Orgel und Saxophonquartett - dresdnerphilharmonie.de

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Orgel und Saxophonquartett FR 19. NOV 2021, 19.30 Uhr | KULTURPALAST

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Orgel und SaxophonquartettFR 19. NOV 2021, 19.30 Uhr | KULTURPALAST

PROGRAMM

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)Orgelkonzert C-Dur BWV 595, transkribiert nach einem Instrumentalkonzert von Prinz Johann Ernst von Sachsen Weimar (1696 – 1715)(Bearbeitung für Orgel und Saxophonquartett von Thierry Escaich und Nicolas Herrouët)

»Nun komm, der Heiden Heiland« – Choralbearbeitung BWV 659 (1711–13/1739–42)(Bearbeitung für Saxophonquartett von Nicolas Herrouët)

Thierry Escaich (* 1965)Commentaire improvisé

Robert Schumann (1810 – 1856)Fuge Nr. 5 F-Dur aus »Sechs Fugen über den Namen B-A-C-H« (1845) (Bearbeitung für Saxophonquartett von Nicolas Herrouët)

Lebhaft

Johann Sebastian BachDoppelkonzert für zwei Cembali und Orchester c-Moll BWV 1060a (um 1736) (Bearbeitung für Orgel und Saxophonquartett von Thierry Escaich und Nicolas Herrouët)

AllegroAdagioAllegro

PAUSE

Johann Sebastian BachOrgelkonzert a-Moll BWV 593 (1713/14), transkribiert nach dem Violinkonzert a-Moll op. 3 Nr. 8 RV 522 von Antonio Vivaldi (1678-1741) (Bearbeitung für Orgel und Saxophonquartett von Nicolas Herrouët)

AllegroAdagioAllegro

Thierry Escaich»Trois poèmes pour orgue« (2002) (Bearbeitung für Orgel und Saxophonquartett von Thierry Escaich und Nicolas Herrouët)

»Eaux Natales« »Le Masque«»Vers l'espérance«

Astor Piazzolla (1921 – 1992)»Fuga y mysterio« (1968) (Bearbeitung für Orgel und Saxophonquartett von Thierry Escaich und Nicolas Herrouët)

Thierry Escaich Commentaire improvisé

Astor Piazzolla»Fugata« (1969) (Bearbeitung für Orgel und Saxophonquartett von Thierry Escaich und Nicolas Herrouët)

Thierry Escaich | Orgel

Ellipsos Saxophone QuartetPaul-Fathi Lacombe | SopransaxophonJulien Bréchet | AltsaxophonSylvain Jarry | TenorsaxophonNicolas Herrouët | Baritonsaxophon

Auf Einladung der Dresdner Philharmonie

CHRISTOPH VRATZ

TranskriptionenBachs Orgelkonzerte BWV 593 und 595

Wie kam Vivaldis Musik nach Wei-mar? Möglicherweise durch Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar. Er war in den Niederlanden auf »Kavalierstour«, wie damals größere Bildungsreisen genannt wurden. Der Prinz war musikalisch begabt, komponierte selbst knapp 20 Kon-zerte und könnte während seiner Studien in Utrecht auf die erste Ausgabe von Vivaldis »Concerti« gestoßen sein, die in Amsterdam unter der Jahreszahl 1711 veröffent-licht worden waren. Als Prinz Ernst (wegen einer Er-krankung früher als geplant) nach Weimar zurückkehrte, hatte er mög-licherweise eine dieser Ausgaben oder eine Kopie davon im Gepäck. Jedenfalls soll Bach sich unver-züglich an eine Bearbeitung dieser Konzerte für Tasteninstrumente gewagt haben.

Das um 1715 von Johann Ernst Rentsch gemalte Portrait zeigt mutmaßlich Johann Sebastian Bach während seiner Zeit als Konzertmeister in Weimar.

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Bach war ein geradezu fiebriger Bewun-derer der Musik Vivaldis. Nicht nur, dass er einige seiner Konzerte transkribiert hat, auch in seinen eigenen Instrumen-talkonzerten sind die Einflüsse des Ita-lieners spürbar. Mal hat er elegant neue Mittelstimmen hinzugefügt, mal spielt er mit den Bassfiguren. Jedenfalls wirkt das Diktum des frühen Bach-Biographen Forkel, wonach Vivaldis Concerti Bach »musikalisch denken« gelehrt hätten, durchaus glaubwürdig.Aber auch einige der konzertanten Schöpfungen des jungen Prinzen bearbei-tete und übertrug Bach: Jenes Konzert, das dem Orgelkonzert BWV 595 zugrunde liegt und dessen originale Besetzung wir nicht kennen, hat er sogar zweimal tran-skribiert: vollständig für Cembalo (BWV 984) und dann nochmals den ersten Satz für die Orgel, wobei er ihn in dieser Version um 16 Takte erweiterte. In Gestalt der Bachschen Bearbeitungen bleibt auf diese Weise die Musik des hochbegabten Prinzen, der 1715 im Alter von nur 18 Jah-ren vermutlich einer Krebserkrankung erlag, bis heute lebendig.

