Ob lutschen, sprühen oder spritzen Bei Durchbruchschmerz ... · sich nicht verbal äußern...

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CME ä 7/8.2012 18 Tumorschmerz Schmerzen beurteilen Von Smileys bis zur Fremd-Checkliste Das A und O einer guten Analgesie ist die richtige Einschätzung der Schmer- zen. Schwierig ist es, wenn Patienten sich nicht verbal äußern können. Zur Beurteilung der Schmerzstär- ke haben sich seit vielen Jahren unter- schiedliche Analogskalen bewährt: zum Beispiel die numerische (NAS) und die visuelle Skala (VAS) sowie deskriptive Skalen. Bei Kindern wurden gute Erfah- rungen mit der Smiley-Skala gemacht. Die anhand solcher Skalen bestimm- ten Schmerzwerte können in einem Ob lutschen, sprühen oder spritzen Bei Durchbruchschmerz ist Eile geboten Sie treten meist wie aus heiterem Himmel auf: Durchbruchschmerzen, deren Auslöser oft nicht nachvollzieh- bar ist. Die Patienten brauchen eine rasch anflutende Bedarfsmedikation, die nur kurz wirksam ist. Durchbruchschmerzen treten bei etwa 80% der Tumorschmerz-Patienten trotz guter Basisanalgesie mit einer Opioid- Langzeittherapie auf. Diese kurzen, plötz- lich einsetzenden mäßig bis sehr starken Schmerzattacken erreichen innerhalb von wenigen Minuten ihre maximale Intensi- tät und klingen meist nach etwa 30 Minu- ten wieder ab. Im Median kommt es zu drei bis vier Durchbruchschmerz-Episo- den pro Tag (Spanne von zwei pro Woche bis 24 pro Tag), wie eine multizentrische europäische Studie ergeben hat 1 . Aufgrund des typischen Ablaufs von Durchbruchschmerzen benötigen die Patienten eine rasch anflutende Bedarfs- medikation, die nur kurz wirksam ist. Um keine Zeit zu verlieren, sollten die Betroffenen diese möglichst selbst hand- haben können, ohne auf Angehörige oder Pflegepersonal angewiesen zu sein. Diese Anforderungen erfüllen die transmuko- salen Fentanyl-Zubereitungen, zum Bei- spiel als Sublingualtabletten (Abstral®), Buccaltabletten (Effentora®) oder als Nasenspray (Instanyl®, PecFent®). Wirkung in wenigen Minuten Damit wird eine rasche Resorption des Opioids über die Mund- oder Nasen- schleimhaut und eine rasche Anflutung im ZNS erzielt. Da Magen-Darm-Passa- ge und First-Pass-Metabolismus in der Leber entfallen, werden wirksame Plas- maspitzenkonzentrationen innerhalb von wenigen Minuten erreicht. Eine signifi- kante Schmerzlinderung innerhalb von 10 bis 15 Minuten ist in Studien belegt. Schnell wirksam sind zudem intrave- nös oder subkutan applizierbare Opioide wie Hydromorphon (Palladon® inject), Morphin oder Oxycodon (Oxygesic® inject). Allerdings sind die Patienten hierbei darauf angewiesen, dass ihnen Ärzte oder das Pflegepersonal helfen. Welche Dosis zur Kupierung der Durchbruchschmerzen nötig ist, lässt sich nicht abschätzen. Sie muss deshalb individuell titriert werden, da sie in kei- ner Relation zur Dosierung der Opioid- Basistherapie steht. Bei Patienten mit Schmerzspitzen, deren Auſtreten vorhersehbar ist, weil sie zum Beispiel regelmäßig bei der Mobi- lisierung oder während der Kranken- gymnastik auſtreten, ist eine Schmerz- Prophylaxe sinnvoll. Dazu nehmen die Patienten ein kurz wirksames Analgeti- kum rechtzeitig vorher ein. Basistherapie erhöhen? Bei mehr als vier Episoden von Durch- bruchschmerzen pro Tag raten Experten dazu, die Opioid-Basistherapie anzupas- sen. So kann zum Beispiel die Dosierung erhöht oder das Intervall der Applikatio- nen verkürzt werden. (mar/ple) 1 Eur J Pain 2011, 15(7): 756-763 Schmerztagebuch dokumentiert werden. So lassen sich ein stabiler Schmerzver- lauf oder Veränderungen der Schmerz- stärke leicht überblicken, zum Beispiel eine Zunahme der Schmerzstärke im Krankheitsverlauf insgesamt, tages- zeitliche Schwankungen der Schmerz- intensität oder die Häufigkeit von Durchbruchschmerzen. Eine Herausforderung ist die Beurtei- lung von Schmerzen bei Patienten, die sich nicht (mehr) verbal äußern kön- nen. Das sind zum Beispiel Patienten mit kognitiven Defiziten oder Demenz. Hier ist man auf Beobachtung basieren- de Skalen wie die BESD-Skala (BEur- teilung von Schmerzen bei Demenz) angewiesen. Dabei werden anhand einer Checklis- te vegetative Zeichen, etwa angestreng- te Atmung oder Hyperventilation, und indirekte Schmerzäußerungen wie Lautäußerungen (Stöhnen), Gesichts- ausdruck, Körpersprache (etwa geball- te Fäuste, Unruhe, Abwehrreaktionen) erfasst, die ein Hinweis auf Schmerzen sind. Diese Fremdbeurteilungsskalen können auch von Pflegepersonal oder den pflegenden Angehörigen ausgefüllt werden. (mar/ple)

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CME ä 7/8.201218

Tumorschmerz

Schmerzen beurteilen

Von Smileys bis zur Fremd-ChecklisteDas A und O einer guten Analgesie ist die richtige Einschätzung der Schmer-zen. Schwierig ist es, wenn Patienten sich nicht verbal äußern können.

