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NEU_LAND07 horizonte fokussieren VIDEOWORKSHOP 27.05.-01.06.2007 Camp Reinsehlen Institut für Landschaftsarchitektur Landschaftsarchitektur und Entwerfen Prof. Dr. Udo Weilacher Beiträge zur räumlichen Planung Band 85 Institut für Landschaftsarchitektur Schriftenreihe der Fachgruppe Landschaft, Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität Hannover

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NEU_LAND07horizonte fokussieren

VIDEOWORKSHOP 27.05.-01.06.2007 Camp Reinsehlen

Institut für LandschaftsarchitekturLandschaftsarchitektur und Entwerfen

Prof. Dr. Udo Weilacher

Beiträge zur räumlichen Planung Band 85

Institut für LandschaftsarchitekturSchriftenreihe der Fachgruppe Landschaft,Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität Hannover

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Studierende:

Moritz BellersDennis BeutnerJulia BöhnkeMaike Bundt Vienna GerstenkornAnnika HenneAline KamkeSteffen KohlhaseKatrin KöllmannSoonjea KwonMaren LeyendeckerHenning PagelsAlexander ReifThore Schiller

Gastdozent:

Marc Schwarz

Betreuung und Organisation:

Dipl.-Ing. Anja DreybrodtDipl.-Ing. Johannes Böttger

Leibniz Universität Hannover

Fakultät für Architektur und LandschaftInstitut für LandschaftsarchitekturLandschaftsarchitektur und EntwerfenProf. Dr. Udo Weilacher

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Landschaft(Landscape) 0/001.

Irgendetwas stimmt mit dieser Land-schaft nicht. Ihr Bild spannt sich im Format 124 x 190 cm vor dem Be-trachter auf. Eine sanft gewellte, fast vollkommen homogen grüne Wiesenfläche dehnt sich nahezu bis zum Horizont aus, überzieht die To-pografie wie ein sorgsam gebürstetes Fell. Große, dicht belaubte Baum-gruppen begrenzen in der Ferne die ausgedehnte Wiesenfläche und nur vereinzelte, fast etwas verloren wir-kende Baumgestalten akzentuieren mit ihren langen, feinen Schatten-würfen die in gleißende Morgen-sonne getauchte Naturlandschaft. Von Menschen keine Spur, nicht die geringste, nicht einmal ein Kondens-streifen am blassblauen Morgenhim-mel. „Schade, dass die Realität nicht so schön ist“ hat ein Besucher ins Gästebuch der Ausstellung geschrie-ben, „Spooky“ ein anderer. Und tat-sächlich: Die Landschaftsaufnahmen

des Künstlers Michael Reisch lösen auf den ersten Blick eine tiefe, ro-mantisch geprägte Sehnsucht nach unberührter, „intakter“ Landschaft aus. Doch schon nach wenigen Mo-menten stellt sich beim geübten Landschaftsbetrachter angesichts der Makellosigkeit der fotografierten Szene ein beklemmendes Gefühl ein. Unheimlich und seltsam bedrohlich wirkt die Landschaftsszene plötz-lich. Zu Recht, denn Michael Reisch dokumentiert die Landschaft nicht, sondern manipuliert seine Aufnah-men am Computer derart intensiv, dass nur noch eine Fiktion von Land-schaft „zwischen Paradies und Gen-technik-Alptraum“ erhalten bleibt.

Die ausgedehnte Wiesen-Lichtung von Camp Reinsehlen, umringt von Wäldern in der Lüneburger Heide sieht auf den ersten Blick wie eine „wahre Fiktion“ von Michael Reis-ch aus. Auch ihr wahrer Charakter offenbart sich erst auf den zweiten oder dritten Blick. Was zunächst wie unberührte Naturlandschaft aussieht und unter Naturschutz steht, ist in Wahrheit ein Kunstprodukt. Doch das ist in der gesamten Lünebur-ger Heide so. Die ist zwar in weiten Teilen ein Naturschutzpark aber im Grunde keine Naturlandschaft, son-dern das Ergebnis intensiver Land-

bewirtschaftung seit der Bronzezeit. Der Wald wurde zurückgedrängt und in manchen Gebieten entstand eine wüstenähnliche Landschaft, in der sich die Besenheide zur dominanten Pflanzenart entwickelte. Der 1909 gegründete Verein Naturschutzpark e.V. (VNP) begann bereits 1910 da-mit, Heideflächen im heutigen Na-turschutzgebiet vor Bebauung, Auf-forstung oder Umbruch in Ackerland zu bewahren. Andere Bereiche der Lüneburger Heide waren seit Beginn des 20. Jahrhunderts wegen ihres geringen landwirtschaftlichen Er-tragsvermögens und der schwachen Besiedlungsdichte für militärische Nutzungen interessant.

