ÜBERSICHTSARBEIT Interdisziplinäres Risikomanagement in ...Therapie der multiplen Sklerose (MS)...

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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 879 MEDIZIN ÜBERSICHTSARBEIT Interdisziplinäres Risikomanagement in der Therapie der multiplen Sklerose Joachim Havla, Clemens Warnke, Tobias Derfuss, Ludwig Kappos, Hans-Peter Hartung, Reinhard Hohlfeld ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Die multiple Sklerose (MS) ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. In Deutschland geht man von mindestens 150 000 Erkrankten aus. In den letzten Jahren wurden neue Medikamente, die aufgrund ihrer Wirkmechanismen mit unterschiedlichen unerwünschten Arznei- mittelwirkungen (UAW) einhergehen können, zugelassen. Methode: Eine selektive Literaturrecherche in PubMed sowie eine Recherche nach relevanten Risiken und UAW, unter anderem in Rote-Hand-Briefen, unter Bezugnahme auf Daten des Kompetenznetzes Multiple Sklerose, wurden durchgeführt. Ergebnisse: In den letzten Jahren wurden in der MS-Therapie beachtliche Fort- schritte erzielt, wodurch eine individuellere Behandlung möglich ist. Jedoch müssen potenziell schwere UAW, teilweise sogar mit fatalem Ausgang, beach- tet werden. Dabei können beispielsweise Transaminasenerhöhungen, Kardio- und Nephrotoxizität oder Lympho- und Leukopenien mit einem unterschiedlich hohen Infektionsrisiko auftreten. Das kumulative Risiko, unter Natalizumab an einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) zu erkranken, kann je nach Risikokonstellation über 1:100 betragen. Auch unter Fingolimod und Dimethylfumarat wurden vereinzelt Fälle von PML beobachtet. Grundsätz- lich besteht darüber hinaus bei allen immunsuppressiven Therapien zumindest theoretisch die Gefahr eines erhöhten Malignomrisikos. Daneben können eben- falls sekundäre Autoimmunerkrankungen auftreten. Etwa 35 % der mit Alemtu- zumab Behandelten entwickeln innerhalb von zwei Jahren eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung und nach Gabe von Daclizumab ist bei 2 % der Patien- ten mit schweren, autoimmunen dermatologischen Nebenwirkungen zu rech- nen. Leberschädigungen können Teriflunomid, Fingolimod, Natalizumab, Mito- xantron, Interferon β1-a/b und Daclizumab verursachen. Zudem sind psychi- atrische, reproduktionsmedizinische und impfassoziierte Nebenwirkungen und Risiken zu beachten. Schlussfolgerung: Die verbesserte Wirksamkeit der MS-Therapie geht mit er- höhten Risiken für UAW, die ein interdisziplinäres Risikomanagement erfordern, einher. Zitierweise Havla J, Warnke C, Derfuss T, Kappos L, Hartung HP, Hohlfeld R: Interdisciplinary risk management in the treatment of multiple sclerosis. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 879–86. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0879 S eitdem das erste Interferon (IFN) β-Präparat vor über 20 Jahren eingeführt wurde, hat sich die Therapie der multiplen Sklerose (MS) mit zunehmen- dem Tempo weiterentwickelt (eGrafik). Da die teilwei- se bessere Wirksamkeit der neueren Präparate auch mit höheren Risiken einhergeht, wurden Risikomanage- mentpläne implementiert und Präparat-spezifische Strategien der Therapieüberwachung (Monitoring) etabliert. Das Monitoring erfordert eine enge interdis- ziplinäre Zusammenarbeit. Immuntherapie Das Arsenal der MS-Therapeutika umfasst verschiedene Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen (Tabelle 1, eKasten 1). Zum Beispiel werden B-Zell- sowie T-Zell-orientierte und Zytokin-basierte Immun- therapien sowie Behandlungen, die Adhäsion, Chemo- taxis, Migration und/oder Aktivierung sowie Proliferation von Immunzellen beeinflussen, unterschieden. Neben der Verbesserung von Effektivität und Selektivität be- steht eine zunehmende Auswahl an Applikationsformen. Patienten können zwischen oralen, subkutanen, intra- muskulären und intravenösen Therapien mit unter- schiedlichen Applikationsfrequenzen wählen, was sich auch förderlich auf die Therapieadhärenz auswirkt (1). Als wichtigste Therapieziele gelten, die Schubrate zu reduzieren sowie den Eintritt der Behinderungsprogres- sion zu verzögern und die Behinderungsprogression zu verlangsamen oder zu stoppen. In umfassenden Zu- lassungsstudien (Phase I–III) wurde für alle MS-Thera- peutika gezeigt, dass sie die Schubrate, die Behinde- rungsprogression sowie die kernspintomographischen Kriterien, zum Beispiel Läsionslast, Läsionsaktivität (Kontrastmittelaufnahme) oder Hirnatrophie, relevant reduzieren (2). Als zusammenfassendes Erfolgskriterium der Therapie wurde die fehlende Evidenz für Krankheits- aktivität („no evidence of disease activity“, NEDA), das heißt jeweils auf einen Zeitraum von einem oder zwei Jahren bezogene Schub- und Progressionsfreiheit, und fehlende Magnetresonanztomographie(MRT)-Aktivität, also keine neuen Gadolinium-anreichernden T1-, keine neuen oder sich vergrößernden T2-Läsionen, vorgeschla- gen. Um der Gewebeschädigung beziehungsweise den gewebeprotektiven Effekten der Therapie mehr Gewicht zu verleihen, wurde als zusätzliches Kriterium fehlende Beschleunigung der physiologischen Hirnvolumenmin- derung vorgeschlagen (NEDA-4). Allerdings sind die Institut für Klinische Neuroimmunologie, Biomedizinisches Zentrum und Klinikum, Ludwig-Maximilians Universität München: Dr. med. Havla, Prof. Dr. med. Hohlfeld Klinik für Neurologie, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: PD Dr. med. Warnke, Prof. Dr. med. Hartung FRCP Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsspital Basel: Prof. Dr. med. Derfuss, Prof. Dr. med. Kappos Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy): Prof. Dr. med. Hohlfeld

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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 879

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ÜBERSICHTSARBEIT

Interdisziplinäres Risikomanagement in der Therapie der multiplen SkleroseJoachim Havla, Clemens Warnke, Tobias Derfuss, Ludwig Kappos, Hans-Peter Hartung, Reinhard Hohlfeld

ZUSAMMENFASSUNGHintergrund: Die multiple Sklerose (MS) ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. In Deutschland geht man von mindestens 150 000 Erkrankten aus. In den letzten Jahren wurden neue Medikamente, die aufgrund ihrer Wirkmechanismen mit unterschiedlichen unerwünschten Arznei-mittelwirkungen (UAW) einhergehen können, zugelassen.

Methode: Eine selektive Literaturrecherche in PubMed sowie eine Recherche nach relevanten Risiken und UAW, unter anderem in Rote-Hand-Briefen, unter Bezugnahme auf Daten des Kompetenznetzes Multiple Sklerose, wurden durchgeführt.

