Paul Friedländer - Platon Band 1

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Seinswahrheit und Lebenswirklichkeit

Transcript of Paul Friedländer - Platon Band 1

  • P A U L F R I E D L N D E R

    PLATON

    Band I

    Seinswahrheit und Lebenswirklichkeit

    Dritte durchgesehene und ergnzte Auflage

    W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Gechensche Verlagihandlung J. Guttentag, Verlags

    buchhandlung Georg Reimer Karl J. Trbner Veit & Comp.

    B E R LIN 1964

  • Platon(Antike Marmorkopie, wahrscheinlich nach dem Bronze-Original des Silanion, Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. Robert Boehringer, Platon.

    Bildnisse und Nachweise, 1935, Tafel 83)

    Archiv-Nummer 42 12 64 1

    Copyright 1964 by W alter de G ruyter & Co. vorm als G. J . Gschensche V erlagshandlung, J . G uttentag , Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J . Trbner, V eit & Comp. Printed in G erm any A lle Rechte des Nachdrucks, einschlielich des Rechtes der

    H erstellung von Photokopien und M ikrofilmen, Vorbehalten.

  • U D A L R I C O D E W I L A M O W I T Z - M O E L L E N D O R F F

    hoc opus raanet dedicatum .

    M D C C C C X X V I I I M D C C C C L I I I M D C C C C L X I V

  • Was kann uns allein wiederherstellen?

    Der Anblick des Vollkommenen.

    Nietztche,Vorarbeiten zum Fall W agner.

  • AUS DEM VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE (1928)

    Vor fast genau 10 Jahren in den unvergelichen Tagen der deutschen Kriegsuniversitt Wilna" hat der Verfasser zum ersten Mal ber Platon gesprochen mit dem noch unbestimmten Bewutsein, da er ber ihn etwas Eigenes und doch nicht nur Subjektives zu sagen habe. W er die Jahre des Krieges hindurch in den Grben vor Ypern und in russischen Htten oft mit den platonischen W erken allein war, dem muten diese Dramata, diese W elt von Philia und Neikos, mit bisher unbekannter Kraft lebendig werden. An irgendwelche wissenschaftliche Arbeit wurde dabei nicht von fern gedacht, wo jede Zukunft, und nun gar wissenschaftliche Zukunft, im Ungewissen verschwamm. Aber es war alles andere eher als Zufall, da auf der wirren Grenze von Krieg und Frieden Platon der Fhrer wurde und an dieser nunmehr in wissenschaftliche Wege einlenkenden Arbeit die Rckkehr zur Wissenschaft berhaupt gelang.

    Mannigfache Frderung durch Gesprche oder durch Kritik an schon Geschriebenem habe ich erfahren vor allem von Fritz Klingner, Nikolai Hartmann, Ernst Robert Curtius, Herbert Koch, Rudolf Bultmann, Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer. Ihnen allen danke ich.

    Marburg, am 18. Januar 1928. P. F.

  • VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE

    Warum noch ein Buch ber Platon zu den vielen, die es schon gab, und die immer von neuem geschrieben werden? Der Verfasser fand sich damals zwischen zwei Fronten. Die eine nahmen die Neu-Kantianer und andere Linien der philosophischen Tradition ein. Das literarische, dichterische Element in Platon hatte keinen grundstzlichen W ert fr den Philosophen; es war Beiwerk, Rahmenwerk des philosophischen Gehalts. Die andere Front fhrte der groe V ertreter der klassischen Philologie, dem das Buch gewidmet w ar und immer gewidmet bleibt: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Er schrieb Platons Biographie und analysierte seine Schriften, berlie aber oft das eigentlich Philosophische den Philosophen.

    Diesen Gegensatz zu berbrcken war damals und ist noch heute die Aufgabe. Seinswahrheit und Lebenswirklichkeit" heit darum seit der zweiten Auflage der Untertitel des Ersten Bandes. Er gilt auch fr Band II und III. Idee und Existenz" knnte man dafr setzen.

    Text und Anmerkungen sind fr die dritte Auflage genau durchgesehen worden; dennoch ist diese von der zweiten nicht grundstzlich verschieden. Wesentliche nderungen hat nur die Auseinandersetzung mit Heidegger in Kapitel XI erfahren. Huntington Cairns hat erlaubt, seine Abhandlung Plato as Jurist" hier als Kapitel XVI abzudrucken, wie es schon in der englischen Ausgabe des Plato Vol. I geschah. Zusammen mit den Kapiteln XIV, XV und XVII hilft sie das Bild von Platons Universalitt zu ergnzen.

    Los, Angeles, Californien, am 24. April 1964. P. F.

