Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine...

7
Nachrichten aus dem Institut für Technische Chemie Wasser- und Geotechnologie 1. Jahrgang, Heft 1, 42–48 (2002) 42 M. Schwotzer Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips M. Schwotzer Institut für Technische Chemie, Wasser-und Geotechnologie, Forschungszentrum Karlsruhe Zusammenfassung Die Kristallisation von Gips ist ein bedeutender Faktor bei der Natursteinverwitterung und Schädigung von historischer und moderner Bausubstanz. Mit der Salzkristallisation in porösen Werkstoffen, wie Natursteinen, Mörteln oder Putzen, sind enorme mechanische Belastungen verbunden, welche das Gefüge der Baumaterialien schädigen oder sogar völlig zerstören können. Die Reaktionsmechanismen, welche zum Aufbau dieser Kristal- lisationsdrücke führen, sind jedoch noch nicht vollständig aufgeklärt. Untersuchungen am Modellsystem „Gipsbildung aus Anhydrit“ mit dem Rasterelektronenmikroskop (ESEM) zeigen, dass auf der Oberfläche des Anhydrits ein nadeliges Gipswachstums abläuft. Weitere Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Wachstum und der Materialein- bau im Fussbereich der Kristalle einen bedeutsamen Beitrag zur Ausbildung von Kristal- lisationsdrücken leisten muss. Anhand der Untersuchungsergebnisse wird ein Kristallisa- tionsmodell vorgeschlagen, welches einige bereits Anfang des letzten Jahrhunderts for- mulierte Modellvorstellungen untermauert. Dieser Beitrag fügt dem Verständnis der Bauschäden durch Gipskristallisation einen weiteren wichtigen Aspekt hinzu.

Transcript of Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine...

Nachrichten aus dem Institut für Technische ChemieWasser- und Geotechnologie1. Jahrgang, Heft 1, 42–48 (2002)

42

M. S

chw

otze

r N

atur

stei

nver

witt

erun

g du

rch

Gip

swac

hstu

m: E

ine

Mod

ellst

udie

übe

r die

Um

wan

dlun

g vo

n An

hydr

it zu

Gip

s

Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips

M. SchwotzerInstitut für Technische Chemie, Wasser-und Geotechnologie, Forschungszentrum Karlsruhe

Zusammenfassung

Die Kristallisation von Gips ist ein bedeutender Faktor bei der Natursteinverwitterung undSchädigung von historischer und moderner Bausubstanz. Mit der Salzkristallisation inporösen Werkstoffen, wie Natursteinen, Mörteln oder Putzen, sind enorme mechanischeBelastungen verbunden, welche das Gefüge der Baumaterialien schädigen oder sogarvöllig zerstören können. Die Reaktionsmechanismen, welche zum Aufbau dieser Kristal-lisationsdrücke führen, sind jedoch noch nicht vollständig aufgeklärt. Untersuchungenam Modellsystem „Gipsbildung aus Anhydrit“ mit dem Rasterelektronenmikroskop(ESEM) zeigen, dass auf der Oberfläche des Anhydrits ein nadeliges Gipswachstumsabläuft. Weitere Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Wachstum und der Materialein-bau im Fussbereich der Kristalle einen bedeutsamen Beitrag zur Ausbildung von Kristal-lisationsdrücken leisten muss. Anhand der Untersuchungsergebnisse wird ein Kristallisa-tionsmodell vorgeschlagen, welches einige bereits Anfang des letzten Jahrhunderts for-mulierte Modellvorstellungen untermauert. Dieser Beitrag fügt dem Verständnis derBauschäden durch Gipskristallisation einen weiteren wichtigen Aspekt hinzu.

Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips

43

1 Einleitung

Eine Vielzahl der heute noch erhaltenen historisch bedeutsamen Bauwerke weisen Bau-schäden auf und können nur mit erheblichem Aufwand instandgesetzt werden. Damit istnicht nur ein grosser finanzieller Aufwand verbunden, sondern geht auch historischbedeutsames Kulturgut unwiederbringlich verloren.Eine Vielzahl der zugrundeliegenden Schadensmechanismen basieren auf Kristallisati-onsprozessen von Salzen. Dies ist häufig auf den Transport bauwerksschädlicher Salzeim Porengefüge des porösen Werkstoffes oder auf chemisch-physikalische Wechselwir-kungen zwischen einzelnen Bestandteilen der Werkstoffe zurückzuführen. Als Folge kri-stallisieren im Porengefüge dieser Werkstoffe Salze aus. Die Salzkristallisation verur-sacht eine mechanische Belastung des Werkstoffgefüges. Im Porengefüge können sichdabei Drücke aufbauen, welche sich in den Größenordnungen der mechanischen Festig-keiten der Werkstoffe bewegen können [1].Auf welche Art und Weise sich Kräfte bzw. Drücke durch das Wachstum von Salzkristal-len aufbauen ist jedoch umstritten. Das Eindringen salzführender Lösungen in Bausub-stanz ist in sehr vielen Fällen kaum zu vermeiden. So scheint es nötig zu werden, Keim-bildung und Kristallisation der Schadsalze zu unterbinden oder sie derart ablaufen zu las-sen, dass der Werkstoff nicht belastet wird. Somit wird das Wissen um dieReaktionsmechanismen der schädigenden Prozesse zur Voraussetzung für die Erstel-lung von dauerhaften Instandsetzungs- und Konservierungskonzepten.Die Schadenprozesse an Natursteinen sind extrem komplexe Prozesse. Daher sind dieBeurteilung des Zustandes oder Prognosen eines gefährdeten Bauwerkes ohne ein bes-seres Verständnis der Schadens- bzw. Kristallisationsmechanismen sehr schwierig. Diezahlreichen Arbeiten zur Problematik der Salzschäden an Baustoffen zeichnen aber bisheute kein einheitliches Bild.Bereits zu Beginn des 20sten Jahrhunderts gab es erste Versuche, um die schädigendenReaktionen besser zu verstehen. Die Beobachtung, dass aus einer Lösung wachsendeKristalle in der Lage sind Gegenstände vor sich her zu schieben oder gegen einen gerich-teten Druck anzuwachsen (z. B. [2]), führte zu einer heute häufig vertretenen und unter-suchten Modellvorstellung. Für die Grenzschicht Kristall- Hindernis wird ein Flüssigkeits-film postuliert, der Materialtransport und somit Anlagerung an den Kristall ermöglicht (z.B. in der Arbeit von Scherer [3]) . Mit Betrachtungen der Grenzflächenenergien in o.g.Flüssigkeitsfilm begründen Uhlmann et al. [4] die Fähigkeit wachsender Alaunkristalle,ein Hindernis vor sich her zu schieben.Ein weiterer Modellansatz wird beispielsweise von Correns [4] oder Erlenmeyer [5] zurDiskussion gestellt: Ihren Vorstellungen nach sitzen oder „schweben“ die Kristalle aufeinem Lösungsfilm, welcher als Transportmedium dient und das Kristallwachstum nährt.Für die weitere Diskussion dieser und weiterer Modelle und Ansätze sei auf Duttlinger &Knöfel [6] verwiesen.Für die Untersuchung der Kristallisationsmechanismen, welche zur Ausbildung von Kri-stallisationsdrücken führen, wurde als Modellsystem die Umwandlung von Anhydrit inGips herangezogen. Gips ist ein häufig vorkommendes Schadsalz in salzbelasteten Bau-materialien und entwickelt beim Wachstum sehr hohe Drücke.Anhydrit, das wasserfreie Calciumsulfat (CaSO4), ist unter Standardbedingungen besserwasserlöslich als Gips, das Dihydrat des Calciumsulfates. Die Anhydrit - Gips - Umwand-lung ist eine Lösungs- und Wiederausfällungsreaktion. Sie läuft im reinen System sehrlangsam ab und kann duch Einflussnahme auf die Lösungsgleichgewichte beschleunigtwerden,. z. B. durch Zusatz von Alkalisulfaten oder Calciumsalzen zum Lösungsmittel.

Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips

44

2 Versuchsdurchführung

Aus einem natürlichen Anhydritgestein wurden Probekörper geschnitten und in eineAlkalisulfatlösung eingelegt. Die Reaktionsprodukte wurden mit einem ESEM (Typ Philips XL30 FEG) und röntgendif-fraktometrisch (Huber G670, Guinier Kamera, Cu-Kα1) identifiziert.

3 Ergebnisse

Nach einer Reaktionszeit von 7 - 9 Tagen zeigte sich auf den Anhydritprobekörpernnadeliges Gipswachstum. ESEM Aufnahmen der Gipskristalle zeigen die im Folgendenbeschriebenen Charakteristika. Die abgebildeten Gipskristalle haben Bruchstücke des Anydritprobekörpers inkorporiertund transportieren diese in ihrer Wachstumsrichtung von der Anhydritoberfläche weg(Abbildung 1).Das Bild zeigt den Fussbereich eines wachsenden Gipskristalls. Der Gipskristallumschliesst einen Anhydritpartikel, welcher deutliche Lösungserscheinungen aufweist.Anhydritpartikel werden nicht auf der Oberfläche der Gipskristalle angelagert, sondernwerden von ihnen eingeschlossen (Abbildung 2). Die Untersuchung der Kristallspitzen der Gipskristalle liefert einen weiteren Anhaltspunktfür die Ableitung eines Kristallisationsmodells. Sie zeigen die für sogenanntes Skelett-wachstum typischen Hohlformen (Abb. 3). Solche morphologischen Ausprägungen sindcharakteristisch für eine schnelles Kristallwachstum aus stark übersättigten Lösungen.Die Kristallbausteine diffundieren in der Lösung zu den wachsenden Kristallbereichenund lagern sich an energetisch bevorzugten Positionen an. Derartige Hohlformen bildensich, wenn der Materialstrom zu inneren Bereichen der sich aufbauenden Kristallflächemit dem Materialanbau an energetisch günstigen Ecken und Kanten eines wachsenden

Abbildung 1: Aus einer Anhydritoberfläche wachsender Gipskristall nach 9 Tagen in 0.1 mola-rer K2SO4-Lösung, der Bruchstücke der Anhydritoberfläche inkorporiert hat (Aus-schnittsvergrösserung)

Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips

45

Kristalls nicht mehr Schritt hält [7]. Diese in einer frühen Wachstumsphase der Kristallegebildeten Hohlformen werden ebenso wie die inkorporierten Anhydritpartikel (vergl.Abb. 1) durch das gerichtete Wachstum der Gipsnadeln von der Anhyditoberfläche ent-fernt.

Abbildung 2: Im Fussbereich eines Gipskristalls inkorporierter Anhydritpartikel (ESEM-Auf-nahme)

Abbildung 3: Kopfbilder von Gipskristallen, die für Skelettwachstum typische Hohlformen zei-gen: Entstanden nach (a) 7 Tagen und (b) 9 Tagen in 0.1 molarer K2SO4-Lösung (ESEM-Aufnahmen)

Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips

46

Wie bedeutungsvoll die „Nähe“ zur Anhydritoberfläche für die Gipskristallisation ist, ver-deutlicht die ESEM - Aufnahme (Abbildung 4). In unmittelbarer Nähe einer Gipskristall-fläche befindet sich ein Anhydritfragment. Auf dem Gipskristall hat sich eine kreisförmigeAbscheidung gebildet. Der sich auflösende Anhydrit dient als Materialquelle für die Gips-kristallisation, in seiner unmittelbaren Nähe sind besonders gute Voraussetzungen für dieGipskristallisation gegeben.

