November 2012 - Osborne Clarke · August 2012 – 7 AZR 184/11 – bislang Pressemitteilung 57/12)....

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Sehr geehrte Damen und Herren,

mit besonderer Freude dürfen wir Sie informieren, dass Osborne Clarke ein Büro in Ham-burg als dritten deutschen und 13. Internationalen Standort eröffnet. Dort sind von nun an vier neue Partner (Dr. Christoph Torwegge, Prof. Norbert Aust, der Arbeitsrechtler Dr. David Plitt und Dr. Isabella Niklas) sowie weitere Associates tätig. In Zukunft bietet Osborne Clarke daher auch von Hamburg aus deutschen und internationalen Mandanten hochqualifizierte wirtschaftsrechtliche Beratung verbunden mit umfangreicher Sektorerfahrung an. Unser Ar-beitsrechtsteam wird in diesem Zuge von den Rechtsanwälten Dr. David Plitt (Partner) sowie Associate Dr. Sebastian Stütze verstärkt.

http://www.osborneclarke.de/media/firmwide/2012/osborne-clarke-eroeffnet-in-hamburg.aspx

Zudem freuen wir uns, ein neues Mitglied unseres Teams im Kölner Büro be-grüßen, das wir Ihnen kurz vorstellen möchten. Frau Sylvia Wörz beginnt am15. November 2012 ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin und hilft zusätzlich, un-sere arbeitsrechtliche Beratungspraxis weiter auszubauen.

Wir wünschen eine ebenso unterhaltsame wie informative Lektüre. Zur Beantwortung vonRückfragen – selbstverständlich nicht nur zu den angesprochenen Themen – stehen wirIhnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Dr. Anke Freckmann Leiterin des deutschen Arbeitsrecht-Teams von Osborne Clarke

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In dieser Ausgabe finden Sie Beiträge zu folgenden Themen:

Top Thema: Befristung Neue Gestaltungsmöglichkeiten der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnisses ...... 4Mehrfache Befristungen zur Vertretung eines jahrelang arbeitsunfähigen Arbeitnehmers können zulässig sein ............................................................................................... 6Aktuelles Kündigungsrecht Revolutionsaufruf "Volk steh' auf, kämpf' dich frei!" kann Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen ............................................................................................. 8"Überflüssige Änderungskündigung" bei Änderung der Arbeitszeiten ....................................... 10Personalarbeit aktuell Anforderungen an eine Schadensschätzung ................................................................................ 12Versetzung einer Mitarbeiterin bei vertraglich angegebenem Arbeitsort ................................... 13Betriebliche Altersversorgung Anspruch aus Übertragung einer Direktversicherung in der Insolvenz? ................................... 15Betriebsverfassungs- und Tarifrecht Administrator nach UK-Insolvenzrecht kann Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO schließen ............................................................................................................. 16Restrukturierung Betriebsübergang: Nutzung der Betriebsmittel durch den vermeintlichen Erwerber entscheidend .................................................................................................................................... 17

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Top Thema: Befristung Neue Gestaltungsmöglichkeiten der sachgrundlosen Befristung von Arbeits-verhältnisses

Durch Tarifvertrag können sowohl Höchstdauer als auch Anzahl der zulässigen Verlängerungen eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages abweichend von den Vor-schriften des Teilzeit- und Befristungsgesetzes geregelt werden, (§ 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG) (BAG, Urteil vom 15. August 2012 – 7 AZR 184/11 – bislang Pressemitteilung 57/12).

Der Sachverhalt Der Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen des Sach- und Sicherheitsgewerbes, seit dem 3. April 2006 als Geld- und Werttransportfahrer beschäftigt. Zuletzt erhielt er eine monatliche Bruttovergütung von ca. EUR 2.200.

Der erste Arbeitsvertrag datierte vom 24. März 2006 und war vom 3. April 2006 bis zum 2. April 2007 befristet. Im Anschluss verlängerten die Parteien die Befristung jeweils wie folgt:

• im März 2007 befristet für ein weiteres Jahr

• im März 2008 befristet für ein weiteres Jahr und

• im März 2009 befristet für weitere sechs Monate.

Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf der letzten Befris-tung am 2. Oktober 2009.

Der Arbeitsvertrag nahm unter Ziffer 4 Bezug auf den Man-teltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik Deutschland (MTV).

§ 2 Abs. 6 des MTV sieht die Möglichkeit einer sachgrund-losen Befristung für einen Zeitraum von bis zu 42 Monaten bei einer viermaligen Verlängerungsmöglichkeit vor.

Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses indem er vor-bringt, dass die Befristung seines Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam sei. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main wies die Klage ebenso wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen die Berufung gegen diese Entscheidung ab. Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision des Klägers zurück.

Die Entscheidung Die Erfurter Richter hielten die Abweichung von der ge-setzlichen Regelung durch den Manteltarifvertrag sowohl bezüglich der Höchstdauer der Befristung als auch der An-zahl der möglichen Befristungen für rechtswirksam.

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 TzBfG ist die kalen-dermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne sachli-chen Grund bis zu einer Höchstdauer von zwei Jahren möglich. Eine Verlängerung des befristeten Arbeitsvertra-ges darf nach Halbsatz 2 derselben Norm bis zu dreimal im Rahmen der vorgenannten Gesamtdauer erfolgen. Von diesen Vorgaben können die Tarifvertragsparteien aber abweichen (tarifliche Öffnungsklausel, § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG): "Durch Tarifvertrag kann die Anzahl der Verlänge-rungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1 festgelegt werden."

Das BAG war der Auffassung, diese gesetzliche Regelung sei missverständlich. Das Wort "oder" könne sowohl als "entweder oder" wie auch im kumulativen Sinne als "und/oder" verstanden werden. Die unterschiedlichen Les-arten führten in der Anwendung zu verschiedenen Ergeb-nissen:

Erstere führe dazu, dass tarifvertraglich entweder nur die Höchstdauer der Befristung modifiziert werden könne, eine Anzahl von drei Verlängerungen jedoch nicht überschritten werden dürfe, oder umgekehrt mehr als dreimal eine Ver-längerung des befristeten Arbeitsvertrages stattfinden dür-fe, dann jedoch nur innerhalb der Höchstdauer von zwei Jahren. Lese man "oder" als "und/oder", könne tarifvertrag-lich auch von beiden Aspekten gleichzeitig abgewichen werden.

Durch Auslegung des missverständlichen Gesetzeswort-lauts ergebe sich, dass die tarifliche Öffnungsklausel da-rauf abziele, branchenspezifische Lösungen zu erleichtern. Aus diesem Grund müsse es tarifvertraglich möglich sein, eine abweichende Anzahl von zulässigen Verlängerungen sowie zusätzlich eine andere Höchstbefristungsdauer ei-nes befristeten Arbeitsvertrages festzulegen und nicht nur einen dieser beiden Teilaspekte tarifvertraglich abzuän-dern. Das Gesetz wolle den Tarifvertragsparteien ein Ab-weichen auch zuungunsten des Arbeitnehmers in beiderlei Hinsicht kumulativ zugestehen.

