Offener Brief von Enjott Schneider

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Prof. Dr. Enjott Schneider Präsident des Deutschen Komponistenverbandes Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA hschule für Musik & Theater München An Herrn Ministerpräsident Winfried Kretschmann Staatsministerium BadenWürttemberg RichardWagnerStraße 15 70184 Stuttgart [email protected] 24. Juli 2013 OFFENER BRIEF Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann Ganz persönlich als Komponist und Künstler, nicht qua Amt (wohl aber durch die Brille meiner öffentlichen Ämter gesehen) möchte ich Ihnen mein – bis zum Schrecken gesteigertes Verwundern über das mitteilen, was in Ihrem „MusterLändle“ momentan an Kulturvernichtung staatlich geplant wird! Mein großes Bedauern ist durchaus auch lokal motiviert, denn als ein in Weil am Rhein geborener Mensch, der in Freiburg studiert und gelehrt hat und 32 Jahre BadenWürttemberger war, bin ich meiner Heimat immer noch sehr verbunden und war bislang sehr stolz, gerade auch auf das kulturelle Niveau und die kulturelle Vielfalt. Mit Vehemenz wollte ich Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, daß die Pläne des Wissenschaftsministeriums zur Umstrukturierung der Musikhochschullandschaft in BadenWürttemberg verheerende Folgen für das kulturelle Leben haben wird. Hochschulen einer vermeintlichen Effizienz wegen zu schließen oder auf einzelne Sparten zu reduzieren ist so schädlich wie es erwiesenermaßen die Monokultur in der Landschaftskultur ist: an einer Hochschule zu studieren hieß Hunderte von Jahren mit Sinnfülle: über das eigene Fachgebiet hinaus im Sinne eines Studium Generale Überblickswissen zu erhalten, Kontakt mit allen angrenzenden Fachgebieten pflegen zu können, den Bildungshorizont zu erweitern. Wenn jetzt z.B. die Musikhochschule Mannheim zu einer „PopTanzJazz“Hochschule beschnitten und kahlgeschlagen werden soll, dann ist dies der beste Weg, um den klassischen „Fachidioten“ auszubilden, der mit Scheuklappen durchs kulturelle Leben gehen wird weil man ihm die kreativen und inspirierenden Kontakte mit anderen Sparten musikalischen Ausdrucks vorenthalten hat. Von musikalischer „Bildung“ kann hier bei einer Ausbildung gar nicht mehr die Rede sein. Alle großen Hochschulen, die sich weltweit als überlebensfähig erwiesen haben, zeichnen sich durch ein großes Spektrum der Studieninhalte aus, die sich gegenseitig befruchten und – durchaus im Sinne einer produktiven Konkurrenz – zu Höchstleistungen steigern. Zum wichtigsten Studieninhalt gehört – das kann ich aus der 33jährigen Lehrerfahrung an einer breit und facettenreich aufgestellten Musikhochschule wie der Münchner berichten – die Vernetzung bzw. das networking: in seinen Studienzeiten unterhält der Studierende Kontakte zu allen Fachgebieten quer

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Offener Brief von Enjott Schneider an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg wegen der Vorgänge um die Musikhochschulen.

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Prof.  Dr.  Enjott  Schneider  Präsident  des  Deutschen  Komponistenverbandes  Aufsichtsratsvorsitzender  der  GEMA  

