Neuregelung des LänderfinanzausgleichsReform des Ausgleichsverfahrens durchaus vereinbar ist. Den...

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54. Jahrgang – ifo Schnelldienst 2/2001 Ein flexibles Tarifmodell für den Länderfinanzausgleich Der Länderfinanzausgleich ist ein kom- plexes System der Umverteilung der Fi- nanzkraft unter den Ländern. Der Aus- gleich durchläuft mehrere Stufen, die sich teils ergänzen, teils auch widersprechen. Insgesamt führt er zu einer weitreichen- den Nivellierung der Finanzausstattung verbunden mit übermäßigen Grenzbelas- tungen der Länderhaushalte. Diese De- fekte des heutigen Systems gehen auf ver- schiedene Elemente zurück. Bei den fi- nanzschwachen Ländern basieren die hohen Grenzbelastungen auf dem Um- satzsteuer-Vorwegausgleich und den Fehl- betrags-Bundesergänzungszuweisungen, bei den finanzstarken Ländern dagegen auf dem progressiven Umverteilungstarif, der im horizontalen Länderfinanzausgleich angewandt wird. Alle genannten Instru- mente dienen jedoch allein dem Abbau der Finanzkraftdifferenzen zwischen den Bundesländern und müssen daher im Ver- bund gesehen werden. Übermäßige Nivellierung und hohe Grenzbelastungen Der Umsatzsteuer-Vorwegausgleich soll die Finanzkraft finanzschwacher Länder bereits vor dem horizontalen Länderfi- nanzausgleich im engeren Sinne auf 92% des Länderdurchschnitts anheben. Die Ausgleichszahlungen unter den Ländern reduzieren sodann die Finanzkraftdiffe- renzen nach Maßgabe des Ausgleichsta- rifs. Auf dieser Stufe erreichen alle Län- der mindestens 95% der durchschnittli- chen Finanzkraft. Die über dem Durch- schnitt liegende Finanzkraft der Zahler- länder wird dabei mit bis zu 80% zur Finan- zierung der Ausgleichszahlungen heran- gezogen. Schließlich sorgen die Fehlbe- trags-Bundesergänzungszuweisungen für eine nahezu vollständige Angleichung der Finanzausstattung. Die ursprünglich fi- nanzschwachen Länder verfügen nach Finanzausgleich – bezogen auf die ge- wichteten Einwohner – über mindestens 99,5% der durchschnittlichen Pro-Kopf- Finanzkraft. Den Anforderungen an ein rationales Aus- gleichsverfahren genügt dieses System nicht. Zwar dient der Länderfinanzaus- gleich primär distributiven Zielen. Er soll jedem Land eine Mindestfinanzkraft ga- rantieren und darüber hinaus eine be- grenzte Annäherung der relativen Finanz- kraftpositionen der Länder herbeiführen. Bei der Verfolgung dieser Ziele ist aber auf die Anreizkompatibilität zu achten. Zahler und Empfänger dürfen das Interesse an der Stärkung ihrer eigenen Wirtschafts- und Finanzkraft nicht verlieren. Dies impli- ziert den Verzicht auf eine überzogene Nivellierung. Insbesondere dürfen die mit einer Steigerung der Steuerkraft einher- gehenden Mehreinnahmen nicht vollstän- dig durch geringere Zuweisungen oder höhere Zahlungen aufgezehrt werden. Genau dies ist aber im heutigen System der Fall. Bei den Empfängerländern führen höhere Lohnsteuereinnahmen sogar zu Verlusten für die Landeskasse. Die Zah- lerländer verzeichnen zwar gewisse Mehr- einnahmen, ihre Abschöpfungsquoten lie- gen aber mit rund 90% in der Spitze extrem hoch. Derartige Grenzbelastungen unterminieren das Bemühen der Länder um eine wachstums- und beschäfti- gungsorientierte Standortpolitik. Gerade die finanzschwachen Länder befinden 3 Neuregelung des Länderfinanzausgleiches Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dauert das Ringen um einen neu- en Finanzausgleich an. Die Geberländer beklagen eine »Übernivellierung« und dadurch eine zu starke Abschöpfung der Steuerkraft der finanzstarken Länder: »Das derzeitige Aus- gleichssystem biete keine Anreize, die Wirtschaftskraft zu stärken und die Einnahmequellen auszuschöpfen.« Ist eine grundlegende Neukonzeption des Länderfinanzausgleichs bei der anstehenden Reform zu erwarten? Wolfgang Scherf* * Prof. Dr. Wolfgang Scherf ist Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre II (Öffentliche Finanzen) an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

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54. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 2/2001

Ein flexibles Tarifmodell fürden Länderfinanzausgleich

Der Länderfinanzausgleich ist ein kom-plexes System der Umverteilung der Fi-nanzkraft unter den Ländern. Der Aus-gleich durchläuft mehrere Stufen, die sichteils ergänzen, teils auch widersprechen.Insgesamt führt er zu einer weitreichen-den Nivellierung der Finanzausstattungverbunden mit übermäßigen Grenzbelas-tungen der Länderhaushalte. Diese De-fekte des heutigen Systems gehen auf ver-schiedene Elemente zurück. Bei den fi-nanzschwachen Ländern basieren diehohen Grenzbelastungen auf dem Um-satzsteuer-Vorwegausgleich und den Fehl-betrags-Bundesergänzungszuweisungen,bei den finanzstarken Ländern dagegenauf dem progressiven Umverteilungstarif,der im horizontalen Länderfinanzausgleichangewandt wird. Alle genannten Instru-mente dienen jedoch allein dem Abbauder Finanzkraftdifferenzen zwischen denBundesländern und müssen daher im Ver-bund gesehen werden.

Übermäßige Nivellierung undhohe Grenzbelastungen

Der Umsatzsteuer-Vorwegausgleich solldie Finanzkraft finanzschwacher Länderbereits vor dem horizontalen Länderfi-nanzausgleich im engeren Sinne auf 92%des Länderdurchschnitts anheben. DieAusgleichszahlungen unter den Ländernreduzieren sodann die Finanzkraftdiffe-renzen nach Maßgabe des Ausgleichsta-rifs. Auf dieser Stufe erreichen alle Län-der mindestens 95% der durchschnittli-chen Finanzkraft. Die über dem Durch-schnitt liegende Finanzkraft der Zahler-länder wird dabei mit bis zu 80% zur Finan-zierung der Ausgleichszahlungen heran-

gezogen. Schließlich sorgen die Fehlbe-trags-Bundesergänzungszuweisungen füreine nahezu vollständige Angleichung derFinanzausstattung. Die ursprünglich fi-nanzschwachen Länder verfügen nachFinanzausgleich – bezogen auf die ge-wichteten Einwohner – über mindestens99,5% der durchschnittlichen Pro-Kopf-Finanzkraft.

Den Anforderungen an ein rationales Aus-gleichsverfahren genügt dieses Systemnicht. Zwar dient der Länderfinanzaus-gleich primär distributiven Zielen. Er solljedem Land eine Mindestfinanzkraft ga-rantieren und darüber hinaus eine be-grenzte Annäherung der relativen Finanz-kraftpositionen der Länder herbeiführen.Bei der Verfolgung dieser Ziele ist aber aufdie Anreizkompatibilität zu achten. Zahlerund Empfänger dürfen das Interesse ander Stärkung ihrer eigenen Wirtschafts-und Finanzkraft nicht verlieren. Dies impli-ziert den Verzicht auf eine überzogeneNivellierung. Insbesondere dürfen die miteiner Steigerung der Steuerkraft einher-gehenden Mehreinnahmen nicht vollstän-dig durch geringere Zuweisungen oderhöhere Zahlungen aufgezehrt werden.

Genau dies ist aber im heutigen Systemder Fall. Bei den Empfängerländern führenhöhere Lohnsteuereinnahmen sogar zuVerlusten für die Landeskasse. Die Zah-lerländer verzeichnen zwar gewisse Mehr-einnahmen, ihre Abschöpfungsquoten lie-gen aber mit rund 90% in der Spitzeextrem hoch. Derartige Grenzbelastungenunterminieren das Bemühen der Länderum eine wachstums- und beschäfti-gungsorientierte Standortpolitik. Geradedie finanzschwachen Länder befinden

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Neuregelung des Länderfinanzausgleiches

Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dauert das Ringen um einen neu-

en Finanzausgleich an. Die Geberländer beklagen eine »Übernivellierung« und dadurch eine

zu starke Abschöpfung der Steuerkraft der finanzstarken Länder: »Das derzeitige Aus-

gleichssystem biete keine Anreize, die Wirtschaftskraft zu stärken und die Einnahmequellen

auszuschöpfen.« Ist eine grundlegende Neukonzeption des Länderfinanzausgleichs bei der

anstehenden Reform zu erwarten?

Wolfgang Scherf*

* Prof. Dr. Wolfgang Scherf ist Inhaber der Professurfür Volkswirtschaftslehre II (Öffentliche Finanzen) ander Justus-Liebig-Universität Gießen.

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sich in einer Armutsfalle, denn ihre Anstrengungen zur Ver-besserung der Wirtschafts- und Finanzkraft zahlen sich der-zeit zumindest finanziell nicht aus.

Kompromiss zwischen Effizienz und Verteilung

Ein reformierter Länderfinanzausgleich muss einen tragfähigenKompromiss zwischen ökonomischer Effizienz und Umvertei-lung herstellen. Die für das heutige System charakteristischeÜberbetonung der distributiven Ziele steht einer solchen Lösungentgegen. Die allokativen Grenzen der Umverteilung werdenbislang zu wenig gesehen und berücksichtigt. Die folgendenÜberlegungen sollen zeigen, dass die weitgehend anerkann-te Forderung nach einer angemessenen (aber nicht gleichen)Finanzausstattung der Länder mit einer effizienzsteigerndenReform des Ausgleichsverfahrens durchaus vereinbar ist.

Den Kern einer Neuordnung bildet die Einführung eines ein-fachen linearen Ausgleichstarifs. Dessen Vorteile liegen dar-in, dass Zuweisungen und Beiträge nach derselben Regelbestimmt werden, die Ausgleichs- und Abschöpfungsquo-ten stets übereinstimmen und die Einhaltung der Finanz-kraftreihenfolge der Länder automatisch gesichert ist. Derlineare Tarif dient primär der deutlichen Verringerung derGrenzbelastungen der Länder. Eine reduzierte Nivellie-rungsintensität des horizontalen Länderfinanzausgleichs führtallerdings nicht weiter, wenn die positiven Wirkungen durchentgegengesetzte Effekte an anderer Stelle neutralisiert wer-den. Daher setzt der Wechsel zu einem linearen Ausgleichs-tarif zwingend die Abschaffung der Fehlbetrags-Bundeser-gänzungszuweisungen voraus. Die entsprechenden Mittelsollte der Bund den Ländern über einen höheren Anteil ander Umsatzsteuer zur Verfügung stellen.

Das allokative Ziel der Verbesserung der Leistungsanreizescheint darüber hinaus auch den Verzicht auf eine garan-tierte Mindestfinanzkraft und damit auf den Umsatzsteuer-Vorwegausgleich zu implizieren. Da die Finanzkraft nachFinanzausgleich in der Sockelzone nicht auf eine Verände-rung der Finanzkraft vor Finanzausgleich reagiert, führt einefixe Sockelgarantie zu einer marginal hohen Belastung derfinanzschwachen Länder. Tatsächlich ist dieser Konflikt zwi-schen allokativen und distributiven Ausgleichszielen schwerzu lösen. Leistungsanreize setzen voraus, dass ein Teil derMehreinnahmen im Landeshaushalt verbleibt. Wenn dieSockelgarantie dennoch greifen soll, können die fiskalischenAnreize nur oberhalb dieses Niveaus angesiedelt werden.

