interpretation. Ich gebe abet gerne zu, da~ es hier weniger um historische Deutungsprobleme geht als um die Kritik relevanter wissenschaftstheoretischer Positionen. Und: gleich- giiltig, welehe Deutung man vorzieht, die Analyse zeigt jedenfalls, dab fiir das Integrationsproblem keine negativen Kensequenzen zu ziehen sind.

Die n~ehste Position, die veto Verfasser behandelt wird, involviert die In- anspruehnalune der sogenannten 5konomisehen Daten fiir die BeschrKnkung der 5konomisehen Theoriebitdung. Aueh als Verfechter dieser Auffassung, die often- bar yen apriori als solehen erkennbaren exogenen Variablen ausgeht, kommt wieder Walter E u c k e n in Betracht. F 1 e i s c h m a n n zeigt hier durch die Analyse eines E u e k e n s e h e n Beispiels, dab yon einer ,,unzul~issigen ~rber- schreitung der Datengrenze" keine Rede sein karm (S. 98). Auch bier ergibt sich kein Argument gegen eine sozialwissensehaftliche Integration. Allerdings sieht F l e i s c h m a n n in der Behauptung E u c k e n s , ,die Daten der 5konomischen Theorie seien nur geschichtlichem Verstehen zug~nglieh" (S. 100), insofern etwas Richtiges, als sich dutch eine Integration keinesfalls eine SehlieBung des 5kono- misehen Systems erreichen l~il]t. Ich bin nicht recht in der Lage, zu sehen, inwie- fern sich daraus etwas Positives ffir eine ,,Methode" ergeben sell, deren Funk- tionieren bisher so wenig aufgekl~rt werden konnte.

Der letzte Abschnitt des Autonomie-Kapitels ist der vor allem yon Milton F r i e d m a n entwickelten Auffassung gewidmet, dal3 es nicht ,,auf den Realis- runs der Annahmen einer Theorie" ankommt, ,,sondern darauf, ob sich eine

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Theorie bei der Prognose jener Ph~nomene bew~hrt, die zu erkl~ren sie bestimmt ist" (S. 102). Nach einer Kl~irung der Verwendung des vieldeutigen Ausdrueks ,,Annahme" bei F r i e d m a n und der sich aus seiner ,,als-ob".Interpretation 5konomiseher Hypothesen ergebenden Konsequenzen untenvirft F 1 e i s e h m a n n dessen in wesentlichen Punkten instrumentalistische Auffassung einer kritischen Analyse, die vor allem auf die darin implizierte Einschr~nkung der (~berpriifungs- mSgliehkeiten 5konomiseher Theorien abzielt. ,,Es wfirde", wie er mit Recht fest- stellt . . . . . . zur Konservierung des gegenw~rtigen Staudes der Theoriebildung beitragen, wenn man es ablehnte, Widerspriiehe zwischen 5konomisehen und nieht- 5konomischen Theorien zum Gegenstand einer kritisehen Diskussion zu machen, bevor eine neue, einwandfrei priifbare Theorie vorliegt" (S. 110). Auch bier lassen sieh also keine negativen Konsequenzen fiir die Integration mit anderen Sozialwissenschaften ziehen.

Schon ]etzt diiffte soviel klar geworden sein: Die wissenschaftstheoretisohen Auffassungen der Autonomietheoretiker werden, abgesehen yon logisehen und anderen Sehwierigkeiten, vet allem auch deshalb m~riiekgewiesen, weft sie einen konservativen Effekt in bezug auf den theoretisehen Fortschritt erkennen lassen. Wir wenden uns nun der Analyse wissenschaftstheoretischer Positionen zu, ,,die eine Integrationsbediifftigkeit der NationalSkonomie begrfinden sollen" (C), um zu effahren, ob sich bier ~.nliehe Einw~inde ergeben.

III.