Ergebnisse: In den letzten Jahren wurden in der MS-Therapie beachtliche Fort-schritte erzielt, wodurch eine individuellere Behandlung möglich ist. Jedoch müssen potenziell schwere UAW, teilweise sogar mit fatalem Ausgang, beach-tet werden. Dabei können beispielsweise Transaminasenerhöhungen, Kardio- und Nephrotoxizität oder Lympho- und Leukopenien mit einem unterschiedlich hohen Infektionsrisiko auftreten. Das kumulative Risiko, unter Natalizumab an einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) zu erkranken, kann je nach Risikokonstellation über ≥ 1:100 betragen. Auch unter Fingolimod und Dimethylfumarat wurden vereinzelt Fälle von PML beobachtet. Grundsätz-lich besteht darüber hinaus bei allen immunsuppressiven Therapien zumindest theoretisch die Gefahr eines erhöhten Malignomrisikos. Daneben können eben-falls sekundäre Autoimmunerkrankungen auftreten. Etwa 35 % der mit Alemtu-zumab Behandelten entwickeln innerhalb von zwei Jahren eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung und nach Gabe von Daclizumab ist bei 2 % der Patien-ten mit schweren, autoimmunen dermatologischen Nebenwirkungen zu rech-nen. Leberschädigungen können Teriflunomid, Fingolimod, Natalizumab, Mito-xantron, Interferon β1-a/b und Daclizumab verursachen. Zudem sind psychi-atrische, reproduktionsmedizinische und impfassoziierte Nebenwirkungen und Risiken zu beachten.

Schlussfolgerung: Die verbesserte Wirksamkeit der MS-Therapie geht mit er-höhten Risiken für UAW, die ein interdisziplinäres Risikomanagement erfordern, einher.

►Zitierweise Havla J, Warnke C, Derfuss T, Kappos L, Hartung HP, Hohlfeld R: Interdisciplinary risk management in the treatment of multiple sclerosis. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 879–86. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0879

S eitdem das erste Interferon (IFN) β-Präparat vor über 20 Jahren eingeführt wurde, hat sich die

Therapie der multiplen Sklerose (MS) mit zunehmen-dem Tempo weiterentwickelt (eGrafik). Da die teilwei-se bessere Wirksamkeit der neueren Präparate auch mit höheren Risiken einhergeht, wurden Risikomanage-mentpläne implementiert und Präparat-spezifische Strategien der Therapieüberwachung (Monitoring) etabliert. Das Monitoring erfordert eine enge interdis-ziplinäre Zusammenarbeit.

ImmuntherapieDas Arsenal der MS-Therapeutika umfasst verschiedene Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen (Tabelle 1, eKasten 1). Zum Beispiel werden B-Zell- sowie T-Zell-orientierte und Zytokin-basierte Immun-therapien sowie Behandlungen, die Adhäsion, Chemo -taxis, Migration und/oder Aktivierung sowie Proliferation von Immunzellen beeinflussen, unterschieden. Neben der Verbesserung von Effektivität und Selektivität be-steht eine zunehmende Auswahl an Applikationsformen. Patienten können zwischen oralen, subkutanen, intra-muskulären und intravenösen Therapien mit unter-schiedlichen Applikationsfrequenzen wählen, was sich auch förderlich auf die Therapieadhärenz auswirkt (1).

Als wichtigste Therapieziele gelten, die Schubrate zu reduzieren sowie den Eintritt der Behinderungsprogres -sion zu verzögern und die Behinderungsprogression zu verlangsamen oder zu stoppen. In umfassenden Zu -lassungsstudien (Phase I–III) wurde für alle MS-Thera-peutika gezeigt, dass sie die Schubrate, die Behinde-rungsprogression sowie die kernspintomographischen Kriterien, zum Beispiel Läsionslast, Läsionsaktivität (Kontrastmittelaufnahme) oder Hirnatrophie, relevant reduzieren (2). Als zusammenfassendes Erfolgskriterium der Therapie wurde die fehlende Evidenz für Krankheits-aktivität („no evidence of disease activity“, NEDA), das heißt jeweils auf einen Zeitraum von einem oder zwei Jahren bezogene Schub- und Progressionsfreiheit, und fehlende Magnetresonanztomographie(MRT)-Aktivität, also keine neuen Gadolinium-anreichernden T1-, keine neuen oder sich vergrößernden T2-Läsionen, vorgeschla-gen. Um der Gewebeschädigung beziehungsweise den gewebeprotektiven Effekten der Therapie mehr Gewicht zu verleihen, wurde als zusätzliches Kriterium fehlende Beschleunigung der physiologischen Hirnvolumenmin-derung vorgeschlagen (NEDA-4). Allerdings sind die

Institut für Klinische Neuroimmunologie, Biomedizinisches Zentrum und Klinikum, Ludwig-Maximilians Universität München: Dr. med. Havla, Prof. Dr. med. Hohlfeld Klinik für Neurologie, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: PD Dr. med. Warnke, Prof. Dr. med. Hartung FRCP

Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsspital Basel: Prof. Dr. med. Derfuss, Prof. Dr. med. Kappos

Munich Cluster for Systems Neurology (SyNergy): Prof. Dr. med. Hohlfeld

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nen allerdings abnehmen (e5). Eine PML unter Teriflu-nomid ist bislang nicht bekannt (Stand 9/2016), jedoch wurden vereinzelte Fälle potenziell opportunistischer Infektionen berichtet:

● Klebsiellensepsis● intestinale Tuberkulose● gramnegative Sepsis (7, e6). Dimethylfumarat führt zu einer mittleren Reduktion

der Leukozyten um circa 30 % (e7), bei 6 % der Fälle zu einer Lymphopenie mit absoluten Lymphozytenzahlen von < 500/µL. Diese Leukopenie kann im Einzelfall lang anhaltend sein und gegebenenfalls zu infektiösen Kom-plikationen führen (e8, e9). Inzwischen wurden vier Fälle von PML unter Dimethylfumarat zur Behandlung der MS berichtet (Tabelle 2). Bei der Therapie mit Fingolimod kann sich die Infektanfälligkeit ebenfalls erhöhen (8). Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Lymphopenie sowie in Einzelfällen Granulozytopenie unter Fingolimod mit einem erhöhten Infektionsrisiko ist nicht bewiesen (8). Unter Monotherapie mit Fingolimod wurden bislang neun PML-Fälle berichtet, bei denen kei-ne Behandlung mit Natalizumab unmittelbar vorausge-gangen war (Tabelle 2) (9). Darüber hinaus wurden Fälle einer generalisierenden fatalen Varizella-Zoster-Vi-rus(VZV)-Infektion/Reaktivierung, Fälle von Herpesen-zephalitiden (Herpes-simplex-Virus 1, HSV-1) und ein Fall einer zerebralen Kryptokokkose berichtet (10, 11, e10, e11). Sehr selten tritt ein hämophagozytisches Syn-drom auf (6, e12–e14). Unter Natalizumab sinken peri-phere Leukozyten und/oder Lymphozytenzahlen im Ge-gensatz zu anderen MS-Therapeutika nicht, sondern stei-gen eher leicht an. Daneben verändert sich die Zusam-mensetzung der Zellpopulationen (12, e15, e16). Eine re-levante Lymphopenie ist nicht zu erwarten und bedarf daher besonderer Abklärung. Offensichtlich sind die von Natalizumab unterdrückten Immunfunktionen mit einer messbar veränderten Immunüberwachung im zentralen Nervensystem (ZNS) verbunden, möglicherweise aber auch peripher wichtig für die Abwehr opportunistischer Erreger wie das PML-auslösende John Cunningham-Po-lyomavirus (JCV) (13, e17). Während andere infektiolo-gische Komplikationen selten unter Natalizumab auftre-ten, sind bei circa 490 000 Patientenjahren Natalizumab-Therapie bislang mehr als 667 Fälle von PML dokumen-tiert worden (Stand 6/2016, Biogen) (Tabelle 2). Damit kann bei einer spezifischen Risikokonstellation das über die Zeit kumulierende Risiko der PML-Entwicklung bei ≥ 1/100 liegen, zumal die Kalkulation von PML-Inziden-zen und insbesondere die Abschätzung des individuellen PML-Risikos unterschiedlich berechnet werden kann (e18). Per definitionem gilt eine solche Risikokonstellati-on als häufig auftretende UAW (14). Aufgrund regelmä-ßiger MRT-Bildgebung bei MS-Patienten sowie einer breiten Sensibilisierung von MS-Neurologen für diese UAW werden Fälle von PML bei dieser Indikation ver-gleichsweise zuverlässig erkannt. Dennoch ist die diag-nostische Einordnung nicht immer einfach, beispielswei-se die Abgrenzung vom MS-Schub zum Zeitpunkt eines Therapiewechsels. Da die JCV-Desoxyribonukleinsäu-re(DNA)-Polymerase-Kettenreaktion(PCR), auf der die