Elemente eines flexiblen Tarifmodells

Im Folgenden wird ein Modell vorgestellt, das die Vorzüge deseinfachen linearen Ausgleichstarifs mit dem Ziel der garantier-ten Mindestfinanzkraft auf anreizkompatible Weise zu ver-

knüpfen versucht. Der Vorschlag geht von einer Verteilung derUmsatzsteuer nach Einwohnern aus und platziert die Sockel-garantie im Ausgleichstarif. Sie wird über eine Flexibilisierungdes Ausgleichssatzes angesteuert. Für den Fall, dass mit demvorgegebenen normalen Ausgleichssatz die erwünschte Min-destfinanzkraft nicht erreicht werden kann, muss die Möglich-keit einer Anpassung nach oben bestehen. Mit Blick auf dienegativen Konsequenzen zu hoher Grenzbelastungen ist aberauch das Ausmaß der zulässigen Abschöpfung zu limitieren.

Das Modell enthält dementsprechend drei mögliche Aus-gleichssätze: (1) den Normalsatz, der anzuwenden ist, solan-ge dabei kein Land nach Finanzausgleich unterhalb derSockelgarantie liegt, (2) den Garantiesatz, der gerade genü-gen würde, um die Sockelgarantie für das relativ finanz-schwächste Empfängerland oder für eine kleine Gruppebesonders finanzschwacher Länder sicherzustellen, und (3)den unter Anreizgesichtspunkten gerade noch zumutbarenMaximalsatz, der die Obergrenze der Abschöpfung der Zah-lerländer markiert. Der effektive Ausgleichssatz wird in diesemModell also nicht generell vorgegeben, sondern gegebenen-falls – wie heute auch – erst im Finanzausgleich endgültig fixiert.

Der Normalsatz bringt zum Ausdruck, in welchem Maße eineAnnäherung der Finanzkraftpositionen der Länder oberhalbder Sockelgarantie erfolgen soll. Er wird häufig mit 50% bezif-fert; allerdings ohne zwingende Begründung dafür, dass aus-gerechnet dieses Niveau den Ausgleichszielen entspricht.Der Garantiesatz kann durchaus über dem Normalsatz lie-gen. Er wird zum einen durch die Sockelgarantie bestimmt,die im Folgenden nicht mit 99,5%, sondern mit immer nochsehr hohen 95% angesetzt wird. Zum anderen entscheidetdie relative Finanzkraft der finanzschwachen Länder überden Garantiesatz. Liegt diese vor horizontalem Länderfi-nanzausgleich etwa bei 75%, dann muss die Differenz zumDurchschnitt um 20 von 25 Prozentpunkten verringert wer-den, was einen Garantiesatz von 80% impliziert.

Der Garantiesatz kommt nur zur Anwendung, wenn er überdem Normalsatz liegt. Wie das obige Beispiel zeigt, kannder Garantiesatz den Normalsatz allerdings deutlich über-steigen. Wenn die Mindestfinanzkraft hoch angesetzt wirdund – daran gemessen – viele finanzschwache Länder exi-stieren, besteht die Gefahr, dass trotz linearem Tarif zu hoheGrenzbelastungen erreicht werden. Mit Blick auf die Anreiz-kompatibilität muss daher eine Sicherung gegen übermäßi-ge Belastungen der Länderhaushalte eingebaut werden. Die-se Aufgabe übernimmt der Maximalsatz, der die marginaleAbschöpfung limitiert.

Einführung einer Belastungsgrenze

Die Einführung einer Belastungsgrenze läuft auf die Flexibi-lisierung der garantierten Mindestfinanzkraft hinaus. Da der

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Garantiesatz aus allokativen Gründen nicht mehr angewandtwerden darf, wenn er über dem Maximalsatz liegt, wird dieSockelgarantie – ebenso wie der Normalsatz – zu einer Ziel-größe, die nicht unter allen Umständen eingehalten werdenkann. Von der angestrebten Sockelgarantie ist aber nur dannein Abschlag vorzunehmen, wenn die marginale Belastungder Zahler- und auch der Empfängerländer ansonsten einkritisches Niveau überschreitet.

Am Beispiel der Lohnsteuer lässt sich die Bedeutung desMaximalsatzes illustrieren. Derzeit erhalten die Länder 42,5%des Lohnsteueraufkommens. Berücksichtigt werden aberauch zur Hälfte die Steuereinnahmen der Gemeinden, denen15% des Lohnsteueraufkommens zufließen. Im Länderfi-nanzausgleich werden also 50% des Lohnsteueraufkom-mens als Länderfinanzkraft gewertet. Im Falle eines Anstiegsdes regionalen Lohnsteueraufkommens um 100 DM nimmtdie für den Ausgleich relevante Finanzkraft des Landes um50 DM zu. Bei einem Normalsatz von 50% müsste ein Zah-lerland demnach 25 DM zusätzlich in den horizontalen Län-derfinanzausgleich einzahlen, während ein Empfängerland25 DM weniger erhalten würde. Da dem jeweiligen Lan-deshaushalt tatsächlich aber nur 42,50 DM zufließen, beläuftsich die marginale Abschöpfungsquote nicht auf 50%, son-dern bereits im Normaltarif auf 58,8%.

Sollte der Normalsatz von 50% nicht ausreichen, um dieSockelgarantie von 95% zu gewährleisten, kommt derGarantiesatz ins Spiel. Dies geschieht im vorliegenden Bei-spiel, sobald die relative Pro-Kopf-Finanzkraft der finanz-schwachen Länder vor horizontalem Länderfinanzausgleich90% unterschreitet. Liegt die relative Finanzkraft etwa bei85%, so steigt der Garantiesatz auf 66,7%. Die für einen sol-chen Bedarfsfall vorgesehene Erhöhung der Ausgleichsin-tensität kann aber nicht beliebig fortgesetzt werden. Beläuftsich der erforderliche Garantiesatz, wie im obigen Beispiel,auf 80%, so würde ein Land nach einem effektiven Zuwachsvon 42,50 DM bei der Lohnsteuer im horizontalen Länder-finanzausgleich 40 DM wieder verlieren. Dies entsprächeeiner unter allokativen Gesichtspunkten kaum noch vertret-baren effektiven Abschöpfungsquote von 94,1%. Daher siehtdas Modell eine Obergrenze der Belastung vor. Wird diegerade noch als zumutbar angesehene Abschöpfungsquo-te zum Beispiel mit 80% angesetzt, dann darf der Maxi-malsatz 68% nicht überschreiten.

Ein finanzschwaches Land mit einer relativen Finanzkraft von75% vor horizontalem Länderfinanzausgleich erreicht beidiesem Ausgleichssatz allerdings nur noch 92% statt 95%der durchschnittlichen Länderfinanzkraft nach Finanzaus-gleich. Die unter Berücksichtigung der Belastungsobergrenzemaximal mögliche Sockelgarantie kann und muss folglichvon der angestrebten Sockelgarantie abweichen, solangeausgesprochen finanzschwache Länder existieren. Unterden gewählten Bedingungen liegt die Finanzkraft vor Finanz-

ausgleich, unterhalb der die angestrebte Sockelgarantie nichtmehr eingehalten werden kann, bei 84,4%.

Derzeit erreicht die relative Finanzkraft der finanzschwachenLänder allerdings nur knapp 60%, wenn die Umsatzsteuerausschließlich nach Einwohnern verteilt wird. Die mit demMaximalsatz von 68% erreichbare Sockelgarantie würdedaher bei nur 87,2% liegen. Wenn weniger als 92% als unzu-mutbar gelten, muss der Umsatzsteuer-Vorwegausgleichin reduziertem Umfang beibehalten werden, um die Finanz-kraft vor horizontalem Finanzausgleich nach dem flexiblenTarifmodell auf 75% des Länderdurchschnitts anzuheben.Freilich verharrt dann die Grenzbelastung der betroffenenLänder auf unverändert hohem Niveau. Um dem entge-genzuwirken, könnte man bei der Umsatzsteuerverteilungan den Fehlbeträgen eines mehrjährigen Referenzzeitrau-mes anknüpfen. Eine Steigerung der Steuerkraft eines extremfinanzschwachen Landes würde dann nicht mehr sofort,sondern mit zeitlicher Verzögerung zu einer Reduktion derUmsatzsteuerergänzungsanteile führen.

Funktionsweise des Ausgleichsmechanismus

Die Funktionsweise des Ausgleichsmechanismus kann ambesten ausgehend von einer Situation aufgezeigt werden,in der besonders finanzschwache Bundesländer den kriti-schen Wert noch nicht erreichen. Solange ihre Finanzkraftunter 75% liegt, erfolgt eine Aufstockung auf dieses Niveauüber den Umsatzsteuer-Vorwegausgleich und danach einAusgleich der verbleibenden Fehlbeträge mit dem Maxi-malsatz. Auf diese Weise werden nach Finanzausgleich min-destens 92% des Länderdurchschnitts erreicht.

Kommt es nun zu einer schrittweisen Verbesserung der re-lativen Finanzkraft der finanzschwachen Länder über die75%-Grenze hinaus, so entfällt der Umsatzsteuer-Vorweg-ausgleich. Dennoch steigt die Sockelgarantie schrittweisebis auf den Zielwert von 95%. Dies geschieht über den Aus-gleichssatz, der solange unverändert auf seinem maximalzulässigen Niveau bleibt, bis die relative Finanzkraft derfinanzschwachen Bundesländer 84,4% erreicht hat. Weite-re Verbesserungen werden dann zu einer allmählichenReduktion des Ausgleichssatzes bis auf 50% und der Grenz-belastungen bis auf 58,8% genutzt. Realisierbar sind dieseWerte, wenn es gelingt, die Finanzkraft der finanzschwa-chen Bundesländer auf 90% zu steigern.

Das vorgeschlagene Modell verbindet die Vorzüge eineslinearen Tarifs mit einer Mindestfinanzkraftgarantie, die sogestaltet ist, dass die finanzschwächeren Länder einen star-ken Anreiz zur Verbesserung ihrer Finanzkraftposition behal-ten. Die begrenzte Flexibilisierung des Ausgleichssatzes undder Garantiegrenze ermöglicht einen Kompromiss zwischenden allokativen und distributiven Zielen des Finanzausgleichs.

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Das Gewicht der beiden Ziele variiert mit den Finanzkraft-differenzen der Länder und passt sich somit den Erforder-nissen der jeweiligen Situation an.

Dies wird deutlich, wenn man das Tarifmodell auf die der-zeitigen Verhältnisse überträgt. Solange die neuen Ländermit einer ausgeprägten Finanzschwäche zu kämpfen haben,dominiert das Bemühen, eine Sockelgarantie zu realisieren,die möglichst nahe bei der auf Dauer gewünschten Zielgrößeliegt. Den ausgleichspflichtigen Ländern wird daher der unterAnreizaspekten gerade noch als vertretbar angesehene Aus-gleichssatz zugemutet. Im Zuge eines ökonomischen Auf-holprozesses der neuen Länder profitieren diese zunächstvon der schrittweise auf ihr Normalniveau steigenden Sockel-garantie. Weitere Fortschritte werden jedoch zur Verminde-rung der Grenzbelastungen genutzt, bis auch dort der Ziel-wert erreicht ist, der über den Normalsatz des linearen Aus-gleichstarifs festgelegt wird.