  • INHALT

    T E I L I Seite

    Kapitel I: Mitte und U m k re is .................................................. 3Kapitel II: D a im o n ...................................................................... 34Kapitel III: Arrheton ................................................................. 63Kapitel IV: A k a d e m ie ................................................................. 90Kapitel V: Das geschriebene W e r k ........................................ 114Kapitel VI: Sokrates bei P l a t o n ............................................. 133Kapitel VII: Ironie ...................................................................... 145Kapitel VIII: Dialog ...................................................................... 164Kapitel IX: M y t h o s ...................................................................... 182

    T E I L II

    Kapitel X: Intuition und Konstruktion(Eine Brcke zu Bergson und Schopenhauer) . 225

    Kapitel XI: Aletheia(Eine Auseinandersetzung des Verfassers mitsich selbst und mit Martin Heidegger) . . . 233

    Kapitel XII: Dialog und Existenz(Eine Frage an Karl J a s p e r s ) .............................. 243

    Kapitel XIII: Uber die platonischen B r i e f e .............................. 249Kapitel XIV: Platon als Atomphysiker

    (Atom-Aufbau und Atom-Zertrmmerung in Platons T i m a i o s ) .................................................. 260

    Kapitel XV: Platon als Geophysiker und Geograph(Die Anfnge der Erdkugelgeographie) . . . 276

    Kapitel XVI: Plato as Juristby Huntington Cairns ........................................ 300

    Kapitel XVII: Platon als Stdteplaner(Die Idealstadt Atlantis) ................................... 327

    Kapitel XVIII: Sokrates in R o m .................................................. 334

    ANMERKUNGEN ................................................................................ 347

    INDICESA. In h a lts b e rs ic h t...........................................................................413B. Namen und S a c h e n ................................................................. 424C. Platons S c h r i f t e n ...................................................................... 437D. Aristoteles' S c h r i f te n ................................................................. 438

  • ERSTER TEIL

  • KAPITEL I / MITTE U N D U M K R E I S

    Einst als ich jung w ar so schreibt Platon fnfundsiebzig- jhrig in seinem Briefmanifest An die Freunde und Anhnger Dions" erging es mir wie ja vielen: ich gedachte, sobald ich erst mein eigener Herr wre, geradwegs an die Geschfte der Staatsgemeinde zu gehen. Und es trafen mich gewisse Schicksalsflle im Staatsleben folgender Art. Da von vielen die damalige Verfassung angefeindet wird, so kommt es zu einem Umsturz. Und bei diesem Umsturz traten einundfnfzig Mnner an die Spitze als Regierende, elf in der Stadt, zehn im Pirus, und dreiig bildeten die hchste Regierungsbehrde mit unumschrnkter Gewalt. Unter ihnen hatte ich manche Verwandte und Bekannte, und so riefen sie mich denn sofort, als ob mir das zukme, herbei zum Mittun an diesen Dingen. Und mir ging es, wie das bei meiner Jugend nicht verwunderlich war: ich glaubte, sie wrden unter ihrem Regiment nunmehr den Staat aus einem Leben der Ungerechtigkeit zu gerechter Art fhren. So richtete ich meinen Sinn sehr gespannt darauf, was sie tun wrden. W ie ich denn nun sah, da die Mnner in kurzer Zeit die frhere Verfassungsform als reines Gold erwiesen unter anderem wollten sie meinen lteren Freund Sokrates, den ich ohne jede Scheu den gerechtesten Mann jener Zeit nennen mchte, zusammen mit ndern gegen einen der Brger absenden, damit er diesen mit Gewalt zum Tode fhre, offenbar um ihn zum Teilhaber an ihrem Tun zu machen, ob er mochte oder nicht; er aber verweigerte den Gehorsam und wollte lieber das Schlimmste auf sich nehmen, ehe er ihr Hel

  • fershelfer bei unfrommem Tun wrde, wie ich also dies alles mitansah und noch anderes durchaus nicht Unerhebliches von solcher Art, da berkam mich ein Ekel und ich zog mich zurck von jener Verderbnis. Nicht lange, so strzten die Dreiig und mit ihnen jenes ganze System. Und wiederum zog mich, langsamer freilich, aber doch die Sehnsucht mitzutun an dem gemeinen Wesen. Es begab sich nun allerdings auch in der W irrnis, wie sie damals herrschte, vieles, was einen empren konnte. Und es war ja auch nicht weiter zu verwundern, wenn manche Menschen schwere Rache an ihren Feinden nahmen im Verlauf der Revolution. Dabei befleiigte sich die damals zurckkehrende Partei groer Migung. Und doch geschieht das neue Unheil, da unseren Gefhrten, eben diesen Sokrates, gewisse Machthaber vor Gericht ziehen, indem sie eine hchst verbrecherische Beschuldigung auf ihn werfen, die am allerwenigsten zu Sokrates pate. Denn auf Frevel gegen die Gtter des Staates lautete die Klage und erkannten die Richter und brachten den Mann zum Tode, der an der verbrecherischen Verhaftung eines Gesinnungsgenossen der damals verbannten Partei nicht hatte teilnehmen wollen, als sie selbst verbannt und im Elend waren. W ie ich nun diese Vorgnge betrachtete und die Menschen, die die Staatsgeschfte in der Hand hatten, und die Gesetze und die Sitten, und je mehr ich alles dies durchschaute, und je mehr ich an Alter zunahm, um so schwerer schien es mir zu sein, in rechter W eise die Staatsgeschfte zu fhren. Denn ohne befreundete M nner und treue Gefhrten w ar es berhaupt nicht mglich, etwas zu tun und die waren unter den alten Bekannten nicht leicht zu finden, weil unser Staat nicht mehr in Sitte und Tun der Vter lebte, und andere neue zu erwerben w ar unmglich ohne groe Schwierigkeit und andererseits nahm die Verderbnis in Gesetzgebung und Sitte in einem erstaunlichen Grade zu. So geschah es denn, da mich, der ich anfangs so groen Trieb in mir versprt hatte zum W irken an dem gemeinen Wesen, schlielich ein Schwindel berkam, wenn ich auf diese Dinge blickte und alles ganz und gar dahinstrzen sah. Ich lie zwar nicht ab, Betrachtungen darber anzustellen, wie es besser werden knnte in eben diesen Dingen und berhaupt mit dem ganzen Staatswesen. Zum Handeln hingegen wartete ich immer den rechten Augenblick