NEDA-Kriterien bislang nicht in klinischen Studien eva-luiert und berücksichtigen nicht alle krankheitsrelevanten klinischen Aspekte (e1–e3). Dementsprechend bleibt al-so derzeit unklar, ob basierend auf NEDA-Kriterien The-rapieentscheidungen getroffen werden sollten. Darüber hinaus fehlen direkte Vergleichsstudien (Head-to-Head-Studien, NEDA-Vergleiche) moderner Immuntherapeuti-ka untereinander und gegenüber älteren Präparaten. Da-mit können trotz der Ähnlichkeiten im Studienaufbau die Effektgrößen einzelner Untersuchungen nicht mit ande-ren verglichen werden. Zusätzlich kann die bessere Wirk-samkeit moderner Immuntherapeutika mit einer höheren Anzahl schwerwiegender Risiken einhergehen. Mit Aus-nahme neutralisierender Antikörper fehlen Laborparame-ter, um die Wirksamkeit individueller Therapien vorher-zusagen. Neutralisierende Antikörper gegen Natalizumab und, wenn auch nicht genauso unbestritten, Antikörper gegen Interferone sind konsistent mit einem verminder-ten Therapieansprechen assoziiert. Für eine umfassende Beschreibung der Wirksamkeit und Effektstärken ver-weisen wir auf weiterführende rezente Reviews (3). Der Fokus der vorliegenden Übersichtsarbeit soll hingegen auf dem Risikomanagement der bekannten unerwünsch-ten Arzneimittelwirkungen (UAW) moderner MS-Thera-peutika liegen.

Interdisziplinäres RisikomanagementPotenzielle schwere Nebenwirkungen, teilweise sogar mit fatalem Ausgang, erfordern ein wirksames Risikoma-nagement und angemessene Überwachung der MS-The-rapie (4). Allerdings können auch etablierte Risikomana-gementkonzepte keinen 100 %igen Schutz bieten. Trotz Risikomanagementplan hat sich die Inzidenz der pro-gressiven multifokalen Leukenzephalopathie unter Nata-lizumab-Therapie bisher nicht reduziert (e4). Unter ande-rem basierend auf den Therapieempfehlungen des Kom-petenznetzes Multiple Sklerose (5) und einer selektiven Literaturrecherche gehen wir im Folgenden auf die wich-tigsten Kategorien relevanter Nebenwirkungen ein.

Infektionsrisiko bei immunkompromittierten Patienten mit multipler Sklerose unter immunsuppressiver TherapieGlobale Veränderungen des (Differenzial-)Blutbildes sowie der Lymphozytensubpopulationen sind im Aus-maß sehr unterschiedlich und wirkstoffabhängig ausge-prägt. Ein Rückschluss auf die Immunkompetenz ist oft nicht möglich, denn das periphere Blut enthält nur eine Minderheit (circa 2 %) des gesamten Immunzellreser-voirs. Nicht erfasst werden zum Beispiel ortsständige Immunzellen in Lymphknoten und anderen lymphati-schen Organen (6). Daher kann von der Lymphozyten-zahl im peripheren Blut auch nicht unmittelbar auf das Risiko für seltene infektiöse Komplikationen wie bei-spielsweise einer progressiven multifokalen Leukenze-phalopathie (PML) geschlossen werden. Bezüglich ak-tueller Risikomanagementpläne zur Minimierung des Infektionsrisikos verweisen wir ergänzend auf Klotz et al. (4). Unter Therapie mit Teriflunomid ist das allge-meine Infektionsrisiko nur leicht erhöht. Die Werte von Leukozyten (−15 %) und Thrombozyten (−10 %) kön-

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Diagnose PML oft zentral fußt, sowohl falschnegative als auch selten falschpositive Resultate hervorbringen kann und die bioptische Sicherung nur selten erfolgt, ist eine höhere Dunkelziffer möglich, aber nicht bewiesen (e19). Klinisch ist die PML in ihrem Verlauf durch ein hohes Maß an Mortalität und Morbidität gekennzeichnet. Aktu-elle Untersuchungen legen nahe, dass eine frühzeitige Diagnose einer PML, idealerweise vor klinischer Mani-festation mittels Screening in der kraniellen MRT (cMRT), mit einer verbesserten Prognose einhergehen kann (Rote Hand Brief, Biogen, 11. 3. 2016). Neben der PML wurden auch Fälle von Herpesenzephalitiden unter Natalizumab beschrieben (15).

Aktuelle Inzidenzen und Empfehlungen zur Begren-zung des PML-Risikos insbesondere unter Therapie mit Natalizumab finden sich in eTabelle und eKasten 2. Nach Applikation von Alemtuzumab werden zunächst B- und T-Zellen im peripheren Blut depletiert. Aufgrund der an-haltenden, nach Gabe nicht mehr beeinflussbaren thera-pieassoziierten Depletion von Immunzellen muss bei an-dauernden Auffälligkeiten wie einer Thrombozytenkon-zentration < 100 000/µL und Zytopenien, die nicht der normalen Kinetik der Repopulation folgen, eine hämato-logische Mitbeurteilung erfolgen. Entsprechend dem

Wirkmechanismus ist vor allem in den ersten sechs Mo-naten nach Infusion mit vermehrten Infektionen zu rech-nen. Eine prophylaktische Therapie mit Aciclovir wäh-rend der ersten vier Wochen nach einem Infusionszyklus wird empfohlen. Einzelfälle schwerer VZV-Infektion oder einer Reaktivierung latenter Virusinfektionen (16, 17, e20), Tuberkulose, Spirochätengingivitis, Pasteurel-leninfektion, ösophageale Candidiasis, Listerienmeningi-tis und Nocardiose sind beschrieben (6, 18, 19, e21, e22). Ein sogenannter „carry over“-Fall von PML nach einer vorausgehenden Therapie mit Natalizumab und letalem Ausgang ist bislang bekannt (Stand 6/2016, Genzyme). In den Zulassungsstudien von Daclizumab wurden Leu-kopenien < 3 000/µL bei 6 % und Lymphopenien < 500/µL bei 2 % der Patienten dokumentiert. Opportu-nistische Infektionen wurden jedoch bislang nicht berich-tet. Schwere Infektionen wie Sepsis, Pneumonie, Appen-dizitis, Cellulite, Harnwegsinfekte und Virusinfektionen traten bei < 5 % der Betroffenen auf. Unter Mitoxantron werden alle Blutzellen deutlich reduziert. Eine erhöhte klinische Vigilanz bezüglich opportunistischer Infektio-nen, zum Beispiel cMRT und Liquoruntersuchung bei atypischen Infektionen sowie unklaren neurologischen Verschlechterungen, ist deswegen dringend notwendig.