Das Modell zeichnet sich dadurch aus, dass dem Ziel einergarantierten Mindestfinanzkraft grundsätzlich Priorität vordem Ziel einer möglichst geringen, dem Normalsatzangenäherten Ausgleichsquote eingeräumt wird. Allerdingsist dabei die allokativ motivierte Obergrenze der margina-len Abschöpfung einzuhalten. Sobald die Sockelgarantieeiner Senkung der Nivellierungsintensität nicht mehr imWege steht, wird die Ausgleichsquote so schnell wie mög-lich auf den Normalsatz reduziert. Infolgedessen gewinnendie allokativen Kriterien des Finanzausgleichs mit der Ver-ringerung der Finanzkraftdifferenzen an Bedeutung. In eineroptimistischen Perspektive – bei erfolgreichem Aufholpro-zess in den ostdeutschen Ländern – bewegt sich dasSystem auf diese Weise automatisch in Richtung eines stär-ker allokativ orientierten Finanzausgleichs. Langfristig wäredieses Ziel trotz der Rücksichtnahme auf die besonderenAnpassungs- und Ausgleichserfordernisse in der Über-gangsphase erreichbar.

Unterschiede zu anderen Modellen

Seine Flexibilität unterscheidet das skizzierte Modell vonanderen Vorschlägen, die einen linearen Ausgleichstarif ohneSockelgarantie empfehlen. Um die Anpassungsproblemebei einem Systemwechsel zu entschärfen, ist vorgesehen,den Empfängerländern den Status quo in Form von Fest-beträgen zu garantieren, die in der Folgezeit schrittweiseabgebaut werden sollen. Der Vorteil einer solchen Lösungliegt darin, dass die Pauschaltransfers das Marginalkalkülder Länder nicht mehr beeinflussen, da ihre Höhe nicht vonder aktuellen Entwicklung der relativen Finanzkraft abhängt.Dies ist aber auch mit dem Problem verbunden, dass sichder Finanzausgleich mit der Zeit zu sehr von den tatsächli-chen Finanzkraftpositionen lösen und seine politische Akzep-tanz darunter leiden kann.

Der entscheidende Nachteil der einfachen linearen Tarifmo-delle besteht jedoch darin, dass sie keine Mindestfinanzkraftgarantieren können oder wollen. Die geplanten Pauschal-transfers in der Übergangsphase sind geeignet, diesen Punktzu verschleiern. Länder, die nach der Umstellung in Schwie-rigkeiten geraten, kommen bei einem rein linearen Aus-gleichstarif jedenfalls nicht mehr in den Genuss einer Sockel-garantie. Solange dieses Element aus verteilungspolitischenGründen als unverzichtbar angesehen wird, ist eine schritt-weise, flexible und auch auf Dauer tragfähige Tarifreform derbessere Weg. Das primäre Reformziel der Herabsetzung derGrenzbelastungen lässt sich damit erreichen, ohne zentra-le Prinzipien des Länderfinanzausgleichs aufzugeben.

Mit der Implementierung eines flexiblen Tarifmodells könnenallerdings nicht alle Defekte des Länderfinanzausgleichsbehoben werden. Neben der Lösung des Tarifproblems sindder Abbau von Sonderregelungen (Hafenlasten, Stadtstaa-tenprivileg) und die Einstellung der Bundesergänzungszu-weisungen mit Ausnahme der Aufbauhilfen für die neuenBundesländer wesentliche Punkte einer Neuordnung derFinanzverfassung. Sie wird nur gelingen, wenn sich die poli-tischen Entscheidungsträger nicht allein an kurzfristigen fis-kalischen Eigeninteressen orientieren, sondern erkennen,dass alle Beteiligten von einem anreiz- und wachstums-freundlicheren Länderfinanzausgleich auf Dauer profitieren.

Literatur

Scherf, W. (2000), Der Länderfinanzausgleich in Deutschland. Ungelöste Pro-bleme und Ansatzpunkte einer Reform, Frankfurt am Main.

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Maßstäbe für eine Reform des Finanz-ausgleichs?

Die Reformbedürftigkeit des Finanzausgleichs ist ein wis-senschaftlicher und politischer Evergreen. Immer wiedermüssen sich Kommissionen, wissenschaftliche Beiräte, dasVerfassungsgericht und viele andere mit grundlegendenStreitigkeiten zwischen den Ländern, aber auch zwischenBund und Ländern befassen. Die Strategieanfälligkeit desFinanzausgleichssystems ist offenbar gewollt oder zumin-dest bewusst geduldet. Jedenfalls sind herausragendeAnlässe zu Reformen ungenutzt verstrichen. Die deutscheEinheit hatte vielfältige Möglichkeiten der Erneuerung gebo-ten, zumal in Artikel 5 des Einigungsvertrages Ansätze zurNeubestimmung des Bund-Länder-Verhältnisses und zurStärkung der Eigenstaatlichkeit der Länder ausdrücklich vor-gesehen waren (Korioth 1997, S. 414 f.). Aber wie auf vie-len anderen Gebieten gab es auch in diesem Bereich keinewesentliche Weiterentwicklung. Die Gemeinsame Verfas-sungskommission von Bundestag und Bundesrat, die sichAnfang der neunziger Jahre auch mit Fragen der Finanz-verfassung auseinandersetzen sollte, ließ das Thema fallen(Korioth 1997, S. 412–415). Der 1993 geschlossene sogenannte (erste) Solidarpakt führte nur zu einer weitgehen-den Übernahme des alten Systems, wenn auch mit einerdeutlichen materiellen Schlechterstellung des Bundes.

Das Verfassungsgericht hat nunmehr in seinem drittengrundsätzlichen Urteil zum Finanzausgleich in den letztenfünfzehn Jahren einen neuen Weg eingeschlagen. Es hatden Gesetzgeber gemahnt, das in der Verfassung »nur inunbestimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- undAusgleichssystem entsprechend den vorgefundenen finanz-wirtschaftlichen Verhältnissen und finanzwissenschaftlichenErkenntnissen durch anwendbare, allgemeine, ihn selbst bin-

dende Maßstäbe gesetzlich zu konkretisieren und zu ergän-zen« (Bundesverfassungsgericht 1999, Ziffer 272). DerAnwendungsbereich der zu bildenden Maßstäbe erstrecktsich über den gesamten vierstufigen Aufbau des Steuerzu-teilungs- und Ausgleichssystems.

Die vertikale Umsatzsteuerverteilung zwischenBund und Ländern – Ausbau der mehrjährigenFinanzplanung?

Bei der vertikalen Verteilung der Umsatzsteuer »haben Bundund Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer not-wendigen Ausgaben« (Art. 106 Abs. 3 GG). Die Verfassungenthält sowohl Verfahrensregeln – die Berücksichtigung einermehrjährigen Finanzplanung – als auch inhaltliche Kriterien,vor deren Hintergrund die Abstimmung der Finanzierungs-erfordernisse zwischen dem Bund und den Ländern erfol-gen soll. Jedoch ist es bisher trotz vorhandener Bemühun-gen weder gelungen zu bestimmen, was »notwendige Aus-gaben« sind, noch in nachvollziehbarer Weise festzulegen,inwieweit bestimmte Ausgaben der Länder mehr oder weni-ger »notwendig« sind als solche des Bundes. Auch von dermehrjährigen Finanzplanung ist in diesem Zusammenhangkaum Gebrauch gemacht worden.

Das Verfassungsgericht fordert nunmehr, die »notwendigen«von den im Haushalt veranschlagten Ausgaben zu unter-scheiden, die Ausgabenstrukturen der Haushaltswirtschaftvon Bund und Ländern nach Erforderlichkeit und Dringlich-keit zu bewerten, die dafür erforderlichen Indikatoren gemein-sam festzulegen, die notwendigen mittelfristigen Planungs-grundlagen »in finanzwirtschaftlicher Rationalität« zu erstellenund anzuwenden sowie zu verhindern, dass eine großzügigeAusgabenpolitik belohnt und eine sparsame bestraft wird (Bun-desverfassungsgericht 1999, Ziffer 287–288). Das Verfas-sungsgericht hat damit einen sehr anspruchsvollen Katalogfür die Bestimmung der Umsatzsteuerverteilung zwischenBund und Ländern aufgestellt und für den Erlass eines Maß-stäbegesetzes eine relativ kurze Frist – den 1. Januar 2003 –festgelegt (Bundesverfassungsgericht 1999, Ziffer 346). Eswird wohl zu Recht befürchtet, dass sich die geforderten Maß-stäbe unter dem bestehenden Zeitdruck kaum finden lassen.

Ob es allerdings sinnvoll ist, den gordischen Knoten zu durch-schlagen, indem man weiter so verfährt wie bisher und derEinfachheit halber auch noch die Verteilungsgrundsätze nachArtikel 106 Absatz 3 Satz 4 GG ersatzlos streicht1, ist frag-lich. Der häufiger zu findende Hinweis, über die Notwen-digkeit von Ausgaben unterschiedlicher gebietskörper-schaftlicher Ebenen müsse ohnehin politisch entschiedenwerden, ist ebenso richtig wie inhaltsleer, es sei denn man

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Wolfgang Kitterer*

* Prof. Dr. Wolfgang Kitterer lehrt an der Universität zu Köln Finanzwis-senschaft.

1 Entsprechende Vorschläge wurden vom Sachverständigenrat (2000/2001,Ziffern 396 f.) und von Renzsch (1999, S. 718) gemacht.

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verbindet damit die Vorstellung, der zurzeit gegebene insti-tutionelle Rahmen, in dem diese Entscheidungen gefällt wer-den und die Art wie sie zustande kommen, seien in keinerHinsicht verbesserungsfähig. Trotz mancher Einwände istes erwägenswert, die mehrjährige Finanzplanung zu einemanspruchsvolleren Koordinierungsinstrument ausbauen, alsdies bisher der Fall war. Um ihren Stellenwert neu zu bestim-men und zu vermeiden, dass die altbekannten Probleme derUmsatzsteuerverteilung lediglich auf die Ebene der Finanz-planung transponiert werden, sind jedoch inhaltliche undverfahrensmäßige Veränderungen unerlässlich.

Zunächst sollten Bund und Länder verpflichtet werden, dieseit Jahren strittige Zurechnung bestimmter Ausgaben zurBundes- bzw. Länderebene nach gemeinsam begründe-ten Prinzipien zu lösen.2 Die Berechnung der Deckungs-quoten sollte nicht nur auf Planzahlen beruhen, sondern auchdie zurückliegende Entwicklung berücksichtigen, umUngleichgewichte in der Haushaltsentwicklung der beidenstaatlichen Ebenen besser diagnostizieren zu können (Wis-senschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finan-zen 1995, S. 35). Sinnvoll wäre es unter Umständen auch,das gesamte Deckungsquotenverfahren, d.h. die Berech-nungen und die Begründungen für eine Veränderung derUmsatzsteuerverteilung in einem systematischen Zusam-menhang zu veröffentlichen und damit der politischen undwissenschaftlichen Diskussion zugänglich zu machen.

Die gemeinsame Finanzplanung sollte auch die aus-wuchernden Mischfinanzierungstatbestände offen legen.Zwar wäre es ideal, wenn jede gebietskörperschaftliche Ebe-ne die Zu- und Abflüsse von anderen gebietskörperschaft-lichen Ebenen in ihren jeweiligen Haushalten detailliert nach-weisen würde. Vielleicht könnte aber auch ein in regelmäßi-gen Abständen erarbeiteter MischfinanzierungsberichtStand, Entwicklung und Notwendigkeit der Politikverflech-tung insgesamt und in einzelnen Feldern der Politik (Woh-nungsbau, Verkehrswesen, Bildungswesen, Familienpolitikusw.) eingehender und systematischer darlegen. In diesemRahmen könnten auch strittige Punkte der Wahrnehmungund Gewichtung von Bundes- und Länderaufgaben aufge-griffen werden. Ob ein solcher Bericht von einer neutralenBeratungskommission oder von einer gemeinsamen Bund-Länder-Einrichtung erstellt wird, kann dahingestellt bleiben.