JOHANN SEBASTIAN BACH* 31. März 1685 in Eisenach† 28. Juli 1750 in Leipzig

Orgelkonzerte a-Moll BWV 593 und C-Dur BWV 595

ENTSTEHUNG vermutlich um 1713/14

URAUFFÜHRUNGunbekannt

ERSTMALS IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE

DAUERBWV 593 ca. 12 MinutenBWV 595 ca. 5 Minuten

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Die Sammlung der »Achtzehn Choräle der Leipziger Originalhandschrift« ist wohl ab 1740 entstanden. Zusammengestellt hat Bach hier Choräle aus verschiedenen Phasen seines Lebens, so dass einige be-reits ins »Orgelbüchlein« aufgenommen wurden. Doch Bach wäre nicht Bach, hätte er nicht noch nachträglich modelliert und einige Feinheiten verändert. An neunter Stelle steht der durch Martin Luther bekannt gewordene Choral »Nun komm, der Heiden Heiland«, basierend auf dem altkirchlichen Hymnus »Veni redemptor gentium« des Bischofs Ambrosius von Mailand aus dem 4. Jahr-hundert, der mindestens vier Melodien zu diesem Hymnus hinterlassen hat. Inhaltlich steht die Bitte um das Erschei-nen des Erlösers im Mittelpunkt, die im Kontext vom Tod am Kreuz und Auf-erstehung vorgetragen wird, bevor am Ende ein eigener Lobpreis folgt.

Bach notiert in g-Moll und verknüpft hier die Choral-Melodie mit einem veritablen Konzertsatz – was Ferruccio Busoni später zu einer beliebten Klavierbearbei-tung angeregt hat. Kein Wunder, dass der niederländische Schriftsteller Maarten t’Hart, selbst bekennender Bachianer, in diesem Choral den »unumstrittenen Höhepunkt« der Leipziger Choral-Samm-lung ausmacht.

»Unumstrittener Höhepunkt«Bachs Choralbearbeitung BWV 659

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Beginn der Choralbearbeitung »Nun komm, der Heiden Heiland« in Bachs Autograph

JOHANN SEBASTIAN BACH

»Nun komm der Heiden Heiland« BWV 659

ENTSTEHUNG Der Choral ist Teil einer von Bach in seinen letzten Lebensjahren für den Druck zusammengestellten Sammlung von Choralbearbeitungen, die heute unter dem Titel »18 Choräle von verschiedener Art« bzw. »Leipziger Choräle« bekannt ist, wobei die einzelnen Choräle teils viel früher entstanden sind und später Umarbeitungen erfahren haben. Für BWV 659 gibt die Niederländische Bachvereinigung die Jahre 1711-13/1739-42 an.

URAUFFÜHRUNGunbekannt

ERSTMALS IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE

DAUERca. 5 Minuten

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FugenpassionSchumanns Fugen über B-A-C-H op. 60

Robert und Clara Schumann, Lithografie von Eduard Kaiser mit persönlicher Widmung des Paars, 1847

In ihrem Spätwerk widmen sich auffallend viele Komponisten vermehrt der Gattung der Fuge. Man denke an Mozarts Finale aus der »Jupiter-Sinfonie«, an die letzten großen Werke Beethovens, darunter die Diabelli-Variationen und die Missa solemnis, aber auch an Robert Schumann. Dienten ihm in früheren Jahren Chopin oder auch Schubert als Ideengeber, nutzte er vor allem in seinen Klavierwerken bevor-zugt Tanzrhythmen als formale Anknüpfungspunkte, insbeson-dere Walzer und Polonaise, so vollzieht Schumann in späteren Jahren eine Kehrtwende und ver-gräbt sich mehr und mehr in die Bachsche Fugenform. Sparsamer sind seine Mittel, introvertierter die musikalische Sprache.