TABELLE 1

Übersicht der Therapeutika für multiple Sklerose

Für viele unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) lassen sich keine konkreten Häufigkeiten bezogen auf den klinischen Alltag formulieren. Die aufgeführten Nebenwirkungen stellen nur eine Auswahl möglicher Nebenwirkungen dar und sollten besonders beachtet werden.ITP, immunthrombozytopenische Purpura; HSV, Herpes-simplex-Virus; PML, progressive multifokale Leukenzephalopathie; PRES, posteriores reversibles enzephalopathisches Syndrom

Wirkstoff

Interferon ß-1b

Interferon ß-1a

Interferon ß-1a

pegyliertes Interferon ß-1a

Glatiramerazetat

Dimethylfumarat

Fingolimod

Teriflunomid

Natalizumab

Alemtuzumab

Daclizumab

Mitoxantron

Administrationsweg/-häufigkeit

subkutan, jeden 2. Tag

intramuskulär, 1 × wöchentlich

subkutan, 3 × wöchentlich

subkutan, 14-tägig

subkutan, täglich bzw. 3 × wöchentlich

oral, 2 × täglich

oral, täglich

oral, täglich

intravenös, monatlich

intravenös, jährlich

subkutan, monatlich

intravenös, alle 3 Monate

Nebenwirkungen

grippeartige Symptome, Transaminasenerhöhung, Injektionsstellenreaktionen, neutralisierende Antikörper, Auftreten oder Verschlechterung depressiver Symp-tome

grippeartige Symptome, Transaminasenerhöhung, Injektionsstellenreaktionen, neutralisierende Antikörper, Auftreten oder Verschlechterung depressiver Symp-tome

grippeartige Symptome, Transaminasenerhöhung, Injektionsstellenreaktionen, neutralisierende Antikörper, Auftreten oder Verschlechterung depressiver Symp-tome

grippeartige Symptome, Transaminasenerhöhung, Injektionsstellenreaktionen, neutralisierende Antikörper, Auftreten oder Verschlechterung depressiver Symp-tome

Injektionsstellenreaktionen, post Injektion systemische Reaktion

Flushing, Diarrhö, Oberbauchschmerzen, Lympho-/Leukopenien, sehr selten PML

Transaminasenerhöhung, Bradyarrhythmie, Makulaödem, PRES, selten opportunistische Infektionen (Kryptokokkose, PML)

Transaminasenerhöhung, Teratogenität, toxische epidermale Nekrolyse (TEN)

PML, HSV-Enzephalitis, Hepatotoxizität

sekundäre Autoimmunerkrankungen (Schilddrüse, ITP, Glomerulonephritis), Herpesreaktivierung, Listerienmeningitis

Transaminasenerhöhungen, Hautreaktionen, Infektionen, gastrointestinale Probleme und Auftreten oder Verschlechterung depressiver Symptome

Transaminasenerhöhung, kumulative Kardiotoxizität, (promyelozytische) Leukämie

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Sekundäre AutoimmunerkrankungenNach Alemtuzumab-Therapie entwickelt sich bei circa 35 % der Patienten innerhalb der ersten 48 Monate ei-ne autoimmune Schilddrüsenerkrankung. Dabei ist so -wohl eine Hyper- als auch eine Hypothyreose möglich. Die Prognose ist in den meisten Fällen bei leichtem bis mittlerem Schweregrad günstig. Im dritten Behandlungs-jahr erreicht die Inzidenz dieser Komplikation ihr Maxi-mum. Deswegen müssen klinische und laborchemische Kontrollen für mindestens 48 Monate nach der letzten Alemtuzumab-Infusion fortgesetzt werden, unabhängig vom Anti-Thyreo peroxidase(TPO)-Antikörper-Status vor Therapiebeginn. Weitere autoimmunologische Risiken sind Nephropathien, einschließlich der anti-glomerulären Basalmembranerkrankung (a-GBM). In Studien traten Nephropathien bei circa 0,3 % der Patienten auf, was nach dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-produkte (BfArM) als gelegentlich gilt. Hinweise auf ei-ne Nephropathie wie eine erhöhte Kreatininkonzentration im Blut, Hämaturie und/oder Proteinurie sollten umge-hend eine nephrologische Mitbeurteilung veranlassen. Auch eine immunthrombozytopenische Purpura (ITP, akuter Morbus Werlhof) wurde bei etwa 1 % der mit Alemtuzumab behandelten Patienten beobachtet. Unter Daclizumab traten Einzelfälle von Autoimmunhepatitis und Colitis auf, ein möglicher Hinweis darauf, dass Da-clizumab immunregulatorische Mechanismen nicht nur stärken, sondern gegebenenfalls auch schwächen kann. In einer Mitteilung des BfArM im August 2014 wurde die Sammlung von Fällen einer thrombotischen Mikroangio-pathie (TMA), einschließlich denen mit Todesfolge sowie denen eines nephrotischen Syndroms mit verschiedenen zugrundeliegenden Nephropathien, unter einer Therapie mit IFN ß1-a/b gemeldet.

Dermatologische RisikenUnter Daclizumab können mit einer Häufigkeit von 30–70 % kutane Nebenwirkungen und mit einer Häufig-keit von 2 % schwere, autoimmune dermatologische Ne-benwirkungen auftreten (20). Dabei haben die am häu-figsten beobachteten unerwünschten Wirkungen wie Exantheme und Ekzeme keine lokale Beziehung zu den Injektionsstellen und können protrahiert sowie mit langer Latenz nach Therapieapplikation auftreten (20). Zu Be-ginn einer Therapie mit IFN ß1-a/b oder Glatirameracetat kann die Haut an der Einstichstelle Irritationen aufwei-sen. Eine Lipoatrophie als Nebenwirkung kann bei lang-fristiger Anwendung von Glatirameracetat auftreten.

HepatotoxizitätUnter Teriflunomid, Fingolimod, Natalizumab, Mito-xantron, IFN ß1-a/b und Daclizumab können akute oder chronische Leberschädigungen mit Transamina-senerhöhung diagnostiziert werden. Auch Einzelfälle fulminanten Leberversagens, zum Beispiel unter IFN ß1-a, sind beschrieben (e23). Entsprechend sind eng-maschige Kontrollen der Leberwerte Glutamat-Pyru-vat-Transaminase (GPT) und γ-Glutamyl-Transferase (γ-GT) insbesondere zu Beginn der Therapie nötig. Bei anhaltendem Anstieg der Transaminasen auf 3–5 × „up-per limit of normal“ (ULN) soll entsprechend dem Risi-komanagementplan die Therapie pausiert oder abge-setzt werden (4).