Obwohl es angebracht ist, die gemeinsame Finanzplanungvon Bund und Ländern fortzuentwickeln, darf man die Mög-lichkeiten einer koordinierten Abstimmung der Aufgabenim föderalen Staat weder überschätzen noch überfordern.Aus ökonomischer Sicht sind kollektive Entscheidungen alle-mal streit- und strategieanfällig. Sie zu entzerren und kon-trollierbar zu machen, ist wichtig, gelingt aber am besten,

wenn man sich mehr auf die Zahlungsbereitschaft der Leis-tungsempfänger statt auf die Koordination politischer Insti-tutionen verlässt. Dies ist der Grund dafür, warum in vielenReformansätzen der Vorschlag enthalten ist, die Verant-wortungsbereiche von Bund und Ländern zu entflechten undinsbesondere die Gesetzgebungs- und Steuerautonomieder Länder zu stärken. »Bund und Länder sollten jeweils ineigener Verantwortung vor den Bürgern vertreten, was siediesen mehr oder weniger an Steuern abverlangen; unddie Bürger sollten wissen, ob sie mit ihren Abgaben Bun-des- oder Landesaufgaben finanzieren« (WissenschaftlicherBeirat beim Bundesministerium der Finanzen 1995, S. 39 f.).Je mehr man sich an diesem Maßstab ausrichtet, desto effi-zienter wird staatliches Handeln kontrolliert und ein destogeringeres Gewicht wird der politische Streit um die Vertei-lung von Gemeinschaftssteuern entfalten können.

Die primäre horizontale Steuerverteilung – Änderung der Zerlegung und Abschaffung desUmsatzsteuervorwegausgleichs

Die horizontale Aufteilung der Steuererträge unter den Län-dern auf der zweiten Stufe des Finanzausgleichs bestimmtletztlich, »was den einzelnen Ländern als eigene Finanz-ausstattung zusteht« (Bundesverfassungsgericht 1999, Zif-fer 290). Die Verfassung verwendet als Maßstab für die hori-zontale Verteilung des Steueraufkommens drei verschiedeneKriterien, die aus ökonomischer Sicht höchst unterschiedlicheQualität haben. Für die Körperschaftsteuer und die Lohnsteuerist das – durch das Zerlegungsgesetz modifizierte – örtlicheAufkommen maßgeblich. Die Körperschaftsteuer wird nachdem Betriebsstättenprinzip, die Lohnsteuer nach dem Wohn-sitzprinzip aufgeteilt. Die Zerlegung nach dem Wohnsitzprin-zip benachteiligt die Länder mit Einpendlerüberschüssen, weilsie die Infrastruktur für die jeweiligen Arbeitsplätze zur Verfü-gung stellen müssen. Besonders betroffen sind Stadtstaaten,die zwar zentrale Funktionen für das Umland ausüben, aberhinnehmen müssen, dass die Lohnsteuer in das Umlandabwandert, ohne dass sie, wie die Flächenländer, die Mög-lichkeit haben, die Zentralitätsfunktion direkt oder indirekt ineinem kommunalen Finanzausgleich mit dem Umland zu finan-zieren. Deshalb wird vielfach vorgeschlagen, die Lohnsteuerwenigstens teilweise nach dem Betriebsstättenprinzip zu zer-legen. Konsequenter wäre allerdings eine vollständige Zerle-gung der Lohnsteuer nach dem Betriebsstättenprinzip. Dieswürde den Stadtstaaten und den Ländern mit Einpendler-überschüssen erlauben, die aus der Einkommensentstehungstammende Steuerkraft auch tatsächlich zu vereinnahmen(vgl. ausführlicher Kitterer 2000).

Nach Art. 107 Abs. 1 GG wird der größte Teil der Umsatz-steuer nach Einwohnern auf die Länder verteilt. Es wird davonausgegangen, dass die Umsatzsteuer der Konzeption nachden Verbraucher belasten soll und dass der Einwohner den

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2 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1995)hat dazu Vorschläge unterbreitet.

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Verbrauch grob repräsentieren kann. Das trifft jedoch nursehr begrenzt zu. Es bestehen nicht nur beträchtliche Unter-schiede im Pro-Kopf-Konsum zwischen Flächenländern undStadtstaaten, sondern auch zwischen finanzstarken undfinanzschwachen Flächenländern, insbesondere zwischenden alten und den neuen Ländern. Die Verteilung derUmsatzsteuer nach Einwohnern enthält also bereits einUmverteilungselement zugunsten einkommens- und finanz-schwacher Länder. Würde man den Maßstab einer wirt-schaftskraftorientierten Steuerverteilung anlegen, wäre auchin diesem Falle eine wertschöpfungsbezogene Verteilungdes Steueraufkommens angemessen (Henke und Schup-pert 1993, S. 107; Kitterer 2000, S. 128–131).

Maximal ein Viertel des den Ländern zustehenden Umsatz-steueraufkommens kann nach den Vorschriften der Verfas-sung (Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs. GG) von vornherein nachBedarfsmaßstäben verteilt werden. Derzeit wird mit diesemVorwegausgleich durch die so genannten Ergänzungsantei-le der Umsatzsteuer nach § 2 des Finanzausgleichsgeset-zes die Steuerkraft je Einwohner der finanzschwachen Län-der auf 92% des Länderdurchschnitts angehoben. DiesesVorgehen ist aus mehreren Gründen bedenklich. Das Aus-maß der Umverteilung wird durch die Ergänzungsanteile ver-schleiert, weil der eigentliche horizontale Länderfinanzaus-gleich entsprechend geringer ausfällt. Ihre Wirkung wird zudemim nachgeordneten Ausgleichmechanismus kompensiert,jedoch nicht unbedingt in einer leicht durchschaubaren Wei-se, weil die jeweiligen Bemessungsgrundlagen differieren.

Die Transparenz des Systems leidet auch dadurch, dass dieErgänzungsanteile einen Einfluss auf die Finanzkraftreihen-folge haben können. In Verbindung mit der Verfassungs-konstruktion kann dies zu eigenartigen Konsequenzenführen. Schon in seinem Urteil von 1992 hatte das Verfas-sungsgericht klargestellt, dass nach seiner Auffassung die»eigene« Finanzausstattung der einzelnen Länder erst nachder Zuteilung der Ergänzungsanteile feststeht. Das Verbotder Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge unter den Län-dern bezieht sich ausschließlich auf den horizontalen Finanz-ausgleich, nicht auf den Umsatzsteuervorwegausgleich.3 Esgibt daher schon finanzwissenschaftliche Reformmodelle,welche diese ökonomisch nicht sehr sinnvolle Abgrenzungder originären Steuerkraft eines Landes dazu verwenden,mit Hilfe der Ergänzungsanteile »die rigiden Vorgaben zurFinanzkraftreihenfolge des nachfolgenden Länderfinanz-ausgleichs« zu umgehen.4 Solche Verwirrspiele können nur

verhindert werden, wenn man das Instrument des Umsatz-steuervorwegausgleichs abschafft.

Der horizontale Länderfinanzausgleich – Senkung des Mindestniveaus und Flankierungdurch Strukturmaßnahmen

Der horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern istseit langem einer der ständigen Streitpunkte zwischen denGeber- und Nehmerländern. Von der Politik wird insbeson-dere das hohe Ausgleichsniveau kritisiert. Aus ökonomischerSicht stehen die falschen Anreizwirkungen des Systems imVordergrund. Davon sind nicht nur die Geberländer betrof-fen. In noch stärkerem Maße gilt dies für finanzschwacheLänder, die systembedingt die Garantie einer finanziellenMindestausstattung in Anspruch nehmen. Hat ein solchesLand in dem Bemühen, die eigene Wirtschaftskraft zu ver-bessern, auf der einen Seite einen Erfolg, der die eigeneSteuerkraft stärkt, so vermindern sich auf der anderen Sei-te fast in gleichem Maße die Transferzahlungen, die es ausdem Finanzausgleich bezieht. Ähnlich wie in der Sozialpo-litik erzeugt dieses System daher eine Armutsfalle für finanz-schwache Länder (Huber und Lichtblau 2000, S. 11 f.). Dienegativen Anreizwirkungen für die Pflege eigener Steuer-quellen werden in einem viel zu geringen Maß berücksich-tigt. Aus dieser Sicht wäre es sinnvoll, die garantierte Min-destfinanzkraft deutlich abzusenken und mit einem linea-ren Umverteilungstarif dafür zu sorgen, dass die Bemü-hungen finanzschwacher Länder, ihre Wirtschafts- undFinanzkraft mit eigenen Maßnahmen zu stärken, durch einenkonstanten Subventionssatz honoriert werden.5

Zuweilen wird bemängelt, dass die Bedeutung ökonomi-scher Anreizwirkungen des Finanzausgleichs kaum empi-risch belegt sei.6 Dies trifft wohl zu, wenngleich demge-genüber auch die empirische Erfahrung vorhanden ist, dassdas in der Bundesrepublik seit langem bestehende relativhohe Ausgleichsniveau nicht zu einer Konvergenz der regio-nalen Einkommensentwicklungen geführt hat.7 Auch wennsich Maßstäbe für das anzustrebende Ausmaß der Umver-teilung und der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nichtwissenschaftlich einwandfrei bestimmen lassen, muss hin-terfragt werden, mit welchen Argumenten sich das hoheAusgleichsniveau rechtfertigen lassen soll. Auffallend istzumindest, dass Politiker in einem Atemzug Vorschläge einerAbsenkung der Nivellierung im Finanzausgleich ablehnenund an die Solidaritätspflicht der Ländergemeinschaft appel-

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3 Vgl. Bundesverfassungsgericht (1987, S. 385). Diese Auffassung hat dasGericht in seinem jüngsten Urteil noch einmal bekräftigt. Vgl. Bundesver-fassungsgericht (1999, Ziffer 290).

4 Vgl. Huber und Lichtblau (2000). Der Reformansatz wird noch schwierigerdurchschaubar und auch strategieanfälliger, wenn man dem Vorschlag(ebenda S. 24 f.) folgt, den Umsatzsteuervorwegausgleich teilweise anden Fehlbetragsanteilen, teilweise an den Einwohneranteilen auszurichtenund das Gewicht beider Maßstäbe der politischen Entscheidung zu über-lassen.

5 Vgl. Blankart (2000). Es ist jedoch fraglich, ob der lineare Subventions-satz, wie bei Blankart (2000, S. 101) vorgesehen, bis zu einer fast voll-ständigen Anpassung an das Durchschnittsniveau gewährt werden soll

6 Vgl. das Minderheitsvotum im Gutachten des Wissenschaftlichen Beiratsbeim Bundesministerium der Finanzen (1992, S. 75) sowie Renzsch (1999,S. 717); Mäding (2000, S. 33).

7 »There has been almost no change in the dispersion of GDP per capita bet-ween the states over the last three decades.« OECD (1998, S. 96).

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lieren, gleichzeitig aber im privaten Bereich ein zu hohesSozialhilfeniveau und die mangelhafte Einhaltung des Lohn-abstandsgebotes tadeln. Sie drängen sehr viel mehr aufdie Einheitlichkeit der Finanzverhältnisse in den öffentlichenals in den privaten Haushalten. Das ist verständlich, abermaß(stabs)los.

Das gesamte System der Steuerzuteilung und der Aus-gleichsmaßnahmen leidet aber auch darunter, dass es fürdie Erreichung von Zielen eingesetzt wird, für die es nichtgeschaffen sein kann. Ein allgemeiner Finanzkraftausgleichist gerade im System des Wettbewerbsföderalismus einInstrument, das von Partnern ausgeht, die nicht nur gleich-berechtigt sind, sondern auch hinsichtlich der Wirtschafts-und Steuerkraft eine vergleichbare Leistungsfähigkeit besit-zen. Er ist nicht dafür geeignet, Finanzkraftunterschiede zubeheben, die auf strukturbedingten erheblichen Unter-schieden in der Wirtschaftskraft beruhen, weil er nur an denSymptomen kuriert, aber nicht die Ursachen der Finanz-schwäche beseitigt.