Hinweise für die Praxis Das BAG hat in seinem Urteil eindeutig festgestellt, dass Tarifverträge wirksam vorsehen können, dass im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG sowohl bezüglich der Höchstdauer der Befristung als auch bezüglich der Anzahl der möglichen Verlängerungen eines befristeten Arbeits-vertrages von den Regelungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG abgewichen werden darf. Bisher ist eine solche Re-gelung in nur wenigen Tarifverträgen vorgesehen. Eine weitreichende Bedeutung dessen ergibt sich allerdings schon daraus, dass § 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG bestimmt, dass innerhalb des Geltungsbereiches eines solchen Tarif-vertrages auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Ar-beitnehmer die Anwendbarkeit dieser tariflichen Regelun-gen vereinbaren können.

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Im vorliegenden Fall hatte das BAG nicht über mögliche Grenzen der gesetzlich eröffneten Regelungsbefugnis zu entscheiden. Deren Bestehen ist jedoch nicht von der Hand zu weisen: Das BAG deutet in seiner Entscheidung wohl (so die bislang einzig vorliegende Pressemitteilung) mögliche Schranken verfassungs- sowie unionsrechtlicher Art bereits an. Die im vorliegenden Fall umstrittene Befris-tungsdauer von 42 Monaten hielten die Erfurter Richter noch für zulässig. Es bleibt abzuwarten, bei welcher Höchstgrenze der Befristungsdauer beziehungsweise Häu-figkeit der Verlängerung eine solche Grenzziehung in Zu-kunft vorgenommen wird.

Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte:

Katharina Müller, LL.M. oec. Rechtsanwältin Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4480 E [email protected]

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Top Thema: Befristung Mehrfache Befristungen zur Vertretung eines jahrelang arbeitsunfähigen Arbeit-nehmers können zulässig sein

Eine Befristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Teilzeitbe-fristungsgesetz (TzBfG) kann auch für die Vertretung eines jahreslang erkrankten Arbeitnehmers zulässig sein. Die Befristung kann jedoch unwirksam sein, wenn der erkrank-te Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor dem Ab-schluss des befristeten Arbeitsvertrages verbindlich erklärt hat, dass er die Arbeit nicht wieder aufnehmen werde. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, eine rechtlich mögli-che krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen, um eine unbefristete Stelle zu schaffen. Dies hat das Landes-arbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 5. Juli 2012 – Az. 11 Sa 26/12 – entschieden.

Der Sachverhalt Die Klägerin war seit dem 1. August 2008 als Erzieherin in einer Kindertagesstätte der beklagten Arbeitgeberin be-schäftigt. Seit Arbeitsbeginn haben die Parteien zehn be-fristete Arbeitsverträge vereinbart, teils mit und teils ohne Sachgrund. Die Letztbefristung vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2011 beinhaltete eine Befristung zur Vertre-tung einer seit Mitte 2008 arbeitsunfähig erkrankten Ar-beitnehmerin. Die Rentenversicherung Bund teilte der Ar-beitgeberin Anfang 2009 mit, dass die arbeitsunfähige Ar-beitnehmerin von ihr Leistungen zur medizinischen Reha-bilitation erhält. Im August 2010 informierte die erkrankte Arbeitnehmerin die Arbeitgeberin, dass sie in diesem Mo-nat mit einer beruflichen Trainingsmaßnahme beginne. Zum 1. November 2011 wurde der Arbeitnehmerin eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit bewilligt.

Die Klägerin erhob Klage und verlangte die unbefristete Weiterbeschäftigung. Für die vorgenommene Befristung sei kein sachlicher Grund gegeben. Angesichts der langen Erkrankungsdauer hätte der Arbeitgeberin klar sein müs-sen, dass die erkrankte Arbeitnehmerin auch bei Ablauf der Befristungsdauer ihren Dienst nicht wieder aufnehmen würde. Vor diesem Hintergrund hätte einer unbefristeten Beschäftigung der Klägerin der Vorzug eingeräumt werden müssen. Zumindest hätte die Beklagte sich vor Abschluss der Befristung zu der voraussichtlichen weiteren Dauer der Erkrankung erkundigen müssen.

Die Klage blieb sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG ohne Erfolg.

Die Entscheidung Das LAG Rheinland-Pfalz stellt in seinem Urteil fest, dass die Klägerin gegen die Arbeitgeberin keinen Anspruch auf unbefristete Weiterbeschäftigung hat, da der Vertrag wirk-sam bis zum 30. Juni 2011 befristet worden sei. Für die

Befristung bestehe der sachliche Grund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG.

In den Fällen der Vertretung bestehe der sachliche Grund für die Befristung darin, dass der Arbeitgeber seinen Ar-beitskräftebedarf bereits durch den Arbeitsvertrag mit dem erkrankten Arbeitnehmer abgedeckt habe und deshalb an der Arbeitskraft des Vertreters von vornherein nur ein vo-rübergehender, zeitlich durch die Rückkehr des Vertrete-nen begrenzter Bedarf bestehe. Teil des Sachgrundes sei daher eine Prognose über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertre-tenden Mitarbeiters.

Von einer solchen Rückkehr des erkrankten Arbeitnehmers dürfe der Arbeitgeber regelmäßig auch dann ausgehen, wenn der zu vertretende Arbeitnehmer schon seit gerau-mer Zeit arbeitsunfähig erkrankt ist. Etwas anderes gelte nur, wenn der zu vertretende Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber bereits vor dem Abschluss des befriste-ten Arbeitsvertrages mit der Vertretungskraft verbindlich erklärt hat, dass er die Arbeit nicht wieder aufnehmen wer-de.

Allein die Tatsache, dass die erkrankte Arbeitnehmerin bereits seit über zwei Jahren arbeitsunfähig war, stünde der Rückkehrprognose der beklagten Arbeitgeberin nicht entgegen. Die Beklagte dürfe davon ausgehen, dass die Arbeitnehmerin nach ihrer Genesung wieder ihre arbeits-vertraglichen Pflichten erfüllen werde. Es gäbe keinen all-gemeinen Erfahrungssatz, dass längere Zeit erkrankte Ar-beitnehmer ihre Arbeit überhaupt nicht wieder aufnehmen werden. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben war. Die Be-klagte habe am 22. Dezember 2010 noch keine Kenntnis davon haben können, dass die Arbeitnehmerin zu einem späteren Zeitpunkt eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit bewilligt bekommen würde. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, vor der Vertragsverlängerung mit der Klägerin ein Personalgespräch mit der erkrankten Arbeit-nehmerin über ihre gesundheitliche Entwicklung zu führen. Letztlich habe auch keine Verpflichtung bestanden, der erkrankten Arbeitnehmerin krankheitsbedingt zu kündigen. Die Beklagte habe mehrere Handlungsalternativen gehabt, unter denen sie frei wählen durfte.