  • ab, bis ich schlielich zu der Einsicht kam ber alle jetzigen Staaten, da sie samt und sonders in schlechter Verfassung sind. Denn mit ihren Gesetzen steht es nahezu heillos, wenn nicht eine bewute Ttigkeit von geradezu wunderbarer Art mit gnstigem Zufall zusammentrifft. Und so fand ich mich denn gezwungen mit einem Preise auf die rechte Philosophie auszusprechen, da allein von ihr aus mglich sei, was im Staat gerecht ist und im Leben des Einzelnen, all dies zu erkennen. Also wrden ihres Elends kein Ende finden die Geschlechter der Menschen, ehe nicht das Geschlecht derer, die recht und wahr philosophierten, zur Macht im Staat kme oder aber das der politischen Machthaber durch irgendwelche gttliche Fgung wirklich zu philosophieren begnne. Mit dieser berzeugung kam ich nach Italien und Sizilien, als ich zum ersten Mal dorthin ging1)."So blickte Platon als Greis auf die Zeit seines geistigen W erdens zwischen dem 18. und dem 40. Lebensjahre. Vielleicht hat Goethe recht, da die eigentmliche Weise, wie der Einzelne sein vergangenes Leben betrachtet, niemand mit ihm teilen kann, und wir wrden dankbar alle Zeugnisse aufnehmen, die das Selbstzeugnis zu ergnzen oder das Bezeugte noch von anderswoher zu sehen uns erlaubten. Aber fr die Erkenntnis, wie Platon geworden ist, besitzen wir zuletzt gar nichts als dieses Stde Autobiographie, das freilich seinen Stand zu behaupten hat gegen die vielen, die das Briefmanifest dem Platon abzusprechen bemht gewesen sind, und gegen die Skepsis des einen Nietzsche, der auch einer Lebensgeschichte Platons, von ihm selber geschrieben, keinen Glauben schenken wrde, so wenig als der Rousseaus oder der V ita Nuova Dantes*).Jenes Dokument widerspricht allerdings den verbreiteten Vorstellungen von Platon. Ihn haben groe Denker der spteren Jahrhunderte als ihren Vorgnger gesehen. Er gehrt in die Geschichte der abendlndischen Metaphysik hinein. Innerhalb ihres Problemablaufs entdeckt er W ahrheiten auf dem Grunde von W ahrheiten, die etwa Parmenides, Heraklit, Sokrates entdeckt haben, und andere Philosophen fhren seine Probleme weiter. Nach den vorher genannten Philosophien tra t die Lehre des Platon auf, die im allgemeinen diesen folgte, in man*

  • chem aber audi Eigenes abweichend von der Philosophie der Italiker brachte. Kann man schpferische Flle schrfer auf eine ganz bestimmte, problemgeschichtliche Ebene projizieren, als Aristoteles (Metaphysik A 6) es hier tut? So ist er es, auf den sidi jene Denkform berufen darf. Ja ob nicht Platon selbst bereits sidi in dieser Dimension sehen konnte, liee sidi fragen, wenn man im Phaidon den Sokrates ber sein eigenes philosophisches W erden berichten hrt. Aber das bleibt ohne Antwort, und in dem Brief jedenfalls ist nichts davon.Nun ist die berschau des Briefes gewi nicht vollstndig. Das wrde schon der Begriff Philosophie beweisen, der am Schlu aufspringt, ohne da irgendwie gesagt wrde, wie es zu dieser Philosophie gekommen sei. Platon wei sich als den Entdecker einer metaphysischen Welt, und die rechte Philosophie, von der er in dem Briefe spricht, was ist sie anders als eben die Erkenntnis der ewigen Formen und ihres wahren Seins? Aber auch er zog nicht aus, diese neue W elt zu erreichen. Er suchte den Staat, und auf der Suche nach dem wahren Staat fand er das Ideenreich.W ie das genauer zu verstehen ist, und da es gar nicht anders sein konnte, wird deutlicher aus den geschichtlichen Bedingungen, unter denen Platon heranwuchs. Er w ar durch Ort und Zeit seiner Geburt und die Gesellschaftsschicht, der e r entstammte, nicht dazu bestimmt, als Philosoph sein Leben zu fhren, wie seit Jahrhunderten ein Mensch hineingeboren wird und nicht zuletzt durch Ihn in ein groes Philosophieren, das durch die Geschlechter der Menschen geht. Als ich in die Philosophie eintrat", schreibt Dilthey einmal. Platon htte so nicht sagen knnen. Denn vllig anders war die geistige Lage fr einen Menschen, der zu Beginn des groen Krieges in Athen aus vornehmem Gesdilechte geboren ward.Attika lag, ein kleines Land von Grundherrn, Bauern und Schiffern, noch im Dmmern seines eben anbrechenden Tages, damals als die Sonne Homers schon hell ber Ionien stand. Von der W elle der Wissenschaften und der Metaphysik, die sich in Milet erhob und in das italische Kolonialland hinberschlug, wurde Athen nicht berhrt. W hrend man drben Sonnenfinsternisse berechnete, Erdkarten und Globen konstruierte und dem Urgrund des W eltwesens nachsann, bauten Solon und