Da solche Strukturprobleme teilweise in den alten Ländern,aber insbesondere in den neuen Bundesländern immer nochvorhanden sind, müssen bei der Absenkung des Mindest-niveaus im horizontalen Finanzausgleich flankierende Maß-nahmen zur Verbesserung der Wirtschaftskraft strukturellbenachteiligter Länder ergriffen werden. Dazu eignen sicham besten Instrumente, die eine Selbstbeteiligung mit einerinvestitionsorientierten Bindung der transferierten Mittel vor-sehen. Ob zu diesem Zweck Bundesergänzungszuweisun-gen entsprechend ausgestaltet werden oder beispielswei-se das Instrument der Finanzhilfen nach Art. 104 a GG aus-gebaut wird, kann dahingestellt bleiben.

Literatur

Blankart, Ch.B. (2000), »Steuerautonomie mit Finanzausgleich«, in: H.-J.Schmidt-Trenz und M. Fonger (Hrsg.), Bürgerföderalismus, ZukunftsfähigeMaßstäbe für den bundesdeutschen Finanzausgleich, Ergebnisse eines vonden Handelskammern Hamburg und Bremen veranstalteten Symposiums,Baden-Baden: Nomos, 96–103.Bundesverfassungsgericht (1987), »Urteil des zweiten Senats des Bundes-verfassungsgerichts vom 24.6.86 zum Finanzausgleichsgesetz«, in: Ent-scheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 72, Tübingen: Mohr/Sie-beck, 330–436.Bundesverfassungsgericht (1999), »Urteil zum Länderfinanzausgleich vom11. November 1999«, Internet: http://www.bundesverfassungsgericht.de/ent-scheidungen/frames/fs199991111_2bvf000298.Huber, B. und K. Lichtblau (2000), Ein neuer Finanzausgleich, Reformoptio-nen nach dem Verfassungsgerichtsurteil, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozi-alpolitik, hrsg. vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 257, Köln: Deut-scher Instituts-Verlag.Kitterer, W. (2000), »Zukunft der Steuerzerlegung bei Einkommensteuer bzw.Umsatzsteuer«, in: H.-J. Schmidt-Trenz und M. Fonger (Hrsg.), Bürgerfö-deralismus, Zukunftsfähige Maßstäbe für den bundesdeutschen Finanzaus-gleich, Ergebnisse eines von den Handelskammern Hamburg und Bremenveranstalteten Symposiums, Baden-Baden: Nomos, 123–133.Korioth, St. (1997), Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, Tübin-gen: Mohr/Siebeck.Mäding, H. (2000), »Optionen für eine Reform des Finanzausgleichs«, in: H.-J. Schmidt-Trenz und M. Fonger (Hrsg.), Bürgerföderalismus, Zukunftsfähi-ge Maßstäbe für den bundesdeutschen Finanzausgleich, Ergebnisse eines

von den Handelskammern Hamburg und Bremen veranstalteten Symposi-ums, Baden-Baden: Nomos, 21–37.OECD (1998), »Reforming the Federal Fiscal System«, in: OECD EconomicSurveys, Germany, Paris, 70–96.Renzsch, W. (1999), »Das Urteil zum Finanzausgleich: Enge Fristsetzung«,Wirtschaftsdienst 79, 716–721.Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung (2000), Jahresgutachten 2000/2001, Chancen auf einen höherenWachstumspfad, Wiesbaden.Schmidt-Trenz, H.-J. und M. Fonger (2000) (Hrsg.), Bürgerföderalismus,Zukunftsfähige Maßstäbe für den bundesdeutschen Finanzausgleich, Ergeb-nisse eines von den Handelskammern Hamburg und Bremen veranstaltetenSymposiums, Baden-Baden: Nomos.Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1995), Gut-achten zur Einnahmenverteilung zwischen Bund und Ländern, Probleme undLösungsmöglichkeiten, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen,Heft 56, Bonn.

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Die allokative Funktion des Finanz-ausgleichs revitalisieren

Wenn bis zum 31. Dezember 2002, also in nunmehr nurnoch knapp zwei Jahren, Bundestag und Bundesrat keinMaßstäbegesetz zum Länderfinanzausgleich verabschiedethaben, wird das geltende FAG mit dem Jahreswechselunwirksam. Dies bedeutet, dass alle Verteilungsregeln desFAG nicht mehr gültig sein werden: Es gibt dann keine hori-zontalen Ausgleichszuweisungen mehr, keine Bundes-Ergänzungszuweisungen, aber auch keine Überweisungendes Umsatzsteueranteils von den vereinnahmenden Län-dern an den Bund und an die Gemeinden. Mit dieser Kau-tele wollte das Bundesverfassungsgericht hinreichendenDruck auf die streitenden Parteien zugunsten einer Neure-gelung ausüben.

»Innovativ« ist auch die Zweiteilung, welche das Urteil desBundesverfassungsgerichts in zunächst ein so genann-tes Maßstäbegesetz und ein daraus mit konkreten Vor-schriften abgeleitetes neues FAG vornimmt. Es wollte damitden zwangsläufigen Verteilungsstreit dergestalt auflösen,dass sich die Parteien zunächst über die abstrakten Maß-stäbe der Verteilung einigen sollten, was ihnen später denWeg zu nicht sachgerechten Einzelregelungen verlegenwürde.

Die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, durch einderartiges zweistufiges Gesetzgebungsverfahren materiellsachgerechtere Regelungen zu erreichen, dürfte sich aller-dings als grundlegender Irrtum herausstellen. Denn die Mehr-zahl der von den finanzstarken Ländern bestrittenen Vertei-lungsregeln – überwiegend zugunsten der finanzschwachen

Länder – sind ja zum Teil erst entstanden oder haben – wiedie Hafenlasten – sogar einen Weltkrieg überlebt, weil dieKonstruktion der deutschen Finanzverfassung die allokati-ven Funktionen eines Finanzausgleichs verdeckt und ihn aufein reines Umverteilungsspiel reduziert.

Dabei gibt es in der deutschen Finanzverfassung auf den demFinanzsausgleich vorgelagerten Stufen der Aufgaben-, derAusgaben- und der Einnahmenverteilung genügend Anläs-se, um auch die allokative Funktionsfähigkeit zu revitalisieren:

• Die Aufgabenverteilung weist ein viel zu hohes Maß anZentralisierung in Form bundeseinheitlicher Regelungenauf. Die Abgabe von nationalen Kompetenzen an die EUhat diesen Prozess weiter forciert. Als Ursache für dieseEntwicklungen ist nicht zuletzt auch das in der Bundes-republik und in Europa geltende Konnexitätsprinzip zunennen, nach dem die für den Vollzug, für die Verwal-tung zuständige föderative Ebene die Kosten zu tragenhat.

• Im Zuge von Globalisierung und wachsender Mobilitätvon ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen habenregionale Spill-overs zugenommen, welche wegen deshohen Maßes entweder zwangsläufiger oder aber vonder Politik bestimmter Steuerfinanzierung öffentlicher Leis-tungen internalisiert werden müssten. Neben der Ein-führung von Gebühren bei den so genannten spezifizier-baren öffentlichen Gütern ist auch der Finanzausgleichals geeignetes Instrument anzusehen.

• Das Steuerrecht ist nicht zuletzt durch die Finanzierungdes Strukturwandels in den neuen Ländern über Investi-tionszulagen und Steuervergünstigungen mit Lenkungs-aufgaben überlastet worden. Diese höhlen allerdings nichtnur die Wirksamkeit und Akzeptanz des Steuerrechtsselbst aus, sondern führen auch zu Verwerfungen beimregionalen Steueraufkommen. Zweifelhafte Zerlegungs-regeln sowie ein fast »steinzeitlich« anmutendes Zerle-gungsverfahren verstärken Vorbehalte, nach denen dassog. örtliche Aufkommen kaum einen regional radizier-baren Steuerpreis darstellen kann. Damit Gebietskörperschaften überhaupt von »eigenen«Steuereinnahmen reden können, müssten sie auch dasRecht haben, zumindest die Höhe der regionalen Steu-ersätze festzulegen. Die deutschen Länder verfügen aller-dings inzwischen über überhaupt keine Steuerautono-mie mehr, die der Gemeinden wurde durch die fortge-setzte Verstümmelung der Gewerbesteuer weiter ein-geschränkt.

Die genannten, als fundamental einzuschätzenden Proble-me der deutschen Finanzverfassung lassen unschwer erken-nen, dass ein Finanzausgleich kaum geeignet sein kann, alldiese Mängel auf der letzten Stufe der Finanzverfassung zukorrigieren. Eine Neuordnung der gesamten Finanzverfas-sung gehört vielmehr auf die Agenda, welche auch die Ver-

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Gisela Färber*

* Prof. Dr. Gisela Färber ist Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftliche Staats-wissenschaften, insb. Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Finanzwis-senschaft an der Deutschen Hochschule für VerwaltungswissenschaftenSpeyer.

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schuldungsgrenzen des Artikel 114 GG einbeziehen müs-ste. Welche Ausgleichsaufgaben dann auf den Länderfi-nanzausgleich zukämen und welche Gestalt er konkretannehmen würde, hängt von der Gestaltung der vorgela-gerten Stufen der Finanzverfassung ab. Die föderativenSysteme Australiens und Kanadas deuten allerdings daraufhin, dass eine mit starken Autonomien ausgestattete Finanz-verfassung auch einen relativ hoch ausgleichenden Finanz-ausgleich erforderlich machen könnte.

Dass zurzeit offensichtlich nicht eine umfassende Reformder Finanzverfassung verhandelt werden soll, ist vor demHintergrund der Reformnotwendigkeiten zu bedauern. Denndie Dominanz der bloßen Verteilungsinteressen und die Kon-zentration auf den Ausgleichstarif werden die bundesstaat-lichen Finanzbeziehungen nicht aus ihrer effizienzbehin-dernden Kleinlichkeit herauslösen. Es kann heute schondie Prognose gewagt werden, dass in Kürze wieder einmaleine Chance auf eine grundlegende, ordnungspolitischhöchst wichtige Reform der bundesstaatlichen Finanzbe-ziehungen vertan sein wird.

Ist eine grundlegende Neukonzeptiondes Länderfinanzausgleichs bei deranstehenden Reform zu erwarten?

In der jüngeren Diskussion über die Reform der bundes-deutschen Finanzverfassung wird eine Stärkung der Län-derautonomie gefordert, um stärkere Anreize für eine Effi-zienzorientierung zu erreichen, d.h. um ihre Wirtschafts-kraft zu stärken und ihre Einnahmequellen auszuschöpfen.Dies impliziert gleichzeitig, dass Unterschiede in derFinanzkraft hingenommen werden, da die angestrebtenAnreize nur bei einem Finanzausgleich mit einem mäßi-gen Ausgleichsgrad verwirklicht werden könnten. Dazuwäre jedoch eine Reform der gesamten Finanzverfassung– nicht nur des Länderfinanzausgleichs (LFA) – notwen-dig, bei der allokativen Grundprinzipien eines föderativenSystems (Einnahmen- und Ausgabenautonomie, fiskali-sche Äquivalenz, Konnexität) mehr Rechnung getragenwird. Dies erfordert jedoch eine grundsätzliche Diskus-sion der Aufgabenverteilung im Bundesstaat und daraufaufbauend die (Neu-)Regelung der Ausgabenverteilung(passiver Finanzausgleich) und der Steuerverteilung (akti-ver Finanzausgleich) (Lenk und Schneider 1999; Lenk1999; Sachverständigenrat 2000, Z. 390.392). Wie dieErfahrungen aus der »großen Finanzreform« von 1969belegen, würde dies jedoch viel mehr Zeit erfordern, alsdas Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Gesetzge-ber zugestanden hat. Außerdem ist der politische Wille zueiner grundsätzlichen Finanzverfassungsreform zurzeitnicht erkennbar. So konnte die 1991 eingesetzte Gemein-same Verfassungsreformkommission von Bundestag undBundesrat, die zur Ausarbeitung grundlegender Vor-schläge die Gelegenheit gehabt hätte, diese Verfas-sungsproblematik bei der Beratung und ihrer Stellung-nahme schlicht ausklammern.