4 Diskussion

Die Anhydritauflösung stellt das für die Gipskristallisation benötigte Material zur Verfü-gung. Der für die Gipskeimbildung wahrscheinlichste Ort sind Porenräume und Frakturenin unmittelbarer Nähe der sich lösenden Anhydritoberfläche. Die Auflösung des Anhydri-tes schafft hier zuerst die für das Gipswachstum benötigte Übersättigung.Das folgende Modell (Abb. 5) fasst die beobachteten Prozesse zusammen. Im erstenSchritt (1) werden durch Lösungsprozesse schon existierende Frakturen vertieft oderKorrosionslöcher neu gebildet. Die sich dort und dadurch einstellenden Übersättigungs-bedingungen führen im zweiten Schritt (2) zur Keimbildung von Gips. Die Keimbildungund initiale Wachstumsphase aus sehr hohen Übersättigungen verursacht das (vergl.Abb. 3) beschriebene Skelettwachstum im Kopfbereich der Gipskristalle. Die durch wei-teres Wachstum (auch Breitenwachstum) verursachte Ausdehnung der Kristalle führt zueiner mechanischen Beanspruchung und Zerstörung der Probenoberfläche. Herausge-brochene Partikel der Anhydritoberfläche werden durch das Breitenwachstum umschlos-sen und inkorporiert. Durch das schnelle Höhenwachstum der Gipskristalle werden diePartikel emporgehoben (3). Die Wachstumszone muss im Wurzelbereich des Kristallslokalisiert sein. Anders sind der vertikale Transport von Anhydritpartikeln und die Konser-vierung der Skelettwachstumsformen im Kopfbereich nicht zu erklären (4).

Abbildung 4: Kreisförmige Gipsabscheidung auf einer Gipskristallfläche im Kontakt mit einem Anhydritpartikel

Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips

47

Das vorgestellte Modell schematisiert, wie die Materialeinlagerung im Wurzelbereich derwachsenden Gipskristalle stattfinden kann. Der Gipskeim ist nicht auf die Anhydritober-fläche aufgewachsen. Das Material, welches die Anhydritauflösung liefert, gelangt in denFlüssigkeitsfilm zwischen dem Fuss des Gipskristalls und dem Anhydritsubstrat und bautdort den Gipskristall auf.

5 Schlussfolgerungen

Aus den vorherigen Ausführungen können folgenden Schlussfolgerungen gezogen wer-den. Die Gipskristalle in unseren Versuchen wachsen nach einem Mechanismus, derdem Wachstumsmechanismus bei Haaren ähnelt, d.h. mit Materialnachschub von unten.Anhand der hier vorgestellten Untersuchungen ist es nicht möglich ein umfassendesModell zur Kristallisation von Schadsalzen im Mauerwerk abzuleiten. Jedoch zeigte sich,dass der hier beschriebene Mechanismus, welcher vom Fussbereich der Kristalle aus-geht, eine bedeutsame Komponente bei der Ausbildung von Kristallisationsdrückendurch Gipswachstum ist. Bei der Entwicklung von Restaurierungs- und Konservierungs-konzepten müssen Erkentnisse über Krstallisationsmechanismen Berücksichtigung fin-den.

Abbildung 5: Schematische Darstellungen zeigen die beobachtete Gipskristallisation in ver-schiedenen Stadien aus der Anhydritoberfläche

Natursteinverwitterung durch Gipswachstum: Eine Modellstudie über die Umwandlung von Anhydrit zu Gips

48

6 Literatur

[1] A. La Iglesia, V. González, V. López-Acevedo, C. Ciedma, Salt crystallization in porousconstruction materials I Estimation of crystallizstion pressure, Journal of Crystal Growth177 (1997) 111 - 118

[2] S. Taber, The Growth of Crystals under External pressure, American Journal of Science 41(1916) 532 - 556

[3] G. W. Scherer, Crystallization in pores, Cement and Concrete Research 29 (1999) 1347 -1358D. R. Uhlmann, B. Chalmers, K. A. Jackson, Interaction between particles and asolid-liquid interface, J Appl Phys 35 (10) (1964) 2986 - 2993

[4] C. W. Correns, Über die Erklärung der sogenannten Kristallisationskraft, Preuss. Akad.der Wissensch., Sitzungsb. (1926) 81 - 88

[5] H. Erlenmeyer, Über das Klettern von Kristallen, Helv. chim. Acta 10 (1927) 896 - 900[6] W. Duttlinger & D. Knöfel, Salzkristallisation und Salzschadensmechanismen, Jahresbe-

richte aus dem Forschungsprogramm Steinzerfall - Steinkonservierung 3 (1991), 197 - 214[7] K. Th. Wilke, Kristallzüchtung, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1088

(1988)