Als erster Theoretiker wird hier unter dem Titel ,,Nationaliikonomie als Kunstlehre" Sidney S c h o e f f l e r behandelt, der wohl einen der bisher radikal- sten Angriffe auf den Autonomieanspruch des iikonomisehen Denkens unternom- men hat. Nach seiner Ausicht ist n~mlich schon die ,Zielsetzung, 5konomische Gesetze entdeeken zu wollen" (S. 37) veffehlt, so dab die ()konomen sinnvoll~r- weise nur zur Entwicklung einer allgemeinen Theorie rationaler Entscheidungen beitragen oder versuchen kiinnen, die Ergebnisse einer solehen Theorie zusammen mit nomologisvhen und Beobaehtungsaussagen anderer Wissenschaften auf einen Spezialbereich anzuwe~den, um wirtschaftspolitisehe Zielsetzungen zu fSrdern. Griinde fiir das bisherige prognostisehe Versagen des 5konomisehen Denkens finder er ,,in einer Reihe von methodischen Mi~ngeln, die sieh sehlieBlieh alle darauf zuriiekfiihren lassen, dab 0kenomen alas 5konomische S y s t e m . . . als mehr oder weniger gesch]ossen angesehen haben, w~hrend es offenkundig immer nur ein offenes sein kann" (S. 39). D.h. streng genommen gibt es in diesem System naeh S e h o e f f 1 e r nur exogene Variable, so dai3 sieh keine wahren 5konomischen Aussagen theoretischen Charakters bilden lassen. Diese Auffassm~g sucht er nieht nut durch Plausibilit~tsargumente, sondern dariiber hinaus dureh eine lunge Serie yon Fall-Analysen, Untersuchungen vorliegender 5konomiseher Modelle, zu erh~rten.

F l e i s e h m a n n gesteht zun~chst zu, ,,dab die Frage, ob es in der National- 5konomie allgemeine Gesetze gibt, sinnvotl ist und dab S c h o e f f l e r s Kritik fast aller wichtigen Gebiete der nationalSkonomischen Theorie zu der Vermutung berechtigt, dal3 solehe Gesetze noch nicht gefunden wurden" (S. 41), glaubt aber, dab mit dieser Feststellung offene Tiiren eingeraunt werden, denn yon denjenigen ,,(Jkonomen, denen es um die Bildung empirisch gehaltvoller Theorien geht", werde kelnesfalls behauptet, ,,dab sie Gesetzm~Bigkeiten gefunden haben, die bereits als invariant gegenfiber jeder Ver~nderung der Sozialstnlktur anzunehmen sind" (S. 41). F l e i s c h m a n n kann sich dafiir auf ein D u e s e n b e r r y - Z i t a t stfitzen, und ich mSchte durchaus zugestohen, da~ er noc~h zahlreiche andere Zitate dieser Art finden kiinnte. Trotzdem scheint mir seine Behauptung etwas zu welt

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zu gehen, ganz abgesehen davon, dab das Zugest~ndnis der Nieht-Invarianz nicht selten im Sinne einer Alibi-Formel vcrwendet zu werden pflegt. Es kommt sehr wesentlich daranf an, welche methodischen Konsequenzen ads diesem Zugest~Lud- nis gezogen werden. Der Einwand gegon S c h o e f f l e r , dab bei Bedarf jeweils weitere Variable in Betracht gezogen werdcn kiinnen, bis man zu genfigend inva- rianten Funktionen gelangt, ist an sich durchaus akzcptabel, wird aber nicht ganz dem Gedanken gerecht, den man bei wohlwollender Deutung im Hintergrund der S e h o e f f l e r s e h e n Argumentation vermuten kSnnte: nLrnlich der Idee, daB man bei ad~kluater Interpretation der betreffenden Ph~nomene anf tiefcrliegende Faktoren zurfickgehcn miisse, so dab die fin 5konomisehen Begriffsapparat domi- nierenden Variablen unter Umst~nden ganz verschwinden 1. Wir haben angesichts der bisherigcn Geschichte der Naturwissenschaften allen Grund, derartige Ent- wicklungsmSglichkeiten such ffir den sozialwissenschaftlichen Bereich ins Auge zu fassen. Es sieht nun zun~chst so aus, Ms ob man auf jeden Fall eine Ver- bindung zu sogenannten ,rein 5konomisehen" Variablen herstellten mfiBte, um zu branchbaren Prognosen zu gelangen, so dab zu diesem Zweek ,anch ,Sko- nomische' Gesctze efforderlich sind, d .h . allgemeine Aussagen mit Variabten, die (3konomel¢ fiblicherweise in Betracht ziehen" (S. 48). Abcr das ist keineswcgs ansgemacht. Es ist vielmehr durchaus mSglich, dad man zu einer brauehbaren Interpretation der heute fiblicherweise mit 5konomischen Begriffen beschriebenen Situationen durch Anwendung yon Theorien hSheren Niveaus kommt. Das wird jedenfalls durch neuere Forsehungen znr Reduktionspr(rblematik nahegelegt, die eine Veriinderung der reduziertea Theorien und ihres Begriffsapparatcs als mSg- lich erscheinen lassen. - Ich mSchte damit keineswegs der im wesentlichen durch- ans stichhaltigen Kritik an der S c h o e f f 1 e r schen Position widerspreehen, zu- maIS e h o e f f 1 e r selbst keine T~berlegungen der angefiihrten Art angestellt hat. Seine eigene Kritik am 5konomisehen Dcnken schie/3t ohne Zweifel in vielen Punkten fiber das Ziel hinans. Dermoch enthi~lt sein Buch einige heuristisch durda- aus interessante Gesiehtspunkte.