Camp Reinsehlen, diese zunächst unberührt erscheinende, offene Wiesenlandschaft ist eines jener Landschaftsareale, die intensiv mili-tärisch genutzt wurden. Die militä-rische Nutzung des Camps und der angrenzenden Heidelandschaft bei Schneverdingen begann 1938. Nach Aufgabe der militärischen Nutzung wurden die sogenannten „Roten Flä-chen“ 1994 an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben. Seither bemüht sich die Stadt Schneverdin-gen in Partnerschaft mit dem Land-kreis Soltau-Fallingbostel, der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz

und dem Verein Naturschutzpark (VNP) um ein tragfähiges Konzept zur Wiederbelebung nutzbarer Bereiche sowie um die Umsetzung von Rena-turierungsmaßnahmen. Inzwischen sind kaum noch Spuren militärischer Nutzung zu erkennen, und der Ort nimmt allmählich eine neue Identi-tät an, fast wie die Landschaften des Künstlers Michael Reisch. Es stellt sich deshalb allmählich die Frage nach seiner zukünftigen, seiner wah-ren oder zumindest wahrnehmbaren Identität. „Vielleicht machen uns die Landschaften von Michael Reisch bewusst, dass diese Simulationen respektive Zähmungen der Natur sich irgendwann verselbständigen könnten und eine eigene virtuelle Natur erschaffen, die mit unseren jetzigen Lebensgrundlagen nur noch die bildliche Erinnerung gemeinsam hat“ schreibt Ulrich Pohlmann tref-fend im Vorwort zu Ausstellung des Aachener Künstlers .

Was ist die wahre Identität von Camp Reinsehlen? Inwieweit wird diese Landschaft bald nur noch eine seelenlose Simulation ihrer selbst, ein austauschbares bildliches Erin-nerungsstück an eine klischeehaft ideale Landschaft sein? Welche zu-künftigen Entwicklungsperspektiven jenseits der totalen Künstlichkeit

Udo Weilacher

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könnten dem Camp zugute kommen. Diese und ähnliche Fragen standen im Mittelpunkt des einwöchigen Vi-deoworkshops, den dankenswerter Weise Anja Dreybrodt und Johannes Böttger aus dem Bereich Land-schaftsarchitektur und Entwerfen des Instituts für Landschaftsarchi-tektur der Leibniz Universität Han-nover hervorragend konzipierten und organisierten. Gemeinsam mit dem Architekten und Videoschaf-fenden Marc Schwarz aus Zürich, dem ich an dieser Stelle ebenfalls für seinen begeisternden und engagier-ten Einsatz während und nach dem Workshop danken möchte, hatten die Studierenden die Gelegenheit, mithilfe des Mediums Video „hinter die Kulissen“ dieser Landschaft zu blicken.

Entstanden sind in einer Woche nicht nur eine Reihe faszinierender Land-schaftsanalysen, sondern bereits erste experimentelle Entwurfsansät-ze, die nicht wie üblich auf Papier sondern in bewegten Bildern formu-liert wurden. Anders als bei Michael Reisch wurden die Landschaftsauf-nahmen von den Studenten visuell nicht massiv verfälscht, sondern lediglich durch Manipulationen der Tonspur als auch durch besondere Bildschnitte in ihrer Aussagekraft

intensiviert, und plötzlich nimmt der Betrachter die Landschaft und ihre Entwicklungsperspektiven anders wahr. Dass bewusstes Landschafts-sehen bereits ein entwerferischer Akt ist, wird durch die Ergebnisse des Videoworkshops eindrucksvoll belegt. Aus Sicht der Landschafts-architektur offerieren die gezeigten Videoporträts darüber hinaus wert-volle Ansätze zur zukünftigen Ent-wicklung der Kulturlandschaft von Camp Reinsehlen.

Michael Reisch: Landschaft(Landscape) 0/001. 1996

Camp Reinsehlen

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Marc Schwarz

geboren 1967 in Zürich, Architekt und Filmautor.