Hinweise für die Praxis Das Urteil verdeutlicht, dass grundsätzlich eine Kettenbe-fristung im Falle einer längeren Krankheitsvertretung zu-lässig ist, solange mit einer Rückkehr des Arbeitnehmers gerechnet werden kann. Für die Prognose bezüglich der Rückkehr des erkrankten Arbeitnehmers ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerung der Befristung abzustellen. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit überhaupt nicht wieder aufnehmen wird, was insbesondere im Fall des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente über einen längeren Zeit-

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Mathias Kaufmann Rechtsanwalt Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T: +49 (0) 221 5108 4050 E: [email protected]

raum anzunehmen sein dürfte, scheidet eine weitere Be-fristung aus. Ist dies jedoch nicht der Fall, steht dem Ar-beitgeber es grundsätzlich frei, ob er es vorzieht, einen Arbeitnehmer befristet als Krankheitsvertretung einzustel-len bzw. dessen befristeten Arbeitsvertrag mehrmals zu verlängern oder den erkrankten Arbeitnehmern nach ent-sprechender Dauer und negativer Gesundheitsprognose krankheitsbedingt zu kündigen.

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Aktuelles Kündigungsrecht Revolutionsaufruf "Volk steh' auf, kämpf' dich frei!" kann Kündigung des Arbeits-verhältnisses rechtfertigen

Außerdienstliche Aktivitäten für eine extremistische Partei können eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes rechtfertigen, wenn sie darauf abzielen, den Staat oder die Verfassung und deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen. Dies gilt - so das Bundesarbeitsge-richt (BAG) mit Urteil vom 6. September 2012 (Az.: 2 AZR 372/11) - auch dann, wenn das Verhalten nicht strafbar ist.

Der Sachverhalt Der Kläger ist Mitglied einer rechtsextremistischen Partei und war seit dem Jahr 2003 Mitarbeiter in der Finanzver-waltung des beklagten Landes. Seine Tätigkeit umfasste die Planung, Steuerung und Überwachung von Druckauf-trägen in einem Versandzentrum. Dabei hatte er Zugriff auf personenbezogene, dem Steuergeheimnis unterliegende Daten der Steuerpflichtigen.

In seiner Freizeit verbreitete der Kläger mittels elektroni-scher Newsletter Informationen zu Treffen und Veranstal-tungen seines Kreisverbands und der Jugendorganisation seiner Partei sowie Rundbriefe verschiedener Art. Dazu gehörte auch ein im Jahr 2009 verschickter Aufruf zur Teil-nahme an einer Demonstration in Halle/Saale. Dort heißt es unter der Überschrift "17. Juni – Ein Volk steht auf und kämpft sich frei – Zeit einen Aufstand zu wagen!" auch, die "BRD" könnte "Angst davor haben", das Volk könne sich eines Tages erneut "gegen den Alles über Alles raffenden und volksverratenden Staat erheben". Falls "die bürgerli-che Revolution" erfolgreich wäre, könne es "gut möglich" erscheinen, dass "diesmal … Tode nicht bei den Demonst-ranten, sondern bei den etablierten Meinungsdiktatoren zu verzeichnen [wären]. – Dem Volk wär's recht". Die Passa-ge endet mit der Aussage: "Hoffen wir mal, die nächste Revolution verläuft erfolgreicher. In diesem Sinne: Volk steh' auf, kämpf' dich frei!".

Die Entscheidung Nachdem der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage bereits in den Vorinstanzen (vgl. u.a. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2011 – 19 Sa 67/10) keinen Erfolg hatte, ist er nun auch vor dem BAG gescheitert. Der Aufruf des Klägers rechtfertigte eine or-dentliche, jedenfalls personenbedingte Kündigung seines Arbeitsverhältnisses.

Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes müssen nämlich ein bestimmtes Maß an Verfassungstreue aufbringen. Welchen Anforderungen sie insoweit unterliegen, richtet sich zum einen nach ihrer vertraglich geschuldeten Tätig-keit und zum anderen nach der Aufgabenstellung des öf-

fentlichen Arbeitgebers. Mitgliedschaft in und Aktivitäten für extremistische Parteien stehen zwar regelmäßig nicht schon als solche einer Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst entgegen, können aber im Einzelfall eine Kündi-gung rechtfertigen, wenn sie darauf abzielen, den Staat oder die Verfassung und deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen. Dies gilt auch dann, wenn das Verhalten nicht strafbar und die Partei nicht durch das Bundesverfassungsgericht für verfas-sungswidrig erklärt worden ist.

Durch die Weiterverbreitung des Aufrufs zu einem gewalt-samen Umsturz hat der Kläger sich den Inhalt des Aufrufs zu Eigen und deutlich gemacht, dass er das ihm abzuver-langende Mindestmaß an Verfassungstreue nicht auf-bringt. Grundrechtlich geschützte Rechtspositionen, wie etwa die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) stehen der ausgesprochenen Kündigung des Arbeits-verhältnisses, so das BAG, nicht entgegen.

Hinweise für die Praxis Das BAG hatte sich nicht zum ersten Mal mit dem Arbeits-verhältnis des Klägers befasst. So hatte die Beklagte be-reits zuvor das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger gekündigt und darüber hinaus den Arbeitsvertrag angefochten. Die damals streitgegenständliche Einladung zu und Teilnahme an Veranstaltungen der NPD und JN stellten jedoch keinen geeigneten Grund dar, um das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger rechtswirksam zu kündigen bzw. um den Arbeits-vertrag anzufechten (BAG, Urteil vom 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09).

Die beiden Entscheidungen des BAG zu den außerdienst-lichen Aktivitäten des Klägers geben einige aufschlussrei-che Anhaltspunkte zur rechtlichen Beurteilung außer-dienstlicher Aktivitäten für extremistische Organisation bzw. Parteien:

Bringt ein Beschäftigter nicht das erforderliche Maß an Verfassungstreue auf, kann dies den öffentlichen Ar-beitgeber – je nach den Umständen des Einzelfalls – zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus verhal-tens- oder personenbedingten Gründen berechtigen.

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist in diesen Fällen aber nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich das au-ßerdienstliche Verhalten konkret innerbetrieblich aus-wirkt, d.h. wenn es zu einer Belastung des Arbeitsver-hältnisses führt.

Eine personenbedingte Kündigung ist in diesen Fällen dann sozial gerechtfertigt, wenn aus objektiver Sicht ernstliche Zweifel an der Eignung oder der Zuverläs-sigkeit des Arbeitnehmers für die von ihm zu verrich-tende Tätigkeit bestehen.