Kardiale RisikenKardiale und kreislaufassoziierte Risiken spielen insbe-sondere für den Einsatz mit Fingolimod, Teriflunomid und Mitoxantron eine Rolle. Bei der Ersteinnahme von Fingolimod kann die Herzfrequenz abnehmen und soll-

TABELLE 2

Zugelassene Therapien der multiplen Sklerose, unter denen progressive multifokale Leukenzephalopathie beobachtet wurde

Alle Zahlen beruhen auf Angaben des Herstellers. Aufgrund unterschiedlicher Berechnungswege kann es zu leichten Inkonsistenzen kommen.MS, multiple Sklerose; PML, progressive multifokale Leukenzephalopathie*1 Die angegebene Zahl pro 1 000 Patienten kann nur als orientierendes Maß für das therapeutische Risiko verstanden werden, da diese ein kumulatives Risiko un-

ter Langzeitbehandlung sowie eine Veränderung des Risikos durch Therapieabbrüche nicht hinreichend abbildet. Zudem bleiben Faktoren, die bekanntermaßen das individuelle Risiko, zum Beispiel unter Therapie mit Natalizumab, beeinflussen können, unbeachtet. Hierzu sei auch auf die eTabelle sowie den eKasten 2 zur Risikostratifizierung und zum Risikomanagement unter Therapie mit Natalizumab verwiesen.

*2 Zusätzlich zu den neun PML-Fällen unter Fingolimod sind mindestens neun sogenannte „carry over“-PML-Fälle berichtet worden, bei denen die Diagnose einer PML kurz nach Umstellung von Natalizumab auf Fingolimod auftrat. Diese PML-Fälle werden demnach der Vortherapie Natalizumab zugerechnet (Stand 6/2016).

*3 Unter Fumarsäurederivaten sind auch in weiteren Indikationsgebieten, zum Beispiel Psoriasis, mehrere PML-Fälle bekannt. In den meisten Fällen kann jedoch aufgrund der Komorbidität und Komedikation keine eindeutige kausale Beziehung zwischen der Entstehung der PML und der Fumarsäure hergestellt werden.

Wirkstoff

Natalizumab

Fingolimod

Dimethylfumarat

Zahl der bestätigten Fälle unter Monotherapie

667 PML-Fälle(664 MS, 3 Morbus Crohn)

9 PML-Fälle*2

4 PML-Fälle*3

aktuelle Anzahl der PML-Fälle pro 1 000 behandelte Patienten*1

667/152 500 = 4,22/1 000 Patienten (Stand 6/2016)

9/160 000 = 0,056/1 000 Patienten (Stand 10/2016)

4/170 000 = 0,0235/1 000 Patienten

Quelle

hcp.biogen- international.com/tysabri_ update.aspx?ID=22076

(Stand 6/2016)

Novartis, data on file(Stand 10/2016)

Biogen, Homepage Tecfidera, (Stand 5/2016)

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NephrotoxizitätBei Teriflunomid wurden akute oder chronische Nephropathien in Einzelfallberichten beschrieben. In den Zulassungsstudien wurde bei 1,2 % der mit Teri-flunomid behandelten Patienten ein akutes Nierenver-sagen diagnostiziert. Jedoch normalisierten sich die Nierenwerte innerhalb von maximal 48 Tagen bei al-len Patienten ohne spezifische Intervention unter Fortsetzung der Therapie. Auch bei Dimethylfumarat veränderten sich die Nierenwerte in klinischen Studi-en. Eine Kontrolle der Nierenfunktion sollte deswe-gen eine Urinanalyse und die Bestimmung von Krea-tinin, der glomerulären Filtrationsrate sowie gegebe-nenfalls von Cystatin C umfassen. Nephropathien wurden auch unter einer Therapie mit IFN ß1-a/b be-richtet.

MalignomrisikoGrundsätzlich besteht bei allen immunsuppressiven Therapien die Möglichkeit eines erhöhten Krebsrisi-kos. Wegen der relativ kleinen absoluten Zahlen lässt sich ein solches theoretisch begründetes Risiko je-doch statistisch nur schwer beweisen. Dementspre-chend konnte für Dimethylfumarat, Teriflunomid, Alemtuzumab, Natalizumab und Fingolimod bislang kein erhöhtes Malignomrisiko gesichert werden (29). Jedoch traten unter Fingolimod-Therapie in den Zu-lassungsstudien 13 Fälle von Basaliomen und sechs Fälle von Melanomen auf. Nach der Markteinführung wurden weitere Einzelfälle von Hauttumoren (e26, 30) sowie Lymphomerkrankungen (B- und T-Zell-Lymphome, lymphomatoide Papulose) publik (31, e27). Während einer Behandlung mit Alemtuzumab

te daher für sechs Stunden überwacht werden (21). Zu-sätzlich ist unter Fingolimod und Teriflunomid eine leichte Erhöhung des Blutdrucks möglich. Für Mito-xantron ist eine erhebliche Kardiotoxizität insbesonde-re oberhalb einer Dosis von 140 mg/m2 Körperoberflä-che (KOF) bekannt, in Einzelfällen ist jedoch auch eine Kardiotoxizität mit niedrigerer Gesamtlebensdosis be-schrieben (e24). Deswegen muss vor und während ei-ner Therapie mit Mitoxantron eine engmaschige Kon-trolle der kardialen Pumpfunktion mittels Echokardio-graphie erfolgen. Bei einer Reduktion um 10 % im Ver-gleich zum Vorbefund beziehungsweise absolut < 50 % der Ejektionsfraktion ist die Therapie zu unterbrechen beziehungsweise zu beenden.

Pulmonale RisikenEinige MS-Therapeutika stehen im Verdacht, mit Lun-generkrankungen assoziiert zu sein. Unter der Vorläu-fersubstanz von Teriflunomid (Leflunomid) wurden einzelne Fälle schwerer interstitieller Lungenerkran-kungen berichtet. Deswegen ist Wachsamkeit auch un-ter Therapie mit Teriflunomid ratsam. Auch Fingoli-mod vermindert möglicherweise die Einsekundenkapa-zität und Diffusionskapazität. Ein Zusammenhang zwi-schen pulmonologischen Erkrankungen und der Ein-nahme von Fingolimod ist allerdings nicht erwiesen (22).

ImpfungenImpfungen bei MS-Patienten sollten unter verschiede-nen Gesichtspunkten diskutiert werden:

● Bei therapeutischer Immunsuppression könnte ein höheres Infektionsrisiko durch impfpräventable Erkrankungen vorliegen.

● Der Impferfolg könnte durch die Immunsuppres-sion gemindert werden.

● Durch eine Impfung könnte die Krankheitsaktivi-tät erhöht werden.

● Aufgrund der gestörten beziehungsweise unter-drückten Immunabwehr, insbesondere bei der Durchführung von Lebendimpfungen, könnte ein erhöhtes Impfrisiko bestehen.