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»Contrapunktische Studien« betreibt er bereits im Januar 1845, gemeinsam mit Clara. Aus diesen »Studien« wird, wie Robert festhält, eine regelrechte »Fugen-passion«, die ihren Niederschlag findet unter anderem in den »Vier Fugen« op. 72. Ausführlich hat er sich zu diesem Zeit-punkt auch mit dem »Wohltemperierten Klavier« und der »Kunst der Fuge« be-schäftigt, Bach ist zu dieser Zeit für Schumann das »täglich Brod« [!] bzw. seine »tägliche Bibel«. Doch Schumann ist zugleich ein Kind seiner Zeit; das heißt, ihn interessiert nicht nur die Archi-tektur einer Fuge, sondern er sieht in diesen Werken zugleich »Charakterstücke höchster Art, zum Teil wahrhaft poeti-sche Gebilde«.In diesem Kontext sind auch die »Sechs Fugen über den Namen BACH« op. 60 für Orgel oder Pedalflügel entstanden, seine einzigen echten Orgelstücke, an denen Schumann zwischen April und Dezember 1845 gearbeitet hat.

ROBERT SCHUMANN* 8. Juni 1810 in Zwickau † 29. Juli 1856 in Endenich, heute Ortsteil von Bonn

Fuge Nr. 5 F-Dur aus »Sechs Fugen über den Namen B-A-C-H« op. 60

ENTSTEHUNG 2. Oktober 1845 laut Datierung in der Partitur

URAUFFÜHRUNGunbekannt

ZULETZT IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE20. März 2019 mit Oliver Latry an der Orgel

DAUERca. 3 Minuten

Aus alt mach neu Bachs Doppelkonzert BWV 1060a

Torelli, Albinoni, dall’Abaco: Erst Aus-gang des 17. Jahrhunderts hatte sich die Form des Solokonzerts endgültig etab-liert. Johann Sebastian Bach lernte sie durch Vivaldis Werke kennen, vermutlich während seiner Jahre in Weimar, wo er an der Hofkapelle als Organist und Konzert-meister tätig war und sechs von Vivaldis Konzerten für Orgel transkribierte. Seine ersten eigenen Konzerte entstanden jedoch erst später in Köthen und Leipzig. Bis heute sind die Voraussetzungen, die zu diesen Solokonzerten führten, unklar: Waren sie für private Zwecke gedacht, oder für Auftritte bei Hof? Fest steht, dass Bach seine Cembalokonzerte um 1738 alle in eine einzige Partitur eingetragen hat; fest steht auch, dass er gezielt verschiedene Varianten des Konzert-Prinzips austestet; fest steht schließlich, dass er auch in diesen Werken das so genannte Parodie-verfahren anwendet, also dass er eigene Musik aus anderen Kontexten wieder-

verwendet – Selbst-Diebstahl sozusagen, wenn auch juristisch unbedenklich.Die Entstehungszeit des c-Moll-Konzerts ist bis heute ungeklärt, erste verlässliche Quellen stammen aus der Zeit zwischen 1744 und 1747. Es handelt sich um ein Doppelkonzert für zwei Cembali. Viel-leicht aber – und hier verlassen wir das Gebiet des Gesicherten – basiert diese Version auf einer früheren Besetzung für zwei unterschiedliche Instrumente, mög-licherweise für Violine und Oboe. Wieder eine der berühmten Rätsel-Stellen im üppigen Bach-Werke-Verzeichnis…Und prompt schließt sich eine weitere offene Frage an: Da es inzwischen zwei Rekonstruktionen dieses Konzerts gibt – eine in c-Moll, eine in d-Moll – könnte es sich im Ursprung auch um ein Doppel-

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Die Stimme des ersten Cembalos aus Bachs Doppelkonzert BWV 1060 in einer um 1780 entstandenen Abschrift.

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JOHANN SEBATIAN BACH

Doppelkonzert für zwei Cembali und Orchester c-Moll BWV 1060a

ENTSTEHUNG Bachs Cembalokonzerte entstanden zwischen 1729 und 1740, oftmals auf der Grundlage älterer Werke. Für das Konzert BWV 1060 wird eine Entstehung um 1736 vermutet. Möglicherweise basiert es auf einem älteren Konzert für Oboe und Violine, welches in der Köthener Zeit (1717 – 1723) entstanden sein könnte, aber nicht erhalten ist.

URAUFFÜHRUNGunbekannt

ZULETZT VON DER DRESDNER PHILHARMONIE GESPIELT14. Februar 1998 mit Camillo Radicke und Claudius Tanski als Solisten unter Leitung von Jean-Claude Malgoire

BESETZUNGOriginal: zwei Cembali, Streicher

DAUERca. 14 Minuten

konzert für zwei Violinen gehandelt haben (schließlich steht das berühmte Doppelkonzert BWV 1043 auch in d-Moll). Allerdings sind in diesem c-Moll-Konzert, anders als in BWV 1043, die Solostimmen nicht symmetrisch angelegt, sondern unterscheiden sich voneinander: Während das eine Soloinstrument viele schnelle Figuren zu spielen hat (einer Geige ähnlich), ist die andere mehr mit ariosen Linien betraut (einer Oboe nicht unähnlich).