Studium an der ETH Zürich und an der TU Graz. 1995-1997 Assistent im Fach Raumerfassung und Raumdarstel-lung mit Video, ETHZ.Seit 1996 selbstständiger Filmau-tor. Zahlreiche Filmprojekte, Vorträ-ge und Installationen in New York (MoMA), Luzern (Architekturgalerie), Zürich (MfG, gta-Institut), Lausan-ne (Musée des Arts décoratifs), St. Gallen (Architekturforum); 1997–1999 wissenschaftlicher Mit-arbeiter bei Prof. Dieter Kienast, Landschaftsarchitektur ETHZ; 2000–2002 Oberassistent und Leiter des Videolabors bei Prof. Christophe Girot, Landschaftsarchitektur ETHZ; 2003 Lehrbeauftragter im Nachdi-plomstudium Landschaftsarchitek-tur ETHZ;

Marc Schwarz

2002–2004 Partner bei VUES Zürich (Atelier für eine andere Sicht auf Stadt und Land).2007 Gründung von schwarzpic-tures Zürich, Schweiz.Ausgewählte Projekte: „Lob der Sinnlichkeit“ (1999, Filmessay über die Projekte von Dieter Kienast); Videoproduzent für Laurie Ander-son (2000-2002 New York/Zürich) für das expo-Projekt «Wer bin ich»; „Theo Hotz Architektur“ (12 Kurzdo-kumentationen, ein Interview 2002). Lebt in Zürich.

[email protected]

Videostills Perimeter

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play und rewind

Der Blick auf die Landschaft im Ver-lauf eines einwöchigen Videowork-shops.

Der Blick auf die Landschaft durch die Windschutzscheibe gerahmt.Es ist 6 Uhr früh, die Fahrt geht los, erst jetzt wird der Zielort bekannt:Camp Reinsehlen in der Lüneburger Heide. Die harmlosen Bilder im Kopf von blühender Heide und lieblichen Heidschnucken überlagern sich mit den vorbeiziehenden Landschaftsse-quenzen.

Der Blick auf die Landschaft verliert sich in der Weite. Ankunft im Camp Reinsehlen. Mit Warnwesten uniformiert, werden die Studierenden in regelmäßigem Abstand auf dem freien Magerrasen platziert. Ein festes Setup, 30 Minu-ten mit vorgegebener Blickrichtung,

Der Blick auf die Landschaft im Roh-schnitt.Das Abbild der Landschaft wird fern vom Drehort am Schnittplatz ge-sichtet. Das Gesehene ist angefüllt mit Details, überformt durch Un-erwünschtes, durch Nebenerzäh-lungen. Das ‚Erinnerte’ erscheint hier in Hannover abstrakter und offen für ein neues Zusammensetzen der ein-zelnen Sequenzen.

Der Blick auf die Landschaft im Fein-schnitt.Die Einstellungen verdichten sich zu einer eigenen Interpretation der Landschaft. Immer wieder wird das Material gesichtet. Das Schneiden ist eine intensive Auseinanderset-zung mit der Landschaft. Der Schnitt verknüpft neue Ansichten, die in Abhängigkeit eigener Erlebnisse stehen. Das Aufgenommene wird der eigenen Sichtweise für den Ort angepasst und führt zu einer bisher unentdeckten Aussage.

Der Blick auf die Landschaft durch Dritte.Licht aus, Beamer an. Die Erzählung, die gewählte Bildsprache werden gesehen und sofort interpretiert. Das Medium Video verleiht eine eigene

ein erzwungenes Ankommen, ein sich dem Raum Aussetzen. Die Bilder im Kopf werden mit dem Vorgefun-denen abgeglichen.

Der Blick auf die Landschaft im Su-cher der Videokamera.Die erste Motivwahl innerhalb strenger Vorgaben. Wieder ein festes Setup, die Wahrnehmung wird neu definiert, erhält ihre eigene Chore-ographie –Ton ohne Bild, Standbild, Schwenk, Bewegungsradius für die Kamera 200m. Die Beschränkung auf einen Ort und ein Vorgehen schärft den Blick für das Detail.

Der Blick auf die Landschaft, erste Wiedergabe auf dem Fernseher.Abends Überprüfen der hergestellten Bilder. Erste Definitionen der Land-schaft, flüchtige Ideen. Die Bilder aus dem Sucher sind oft kaum wieder zu erkennen, wer hat das gesehen?

Der Blick auf die Landschaft im Su-cher der Videokamera.Am nächsten Morgen werden eige-ne Ideen und Bilder mit der Kame-ra fixiert. Alles ist erlaubt bis zu 60 Minuten Bandlänge. Die Aufnahmen überraschen. Der Bildausschnitt ist limitiert, jedoch die Bildtiefe viel-schichtiger als auf den ersten Blick wahrgenommen.