Zur Beurteilung der Schmerzstär-ke haben sich seit vielen Jahren unter-schiedliche Analogskalen bewährt: zum Beispiel die numerische (NAS) und die visuelle Skala (VAS) sowie deskriptive Skalen. Bei Kindern wurden gute Erfah-rungen mit der Smiley-Skala gemacht. Die anhand solcher Skalen bestimm-ten Schmerzwerte können in einem

Ob lutschen, sprühen oder spritzen

Bei Durchbruchschmerz ist Eile gebotenSie treten meist wie aus heiterem Himmel auf: Durchbruchschmerzen, deren Auslöser oft nicht nachvollzieh-bar ist. Die Patienten brauchen eine rasch anflutende Bedarfsmedikation, die nur kurz wirksam ist.

Durchbruchschmerzen treten bei etwa 80% der Tumorschmerz-Patienten trotz guter Basisanalgesie mit einer Opioid-Langzeittherapie auf. Diese kurzen, plötz-lich einsetzenden mäßig bis sehr starken Schmerzattacken erreichen innerhalb von wenigen Minuten ihre maximale Intensi-tät und klingen meist nach etwa 30 Minu-ten wieder ab. Im Median kommt es zu drei bis vier Durchbruchschmerz-Episo-den pro Tag (Spanne von zwei pro Woche bis 24 pro Tag), wie eine multizentrische europäische Studie ergeben hat 1.

Aufgrund des typischen Ablaufs von Durchbruchschmerzen benötigen die Patienten eine rasch anflutende Bedarfs-medikation, die nur kurz wirksam ist. Um keine Zeit zu verlieren, sollten die

Betroffenen diese möglichst selbst hand-haben können, ohne auf Angehörige oder Pflegepersonal angewiesen zu sein. Diese Anforderungen erfüllen die transmuko-salen Fentanyl-Zubereitungen, zum Bei-spiel als Sublingualtabletten (Abstral®), Buccaltabletten (Effentora®) oder als Nasenspray (Instanyl®, PecFent®).

Wirkung in wenigen Minuten

Damit wird eine rasche Resorption des Opioids über die Mund- oder Nasen-schleimhaut und eine rasche Anflutung im ZNS erzielt. Da Magen-Darm-Passa-ge und First-Pass-Metabolismus in der Leber entfallen, werden wirksame Plas-maspitzenkonzentrationen innerhalb von wenigen Minuten erreicht. Eine signifi-kante Schmerzlinderung innerhalb von 10 bis 15 Minuten ist in Studien belegt.

Schnell wirksam sind zudem intrave-nös oder subkutan applizierbare Opioide wie Hydromorphon (Palladon® inject), Morphin oder Oxycodon (Oxygesic® inject). Allerdings sind die Patienten

hierbei darauf angewiesen, dass ihnen Ärzte oder das Pflegepersonal helfen.

Welche Dosis zur Kupierung der Durchbruchschmerzen nötig ist, lässt sich nicht abschätzen. Sie muss deshalb individuell titriert werden, da sie in kei-ner Relation zur Dosierung der Opioid-Basistherapie steht.

Bei Patienten mit Schmerzspitzen, deren Auftreten vorhersehbar ist, weil sie zum Beispiel regelmäßig bei der Mobi-lisierung oder während der Kranken-gymnastik auftreten, ist eine Schmerz-Prophylaxe sinnvoll. Dazu nehmen die Patienten ein kurz wirksames Analgeti-kum rechtzeitig vorher ein.

Basistherapie erhöhen?

Bei mehr als vier Episoden von Durch-bruchschmerzen pro Tag raten Experten dazu, die Opioid-Basistherapie anzupas-sen. So kann zum Beispiel die Dosierung erhöht oder das Intervall der Applikatio-nen verkürzt werden. (mar/ple)1 Eur J Pain 2011, 15(7): 756-763

Schmerztagebuch dokumentiert werden. So lassen sich ein stabiler Schmerzver-lauf oder Veränderungen der Schmerz-stärke leicht überblicken, zum Beispiel eine Zunahme der Schmerzstärke im Krankheitsverlauf insgesamt, tages-zeitliche Schwankungen der Schmerz-intensität oder die Häufigkeit von Durch bruch schmerzen.

Eine Herausforderung ist die Beurtei-lung von Schmerzen bei Patienten, die sich nicht (mehr) verbal äußern kön-nen. Das sind zum Beispiel Patienten mit kognitiven Defiziten oder Demenz. Hier ist man auf Beobachtung basieren-

de Skalen wie die BESD-Skala (BEur-teilung von Schmerzen bei Demenz) angewiesen.

Dabei werden anhand einer Checklis-te vegetative Zeichen, etwa angestreng-te Atmung oder Hyperventilation, und indirekte Schmerzäußerungen wie Lautäußerungen (Stöhnen), Gesichts-ausdruck, Körpersprache (etwa geball-te Fäuste, Unruhe, Abwehrreaktionen) erfasst, die ein Hinweis auf Schmerzen sind. Diese Fremdbeurteilungsskalen können auch von Pflegepersonal oder den pflegenden Angehörigen ausgefüllt werden. (mar/ple)