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Instrumentale PoesieEscaichs »Trois poèmes«

Als die »Trois poèmes« von Thierry Escaich im Jahr 2002 in Passau uraufgeführt wurden – ein Auftragswerk des Organisten Stephen Tharp – bildete die Musik keine komplette Neuheit. Denn es handelt sich bei diesen Werken um die Solofas-sung der bereits 1998

entstandenen »Trois Motets«, als deren Grundlage Escaich drei Gedichte aus »Le Pays perdu« von Alain Suied ausgewählt hat.

Félix Del Marle: »Bretonnes«, 1913. Der Künstler schafft hier eine dynamische Abstraktion eines Kirchenraumes. Die Szenerie stellt eine Gruppe von bretonischen Frauen dar, die für ihre verlorenen Söhne und Männer beten. Das Durchbrechen der Materialität fester Formen durch gebrochene, vielschichtige Ebenen sowie die Verwendung der diagonalen Linien und die Einbringung prismenartiger Verzerrungen erzeugen ein Gefühl von Kraft und Bewegung. Vielleicht kann man dieses Bild in seiner inhaltlichen und strukturellen Ausrichtung mit Escaichs »Trois poèmes« assoziieren.

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»Wie in allen meinen Vokalstücken üb-lich, sind es in der Motette I vor allem die Bilder des Gedichts, die den melodi-schen Satz, den Rhythmus oder auch die räumliche Verteilung der verschiedenen thematischen Elemente bestimmen«, schreibt Escaich über sein Werk. Dazu hat er die gregorianische Antiphon »Puer natus est nobis« herangezogen als eine Art von literarischem Kontrapunkt. Zum zweiten Stück, ungleich dramatischer, könnte nach Escaichs Aussage ein Titel wie »Der Blick des Todes« passen. In der Orgel-Solo-Version ist es tatsächlich mit »Die Maske des Todes« betitelt. Scharfe Akzente, Trauermarsch-Reminiszenzen und ein Taumel erzeugender Glissando-Effekt zeichnen diesen Satz aus. Das dritte Stück, eine finale Toccata in schnellem Tempo, suggeriert eine rasende Flucht vor dem Tod – »Hin zur Hoffnung« lautet die Überschrift in der Orgel-Fassung. Am Ende steht ein Ruf an den Schöpfer, ein »Herr, erbarme dich«.

THIERRY ESCAICH* 8. Mai 1965 in Nogent-sur-Marne

»Trois poèmes pour orgue«

ENTSTEHUNG 2002

URAUFFÜHRUNG17. Oktober 2002 im Dom St. Stephan in Passau mit Stephen Tharp an der Orgel

ERSTMALS IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE

DAUERca. 13 Minuten

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Tango und KontrapunktFugen von Astor Piazzolla

»Die Musiker hassten mich. Sie hatten das Gefühl, dass ich ihnen ihren alten Tango wegnehmen würde. Manchmal warteten auf der Straße vor meinem Haus zwei, drei Männer, die mich verprügeln wollten. Während einer Radiosendung stürmte sogar einmal ein Tango-Sänger herein und zielte mit einem Revolver auf mich.« Wer es mit Reformen ernst meint, gerät mitunter – im doppelten Wortsinn – in die Schusslinie. Komponisten ergeht es da nicht anders als Politikern. Erst wenn sich der Mantel der Geschichte ausgebrei-tet hat, relativiert sich vieles. Aus heutiger Sicht ist der historische Be-fund eindeutig: Astor Piazzolla hauchte dem Patienten Tango neues Leben ein. In den 1940er Jahren hatte er noch in voller Blüte gestanden; allein in Buenos Aires lebten tausende Musiker vom Tango, rund 35000 Balginstrumente wurden jährlich aus Werkstätten im Erzgebirge

nach Argentinien verschifft. Deutsche Instrumente standen vor allem bei den damaligen Orchestern hoch im Kurs. 1955 jedoch folgte der Militärputsch, der das Land lähmte. Die Tango-Kultur drohte verloren zu gehen. In dieser Situation zog Piazzolla nach Paris, studierte bei Nadia Boulanger Komposition und ließ sich dazu anstiften, eine neue Vision vom Tango zu entwickeln: der Tanz als komplexe Kunstform. Piazzolla fand peu à peu zu einer eigenständigen Formen-sprache und verfeinerte seine Vorstellung vom »Tango nuevo«, indem er weder vor dynamischer Expressivität noch vor kom-plizierten Strukturen zurückschreckte. Die »Fuga y mysterio« komponierte Piaz-zolla 1968 als Teil von »María de Buenos Aires«, seiner »Tango-Operita« auf ein Libretto des uruguayischen Lyrikers, Journalisten und Tango-Historikers Horacio Ferrer. Maria ist eigentlich die

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Hetty Christ: Astor Piazzolla. Farblithographie.