Schärfe zu sehen, zu erkennen und zu deuten. Der Zuschauer wird durch die Verknüpfung der Bildsequenzen und die Rhythmik der Erzählstruktur auf emotionaler Ebene angespro-chen. Dafür bedarf es kaum einer Handlung, komponierte Bilder und hintergründige Tonspur kreieren eine eigene Landschaft.Die Unbedarftheit der ersten Wahr-nehmung ist verloren, aber mit je-dem einzelnen Video ist ein präziser ‚erfinderischer’ Blick entstanden, der seine eigene Landschaft entwirft.

Johannes Böttger_Anja Dreybrodt

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Der bewegte Blick_Landschaft im Videofokus

„Video heißt neu verstehen“

Video heißt neu verstehen. Thore Schiller Videoauf-

nahmen können Landschaft sehr realitätsnah wiederge-

ben, aber auch gezielt manipulieren. Vienna Gerstenkorn

Durch Filme lassen sich Landschaften immer wieder neu

und anders wahrnehmen. Julia Böhnke Wie viel

Realität steckt im bewegten Bild? Real und doch

gestellt. Maren Leyendecker Bewegte Bilder sind eine Sprache, die am besten ist, um die Landschaft darzu-

stellen. Sonjea Kwon Die Geschichte einer Landschaft lässt sich am besten in bewegten Bildern erzählen, lesen

und rekonstruieren. Steffen Kohlhase Landschaft ist ein subjektives Konstrukt; welche Landschaften nehmen 3

Personen mit 1 Kamera auf? Moritz Bellers Video inszeniert

die Landschaft auf subjektiv Wesentliches und präzisiert die Wahrnehmung des Betrachters. Alexander Reif

Video als Medium zur Visualisierung/Enttarnung

subjektiver Landschaftspotenziale. Maike Bundt Das Video als Darstellungsmedium gibt die Vielfalt einer Land-

schaft nahezu exakt wieder. Dennis Beutner Video-Landschaft ist durch Subjektivität genauso manipuliert wie der Plan; durch Bildbewegung glaubwürdiger. Aline Kamke

schaut ist, sondern vielmehr vierdi-mensional, direkt und äußerst sub-jektiv. Jeder nimmt einen Ort anders wahr, filtert aus allen vorhandenen Eindrücken diejenigen heraus, die am interessantesten erscheinen und komponiert daraus das Video. Es ist nah an der Wirklichkeit und macht Prozesse viel deutlicher als Beschrei-bungen oder Fotos es können. Zu-sammenhänge zwischen Zeit, Raum und Bewegung werden enthüllt und machen nachdrücklich klar, was die-sen Ort ausmacht.Auch wenn nicht alle Sinne ange-sprochen werden können, so berührt das Video den Betrachter weitaus direkter als ein Plan mit starren Darstellungen. Die bewegten Bil-der werden sofort verstanden und kategorisiert, sie sind auch ohne Vorkenntnisse oder Studium von Le-genden verständlich und regen zur Reflexion an.Aus diesen Gründen lässt sich das Medium vorzüglich zur Darstellung der Vielschichtigkeit eines Ortes verwenden. Auch Menschen, die ei-nen Ort zu kennen glauben, erken-nen im Video völlig neue Aspekte, die ihnen vorher kaum aufgefallen waren. Das Verständnis eines Ortes bekommt so eine neue Tiefe, reicht weiter als zuvor gedacht.

Thore Schiller

In der Landschaftsarchitektur steht aktuell das Prozesshafte, das Dy-namische als Gestaltungsaspekt im Vordergrund: Genaue Kenntnis von Pflanzen und ihren stetigen Verän-derungen wird hoher Wert zuge-sprochen, die Rückeroberung von Brachflächen durch Ruderalvegeta-tion wird gefeiert, große Flächen werden der Sukzession überlassen.Doch bei aller Berücksichtigung dy-namischer Prozesse für die geplante Zukunft werden Orte immer noch zweidimensional als Plan darge-stellt.Doch ist diese Vorgehensweise an-gesichts der Komplexität eines Ortes angemessen? Müssten nicht aktu-elle Prozesse erst erkannt und ver-standen werden, um neue Prozesse zu initiieren oder an bestehende an-zupassen? Hier schlägt die Stunde des Medi-ums Video, mit dessen Hilfe vier-dimensionale Vorgänge dargestellt und verstanden werden können.Das Medium Video entwickelt seine eigene Dynamik. Es ist kein starres Konstrukt, keine Strichzeichnung, die nach weni-gen Minuten überblickt und durch-