Immerhin scheint mir die ira n~ichsten Abschnitt analysierte Auffassung Emile G r u n b e r g s , der au_s der Analyse 5konomischer Gesetze ein konkretes Reduktionsprogramm entwickelt, wesentlich fruchtbarer und interessanter zu sein u. G r u n b e r g s Position ist weniger radikal Ms die S c h o e f f l e r s . Er bestreitet nieht wie dieser die MSglichkeit iikonomischer Gesetze, sueht aber zu zaigen, dab solche Gesetze sieh normalerweise nicht fiberprfifen lassen und sieh daher such nieht bew~hren kiirmen, weft sic mit ceteris-paribus-Klauseln versehen werden miissen, deren Erfii]hmg nicht sichergestellt werden karm. Der Ausweg

1 Vgl. zu dieser Idee vet allem: K. R. P o p p e r : Die Zielsetzung der Er- fahrungswissenschaft, Ratio 1957. Abgedruekt in: Theorie und Realit~t, Tfibingen 1964, sowie: P. K. F e y e r a b e n d : Explanation, Reduction, and Empiricism. In: Minnesota Studies in the Philosophy of Science, Vet. III, herausgegeben yon H. F e i g l und G. M a x w e l l . Minneapolis 1962, zwei Arbeiten, die F l e i s c h - m an n selbst in anderem Zusammcnhang erw~hnt mad verwertet.

2 G r u n b e r g hat diese Auffassung zun~ichst in seinem Aufsatz ,,Notes on the Verifiability of Economic Laws" entwickelt (Philosophy of Science 24 [I957], abgedruckt in: Theorie mad Pmalit~t, a. a. 0.). Inzwischen ist yon ibm und R. M. C y e r t e i n weiterer methodologiseher Aufsatz ersehienen: Assumption, Prediction, and Explazaation in Ecouomics, in: C y e r t - M a r e h (eds): A Behav- ioral Theory ef the Firm. Englewood Cliffs 1963, sowie aus seiner Feder eine Arbeit mit dem Titel: The Meaning of Scope and External Boundaries of Economics, in: The Structure of Economic Science, ed. by Sh. R. K r u p p , Englewood Cliffs 1966.

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der neoklassisehen 0konomen, solehe Gesetze aus ,,wahren Gru~dannahmen" ab- zuleiten, um ihre Geltung sicherzustellen, ist heute seiner Auffassung nach nicht mehr vertretbar, da die Wahrheit dieser Almahmen selbst probtematiseh geworden ist. Auch statistisehe Nachfrage- nnd Angebotsfunktionen unterliegen nach G r u ri- b e r g solchen ceteris-paribus-Bedingungen und sind daher nieht widerlegbar. Bei prognostisehem Versagen pflegen sie auf das Raum-Zeit-Gebiet eingeschr'dnkt zu werden, filr das sic gelten. Auch die partielle Eignung 5konomiseher Gesetzmgl3ig- keiten ftir Erkl~.rung und Prognose schafft keine befriedigende Situation, solange das Problem der Prilfbarkeit nicht gel5st ist. Um dieses Problem zu 15sen, schlggt G r u n b e r g nun eine Rednktion anf falsifizierbare allgemeine VerhMtensgesetze vor, die in anderen Bereichen gepriift werden kSnnen.

