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    Ob-OstTextdatenAutor: Fritz HartmannTitel: Ob-OstUntertitel: friedliche Kriegsfahrt eines ZeitungsmannesErscheinungsdatum: 1917Verlag: Gebrder JneckeErscheinungsort: HannoverQuelle: Commons; SB BerlinBildHartmannObOst.pdfBearbeitungsstandfertigFertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.Indexseite

    [-]Ob-OstFriedliche Kriegsfahrteines ZeitungsmannesvonFritz Hartmann

    HannoverVerlag von Gebrder Jnecke1917

    [-] Druck von Gebrder Jnecke, Hofbuchdruckerei, Hannover.[-]Vorwort.

    Die Reise, ber deren Eindrcke ich in diesem Bchlein Rechenschaft ablege, wurde ohnealle Vorurteile angetreten. Aber was ich mit Augen sah, was ich im Umgang mit d

    en leitenden Stellen in Ob.Ost hrte und aus den amtlichen Unterlagen lernte, dashat sich zu einem festen Programm verdichtet.

    Die zwlf Briefe an einen Freund wurden in dem von mir geleiteten Hannoverschen Kurierverffentlicht. Rasch trat der Wunsch an mich heran, sie mchten gesammelt erscheinen und damit ihren Aktionsradius ber die Leser unsers Blattes hinaus erweitern.Hier sind sie. Mchten sie dem geliebten Vaterlande ntzlich werden.Hannover im dreiigsten Kriegsmonat.Dr. Fritz Hartmann.[-]InhaltsverzeichnisI. Die Reise 1II. Was wir vom Kriege sahen 9

    III. Die Etappe 20IV. Erste Sorgen 27V. Feldgrau und Feldbau 37VI. Verwertung 43VII. Friedenswerk 50VIII. Ob. stliche Presse 61IX. Allerleirauh 70X. Das Gotteslndchen 78XI. Schlsse 85XII. Rckblick 95

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    I. Die ReiseLibau, den 27. Oktober.Mein lieber Ernst!

    Dein Feldpostgru von der Somme hat gar eine weite Reise gemacht. In Hannover trafer mich nicht, aber er folgte mir mit unentwegtem Sprsinn. Von Staffelort zu Staffelort, bis der rstige Westfrontler mich endlich gestern abend an der Ostfront erreichte. Hier in Libau nmlich. Du stutzest? Aber es ist wirklich weder ein Schreibfehler von mir, noch ein Leseversehen von Dir. In demselben kurlndischen Libau,dem am 3. August 1914 die Granaten unseres Kreuzers Augsburgverkndeten, was die Stunde geschlagen. Demselben Libau, das wir am 8. Mai vorigen Jahres besetzten und seitdem zu einem Sttzpunkt unserer Ostseeflotte entwickelt haben.

    [2] Wie das zuging, so fragst Du? Mit ganz rechten Dingen natrlich. Allerdings habe ich mich, als ich neulich in Suprasl vor dem schweren byzantenen Prunk des Ikonostases einer russischen Klosterkapelle stand, oder ein paar Tage darauf in einer Wilnaer Synagoge mitten unter litauischen Kaftanjuden mit befransten Gebetsmnteln dem hebrischen Frhgottesdienst lauschte, mich selber erprobend ins Ohrlppchengekniffen. Der Abstieg vom niederschsischen Alltag war denn doch gar zu grell unddaher traumverdchtig. Der Krieg macht uns alle zu starken Lnder- und Vlkerkennern.Er rttelt auf aus unserer Heimsssigkeit, unserem Gluckhennentum und fhrt uns in Ge

    genden, fern ab von den Reiselinien Stangens und den Orten wo man gewesen sein mu.Ich verdanke dies Zwischenspiel einer Einladung des Oberbefehlshabers Ost. Ihm lag daran, der deutschen Presse und durch sie dem deutschen Volke zu zeigen, welche Kultursaat in den Staffeln gest wird. Wir haben dritthalb tausend Kilometer durchmessen und sind jetzt am Endpunkt unserer Schaufahrt angelangt. Heute abend noch kehren wir in 25stndigem Fluge [3] nach der Heimat zurck. Eine Kleinigkeit warswahrlich nicht. Man hat uns stramm herangekriegt. krperlich ein kleiner Gewaltakt und geistig eine Mastkur mit Eindrcken. Reisen in Eisenbahn- und Kraftwagen, Besichtigungen, Vortrge, Empfnge und Gastessen schlossen sich tagein tagaus zu bunter, aber festgegliederter Kette. Zum Schlafen sind wir allemal nur 45 Stunden gekommen. Aus der kurzen Zeitspanne von zehn Tagen wurde eben herausgeholt, was nurirgend zu holen war. Repos ailleurs.

    Allein gerade darum ward die Sache schon uerlich zu einem kleinen Meisterstck deutscher Organisationskunst. Ihr stilles Planen und methodisches Zeitauskaufen hat sich ber jedes Lob bewhrt. Sie und die feldgraue Gastfreundschaft. Allberall sind die Offizier- und Verwaltungskasinos uns elfen in der Fremde behagliche Herbergenzur Heimat geworden. Ihr zwangloser Verkehr ergnzte das tagsber mit Auge und Ohr Aufgenommene. Ich liebe das sehr, da im Gesprch erst die feineren Reize der Dingeans Licht treten. Man mu nur zu fragen verstehen.

    [4] Nichts ist uns fremd geblieben, was das bereiste Land zu bieten hatte. Seinesozialen Hhen und Tiefen wuchsen aneinander zum einheitlichen Bild. Wir sahen imZarenschlo und durchwanderten die Entlausungsanstalten. Wir plauderten abends mitPrinzen und Frsten, whrend am anderen Morgen der schauderhafte Armeleutgeruch des

    Ghettos sich beklemmend auf Sinn und Empfinden wlzte. Gasmaske herrief ich entsetzt.

    Auf dem Berliner Bahnhof Friedrichstrae fings an. Dort nahm uns Hauptmann B. an die Hand, der Leiter der Presseabteilung von Ober-Ost. Er ist auf der ganzen Fahrtunser Reisemarschall gewesen. Seiner ebenso umsichtigen wie liebenswrdigen Fhrungverdanken wir eine der dauerhaftesten Erinnerungen fr Lebenszeit.

    Fr Bequemlichkeit war vornehm gesorgt. Ein Schlafwagen stand in unserem Dienst, jeder hatte seine eigene Kabine, in die er von allen Ausflgen wieder wegemde einkeh

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    rte. Dort konnte er ungestrt arbeiten, rauchen, sich umziehen; schlafen, vielleicht auch trumen, so weit dies einem gelingt, der nicht gewohnt ist, da [5] sein Bett auf stuckernden Rdern durch die Gegend spaziert. Einige Kollegen hatten es darin zur Vollendung gebracht; ich blieb der alte Stmper. Auch tauschte man Besuch und Gegenbesuch, drosch einen Mnnerskat oder entschied in grndlichen Ausschusitzungen, wem die nchste Erwiderungsrede zufalle und wie es mit den Trinkgeldern zu halten sei. Selbst Vortrge wurden rollender Weise gehalten. Es ist mit der Zeit wie mit dem Tornister, worber uns vor 30 Jahren unser Korporalschaftsfhrer zu belehren pflegte: Ach wat, et jeht allens rin; et mu nur richtig verstaut sind!

    Traf man am Ziele ein, dann standen schon die bestimmten Ortsoffiziere zum Empfang bereit. Der Ehrendienst, wie wir scherzend sagten. Ordonnanzen bemchtigten sichdes Gepcks, und wir fanden es spter ein jeder auf seinem Zimmer in der uns zugewiesenen Offiziersunterkunft wieder vor. Der getippte Tagesplan wurde verteilt undwickelte sich mit Hilfe der bereitgestellten Kraftwagen auf die Minute ab. Unermdlich zwitscherten diese durch die Straen und federten ber das rttelnde Kopfpflasterder litauischen Stdte. Ehrfurchtsvoll wichen die [6] Bauernwgelchen zur Seite unddie beschafpelzten Kutscher zogen, sofern ihre scheuen kleinen Pferdchen unterdem Holzjoch ihnen Zeit dazu lieen, die lebendurchwimmelten Mtzen. Denn so ein Blitzzug von 46 Heeresautos, je halb mit Offizieren, halb mit Zivilisten besetzt, das mute ja doch etwas ganz Sonderliches sein. Vielleicht Pan Exzellenz gromchtiges,von die knftigen Landesgeschicke abhingen.

    Die Reise ging von Sd nach Nord. Unser Anschauungsunterricht begann in Bialystok.

    Von da erreichten wir ber Bielsk den berhmten Urwald von Bialowies, wo der Wolf noch heult und die letzten Wisente Europas dem Aussterben entgegenkmmern. In Grodno verbrachten wir einen ertragreichen Nachmittag, aber Wilna nahm uns anderthalbTage in Anspruch. Zu Kowno waren wir Gste in dem Hause, das Hindenburg monatelang bewohnt; saen wir zuhrend um die lange Kartentafel, worber sich so oft mit sprendm Strategenblick Ludendorff gebeugt. Mitau! Auch dort steigen Erinnerungen auf.Die Rume, in denen wir uns bewegen, sind die des Medemschen Palastes. Obs in diesem Saale war, wo wir jetzt beim Biere sitzen, [7] oder in dem Bfettzimmer daneben,da vor 137 Jahren Balsamo Cagliostro sein magisch-theosophisches Geisterschwindelwesen trieb? Die Wibegierde wendet sich jedoch rasch den ersprielicheren Gegenwartsfragen zu. Zum ersten Male bei unseren geselligen Zusammenknften berwiegt der Brgerrock. Wir elfe haben Zuwachs erhalten durch Balten aus Stadt und Land. Im Gesprch mit den Leuten des aufrechten Bruderstammes gewinnen wir bedeutsame Eindrcke,

    die sich anderen Tages auf mehreren Adelssitzen und im sehaften Kreise der biederen Goldinger noch vertiefen. Wir durchqueren das ganze Gotteslndchen im Kraftwagen; eine Fahrt, deren Gensse bei dem klaren Sonnenschein und dem wunderbaren Gilbhartbunt des Laubes zu schildern, mein nchterner Fllfederhalter lieber gar nicht versuchen wird.

    Endlich nimmt uns Libau auf. Hier kommt ein neues Thema in das Fugengefge unseresReiseerlebnisses. Die Flotte! Wie findest Du, da ich Landratte mich vor zwei Stunden nicht nur zwischen den Kolben, Gestngen und Torpedos eines U-Bootes herumgewunden habe, sondern auch mit ihm bis auf den Grund des [8] Hafens getaucht bin? Doch davon ein andermal. Die Ordonnanz ruft mich ab. Wir haben unsere Begleitoffiziere zum Abschiedsessen eingeladen und ich htte mich beinahe ber die Stunde hinweggeschrieben.

    II. Was wir vom Kriege sahenIm Schlafwagen zwischen Knigsberg und Marienburg, den 28. Oktober.

    Nchtlicherweile haben wir wieder die Grenze berschritten. Ich merkte nichts davon.Zum erstenmal hatte sich nmlich der wohlttige Sandmann herbeigelassen, mir auch im Bahnzug Aufwartung zu machen. Ich konnte durchschlafen, da wir als militrischerTransport von der Grenzrevision verschont blieben.

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    Es ist Sonntag. In der Stadt der reinen Vernunft hrte ich sogar Glocken luten. Wowir gewesen, da hatten die Russen sie fortgeschleppt. Ebenso alle Bronzedenkmler.Ihre Zarin Katharina, ihren Murawiew, den Henker Polens, oder auch ihren Puschkin wird man ihnen fr eine einzurichtende Erinnerungs-Puppenallee in Moskau oder Nowgorod oder Kasan neidlos lassen. Die Glocken aber mssen ber kurz oder lang ersetzt und die ausgebrochenen Lcher im Turmgemuer, durch die man sie niedergelassen, wieder geflickt werden. Vorlufig behilft man sich auf urwchsige [10] Art. Man hat alte Schienen aufgehngt, die mit eisernen Hmmern bearbeitet werden. Das macht Lrm, aber keine Andacht, und jenes durch Goethe unsterblich gemachte Kind, das wolltenie zur Kirche sich bequemen, das kann sich mit Ohrenzwang herausreden.

    Nur in solch mittelbarer Weise ist der Krieg uns nahegetreten. Als junge Vergangenheit, nicht als krachende, blutspritzende Gegenwart. Wo wir der Front am nchsten kamen, in der Mitauer Gegend, sind wir ihr immer noch einige Kilometer ferngeblieben. brigens ist es ja auch dort im Augenblick ruhig wie im Frieden. Gelegentlich ein Kleines knallen auf einen russischen Erkundungsflieger oder in den Wlderneine Treibjagd gegen strolchende und wildernde Versprengte mehr nicht.

    Allein, nie kam uns auer Bewutsein, da wir auf einem Boden standen, ber den vor klenem erst die Wirbelstrme des Weltkrieges, heute nach links, morgen nach rechts herumgekreist. Viel ist schon getan, die Spuren seines Wahnsinnstanzes zu lschen. Wenn wir so glatt dahinfuhren waren das wirklich dieselben Strecken, die Hindenburg auf seinem meisterlichen [11] Herbstabmarsch von 1914 Sachkenner nennen ihn die grte seiner Grotaten so grndlich unfahrbar gemacht, da keine Schiene an der a

    n geblieben? Nun luft alles wieder wie daheim. Die Bahnhfe sind hergestellt und der Beamtenkrper aus dem ganzen Vaterlande zusammengeholt. In demselben Zuge schalten preuische, bayerische, schsische und schwbische Schaffneruniformen.