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Sehen ist Wahrnehmen

„Video inszeniert die Landschaft auf subjektiv Wesentliches und präzisiert die Wahrnehmung des Betrachers.“

Die Wahrnehmung von Landschaft findet differenziert statt. Zum ei-nen gibt es die physisch vorhande-ne, tatsächliche Landschaft, zum anderen die subjektive Vorstellung von Landschaft eines Jeden, die ein-zelnen Elementen der Landschaft unterschiedliche Wertigkeiten zu-ordnet.Was geschieht nun bei der Vermitt-lung von Landschaft durch das Me-dium Video? Die Bilder des Videas-ten und ihre filmische Komposition sind seine subjektive Sicht auf den vorhandenen Zustand. Die gezielte Auswahl des Gezeigten hebt das Abgebildete von der Wirklichkeit ab. Bestimmte Aspekte können verstärkt oder verfremdet werden, um Aus-sagen besser zu verdeutlichen. Der Filmer muss sich in diesem Zusam-menhang gezielt mit Authen-tizität und Grad der Manipulation seiner Bilder auseinandersetzen. Durch Filtern und Zerlegen in Einzel-elemente können komplexe Land-schaften ‚verständlich’ gemacht werden, die Wahrnehmung anhand bewegter Bilder ist hier direkter,

weil und obwohl sie reduziert und unvollständig ist. Sehr vielschichtige Landschaften werden erst durch die Reduzierung, auf wenige prägnante Eigenarten, verständlich. An ver-meintlich einfach begreifbaren Or-ten werden jedoch neue Elemente im Detail entdeckt. Die Kombination und Komposition der selektierten Elemente im Video erfolgt somit in der Absicht eine bestimmte Wir-kung beim Betrachter zu erzielen. Die ausgewählten Frames schärfen seine Wahrnehmung - Konflikte, Brüche oder ‚gut’ funktionierende Orte werden erkennbar. Das Video fungiert als Ansatzpunkt für die weitere Auseinandersetzung mit der Landschaft. Obwohl die subjektive Wahrneh-mung, die in die filmische Erzählung einfließt bestimmend ist für das, was über den Ort kommuniziert wird, er-scheint das Ergebnis selbstverständ-lich. Genau in diesem Punkt setzt das Medium Video als Analyse- und Entwurfswerkzeug an. Es fungiert zwischen Planungsbeteiligten zur Konkretisierung und Präzisierung von Orten.

Alexander Reif0 500

Hotel

Bahn

Lüneburger Alpen

Unscharf fokussiert

Landscan

Lack Of Colour

Tiefentransfer

Perimeter

Badetag

Drehorte Camp Reinsehlen

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Badetag

Ein enorme Weite. Der niedrige Magerrasen ist Relikt der ehemaligen mili-tärischen Nutzung. Skurrile Kiefernfiguren stehen einsam in der Landschaft. Eine nahezu öde Weite. Kein Schwimmbad weit und breit. Kein Badesee in Sicht. Der Blick durch die Kamera zeigt uns den Weg ins Dazwischen. Viel-leicht kann hier doch mehr sein, als man sieht. Der Ausflug kann losgehen, packen Sie schnell ihre Badesachen.Aline Kamke, Vienna Gerstenkorn, Soonjea Kwon

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Lack of colour

Mit seinen weiten und offenen Rasenflächen bietet Camp Reinsehlen erst einmal wenig. Der Blick wandert über scheinbar endlose Grasflächen, ver-einzelt stehende Bäume bieten ihm keinen Halt, bis zum Horizont. Undeut-lich bildet sich dort der Waldrand ab. Aber etwas unterbricht die gewohnte Wahrnehmung, lässt nichts mehr erkennen. Wird der gefangene Blick dann wieder frei gelassen, lenkt er seine Aufmerksamkeit auf verschiedene Objekte und Strukturen, die uns wie neu begegnen. Julia Böhnke, Thore Schiller, Steffen Kohlhase

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Tiefentransfer

Die Distanz zu den Objekten und die Methode der Wahrnehmung entscheiden darüber wie eine Landschaft erlebt wird. Diese Wahrnehmungsbedingungen filtern die Information, bestimmen also über wahrgenommene Einzelteile und Kontext. Es erschließt sich, der Betrachtungsweise folgend, jeweils eine andere Landschaft. Die Wahrnehmungsexperimente in diesem Video zwingen zu einem neuen Blick. Ungewohnte Blickwinkel und Kamerafahrten und un-terschiedliche Distanzschritte lassen eine eigenwillige Landschaft entstehen.Maren Leyendecker, Dennis Beutner, Henning Pagels