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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die bloße Zugehörigkeit zu und Betätigung in einer politisch extremistischen Partei regelmäßig nicht ausreicht, um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Ist das Verhalten aber darauf ausgerichtet, den Staat oder die Verfassung und deren Organe zu beseitigen, zu beschimp-fen oder verächtlich zu machen, kann dies ein Grund für eine Kündigung eines Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes darstellen.

Ob die Entscheidung auf Arbeitnehmer der Privatwirtschaft übertragbar ist, muss bezweifelt werden. Die Pressemittei-lung des BAG zu seiner Entscheidung vom 6. September 2012 lässt hierauf nicht schließen. Das BAG hat in der Pressemitteilung lediglich ausdrücklich festgestellt, der Kläger habe mit seinem Verhalten deutlich gemacht, dass er das ihm abzuverlangende Mindestmaß an Verfassungs-treue nicht aufbringt. Wünschenswert wäre allerdings, wenn man Arbeitnehmern der Privatwirtschaft, die auf-grund der von ihnen geschuldeten Arbeitsleistung eine gewisse Vorbildfunktion haben – wie beispielsweise Lehr-kräfte an einer Privatschule – ein solches Mindestmaß an Verfassungstreue ebenfalls abverlangen könnte.

Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte:

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Dominik Gallini Rechtsanwalt Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4042 E [email protected]

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Aktuelles Kündigungsrecht "Überflüssige Änderungskündigung" bei Änderung der Arbeitszeiten

In seinem Urteil vom 19. Juli 2012 (2 AZR 25/11) führt der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) seine umstritte-ne Rechtsprechung zur "überflüssigen Änderungskündi-gung" fort.

Dementsprechend stellt das Gericht fest, dass vom Arbeit-geber erstrebte Änderungen, die sich schon durch die Ausübung des Weisungsrechts gemäß § 106 GewO durchsetzen lassen, sich im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen halten und folglich keine "Änderung der Arbeitsbedingungen" i. S. v. §§ 2 S. 1, 4 S. 2 KSchG dar-stellen. Eine Änderungskündigung ist in einem solchen Fall "über-flüssig" und eine Änderungsschutzklage hiergegen unbegründet, weil der bestehende Vertragsinhalt gerade nicht geändert wird.

Der Sachverhalt Die Klägerin war im Möbelhaus der Beklagten seit April 1987 im Bereich der zentral organisierten Preisauszeich-nung beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Klägerin wurde eine Tätigkeit als "Verkäuferin" bei einem Arbeitszeitvolu-men von 107 Stunden monatlich vereinbart. Im Jahr 2009 wurde bei der Beklagten die zentrale Preisauszeichnung durch eine abteilungszentrierte Preisauszeichnung abge-löst. Infolge dieser Strukturänderung war beabsichtigt, die Klägerin zukünftig im Verkauf einzusetzen. Mit Schreiben vom 9. April 2009 hörte die Beklagte den Betriebs-rat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Änderungskündi-gung an. Dieser widersprach der Maßnahme. Mit Schrei-ben vom 21. April 2009 kündigte die Beklagte das Arbeits-verhältnis der Parteien außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Oktober 2009 und bot der Klägerin eine Fortset-zung des Arbeits-verhältnisses ab dem 1. November 2009 im Verkauf an.

Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an. Die Klägerin beantragt im Rahmen ihrer Klage, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Ände-rungskündigung sozial ungerechtfertigt und unwirksam sind. Dies stützt sie unter anderem darauf, dass der Be-triebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde. Diesem sei nicht mit-geteilt worden, dass die Klägerin im Verkaufs-bereich nunmehr an sechs Tagen pro Woche tätig wer-den solle.

Das Arbeitsgericht Köln hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeits-gericht Köln (5 Sa 604/10) zurückgewiesen. Die Re-vision der Be-klagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Entscheidung.

Die Entscheidung Das BAG stellt zunächst fest, dass es der Anhörung des Betriebsrats bezüglich der neuen Arbeitszeitverteilung nicht bedurfte, wenn die Versetzung der Klägerin in den Verkaufsbereich mit geänderten Arbeitszeiten schon ohne Änderungskündigung rechtswirksam vorgenommen wer-den konnte. Dem-entsprechend kann nicht antragsgemäß entschieden werden, wenn das von der Klägerin unter Vorbehalt angenommene "Änderungsangebot" tatsächlich gar nicht auf eine Änderung der Arbeitsvertragsbedingun-gen abzielte.

Das BAG führt weiter aus, dass im Fall, dass der Arbeit-nehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt ange-nommen hat und Änderungsschutzklage erhoben wird, nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern nur noch die Berechtigung des Angebots auf Änderung der Arbeitsbedingungen Streitgegenstand der Änderungs-schutzklage ist. Da-bei stellen Modifikationen, die sich be-reits im Wege der Ausübung des Direktionsrechts des Ar-beitgebers realisieren lassen, kein Änderungsangebot i. S. v. § 2 KSchG dar. Vielmehr gelten diese bereits, so dass die ausgesprochene Änderungskündigung "überflüssig" ist.

Weiter stellt das BAG fest, dass die Klägerin nach dem Arbeitsvertrag eine Tätigkeit als Verkäuferin schuldete. Die Zuweisung einer Tätigkeit im Verkauf bedurfte daher kei-ner Änderungskündigung. Auch die damit einhergehenden geänderten Arbeitszeiten begründen kein Erfordernis für eine Änderungskündigung, da der Arbeitsvertrag der Klä-gerin diesbezüglich keine spezifischen Regelungen auf-weist und diese daher Gegenstand des Direktions-rechts des Arbeitgebers sind.

Hinweise für die Praxis Die umstrittene Rechtsprechung zur "überflüssigen Ände-rungskündigung" knüpft an einen praktisch sehr relevanten Sachverhalt an: Der Arbeitgeber möchte die vertraglichen Arbeitsbedingungen eines Arbeitnehmers ändern.

Die Tendenz der Arbeitgeber, dieses Vorhaben nicht durch eine Weisung, sondern sicherheitshalber durch eine Ände-rungskündigung durchzusetzen, hat eine zwiespältige Rechtsprechung zur Folge.

Hinsichtlich der Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Arbeit-nehmers gegen eine entsprechende Änderungskündigung unterscheidet die Rechtsprechung zwischen zwei Fall-gruppen: Im Fall, dass der Arbeitnehmer das Änderungs-angebot unter Vorbehalt annimmt, geht das Gericht davon aus, dass die Änderungskündigung sozial gerechtfertigt ist, wenn die bezweckte Leistungsbestimmung billigem Er-messen entspricht. Lehnt der Arbeitnehmer jedoch die an-gebotenen Änderungen ab, ist nach der Rechtsprechung die Kündigung wegen Verstoß gegen den Verhältnisgrund-satz dann sozial ungerechtfertigt, wenn die Änderung auch durch eine Weisung hätte erreicht werden können. Die Leistungsbestimmung stellt ein milderes Mittel dar, durch

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das eine Gefährdung des Bestandes des Arbeitsverhält-nisses vermieden wird.