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Stadtheilige von Buenos Aires, doch im Stück wird sie zur unheilig Heiligen, zur Begehrten und Verurteilten, Liebenden und Leidenden, die inmitten von Dieben, Armen und Zuhältern stirbt und wieder aufersteht. »Fuga y misterio« ist ein Instrumentalsatz aus der Oper – der Titel weist auf die kunstvolle kontrapunktische Anlage hin, die viele Kompositionen Piazzollas auszeichnet. Piazzolla besaß stets eine Vorliebe für die Form der Suite. Von 1969 stammt die Suite »Silfo y Ondina«, deren mittlerer Abschnitt mit »Fugata« überschrieben ist – vielleicht auch eine Rückbesinnung auf Piazzollas Kindheit, den Jungen aus Mar del Plata, der sich am heimischen Klavier mit Etüden herumplagte und seine Finger mit Werken von Bach vertraut zu machen versuchte…

ASTOR PIAZZOLLA* 11. März 1921 in Mar del Plata† 4. Juli 1992 in Buenos Aires

»Fuga y misterio«

ENTSTEHUNG 1968

URAUFFÜHRUNG8. Mai 1968 in Buenos Aires im Rahmen der konzertanten Uraufführung der Oper »María di Buenos Aires«

ZULETZT VON DER DRESDNER PHILHARMONIE GESPIELT10. Mai 2003 unter Leitung von Andrés Tolcachir

DAUERca. 5 Minuten

Fugata aus der Suite »Silfo y Ondina«

ENTSTEHUNG1969

URAUFFÜHRUNGunbekannt

ERTSMALS IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE

DAUERca. 3,5 Minuten

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Der Komponist, Organist und Improvisator Thierry Escaich ist eine prägende Gestalt in der zeit-genössischen Musik und einer der wichtigsten französischen Kompo-nisten seiner Generation. Die drei Elemente von Escaichs künst-lerischem Schaffen sind untrenn-bar miteinander verbunden und ermöglichen es ihm, sich als Inter-pret, Schöpfer und Mitwirkender in den verschiedensten Bereichen auszudrücken.Escaich komponiert in vielen Genres und Formen. Mehr als 100 Werke liegen bis heute vor, die ein breites Publikum anziehen. Aus-gehend von Ravel, Messiaen sowie Dutilleux und durchdrungen von Bezügen zur zeitgenössischen, populären und geistlichen Musik ist die unverwechselbare Klang-welt von Escaichs Musik von einem obsessiven rhythmischen Impuls und einem ausgeprägten Sinn für musikalische Architektur geprägt.

ORGEL

THIERRY ESCAICH

Sein Œuvre umfasst sowohl intime Werke als auch groß angelegte Stücke wie die Chaconne für Or-chester, das Oratorium »Le Dernier Évangile« und das Doppelkon-zert für Violine und Violoncello »Miroir d‘ombres«. Seine erste Oper »Claude« auf ein Libretto von Robert Badinter nach Victor Hugos »Claude Gueux« wurde 2013 an der Opéra de Lyon mit großem Erfolg uraufgeführt. Zu seinen jüngeren Werken gehören das Bratschen-konzert »La Nuit des chants« für Antoine Tamestit, das vom Netherlands Radio Philharmonic und der NDR Elbphilharmonie in Auftrag gegeben wurde und das Orgelkonzert Nr. 3 »Quatre Visages du temps«, das im November 2017 von Escaich und dem Orchestre National de Lyon uraufgeführt wurde. Thierry Escaichs Werke werden von führenden Orchestern in Europa und Nordamerika und von Musikern wie Lisa Batiash-vili und François Leleux, Valery Gergiev, Paavo Järvi, Alan Gilbert, Alain Altinoglu, Louis Langrée, Renaud und Gautier Capuçon, Em-manuelle Bertrand und Paul Meyer aufgeführt. Escaich war Gastkom-ponist des Orchestre National de