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Thomas Lenk*

* Prof. Dr. Tomas Lenk lehrt an der Universität Leipzig Finanzwissenschaft.

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Mangelhafte Finanzkraft der neuen Bundesländerverhindert grundlegende Reform des LFA

Bedenkt man, dass über den LFA in der derzeitigen Kon-zeption, neben den allokationspolitischen Zielen, primär dis-tributionspolitische Ziele – nämlich der angemessene Aus-gleich der Finanzkraft zur Sicherstellung einer Mindestver-sorgung mit öffentlich angebotenen Gütern in allenBundesländern – verfolgt werden, wird evident, dass es vordem Hintergrund der nach wie vor mangelhaften Finanzkraftder neuen Bundesländer zu keinen grundlegenden Ände-rungen kommen wird. Hätte man 1993 den föderativenFinanzausgleich nicht zu einem Hauptfinanzierungsinstru-ment für den Aufbau der neuen Bundesländer auserkoren– übrigens einstimmig vom Bundesrat im Rahmen desföderalen Konsolidierungsprogrammes beschlossen und seit1995 gültig –, hätte auch das Thema »LFA« eine viel gerin-gere Relevanz. So fließen jährlich über dieses finanzpoliti-sche Instrumentarium rund 45 Mrd. DM in die ostdeutschenLänder:

• Der Umsatzsteuervorwegausgleich dient fast ausschließ-lich der Aufbesserung der Finanzkraft der neuen Länder(Volumen: 14,2 Mrd. DM).1

• Im LFA im engeren Sinne fließen von 13,5 Mrd. DMGesamtvolumen 6,3 Mrd. in die neuen Flächenländer und4,9 Mrd. DM nach Berlin; d.h. rund 83% dienen der Unter-stützung der neuen Länder.

• Von den sich anschließenden Bundesergänzungszuwei-sungen (BEZ) erhält Ostdeutschland2: 3,6 Mrd. DM Fehl-betrags-BEZ, 0,9 Mrd. DM Sonder-BEZ für politischeFührung und 14,0 Mrd. DM Sonderlasten-BEZ.

Hinzu kommen weitere Transfers über das Investitions-förderungsgesetz (mit 6,6 Mrd. DM pro Jahr) sowie diegesetzlichen Sozialversicherungssysteme und spezifischeProgramme (auch von der EU), die hier nicht thematisiertwerden.

Die Sonderlage Ostdeutschlands erfordert weiterhin einhohes Transfervolumen, wie auch die neuesten »Infra-strukturgutachten« belegen. Will man dieses mit Hilfe desInstrumentariums des Finanzausgleichs transferieren, wirdsich sowohl sein Volumen als auch seine Verteilungsstruk-tur nicht wesentlich ändern können. Trotzdem sollte dieanstehende Reform als (kleine) Chance für Verbesserungendes derzeitigen Systems des aktiven Finanzausgleichsgenutzt werden. Dazu bedarf es auch der Überprüfung derim bisherigen LFA-Mechanismus »eher versteckten« Be-günstigungen, die in der aktuellen Diskussion zum Teil ver-nachlässigt werden.

Elemente des LFA-Mechanismus

Der erste bedeutsame Teil des LFA-Mechanismus ist die1970 als »flexibles Element« des Steuerverbunds eingeführteUmsatzsteuerverteilung. Ziel dieses vorgelagerten Vertei-lungsinstruments ist eine annähernd gleiche Deckungsquotefür Bund und Ländergesamtheit. Für die Ermittlung der USt-Anteile von Bund und Ländern sind in Artikel 106 GG ver-fassungsrechtliche Grundsätze zu finden, die eine Gegen-überstellung der »laufenden Einnahmen« und der »notwen-digen Ausgaben« fordern. Eine genaue Abgrenzung dessen,was unter »laufenden Einnahmen« und »notwendigen Aus-gaben« zu verstehen ist, ist bisher allerdings weder finanz-wissenschaftlich und haushaltsrechtlich gelungen, obwohl1981 hierfür eine wissenschaftliche Expertenkommissioneingesetzt wurde. Es ist fraglich, ob die verfassungsge-richtlich wünschenswerte Operationalisierung der Deckungs-quotenberechnung ökonomisch und fiskalpolitisch über-haupt angestrebt werden sollte.3 Finanzwirtschaftlich hängtvon der Ausgestaltung dieser Verteilungsnorm jedenfallsenorm viel ab, wenn man bedenkt, dass zurzeit die Umsatz-steuer rund 30% am gesamten Steueraufkommen bzw. 47%des Ländersteueraufkommens ausmacht.

Verteilungsmaßstab für die horizontale Verteilung des Län-deranteils an der USt zwischen den Ländern sind grundsätz-lich die Einwohnerzahlen. Dieses Vorgehen lässt sich einer-seits als Verteilung nach regionaler Leistungsfähigkeit inter-pretieren, wenn von bundesweit einheitlichem Pro-Kopf-Verbrauch ausgegangen wird, andererseits stellt das Krite-rium der Einwohnerzahl einen pauschalisierenden Bedarfs-maßstab dar. Damit geht von der USt-Verteilung eine nivel-lierende Wirkung aus, die noch erheblich durch die Ergän-zungsanteile an finanzschwache Länder (bis zu 25% desLänderanteils am USt-Aufkommen) verstärkt wird. Mit Hilfedieses Vorwegausgleichs wird die Steuerkraft eines jedenLandes auf 92% der länderdurchschnittlichen Steuerkraftangehoben.4

Die Umverteilung durch die USt-Ergänzungsanteile istumstritten. Die Forderungen der Befürworter eines Steuer-wettbewerbs unter den Ländern reichen von einer Reduk-tion des Ausgleichsniveaus bis hin zur Abschaffung, waseine reine Verteilung nach Einwohnerzahlen und damit mehrTransparenz bedeuten würde. Verlierer wären die neuen Bun-desländer, denn mit der Absenkung der Ergänzungsanteileverringert sich die Angleichung der primären Steuerkraft(Spalte 1 der Tabelle), während das Volumen im LFA dadurchdeutlich steigen würde; für 1998 hätte eine Abschaffung die-ser Regelung einen Anstieg des LFA um 89% von 13,5 Mrd.DM auf 25,5 Mrd. DM bedeutet. Erst nach Verteilung der

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1 Alle folgenden Zahlenangaben für LFA 1998; vgl. auch Spalte 1 in der Tabelle.2 Zum Vergleich: Die Westländer erhalten inklusive der BEZ zur Haushalts-

sanierung für das Saarland und Bremen 7,2 Mrd. DM vom Bund.

3 Vgl. hierzu auch BVerfG 101, RZ 273 sowie SVR 2000/01, Ziffer 395.4 Zur Veranschaulichung der finanzwirtschaftlichen Wirkung der USt-Vertei-

lungsregeln vgl. bspw. Lenk und Teichmann (1998, S. 164 f.).

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USt (mit oder ohne Ergänzungsanteile) steht die eigeneFinanzausstattung der einzelnen Länder fest.

Da durch die primäre Steuerverteilung nicht für alle Gebiets-körperschaften sichergestellt werden kann, dass das Steu-eraufkommen für die Erfüllung der zugewiesenen Aufga-ben ausreicht, folgt als sekundäre Verteilung der LFA. BeimLFA im engeren Sinne werden die Finanzkraftunterschiededurch Umverteilung angeglichen. Als Bemessungsgrundla-ge der Ausgleichszuweisungen und -beiträge wird für jedesLand die Finanzkraftmesszahl mit der entsprechenden Aus-gleichsmesszahl, welche den Bedarf des Landes ein-schließlich seiner Gemeinden repräsentieren soll, verglichen.

Bei der Festlegung der Finanzkraft wird zunächst von demtatsächlichen Steueraufkommen eines Landes ausgegangen5,wobei einige Küstenländer zum Abzug von Hafenlasten berech-tigt sind. Bei der Neuregelung des LFA ist nach der Entschei-dung des BVerfG zukünftig eine Rechtfertigung für die Berück-sichtigung der Seehäfen als Sonderbelastung der Küstenlän-der erforderlich. Geklärt werden muss in diesem Zusam-menhang auch, ob ähnliche Mehrbedarfe existieren, die dannebenfalls in die Berechnung einbezogen werden müssen. 1998wären bei Nichtberücksichtigung von Hafenlasten 263 Mill.DM weniger umverteilt worden (Spalte 2 der Tabelle); dassind rund 2% der gesamten Umverteilungsmasse.

Von wesentlich größerer finanzieller Bedeutung ist die Hin-zurechnung der Steuereinnahmen der Gemeinden. Die ver-fassungsrechtlich vorgegebene Berücksichtigung der Finanz-kraft und des Finanzbedarfs der Gemeinden erfolgt im LFAbei der Ermittlung der Finanzkraftmesszahl durch eine hälf-tige Anrechnung ihrer Steuereinnahmen.6 Durch die Kürzungdes Gemeindefinanzkraftanteils reduzieren sich die im LFAberücksichtigten Finanzkraftunterschiede sowie das Finanz-kraftvolumen. Im Ergebnis kommt es zu einer geringerenUmverteilung als bei voller Berücksichtigung. Die derzeitigeRegelung wirkte 1998 mit 4,6 Mrd. DM (!) zugunsten vonBayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-West-falen (NRW) (Spalte 3 der Tabelle). Der Anteil der zu berück-sichtigenden Gemeindefinanzkraft im LFA ist aufgrund dersehr großen finanzwirtschaftlichen Auswirkung ein höchstumstrittenes Element. Während aus finanzwissenschaftli-cher Perspektive die volle Berücksichtigung der Gemein-definanzkraft empfohlen wird, ist dies aus verfassungs-rechtlicher Perspektive keinesfalls eindeutig. Eine verbrei-terte Bemessungsgrundlage hätte den Charme, den Um-verteilungstarif aufkommensneutral senken zu können.7

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Differentialanalyse einzelner Umverteilungselemente des LFA

Gewinne (+) und Verluste (–) in Mill. DM durch . . .

primäre sekundäreSteuerverteilung Steuerverteilung

Umsatzsteuer- . . . durch Wegfall durch Wegfall des . . . durch Wegfall des . . . durch Wegfall desergänzungsanteile: des Ansatzes von Ansatzes der Halbie- Ansatzes der Stadt- Ansatzes der Ein-

. . . bei ausschließlicher Hafenlasten . . . rung der Finanzkraft staatenregelung . . . wohnerwertung Verteilung nach der der Gemeinden . . . der Gemeinden . . .

Einwohnerzahl. . . nach LFA und Fehl-BEZ

Flächenländer (West)

Nordrhein-Westfalen + 3 854 + 63 – 1 256 + 1 370 – 252Bayern + 2 588 + 46 – 1 087 + 1 005 + 168Baden-Württemberg + 2 232 + 50 – 1 361 + 1 045 + 160Niedersachsen + 1 684 + 9 + 52 + 678 + 64Hessen + 1 294 + 34 – 928 + 793 + 61Rheinland-Pfalz + 862 + 14 + 125 + 348 + 53Saarland – 102 0 – 18 + 207 + 40Schleswig-Holstein + 592 + 3 + 122 + 96 + 10

Flächenländer (Ost)

Sachsen – 4 374 + 16 + 1 556 + 405 + 81Sachsen-Anhalt – 2 945 + 9 + 945 + 242 + 66Thüringen – 2 654 + 9 + 918 + 223 + 76Brandenburg – 2 380 + 9 + 787 + 232 + 85Mecklenburg-Vorpommern – 1 892 – 44 + 648 + 162 + 53

Stadtstaaten

Hamburg + 365 – 132 – 464 – 1 562 – 108Bremen + 144 – 87 – 38 – 795 – 33Berlin + 733 + 16 + 649 – 4 051 – 452

5 Zur genauen Berechnung der Finanzkraft siehe Lenk (1993, S. 178 ff.).

6 Die nur hälftige Einbeziehung der Gemeindesteuern lässt sich dahingehendinterpretieren, dass mit den nicht berücksichtigten 50% zusammen mitder Einwohnergewichtung pauschal der Finanzbedarf der Gemeinden,der laut Grundgesetz zu berücksichtigen ist, abgegolten werden soll. vgl.Häde (1996, S. 233).