Gegen dieses Reduktionsprogramm hat F l e i s c h m a n n an sich prinzipiell keinen Einwand 3. Seine Kritik beschrgnkt sich anf die G r u n b e r g sche These der Notwendigkeit einer Integration (Reduktion) wegen der Nieht-Falsifizierbar- keit 5konomiseher Gesetze. Dazu bchandelt or zun~chst die Problematik der Falsifizierbarkeit und der Funktion kritischer tJberprilfung eingehender, als das im grundlegenden Kapitel schon geschehen war. Vor allem kann er darauf hin- weisen, dab wegen der Notwendigkeit faIsifizierender Hypothesen ffir allgemeine Gesetze, d. h. z. B. auch ffir die yon G r u n b e r g ins Auge gefaBten Verhaltens- gesetze, keine strikte Falsifizierbarkeit beansprudlt werden kann. Damit h~ingt die Tatsache zusammen, da~ man eine bisher bew~-hrte Theorie ungern opfern wird, wenn sieh noch keino bessere Alternative abzeichnet. Das ist umso mehr der Fall, als die Priffung und damit die Fatsifikation von Theorien, wie P o p p e r festgestellt hat, teilweise von ,,subjektiven" Faktoren wie z. B. der Ernsthaftig- keit der Widerlegungsversuche abh~ngt, Faktoren, die beim Vergleich rivalisieren- der Theorien meist vernachl~ssigt werden kSnnen. F 1 e i s e h m a n n kommt daher zu dem SchluB, daB' ,,Falsifikationsversuehe nieht die Funktion haben, dab man zu einem Grad der Best~tigung einer Theorie gelangt", wohl abet die, ,,eine Ent- seheidung zwisehen rivalisierenden Theorien herbeizufilhreu" (S. 57). Aus dem Wortlaut der G r u n b e r g schen Argumentation giaubt er nun entnetunen zu mils- sen, da~ bei diesem Falsifikationsversuehe eine Rechtfertigungsfuuktion ffir die betreffenden Gesetze haben, w~hrend er selbst demgegenilber mit Pop p e r deren Lernfunktion akzentuiert. Wie dem auch sei, ida kSmlte mir jedenfalls denken, dab G r u n b e r g den wesentliehen Punkten der F 1 e i s e h m a n n sehen Argumen- tation ohne weiteres zuzustimmen in der Lage w~e, ohne dab er geneigt wgre, sein Reduktionsprograznm und seine dahinterstehende These anfzugeben, dal~ die Reduktion auf altgemeine Verhaltensgesetze wenn nicht ,,notwendig", so doch tier erfolgverspl~ehendste Weg fiir alas 5konomisehe Del~e.n ist.

Um diese These yon der anderon Seite her zu unterminieren, geht F1 e i s e h - m a n n auf ,,die weitgehend unkontrollierbare Variabilit~t der Situationen" ein, ,,in denen 5konomisehe Theorien angewendet werden", und sucht zu erweisen, dab das darin liegende Hindernis fiir die Prfifung dieser Theorien nicht immer un- fiberwindbar, die oft praktizierte Strategie der historisehen Relativiertmg keines- wegs unabweisbar ist. Am Beispiel der Nachkriegsdebatte um die Konsnmfunktion

Er verweist allerdings auf gewichtige Einw~rlde gegen die vollstiindige Reduzierbarkeit auf eine Mikrowissenschaft veto menschliehen Verhalten in der Literatur und fiihrt dazu Arbeiten yon K. P o p p e r , M. B r o d b e e k und G. G ~ f g e n an (vgl. S. 54, Anm. 54; Drnekfehlerhinweis: zu erg~nzen ist: filr den B r o d b e e k - A u f s a t z ,,Definition and Reduction, Philosophy of Science 25 [1958]"; ffir den felg~nden Aufsatz de]: Name des Autors ,,G6rard G~fgen"). VgL abet da~u neuerdings: R. L i c h t m a n : Karl Pepper's Defense of the Auton- omy of Sociology. Soeia~ Research 32 (1965).