In der Literatur werden aktuell verschiedene Möglichkeiten diskutiert, um dieser Rechtsprechung Rechnung zu tragen. Unter diesem Aspekt wird eine abgestufte Durchführung von Weisung, Änderungs-kündigung, Beendigungskündi-gung, die Verbindung von Weisung und Änderungskündi-gung zu einer einheitlichen Erklärung oder auch die Mög-lichkeit einer Umdeutung einer ausgesprochenen Ände-rungskündigung in eine Ausübung des Weisungs-rechts vertreten – Optionen, die bislang so von der Rechtspre-chung nicht bestätigt wurden. Aufgrund dieser bestehen-den Rechtsunsicherheit erscheint derzeit die zeitgleiche Erklärung einer Weisung so-wie einer vorsorglichen Ände-rungskündigung als der geeignetste Weg, eine Änderung der Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers – unabhängig von dessen Reaktion auf das Arbeitgebervorhaben – zu erreichen.

Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte:

Karoline Kettenberger Rechtsanwältin Nymphenburger Str. 1 80335 München T +49 (0) 89 5434 8060 E [email protected]

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Personalarbeit aktuell Anforderungen an eine Schadens-schätzung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 26. September 2012 (10 AZR 370/10) entschieden, dass ein Arbeitsrichter greifbare Anhaltspunkte für die Schätzung eines Schadens benötigt. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens lässt § 287 Absatz 1 ZPO nicht zu. Eine Schätzung dürfe nicht vollkommen "in der Luft hängen". Gegenstand des Verfahrens vor dem BAG war eine Scha-densersatzforderung wegen wettbewerbswidrigen Verhal-tens. Mangels greifbarer Anhaltspunkte zur Schätzung verneinte das BAG den Anspruch.

Der Sachverhalt Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Schadenser-satz für eingetretene Verluste in Höhe von EUR 46 Mio. geltend. Grundlage für diesen Anspruch ist, dass die Klä-gerin der Beklagten vorwirft, sich wettbewerbswidrig ver-halten zu haben und der Klägerin Mitarbeiter abgeworben zu haben.

Die Klägerin befasst sich mit dem Bau von Verkehrswe-gen. Über das Vermögen der früheren Muttergesellschaft der Klägerin wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Da-raufhin wurden die Geschäftsanteile der Klägerin an einen anderen Baukonzern veräußert. Auch die Beklagte war an dem Erwerb der Klägerin interessiert. Jedoch scheiterten entsprechende Verhandlungen. Danach gründete die Be-klagte eine eigene Gesellschaft für Verkehrswegebau und schloss mit dem Führungspersonal der Klägerin Arbeits-verträge. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang wur-den Daten der Klägerin genutzt und gelöscht.

Die Vorinstanzen haben entschieden, dass sich die Be-klagte wettbewerbswidrig verhalten hat. Jedoch hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen, da es nach Ansicht der Richter an greifbaren Anhaltspunkten für die Schätzung des Schadens fehlt (LAG Düsseldorf, Urteil vom 23. Februar 2010 – 17 Sa 1133/08).

Die Entscheidung Auf die Revision der Klägerin hin hat der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 26. September 2012 entschieden, dass die Entscheidung des LAG Düs-seldorf nicht zu beanstanden sei. Damit blieb die Revision der Klägerin erfolglos.

Nach § 287 Absatz 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch dieser ist. Diese Entscheidung obliegt in erster Linie den Tatsachengerich-ten – d.h. dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsge-richt – und kann revisionsrechtlich durch das BAG nur ein-geschränkt überprüft werden. Für die Schätzung eines Schadens benötigt der Arbeitsrichter greifbare Anhalts-

punkte. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens lässt § 287 Absatz 1 ZPO grundsätzlich nicht zu. Eine Schadensschätzung durch das Gericht nach § 287 Absatz 1 ZPO eröffnet keine Billigkeitshaftung bzw. keine willkürli-che Entscheidung über den zuzuerkennenden Schaden. Eine Schätzung ist unzulässig, wenn sie mangels greifba-rer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte "völlig in der Luft hängt" und willkürlich ist.

Hinweise für die Praxis Nach dem neuen Urteil des BAG hat ein Schadensersatz-anspruch, bei dem eine Schadensschätzung notwendig ist, nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn greifbare Anhaltspunk-te eine Schätzung des Schadens ermöglichen. Dafür ist eine völlig abstrakte Berechnung nicht ausreichend. Zu-dem muss ein hinreichender Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und dem eingetretenen Schaden erkennbar sein.

Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, bitte kontaktieren Sie:

Vincent Moser Rechtsanwalt Nymphenburger Str. 1 80335 München T +49 (0) 89 5434 8060 E [email protected]

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Personalarbeit Aktuell Versetzung einer Mitarbeiterin bei vertrag-lich angegebenem Arbeitsort

Bestimmt ein Arbeitsvertrag neben dem Ort der Arbeitsleis-tung auch, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, den Arbeit-nehmer im gesamten Unternehmen – auch an anderen Orten – einzusetzen, so ist damit regelmäßig keine ver-tragliche Festlegung des Arbeitsortes verbunden. Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen langen Zeitraum schafft dabei regelmäßig keinen Vertrauenstat-bestand, dass der Arbeitgeber von seinem Versetzungs-recht keinen Gebrauch machen will.

Der Sachverhalt Die Klägerin war seit 1990 als Purserette (Kabinenchefin) bei der S Fluggesellschaft mbH beschäftigt. Bei dieser handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der Beklagten, die ein Bedarfsflugunternehmen mit über 2000 Arbeitneh-mern an mehreren Standorten betreibt. In dem Arbeitsver-trag der Klägerin war unter anderem vereinbart: "Einsatzort ist grundsätzlich Frankfurt/Main." Überdies war geregelt, dass die Fluggesellschaft die Mitarbeiterin "auch vorrüber-gehend oder auf Dauer auf einem anderen Flugzeugmus-ter, an einem anderen Ort sowie befristet bei einem ande-ren Unternehmen einsetzen" konnte.

Nachdem das Arbeitsverhältnis 1995 auf die Beklagte übergegangen war, teilte diese der Klägerin mit, sie werde zunächst befristet in Hannover stationiert. Tatsächlich er-folgte die Stationierung in Hannover jedoch darüber hinaus durchgehend bis zum späteren Ausspruch der Versetzung.

Im Jahr 2009 schloss die Beklagte mit der eingerichteten Personalvertretung eine "Vereinbarung über die Beendi-gung der Stationierung von Cockpit-Kabinenpersonal in Hannover", welche die Aufgabe des Standortes sowie den entsprechenden Personalabbau zum Gegenstand hatte. Der Klägerin wurde angeboten, zu einer Tochtergesell-schaft zu wechseln, wo diese jedoch nicht als Purserette, sondern als Flugbegleiterin tätig werden sollte. Die Kläge-rin bekundete hieran Interesse, jedoch nur als Purserette.