7 Außerdem hat das BVerfG die Überprüfung der Nichtberücksichtigungdes Aufkommens aus den Konzessionsabgaben für die Bestimmung dergemeindlichen Finanzkraft angemahnt. BVerfGE vom 101, RZ. 316.

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Zur Diskussion gestellt

Einwohnerwertung ist diskussionswürdig

Die Ausgleichsmesszahl (AMZ) entspricht der Finanzkraft,über die die Länder pro Kopf im Durchschnitt verfügen. Dabeiwerden die Einwohnerzahlen der Stadtstaaten sowohl beider Länderfinanzkraft als auch bei der Gemeindefinanzkraftmit dem Faktor 1,35 gewichtet. Damit soll der besonderenSituation der Stadtstaaten Rechnung getragen werden, dieals Ballungszentren Leistungen für das Umland erbringen,ohne dass hierfür ein Ausgleich über die Landesgrenzen hin-aus existiert.8

Beide Einwohnerveredelungen sind gleichermaßen diskus-sionswürdig, wobei sich bei den Stadtstaaten insbesonde-re aus finanzwissenschaftlicher Sicht drei Fragenkomplexestellen:

• Können die sicherlich vorhandenen Spillover-Effekte aufdie benachbarten Gebietskörperschaften in einer ande-ren Art von Finanzzuweisungen ausgeglichen werden?Grundlegender Gedanke ist hier das Coase-Theorem.

• Muss der Veredelungsfaktor für alle drei Stadtstaaten diegleiche Höhe aufweisen oder bspw. Berlin aufgrund sei-ner Hauptstadtfunktion nicht anders behandelt werden?

• Ist der im ifo Gutachten von 1986 (Hummel und Leib-fritz) unter den damaligen Rahmenbedingungen als sinn-voll erachtete Wert 1,35 vor dem mittlerweile vollzoge-nem Umbruch durch die Wiedervereinigung noch einesachgerechte Größenordnung?

Das Umverteilungsvolumen, das mit der derzeitigen Stadt-staatenregelung verknüpft ist, begünstigt die Stadtstaatenfinanzwirtschaftlich mit rund 6 Mrd. DM (Spalte 4 der Tabelle).

Die Gemeindeeinwohnerveredelung hat das BVerfG miteinem umfassenden Prüfungsauftrag an den Gesetzgeberversehen. Klärungsbedarf herrscht hierbei dahingehend,inwieweit die zugrunde liegenden Kriterien angesichts derheutigen Verhältnisse noch tragfähig sind oder einer Modi-fizierung bedürfen. Ferner ist zu prüfen, ob und inwieweitandere strukturelle Merkmale, wie etwa Deglomerations-nachteile, die Zahl der Arbeitslosen, der Anteil alter Men-schen, Kinder und Sozialhilfeempfängern zu einem abstrak-ten Mehrbedarf führen (Seitz 2000). Diese vom BVerfG 1992verlangte Prüfung hat der Gesetzgeber auch im Hinblickauf die sehr unterschiedlichen Gemeindegrößen in Ost- undWestdeutschland sowie der fehlenden Vergleichbarkeit ost-und westdeutscher Strukturen bisher noch nicht vorge-nommen. Die Regelung bewirkte 1998 eine Umverteilungin Höhe von 845 Mill. DM zugunsten von Berlin, NRW, Ham-burg und Bremen (Spalte 5 der Tabelle). Absehbar scheint

bisher nur die Berücksichtigung der Deglomerationsnach-teile Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs in einerzukünftigen Regelung. Auch ist die Berücksichtigung ande-rer Mehrbedarfe denkbar, wie z.B. Arbeitslose, Sozialhilfeetc.

Zur Bestimmung von Ausgleichszahlungen werden Finanz-kraftmesszahl (FKM) und Ausgleichsmesszahl (AMZ) einesLandes zueinander ins Verhältnis gesetzt. Auf die hierausresultierende relative Position bezieht sich der seit Jahr-zehnten höchst umstrittene Tarif des LFA. Durch ihn wer-den jedem Land mindestens 95% der Ausgleichsmesszahlgarantiert.9 Im Umkehrschluss hat ein finanzschwaches Landeine Grenzbelastung von 95% auf jede zusätzlich einge-nommene Steuermark. In Expertenkreisen ist deshalb beidieser gesetzlichen Regelung niemand über die hohe Grenz-belastung im Empfängerbereich verwundert.

Liegt die Finanzkraftmesszahl über der Ausgleichsmesszahl,ist das betreffende Land ausgleichspflichtig. Dabei wird dieFinanzkraft oberhalb der Ausgleichsmesszahl bis zu 80%in die Bemessungsgrundlage eingerechnet.

Die Summe der ausgleichspflichtigen Beiträge wird schließ-lich zur Summe der errechneten Ausgleichszuweisungen insVerhältnis gesetzt. Die tatsächlichen Ausgleichsbeiträge wer-den dann entsprechend proportional zu den ausgleichs-pflichtigen Beiträgen festgesetzt, so dass ihre Summe genaudem durch die Ausgleichszuweisungen bestimmten Bedarfentspricht.

Erhebliche Umverteilung durch den Finanz-ausgleich

Aufgrund der starken Streuung in der Finanzkraft der ein-zelnen Bundesländer kommt es auch beim Finanzausgleichseit der Wiedervereinigung zu einer erheblichen Umvertei-lung (s.o.). Dies liegt daran, dass nach der Systematik desgeltenden Finanzausgleichsrechts das Volumen im LFA aus-schließlich von der geringen Finanzkraft der ausgleichsbe-rechtigten Länder determiniert wird; unabhängig von derBelastungsfähigkeit der finanzstarken Länder.

Dies führt infolge der historischen Situation notwendiger-weise dazu, dass die finanzstarken Länder erheblich mehrim LFA zahlen müssen. Die momentane Belastung auf derZahlerseite ist deshalb weniger dem Tarifverlauf allein, alsvielmehr dem Multiplikator geschuldet, der letztendlich denAusgleich von Zuweisungen und Beiträgen bewirkt. DieserMultiplikator wäre bei Steueraufkommensdifferenzen wie vorder Wiedervereinigung deutlich kleiner, und die Zahlerländerwürden Grenzbelastungen erreichen, die ihren politischen

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8 Indem sie einen höheren Mittelbedarf pro Kopf impliziert, stellt die erhöh-te Einwohnergewichtung ein Bedarfskriterium dar. Das BVerfG erklärte einesolche Vorgehensweise für diesen Fall aufgrund vorgegebener strukturel-ler Eigenart der Stadtstaaten für zulässig. BVerfG (1986, 223). 9 Zur Ermittlung der Höhe der Ausgleichszuweisungen vgl. § 10 Abs. 1 FAG.

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Forderungen entsprächen. Unabhängig davon sind in derfinanzwissenschaftlichen Literatur Tarifverläufe bekannt, diebessere Anreize als der gegenwärtige Tarifverlauf setzen(Lenk 1998). Doch solange der »Aufbau Ost« über den LFAfinanziert wird, wären auch bei diesen Vorschlägen hoheGrenzbelastungen zu erwarten. Generell lässt sich für dietarifäre Belastung im LFA wie oben schon angeführt fest-stellen, dass eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage– analog zur Einkommensteuerreform – eine erhebliche Tarif-senkung ermöglichen würde. Das würde zu einer niedrige-ren Grenzbelastung aber nicht auch gleichzeitig zur nomi-nellen Entlastung der finanzstarken Länder führen.

Der Bund gewährt anschließend aus seinen Mitteln lei-stungsschwachen Ländern Zuweisungen zur ergänzendenDeckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs (Fehlbetrags-BEZ)sowie zum Ausgleich von Sonderlasten (Sonderbedarfs-BEZ).10

Fehlbetrags-BEZ werden zur Deckung verbliebener Finanz-kraftlücken in Höhe von 90% des Betrages gewährt, derausgleichsberechtigten Ländern nach dem LFA an der Aus-gleichsmesszahl fehlt. Damit werden jedem Land minde-stens 99,5% der relativen Finanzkraftposition garantiert, wasungefähr der länderdurchschnittlichen Finanzkraft entspricht.Hier stellt sich genau wie beim LFA i.e.S. die Frage nachder allokations- und distributionspolitischen Zielsetzung. Dasderzeitig hohe Ausgleichsniveau ist ebenfalls dem vorge-gebenen föderativen Ziel geschuldet, dass ein flächen-deckendes Mindestversorgungsniveau realisiert werden soll.Will man den Wettbewerb unter den Ländern verstärken,genügt es nicht nur die Regelungen des horizontalen Aus-gleichs zu ändern, sondern es müssten zudem die Fehlbe-trags-BEZ abgesenkt werden, da sonst der Bund die ent-stehende Finanzkraftlücke wieder schließen müsste.

Die vom Bund gewährten BEZ zur Abgeltung von Sonder-lasten müssen explizit benannt und begründet werden. AlleLänder, bei denen diese Sonderlasten vorliegen, sind zuberücksichtigen. Zurzeit werden folgende Sonderbedarfs-BEZ gewährt:

• Für überdurchschnittlich hohe Kosten politischer Führungerhalten insgesamt neun Länder mit (geringerer) Ein-wohnerzahl Sonderbedarfs-BEZ. Hier bemängelt dasBVerfG zu recht die gegenwärtige Bemessung der Zuwei-sungen und fordert einen hinreichend einsichtigen Maß-stab für die Gewährung dieser BEZ.

• Die neuen Länder erhalten wegen vereinigungsbeding-ter Lasten bis zum Jahr 2004 jährlich Zuweisungen inHöhe von 14 Mrd. DM, wobei die Verteilung entsprechendder Einwohnerzahl erfolgt. Damit soll dem Nachholbedarf

der neuen Länder, insbesondere bei deren Infrastruktur-ausstattung, und ihrer unterproportionalen kommunalenFinanzkraft Rechnung getragen werden. Hier haben inzwi-schen Untersuchungen zur Infrastruktur gezeigt, dassauch in den nächsten Jahren ein erheblicher Nachhol-bedarf besteht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass dieFörderungsintensität real sukzessive bei einer lediglichnominalen Fortschreibung bei einer langen Zeitschienesinkt.

• Finanzschwache alte Bundesländer erhalten bis 2004degressiv abnehmende BEZ, welche die Belastungenabfedern sollen, die sich durch den weitgehenden Ver-lust eigener Ausgleichsansprüche infolge der Einbezie-hung der neuen Länder in den Finanzausgleich erga-ben.

• Einen Sonderfall stellen die Bremen und dem Saarlandgewährten BEZ zum Zwecke der Haushaltssanierung dar.Der Bund stellte hierfür zunächst von 1995 bis 1998 jähr-lich 3,4 Mrd. DM zur Verfügung, die von den betroffenenLändern zweckgebunden zur Schuldentilgung zu ver-wenden sind. Damit wird ein Auftrag des Bundesverfas-sungsgerichts umgesetzt, nach dem Bund und Länderfür den Fall extremer Haushaltsnotlagen zur Hilfeleistungverpflichtet hat.