  • Peisistratos den Athenern ihren Staat und schafften den reichen Knsten des Ostens Eingang bei dem jugendlichen Volk. W hrend in Ionien und in Gro-Griechenland das eine gegensatz- freie Sein und das Gesetz des ewigen, ewig gegenstzlichen W erdens wechselweis zu Beherrschern der W elt erhoben w urden und das Forschen ber Ordnung, Baustoff und Sinn der W elt weiterging, grndet Athen den Staat freier Brger, schlgt den Perser und schenkt der W elt die Tragdie. Freilich ordnete die ionische Naturphilosophie nach Athen ihren ersten groen V ertreter in Anaxagoras ab, dessen neue W eisheit sich den Herrscher Perikies ebenso wie den Dichter Euripides gewann. Aber er w ar ein Fremder, und Fremde waren wohl auch die jngeren Physiologen" alle, die in Athen auf Beifall, Gelchter oder Feindschaft stieen. Und bald w ar es an der Zeit, da man aus den Widersprchen dieser Physiologie und aus den erkenntnistheoretischen Gedanken der Frheren die skeptischen Folgerungen zog.Auch Gorgias und Protagoras, die Sophisten, kamen als Gste nach Athen. Ihnen lief die athenische Jugend zu, weil sie dort eine neue A rt des geliebten Wettkampfes kennnen lernte und ihrer Gier nach Macht sich bisher unbekannte Waffen darboten. Aber wenn man den Verkufer dieser neuartigen W are mit Ehren empfing, sein Gewerbe htte kein Athener ausben mgen. W rdest du dich nicht schmen vor den Hellenen als W eisheitslehrer zu erscheinen?" so fragt Sokrates bei Platon einen jungen Athener, der gar nicht frh genug Schler des eben zugereisten Protagoras werden kann. Und seine Antwort: Ja beim Zeus, mein Sokrates, wenn ich sagen soll was ich denke", wre das Bekenntnis jedes wohlgearteten Atheners gewesen (Protagoras 312 A).Aristoteles berichtet, da wo er die Philosophie seines Lehrers in die Folge der metaphysischen Systeme einreiht (Met. A 6), Platon sei von Jugend an mit dem Herakliteer Kratylos in vertrautem Umgang gewesen und habe durch ihn die Lehre vom ewigen Flu und von der Unmglichkeit wahrer Erkenntnis erfahren. Dann aber habe ihm Sokrates in den ethischen Begriffen etwas gezeigt, was nicht der W ahmehmungswelt angehrt, und so habe er dies Ideen genannt. Man kann dea Aristoteles kaum rger miverstehen, als wenn man diese

  • Konstruktion, die nur in ihrer Richtung auf seine eigenen Probleme Sinn hat, zu einem geschichtlichen Bericht ber Platons wahre geistige Entwicklung umdeutet. Dann freilich ist es nicht mehr schwer, der skeptischen Periode in dessen Leben noch eine materialistische vorausgehen zu lassen. Man braucht nur das was Sokrates im Phaidon von seinem philosophischen W erden erzhlt, biographisch zu nehmen und auf Platon zu bertragen3). Aber von derlei modernen Hypothesen abgesehen: wir wissen nicht im mindesten, wie tief ihm berhaupt solche philosophischen Gedanken damals gegangen sein mgen, die etwa durch Kratylos und gewi auch durch andere an ihn herankamen. Und selbst wenn es zu einer Verzweiflung an aller Erkenntnis gekommen wre was freilich mehr nach Doktor Faust als nach einem antiken Menschen klingt , so gab es ja noch die W elt des Handelns. Und htte er handeln knnen, dann wren vielleicht alle Grbeleien verflogen, nicht viel anders als Byronischer Weltschmerz und Feuerbachische Skepsis fr den jungen Bismarck vorbei war, da er das Leben zu packen bekam.Nein, ein Athener, in dessen Ahnentafel Solons Name stand, konnte auch am Ende des 5. Jahrhunderts nur Staatsmann w erden wollen. Fhrender Mann in der Polis werden, das will jeder mit zwanzig Jahren oder noch frher: Alkibiades in Platons gleichnamigem Dialoge, Platons Bruder Glaukon in Xenophons Erinnerungen, Platon selber in dem Rckblick des groen Briefes. Nur mit dem Unterschiede, da fr ihn hier jene tiefe Problematik einsetzt, die in seinem Leben die Wende bringt.Je mehr eines Menschen Leben in das Wesentliche hineinreicht, um so symbolhafter sieht er, was vor ihm geschieht. Platon sah die Zersetzung Athens in dem Schicksal des Sokrates unmittelbar. W enn Athen seinen treuesten Diener nicht mehr ertrug, der immer fr diese Stadt zu sterben bereit w ar und wirklich fr ihre Gesetze starb wenn die aristokratischen Revolutionre ihn zum Mitschuldigen an ihrer Gewalttat machen wollten, ihn, der immer die W illkr der Augenblicksmajoritten bekmpft und das Regiment der Besten gefordert hatte wenn mit einer unerhrten Verkehrung alles Sinnes eben die demokratische Restauration ihn verurteilte, der sidi