Dennoch gelten für MS-Patienten bei Impfungen mit Totimpfstoffen und Toxoiden die gleichen Impfemp-fehlungen wie für Gesunde. Impfungen mit attenuierten Lebendimpfstoffen sollten jedoch unter Berücksich -tigung des individuellen Infektionsrisikos möglichst vermieden werden. Nach einer Impfung sollte der Impferfolg überprüft und bei ungenügendem Anspre-chen wiederholt werden. Informationen zum Anspre-chen auf Influenza-Impfstoff finden sich in Tabelle 3 (23–26, e25). Eine rezente Übersicht zu Impfempfeh-lungen bei MS geben Williamson et al. (27).

PolyneuropathieIn der TEMSO- und TOWER-Studie (Teriflunomid) wurde eine Neuropathie bei 1,9 % (versus 0 % Place-bo-Gruppe) beziehungsweise 2,5 % (versus 1,1 % Pla-cebo-Gruppe) der mit Teriflunomid behandelten Pa-tienten diagnostiziert (e6, 28).

TABELLE 3

Impfansprechen auf Influenza-Impfung unter Behandlung mit verschiedenen Therapeutika für multiple Sklerose

GA, Glatirameracetat; GK, gesunde Kontrollen; MS, multiple Sklerose

Therapie

Interferone

Glatirameracetat

Teriflunomid

Dimethylfumarat

Fingolimod

Mitoxantron

Natalizumab

Alemtuzumab

Daclizumab

Impfansprechen auf Influenza-Impfung

unverändertes Impfansprechen (23)

H3N3 2010: 41,7 % (GA) versus 79,5 % (unbehandelte GK) (23)

leicht reduziert (24)

keine Studien bei MS

43 % (Fingolimod) verglichen zu 75 % (Placebo) (25)

H1N1 2009: 0 % (Mitoxantron) versus 43,5 % (unbehandelte GK) (23)

widersprüchliche Ergebnisse: Reduktion des Impfansprechens (23,5 % [Natalizumab] versus 43,5 % [unbehandelte GK]) oder un-verändertes Ansprechen) (23)

fraglich kein reduziertes Impfansprechen; eine Grippeschutzimpfung ist ausdrücklich empfohlen, bei inadäquatem Impftiter ggf. auch zweimalig: Für alle Impfungen unter Alemtuzumab sollte ein Abstand von mindestens sechs Monaten zur letzten Infusion eingehalten wer-den (26)

keine Studien bei MS

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sollte bei Patientinnen einmal jährlich auf das humane Papillomavirus (HPV) getestet werden, um das Risi-ko einer Zervixdysplasie zu minimieren. Für Mito-xantron sind Leukämien als Akut- oder Spätfolge be-schrieben (32, e28, e29).

Ophthalmologische Risiken Ophthalmologische Risiken wurden nur für Fingoli-mod berichtet. In den Zulassungsstudien und nach Zu-lassung traten Fälle von Makulaödemen auf (Inzidenz 0,5–0,7 %) (e30, e31). In der Regel war das Makula-ödem nach Absetzen von Fingolimod reversibel, in Einzelfällen konnte die Therapie unter engmaschigen ophthalmologischen Kontrollen fortgesetzt werden (e32, e33).

Schwangerschaft Alle MS-Therapeutika sind in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert oder zumindest nur ein-geschränkt zugelassen. Dennoch gibt es auf der Ba-sis einer zunehmenden Anzahl von Schwanger-schaftsregistern Erfahrungswerte, die in Spezialsi-tuationen helfen, eine individuelle Entscheidung zu treffen. Eine Übersicht über vorhandene Daten zur Teratogenität, Fruchtbarkeit, Übertritt in die Mutter-milch, Plazentagängigkeit und Stillen gibt Tabelle 4 (33–36).

Pharmakologische WechselwirkungenInsbesondere für Teriflunomid sind pharmakologische Wechselwirkungen und Interaktionen bekannt. Potente Cytochrom-P450(CYP)-Induktoren senken dabei den Teriflunomid-Spiegel. Teriflunomid inhibiert CYP2C8 sowie den „organic anion transporter 3“ (OAT3) und induziert CYP1A2 schwach. Entsprechend verstoff-wechselte Arzneimittel sollten möglichst vermieden werden. IFN ß1-a/b scheint die Aktivität von Cyto-chrom-P450-abhängigen Leberenzymen zu senken.

Psychiatrische RisikenUnter einer Therapie mit IFN ß1-a/b oder Daclizumab muss darauf geachtet werden, ob depressive Symptome auftreten oder sich verschlechtern. Depressionen sind aber nur eine relative Kontraindikation für diese Thera-pien.

FazitDie zunehmende Zahl der MS-Therapeutika erfordert heute mehr denn je große Anstrengungen, die allfälli-gen Risiken zu minimieren. Interdisziplinäre Risiko-managementpläne sind hierfür essenziell und berück-sichtigen Art sowie Ausmaß der Risiken, beschreiben die erforderlichen Maßnahmen zur Prävention sowie Früherkennung und geben darüber hinaus praktische Anleitungen für die notwendigen Kontrollen. Ein indi-viduelles Risikomanagement bedeutet einen ersten Schritt in Richtung einer individualisierten Therapie. Ergänzende Informationen zu aktuellen Risikomana-gementplänen sind dem Literaturverzeichnis zu ent-nehmen (4, 5, e34).

InteressenkonfliktDr. Havla wurde für Beratertätigkeit honoriert von den Firmen Novartis, Genzyme und Biogen. Er bekam Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung von den Fir-men Novartis, Biogen, Merck Serono und Bayer.

PD Dr. Warnke bekam Honorare für Beratertätigkeit von den Firmen Novartis und Biogen. Er erhielt Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung, Vortragshonorare und Studienunterstützung (Drittmittel) von den Firmen Novartis, Biogen, Teva und Bayer.

Prof. Derfuss hält Aktien der Firma Novartis. Er wurde für Beratertätigkeiten hono-riert von den Firmen Biogen, Merck Serono, Bayer, Novartis, Roche, Mitsubishi Pharma, Genzyme und Geneuro. Kongressgebühren und Reisekosten wurden für ihn erstattet von den Firmen Biogen, Genzyme, Novartis, Bayer und Merck Serono. Er bekam Vortragshonorare von den Firmen Biogen, Genzyme, Novartis, Bayer, Merck Serono und Roche. Studienunterstützung (Drittmittel) wurde ihm zuteil von den Firmen Biogen, Novartis, Geneuro und Roche.

Prof. Kappos bekam Kongressgebühren- und Reiskostenerstattung von den Firmen Bayer, Biogen, Novartis, Merck Serono, Sanofi-Aventis, Genzyme und Teva. Für Vor-träge wurde er honoriert von den Firmen Allergen, Bayer, Biogen, Excemed, Gen-zyme, Merck Serono, Novartis, Pfizer, Sanofi-Aventis, Teva und UCB. Studienunter-stützung für initiierte Forschungsvorhaben (Drittmittel) wurde ihm zuteil von den Firmen Bayer, Biogen, Novartis und Roche. Untersützung für die Durchführung kli-nischer Studien (Drittmittel) erhielt er von den Firmen Novartis, Biogen, Mitsubishi, Roche, Merck Serono und Sanofi-Aventis.