    Viel ist getan, mehr bleibt zu tun auf den Frieden verspart. Die Wrterhuschen geben sich schmucker als vor dem Kriege, allein, dichtbei siehst Du die rauchschwarzen Resttrmmer einer litauischen Bauernkate. Wer sollte sie aufbauen? Die Leute sind entflohen, verschleppt; keiner wei, wohin. Vielleicht bis auf das brigens nie fehlende Neugeborene herab im Elend verdorben, gestorben.

    In den Wldern wste Granattrichter und fcherpalmenhaft auseinandergesplitterte Birken. Dazwischen Grber. Smtlich aufs sauberste gehalten. Meist in weirindige Naturgelner liebevoll gefat. Von Ferne sagt schon die andere Kreuzform, ob Freund hier ode

    r Feind fr sein Vaterland gefallen. Vielleicht auch eine festgenagelte [12] Russenmtze. Sonst aber kein Unterschied. Nicht der mindeste. Auf deutschen Einzelgrbernsteht der Name; die Ruhesttte ist photographiert und den Angehrigen im Bilde gesandt. Wo die Verluste sich huften, sind Ehrenfriedhfe eingerichtet. Eine besondereBehrde regelt die Grberpflege.

    Zu Bialowies wohnten wir in des Zaren Jagdschlo. Ein Einstcker mit viel Dachgegiebel, am Ende der gestreckten Front gleich einem Flgelmann der runde Bergfried mitmoskowitischem Doppelaar. Innen mit Ahorn getfelt, den jugendstilige Brandmalereien rankend verunzieren. Drber Freskokitsch eines wildgewordenen Bckliners; Waldseenymphen, Faunen, Kentaurenjagden.

    Die Deutschen fanden dieses Schlo vllig ausgerumt, kein Mbelstck war geblieben. Te

    che, Vorhnge, Gobelins, lgemlde, alles grndlich gerettet. Es fragt sich blo, ob aren oder irgendwen sonst zu deutschen Lasten. Aber mehr noch. Der Abschied waraugenfllig auf Nimmerwiederschauen gedacht. Denn sogar das schne, schmiedeeiserneKunstwerk des Treppengelnders ist beinig geworden. [13] Die Majolikakamine warenzerschlagen, die Leitungsrhren zerhackt. Es hat Wochen gedauert, ehe die Rume wieder bewohnbar wurden. Heute stehen andere Mbel drin, so gut wie die Umgebung sie lieferte. Aber in jedem Raume hngt nach deutscher Dienststubenweise eine suberlicheAusstattungstafel mit dem Gertebestand bis zum Nachttopf hinunter.

    Von allen besuchten Stdten hat Wilna am wenigsten gelitten. Kasernen, Lazarette u

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    nd ffentliche Gebude waren jedoch gleichfalls bis auf die nackten Wnde geleert. Dafhatte man sie in der unsagbarsten Weise verschmutzt und verstnkert. Im Erdgeschodes Stadthauses lag der Pferdedung dreiviertel Meter hoch. Im ersten Stock, fr den die Rosse versagten, hatten ihre Reiter das tierische Geschft bernommen. Heute sind die Rume blitzsauber; einzig der satte Kalk- und Entseuchungsgeruch erinnertan die vorgefundene Schweinerei.

    Wilna war als offene Stadt kampflos preisgegeben. Aber frage nur herum; es gibttrotzdem Einwohner genug, denen die Kriegserlebnisse schwer auf der Seele wuchten. Zum Beispiel den evangelischen Pfarrer. Er hat drei [14] Reichsdeutsche und zwei Balten auf dem Gang zum Galgen geleiten mssen. Alle fnf als unschuldige Opferrachschtigen Justizmordes.

    Ein fester Sttzpunkt des Feindes hingegen war Kowno. Er sollte den Durchbruch derMemelfront hindern. Dazu war er mit einem starrenden Kranz von festen Stellungen umgeben. Auerdem erschwerten unseren Anmarsch Wlder, Smpfe und Hhen. Endlich als etzter Halt ein starker Fortgrtel. Trotzdem war die Stadt binnen vier Tagen in deutscher Hand. Freilich schlummern auf dem Ehrenfriedhofe wackere Feldgraue dem dermaleinstigen groen Wecken entgegen. Pax vobiscum!

    Am vergangenen Mittwoch haben wir die erstrmten Werke beschritten. Von Fort schauten wir in einen kristallenen Herbstmorgen hinein. Hinber nach dem durch wirre Drahtverhaue gesicherten Dominikanka-Wldchen, worein das Korps Litzmann sich zuersteinmal die blutige Bahn brach.

    Entsinnst Du Dich noch unserer Gnge ber die alten Metzer Schlachtfelder? Wie ich mit brennendem Auge und pochender Brust dem einstigen Todesrennen meines ehemaligen Regiments [15] von St. Marie auf St. Privat folgte? Den kahlen Hang hinauf, der jetzt von weien Kreuzen flimmert? Dann bist Du im Bilde. Nein, solche Soldatenrief Canrobert, als er von oben den Sturm sah. Die Shne sind der Vter wert. Fast auf die Stunde 45 Jahre spter, in der Nacht zum 18. August, haben sie hier ein hnliches Sprunggelnde durchmessen. Ganz hnlich, nur doppelt so breit. Werk fiel auf Werk. In der Morgenfrhe war auch die zweite Linie unser, am Abend die Stadt. In gemengter Flucht ging der Russe ber die Wilja und die Memel zurck.

    Unser schweres Geschtz hats gemacht. Wir bestaunten die Einschlge. Wir kletterten in den Kratern herum, wie Wichtelmnnchen in Rbezahls Berghhle, standen auf den verwi

    rbelten Mauerntrmmern, gleich Gemsen auf ragendem Felsgrat. Und zerriebener Betonstubte unsere Stiefel in ein ortsgemes Feldgrau ein.

    Meist hat schon ein einziger Volltreffer das Schicksal der Fortbesatzung entschieden. Wo er hinhaute, da waren alle Ausgnge, Luftschchte, Brunnen verschttet. Neulich erst wurde ein russisches Geschtz mit acht Leichen ausgebuddelt. Der Gerllregendes Ausbruchs hatte sie ein [16] volles Jahr verborgen. So ist jedes beschossene Werk ein kleines Herkulanum. Noch immer legt man gefllte Vorratskasematten blo.Ein Fort wurde von einer schweren Batterie sturmreif gemacht. Sie schlug binnenkrzester Zeit vier Breschen in die Auenbschung. Nimm den Zollstab und mi; sie sind uf den Strich je zwlfeinhalb Meter voneinander entfernt.

    In ausladendem Kreise sind wir um die Stadt gefahren. Abermals mischt sich der G

    egenwart die Vergangenheit. So bei Ponjemon an der Jeja-Mndung. Links die verlassenen russischen Unterstnde, rechts der einsiedlerische Napoleonshgel, wo der Korseum Johanni 1812 den bergang seiner Truppen ber die Memel beobachtete. Ungefhr 103 Jahre spter berschritt an ungefhr gleicher Stelle, mit ziemlich gleicher Strke den dnkwrdigen Flu unser Hindenburg. Kannst Dir denken mit welchen Gefhlen ich an diesemPlatze stand. Entsinne Dich des ersten Kapitels von meinem Jahrhundertbuche unddes Bildchens mit der wuchtigen Marschallsunterschrift in meinem Arbeitszimmer.

    Kowno zeigt noch die meisten Kriegsspuren. Der eine von den Doppeltrmen einer katholischen [17] Kirche ist abgeschossen. Aus der Memel ragen die Schornsteinspitz

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    en zweier versenkter Dampfer. Das Bahnhofsviertel ist ein Trmmerfeld.

    Auch inmitten der Stadt starren Dich die erloschenen Fensteraugen ausgebrannterHuser an. Verwaltungsgebude! Die Russen waren mit deren Einscherung immer sehr fingerfertig. Es lag manchem manches daran, unbequeme Belege auf faliche Art fr immerzu beseitigen.

    Nicht minder haben die Moskowiter in Mitau den Kehraus ihres jngsten Tages mit der Brandfackel getanzt. Brcken, Kronsgebnde, Fabriken wurden hirnwtig gesprengt. Wenn die Feuerwehr kam, haben die Soldaten ihnen das Lschen gewehrt. Die Huser Deutschgesinnter wurden nchtlicherweile mit roter Farbe angekreuzt. Meist unterblieb jedoch das zugedachte Rache- und Vernichtungswerk. Die Besitzer schrubberten nmlichschleunigst das Kainszeichen wieder ab und stellten gegen das drohende Feuerkommando fr alle Flle ein paar Flaschen hochprozentigen Feuerwassers bereit.

    Es war berhaupt ein betrunkener Tag. Polizeimeister Markatun, ein berchtigter Tschinownik, [18] erbrach die Keller des Schlogartenrestaurants und feierte mit seinen Zechbrdern ein Abschiedssektgeschwelge im Stile Peter des Groen. Die Truppen plnderten alle Schnapskneipen und lagen sternhagelvoll auf den Straen umher. Alles, was man an Zerstrung sieht, ist russische Arbeit. Maxund Germania, die beiden deuten Mrser, die vom Markte aus unter dem Jubel der Mitauer dem abziehenden Asien den Abschied boten, haben nur einige Dachpfannen des Stadthauses heruntergepfiffen.

    Du siehst, mein lieber Ernst, Kriegslorbeeren habe ich nicht ums Haupt flechtenknnen. Nicht einmal Schlachtenbummler kann ich mich nennen und gegen Dich, den Schlachtenschlager, stehe ich zwergig da. Dieser Brief wre kaum geschrieben ohne die Annahme, da Dir, der brigens ein seltener Fall bisher stets an die Westfront geesselt blieb, der Vergleich mit den Kampfgebieten des Ostens nicht ohne Reiz wre.Feinde habe ich nur in der unschdlichen Erscheinungsform als Wald-, Feld-, Straen- und Fabrikarbeiter zu Augen bekommen. Meist Russen. Wenn ihre Schipperkolonnenvorbeigefhrt wurden, fiel mir die kalte Gleichgltigkeit [19] der Landesbewohner bei diesem Anblick auf. Keiner wei wie, aber binnen drei Tagen wuten sie, da Rumnienden Krieg erklrt hatte. Das machte ihre Haltung selbstbewuter. Zu Weihnachten sindwir wieder zu Hause.Nun ja, irren ist menschlich.

    III. Die EtappeHannover, 31. Oktober.

    Wieder daheim. In den nchsten Wochen werde ich mich bei keinem Stellennachweis frArbeitslose zu melden brauchen. Aus meinen Notizen und sonstigem Sammelstoff habe ich mir dicke Aktenbndel heften lassen. Ich htte sechs Hnde und drei Kpfe ntig, s alles zu sichten und zeitungsmig auszuwerten. Denn der Dank an unsere Gastgeberund Fhrer kann nur in einer wahrheitstreuen Darstellung des Geschauten bestehen.Fr die Frontkmpfe sind Kriegsberichterstatter da. Solche waren wir nicht. Nenne uns meinetwegen Etappenreiseonkels.

    Von den Schtzengrben ist schon viel, ber die Etappe erst wenig geschrieben. Man sie

    ht sie nicht so recht fr voll an im Hart auf Hart dieses Vlkerringens. Hchstens sowie den Tro hinter der Kampftruppe. Die Gedanken der Heimat fliegen zur Front; die der Front zur Heimat, aber beide fetzen wie Dauerflieger mit khnem Hochtrieb inWolkenhhe ber die Staffel hinweg. [21] Was da unten kribbelt und murkst, scheintvon da droben klein und der Beachtung unwert.

    Und doch ists ein weites Feld, wie Effi Briests Vater immer zu sagen pflegt, wennihm weiter nichts mehr einfllt. Kriegsarbeit wird nicht blo getan, wo es knallt.Wenn die Waffen ein Gebiet erobert haben, dann ist die Sache damit keineswegs erledigt. Vielmehr fngt die Sorge nunmehr erst recht an. Namentlich im Osten, wo di

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    e breite Natur der Vorbesitzer nie gewohnt war, sich Sorgen zu machen.

    Hindenburgs glckhafter Vorsto hat im Sommer und Herbst 1915 zunchst Kongrepolen befeit. Dann aber konnte er auf vier weitere russische Gouvernements die deutsche Reckenfaust legen. Kurland, Kowno, Wilna und Grodno. Nur von diesen rede ich. Siehaben 3 Millionen Einwohner. Das sagt nicht genug, da das Land dnn besiedelt ist. Aber es ist zugleich so gro, wie Ost- und Westpreuen, Posen und Pommern zusammengenommen. Man knnte daher vier Knigreiche vom Raumgehalte Belgiens daraus zurechtschneiden.

    Die russischen Beamten waren samt und sonders entflohen, wie der Mietling, der nicht [22] Hirte ist. In unsere Hand war ein Wagen gefallen, dessen Pferde scheugeworden, dessen Lenker abgesprungen waren. Alle Zgel schleiften am Boden. Die Zustnde der ersten Tage erbrachten eine kleine Probe darauf, wie es kme, wenn ber Nacht der anarchistische Staat eingefhrt wrde.