Im Ergebnis führen die BEZ zur Abgeltung von Sonderlastenzu einer Verschiebung der Finanzkraftreihenfolge der Län-der. Die Änderung der Finanzkraftreihenfolge wird von eini-gen Kritikern des LFA als Verstoß gegen das Urteil BVerfGsvon 1992 gewertet, was jedoch sachlich falsch ist. DieBestimmungen bzgl. der Länderreihenfolge beziehen sichnur auf die Zahlerländer im LFA, also nicht auf die Bundes-ergänzungszuweisungen. Selbst durch die Fehlbetrags-BEZwird die Reihenfolge nicht verändert. Wenn jedoch bspw.wie im Falle der neuen Länder aus strukturpolitischen Grün-den ein Sonderbedarf anerkannt wird und dies zu Sonder-bedarfs-BEZ führt, dann muss logischerweise diesen Län-dern auch pro Kopf mehr Geld zur Verfügung stehen, umdie Infrastrukturausstattung u.ä. zu finanzieren oder im Fal-le Bremens und des Saarlandes den Haushalt sanieren zukönnen.

Die im Einzelnen zwar nur kurz behandelten Stellschraubendes LFA, aber in der Summe dennoch etwas umfangreichereDarstellung zeigt, dass die Möglichkeiten für eine »kleineReform« des Problems vielfältig sind. Außerdem wurdegezeigt, dass eine Vielzahl von Regelungen existiert, diejeweils andere Gruppen von Ländern begünstigt. Man darfgespannt sein, an welchen Regelungen im politischenBereich bei der »kleinen Reform« des LFAs festgehalten wird,in der ein Nukleus für eine »große Finanzverfassungsreform«liegen könnte.

Darüber hinaus ist aber ist das Maßstäbegesetz als Zwi-schenstufe zwischen Finanzverfassung und Finanzaus-

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10 Zur Veranschaulichung der finanzwirtschaftlichen Wirkung der Bundes-ergänzungszuweisungen vgl. bspw. Lenk (1998, S. 46).

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gleichsgesetz zu beschließen. Zu den quantitativen gewich-tigsten Reformen des Finanzausgleichs, die der Gesetzge-ber in den kommenden Monaten durchführen muss, gehörtdie Neuregelung der Tilgung des Fonds Deutsche Einheit(Lenk und Birke 2000), die das BVerfG als bedenklichenNebenfinanzausgleich bezeichnet hat, der ab 2005 korrigiertwerden muss.

Literatur

Bundesverfassungsgericht (1992), Urteil vom 27.5.1992, BVerfGE 86.Bundesverfassungsgericht (1999), Urteil vom 11.11.1999, BVerfGE 101.Häde, U. (1996), Finanzausgleich: die Verteilung der Aufgaben, Ausgabenund Einnahmen im Recht der Bundesrepublik Deutschland und der Europäi-schen Union, 1. Aufl., Tübingen.Hummel, M. und W. Leibfritz (1986), Die Stadtstaaten im Länderfinanzaus-gleich, ifo studien zur finanzpolitik 45, München.Lenk, T. (1993), »Reformbedarf und Reformmöglichkeiten des deutschenFinanzausgleichs, Eine Simulationsstudie«, in: P. Eichhorn und P. Friedrich(Hrsg.), Schriften zur öffentlichen Verwaltung und öffentlichen Wirtschaft,Bd. 138, 1. Aufl., Baden-Baden.Lenk, T. (1998), »Länderfinanzausgleich: Reform der Ausgleichsmechanis-men«, RWI-Mitteilungen 49(1/2).Lenk, T. (1999a), »Die fiskalischen Wirkungen verschiedener Forderungen zurNeugestaltung des Länderfinanzausgleichs in der Bundesrepublik Deutsch-land: Eine empirische Analyse unter Einbeziehung der Normenkontrollanträ-ge der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen sowie der Stellungnahmeverschiedener Bundesländer«, Diskussionsbeiträge 9, Universität Leipzig,Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät.Lenk, T. (1999b), »Kooperativer Föderalismus – wettbewerbsorientierterFöderalismus«, in: Gesellschaft für Rechtspolitik Trier (Hrsg.), BitburgerGespräche, Jahrbuch 1999/II, München, 31–51.Lenk, T. (2000), »Finanzwirtschaftliche Auswirkungen des Bundesverfas-sungsgerichtsurteils zum Länderfinanzausgleich vom 11.11.1999«, Diskus-sionsbeiträge 17, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät.Lenk, T. und A. Birke (2000), »Zur Neuordnung der Finanzierungslasten amFonds ›Deutsche Einheit‹«, Wirtschaftsdienst 80(12), 722–729.Lenk, T. und F. Schneider (1999), »Zurück zum Trennsystem als Königswegzu mehr Föderalismus in Zeiten des »Aufbau Ost«?«, Jahrbücher für Natio-nalökonomie und Statistik 219(3+4),409–437.Lenk, T. und V. Teichmann (1999), »Bei der Reform der Finanzverfassung dieneuen Bundesländer nicht vergessen«, Wirtschaftsdienst 79(3), 164–173.Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung (2000), Jahresgutachten 2000/01: Chancen auf einen höherenWachstumspfad, Berlin.Seitz, H. (2000), Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffent-lichen Leistungserstellung, Frankfurt (Oder).

Für eine ökonomisch tragfähige Reformdes Finanzausgleichs

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999macht eine grundlegende Neuordnung des Finanzausgleichserforderlich. Wie bei früheren Reformen des Finanzausgleichsist auch bei dieser Neuregelung mit massiven Verteilungs-konflikten zwischen Bund und Ländern sowie der Länderuntereinander zu rechnen. Um so wichtiger ist es, sich dieökonomischen Anforderungen an eine Reform des Finanz-ausgleichs vor Augen zu führen.

Im föderalen System Deutschlands hat der Finanzausgleichdie Aufgabe, die Verteilung der Steuereinnahmen auf Bundund Länder sowie die Gemeinden zu regeln und darüberhinaus eine Umverteilung zugunsten ärmerer Bundeslän-der vorzunehmen. Das gegenwärtige Finanzausgleichssy-stem weist in verschiedener Hinsicht gravierende Mängelauf.

Zum einen gibt es eine Reihe problematischer Sonderrege-lungen für einzelne Länder. So wird vier Küstenländern einAusgleich für Seehafenlasten gewährt, ohne dass bei ande-ren Ländern ähnlich gelagerte Sonderlasten berücksichtigtwerden. Von wissenschaftlicher Seite wird daher schon seitlängerem eine Streichung dieser Regelung gefordert. DasUrteil des Bundesverfassungsgerichts verlangt nun immer-hin eine Überprüfung der Seehafenlasten. Des Weiteren wirdbei den drei Stadtstaaten bei der Ermittlung ihres Finanz-bedarfs ihre Einwohnerzahl rechnerisch um 35% erhöht. Die-se Einwohnerwertung führt zu einer erheblichen Begünsti-gung der Stadtstaaten, die bei rund 15% ihrer Steuerein-nahmen liegt. Auch hier verlangt das Urteil des Bundes-verfassungsgerichts eine Überprüfung. Neuere Untersu-

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Bernd Huber*

* Prof. Dr. Bernd Huber ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwissenschaftan der Universität München und Mitglied des Wissenschaftlichen Beiratsbeim Bundesministerium der Finanzen.

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chungen zeigen, dass der stadtstaatenspezifische Mehr-bedarf deutlich niedriger ausfällt, als bei der gegenwärtigenEinwohnergewichtung von 135% unterstellt wird (Baretti,Huber, Lichtblau und Parsche 2001). Danach ist nur eineEinwohnerwertung zwischen 110% und 120% zu rechtfer-tigen und zudem eine Berücksichtigung ihres Mehrbedarfsüber einen Abzug von der Finanzkraft geboten. Umstrittenist außerdem, dass die Einnahmen der Gemeinden nur zurHälfte in die Verteilungsmasse des Finanzausgleichs einge-hen. Hier wird aus systematischen Gründen vielfach einevolle Einbeziehung gefordert. Dabei ist allerdings zu beden-ken, dass sich dadurch die Abschöpfungen von Steuer-mehreinnahmen in den Ländern massiv erhöhen und dienoch zu diskutierenden Anreizprobleme des Finanzaus-gleichs weiter verschärfen würden. Kritisch zu sehen sindschließlich die vielfältigen Zahlungen des Bundes an einzel-ne Länder im Rahmen der Sonderbedarfs-Bundesergän-zungszuweisungen. So erhalten z.B. neun (!) Länder Zuwei-sungen zum Ausgleich überdurchschnittlich hoher Kostender politischen Führung.

Das ökonomische Kernproblem des Finanzausgleichs sindaber seine negativen Anreizwirkungen. Gegenwärtig wer-den Steuermehreinnahmen eines Bundeslandes in gerade-zu prohibitivem Ausmaß abgeschöpft. So bleiben von 1 DMzusätzlichem Aufkommen der Einkommensteuer in einemBundesland nach Finanzausgleich in den meisten Ländernweniger als 13 Pfennige in der Region. Geradezu absurd ist,dass die Einnahmen im Landeshaushalt durch den Finanz-ausgleich sogar zurückgehen; nur wenn man die Gemein-dehaushalte einbezieht, ergibt sich für das Land überhauptein positiver Aufkommenseffekt.

Durch derart hohe Grenzbelastungen werden die Anreizeder Länder, durch eigene Anstrengungen ihre Steuerkraft zuverbessern, ausgehöhlt. Empirische Untersuchungen zei-gen, dass der Finanzausgleich durch seine massivenAbschöpfungen zu Ineffizienzen der Steueradministrationführt und das Wirtschaftswachstum der Länder negativbeeinflusst (Baretti, Huber, Lichtblau und Parsche 2001).Konkret vermindern zehn Prozentpunkte zusätzliche Grenz-belastung in einem Bundesland sein Wirtschaftswachstumum rund 0,15 Prozentpunkte. Dies ist gerade mit Blick aufden Aufholprozess in den neuen Ländern, wo die Grenz-belastungen besonders hoch sind, ein alarmierender Befund.

Aus ökonomischer Sicht muss eine Reform des Finanz-ausgleichs daher vor allem den Abbau der hohen Grenz-belastungen in Angriff nehmen. Hierzu ist eine Absenkungdes Ausgleichstarifs auf z.B. 50% erforderlich. Für sichgenommen würde eine solche Reform allerdings zu massi-ven Einbußen der Empfängerländer führen. Diese Verlustelassen sich aber durch verschiedene Maßnahmen vermei-den bzw. deutlich abmildern. So kann man z.B. ein Systemvon Pauschalzahlungen (Huber und Lichtblau 1998) oder

eine nach Einwohnerzahlen finanzierte Mindestfinanzkraft-garantie (Huber und Lichtblau 2000) in den Finanzausgleicheinführen, um unerwünschte Belastungen finanzschwacherBundesländer zu vermeiden. Es fehlt also durchaus nicht anVorschlägen für eine ökonomisch tragfähige Finanzaus-gleichsreform. Es bleibt abzuwarten, ob die Politik den Wil-len hat, eine solche Reform in Angriff zu nehmen.

Literatur

Baretti, C., B. Huber und K. Lichtblau (2001), »Weniger Wachstum und Steu-eraufkommen durch den Finanzausgleich«, Wirtschaftsdienst 81, 38–44.Baretti, C., B. Huber, K. Lichtblau und R. Parsche (2001), Die Einwohnerge-wichtung auf Länderebene im Länderfinanzausgleich, München.Huber, B. und K. Lichtblau (1998), »Konfiskatorischer Finanzausgleich ver-langt eine Reform«, Wirtschaftsdienst 78, 142–147.Huber, B. und K. Lichtblau (2000), Ein neuer Finanzausgleich, Köln.

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