In der Folgezeit versetzte die Beklagte die Klägerin unter Beibehaltung ihrer bisherigen Funktionen von Hannover nach Frankfurt am Main und kündigte zudem hilfsweise das Arbeitsverhältnis unter gleichzeitigem Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Maßgabe, dass Stationierungsort nunmehr Frankfurt am Main sein sollte. Die Klägerin nahm das Angebot unter dem Vorbe-halt an, dass die Änderungskündigung nicht sozial unge-rechtfertigt war und erhob Klage beim Arbeitsgericht.

Die Klägerin hatte beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie weiterhin zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Purserette am Standort Hannover zu beschäftigen sowie festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen

gemäß der Änderungskündigung sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam sei. Das Arbeitsgericht hat im Sinne der Klägerin entschieden. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung der Beklagten zurück. Mit der Revision begehrte die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Die Entscheidung Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 13. Juni 2012 (10 AZR 296/11) das Urteil der Vorinstanz auf-gehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Ent-scheidung an das LAG zurückverwiesen, da die Klage mit der gegebenen Begründung keinen Erfolg haben konnte. Zur Begründung führt das BAG aus, dass der Arbeitsver-trag der Parteien, bei dem es sich um Allgemeine Ge-schäftsbedingungen (AGB) handelt, auszulegen ist. Hier-bei ist zu beachten, dass die Bestimmung eines Orts der Arbeitsleistung in Kombination mit einem Versetzungsvor-behalt zur Regelung der Einsatzmöglichkeiten im gesam-ten Unternehmen regelmäßig verhindert, dass sich der Arbeitsort vertraglich auf denjenigen beschränkt, der im Vertrag bestimmt wird.

So macht es nach Auffassung des BAG keinen Unter-schied, ob auf eine ausdrückliche Festlegung des Ar-beitsorts verzichtet wird oder ob der Ort der Arbeitsleistung zwar bestimmt wird, die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts aber vorbehalten bleibt. Im letzteren Falle wird lediglich klargestellt, dass § 106 GewO gelten und eine Versetzungsbefugnis bestehen soll.

Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts ei-ner Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Um-fang der Weisungsrechte aus § 106 GewO, auf die Zuläs-sigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvor-behalts kommt es dann nicht an. Die Zuweisung eines an-deren Arbeitsorts unterliegt dann der Ausübungskontrolle (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB).

Im Falle der Klägerin fehlte es an einer Festlegung des Arbeitsorts im Arbeitsvertrag. Mit der gewählten Formulie-rung ist dabei hinreichend klargestellt worden, dass die Bestimmung des genannten Einsatzortes lediglich die erstmalige Ausübung des Weisungsrechts darstellt.

Das BAG hebt zudem hervor, dass der Arbeitsort sich auch nicht dadurch auf Hannover konkretisiert hat, dass die Klägerin bis zur Versetzung nach Frankfurt rund 14 Jahre dort tätig gewesen ist. Eine abändernde Vereinba-rung war zwischen den Parteien nicht getroffen. Zwar ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass Arbeitspflichten sich nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Hierfür bedarf es jedoch weiterer besonde-rer Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer drauf ver-trauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt wer-den wird. Dies war vorliegend nicht der Fall. Allein die 14 Jahre andauernde Beschäftigung in Hannover genügte daher nicht zu einer Konkretisierung des Arbeitsortes auf Hannover.

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Das BAG weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Ausübung des Weisungsrechts jedoch billigem Ermessen (§ 315 BGB) entsprechen muss. Mangels ausreichender Feststellungen durch das LAG konnte das BAG hier nicht über diese Frage entscheiden. Gleichwohl weist der 10. Senat auch darauf hin, dass zu Gunsten der Beklagten die vom LAG festgestellte unternehmerische Entscheidung zur Schließung des Standorts Hannover mit einem erhebli-chen Gewicht in die Abwicklung einzubeziehen sein wird. Weiterhin wird zu berücksichtigen sein, dass die Beklagte mit der Personalvertretung maßgebliche Abmilderungen der für die Arbeitnehmer entstehenden Mehraufwendun-gen an Freizeit und Fahrtkosten vereinbart hat. Da eine unbefristete vertragsgemäße Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber möglich war, kam auch eine vor-rübergehend befristete Beschäftigung als Purserette bei der Tochtergesellschaft nicht als weniger belastende Maß-nahme in Betracht.

Hinweise für die Praxis Nach der Entscheidung des BAG macht es keinen Unter-schied, ob im Arbeitsvertrag ein Arbeitsort in Verbindung mit einem Versetzungsvorbehalt vereinbart wird oder ob auf die Festlegung des Arbeitsortes verzichtet wird. In die-sem Falle ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unternehmensweit ein-setzen kann, wobei hier allerdings die Ausübung des Wei-sungsrechts billigem Ermessen entsprechen muss. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen, wozu die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwi-schen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnis-se, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnis-se, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen, zählen. Hierauf weist das BAG ausdrücklich hin. Eine sozi-ale Auswahl ist indessen nicht erforderlich.

Hervorzuheben ist auch die Feststellung des BAG, dass der Arbeitsort nicht allein durch eine langjährige Beschäfti-gung an einem bestimmten Ort konkretisiert wird. Erforder-lich sind insoweit weitere Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, auch zukünftig nur an dem bisherigen Arbeitsort beschäftigt zu werden. Hierzu bestanden in dem entschiedenen Fall keine Anhaltspunkte.

Neben den Vorteilen, welche die vermeintlich vereinfachte Versetzungsmöglichkeit für den Arbeitgeber hat, sind bei der Vertragsgestaltung jedoch auch mögliche Fallstricke zu beachten. So müssen die vertraglichen Regelungen insbe-sondere transparent sein, damit der Arbeitnehmer seine Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag erkennen kann. Insoweit bleibt Arbeitgebern auch zukünftig dringend angeraten, die Arbeitsverträge rechtskonform – insbeson-dere entsprechend der aktuellen Rechtsprechung des BAG – zu gestalten und dabei auch die Auswirkungen zu beach-

ten, die aus einer vermeintlichen Vereinfachung resultie-ren.

Sofern Sie weitere Informationen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte:

Nicolas A. Knille, LL.M. Rechtsanwalt/Bankkaufmann Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4192 E [email protected]

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Betriebliche Altersversorgung Anspruch aus Übertragung einer Direkt-versicherung in der Insolvenz?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 18. September 2012 (3 AZR 176/10) entschieden, dass ein Insolvenzverwalter das dem Arbeitnehmer widerruflich ein-geräumte Bezugsrecht aus einer Direktversicherung wirk-sam gegenüber dem Versicherer widerrufen kann, sofern die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist noch nicht abgelaufen ist und der Arbeitnehmer insofern noch keine unverfallbare Anwartschaft aus der betrieblichen Altersversorgung er-worben hat. Offenlassen konnte es dabei jedoch die Frage, inwieweit dem Arbeitnehmer ein Schadenersatzanspruch auf Ersatz des Versorgungsschadens, also der entstehen-den Rentenminderung, zustehen könnte.