    So konnte es nicht bleiben. Die Neuordnung aber, wem konnte sie anders zufallen,als dem einzigen Herrn, dem deutschen Heere?

    Wir stellen uns Hindenburg immer nur als Heerfhrer vor. In unserer Einbildungskraft lebt er einzig nach Vogels Bild, wie er mit Ludendorff vor den Karten die Kriegslage bespricht.

    Wer aber wei oder ahnt, da dies Feldherrntum nur die eine Seite der ungeheuren Ver

    antwortung dieser beiden Dioskuren gewesen? Vielleicht noch nicht einmal die desemsigsten Kopfzerbrechens. Und doch ists so. Derweil sie den Feind schlugen, haben sie zugleich auch aus dem Nichts heraus fr das Gebiet Ob. Ost eine neue durchgreifende Verwaltung schaffen mssen. Keine Wurstelmaschine, sondern ein Ding, dassich sehen lassen kann. Eine Organisation ist erwachsen, die alle politischen, alle wirtschaftlichen Verhltnisse umspannt und in diesen wogenden Kriegszeiten [23] schon viel umsichtiger, hemmungsloser arbeitet, als die russische im tiefen Landfrieden je getan.

    Rein aus sich heraus. Denn Eingearbeitete waren nicht zur Hand. Von der Bewohnerschaft keine nennenswerte Hilfe zu erwarten. Man hatte sie ja stets von den Staatsgeschften ferngehalten. Selbstverwaltung? Du grundgtiger Himmel; in der Heimat der Beamtenallmacht! Auch findet sich wenig natrliche Anstelligkeit bei ihnen. So

    sind selbst die Eingeborenenbeirte nicht ohne Mhe zustande gebracht, deren man zurbesseren Ortskenntnis bedurfte. Nur in den unteren Stellen finden sich Heimische. Als Dolmetscher, Schreiber, Buchhalter, Trhter und Botengnger; im Auendienst alsWaldhter oder Hilfsschutzleute. In letzterer Eigenschaft treten sie am sichtbarlichsten in Erscheinung. An jeder Straenecke. Leute mit einer Dienstmtze, aber sonstim Brgerrock; eine weie Stempelbinde um den rmel und einen ehrfurchtgebietenden Konstablerknppel am Faustriemen. Vor jedem Offizier stehen sie stramm. Nachts ben sie den Dienst gemeinsam mit einem Landsturmmann. Jeder Zivilist, der nach 11 Uhrohne Durchlaschein ber die Strae geht, erhlt freies Nachtquartier. [24] Die Landpolzei hingegen wird von unserer Feldgendarmerie gehandabt. Sie ist durch Landsturmreiter verstrkt. Der blanke Ringkragen wird mit scheuer Achtung geschaut.

    Ob. Ost ist also kein Generalgouvernement wie Belgien oder Warschau. Es ist eine

    rein militrische Sache.

    Das Gebiet ist in vier Bezirke gegliedert. Kurland mit dem Mittelpunkt Mitau, Litauen mit dem Sitze in Kowno; Wilna-Suwalki und Bialystok-Grodno werden je von der erstgenannten Stadt ihres Doppelnamens aus regiert.

    Jede dieser Verwaltungen zerfllt wieder hnlich einer deutschen Regierung in versciedene Sparten. Fr politische Angelegenheiten, Finanzleitung, Kirche und Schule,Handel und Rohstoffversorgung. Landwirtschaftsfragen, Postbetrieb, Forstwesen.

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    ber allen steht der Chef des Stabes und der Oberquartiermeister beim Oberbefehlshaber Ost. Diesem selber stehen die letzten Entscheidungen zu. Alle Gesetze und Verordnungen werden von ihm erlassen.

    Die Stellen sind mit Angehrigen des Heeresstandes besetzt. Wohl zu merken: mit solchen, die [25] nicht mehr oder noch nicht wieder felddienstfhig sind. Die Etappendrckerei ist ein mignstiges Gevatternsumsala.

    Wo die Berufung von Zivilpersonen ntig wurde, sind diese in den Beamtenkrper des Heeres eingegliedert. Sie tragen daher das Feldgrau mit den Verwaltungsabzeichen.Jedoch sind ihrer nur wenige. Das deutsche Volksheer ist ja ein unerschpflicherSegensborn. Was man auch braucht, vom Kunstkonservator bis zum Betriebsleiter einer Konservenfabrik oder Armeeschlchterei, vom Predezernenten zum Sgemller, stets fnden sich Fachkrfte unter den Leuten unseres Beurlaubtenstandes.

    Aber auch Berufsoffiziere stellen ihren Mann, auf welchen Verwaltungsposten mansie schickt. Die Schule des Krieges hat die Kriegsschule ergnzt. Sie machen alles, wenns befohlen ist; selbst Dinge, die sie bisher blo vom Hrensagen kannten. Immerwieder fiel mir ein Wort bei, das einmal ein alter Oberst an frhlicher Hochzeitstafel, aber voller Selbstberzeugung, gesprochen. Sein Sohn, ein 15jhriger Kadett,hatte eine forsche Tischrede gehalten, und ich freute mich ihres Schneides. DerVater aber sagte: [26] Ein preuischer Offizier mu alles knnen. Meine smtlichen Leunts sind unmusikalisch wie die Kngeruhs. Wenn ich aber einem sage: Zu bermorgen habe ich von Ihnen einen neuen Armeemarsch, mein Wort, er macht ihn mir, und wenn er

    bisher auch immer die Wacht am Rheinmit dem Jungfernkranz aus dem Freischtzverwselt hat. Das Ding wird vielleicht nicht ganz so gut ausfallen, als obs von Beethoven wre. Aber, verlassen Sie sich drauf, es gibt Schlechteres.

    IV. Erste SorgenHannover, den 4. November.

    Ich rhmte neulich das deutsche Volksheer. Ich wiederhole: es ist nicht nur der Knppel aus dem Sack, wenn es zu schlagen, sondern auch ein Tischlein deck Dich, wenn es einzurichten gilt. Ganz gleich, ob Unterstnde oder Verwaltungen. Eine Umfrage und die ntigen Fachleute sind zur Stelle. Du wirst es aus Deinem Augenbereichebesttigen knnen.

    Mein Brief hat sich mit dem Deinigen vom Tage Allerheiligen gekreuzt. Auch er spielt mit einem leichten Scheinwerferblitz ber diese Dinge. Er ist 10 m unter derErde geschrieben. In einer Maulwurfshhle, aus deren Deckung das feindliche Trommelfeuer wie eiserner Schlossensturm hagelt. Allein das erwhnst Du nur ganz beilufig. Hauptsache ist Dir, zu erfahren, wie Ob. Ost arbeitet. Es gengt Dir nicht, da die Mhle klappert. Du willst auch das Mehl sehen, das sie liefert. Willst es in denFingern zerreiben, ob es fein ist.

    [28] Meine Vorstellung malt Dich mir, als Du diese Worte schriebest, in Deiner granatenumwetterten Hllenbolge. Es kommt dabei so etwas wie ein feldgrauer Archimedes mit Hauptmannsachselstcken heraus. Mge der feindliche Kriegsknecht Dir fernbleiben, der jenem die Zirkel strte! Aber durch kommen sie ja nicht.

    Das Verwaltungsprogramm fr Ob. Ost ist von Ludendorff verfat. Mit bndiger Klarheitreihen sich die Leitstze aneinander. Endzweck: Die Herstellung und Erhaltung geordneter politischer und wirtschaftlicher Zustnde im besetzten Gebiete.Richtschnur: In altpreuischer Pflichttreue und Sparsamkeit mit Wenigem viel erreichen.

    Schlichtes Wort hat hier eine ungeheure Aufgabe gesetzt. Ziel erkannt, Krfte gespannt!

    Die Bezirke wurden abgeteilt, die Obliegenheiten umgrenzt, die Kreisspitzen beru

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    fen. Hier Ihr Gebiet; verwalten Sie es. Einer der Herren erzhlte, Hindenburg habe ihm noch zugefgt: Nun aber nicht gleich drauflosregiert, sondern erst die Verhltnisse grndlich geprft.

    In aller Hast organisierte nun jeder seinen Beamtenkrper. Sie waren noch nicht einmal in der glcklichen Lage Batockis, der wenigstens [29] sein Tippfrulein mitbringen konnte. Die Klubsessel fehlten erst recht und sind heute noch nicht da. Ichhabe sie wenigstens nur in der Villa gesehen, die frher Hindenburg bewohnte, demPrivathause eines jetzt verschleppten deutschen Fabrikanten.

    Binnen Wochenfrist war die Kriegsgliederung der neuen Betriebe auf dem Papiere fertig; die Berufenen hatten sich gemeldet. Aber es wurde ein Geduldspiel. Immerwieder mute gendert, verschoben, anders verpat werden. Denn kaum hatten sich die Leiter ihre Bereiche angeschaut, und schon waren diese wieder durch neue Waffenerfolge verdoppelt, ja verdreifacht.

    Als am 1. November 1755 jenes schreckliche Erdbeben 30000 Lissaboner unter den Trmmern der Stadt begraben, trat Minister Pombal zu seinem Knig Josef Emanuel ins Gemach. Was tun, rief der gekrnte Schwchling, um diesem Strafgericht des Himmels zugegnen?Eiskalt antwortete der starkgeistige Vernunftmensch: Die Toten begraben und fr die Lebenden sorgen. Ganz das Nmliche mute sich auch die Staffelverwaltung ObOst sagen. La mich auf Wilna verweisen: die grte der bereisten Stdte. Sie [30] zhlvor Kriegsausbruch eine runde Viertelmillion Einwohner. Davon waren die Russen entflohen, und alles, was Schmutz am Stiefel oder das Herz in regelwidriger Tiefl

    age hatte. Viele waren auch wie Schafherden mit der Kosakenpeitsche fortgetrieben worden. Dafr hatte sich jedoch einhalbhunderttausend Flchtlinge von anderswohereingestellt. Lumpenhsler ohne eine Kopeke in der Tasche. Sie alle muten unter einRegendach und tglich mit einem warmen Topf in sttigendes Gegenber gebracht werden.Dazu das vielkpfige Bettler- und Lungertum der Stadt. Vorhandene Nahrungsbestnde hatte die russische Besatzung verbraucht, verquast, zuletzt gewissenlos vernichtet. berall hohlugiger Hunger und vllige Auflsung.

    Zunchst einmal taten sich unsere Heeresmagazine aushelfend auf. Spter erstand einOrts-Batocki in der Person des Oberbrgermeisters von Memel. Die unzulnglichen Schlachthfe wurden erweitert und namentlich gesubert. Gendarmen haben die Fleischbeschau bernommen. Stdtische Backhuser sind errichtet. Binnen zwei Monaten war die Brotkarte eingefhrt, der [31] Milch- und Fettverbrauch geregelt. Frhe Klte erschwerte di

    e Kartoffelversorgung, es konnten aber Fische und Haushaltswaren beschafft werden. Alle Lebensmittellden stehen unter scharfer Sauberkeitsaufsicht, was den Inhabern wie ein Eingriff in ehrwrdige Herkmmlichkeit erscheint.

    Schwierigkeiten traten ein, woran selbst der Weitsichtige kaum gedacht. So mute den unterschiedlichen Fast- und Feiertagen der katholischen wie der jdischen Volksteile Rechnung getragen werden.

    Grundsatz war, fr die Armen zu sorgen, aber die Bemittelten sich mglichst selbst zu berlassen. Noch heute werden alle Woche 20000 Brotkarten unentgeltlich verteilt. Namentlich an die Flchtlinge, die Familien russischer Reservisten und Staatspensionre. Das kostet monatlich 60000 Mark, wozu noch 40000 Mark fr bare Beihilfen kommen. Ferner wurden Volkskchen errichtet uud Kinderheime, die von 900010000 Spiels

    chlern beschickt werden. Ein volles Einwohnerdrittel soll untersttzungsbedrftig sein. Allerdings fllt ein Teil auf die private Nchstenhilfe der Religionsgesellschaften.

    Immerhin mute man auf die Minderung [32] der Armenlast hinwirken. Dies geschah durch Arbeitsvermittlung. Ein vlklich wie religis gemischter Nachweis wurde eingerichtet. Dieser veranlate die Beschftigung miger Hnde am Orte, zum Teil durch Notstanrbeiten.

    Eine der bemerkenswertesten Profanbauten Wilnas ist Palais Pac. Alexander I. hat

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    darin gewohnt. Napoleon wurde darin gehuldigt, Adam Mickiewicz, Polens groer Nationaldichter, ist dort mit den anderen Philaretenein- und ausgegangen. Voriges Jahr hatte sich in den erinnerungsreichen Rumen der russische Generalstab breitgemacht. Nun sind in ihnen Arbeitsstuben eingerichtet. Getrennt voneinander beschftigen sich die Volksstmme der Stadt: Polen, Weiruthenen, Juden und Litauer. Was sie vor dem Auge des Besuchers erzeugen, ist zum Verkaufe ausgestellt, und wir sumtennicht, uns mit Andenken zu versehen. Denn Klppelei und Stickerei, Flecht- und Webekunst, das Tpfer- und Schnitzerwesen sind von sauberer Hand und fremder Urtmlichkeit. Es ist ein vlkerkundlich lehrreicher Gang. Denn die Litauerinnen an ihren Websethlen werden nicht mde, sich ihre Arbeit durch Volkslieder bald neckischer, bald [33] schwermtiger Art die berhmten Dainos, von denen schon Herder so viel hielt zu wrzen. Das klang ganz eigen.