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Lyon, des Orchestre National de Lille sowie des Pariser Kammer-orchesters, und seine Musik wurde mit vier »Victoires de la Musique« ausgezeichnet (2003, 2006, 2011 und 2017). Escaich unterrichtet Komposition und Improvisation am Pariser Konservatorium, wo er selbst studierte und acht premiers prix erhielt. Im Jahr 2013 wurde ihm die Ehre zuteil, in die Acadé-mie des Beaux-Arts in Paris be-rufen zu werden; 2018 übernahm er die prestigeträchtige Rolle des Featured Composer beim Radio France Présences Festival in Paris.Werke für Orgel sind ein wichtiger Bestandteil von Escaichs Musik und werden von Organisten auf der ganzen Welt aufgeführt, darunter Solo- und Kammermusikwerke, drei Konzerte und die sinfonische Dichtung »La Barque solaire« für Orgel und Orchester. Thierry Escaichs Weg als Kompo-nist ist eng mit seiner Tätigkeit als Organist verbunden. Er tritt in internationalen Konzerten auf und kombiniert Repertoirestücke mit eigenen Kompositionen und Im-provisationen. Seine Leidenschaft für das Kino hat ihn dazu gebracht, Cine-Concerts aufzuführen, im-

provisierte Begleitungen auf der Orgel und dem Klavier zu Stumm-filmen wie »Phantom der Oper« und »Metropolis«.Viele von Escaichs Werken wurden von Accord/Universal aufge-nommen. Zuletzt wurde die CD »Baroque Song« bei Sony Classical veröffentlicht und von der Kritik hoch gelobt. Seine CD »Les Nuits hallucinées« krönte seine Zu-sammenarbeit mit dem Orchestre National de Lyon und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter einen »Choc de l‘année« der Zeitschrift Classica. Die Urauf-führungsproduktion von »Claude« wurde auf DVD veröffentlicht (BelAir Classiques).

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SAXOPHON-QUARTETT

ELLIPSOS SAXOPHON QUARTETT

Claire Désert in Paris, Thierry Escaich im Moulin d’Andé und dem Kompo-nisten Christian Lauba in Bordeaux zusammen. 2007 überraschte das Ellipsos Quartett die Pa-riser Musikwelt mit dem Gewinn des Ersten Preises beim europäischen Wett-bewerb Ensemble Music. Im Jahr 2008 wurde das Quartett von der

Produzentin Gaëlle le Gallic und ihrem Programm »Générations interprètes« zum »Coup de cœur des auditeurs de France Musique« gewählt. Im darauffolgenden Jahr lud die französische Regierung das Ellipsos Quartett ein, während der Fête de la Musique 2009 live aus dem Cour d'Honneur des Hôtel Matignon auf France Culture auf-zutreten. Mit dem Komponisten und Organisten Thierry Escaich entwickelte das Quartett eine dauerhafte künstlerische Partner-

Das 2004 gegründete Ellipsos Quartett ist in Nantes beheimatet. Kennengelernt haben sich die vier Musiker allerdings während ihres Studiums an den Konservatorien von Versailles und Cergy. Von 2006 bis 2010 wurden sie von Paul Meyer und Eric Le Sage am Pariser Konservatorium betreut. In den ersten Jahren seines Bestehens arbeitete das Quartett regelmäßig mit verschiedenen Musikern wie Maurice Bourgue in Avignon,

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schaft. Im Juni 2015, als er den Lehrstuhl von Jacques Taddéi an der Académie des Beaux-Arts übernahm, lud Thierry Escaich das Ellipsos Quartett zu einem Konzert unter der Kuppel des Institut de France ein. Im Sommer desselben Jahres traten der Organist und das Quartett zum ersten Mal gemein-sam auf der Bühne des Bachfestes in Saint-Donat auf, wo sie seitdem regelmäßig zu Gast sind.Das Ellipsos Quartett ist seit 2007 das meistgesendete Saxophon-quartett auf France MUSIQUE und war zu Gast in zahlreichen Sendungen. Ellipsos war Ende 2017 das erste Saxophonquartett, das im Schloss von Versailles (Galerie des Batailles) ein Konzert mit dem Quatuor Strada, einem Gitarren-quartett, gab. Im Jahr 2015 beauf-tragte der Verlag Gérard Billaudot Ellipsos mit einer Edition, in der die Partituren des Quartetts ver-öffentlicht werden.Seit 2018 engagiert sich das Ellipsos Quartett als Botschafter für die Fondation du Souffle, die sich der Bekämpfung von Atemwegs-erkrankungen widmet. Ellipsos hat 2007 das Festival du Souffle ins Leben gerufen, das hauptsächlich Blasinstrumenten gewidmet ist