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zeigt sieh nach seiner Auffassung, ,,dab in der National5konomie ein Fortschritt von Quasi-Gesetzon . . . auf allgemeine Gesetze hin grunds~tzlich auch ohne Reduktion auf experimentelI fiberprtifbare Verhaltensgesetze mSglich ist" (S. 62). Nun kann aber die yon ihm hier angefiihrte Theorie D u e s e n b e r r y s meines Erachtens gerade ffir den yon G r u n b e r g vertretenen Reduktivismus in An- spruch genommen werden 4. Anch der nun folgende Versueh F l e i s c h m a n n s narhzuweisen, dab die von G r u n b e r g vorgeschlagene Reduktion ,,ohne die MSgliehkeit einer sehwarhen Falsifikation der 5konomischen Gesetze kaum aus- kommt" (S. 63), hat reich nicht ganz iiberzeugt, obwohl ich ohne weiteres bereit bin, zuzugestehen, dab sich a priori wohl kaum etwas fiber die Richtigkeit der These yon der prinzipiellen Unpriifbarkeit 5konomischer Gesetze ausmaehen l ~ t . Da~ man grunds~tzlioh genStigt se i , hier mit unspezifizierten ceteris-paribus- Klauseln zu arbeiten, wie G r n n b e r g anzunehmen seheint, vermag ich nicht ganz einzusehen.

Zum SehluB seiner Analyse der G r u n b e r g s c h e n Auffasstmg betont F 1 e i s c h m a n n mit Reeht, dab die eigentliche Chance einer Integration -- und damit auch wohl der Redul~ion -- ,,in tier MSgtichkeit einer ,korrigierenden Er- kl~irung' der 5konomisehen Gesetze" liegt, ,,d. h. in der Aufdeckung yon Irr- tiimern, die zu einer Revision der Gesetze ffihrt" (S. 65). Gegen seine weitere Behauptung, dab sich die Frage nach dem dadurch erreichten Erkenntnisfortschritt nut durch tYoerprfifung der korrigierten i~konomischen Gesetze beantwo~en l~i~, habe ieh dagegen einige Bedenken ~.

Der letzte Abschnitt des Integratio~skapitels ist dem Problem der Notwendig- keit der Voreinbarkeit 5konomiseher Verhaltensannahmen mit allgemeinen Ge- setzen anderer Sozialwissenschaften gewidmet. F l e i s c h m a n n stellt in dieser Beziehmlg zun~chst lest, dab an sieh bei Unvereinbarkeit eine symmetrisehe Situation entsteht; der Fehler kann nicht a priori einer tier betreffenden Wisseu- schaften angelastet werden. Immerhin l~Bt sich yon der Methodologie der kriti- schen Prtifung her sagen, dab ,,0konomen, die eine psychologischen Theorien widersprechende Theorie entwickeln", vet der Aufgabe stehen, ,,nach Fehlern sowohl in der eigenen als auch in den psychologischen Theorien zu suchen". Anch kann die Aufdeekung einer solchen Unvereinbarkeit erheb]iche Bedeutung fiir den empirischen Charakter der 5konomischen Theorie erhalten, da sieh auf diese Weise none PrtifungsmSgliehkeiten ergeben kSnnen. F l e i s e h m a n n sehr~nkt dieses Zugest~ndnis aber gleich wieder mit dem Hinweis anf die in der (~konomie /iblicherweise vorhandenen idealisierten Annahmen ein, yon denen yon vornherein bekannt sei, ,,dab sie nieht vSllig mit der Wirklichkeit iibereinstimmen" (S. 72). An derartigen Annahmen werde im altgemeinen schon deshalb festgehalten, weil

4 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Zur Theorie der Konsum-Nachfrage, Jahr- buch fiir So~zialwissensehaft 16 (1965), S. 139 f.