    Als wir einrckten, herrschten Seuchen und Volkskrankheiten, Cholera, Ruhr, Fleckfieber. Wie dagegen ankommen? Kein Meldewesen vorhanden; die Russen hatten vielmehr grundstzlich verheimlicht. Wilna hatte frher 200 rzte. Davon waren aber nur noch50 da. Auch diese drftig vorgebildet und ohne Verstndnis fr Hygiene.

    Unser Militrsanittswesen griff rstig durch. Kreisrzte wurden eingesetzt; Krankenschestern und Entseucher in laufenden Kursen ausgebildet. Wir fanden in Litauen zwei Krankenhuser vor; heute sind es 21. Ungerechnet die Anstalten fr Sondersieche, wie die sehr ntigen Dirnenheime.

    Grozgig setzte die Schutzimpfung ein. Sind doch allein 410000 Gaben Pockenlymphe v

    erbraucht worden. Dem Fleckfieber geht man namentlich durch die Entlausungsanstalten zu Leibe. Als Ansteckungstrger sind nmlich die auch sonst vllig tugendlosen Pediculidae einwandfrei entlarvt. Die Familien ganzer Stadtviertel stehen unter vierwchentlicher Zwangsentlausung.

    [34] Als Folge dieser Tatkraft sanken die Seuchenkurven schnell. Die Cholera warim November 1915 bereits ganz erloschen. Allen passiven Widerstnden der Trgheit und Einsichtslosigkeit zum siegreichen Trotz ist binnen Jahresfrist die monatliche Sterblichkeit von 721 auf 294 herabgedrckt worden.

    Aber das bel wird auch noch tiefer an der Wurzel gefat. Kanalisation war in Wilnanur fr Regenwasser vorhanden. Aborte fehlten hier ganz, dort waren sie verschweint. Alle Abfallstoffe flssen durch die Rinnsteine nach der Wilja oder Wileika ab.

    Heute ist der grte Teil der Wohnungen an das Kanalsystem angegliedert. Den ganzenWinter ber hatten 500600 Mann an diesem Werke geschaffen.

    Bialystok liegt an der Biala. Dieser Name bedeutet die weie. Ihm machte jedoch ein elriechendes Jauchengerinne hhnende Unehre, Kleine Ursachen haben aber nicht nurgroe Wirkungen, sondern umgekehrt groe Ursachen auch kleine. Die Stadt fiel in deutsche Hand und am Freitag, den 20. Oktober 1916, konnte ich die Kiesel zhlen im Sandbette des freundlichen Flchens. Wilnas Wasserversorgung war [35] hundeelend. Die Rohre so verbraucht, da, als die neue Verwaltung den Betrieb auf deutschen Durchschnittsdruck brachte, tagtglich Leitungsbrche eintraten. Die Brunnen waren verfallen, durchlssig und unbekmmert neben Jauchegruben. Heute sind sie smtlich gedichtet und gereinigt; neue hergestellt.

    In Grodno haben sich die Russen einfach mit filtriertem Memelwasser beholfen. Artesische Brunnen zu bohren, ist ihnen nicht eingefallen. Unseren Leuten fiel essofort ein. Schon sind ihrer vier fertig: unmittelbar bei der alten Leitung. Sieliefern einwandfreies wohlschmeckendes Wasser aus nur 30 m Tiefe. Der eine strebt sogar in unerwartetem Ehrgeiz durch starken Eisengehalt nach dem vornehmerenRange eines Gesundbrunnens. Er knnte Nauheim Konkurrenz machen, wo die russischenGenerale ihre strapazierten Herzen sonst zu strken pflegten, wenn Grodno wiederrussisch wrde. Allerdings: wenn!

    Wilna war bei unserem Einmarsch eine fast lichtlose Stadt. Nur ein kleines Gaswe

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    rk hatte bestanden, das nicht mehr als tausend Abnehmer hatte. Trotzdem aber eine Merkwrdigkeit insofern, als es als einziges in [36] Europa Holzgas erzeugte. Dies ist Heller als das der Kohle und geruchloser, gerade darum jedoch gefhrlicher.Man merkt die Vergiftung nicht.

    Sein einer Gasometer war von den Russen gesprengt und auerdem noch mit methodischer Grndlichkeit zerstrt. Jede einzelne Wandplatte wies das talergroe Loch eines hindurchgestoenen Stemmeisens auf. Zwangvolle Plage, Mhe ohne Zweck! Lngst arbeitet das Werk wieder und ergiebiger als zuvor. Ebenso die elektrische Stromquelle.

    Nur nebenbei erwhnt als deutsches Unterscheidungsmerkmal: auch eine Kesselrevisionsstelle ist bereits gegrndet. Sie berwacht alle Anlagen Litauens. So arbeiten diedeutschen Barbaren!

    V. Feldgrau und FeldbauHannover, den 8. November.

    In der frommen Ecke des litauischen Bauernhauses trifft man berall dasselbe Heiligenbild: Sankt Georg. Aber es ist nicht der Lindwurmtter, den die deutsche Ritterschaft als Schutzpatron verehrte. Vielmehr gilt er hier, der griechischen Namensbedeutung gem, als Segenspender des Landbaues. Somit wre er denn auch bestens am Platze, denn Litauen und Kurland (das sich freilich als rein protestantisch ohne H

    eiligen behilft) sind fruchtbare Ackergegenden. Milder kalkhaltiger Lehm- und Humusboden, dessen reiche Fruchtbarkeit vorlufig nur durch unzureichende Entwsserungbehindert wird. Der Klee erreicht Meterhohe; kurischer Weizen und kurisches Heusind berhmt.

    Das ist uns zum unschtzbaren Vorteil geworden. Als England seinen schandbaren Hungerplan fate, hatte es nicht damit gerechnet, da wir das bestwertige russische Land besetzen knnten. Allerdings hat dessen Ausnutzung ihre [38] Grenzen. Das Vlkerrecht verbietet, eroberte Gebiete hungern zu lassen und aus ihren Scheunen das Mutterland zu nhren. Wohl wrde der Brite sich keinen Deut um so ein papiernes Verbotkmmern. Seine irischen und indischen Gepflogenheiten sind weltkundig. Wir aber pflegen zu halten, was wir unterschrieben. Auch kommt uns das Vlkerrecht auf einemUmwege doch zustatten. Es erlaubt nmlich die Verpflegung unserer Truppen aus den

    beigetriebenen Landeserzeugnissen. Dadurch wird die Heimat namhaft entlastet.

    Unser Vorteil gebot also, den wirtschaftlichen Ertrag der Etappe zu erhhen. Umsichtig, wie in allem, traten unsere Leute auch an diese weitsichtige Aufgabe heran.

    In Litauen lagen 600 Gter, in Kurland sogar 149 Ritterhfe und 4000 Bauernlose unbestellt, verlassen, oft zerstrt. Viel Kronbesitz und tote Hand, aber vornehmlich doch wohl Sondereigentum. Genau lt sich das Verhltnis gar nicht feststellen. Die Russen haben smtliche Grundbcher verbrannt. Es gibt Gter von 3- bis 4000 Hektaren, vondenen wir nicht einmal wissen, wem sie gehren.

    [39] Welche Katasterfreuden fr spter! Fr jetzt wurde ein Wirtschaftsausschu eingese

    zt. Sofort nahm er die ganze herrenlose Brache in waltende Hand. berall wurden Gutsverweser bestellt. In Litauen sind es jetzt 118 Offiziere und 738 Unteroffiziere, Gefreite, Landstrmer. Natrlich vom brgerlichen Berufe lauter Gutsbesitzer. Administratoren, Inspektoren oder Bauern; immer aber nicht mehr frontdienstfhig. Mansieht manchen, der am Stocke humpelt.

    Zur Feldarbeit sind ihnen Hilfskrfte gegeben. Aus den Schippern hatte man neun Erntekompagnien, zu je 261 Mann, gebildet. Gefangene wurden herangezogen und freieArbeiterkolonnen aus Einheimischen.

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    Der Wirtschaftsausschu berwacht die ganze Landwirtschaft. Sowohl diese militrischen, als auch die ansssigen Bauernbetriebe. Er regelt den Bestellungsplan und besorgt die Betriebsmittel. So hat er aus Deutschland fr eine Million Saatgut, fr vier Millionen Dampfpflge und sonstiges Ackergert verschrieben. Endlich ordnet er die Ablieferung der Ernten an die Magazine.

    Bei den saumseligen Bauern hat man einen mittelbaren Erzeugungszwang dadurch eingefhrt, [40] da man den Kreisen Strafen auferlegte, wenn sie zu wenig lieferten, sie aber fr Mehrleistung belohnte. Der Gedanke hat sich bewhrt und wird auch fr dieHeimat empfohlen.

    Im Jahre 1915 war die Winterbestellung noch nicht durchfhrbar gewesen. Fast restlos hingegen schon die nchste Frhjahrsarbeit. Als wir das Land durchfuhren, war bereits die Ernte fast ganz geborgen. Hier und da stand noch Flachs oder Hafer aufden Feldern. Der ganze Nachdruck ist auf die Sicherung der Kartoffeln gelegt worden. Gerade weil der Herbst nicht hielt, was der Frhsommer versprochen. Es war der nasseste Juli seit 23 Jahren. Die sonstige Ernte ist besser, namentlich an Hafer und Gerste. Man hofft, in Kurland allein 2 Millionen Zentner Getreide ans Heer abliefern zu knnen.

    Besonders bel stand es mit dem Vieh. Von den groen Gtern hatten die Russen oft dasletzte Stck fortgetrieben. Besser verstanden sich die Bauern zu sichern. In verschwiegenem Dickicht hatten sie mit groem Geschick unterirdische Stlle und Futterscheunen angelegt. Sobald sie zur deutschen Wirtschaft Vertrauen gewonnen, kehrten

    sie zurck. So ergab sich am [41] Ende doch ein gnstigerer Bestand, als man zuerstgefrchtet. Trotzdem freilich nicht mehr als ein Fnftel der letzten Friedensziffern. In ganz Kurland sind hchstens 70000 Stck Hornvieh zu finden.

    Das litauische Rind ist unansehnlich, weil durch wahllose Kreuzung gnzlich entartet. Es kommt auf hchstens 8 Zentner Gewicht. Auch gibt es wenig, wenngleich fetteMilch. Der Schweinebestand konnte durch scharfe Schlachtverbote so gehoben werden, da zu Anfang nchsten Jahres das Heer sich auf stattliche Lieferungen freuen kann.

    Auch das litauische Pferd ist klein, struppig, nichts weniger als wohlgebaut, kein geeigneter Vorwurf fr den Tiermaler und doch hchst schtzbar. Ausdauernd wie keinzweites. Es nimmt mit Borkenrinde vorlieb, und soll doch das Zehnfache des deut

    schen Tieres leisten. Die Sachverstndigen warnen davor, es durch verkehrte Zuchtschner, aber schlechter zu machen. Natrlich wird aus dem Lande dermaleinst unvergleichlich viel mehr herauszuholen sein. Der Wirtschaftsausschu arbeitet unter dendenkbar belsten Verhltnissen. Wie im Dunkeln kann der Fu [42] sich nur forttasten:trotzdem stt jeder Schritt auf Stein oder Schwelle. Es fehlt berall am Notwendigsten. Namentlich auch an Kunstdnger, inbesondere jedoch an tierischen Arbeitskrften,so bereitwillig das Heer Reit-, Kolonnen-, Depot- und Lazarettpferde zur Verfgungstellt. Aber leistet nicht auch hier die Verwaltung Wundervolles; trotz alledem?

    VI. Verwertung

    Hannover, den 10. November.

    Frs Heer wird der Acker bestellt. Aber vom Acker zum Heer ist ein weiter Weg; reich an Wandlungen fr das geerntete Gut.

    Hier greift die Rohstoff- und Handelsstelle ein. Sie kauft oder beschlagnahmt, prft die Abnahme, verarbeitet und verschickt das fertige Erzeugnis. Denn um Zeit und Versand zu sparen, ist Grundsatz, den eingeheimsten Rohstoff im Staffelgebietselber verbrauchsfhig zu machen.

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    Wir sahen in Bialystok eine Etappenbckerei, wo die zahllosen Brotlaibe des Heeresbedarfs geknetet und geformt werden. Vor unseren Augen holte der Schieer sie ausdem Ofen; wir gingen mit, wie sie noch warm auf den Gestellen der ungeheuren Lagerspeicher verstaut wurden. In Libau besuchten wir die Heeresschlchterei und begleiteten die Fleischversorgung unserer Feldgrauen gleichfalls durch alle bergangshnde. Schlag auf Schlag drhnt die mordende Axt, in jedem Rume rckt die Verrichtung umein Stck [44] vor. Nichts Brauchbares geht verloren; schlielich endet der Werdegang in den eisigen khlrumen, die von steifgefrorenen Ochsenvierteln starren. Das sind Grobetriebe, die denen in der Heimat nicht nachstehen, keine Maschine fehlt, wodurch Zeit und Menschenkraft gespart werden knnte.