sowie die Ellipsos Saxophon-Aka-demie in der königlichen Abtei von Celles-sur-Belle, wo junge Musiker ihre Ausbildung vervollkommnen können.Im Jahr 2007 nahm Ellipsos am Pariser Konservatorium sein erstes Album, »Medina«, mit Philippe Geiss (Saxophon), Florian Tâtard (Akkordeon) und Gamelan-Musi-kern der Cité de la Musique auf. In den folgenden Jahren erschienen: »Peer Gynt« (2009) mit Werken von Alexander Glasunow, Sergej Prokofjew, Edvard Grieg und Vitto-rio Monti, »Bolero« (2014, Genuin Classics) mit Musik von Maurice Ravel, Gabriel Pierné, Thierry Escaich und Jean Françaix, »Sax & Gospel« (2017) mit Werken von Johann Sebastian Bach und Gospel- songs sowie »United Colors« (2018, NoMadMusic) in Zusammenarbeit mit der Nantes Philharmonie mit Werken für Saxophonquartett und Blasorchester von Thomas Doss, Philippe Geiss, Graham Lynch und Will Gregory. Im Jahr 2021 erschien das Album »Saxophonie« (NoMadMusic), das der zu Unrecht vergessenen Komponistin Fernande Decruck gewidmet ist.

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I. Hauptwerk C-a’’’

Principal 16’Principal 8’Large open Diapason 8’ Flute major 8’ Cello 8’ Erzähler 8’ Octave 4’ Hohlflöte 4’ Quinte 2 2/3’ Octave 2’ Mixtur 4-5fach 2’ Cornet 3-5fach 2’ Trompete 8’

II. Schwellwerk C-a’’’ Liebl. Gedackt 16’Geigenprincipal 8’Salicional 8’Doppelflöte 8’Rohrflöte 8’Geigenoctave 4’Flöte 4’Nasard 2 2/3’Flautino 2’Terz 1 3/5’Progressio 3-5fach 2’ Cor anglais 16’Cornopean 8’Clarinette 8’French Horn Transm. IV 8’– Tremulant

Mit rund 4000 Pfeifen und 67 Registern wurde die Konzertsaalorgel besonders für das große sinfonische Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts geschaffen und nimmt damit unter den Dresdner Orgeln eine Sonderstellung ein. Von der Firma Eule Orgelbau Bautzen GmbH geplant und gebaut, korrespondiert sie technisch und klanglich mit den speziellen An-forderungen der Raumakustik im neuen

Konzertsaal. Ihre Konstruktion ist von der Klanglichkeit eines großen Sinfonie- orchesters inspiriert und dient ihm so-wohl solistisch als auch in Begleitung als adäquater Partner. Wie bei einem großen Orchester der Zeit Wagners, Brahms’, Bruckners, Mahlers oder Regers weist die Orgel eine außergewöhnliche dynami-sche Bandbreite und eine große Vielfalt an Klangfarben auf.

DIE EULE-ORGEL IM KULTURPALAST

III. Récit-Orchestral C-a’’’

Viola 16’Principal 8’Viol d’orchestre 8’Concert Flute 8’Zartgedackt 8’Aeoline 8’Vox coelestis ab G 8’Quintatön 8’Fugara 4’Flute octaviante 4’Octavin 2’Viol-Cornett 3fach 3 1/5’Plein jeu 5fach 4’Orchestral Oboe 8’Voix humaine 8’– Tremulant

DIE ORGEL

DISPOSITION

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IV. Solo

offen:Melodia 8’Tuba sonora 8’im Schweller II. Man.:French Horn 8’

Bombarde (frei ankoppelbar)

im Schweller III. Manual:Bombarde 16’Trompette harmonique 8’Clairon harmonique 4’

Pedal C-g’

Grand Bourdon 32’ Open Wood 16’ Principal (Transmission I) 16’ Violon 16’ Subbass (Extension) 16’

Gedacktbass (Transmission II) 16’Dulcianabass (Transmission III) 16’Octavbass 8’Violoncello (Extension) 8’Bassflöte (Extension) 8’Salicetbass (Transmission II) 8’Bourdonbass (Transmission III) 8’Octave (Extension) 4’Bassflöte (Extension) 4’Contraposaune 32’Posaune (Extension) 16’Trompetenbass 8’Clairon (Extension) 4’

Koppeln und Spielhilfen – 10 Normalkoppeln IV-I, III-I, II-I, III-II, III-I, II-I, I-P, II-P, III-P, IV-P