  • den Oligarchen verweigert hatte gerade gegen einen Angehrigen der Demokratie dann gab es den Staat nicht mehr, den die Vorfahren geschaffen und in dem sie gewirkt, sondern sein Raum war erfllt durch ein politisches Treiben, welches sich von den tiefsten W urzeln gelst hatte.Staatsmann sein: das w ar fr Platon, als er noch entschlossen w ar es zu werden, nicht ein vom Leben gesonderter Beruf. Denn Aristoteles hat mit seiner Definition des Menschen als eines staatlichen W esens nur das in Begriffe gefat, was jedermann lebte. W ie gewinne ich Arete und wie werde ich Staatsmann: das waren die Fragen, die vor jedem W erdenden standen, und beide waren zuletzt eine. Konnte man nicht Politiker werden, so w ar das nicht wie etwa heute die Aufforderung einen anderen Beruf zu whlen, sondern der Mensch w ar in seinem W esen verneint. Also bedeutete jene Unmglichkeit, die Platon in dem Schicksal des Sokrates bildhaft sah, entweder die Vernichtung des Lebens oder die Forderung, es auf einer ganz anderen Ebene neu zu grnden. Das aber hie da die Zeit noch lange nicht gekommen war, die den Einzelnen ohne das vermittelnde Glied seiner Gemeinschaft in das All hinein- stellte Neugrndung des Menschen und zugleich seines Staates. Und hatte nicht eben Sokrates gezeigt, wie man das anfangen msse? Nicht mehr an Institutionen galt es zu flicken, die Substanz mute erneuert werden. Ohne da der Mensch tugendhaft gemacht wrde, w ar an die Arete des Staates nicht zu denken. Indem Sokrates nach der Tugend fragen lehrte, hatte er das W erk der Erneuerung schon begonnen. Er hatte allein gewut, was notwendig ist, und w ar so der einzige wahrhaft politische Mensch gewesen (Gorgias 521 D). W enn durch seinen Mund Platon die Forderung erhob, die Philosophen mten Herrscher sein oder die Herrscher Philosophen, so war das nicht ein Exze des philosophischen Selbstbewutseins" (Burckhardt) *), sondern in ein Epigramm gedrngt die Einsicht, die gerade dem Politiker aus dem Erlebnis jener W eltstunde und des sokratischen Daseins in ihr aufstieg.W ir knnen doch zuletzt nicht anders als die eigentmliche Weise, in der Platon sein vergangenes Leben betrachtet, mit ihm teilen5). Gewi ist dieses W erden zu reich, als da eine noch so weite Formel es umschreiben knnte. Dennoch ist dafr,

  • da er das Wesentliche gltig gesehen hat, sein eigenes W erk beweisend. Der Staat und die Gesetze bertreffen schon an Umfang jede andere seiner Schriften um ein Vielfaches. Die Betrachtung seines literarischen Gesamtschaffens mu den Staat geradezu in dessen Zentrum setzen, und es liegt im Sachgehalt, wenn man die meisten der frheren Dialoge auf ihn geraden Weges fhren sieht. Sein Bau wiederum wird von jener berzeugung, da die wahren Herrscher und die wahren Philosophen eins seien, bis in das Innerste bestimmt, und gerade in seiner M itte kehrt das scharf gespitzte Epigramm des Siebenten Briefes von den Philosophen-Herrschem wieder. Schlielich erscheint Platons Leben erfllt von immer erneuten Versuchen, in dem Staat seiner Zeit trotz allem jene Paradoxie zu verwirklichen. W as aber bedeutet sie zuletzt? Auf diese .Frage antwortet eine kurze Besinnung ber das W esen des griechischen Staates.Der griechische Staat ist ursprnglich im Gttlichen gebunden. Bei Homer verleiht Zeus den Knigen Zepter und Frstenrecht. Hesiod macht die Themis zur Gemahlin des Zeus und gibt ihnen als Tchter neben den Moiren, den groen Schicksalswesen, die den sterblichen Menschen Gutes und bles schenken, die drei Horen, in deren Namen Eunomie, Dike, Eirene das Gesetz der menschlichen, der staatlichen Gemeinschaft ausgedrckt ist. Auch w er als Verbrecher oder Tyrann das Recht verletzte, erkannte seine Gttlichkeit an, wenn er das W ort Themis oder Dike aussprach. Als dann an die Stelle ursprnglicher unerschtterter Sicherheit das Fragen und Forschen tritt, grndet Heraklit metaphysisch den Staat in den Kosmos. Denn warum soll das Volk kmpfen fr sein Gesetz wie fr seine M auer? W eil die Ordnung des Staates ein Teil ist von der groen Ordnung der Welt. Genhrt werden ja alle die menschlichen Gesetze von einem einzigen, dem gttlichen. Herrscht es doch so weit, wie es will, und es reicht aus fr alle (und alles) und ist noch darber)".Da H eraklit damit kein willkrliches Gedankenspiel gespielt hat, darf man wohl glauben. Haben doch gerade jene frhesten Denker wie im W etteifer m iteinander Dike aus der menschlichen Gemeinschaft ins W eltall versetzt. Anaximander sieht in der Vernichtung alles Gewordenen die Strafe und Bue ((