    Es war ein gesegnetes Obstjahr. Die Bume brachen frmlich unter ihrer Last. Den Leitern der Sammelstellen lachte das Herz im Leibe. Mit einer Auslese wunderschner Frchte veranstalteten sie sogar eine stolze Ob. Ost-Obstausstellung, die dem Ob. Ost-Obst-Obersten viel Beifall eintrug. Die brige Ernte kam in die Marmeladefabriken. Auch durch deren se Schwaden sind wir gewandert und lieen uns in das Geheimnisder Plpe einweihen. Was wird da nicht alles verarbeitet! pfel, Birnen, Pflaumen, Krbisse, Berberitzen, Hollunder- und Moosbeeren. Hier werden Gurken in Salzwassereingelegt, dort rote Rben in Essig. Auf den Darren trocknet Gemse ein, derweil unter kreisenden Hobelmessern die Weikohlhupter in Fden zerfallen. Rasch fllen sich dirundbuchigen Fsser; Schaufeln mit Salz fliegen ber [45] jede Lage, und ein Feldgrauer, dem saubere Ksten an die Fe geschnallt sind, stampft sie ein mit der Wucht seines Krpergewichts. So, nun gre zu Sauerkohl um!

    Aber das Heer will nicht nur mit des Leibes Nahrung und Notdurft versorgt sein.Es braucht auch Kleidung. Dazu sind Abkommen mit groen Tuchfabriken geschlossen,deren eine wir in Suprasl besichtigten. Das Heer bedarf des Gerts, und nicht zu knapp. Alles Abfalleisen des ganzen Gebietes und wieviel zerschlagene Maschinen oder Brcken lieferte nicht der Krieg wird umgeschmolzen.

    Gro ist auch der Verbrauch an Kraftwagen. In B. hat man daher ein Auto-Lazarett errichtet. Die Vorratsschrnke sind in Kistenform eingerichtet; der ganze Betrieb somit in wenigen Stunden abzubauen. Die Kraftzentralen stehen auf Rdern. In den oberen Stockwerken der alten Fabrik liegen die Stuben der beschftigten Mannschaften. Auf den Fluren deren Gewehre und vorschriftsmiges Lschgert. Die Treppen sind eng,daher auen Notleitern angebracht. Waren denn die schon zu russischer Zeit?I wo!

    [46] Auch mit Holz wird Krieg gefhrt. Der Bedarf eines Millionenheeres steigt beralle Begriffe hinaus. Zum Bau von Schtzengrben und Unterstnden, fr Bahnschwellen unHeizung; endlich Holzkohle fr Pulver und Sprengstoffe. Die edelsten Sorten sindfr die Flugzeuge unentbehrlich. Vergi auch die Holzwolle nicht, die Euch im stroharmen Vorwinter als Lagerstreu dienen mute. Ein Forstmann sagte mir, eine versenkte norwegische Holzladung sei den Englndern schmerzlicher als ein abgefangenes Lebensmittelschiff.

    Wie mute uns daher der Holzreichtum der besetzten Gebiete zustatten kommen! Namentlich der Forst von Bialystok und der gewaltige Urwald von Bialowies. Beide umfassen 225000 Morgen eines fast unberhrten Bestandes. Der Nutzholzwert des zweitenallein wurde mir auf 700800 Millionen geschtzt. Bereits im Oktober vorigen Jahreswaren hhere Forstbeamte berufen. Sie ergnzten ihr Personal durch Frster und Waldhte

    des Landsturms, durch bayerische Holzschlgerkompagnien und Gefangene.

    Man mute mit den Teilen beginnen, die gnstig zu den Verkehrswegen lagen. Rasch [47] wurden in den Flssen die zerstrten Stauwerke in Ordnung gebracht, Heute knnen dieHlzer schon wieder auf der Suprasl in den Narew, von da in die Weichsel nach Bromberg verflt werden. Aber auch an dem anderen Verkehrsnetz wird unablssig gearbeitet. Neue Landstraen ffnen sich, neue Schienenwege machen ihren Betrieb aus und durch den jungfrulichen Urwald tnt der schrille Pfiff der schmalspurigen Frderbhnchen, a die emprten Wisente ihre wilden Rundaugen rollen und das Gehrn zur Abwehr senken.Bis jetzt sind gegen hundert Kilometer Gleise gelegt!

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    Auch hier das Streben, alles nach Mglichkeit an Ort und Stelle zu verarbeiten. Daher hat man Sgewerke errichtet, und das des bayerischen Forstrats Hauptmann Escherisch ist bereits das grte der Welt! Allberall zischt es in den Gattern, riecht esnach Harz und Sgemehl. Den Nebenprodukten gehen wieder Nebenbetriebe nach, auf daja nichts umkomme. Teerfen sind errichtet, Terpentin wird erzeugt und die Meilerqualmen wie im bayerischen Walde; meist sogar von denselben Khlern betreut.

    [48] Natrlich haben diese Anlagen Geld gekostet. Aber die paar Millionen sind lngst heraus, obgleich nichts weniger als Raubbau getrieben wird. Endzweck ist allein die Heeresversorgung.

    Der Holzbestand knnte nicht erfreulicher sein. Der Forstleute Herz geht beim Erzhlen auf. Er ist so dicht, da kein Sonnenstrahl bis auf den Boden dringt. Man rechnet gegen hundert verschiedene Holzarten heraus. Die Fhre kerzengerade und dicht;die beste, die es geben kann. Die Eiche erreicht gewaltigen Umfang. Daneben Weibuche, Ulme, Linde, Birke, Erle, Esche und Fichte. Ein reines Holzmuseum.

    Eine dicke, schngewachsene Kiefer lag im Gatter, und die Sge fra sich ruckweise durch, da das Mehl in den Herbstwind stob, der durch die offene Halle pustete. Mir fiel Rckerts Lied von der Straburger Tanne ein. Wie alt?frug ich den bayerischen Joffizier. Zweihundert Jahre.Mein Blick schweifte zurck. Als die Zapfensaat aufsproe, wurde im nordischen Kriege um diese Lnder geradeso gestritten wie jetzt. Die Schlacht von Pultawa war geschlagen; Polens Herr hie wieder August [49] der Starke

    . Dreimal ist das Land geteilt worden, ehe an diese Kiefer die Reihe kam. geteilt zu werden. Krieg und wieder Krieg, Aufstand und Gewalttat. Trbe Vergangenheit.Und wie wird die Zukunft sein? Ich denke besser.

    Wenn wohnen wird und wachenEin Frst auf deutscher Flur,Dann wird mein Holz noch krachenIm Bau der Prfektur.

    VII. FriedenswerkHannover, den 15. November.

    Was ich bisher geschildert, waren ausgesprochene Heereszwecke. Selbst die Entseuchungsmaregeln fr Land und Volk. Denn um unsere Feldgrauen gesund zu erhalten, muteman die Einwohner gesund machen; ihre ortseingesessenen Ansteckungsherde ausrotten.

    Aber bald schon begann man auch, Kulturarbeit um ihrer selbst willen zu betreiben.

    Vor mir liegt eine amtliche Druckschrift: Grundlegende Richtlinien fr die Wiederbelebung des Schulwesens.Unterzeichnet: Der Oberbefehlshaber Ost, von Hindenburg.Abermals frage ich: Httest Du Dir je trumen lassen, da dieser Skularmann sich auch umUnterrichtsstoff und Lehrsprache, Schulinventar und Klassenbesuchsziffer, Kurzst

    unde und Zimmerlftung kmmere?

    [51] Es sah bel aus. Von hundert Einwohnern konnten neunzig weder lesen noch schreiben. In den Wirren der Einmarschwochen schlossen auch noch die wenigen vorhandenen Schulen ihre bauflligen Bildungspforten. Man mute vllig von vorn anfangen. Vllg.

    Schulinspektionen wurden eingesetzt. Sie stberten die vorhandenen Lehrer auf undnahmen sie in Pflicht und Eid gegen deutschfeindliche Whlerei. Wo es mangelte, sprangen Feldgraue ein. Die vorhandenen Klassenrume wurden auf Licht, Luft und Saub

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    erkeit geprft, unverbesserliche Trbsalshhlen ausgeschaltet.

    Bis zum Schulzwang hat man noch nicht vorschreiten knnen. Wer aber sein Kind angemeldet hat, ist auch fr dessen regelmiges Erscheinen haftbar.

    Lehrsprache soll die Muttersprache sein. Das sagt sich so. Aber wie viele Muttersprachen gibt es in diesem Ob. stlichen Zungenbabel? Deutsch, Polnisch, Litauisch, Lettisch. Weirussisch, Jiddisch und Russisch! Einzig die letztere fiel aus. Siedarf nur whrend der bergangszeit noch in den hheren Schulen wahlfrei gebraucht werden.

    Im amtlichen Verkehr hat das Moskowitische [52] keine Sttte mehr. Hingegen ist von der untersten bis zur obersten Schulstufe das Deutsche eingefhrt. Es wird den Kindern nach der naturgemen Art beigebracht; nicht bersetzend, wie bei uns immer noch das Franzsische, sondern sprechend wie in den Berlitz-Kursen. Wir konnten in Wilna die Frchte einjhrigen Unterrichts prfen. Die Dreiksehoche plapperten unbefangendrauf los; Mdels dreister als die Jungen; am flottesten die regsamen Jdinnen. Beieinlaufenden Beugungsschnitzern erscholl das berlegene Gelchter der Besserwisser und flackernde Fingerchen schwirrten empor zur Richtigstellung. Bis zur Entlassungsreife soll die fehlerreine Denksprache erzielt sein.

    Schon Hunderte von Volksbildungsanstalten sind auf Grundlage eines zeitgemen Lehrplanes errichtet. Auch jdische. Solche gab es bisher berhaupt noch nicht. In den Chederschulen wurde nur Religion und Hebrisch gedrillt; freilich tglich acht bis zeh

    n Stunden lang. Die Schler saen mit den Mtzen auf dem Kopfe in der Wohn-, Schlaf- und Kochstube des Lehrers. Man hat in Bialystok allein ihrer 55 festgestellt.

    [53] Das bringt mich auf die religisen Dinge. An diese mute sehr behutsam angegangen werden. Denn alle Bekenntnisse sind sehr fromm und durch ihre Geistlichkeit mit einem Fingerwink beeinflubar. Die russische Popenschaft ist allerdings im ganzen Lande bis auf zehn ausgekratzt, whrend Wilna allein schon zwlf orthodoxe Kirchen besitzt und das Gebiet gegen hunderttausend Griechisch-Katholiken zhlte. Aber das sind meist weirussische Zwangsbekehrte, die in Wahrheit der uniatischen Richtung angehren und den Russen grndlich abhold sind.

    Der grte Teil der Bevlkerung, die Polen und Litauer, sind rmisch-katholisch. Ihre Kerisei hat sich mit uns auf guten Fu gestellt und hlt ihre Leute zum Gehorsam gege

    n die deutsche Obrigkeit an. Man zahlt ihnen die Gehlter ruhig weiter. Am wenigsten Mhe macht das lutherische Kurland. Dort wurde einfach das Mitauer Konsistorium, wie es ging und stand, in unsere Verwaltung eingegliedert. Es atmete erleichtert auf bei dem befreienden bergang.

    Auch die Kunstmusen haben unter den deutschen Waffen lngst schon ihre Sprache wiedergefunden. Sie genieen freundliche Pflege. Das [54] polnische Theater in Wilnamacht annehmbare Geschfte. Ein deutsches hat sich soeben aufgetan. Wir sahen dortMartha. Gern htten wir das jiddische besucht; allein es spielt nur Sonnabends nachausgebetetem Schabbes.

    Die deutsche Bhne in Kowno scheut sogar vor dem szenischen Drum und Dran von Wallensteins Lagernicht zurck. Sie gab das Stck am Jahrestag der Erstrmung mit einem sc

    wungvollen Vorspruch Herbert Eulenbergs. Auerdem erfreuen sich berall Reformlichtspielhuser regen Besuches.

    Barbaren, wie wir nun einmal sind, haben wir ferner sachverstndige Denkmalspfleger eingesetzt. Von ihnen sind alle Kunstgegenstnde des Landes wissenschaftlich aufgenommen worden. Nicht wie einst von Napoleons Denon, um fr die Heimat ausgeplndert zu werden, sondern um sie an Ort und Platz unter unseren Schutz zu nehmen. Eindeutsches Jahr hat auch hier wieder mehr geleistet als ein russisches Jahrhundert. Professor Clemen konnte in mehreren Zeitschriften ber den Befund berichten. Zu allem Sehenswerten wurden wir gefhrt; in Wilna ging ber der Besichtigung der Kat

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    hedrale, Ostrabrama, [55] Kasimir-, St. Annen- und anderer Kirchen, wie des grobschlchtigen Barocks merkwrdiger Profanbauten ein ganzer anregender Vormittag hin.Es freute uns, zu sehen, wie diese feldgrauen Kunstgeschichtler bereits berall zuHause waren in der vor kurzem noch so fremden Stadt. Die polnische Geistlichkeit erwartete uns stets an den Portalen, begrte uns mit artigem Handschlag und ergnzte die Vortrge unserer Fhrer in meist recht annehmbarem Deutsch.