Prof. Hartung bekam Honorare für Beratertätigkeiten von den Firmen Biogen, Novartis, Merck Serono, Genzyme, MedImmune, Teva, Geneuro, Bayer, CSL Beh-ring, Octapharma und Opexa. Er erhielt Kongressgebühren- und Reisekostenerstat-tung von den Firmen Biogen, Novartis und Genzyme. Für Vorträge wurde er hono-riert von den Firmen Biogen, Kedrion, Novartis und Genzyme. Studienunterstützung (Drittmittel) wurde ihm zuteil von den Firmen Teva, Biogen und Novartis.

Prof. Hohlfeld erhielt Honorare für Beratertätigkeiten von den Firmen Actelion, Bay-er, Biogen, Genzyme Sanofi, Medday, Merck Serono, Novartis, Roche und Teva. Er bekam Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung sowie Vortragshonorare von den Firmen Actelion, Bayer, Biogen, Genzyme Sanofi, Medday, Merck Serono, Novartis, Roche und Teva. Studienunterstützung (Drittmittel) wurde ihm zuteil von den Firmen Bayer, Biogen, Genzyme Sanofi, Merck Serono, Novartis und Teva.

Manuskriptdaten eingereicht: 20. 6. 2016, revidierte Fassung angenommen: 5. 10. 2016

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KERNAUSSAGEN

● Die steigende Auswahl an Therapieoptionen erfordern den Umgang mit zuneh-mend vielfältigen Risiken.

● Insbesondere die neuere Generation von Therapeutika für multiple Sklerose (MS) ist mit zum Teil substanzspezifischen unerwünschten Arzneimittelwirkun-gen (UAW) behaftet.

● Risikomanagementpläne zur Überwachung der Therapie sind ein wichtiges In-strument, um die individuellen Risiken der MS-Therapie zu minimieren.

● Dabei ist eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen notwendig.● Zudem sind Registerstudien erforderlich, um seltene UAW und damit assozi-

ierte Surrogatparameter zu erfassen.

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Anschrift für die Verfasser Dr. med. Joachim HavlaInstitut für Klinische NeuroimmunologieBiomedizinisches Zentrum und Klinikum der Ludwig-Maximilians UniversitätMarchioninistraße 15, 81377 Mü[email protected]

Zitierweise Havla J, Warnke C, Derfuss T, Kappos L, Hartung HP, Hohlfeld R: Interdisciplinary risk management in the treatment of multiple sclerosis. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 879–86. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0879

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Zusatzmaterial zu:

Interdisziplinäres Risikomanagement in der Therapie der multiplen SkleroseJoachim Havla, Clemens Warnke, Tobias Derfuss, Ludwig Kappos, Hans-Peter Hartung, Reinhard Hohlfeld

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II Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 | Zusatzmaterial

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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 | Zusatzmaterial III

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eTABELLE

Risikostratifizierung der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie*

* aktuelle Risikostratifizierung mittels John Cunningham-Virus(JCV)-Serologie für Patienten unter Natalizumab-Therapie (e44)PML, progressive multifokale Leukenzephalopathie

positiver Anti-JCV-Antikörperstatus PML Risikoabschätzung pro 1 000 Patienten

Natalizumab Behandlungsdauer

in Monate

1–12

13–24

25–36

37–48

49–60

61–72

negativer Anti-JCV-Antikörperstatus PML Risikoabschätzung pro 1 000 Patienten: 0,1

Antikörperindex ≤ 0,9

0,1

0,1

0,2

0,4

0,5

0,6

Antikörperindex > 0,9 ≤ 1,5

0,1

0,3

0,8

2

2

3

Antikörperindex > 1,5

0,2

0,9

3

7

8

10

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IV Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 | Zusatzmaterial

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eGRAFIK

funktionelle Verbesserung Reparatur?

1983 1994 1996 2000 2002 2006 20102004 2008 2012 2014 2016 2018

Wirksamkeitsparameter

IFN-β-1b s.c. 1995

IFN-β-1a i.m. 1997

IFN-β-1a s.c. 1998

symptomatische Therapie

Ocrelizumab i.v. Cladribin p.o.

Siponimod p.o. 2017/2018?

Ziel: Schubreduktion, Verlangsamung der Behinderungsprogression

Seit Zulassung des ersten Interferon β-Präparats im Jahr 1995 ist die Anzahl der für die Therapie schubförmigen multiplen Sklerose zur Verfügung stehenden Präpa-rate ständig gewachsen. Im Zuge dieser Entwicklung sind auch die Therapieziele anspruchsvoller geworden. Schubreduktion und Verlangsamung der Behinderungs-progression stehen weiterhin im Vordergrund, aber auch eine kernspintomographische Stabilisierung wird angestrebt (NEDA 3 und 4). DMF, Dimethylfumarat; EDSS, „expanded disability status scale“; GA, Glatirameracetat; IFN, Interferon; i.m., intramuskulär; i.v., intravenös; MRI, „magnet resonanz imaging“; MSFC, „multiple sclerosis functional composite“; NEDA, „no evidence of disease activity“; PEG-IFN, pegyliertes Interferon; p.o., per os; s.c, subkutan

PEG-IFN-β-1a s.c. 2014GA s.c.

1996/2000Natalizumab i.v.

2006Fingolimod p.o.

2010

Teriflunomid p.o. 2012

Daclizumab s.c. 2016

DMF p.o. Alemtuzumab i.v.

2013

EDSS 1983

anhaltende Verbesserung 2011

„no evidence of (clinical and MRI) disease

activity“ (NEDA3)

2009

„no evidence of (clinical and MRI) disease

activity“ (NEDA4)

2014

MSFC 1995

1998

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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2016 | Zusatzmaterial V

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eKASTEN 1

Kurzportraits (Risiken, unerwünschte Arzneimittelwirkungen)* ● Interferon β (IFN ß1-b, s.c., 1995/2008; IFN ß1-a, s.c., 1998; i.m., 1996; PEG-IFN ß1-a, s.c., 2014) hat eine Vielzahl immunmodulierender Eigen-

schaften, jedoch kein erhöhtes Infektions- oder Krebsrisiko. Sehr selten wurden Fälle thrombotischer Mikroangiopathie beobachtet.● Glatiramerazetat (2001; s.c.) wirkt immunmodulierend sowohl auf das antigenabhängige (adaptive) als auch auf das antigenunabhängige (inna-

te) Immunsystem. Das Nebenwirkungsprofil ist insgesamt benigne; es gibt keine Hinweise für ein erhöhtes Infektions- oder Krebsrisiko. Hauptne-benwirkungen sind kutane und (sehr selten) systemische Überempfindlichkeitsreaktionen (37).

● Dimethylfumarat (2014, p.o.) ist ein „first line“-Therapeutikum für die schubförmige multiple Sklerose (MS) (e35, e36). Dimethylfumarat ist eine Weiterentwicklung einer in der Psoriasistherapie seit 1994 etablierten Fumarsäure. Der exakte Wirkmechanismus ist nicht abschließend geklärt. Ein suppressiver Effekt auf Lymphozytenzahlen ist messbar. Antiinflammatorische und neuroprotektive Effekte werden diskutiert (e35, e36). Gas-trointestinale Unverträglichkeiten, sogenanntes Flushing, und ein erhöhtes Infektionsrisiko sind die wichtigsten bisher bekannten Nebenwirkungen (e37). Inzwischen wurden vier Fälle von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) unter Therapie mit Dimethylfumarat berichtet. Daher wird empfohlen, bei einer anhaltenden Leukopenie < 3 000/µL beziehungsweise Lymphopenie < 500/µL die Therapie auszusetzen beziehungs-weise zu beenden. Bei Lymphozytenwerten zwischen 500–700/µL (Lymphopenie Grad 2) wird eine engmaschige Kontrolle des Blutbildes sowie eine erhöhte klinische und Magnetresonanztomographie(MRT)-Vigilanz empfohlen (4).