hschule  für  Musik  &  Theater  München  

 t.com  

 An  Herrn  Ministerpräsident  Winfried  Kretschmann  Staatsministerium  Baden-­‐Württemberg  Richard-­‐Wagner-­‐Straße  15  70184  Stuttgart  [email protected]    24.  Juli  2013      OFFENER  BRIEF    Sehr  geehrter  Herr  Ministerpräsident  Kretschmann    Ganz  persönlich  als  Komponist  und  Künstler,  nicht  qua  Amt  (wohl  aber  durch  die  Brille  meiner  öffentlichen  Ämter  gesehen)  möchte  ich  Ihnen  mein  –  bis  zum  Schrecken  gesteigertes  -­‐  Verwundern  über  das  mitteilen,  was  in  Ihrem  „Muster-­‐Ländle“  momentan  an  Kulturvernichtung  staatlich  geplant  wird!  Mein  großes  Bedauern  ist  durchaus  auch  lokal  motiviert,  denn  als  ein  in  Weil  am  Rhein  geborener  Mensch,  der  in  Freiburg  studiert  und  gelehrt  hat  und  32  Jahre  Baden-­‐Württemberger  war,  bin  ich  meiner  Heimat  immer  noch  sehr  verbunden  und  war  bislang  sehr  stolz,  -­‐  gerade  auch  auf  das  kulturelle  Niveau  und  die  kulturelle  Vielfalt.  Mit  Vehemenz  wollte  ich  Ihnen  gegenüber  zum  Ausdruck  bringen,  daß  die  Pläne  des  Wissenschaftsministeriums  zur  Umstrukturierung  der  Musikhochschullandschaft  in  Baden-­‐Württemberg  verheerende  Folgen  für  das  kulturelle  Leben  haben  wird.                Hochschulen  einer  vermeintlichen  Effizienz  wegen  zu  schließen  oder  auf  einzelne  Sparten  zu  reduzieren  ist  so  schädlich    wie  es  erwiesenermaßen  die  Monokultur  in  der  Landschaftskultur  ist:  an  einer  Hochschule  zu  studieren  hieß  Hunderte  von  Jahren  mit  Sinnfülle:  über  das  eigene  Fachgebiet  hinaus  im  Sinne  eines  Studium  Generale  Überblickswissen  zu  erhalten,  Kontakt  mit  allen  angrenzenden  Fachgebieten  pflegen  zu  können,  den  Bildungshorizont  zu  erweitern.  Wenn  jetzt  z.B.  die  Musikhochschule  Mannheim  zu  einer  „Pop-­‐Tanz-­‐Jazz“-­‐Hochschule  beschnitten  und  kahlgeschlagen  werden  soll,  dann  ist  dies  der  beste  Weg,  um  den  klassischen  „Fachidioten“  auszubilden,  der  mit  Scheuklappen  durchs  kulturelle  Leben  gehen  wird  weil  man  ihm  die  kreativen  und  inspirierenden  Kontakte  mit  anderen  Sparten  musikalischen  Ausdrucks  vorenthalten  hat.  Von  musikalischer  „Bildung“  kann  hier  bei  einer  Ausbildung  gar  nicht  mehr  die  Rede  sein.  Alle  großen  Hochschulen,  die  sich  weltweit  als  überlebensfähig  erwiesen  haben,  zeichnen  sich  durch  ein  großes  Spektrum  der  Studieninhalte  aus,  die  sich  gegenseitig  befruchten  und  –  durchaus  im  Sinne  einer  produktiven  Konkurrenz  –  zu  Höchstleistungen  steigern.  Zum  wichtigsten  Studieninhalt  gehört  –  das  kann  ich  aus  der  33jährigen  Lehrerfahrung  an  einer  breit  und  facettenreich  aufgestellten  Musikhochschule  wie  der  Münchner  berichten  –  die  Vernetzung  bzw.  das  networking:  in  seinen  Studienzeiten  unterhält  der  Studierende  Kontakte  zu  allen  Fachgebieten  quer  