    In den Archiven wird mit gleicher Sorgfalt gearbeitet. Es sind schon wertvolle Geschichtsquellen erschlossen. Das kurlndische Provinzialmuseum konnte man unter seiner von altersher deutschen Leitung belassen. Es enthlt neben wertvollen Antiken auch die ganze tahitische Sammlung Reinhold Forsters. Auerdem vieles Denkwrdigeaus der baltischen Vergangenheit. Namentlich den anderthalben Kettler-Jahrhunderten und den bewegten Tagen Ernst Johanns von Biron. Wir sahen diesen vorletztenHerzog Kurlands in der Gruft des Mitauer Schlosses. Der Sargdeckel ist abzuheben. Eigene Gefhle beschlichen mich bei dem Anblick des Mannes, der da wohlerhaltenim schwarzsamtnen [56] Staatskleid mit dem Andreasstern auf der Brust und der Puderpercke auf dem Haupte vor uns ruhte ...

    Da liegen sie, die stolzen Frstentrmmer,Einstmals die Gtzen dieser Welt.

    Bei Ernst Johann trifft diese zeitgenssische Grimm- und Verachtungsode Schubartszu. Zuerst begnstigter Liebhaber und allmchtiger Gnstling der Zarin Anna, dann gestzt und nach Sibirien verschickt, spter begnadigt und nach viel weiteren Torheiten

    zweiundachtzigjhrig in der Heimat entschlafen. An seinen Snden tragen wir heute noch,sagte ein uns begleitender Balte.

    Auch der staatlichen Bchersammlungen hat man sich angenommen. Sie machen den Eindruck, als ob irgendein General Knutosow oder Gamaschewski mit ihrer Oberleitungbeauftragt gewesen wre. Der Aufstellung ist nmlich militrische Eigenart nicht abzusprechen. Fein suberlich nach der Gre und innerhalb des gleichen Formats nach der alphabetischen Reihenfolge der Druckorte. Im Gymnasium zu Bialystok ist wenig dazugekommen, seit vor 110 Jahren die Preuen das Land verlieen. Die meisten [57] Bcherziert noch das feingestochene Besitzzeichen: Ex bibliotheca novae Borussiae orientalis.

    Der deutsche Stadthauptmann von Wilna hat sofort einen neuen Ortsplan aufnehmen

    und verffentlichen lassen. Er war bereits im vorigen Januar vollendet; wenige Monate nach der Besetzung. Auf ihm ist alles Russische ausgemerzt. Auch die Straennamen sind deutsch und zieren auf reinlichen Schildern die Eckhuser. brigens ist ebenso in den anderen Stdten grndliche Umtaufe veranstaltet. Kaiser-Wilhelm-, Hindenburg-, Ludendorffstrae, Litzmann- und Siemensplatz man kme sich wie daheim vor, wenn die schmierigen Schafspelze nicht wren und die berwiegende Flle der scharfgeschnittenen langbrtigen Judengesichter.

    Ich komme noch einmal auf den Bialowieser Forst. Auch aus ihm wird nicht nur geholt, auch ihm bestrebt man sich zu geben. Die Russen hatten nach ihrer Weise alle Karten verschwinden lassen. So wurde eine neue Vermessung befohlen. Eine ungeheure Arbeit, wobei es an heiteren Einblicken nicht fehlte. Im heiligen Ruland gibt es nmlich nicht nur Potemkinsche Drfer, sondern auch Potemkinsche Wlder. Mitten a

    us manchem [58] Jagen waren sattsame Holzmengen herausgehauen; dergestalt, da nurtuschende Baumkulissen ringsum die Lichtung verkleideten. Viele solcher Kahlschlge haben wir schon wieder angebaut. Es sind auf gegen 500 Morgen Zapfensaaten gelegt oder Eicheln eingestuft.

    Binnen sieben Monaten hatte Hauptmann L. den Urwald Geviert fr Geviert abgeschritten. Eine ebenso mhsame wie gefhrliche Sache. Denn der Forst steckte voll von Wilderern, Kosaken, Nachzglern und entsprungenen Gefangenen. Es ergab sich, da er vonden Russen eigens als Stelldichein bestimmt war. In einem der vielen Gefechte, die man liefern mute, wurde ein feindlicher Offizierstellvertreter erschossen. Bei

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    seiner Leiche fand sich ein lehrreiches Taschenbuch. Danach hatte er den Auftrag, alle Versprengten zu sammeln. Wer eintraf, wurde nach Namen und Truppenteil verzeichnet. Auch ob er Waffen und Schiebedarf bei sich trug. Die Wiedervereinigten hat er truppweise abgeschoben. Fr die anderen waren im Dickicht warm gepolsterte Unterstnde angelegt. Sogar eine Kapelle fehlte nicht, und hohle Bume dienten alsPatronenlager. Nahrung gab das berzahlreiche [59] Rotwild. Sollen doch gegen 10000 Hirsche vorhanden sein. Hauptmann L. erzhlte, da er auf seinen Gngen fast tglichbeschossen worden sei. In einem dieser Treffen hat er 17 Schu verfeuert. Aber amnchsten Tage setzte er seine Vermessungsarbeit ruhig fort.

    Sollte man es glauben, da manche unserer Leute auszogen mit dem Gewehr am Riemenund dem Schmetterlingsnetz in der Hand? Denn der verwaltungsmigen Aufnahme ging die wissenschaftliche Durchdringung zur Seite. In den oberen Rumen des BialowieserJagdschlosses ist bereits ein reichhaltiges Museum zusammengetragen. Sorgfltig hergerichtete Wisentgerippe und Vogelblge, ganze Kfer-, Raupen- und Schmetterlingssammlungen; Musterstcke von Baumkrankheiten und Holzentartungen: Grser- und Farrenherbarien. Anschaulich aufgebaut; jedem Kenner zur Lehre, aber jedem Deutschen zumhellen Stolz.

    Es ist ein prachtvoller naturfrischer Schlag, diese oberbayerischen Forstleute,die dort vorwiegend am Werke sind. Weitsichtig, zielsicher, handfest, urwchsig. Sie vermissen ihre Berge, fhlen sich aber kreuzwohl im bertragenen [60] Dienst. DerFachmann beirrt den Menschen nicht. Wir haben einen von Schnadahpferln durchjodelten Abend mit ihnen verlebt. In denselben Rumen, in denen sich vordem der Zar vo

    n Rasputin mystisch erleuchten, d. h. verdunkeln lie.VIII. Ob. stliche PresseHannover, den 21. November.

    Ein Gottesgelehrter wurde einmal gefragt, was nach seiner Ansicht wohl Jesus tte,wenn er, um der Menschheit die Botschaft des Heils aufs neue zu knden, abermalsauf die Erde niederstiege. Denn selbst er wrde doch auch dem Wandel der Jahrtausende Rechnung tragen. Ohne Frage,war die Antwort: er wrde eine Zeitung grnden.

    Ein wahres Wort; findest Du nicht? Die Presse ist das mchtigste Werkzeug geworden, die ffentliche Meinung in die Hand zu bekommen. Wir haben es zu unserem Schadenempfinden mssen, da in dieser Hinsicht die Feinde uns an Weitblick berlegen gewese

    n. Aber wir haben gelernt und stellen der Macht ihrer Lge die Wucht unserer Wahrheit immer erfolgreicher gegenber.

    Im Kriege von 1870/71 hat die Presse noch eine winzige Rolle gespielt. Moritz Busch ist damals fr Bismarck das ein und alles an [62] journalistischen Mitarbeitern gewesen, und der Nouvelliste de Versaillesdas einzige drftige Blttchen, das wir m besetzten Gebiete herausgaben.

    Das mute sich von Grund auf ndern. Nicht nur haben alle unsere Oberstbe eigene fachmnnische Preabteilungen, sondern es sind auch berall im fremden Lande Zeitungen gegrndet. Im Ob. Ostbereiche allein 19.

    Aber man mu unterscheiden. Einige sind nur fr das Heer bestimmt. Fast jede groe Kam

    pfgruppe hat ihr besonderes Blatt. Da finden wir eine Zeitung der 10. Armee, eine Feldzeitung der Bugarmee; da gibt es eine Deutsche Kriegszeitung von Baranowitschi,eine Wacht im Ostenund andere mehr.

    Ferner bestehen Privatunternehmungen von Landeseingesessenen, die sich durch einVertragsverhltnis dem Oberbefehlshaber untergeordnet haben. Das sind namentlichdie deutschen Zeitungen Kurlands. Sie bestanden schon vor dem Kriege und ihre Schriftleiter fhren zuweilen den russischen Hofratstitel. Ihr deutsches Fhlen wird indessen dadurch nicht beirrt. Daneben haben sich anderssprachige aufgetan, wie der [63] polnische Dziennik Wilenski, der weirussische Homan(Volksstimme), die let

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    chen Damtenes Sinasund die jiddischen Letzten Nais. Eine litauische Zeitung Dabarhat der Reichstagsabgeordnete Steputat in Kowno gegrndet. Die Presseabteilung Ob.Ost hlt den Grundsatz aufrecht, jedes Volkstum zu Worte kommen zu lassen; alle Tintenfehde zwischen ihnen jedoch krftig zu unterbinden. Schiedlich, friedlich. Das ist freilich ntig, denn sie lieben durch die Bank einander ebensowenig, wie insgesamt den Russen.

    Bleibt eine dritte Gruppe. Von dem Heere gegrndet, jedoch nicht fr das Heer geschrieben. Nicht Schtzengrabenzeitungen, sondern Ortsbltter zur Belehrung der Einwohner ber die Kriegslage und deren Erfordernisse. Demgem erscheinen einige mehrsprachig. So die Bialystoker Zeitung neben Deutsch auch Polnisch und Jiddisch. Dies letztere wird in hebrischen Lettern gesetzt. Whrend sonst die ganzen Betriebe vom Hauptschriftleiter herunter feldgrau sind, muten fr diesen Sonderzweck zum Teil auch einheimische Zivilsetzer angenommen werden. Auerdem sind nur die Straenverkufer Stadtkinder. Meist geschftstchtige Bengels, die, wenn wir beim [64] Frhstck sahen, sichan den Fenstern des Erdgeschosses die Nasen breitquetschten, um uns das Naisteverlockend vor den Augen tanzen zu lassen.

    Wir haben natrlich, wie sich das gehrte, das Handwerk gegrt. Die Kollegen hier Hamann, dort Gefreiter oder Landstrmer, wies trefft freuten sich unseres Besuches und versumten nicht, ihm in der Lokalspalte einen dankbaren Artikel zu widmen. Siefhrten uns in ihren Betrieben herum und wir stellten fachmnnisch fest, da alles insicheren Schuhen schreitet. Die groen Papierrollen in den Hfen, der Gugeruch in derStereotypie; es heimelt durchaus. Hchstens bei der Rotationsmaschine heit es ents

    chuldigend: Sehen Sie sich das Ding nicht an. Ein veraltetes russisches Ungeheuer, das wir verbrauchen mssen, wie es ist. Es war arg verwahrlost, erfllt aber jetztzur Not seinen Zweck. Eine neue ist brigens bestellt, nur dauert es so lange, bis sie kommt. Wir warten schmerzlich.

    In der Geschftsstelle herrscht reges Kommen, Gehen und Verhandeln. Ihre Ttigkeit ist verwickelter als in der Heimat. Schon wegen der [65] Sprachen. Dann aber auchwegen der Spionage. Es ist festgestellt, da manche Anzeige feindlichen Zwecken diente. Deshalb mu sich jeder Aufgeber genau ausweisen. Auerdem wird sein Inserat in vllig anderen Wortlaut umgegossen.

    Allein diese Anzeigen drften dermaleinst Kulturdokumente sein. Die Nte wie die Bedrfnisse der Zeit spiegeln sich. Oft scherzhaft; manchmal erschtternd. Wer gibt Ausk

    unft ber meinen verschollenen Bruder, den Unteroffizier B. vom Xten Landwehr-Regiment?Gegen deutschen Unterricht mbliertes Zimmer abzugeben.Offizier sucht gutes vier zu mieten.Wohlttigkeitskonzert. Die Karten gelten als polizeilicher Ausweis fden Heimweg bis 11 Uhr.Ich habe mir einen Sammelband obstlicher Zeilungsnummernangelegt, der einen namhaften Erinnerungswert besitzen wird. Hoffentlich kann ich ihn Dir spter einmal vorlegen und erlutern.

    Es wre berhaupt grundverkehrt, in diesen Heerblttern nur eine Gruppe rtlicher Amtsvrkndiger zu erblicken. Es sind geschickt aufgemachte Preorgane, denen nichts fremdbleibt, wessen eine weitsichtige Zeitung sich annehmen [66] mu. Sie bieten reichen und farbigen Lesestoff; haben Auflagen bis zu 45000! Sie bringen Leitartikel,die alle Weltgeschehnisse ebenso unbefangen wrdigen, wie wir in der Heimat beflissen sind, es zu tun. Sie pflegen einen Unterhaltungsteil, der sich sehen lassen

    kann. Sogar Romane, wie die Krafft von Illzach und ltere Novellen von E. T. A. Hoffmann oder Achim v. Arnim liest man unterm Strich. Die Theaterkritiken gehen den Leistungen der Darsteller verstndnisvoll nach. Auch die jiddischen; so belustigend dem deutschen Ohr klingt, zu hren ber Nathan de Chochem vn Lessing, den Jiden Mendelsohn Zaten, welcher redt sich oben auf.A herrlich Bild is die Szene, wennNathan derzeilt dem Sultan san Muschal (Beispiel) mit n Keenig n sane 3 Sihn.Z eig n ibertrieben ist gewen en Herr Walther Hauser in der scheener Rolle fn jnge Templherr.