● Teriflunomid (2014, p.o.) ist eine Weiterentwicklung von Leflunomid (1999), einer im internistisch-rheumatologischen Bereich eingesetzten Sub-stanz. Im Februar 2014 wurde Teriflunomid zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose zugelassen. Es ge-hört zur Gruppe der Malononitrilamide und blockiert das mitochondriale Enzym Dihydroorotatdehydrogenase (DHODH). Daraus resultiert eine be-vorzugte Hemmung rasch proliferierender, aktivierter T- und B-Zellen (28, e6). Nebenwirkungen umfassen unter anderem Hepatotoxizität, Nephro-toxizität, Beeinträchtigung der Knochenmarksfunktion und möglicherweise ein erhöhtes Infektionsrisiko sowie tödliche toxische epidermale Nekro-lyse (TEN) (e38). Zur Minimierung des Risikos opportunistischer Infektionen sollte Teriflunomid bei einer absoluten Lymphozytenzahl < 200/µL ab-gesetzt werden. Als Besonderheit besteht unter Therapie mit Teriflunomid die Möglichkeit, die Wirksubstanz entweder mit Cholestyramin (3 × 8 g pro Tag für elf Tage) oder mit Aktivkohle (2 × 50 g pro Tag für elf Tage) beschleunigt zu eliminieren. Dadurch kann die Immunkompetenz schneller wiederhergestellt werden.

● Natalizumab (2006, i.v.) ist in Deutschland zur Behandlung der hochaktiven MS zugelassen. Es handelt sich um einen humanisierten mono-klonalen Antikörper gegen die α4-Kette des „very late antigen“(VLA)-4 Integrins. Dadurch wird die Transmigration von Immunzellen über die Blut-Hirn-Schranke gehemmt (e39–41). Hauptrisiko der Natalizumab-Therapie ist die PML, eine potenziell letale opportunistische Hirninfektion.

● Fingolimod (2011, p.o.) wurde zur Therapie der aktiven MS zugelassen. Die Substanz ist Modulator des Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptors und bewirkt die Retention bestimmter Lymphozytenpopulationen in lymphatischen Organen (e30, e31). Inzwischen gibt es neun PML-Fälle bei MS-Patienten unter Fingolimod und zusätzlich mindestens neun sogenannte „carry over“-PML-Fälle, bei denen PML diagnostiziert wurde, kurz nachdem von Natalizumab auf Fingolimod umgestellt wurde. Diese PML-Fälle werden demnach der Vortherapie Natalizumab zugerechnet. Tritt unter Fingolimod eine anhaltenden Lymphopenie < 200/µL auf, wird in Deutschland die erneute Kontrolle und bei Bestätigung empfohlen, die The-rapie zwischenzeitlich zu unterbrechen oder zu beenden. Das Nebenwirkungsprofil umfasst erhöhte Risiken für Infektionen, Herzleitungsstörun-gen, Makulaödem und möglicherweise Basaliome.

● Alemtuzumab (2013, i.v.), ein humanisierter monoklonaler Antikörper, ist gegen „cluster of differentiation“(CD)52 gerichtet. CD52 ist ein Protein-marker, der auf den meisten Leukozyten, insbesondere allen B- und T-Zellen exprimiert ist. Alemtuzumab wurde zur Behandlung der aktiven schubförmigen MS zugelassen. Über antikörpervermittelte Zytotoxizität erfolgt eine massive transiente Depletion zirkulierender Immunzellen und anschließend eine allmähliche Repopulation, zunächst der B-Zellen und Monozyten, danach der T-Zellen. Wichtigste Nebenwirkungen sind Infusi-onsreaktionen, erhöhtes Infektionsrisiko und therapieassoziierte, sekundäre Autoimmunerkrankungen (16, e21, e42, e43). Dabei kann in circa 1 % der Fälle eine sekundäre Thrombozytopenie im Rahmen einer therapieinduzierten idiopathischen thrombozytopenischen Purpura sowie bei circa 35 % der Patienten innerhalb der ersten 48 Monate eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung auftreten .

● Daclizumab HYP (2016, s.c.) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen CD25, eine Untereinheit des Interleukin-2-Rezeptors. Daclizu-mab hat komplexe immunmodulierende Eigenschaften, unter anderem hemmt es aktivierte T-Lymphozyten. Das Nebenwirkungsprofil umfasst ein erhöhtes Infektionsrisiko, Hautreaktionen (Exantheme, Ekzem), Hepatotoxizität und möglicherweise entzündliche Darmerkrankungen (38).

● Mitoxantron (2003, i.v.) ist als Reservemittel zur Behandlung der schweren und rasch progredienten MS zugelassen. Mitoxantron ist ein Anthra-cenedion und bewirkt Desoxyribonukleinsäure(DNA)-Einzel- und Doppelstrangbrüche, insbesondere auf proliferierende Zellen wie unter anderem der B-Zell-Reihe. Aufgrund der Kardiotoxizität gilt aktuell eine Gesamtlebensdosis-Obergrenze von 140 mg/m2 Körperoberfläche (KOF) in Deutschland. Zusätzlich wurden sekundäre Leukämien während oder nach der Behandlung mit Mitoxantron berichtet.

* für Wirksamkeitsdaten aller Präparate („number needed to treat“, NNT) (39) i.m., intramuskulär; i.v., intravenös; p.o., per os; s.c., subkutan

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eKASTEN 2

Risikomanagement der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie unter Therapie mit NatalizumabFazit zur aktuellen Risikostratifizierung unter Therapie mit Natalizumab durch den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) (e44): ● Die Früherkennung der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) ist mit einer verbes-

serten Prognose für den Patienten verbunden.● Eine klinisch asymptomatische PML ist häufiger als eine symptomatische PML mit höheren Überle-

bensraten und verbesserter Prognose assoziiert.● Regelmäßige Magnetresonanztomographie(MRT)-Untersuchungen sind empfehlenswert, um die

PML möglichst frühzeitig zu diagnostizieren.● Bei Patienten, die zuvor keine immunsuppressive Therapie erhalten haben und Anti-John-Cunning-

ham-Virus(JCV)-Antikörper-positiv sind, ist das Maß der Anti-JCV-Antikörperantwort (Index) mit dem Risiko für PML assoziiert.

● Ein geringes Risiko für eine PML wird bei einem Antikörperindex ≤ 0,9 erwartet.● Bei Werten > 1,5 und bei Patienten, die mit Natalizumab länger als zwei Jahre behandelt wurden,

steigt das Risiko deutlich.● Das höchste Risiko haben Patienten, bei denen Anti-JCV-Antikörper nachgewiesen wurden, in Kom-

bination mit einer Natalizumab-Therapiedauer von mehr als zwei Jahren und immunsuppressiver Vorbehandlung.

● Ein höheres Risiko haben auch Patienten mit einem hohen Antikörperindex, die länger als zwei Jahre mit Natalizumab, aber zuvor nicht immunsuppressiv behandelt worden sind .