5 Dazu habe ich seinerzeit auf indirekte PrtiflmgsmSglichkeiten hingewiesen, wie sie in P. K. F e y e r a b e n d s Artikel: A Note on the Problem of Induction. Journal of Philosophy LXI (1964), S. 351 f., an einem naturwissenschaftlichen Beispiel expliziert werden. F l e i s c h m a n n geht darauf ein (Anm. 81, S. 66 f.) und akzeptiert prinzipiell solehe M5glichkeiten, sehlieBt aber dann mit dem Pas- sus: ,,Sollten jedoch alle Theoreme, die sich auf t raditio~elle nationalSkonomische Probleme beziehen, grunds~tzlich nicht empiriseh fiberpriifbar sein, wfirden wit zSgern, yon einem Fortschritt nationalSkonomischer Erkenntnis zu sprechen; es g~be dann eigentlich nut eine Anwendung psycholog~scher odor soziologischer Erkenntnisse auf nat~o~alSkonomische Probleme." Nun, daft es sich tun einen Fortschritt handeln wiirde, w~re sicher nicht zu bestreiten; ob er so odor auders einzuordnen w~re, darfiber lieBe sieh reden.

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wegen eines grSBeren Anwendungsbereichs dennoch eine grSl3ere Ann~iherung an die Wahrheit erreichbar sei, als das mit Hilfe yon realit~tsn~iheren Verhaltens- annahmen der Fall were. Als Beispiel fiihrt er bier die Gewinnmaximierungs- hypothese an, ffir die der Einwand, ,,dab Menschen in der Regel yon oiner Viel- zahl yon Motiven beherrscht werden", in der Tat bedeutungslos ist, weft damit keine weiteren PrfifungsmSgliehkeiten erbffnet werden. Aber das lieg~ meines Eraehtens in diesem Falle daran, dab mit einem solehen Einwand keine theore- tisehe Konzeption verbunden ist, die als Alternative in Betracht kommt. DaB solehe vulg~rpsyehologisehen Hinweise nieht fruchtbar sind, sagt noeh nichts fiber die Relevanz yon Argumenten, die ans der mo dernen Motiwtionstheorie stammen, zumal der logische Status idealisierter Annahmen im 5konomischen Denken ohne- hin prek~r ist. Ich sehe ~xicht, inwiefern hier fiberhaupt Fortschritte erzielt werden kSrmen, ohne dab man relevante Verhaltenstheorien heranzieht.

IV.

Da.mit glaube ich zu den wichtigsten kontroversen Puukten der F 1 e i s o h- m annschen Argumentation Stellung genommen zu haben, indem ich yon tier wissensehaftstheoretischen Grundlage ausgega~gen bin, die auch er fiir akzeptabel halt. DaB ich seine Argumente im wesentlichen fiir richtig halte, dfirfte dabei klar geworden sein, wenn sich auch in Details einige EinwEnde ergaben. Diese EinwEnde h~ngen zumindest teilweise damit zusammen, da~ ich die relativ neu- trale Einstetlung, die F 1 ei s c h m a n n d e r Integrationsproblematik entgegen- bringt, fiir reich nicht akzeptiereu kann. Das ffihrt auf einen Punkt zurfick, auf den ich zu Anfang schon hingewiesen habe, n~mlich die bewuflte Selbstbeschr~n- kung auf eine ,,rein" wisseuschaftstheoretisehe Analyse, die in der ganzen Argu- mentation F l e i s c h m a n n s zum Ausdruck kommt und die er in seiner Ein- leimng zu begriinden sucht. Es tancht bier die Frage anf, ob es wirklicb notwen- dig ist, bei Untersuchungen dieser Art heuristSsche Gesiehtspunkte vSllig anszuschlieBen, nut well die Wissenschaftslehre keine Regeln daftir liefern kann, wie man zu guten Theorien kommt. Mir sind seit langem Zweifel an dem Wert einer solchen Enthaltsamkeit gekommen. Sollte die Wissenschaftslehre fiir die Auseinandersetzung mit heurist~ischen Gesichtspunkten nicht zust£ndig sein, so lohnt es sieh unter Umst~ndeu, ihre Grenzen zu iiberschreiten und inha]tliche ~Jberlegtmgen anmlstellen. Wir wissen ans der Geistesgeschichte, dab jedenfa~s phitosophische Konzeptionen heuristisch fiir die wissenschaftliche Entwicklung fruchtbar sein kSnnen, unter anderem weft sie programmatische Gesichtspunkte enthalten, die mit allgemeinen kosmologischen Auffmssungen zusammenhEngen. Ieh denke da zum Beispiel an das B e n t h a m s c h e Programm, das einer utili- taristisehen Konzeption entstammt und das 8kouomische Denken stark beeinfluBt hat, vor allem fiber die neoklassische Edtwicklung, die ja nicht etwa deshalb problematisch wurde, weft in ihr die diesem Prograrnm entstammende Idee der Mikro-Reduktion eine erhebliche Rolle spielte. Vor allem die G r u n b e rgsche Konzeption hat diese Idee der Mikro-Reduktion, deren Durchffihrung in der Nee- klassik teilweise zu einer forma~en Scholastik gefiihrt hatte, unter modernen Gesichtspnnkten revitalisiert. Ein wichtiges methodisches Argument ffir den 5ko- nomischen Reduktionismus scheint mir fibrigens da~n zu bestehen, dal] eine Reduktion im Sinne G r u n b e r g s die Bereichsbindung des 5konomisehen Den- kens sprengen und seine Erkl~rungskraft erhShen miiBte. Eine Garantie ffir den Erfolg eines solehen Prograrnms ist natfirlieh weder von methodologisehen noch von heuristisehen Gesichtspunkten her zu erwarten, aber urn Garantien ist es in der Wissensehaft wie im t;4gliehen Leben ohnehin sehlecht bestellt.