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Lüneburger Alpen_vom flachen Land und Menschen

Das Video befasst sich mit der landschaftlichen Weite und der sanften Topo-grafie des Gebietes um das Camp Reinsehlen.Der Focus des Betrachters wird im Video auf die augenscheinlich ‚monotone’ Landschaft gelenkt – diese birgt aber eine größere Vielfalt als zuerst an-genommen wird. Von ferner Weite zu unmittelbarer Nähe werden tierische und menschliche Nutzer porträtiert, das fast unsichtbare Geländerelief auf-gespürt.Maike Bundt, Alexander Reif, Moritz Bellers

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unSCHArF fokussiert

Camp Reinsehlen am Rande des größten norddeutschen Magerrasens. Früher Fliegerhorst und Übungsplatz, militärische Aktivität planierte die Flächen, hielt sie offen. Mit gewaltsamen Eingriffen wurde diese Landschaft erzeugt. Heute liegt das Camp friedlich und ruhig, welche Mechanismen, welche täg-lichen Störungen, was sorgt heute dafür?

Landscan

Der Magerrasen von Camp Reinsehlen und die weiteren Relikte vergangener Nutzungen sind ohne das entsprechende Wissen um die Geschichte des Ortes schwer lesbar. Woher rührt die Offenheit der Landschaft, die Ordnung der Dinge vor dem weiten Horizont?Annika Henne, Katrin Köllmann

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Der Flugplatz 1938 - 1946

Die Geschichte des Camps Reinseh-len begann Anfang des 20. Jahrhun-derts im Zuge der Wiederaufrüstung der Wehrmacht nach dem 1. Welt-krieg. Wo sich vorher sanft mit Heide bewachsene Hügel befunden hatten, entstand 1938 ein Feldflughafen für die Luftwaffe. Auf dem Geländeentstanden zahlreiche militärische Gebäude und Anlagen.

Das Flüchtlingslager 1946 - 1949

Nach Ende des Krieges wurde das Camp den Briten übergeben und von 1946 bis 1949 als Lager für deutsche Flüchtlinge aus den Ostgebieten ge-nutzt.

Militärische Nutzung 1945 - 1994

Später wurde das Gebiet von den britischen Streitkräften als Trai-ningscamp und Ausgangsbasis für Übungen in der Region genutzt und ausgebaut. Die angrenzenden Heide-flächen, von denen Teile zum Natur-schutzgebiet Lüneburger Heide ge-hörten, wurden als Übungsgelände für Kettenfahrzeuge genutzt. Trotz zahlreicher Proteste von Bür-

gerinitiativen und des Vereins Natur-schutzpark (VNP) wurde der Betrieb erst im Zuge der Ost-West-Entspan-nung und der Wiedervereinigung An-fang der 90er Jahre eingestellt. 1994 endete die militärische Nutzung des Camps Reinsehlen endgültig. Heute erinnern nur noch einige Re-likte wie beispielsweise die Panzer-waschanlage an diese Vergangen-heit.

Ökologische Konversion ab 1994

Nach dem Abzug der Streitkräfte bemühte man sich um die Rena-turierung und Wiederbelebung der Landschaft. Wo einst Militärflug-zeuge und Panzer eingesetzt wur-den wächst heute ein artenreicher Magerrasen, der zahlreichen ge-fährdeten und vom Aussterben be-drohten Pflanzen Lebensraum bietet und daher unter Schutz steht (§28a NNatG).Der Naturschutz schätzt den Ma-gerrasen im Camp Reinsehlen als „größte zusammenhängende Sand-magerrasenfläche“ in Niedersachsen ein und misst ihm daher eine über-regionale Bedeutung zu.

Steckbrief des Ortes

Luftbild Camp Reinsehlen

Lage, Größe und Abgrenzung

Das Camp Reinsehlen befindet sich nördlich von Schneverdingen im Landkreis Soltau-Fallingbostel in Niedersachsen und grenzt im Osten unmittelbar an das Naturschutzge-biet Lüneburger Heide. Erschlossen wird das Gebiet über eine Seitenstraße der im Westen ver-

laufenden L 171 und eine Ringstraße aus der Zeit militärischer Nutzung.

Das Gelände ist ca.240 ha groß. Es wird von einigen Wander- und Rad-wegen durchquert und intensiv als Naherholungsgebiet genutzt.