  • ), welche die Dinge einander zahlen fr die Ungerechtigkeit () ihres W erdens. Der Dike vertraut Parmenides die Schlssel zu dem Tore, durch das die Pfade von Tag und Nacht gehen, und die Fesseln, in denen das eine Sein unbeweglich und unvernderlich gebunden liegt. Ausdruck kosmischer Notwendigkeit um es dem heutigen Denken anzunhern ist Dike auch fr Heraklit. Sie sorgt durch ihre Schergen, die Erinnyen" ('Eptvues * ), da Helios seine Mae nicht berschreite. Und wenn wiederum Heraklit die Gegenmchte Recht und Streit" in eins setzt, dann scheint durch das mythische Kleid kaum verhllt seine Urvision von dem W eltgesetz der gegengespannten Harmonie" hindurch. So w eitet sich hier die Rechtsordnung des Staates ins All und gewinnt dort der Staat und sein Gesetz im Gedanken die Erhabenheit zurck, die ihm in einer langsam sich entgttern- den Wirklichkeit zu schwinden begann7).Denn so fest waren jene Bindungen nicht, da nicht wenige Menschenalter raschester Bewegung gengt htten sie aufzulsen. Die Sonderung des Ich aus der Gemeinschaft hatte sowohl im Gedanken wie im Leben immer zugenommen. Die weite Umschau ber viele Vlker und ihre verschiedenen Sitten hatte die eigenen Satzungen den anderen vergleichbar gemacht und mit der berzeugung von ihrer Einzigartigkeit den Glauben an ihre Notwendigkeit erschttert. Die groen Einzelschicksale des tragischen Zeitalters hatten die Gerechtigkeit, die bis dahin im Staat und im Gttlichen fest gegrndet war, zur Frage werden lassen. Jetzt lehrten die Doppelreden des Sophisten, gerecht und ungerecht sei dasselbe; was einmal gerecht, sei das andere Mal ungerecht; das Ungerechte knne so gut sein wie das Gerechte, ja besser als das Gerechte. Kritias ersann hnlich wie Demokrit, Epikur und die Aufklrer der neueren Zeit eine Geschichte der menschlichen Zivilisation, in der kluge Einzelmenschen den tierischen Urzustand durch Gesetze berwanden, damit das Recht Tyrann sei und die Gewalt zur Sklavin habe. Und ebenso menschlich oder allzumenschlich wurde fr Antiphon der Nomos zu dem, was man setzt, was man bt, worber man sich einigt; und was bei Heraklit ein Teil der groen W eltordnung gewesen war, das tritt nun der Physis gegenber als ein ganz Anderes, ja oft