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Ein solcher Rekurs auf das B e a t h a m s c h e Programm wiirde iibrigens para~loxerweise dazu fiihren miissen, da~ man den 5ko~omischen E~kl~rungs- ansatz selbst allgem~inor auffagt, als das in der neoklassischen Phase iiblich war, und ihn dadureh aueh fiir die anderen Sozialwissenschaften bedeutsam werden lafit. Auf diese Weise wiirde der Tatbestand sichtbar, dab die 5konomisebe Tradi- tion Elemente enth~t, die sie zu einer der gro~en theoretischen Alternativen dos soziologischen Denkens -- etwa im Vergloich mit dem Marxismus und dora Funk- tionalismus -- machen, ein Umstand, der durch die Bereichsbindung der iiblichen 5konomischen Argumentation bisher weitgehend verdimkelt wurde. Eine solche Verallgemeinermlg und damit logische Starkung des 5konomischen Ansatzes liegt nicht nur ganz im Sinne des durch B e n t h a m refo1~nulierten klassischen Pro- gramms, sondera sie hat dariiber hinaus wieder die methodisehen Argumente fiir sich, die auf eine ErhShung des Gehaltes und der Erkl~l~ngskraft abstellen e. Auch hier karm es also durchaus nfitzlich sein, heuristisehe und methodische Gesichtspunkte miteinander zu vorbinden, um bisherige ProblemlSsungen zu ver- bessern und zu fiberwinden. Schon der Entschlul3, die zentrale 5konomische Problemstellung anders - vor allem: weiter -- aufzufassen, als es der fiblichen Deutung entspricht, kann sich als fruchtbar erweisen, tinter anderem auch, weil er neue PriifungsmSglichkeiten schafft.

Schaltet man derartige Gesichtspunkte nicht aus, so stellt sieh die Problem- situation hinsichflich der Frage Autonomie oder Integration meines Erachtens etwas aaders dar, als sie in diesem griindlichen und niichternen Buche geschildert wurde. Es treten die konservativen Aspekte des Autonomiestrebens und die kri- tischen Tendenzen der Integrationsauffassung deutlicher horror. Die Neutrali- t~t des Wissenschaftstheoretikers verschwindet, und die Akzente verschieben sich zugunsten einer Auffassung, die das Streben nach einer Integration der Sozial- wissenschaften als positiv im Sinne des Erkenntnisfortschrittes auszeichnet.

Anschrift des Verfa.ssers: Prof. Dr. Hans A l b e r t , Wirtschaftshochsdaule Mannheim, D-68 Mannheim, SchloB.

Ich kann reich deutlich an ein Gespr~ch erinnern, in dem F l e i s e h m a n n mir gegeniiber ein sehr instruktives Beispiel ffir eine solehe Erweiterung des Anwendungsbereichs 5konomischer Theorien brachte, um einen Punkt zu beleuch- ten, der mir leider nieht mehr gegenw~rtig ist.