– 5 Normalkoppeln Bombarden- werk an I, II, III, IV und P– 5 Superoktavkoppeln III-III, III-I, II-II, II-I, IV-P– 5 Suboktavkoppeln III-III, III-I, II-II, II-I, I-I– Manualtausch II gegen III (Druckknopf zwischen den Manualklaviaturen)– 2 Schwelltritte (zusätzlich mit Handbedienung), General-schweller (Schwelltrittkopp-lung als Tritt)– Walze (mit 4 einstellbaren Programmen), Walze an (Tritt)– Setzeranlage System Eule mit unbegrenzter Zahl an Nut-zern mit jeweils unbegrenzter Zahl an Kombinationsfolgen zu je 1.000 Einzelkombinationen– MIDI-Anschluss mit Auf-zeichnungsfunktion in einem Schubkasten links

Schleifladen mit elektrischen Trakuren und optoelektronischen TastenkontaktenDatenübertragung über BUS-SystemFahrbarer Spieltisch, Oberteil elektrisch höhenverstellbar4.109 Pfeifen, davon 223 aus 6 Registern im Prospekt sichtbar (incl. 96 Blindpfeifen)Größte Pfeife: Contraposaune 32’ Ton C 9,23 mGrößte Prospektpfeife: Principal 16’ C 6,73 m14 große Windladen, 18 Einzeltonladen10 Magazinbälge (für die Manuale I bis III jeweils doppelfaltig), 3 Vorbälge, 2 Normaldruck- und 1 Hochdruckventilator, auf dem Dachboden über der OrgelOrgeleigene klimagesteuerte BelüftungsanlageWinddrücke: Hauptwerk 114 mmWS, II. Manual 105 mmWS, III. Manual 118 mmWS, Bombarde und Melodia 190 mmWS, Tuba Sonora und French Horn 450 mmWS, Pedal 110 bis 127 mmWS,Stimmton: 443 Hz bei 21° C, Stimmungsart gleichschwebendMaße (Hauptteil): Breite 14,7 m, Tiefe 3,3 m, Höhe 8,5 mGesamtgewicht: etwa 20,5 Tonnen

TECHNISCHE DATEN

Gesundheitspartner der Dresdner Philharmonie

DBAU

MEDIZINISCHES LABOR

OSTSACHSENRESDEN

TZENGÖRLITZ

HERAUSGEBER

Intendanz der Dresdner PhilharmonieSchloßstraße 2 01067 DresdenT +49 351 4866-282

dresdnerphilharmonie.de

CHEFDIRIGENT UND KÜNSTLERISCHER LEITER

Marek Janowski

INTENDANTIN

Frauke Roth (V.i.S.d.P.)

TEXT

Christoph Vratz

Der Text ist ein Originalbeitrag für dieses Heft; Abdruck nur mit aus-drücklicher Genehmigung des Autors.

Christoph Vratz, geboren 1972 in Mönchengladbach, studierte Germa-nistik und Romanistik in Wuppertal und Paris. Er promovierte über die sprachliche Vermittlung von Musik in literarischen Texten. Seit 1999 freibe-ruflich tätig und Wahl-Kölner. Mitar-beit bei »Fono Forum«, »Opernwelt« und verschiedenen Tageszeitungen. Zahlreiche Features, Sendungen und Beiträge für ARD-Rundfunkanstalten, darunter WDR, SWR, BR und DLF. Mit-arbeit an verschiedenen Buchprojek-ten, Moderator von Musikhör-Aben-den mit Schriftstellern, Musikern u.a. Seit 2003 Jurymitglied im »Preis der Deutschen Schallplattenkritik«.

REDAKTION

Jens Schubbe

BILDNACHWEISE

Wikimedia Commons: S. 4, 8, 16bach-digital: S. 7, 11kollerauktionen.ch: S. 13Guy Vivien: S. 19Christophe Abramowitz/ Radio France: S. 20

MUSIKBIBLIOTHEK

Die Musikabteilung der Zentralbibliothek (2. OG) hält zu den aktuellen Programmen der Philharmonie für Sie in einem speziellen Regal Partituren, Bücher und CDs bereit.

TICKETSERVICE

Schloßstraße 2 01067 Dresden T +49 351 4866-866 MO – FR 10 – 19 UhrSA 9 – 14 Uhr ticket@ dresdnerphilharmonie.de

Preis: 1,50€ Änderungen vorbehalten.

Die Dresdner Philharmonie als Kultureinrichtung der Landeshauptstadt Dresden (Kulturraum) wird mit- finanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

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