  • mals entgegen als eine feindliche Madit: In den meisten Fllen ist das, was nach der Satzung gerecht ist, der Natur feindlich, und Was von den Satzungen als ntzlich hingestellt wird, das sind Fesseln der N atur 8). Pindar ehrt den Nomos als den Knig der Gtter und Menschen, der Sophist Hippias (bei Platon) hat ihn als einen Tyrannen, der vieles wider die N atur erzwingt".Wo noch etwas von dem alten Gefge vorhanden war, das W elt und Staat in eins band, da w ar es undicht geworden. Von den feindlichen Brdern, die Euripides in den Phnizierinnen*) zum Redekampf wie spter zum Schwertkampf einander gegenberstellt, umkleidet der eine seine Gewalt mit dem Namen des Rechtes, das ihm keine Gottheit mehr ist. Der andere bekennt sich offen zu der Gttinnen grter, der Tyrannei". Kein W under, da es der M utter nicht gelingt den Bruderzwist zu beschwren, da sie nur die Gttin Gleichheit zur Hilfe aufzubieten wei. Isotes hat dem Menschen Ma und Gewicht geordnet. Unter ihrem Gesetz geschieht es, da der Nacht glanzloses Auge und der Sonne Licht den immer gleichen Kreis des Jahres geht. So herrscht sie auch, heit es, zwischen Menschen und Staaten, die mit den Freunden stets den Freund und Staat mit Staat und Kampfgeno mit Kampfgeno zusammen bindet". Aber wo man die Gttlichkeit der Dike vergit, mu Isotes sich als ein W ortgespenst erweisen, das keine Gewalt mehr ber die Seelen hat. Das heilige Band ist ge- lodcert, zerrissen, die W illkr entbunden, der tyrannische M ann lst sich aus den Banden der Dike.In Sokrates fand Dike ihren Verfechter. Nach der Entschwundenen w ieder forschen zu lehren, vor diese Aufgabe stellte ihn die W eltstunde, in die er hineingeboren war. Und nur darum hat er die induktive Methode und die Definition erfunden" oder die Wissenschaft begrndet wenn er und soweit er das getan h a t!10) weil er im Logos, in dem unendlichen Zwiegesprch, nach dem, wovon denn eigentlich die Rede sei, nach dem Was ist?, nach der Gerechtigkeit, den Tugenden, der einen Tugend fragte und forschte. Er sucht sie; denn wie sie in Stadt und Staat der Vter geherrscht hat, so mu sie, wenn auch noch so verborgen, immer wieder zu finden sein. Ja er stirbt unter ihrem Gebot nach dem Befehl dieses Staates, der

  • noch in seinem Verfall von ihrer Herrschaft zeugt: also muB sie sein.Platon begegnet dem Sokrates. Er findet den eigenen noch sehr unbestimmten Willen, sich sogleich dem gemeinen W esen zu widmen, durch jenes Fragen in eine besondere Richtung geleitet. Fr mich gibt es nichts Dringlicheres als so tchtig wie Irgend mglich zu werden. Und dazu, glaube ich, kann niemand mir entscheidender die Hand reichen als du. So spricht im Symposion Alkibiades zu Sokrates, und so hat Platon ihm gegenber gesagt oder empfunden. Und von Sokrates hat er die W orte vernommen oder zu vernehmen gemeint, die er ihn in einem anderen Dialoge zu dem jungen Alkibiades sprechen lt: Alle deine Plne knnen ohne mich ihre Vollendung nicht finden; denn soviel vermag ich ber deine Dinge und ber dich. So ergreift ihn Leben und Tod des M eisters als sein eigenes Schicksal.Platon besa, was dem Sokrates, ohne da er dessen bedrftig war, fehlte: das bildnerische Auge des Hellenen, ein Auge, verwandt jenem, mit dem Polyklet in den Lufern und Speerwerfern der Palstra den Kanon, Phidias in den zeushaften Menschen ( ) das Zeusbild Homers erschaut hat; verwandt auch dem, das der griechische M athematiker auf die reinen geometrischen Formen richtet. Es mchte scheinen, als ob Platon dieser Gabe, die unter allen Denkern ihm am meisten zu Teil geworden ist, sich selbst bewut war. Oder ist es ein Zufall, da man bei ihm zuerst die M etapher Auge der Seele" antrifft11)?Vor ihm hat wohl ein Dichter wie Aischylos einmal khn von einem Verstand gesprochen, welcher Augen hat ( - ), wie umgekehrt Pindar von einem blinden Herzen ( ). Sodann trifft man bei den Dichterphilosophen Parmenides, Empedokles, Epicharm auf die Forderung, da man mit dem Geiste sehen msse, wo denn in einer halb dichterischen, halb erkenntniskritischen Wendung der Gegensatz zum leiblichen Sehen gemeint oder ausgedrckt ist. In der Sophistik klingt das nach, wenn Gorgias von den Erforschern des Droben () spricht, die das Unglaubliche und nicht Offenbare den Augen der Einbildung (toTs ) deutlich erscheinen lassen", und nicht viel anders setzt noch der sophis