durch  das  Hochschulangebot  (von  Streichern  bis  Bläsern,  Elektronik,  Kammermusik,  Orchestermusik,  Musikpädagogik),  von  denen  man  in  seinem  späteren  Berufsweg  zehren  wird.  Gerade  die  Alumni-­‐Treffen  von  Hochschulen  zeigen,  wie  nachhaltig  Freundschaften  und  Kontakte  aus  Studienzeiten  bleiben  und  die  weitere  berufliche  Laufbahn  entscheidend  prägen.    Werden  nun  aus  ehemals  breit  aufgestellten  Musikhochschulen  „Fachhochschulen“  mit  eingeengtem  Spektrum  gemacht,    so  geht  diese  Breitenstreuung  verloren:  törichte  Monokultur  eben!              Daß  Kultur  in  Deutschland  immer  vorschnell  nach  quantitativen  Kriterien  (Effizienz,  linear  produktiver  Output,  Wettbewerbsnachweise)  sich  messen  muss,  ist  der  Sache  nach  schädigend:  es  geht  in  Kultur  um  Qualität  (als  einer  nach  innen  gerichteten  Wesenheit  mit  Langzeiteffekt)  und  nicht  um  Quantität  bzw.    quantitative  „Erfolgsmessung“.  Dies  überlassen  wir  gerne  dem  profitorientierten  Musikmarkt:  wobei  zu  bemerken  ist  dass  Hochschul-­‐Leben  gerade  durch  ihre  Unabhängigkeit  von  quantitativem  Profit  und  Freiheit  der  Lehre  Urzelle  von  Innovation  war.    Mit  den  fünf  Musikhochschul-­‐Standorten  Freiburg,  Trossingen,  Stuttgart,  Karlsruhe,  Mannheim/Heidelberg  ist  in  einem  so  bevölkerungsreichen,  wirtschaftlich  stabilen  und  kulturell  vielfältigen  Bundesland  wirklich  keine  Gefahr  einer  hochschulischen  Überversorgung.  Wie  im  Sport  so  braucht  auch  Kultur  und  gerade  die  Musikkultur  eine  flächendeckende  Breitenförderung  mit  durchaus  regionalen  Anbindungen  und  Verwurzelungen.  Nicht  zu  vergessen  die  kooperative  Nähe  von  Trossingen  zu  der  SWR-­‐Musikkultur  der  Donaueschinger  Musiktage,  die  international  als  Hochburg  der  Neuen  Musik  geachtet  sind,  -­‐  und  die  existentiell  ebenfalls  ins  Abseits  gedrängt  werden.                  Durch  meine  vielen  Konzertaufführungen  im  Ausland  aber  auch  durch  die  intensiven  internationalen  Kontakte  als  GEMA-­‐Aufsichtsratsvorsitzender  und  Präsident  des  Deutschen  Komponistenverbandes  darf  ich  erleben,  welche  kulturelle  Wertschätzung  Deutschland  und  seine  Musik  im  Ausland  genießt:  in  Asien  und  Südamerika  beispielsweise  boomt  der  Run  auf  deutsche  Musikkultur;  da  reißt  man  uns  die  Informationen,  Konzerte,  Noten,  CDs  sozusagen  aus  den  Händen!  Aber:  es  ist  die  Kultur  einer  Musik  von  Schütz-­‐Bach-­‐Händel-­‐Telemann-­‐Beethoven-­‐Mozart-­‐Haydn-­‐Schumann-­‐Wagner...bis  Karlheinz  Stockhausen,  Hans-­‐Werner  Henze  und  Wolfgang  Rihm  um  die  man  uns  beneidet.  Es  ist  nicht  die  deutsche  Pop-­‐  und  Jazzmusik,  weshalb  die  musikalische  Jugend  der  ganzen  Welt  nach  Deutschland  drängt!  Hier  gibt  es  kompetentere  Musikkulturen  wie  etwa  die  USA.  Ohne  nun  Pop  und  Jazz  (die  ich  natürlich  sehr  liebe)  desavouieren  zu  wollen,  stelle  ich  fest,  dass  unsere  „Tafelsilber“  die  Musik  der  oben  genannten  deutschen  Komponistennamen  sind......  und  diese  sollten  wir  weiterhin  pflegen  und  an  allen  Musikhochschulen  in  Ehren  halten,  wenn  wir  jenes  (oft  mit  Neid  angeblickte)  „Land  der  Dichter  und  Denker“  bleiben  wollen.  Daher  bitte:  keine  Schließung  von  Musikhochschulen  oder  reduktive  Verarmung  des  Lehrinhalts.          Mit  herzlichen  Grüßen  eines  in  München  lebenden  aber  mit  „badischem  Herzschlag“  schaffenden  Musikers  verbleibe  ich,  Ihr            Enjott  Schneider