    Die meisten Bltter haben sich sogar zu illustrierten Beilagen aufgeschwungen. Sch

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    on deren Namen prgen die militrische Eigenart des Unternehmens glcklich aus. Liebesabe, Scheinwerfer, Seelenachseliegt da nicht [67] schon eine ganze Regimentsmusrin? Selbst farbige Bilderbogen im Reim und Stift Wilhelm Buschs kommen heraus und werden reiend abgesetzt.

    So wird achtbare selbstndige Arbeit geleistet. Unsere feldgrauen Plauderer habendie Augen berall im fremden Lande. Der eine sucht geschichtliche Sttten auf und fhrt in die Vergangenheit des besetzten Gebietes ein, der andere hlt die Gegenwart in farbensatten Schilderungen fest. Der Landsturmmann Herbert Eulenberg lt sich inKowno keinen merkwrdigen Winkel, kein bezeichnendes Straenbild, keine jdische Marktschnheit entgehen, und der Landstrmer Hermann Struck liefert zu dem feinen Wort des Kameraden die stimmungsvollen Steinzeichnungen. Ihre Skizzen aus Litauen, Weiruland und Kurlandsind als wertvolles Werk erschienen. Fr Wilna hat Paul Monti hnliches geleistet und seine Wanderstundenhaben gleichfalls in Buchform gesammelt werden knnen.

    Der Tagespresse hat sich nmlich schon ein erfreulicher Schrift- und Kunstverlag angegliedert. Zunchst bot das gngige Ansichtskartengeschft [68] die geldliche Unterlage zu greren Arbeiten. Es folgten Straenfhrer von Wilna und Kowno, die unsere Trupen anleiten, die fremden Stdte mit Verstand zu sehen, zugleich aber durch ein kameradschaftliches Warnwort vor gefhrlichen Lockreizen dankenswerte sittliche Zwecke verfolgen. Bleibt Deutsch!Entehrt nicht das Andenken Eurer Lieben und das deutsche Geld!

    Man ist aber schon lngst ber die Marktware hinweg zu greren Aufgaben vorgeschrittenKunstbltter von groer Schnheit werden hergestellt. Die Kownoer Ztg.hat neben druck-Eulenbergschen Werke einen Atlas der Vlkerverteilung in Westrulandherausgegn, der die wirren Mischverhltnisse des Gebietes auf Grund statistischer Aufnahmenin 17 Karten reinlich auseinanderlegt. Kulturarbeit! Der Feldbuchhandel ist demStilkeschen Verlage berwiesen; in allen Stdten sind seine Lden erffnet. Auch seineVerkufer sind abkommandierte Feldgraue; er hat aber dafr die Hlfte des Reingewinnsan Ob. Ost abzufhren. Das Geschft geht gut; der deutsche Wehrmann will auch auf dem schriftstellerischen Felde nichts von Krebsgngen wissen.

    [69] In seiner Einfhrung zu dem oben erwhnten Skizzenbuche schreibt Herbert Eulenberg, selten sei an die Erschlieung eines fremden Landes so viel Ernst und Kraft gesetzt worden, wie hier im Osten. Vom hchsten General bis zum einfachsten Musketi

    er htten alle als freudige Angehrige des barbarischen Volkessich bemht, die Untetenvor dem kulturellen Hungertode zu bewahren, indem man ihnen Zeitungen und Schulen schenkte. Ein Wort, dem ich nichts als ein rckhaltloses ja, so istshinzuzufghabe. Und wenn er als Selbstmitwirkender schliet: Alle unsere Wege fhren nach Deutschlandauch das soll ein Wort sein, Landsturmmann Eulenberg!

    IX. AllerleirauhHannover, den 26. November.

    Anbei ein Kopekenstck, kein russisches, wie Dir sein Eisernes Kreuz verrt; freilich auch kein deutsches, denn die Prgung zeigt kyrillische Lettern. Vielmehr ein Ob. stliches, mit dem die Mnzsammler gut tun werden, sich rechtzeitig einzudecken.

    Ich lege auch ein Fnfzigkopekenpapierchen hinzu. Es fllt auf durch die Flle seinerInschriften in deutscher, polnischer, litauischer und lettischer Sprache. Ein Darlehenskassenschein, herausgegeben von der Posen-Knigsberger Ostbank fr Handel undGewerbe. Der Oberbefehlshaber hat mit ihr ein Abkommen getroffen. berall sind seitdem im eroberten Gebiete Zweigstellen aufgetan. Es wurden bereits gegen 20 Millionen Rubel Obostgeld ausgegeben.

    Ihm liegt ob, das deutsche zu entlasten. Die russische Mnze war bei der Einnahmefast spurlos verschwunden. Mit fortgenommen, vergraben, im Bettstroh oder Strump

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    f verborgen, [71] soweit die Einwohner ber ein Bett oder eine Fubekleidung verfgen.Durch unser Heer strmte hinwieder die deutsche Mark mit ihren Groschen zu vielenMillionen ein. Dadurch wurde aber die Heimat entblt. Unser eisernes Kleingeld undunsere Markscheine waren das erste Gegenmittel; die neue Obostmnze ist ein zweites.

    Nenne es nicht michelhafte Schwche, da dies Zahlungsmittel berhaupt noch auf die russische und nicht auf unsere Whrung gestimmt ist. Ich habe mit den Vtern des Gedankens gesprochen. Der Wunsch lag ihnen ebenso nahe wie Dir und mir. Er war der erstgeborene. Allein alle Verkehrserfordernisse sprachen noch dawider.

    So ist ein finanztechnischer Mischling entstanden; sinnbildlich fr die Lage des Augenblicks. Deutsches Hoheitsrecht wird gebt, aber es pat sich weitherzig dem rtlichen Bedarf so weit an, als unser Interesse es zult.

    Und weiter ist sinnbildlich die Vielsprachigkeit der Scheine. Das Land wird ja von keinem Volke, sondern von sieben unterschiedlichen Volksstmmen bewohnt. Entsinnst Du Dich aus [72] dmmernder Kindheit des gromtterlichen Mrchens vom AllerleirauhEs war einmal ein kleines Mgdelein, das hatte einen Mantel, der war aus mannigfaltigen Pelzflicken kunterbunt zusammengenht.Ich glaube, damit ist Litauen gemeint.

    Wir Deutschen dnken uns gute Lnderkenner zu sein. Im allgemeinen sind wir es keineswegs. In unseren erdkundlichen Durchschnittsbegriffen stecken zahlreiche Irrtmer. Uns ist z. B. frher alles, was stlich von uns wohnt, bis dahin, wo das eigentlic

    he Ruland anfngt, durchweg Pole gewesen. Falsch! Damit waren die Litauer zu ihremgroen Schmerze in den verkehrten Topf geworfen. Sie haben eigenes Volkstum, eigene Sprache und zum Teil eigene Geschichte, worauf sie stolz sind. Als im Jahre 1386 ihr Land durch Heirat mit Polen vereinigt wurde, da geriet, richtig verstanden, nicht Litauen unter polnisches, vielmehr Polen unter litauisches Szepter. Denn Jagello war Litauer. Freilich haben seine Nachkommen dies rasch vergessen. Sielieen zu, da bei dieser Lnderehe allmhlich Polen der nehmende, Litauen der gebendeTeil wurde. Aber dies [73] blieb unvergessen. Selbst das gemeinsame harte Geschick unter der russischen Knute hat die khle Zugeknpftheit der Litauer gegen den Bruderstamm nicht mehr zu beirren vermocht. Die reinliche Scheidung von Kongrepolendurch die Warschauer Verkndigung hat ihnen durchaus wohlgetan. Nichts konnte siemehr erfreuen, als da auf dem Ob. stlichen Papiergeld auch die litauische Spracheihr Sonderrecht gefunden. Darum lieben sie uns zwar noch nicht, wrden jedoch die

    deutsche Herrschaft vor der bisherigen als das kleinere bel empfinden.

    So wenig wie sie mit den Polen, drfen die Weirussen mit den Grorussen zusammengebracht werden, was freilich von diesen zweckbewut geschah. Es sind Nordukrainer, dieman nach ihrer hellfarbigen Bauerntracht genannt hat. Ein unglckliches Volk, andem wir viel gut machen mssen, was andere gesndigt. Zwischen Polen und Moskowitereingekeilt, von beiden umschichtig vergewaltigt, haben sie es nie zu etwas bringen knnen. Weder zu einem selbstndigen Staat, noch zu einem eigenen Kultur- und Wirtschaftsleben. Ihr ganzes Schrifttum besteht aus einigen Sammlungen ihrer [74] schwermtigen Volkslieder. Man kann die schmalen Bndchen in der Brusttasche forttragen. Ihre Sprache weicht von der russischen ab und ist mit finnischen Lehnwortenaufgefllt. Sie wird mit lateinischen Buchstaben geschrieben.

    Auch im Bekenntnis prgt sich das verhngnisvolle Doppelhinken der Weirussen aus. Siegehrten zu dem Teil der griechischen Kirche, der gegen Ende des Mittelalters denppstlichen Primat wieder anerkannte. Aber erst, nachdem gewisse Zugestndnisse verbrieft waren. Der gewohnte orientalische Ritus, die Muttersprache im Gottesdienst, der Laienkelch und die Priesterehe. Damit saen sie jedoch erst recht zwischenzwei Sthlen. Zu polnischer Zeit galten sie nicht als rmisch; noch weniger jedoch zu russischer als orthodox. Unter Katharina begannen die Zwangsbekehrungen; Nikolaus I. fhrte sie so gewaltttig durch, da heute im besetzten Gebiete keine uniatische Geistlichkeit mehr zu finden ist.

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    In solch martervoller Gedrcktheit hat politisches Denken und Fhlen nicht erwachenknnen. Man nimmt den neuen Herrn an, wie man sich mit dem alten abfand. Schwierigkeiten werden uns die Weirussen nicht machen. [75] Sie fhlen auch, wie es besser wird, aber sie trauen der Dauer noch nicht. In ihrer Sprache denken sie, was Ltitia Bonaparte bei jeder Glcksbotschaft ihres Sohnes auf korsisch-franzsisch zu sagenpflegte: Pourvu que a dure.

    Endlich die Juden. Sie treten ja hier nicht nur als Glaubensgemeinschaft, sondern wie nirgend sonst auf der Erde als Volksstamm auf. Allerdings keineswegs mehrreinrassig, sondern durch trbe Schicksale in mannigfaltigster Blutmischung. In ihrer Hauptmasse jedoch sind sie Nachkommen jener Reichskammerknechte vom Rhein und Main, unter denen im Mittelalter die Geielfahrer mit Mord und Brand grausig wteten. Verarmt und verschchtert entflohen sie nach Polen, dessen Knig Kasimir ihnen aus Liebe zur schnen Esther seine Stdte ffnete. Starke Familienfruchtbarkeit hat sieim Werden eines halben Jahrtausends zu einem Hauptbestandteil auch der litauischen Landesbewohnerschaft gemacht. Noch immer jedoch reden sie das Mittelhochdeutsch ihrer Vter. Verloddert freilich; mit hebrischen und slawischen Behelfen durchwachsen, gleichwohl noch zu verstehen, wie Dir die Probe von neulich dargetan haben wird. [76] So sind uns die Juden die geborenen Dolmetsche geworden. In Wilnaund Kowno stellen sie fast die Hlfte der Einheimischen; in Bialystok sogar beinahe drei Viertel. Wir waren gerade whrend des Laubhttenfestes dort. Alle Lden waren bis zum Abend geschlossen; manche von uns konnten sich nicht rasieren lassen. Wiralle muten die Dunkelheit erwarten, um unsere kleinen, aber unumgnglichen Einkufean Ansichtskarten zu besorgen. Dafr drngten sich auf den Straensteigen die schwarze

    n Heersulen der Spaziergnger, und vor den Synagogen hing es wie die Bienentraubenzur Zeit der Lindenblte an den Fluglchern der Stcke.

    Um ihrer Sprache willen sind die Juden von den Russen deutscher Gesinnung, ja deutscher Spherei bezichtigt worden. Vorwand mehr, sie scheulich zu behandeln. In Wahrheit ist der dortige Jude ein zu nchterner Rechenmensch, um nicht frher und heute rein nach dem Handelsgewinne abzuschtzen. Ich frug einen Schmeie Tinkeles im glnzenden Lastingrock und hohen Stiefeln, der mir ein Wolfsfell kuflich anbot, ob ihm die deutsche Herrschaft lieber sei als die russische. Er zgerte etwas, schob sein [77] Kppchen zurck und blinzelte prferisch mit kleinen Augen zwischen gerteten Ldern und schweren Trnenscken: Wie hait, sagte er mehrmals unsicher, wie hait?Eternd, als ob mir ein Geheimnis offenbar werden sollte: Wenn baim Ru ich wollt erraichen viel, hob ich geben hundert Rubelchen. Will ich erraichen alles, nu, da g

    ebb ich zwaihundert. Aber hait?es kamen richtige Kummerfalten ins durchfurchte Gesicht gebe Se nem daitschen Beamten nor e poor Scheinchen, nor e poor blo, gleichsperrt er Se ein. Un der Rewuch? Nix! Net so viel!Er schnippte mit dem Finger.Das Wolfsfell ist er nicht losgeworden. Es waren Motten drin.