Der Sachverhalt Das später in die Insolvenz gefallene Unternehmen hatte dem Kläger eine arbeitgeberfinanzierte betriebliche Alters-versorgung im Wege der Direktversicherung zugesagt. Vorgesehen war dabei bis zum Ablauf der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist ein widerrufliches Bezugsrecht. Dem klagenden Arbeitnehmer war nach Insolvenz seines Ar-beitgebers im Dezember 2005 gekündigt worden. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens widerrief der Insol-venzverwalter das eingeräumte Bezugsrecht noch vor dem Entstehen einer unverfallbaren Anwartschaft im Sinne von § 1 b i.V.m. § 30f Abs. 1 BetrAVG.

Der Arbeitnehmer klagte vor dem Arbeitsgericht gegen den Widerruf des Bezugsrechts. Dabei berief er sich auf einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungs-grundsatz, da der Insolvenzverwalter in anderen Fällen die Direktversicherung an die Arbeitnehmer übertragen habe. Klageweise machte er die Übertragung der Direktversiche-rung geltend, hilfsweise die Erstattung der in die Versiche-rung gezahlten Beiträge bzw. die Auszahlung des Rück-kaufswertes.

Die Entscheidung Wie bereits die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 29. September 2009 – 2 SA 127/09), war das BAG der Auffassung, dass sich die Zulässigkeit des Widerrufs allein nach der versicherungsrechtlichen Rechtsgrundlage im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Versicherung beurteilt. Da die Frist für die Unver-fallbarkeit des Bezugsrechts im vorliegenden Fall noch nicht abgelaufen war, konnte der Insolvenzverwalter den Widerruf wirksam gegenüber der Versicherung erklären. Im Ergebnis stand dem Arbeitnehmer somit kein Ausson-derungsrecht nach § 47 Insolvenzordnung hinsichtlich der abgeschlossenen Direktversicherung zu.

Das BAG hat auch entschieden, dass ein etwaiger Scha-denersatzanspruch des Arbeitnehmers nicht auf Erstattung der Beiträge zur Direktversicherung und auch nicht auf

Zahlung des Rückkaufswerts gerichtet sein kann. Hat der Insolvenzverwalter mit dem Widerruf des Bezugsrechts jedoch gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen, so kann dies grundsätzlich einen Schadener-satzanspruch des Arbeitnehmers begründen. Dieser ist jedoch auf Ausgleich des Versorgungsschadens gerichtet. Da der Kläger im vorliegenden Fall einen entsprechenden Antrag nicht gestellt hatte, war vom BAG nicht zu ent-scheiden, ob der Insolvenzverwalter im Verhältnis zum Kläger berechtigt war, das Bezugsrecht zu widerrufen. Of-fenlassen konnte das Gericht von daher auch, ob der Schadenersatzanspruch wegen eines zu Unrecht erklärten Widerrufs des Bezugsrechts eine Insolvenzforderung oder eine Masseforderung ist.

Hinweis für die Praxis Nach der derzeit geltenden Rechtslage werden arbeitge-berfinanzierte Versorgungszusagen nach fünf Jahren un-verfallbar. Vor dem Entstehen einer unverfallbaren An-wartschaft hat jedoch der Insolvenzverwalter durchaus die Möglichkeit, eine entsprechende Versorgungszusage eines gekündigten Arbeitnehmers aufzulösen. Die Entscheidung des BAG macht jedoch auch deutlich, dass dabei sehr wohl Schadenersatzansprüche des Betroffenen Arbeit-nehmers denkbar sind, etwa wenn ein arbeitsrechtlicher Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegen sollte. Die Entscheidung des BAG zeigt auch auf, worauf in einem solchen denkbaren Fall der Anspruch des Arbeit-nehmers gerichtet sein muss, nämlich auf den Ersatz des Versorgungsschadens, also den Ersatz der entstehenden Rentenminderung.

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Dr. Timo Karsten Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4192 E [email protected]

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Sabine Wahl, LL.M (Köln / Paris I) Rechtsanwältin/Fachanwältin für Arbeitsrecht Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4480 E [email protected]

Betriebsverfassungs- und Tarifrecht Administrator nach UK-Insolvenzrecht kann Interessenausgleich mit Namens-liste nach § 125 InsO schließen

Für insolvente Unternehmen ist es oftmals von großer Be-deutung, zur Kostenreduzierung auch eine Anpassung der Personalgröße vorzunehmen. Die deutsche Insolvenzord-nung gibt Insolvenzverwaltern nach Eröffnung des Insol-venzverfahrens dabei wirksame Instrumentarien an die Hand. So kann u.a. ein Interessenausgleich mit Namens-liste nach § 125 InsO geschlossen werden, der Angriffe gegen die Kündigungen der auf der Namensliste genann-ten Mitbareiter dann nur bei Nachweis grober Fehlerhaf-tigkeit der Sozialauswahl ermöglicht. Eine Nutzung dieses Instrumentariums hat das BAG nun auf für Fälle mit inter-nationaler Prägung bejaht.

Der Sachverhalt Der Kläger war seit 1991 bei einer weltweit agierenden Un-ternehmensgruppe als Manager Business Finance be-schäftigt. Im Januar 2009 leiteten weltweit verschiedene Gesellschaften der Unternehmensgruppe ein Insolvenzver-fahren ein und der High Court of Justice eröffnete das Ad-ministrationsverfahren nach britischem Recht als Hauptin-solvenzverfahren im Sinne der europäischen Insolvenz-verordnung.

In diesem Verfahren wurden drei Administratoren bestellt, die nach britischem Recht die Gesellschaft vertreten. Sie verhandelten in Deutschland über einen Interessenaus-gleich mit Namensliste, der im Juli 2009 zustande kam und auch eine Kündigung des Klägers vorsah. Diese erfolgte dann zum 30. November 2009.

Der Kläger griff die Kündigung mit der Argumentation an, die britischen Administratoren hätten keinen Interessen-ausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO vereinbaren können; dies setze einen Insolvenzverwalter nach deut-schem Insolvenzrecht voraus.

Die Entscheidung Das BAG verschafft dem britischen Insolvenzverwalter ef-fektive Wirkungsmöglichkeiten, indem es ihm die Kompe-tenzen nach § 125 InsO zuerkennt. Dies sei zur effektiven Durchsetzung der europäischen Insolvenzrechtsverord-nung geboten.

In dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, kann bei grenz-überschreitenden Insolvenzen nach der EU-Insolvenzrechtsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 25. Mai 2000) das sog. Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden. Bis zur Eröff-nung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gilt dann für alle Fragen des Insolvenzverfahrens das Recht desjenigen

Staates, in dem das Hauptinsolvenzverfahren durchgeführt wird.

Art. 10 der EU-Insolvenzrechtsverordnung regelt jedoch eine Sonderanknüpfung für "die Wirkung des Insolvenzver-fahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsver-hältnis" zu Gunsten des Rechts des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Die Erfurter Richter legten diese Bestimmung unionsrechtskonform dahin aus, dass hier eine Synchronisation zwischen britischem Insol-venzverfahrensrecht und deutschem Arbeitsrecht vorzu-nehmen war. Ein Administrator nach britischem Recht könne daher als Insolvenzverwalter eben auch einen Inte-ressenausgleich mit Namensliste abschließen (§ 125 In-sO). Dabei bezieht das BAG die insolvenzrechtlichen Son-dervorschriften mit in das anzuwendende deutsche Ar-beitsrecht ein.

Hinweise für die Praxis Die Entscheidung stellt klar, dass auch im Rahmen von besonderen kündigungsschutzrechtlichen Normen der In-solvenzordnung eine erweiternde Auslegung mit Blick auf europäische Vorschriften geboten ist. Sobald also ein eu-ropäisches Insolvenzverfahren, das als Hauptinsolvenzver-fahren im Sinne der europäischen Insolvenzrechtsverord-nung anzuerkennen ist, eröffnet wurde, stehen dem jewei-ligen Insolvenzverwalter die Möglichkeiten nach der natio-nalen Insolvenzordnung zu. Zu nennen sind hier insbeson-dere die verkürzte Kündigungsfrist nach § 113 InsO wie auch der Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO.

Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie europäischen Gesellschaften zu mehr Handlungsmöglichkeiten auch in Insolvenzfällen verhilft. Die Rechte der Arbeitnehmer wer-den durch die Beteiligung des Betriebsrates an dem Inte-ressenausgleich mit Namensliste und die besondere wirt-schaftliche Lage des Unternehmens ausreichend berück-sichtigt.

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Restrukturierung Betriebsübergang: Nutzung der Betriebs-mittel durch den vermeintlichen Erwerber entscheidend

Der Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen bis-herigem Betriebsinhaber und dem zukünftigen Betriebser-werber stellt bei einem betriebsmittelgeprägten Betrieb noch nicht zwangsläufig einen Betriebsinhaberwechsel dar. Vielmehr ist entscheidend, ob der bisherige Betriebs-inhaber die Nutzung der Betriebsmittel einstellt und der Betriebserwerber diese weiter nutzt (BAG, Urteil v. 27. September 2012 - 8 AZR 826/11).

Der Sachverhalt Die beklagte Gesellschaft hatte im März 2007 mit einem finanziell in Not geratenen Metallbauunternehmen einen Alleinvertretungs- und Kooperationsvertrag abgeschlos-sen, nach dessen Inhalt sie den Vertrieb der im Betrieb hergestellten Produkte übernahm. Gleichzeitig - ab März 2007 bis Mai 2007 - zahlte die bisherige Betriebsinhaberin keine Löhne und Gehälter mehr an die Arbeitnehmer aus. Am 29. Mai 2007 wurde für sie schließlich ein Insolvenzan-trag gestellt. Am 31. Mai 2007 kündigten alle Mitarbeiter des Unternehmens auf Veranlassung des Arbeitgebers selbst ihr Arbeitsverhältnis fristlos. Die jetzige Klägerin, die Bundesagentur für Arbeit, zahlte daraufhin rückwirkend für März, April und Mai 2007 Insolvenzgeld an die Arbeitneh-mer der Betriebsinhaberin.

Im Laufe des Juni 2007 übernahm die Beklagte die Pro-duktion im Betrieb der Insolvenzschuldnerin und stellte in den ersten Wochen der Produktion insgesamt 18 Arbeit-nehmer der bisherigen Betriebsinhaberin ein.

Die Bundesagentur forderte nunmehr das gezahlte Insol-venzgeld von der Beklagten zurück. Nach ihrer Ansicht lag bereits nach dem Abschluss des Vertriebs- und Kooperati-onsvertrages ein Betriebsübergang zur Beklagten vor, so dass die Eigenkündigungen als Umgehungstatbestände eines Betriebsübergangs und damit als nichtig zu betrach-ten seien. Daher habe die Beklagte als angebliche Be-triebserwerberin das gezahlte Insolvenzgeld zurückzuzah-len.

Die Entscheidung Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte die vorinstanz-liche Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm und wies die Klage ab.

Die Erfurter Richter bestätigten, dass keine durchgreifen-den Bedenken gegen die Wirksamkeit der durch die Ar-beitnehmer vorgenommenen Eigenkündigungen bestehen. Es kam somit lediglich darauf an, ob der Betrieb bereits vor dem Zeitpunkt der Eigenkündigungen auf die Beklagte übergangen war und die Kündigungen somit an den "fal-schen" Betriebsinhaber adressiert waren. Der Achte Senat

verneinte dies: Der zwischen der Beklagten und der frühe-ren Betriebsinhaberin abgeschlossene Kooperationsver-trag stelle keinen Betriebsinhaberwechsel dar, so dass die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter nicht bereits durch die Vereinbarung auf die Beklagte übergegangen seien.

Vielmehr hänge ein Betriebsinhaberwechsel - bei be-triebsmittelgeprägten Unternehmen wie dem hier gegen-ständlichen Metallbauunternehmen - entscheidend von der Nutzung der Betriebsmittel ab. Von einem Betriebsinha-berwechsel sei erst dann auszugehen, wenn der vermeint-lich neue Betriebsinhaber die Betriebsmittel tatsächlich weiter nutze und der bisherige Betriebsinhaber deren Nut-zung einstelle. Allein die wirtschaftliche Abhängigkeit vom vermeintlichen Betriebserwerber reiche dagegen für die Annahme eines Betriebsinhaberwechsels nicht aus.

Hinweise für die Praxis Mit dem Urteil sorgt das BAG für Rechtsklarheit und schützt den Spielraum des Erwerbers bei Restrukturie-rungsmodellen – der Kooperationsvertrag an sich löst zu-mindest bei betriebsmittelgeprägten Unternehmen keinen Betriebsübergang mit all seinen umfangreichen rechtlichen Folgen wie dem automatischen Übergang der betroffenen Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber aus.

Vorsicht ist allerdings bei Verallgemeinerungen geboten: Bei betriebsmittelarmen Unternehmen, beispielsweise in der Dienstleistungsbranche, liegt der Schwerpunkt bei der Beurteilung von Betriebsübergängen weniger auf der Nut-zung von Betriebsmitteln als auf dem Übergang von Tätig-keiten und Personal.

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Andreas Grillo Rechtsanwalt Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4118 E [email protected]

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Beratungsspektrum

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