    X. Das GotteslndchenHannover, den 30. November.

    Von Kurland solle ich Dir besonders eingehend schreiben? Ich tue es gern. Auch mir ist das Gotteslndchen ans Herz gewachsen.

    Beim Verlassen Litauens ndert sich die Landschaft. Du glaubst nach Ost- oder West

    preuen zu kommen. Stellenweise aber wird man sogar an die lieblichen Tler Thringenserinnert.

    Mit dem Lande ndern sich die Leute. Der Pole, der Litauer und der Weirusse verschwinden; der Jude tritt fast ganz zurck. Dafr taucht der Lette auf, und in den Stdtenwird unser geliebtes Deutsch zur beherrschenden Umgangssprache.

    Freilich war dies Gebiet immer schwach besiedelt, und gegenwrtig sind zwei Drittel seiner Bewohner entweder verschleppt oder entwichen. Nur gegen 200000 sind noch da; davon ein Zehntel Deutsch-Balten.

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    Die Letten sind dem Stamme nach den Litauern verwandt. Allein ihre Sprache ist lter [79] und soll sich seit fnf Jahrtausenden nicht entwickelt haben. Sie verhaltesich zum Litauischen wie etwa Latein zum Wortschatze Dantes. Vielleicht trifftdies auch fr den Wohllaut zu. Denn klangschn ist sie wahrlich nicht.

    Allerdings ist der Lette kein reiner Slawe geblieben, sondern hat sich immer wieder mit finnischen Esthen gekreuzt. Von Art ist er schmeidig und angenehm, allein leicht bestimmbar; daher ohne Verla. Im Gegensatz zum Litauer zieht er dem Dorfe das Einzelgehft vor; Gesindegenannt. Das ist ein unslawischer, ein germanischerZug. Colunt discreti ac diversi, ut fons ut nemus ut campus placuit.

    Es ist berhaupt ein Bauernvolk. Erst in jngster Zeit haben sich Anstze zu einem Mittelstande entwickelt. Frher wurden diese durch die deutsche Oberschicht gehindert, die wie l ber dem Wasser schwamm.

    Ein steifnackiges Geschlecht, diese Balten! Siebenhundert Jahre ists her, seit die Aufsegelungihre Vorvter auf diese Scholle verpflanzte. Westflische Kreuzritter, remische und lbische Hansestdter. Aber sie sind heute noch ganz so deutsch wie jene. Jede Vermoskowiterung ist [80] an ihnen fehlgeschlagen. Ja es kam vor. da russische Adelsgeschlechter, die in Kurland ansssig wurden, in dieser deutschen Luftselber verdeutschten. Die baltischen Stdte unterscheiden sich in nichts von den unsrigen. Mitau mutet wie Weimar an; Goldingen an der Rummel jenem Wasserfall derWindau, wo man die springenden Lachse in der Luft fngt magst Du Dir etwa wie Hel

    mstedt vorstellen, und Libau ist so eine Art Ostsee-Husum.An der Petersburger Hoftafel wird eines Tages wieder ber den Baltentrotz geklagt.Alexander III. braucht aber gar nicht noch mehr gereizt zu werden. Er ist zorngeladen bis zum Kehlkopf. Schlielich pret er ein Brtchen in seiner harten Hand zusammen und ruft drohend: Wie diese Semmel will ich sie zerdrcken.Es fliegt ein Engeldurch den Saal und er nimmt sich Zeit. Eine ganze Weile whrt es, bis gewandte Hofherren bekniffen ein anderes, ein deckendes Obenhin-Gesprch angezettelt haben. Mitten in diesem aber sagt pltzlich Maria Paulowna, die mutige Mecklenburgerin, mitdem Finger weisend: Majestt, sehen Sie doch blo, die Semmel hat ja ihre Gestalt wieder angenommen.

    [81] Dies Stckchen ist mir in Kurland mehrfach erzhlt worden. Die Balten sind stol

    z auf die bewiesene Rckensteife. Ich sah bei Tisch neben einem bekannten Baron. Er hat als russischer Rittmeister whrend des Trkenkrieges zweimal den Balkan berschritten und spter in der Heimat einen hohen Verwaltungsposten bekleidet. Seine Tante ist von Nikolaus I. auf Nikolaus II. im ganzen sechzig Jahre Hofdame am Zarenhofe gewesen. Trotzdem hat sie nie Russisch gelernt! Selbst Alexander III. mute Deutsch zu ihr sprechen.

    berhaupt die Frau! Ehre ihr! Sie ist die eigentliche Deutscherhalterin der Balten. Sie hat im Kampf um die Vlklichkeit den Mann unablssig gestrkt und gestachelt. Sorglich htete sie den Nachwuchs vor der gefhrlichen Sprachmengerei. Ein Rheinlnder erzhlt von den deutschen Familien Petersburgs: Kauderwelschen die Kinder deutsch-russisch, so ists ein reichsdeutsches, sprechen sie fehlerfrei, dann aber unfehlbarein baltisches Haus.In der Unterdrckungszeit grndeten die Frauen Vereine, schufen

    Jugendhorte, Ferienkolonien, Mdchenkurse, Heimsttten, Leihbchereien; ohne Unterschied des Standes wurden sie nicht mde, [82] Stammesstolz und Abscheu gegen berlufertum wachzuhalten.

    Nach Kriegsausbruch muten Mann und Frau auf der Strae stumm nebeneinander hergehen. Deutsches Gesprch war ja streng verpnt; Russisch konnte der weibliche Teil nicht; Franzsisch oder Englisch jedoch htte jeder horchende Schutzmann rundweg fr Deutsch erklrt.

    Unsagbares haben die Balten heldenmtig getragen. Die lutherischen Pastoren wurden

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    verschickt; die alten ehrenfesten Richter wichen russischen, die Recht und Unrecht nach der Handsalbe bemaen. Als aber in den Schulen die russische Staatssprache eingefhrt wurde, grndete die Ritterschaft sofort deutsche Privatanstalten und trug ohne Murren deren schwere Kostenlast fr ihr geliebtes Volkstum.

    Nicht minder hatten ihre Shne die Ohren steif zu halten. Hier die deutsche Gymnasialausbildnng und daneben noch die stark abweichende russische um der Berechtigungen willen. Auch sie bestanden die schwere Probe mit Stolz und Ehren.

    Viele Adelssitze sind jetzt verwaist. Gar mancher Medem, Reutern, Osten-Sacken,Rahden [83] oder Hahn harrt in Sibirien einer dunklen Zukunft entgegen. Die Verschickungsgrnde waren in Ruland stets wohlfeil und zumal bei diesen Mnnern, die nieanders sprachen, als sie dachten, spottleicht zu finden.

    Teile und herrschesagte sich der Russe. So hatte er im Baltenlande die empfnglichen Letten gegen die Deutschen verhetzt. Anarchistische Whler zogen umher, die Tagelhner aufreizend gegen die Gutsbesitzer, den Halmlosen auf fettes Hofsland begehrlich machend. Die Revolution brach aus, berall flog den Baronen der rote Hahn aufs Dach. Wir waren zu Gast auf Schlo Neuenburg beim Freiherrn von der Recke. Das Haus ist jedem Deutschen merkwrdig durch die Erinnerung an Elise, die EntlarverinCagliostros, die Freundin Tiedges, die gefhlvolle Dichterin und gtige Frau. Sein einer Flgel wurde damals vernichtet; seltene Stcke gingen mit ihm in Flammen auf. Noch heute stehen diese Rume halbfertig. Der Krieg hat die Vollendung des Wiederausbaues gehindert. Whrend es in den anderen Zimmern so typisch nach feinem Tee mit

    Zitrone duftet, herrscht dort der Geruch alten Brandes und frischer Tischlerarbeit.

    [84] Kurz vor der Rumung Mitaus hat noch der General Potagow auf dem Marktplatz ein Hoch auf die herrliche lettische Nationausgebracht, die nicht ruhen werde, bisder letzte Deutsche niedergeschlagen sei. Er selbst hatte es zu eilig mit der eigenen Sicherheit, als da er sich ans Vernichtungswerk machen konnte. Wie aber wrees gekommen, wenn unsere Truppen ihm mehr Zeit gelassen htten?

    Den Mitauer Bankdirektoren wurde zuletzt befohlen, alle Depositen nach Riga zu schaffen. Sie sorgten bei Nacht und Dunkel, da die Einleger ihre Guthaben abhobenund anderen Morgens war nichts mehr einzuliefern.

    Als die Deutschen einrckten, sanken allenthalben die vorschriftsmigen russischen Firmenschilder. Aber siehe da: hinter ihnen tauchten die alten deutschen aus milderer Zeit wieder auf. Die Geschftsinhaber hatten sie einst nicht entfernt, nur berkleidet. Nie hatten sie verzweifelt, da dem moskowitischen Winter doch noch ein deutscher Frhling folgen werde. Und er kam.

    XI. SchlsseHannover, den 3. Dezember.

    Von Bialystok aus haben wir die kleine deutsche Weberkolonie Suprasl an dem gleichnamigen Nebenflchen des Narew besucht. Sie ist jetzt ungefhr hundert Jahre alt. Man sagt, schsische Soldaten htten sie gegrndet, die bei dem verderblichen Winterrck

    ug Napoleons dort hngen blieben. Sie fanden besseres Brot als in der Heimat und lieen daher die Frauen nachkommen. Rechtschaffen haben sie ihr Volks- und ihr Luthertum auf Kind und Kindeskind fortgeerbt. Zu innerem Halt, aber uerem Nachteil. Denn die Mnner sind jetzt smtlich verschleppt. Man erzhlte mir, sie htten ihren Marscins Elend angetreten unter dem starkgeistigen Gesang des Ein feste Burg ist unser Gott.

    Die bekmmerten Frauen aber haben uns freudig empfangen. An ihren reinlichen Huschen wehten deutsche Fhnchen. Vor der Schule waren die Kinder aufgestellt. Der feldgraue [86] Lehrer an der Spitze. Sie sangen uns das Lied von dem Gott, der Eisen

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    wachsen lie und keine Knechte wollte. Hell schmetterten die Stimmen hinaus in diesonndurchwrmte Herbstmorgenklarheit. Ein freudiger Willkomm und doch gar ein trauriger! Mir trat die Trne ins Auge, als ich es da hrte:

    Lat brausen, was nur brausen kannIn hellen lichten Flammen,Ihr Deutschen alle, Mann fr Mann,Frs Vaterland zusammen!Und hebt die Herzen himmelanUnd himmelan die HndeUnd rufet alle Mann fr Mann:Die Knechtschaft hat ein Ende!

    Wie viele dieser armen Geschpfe werden wohl ihren Vater nie wieder sehen! Niemandkann ihnen sagen, wo er ist; ob er noch lebt oder schon namenloser Drangsal erlegen. Es sind Waisen, die den Schutz des siegreichen deutschen Volkes erflehen,zu dem sie auch als russische Untertanen zu gehren nie aufgehrt. Sie vertrauen darauf mit frhlicher Zuversicht. Darf sie zuschanden werden?

    Ein kleines Erlebnis nur. Allein es war die erste leise Taste eines Orgelwerks,dessen volle Register uns dann in Kurland wuchtig [87] entgegenbrausien. Dort ein armes, vereinzeltes Weberdrfchen, hier ein hochgemuter Volksstamm, reich an denGtern des Besitzes und der Bildung. Aber beide darin bewhrt, da sie auf der Grenzwacht in zhem Widerstand deutsche Zunge wie deutsche Sitte rein und lauter erhielt

    en. Von beiden klingt uns der gleiche Ruf entgegen: La uns nicht zerrieben werdenzwischen den kreisenden Mhlsteinen dieses Vlkerkrieges. Gebt uns, die wir bisher nur ein deutsches Heim besessen, endlich, endlich auch ein deutsches Vaterland?

    Es ist nicht so, wie es 1870 im Elsa war. Beweglich mute damals Berthold Auerbachklagen:

    Dort drben berm Rheine,Da wohnt ein Bruder mein.Wie tutdas Herz mir pressen.Er hat es schier vergessen,Was wir einander sein.

    Nein, ganz anders ists; ganz anders. Mit offenen Armen hat man uns in Kurland empfangen. In Mitau sagte uns ein einheimischer Begrungsredner: Alle Brcken haben wir inter uns abgebrochen. Ein Zurck gibt es nicht mehr. Verlat Ihr uns. dann mssen wir[88] mit Euch die Scholle verlassen, die unser war seit der Aufsegelung. Denn wenn die Russen wiederkmen, dann harrte der Galgen unser oder die sibirische Katorga.

    Man sage nicht, die Balten htten sich ja nicht ums Reich gekmmert, solange es ihnen gut ging. Als es ihnen gut ging, gab es auch doch kein Deutsches Reich und seine Anziehung. Politische Sehnschte konnten zu Bundestagszeiten wahrlich nicht aufkommen.

    Vlklich ist jedoch der Zusammenhang nie gestrt gewesen. Stets hat ein reger Dichte

    r- und Forscheraustausch bestanden. Der Chirurg Bergmann, der Chemiker Ostwald,die Theologen Seeberg und Adolf Harnack, dessen Bruder, der Literaturprofessor Otto Harnack, der Geschichtsschreiber Bernhardy, der Kulturforscher Victor Hehn,die Diplomaten von Eckardt