  • tische Verfasser einer hippokratischen Schrift beim Arzte dem Gesicht der Augen das Gesicht des Geistes gegenber ( $ ? ?)1*). Dies ist alles sehr griechisch, wenn auch untereinander mannigfach verschieden. Aber es ist noch weit von der Leiblichkeit und systematischen Bedeutung des platonischen Bildes.Zwar scheint von den letzten Beispielen nicht weit abzustehen der Satz des Symposion (219 A), das Gesicht der Denkkraft ( $ ; 64ns) beginne scharf zu blicken, wenn das der Augen seine Sehschrfe zu verlieren sich anschicke. Doch Platon geht viel weiter. Hatte er schon in einem schnen Gleichnis des Groen Alkibiades den Erkenntnisproze im Sehen des Menschenauges abgebildet, so schpft dann das Hhlengleichnis des Staates aus diesem Parallelismus seine besten K rfte13). Und da ist es kein Zufall, wenn in einer Errterung, die besonders deutlich das Seelische und das Leibliche, das Werkzeug in der Seele, mit dem ein jeder lern t, und das Auge des Leibes vergleichend nebeneinander stellt (518 C) wenn dort von den Bleigewichten der Sinnlichkeit gesprochen wird, die das Gesicht der Seele ( ; fivytv) abwrts kehren, da es sich nicht herumwenden kann zu dem W ahren (519 B). Spter heit es von den mathematischen Wissenschaften und der Astronomie, da durch sie in jedem ein W erkzeug der Seele ( ) gereinigt und belebt werde, das zugrunde gehe und erblinde unter den anderen Beschftigungen, da es doch wichtiger sei dies zu erhalten als zehntausend Augen: denn durch dies allein wird die W ahrheit gesehen (527 DE). Und von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis jenes Organ geradezu Auge der Seele genannt wird (533 D): das sei vergraben in Schlamm, und allmhlich ziehe und fhre die dialektische Methode es empor zu dem hchsten Intelligiblen, welches gerade hier wieder dem erhabensten Schaubild der sichtbaren W elt geglichen worden war (532 B). So steht lange vorbereitet und mit dem letzten Ziel dieses wichtigsten Zusammenhanges, der Lichtmetaphysik und der Ideenschau, innig verbunden endlich das Bild fertig da: die Seele, gedeutet nach dem M uster des Leibes, hat Augen zu sehen wie er, nur da diese Augen auf die ewigen Formen gerichtet sind.

  • Platon ist ein Dichter, der sich ohne Absicht in seinen Bildern nicht leicht wiederholt. Der Seelenmythos des Phaidros spricht von dem Rossegespann und seinem W agenlenker, von dem Gefieder der Seele, und man erkennt, warum das Auge nicht ganz hineinpassen wrde in diesen Bildzusammenhang. Aber man wird doch versucht an das Bild des Staates zu denken, wenn wieder und immer wieder Ausdrcke aus dem Bereich des Sehens begegnen. Die unsterblichen Seelen schauen das was auerhalb des Himmels ist. Die Denkkraft () des Gottes sieht bei der Himmelfahrt die Gerechtigkeit selbst, sieht das Ma, sieht die Erkenntnis, und nachdem sie so das wahrhaft Seiende geschaut und sich daran genhrt hat, kehrt sie nach Hause zurck. Von den Menschenseelen kann die beste eben mit dem Kopfe des Lenkers hinaufreichen in den ueren Raum und mit Mhe das Seiende sehen. Aber zur N atur der Menschenseele gehrt es, da sie die W esenheiten zu Gesicht bekommen hat, und wenn der Mensch aus vielen W ahrnehmungen die eine Form" im Denken zusammenfat, so geschieht es aus einem Erinnern an das, was die Seele gesehen hat in der Gefolgschaft des Gottes. Da knnte man oft das W ort vom Auge der Seele einsetzen. Fast wie die Lsung eines Rtsels drngt es sich auf im Symposion, dort wo Diotima dem Sokrates zeigt, was er am Ende seines Stufenweges erfahren werde. Rein, unvermischt, ungetrbt von aller sterblichen Nichtigkeit, eingestaltig () wird ihm dort das Gttlich-Schne sichtbar. Er erblickt es mit dem, womit es sich erblicken lt ( 212 A) man ergnzt leicht: mit dem Auge der Seele. Und ein letztes Mal klingt dasselbe Bild im Sophistes (254 A) nach, derart, da man den Bildzusammenhang, in dem es entstanden war, noch von fern zu gewahren meint: der Philosoph verweile bei dem Urbild des Seienden, und er sei wegen des Glanzes an diesem Ort nicht leicht zu erblicken, weil bei den meisten die Augen der Seele unkrftig seien, den Blick auf das Gttliche zu richten. Aristoteles nennt ein einziges Mal in der Ethik das Denken () Auge der Seele, und so fremdartig steht inmitten Aristotelischer Sachlichkeit dieses Bild, da man die Beziehung auf Platon nicht verkennen k an n 14). Noch in Platons Lebenszeit mag eins oder das andere jener Geschichtchen zurckgehen, in denen die Kyniker sich

  • lustig machen ber das Auge, mit dem er die Pferdheit", oder den Geist, mit dem er die Tischheit zu Gesicht bekomme. Dann spottet Epikur oder einer seiner Schler, gegen die Platonische Kosmologie kmpfend, ber die Augen des Geistes, mit denen Platon die W erkstatt der W elt angeschaut habe15). So frh, scheint es, hatte sich die unvermeidliche Rederei jenes hohen Bildes bemchtigt. In spterer Zeit findet man es meist bei sehr entschiedenen Platonikern, Philon, Plotin, Proklos, Augustinus, oder es wird sonst irgendwie deutlich, da die Blume aus Platons Garten gepflckt ist.Es ist allerdings kein Zufall, da Platon zuerst, soviel wir wissen, von dem Auge der Seele gesprochen hat, da er es gerade dann tut, wenn er die letzten Ziele seines Philosophie- rens in den Blick nimmt, und da, auch wo er das W ort nicht verwendet, seine Bilder- undM ythensprache demselben Bereich angehrt. Durch wen er den W eg gefunden hat, spricht er aus, indem er in seinen Dialogen einzig den Sokrates zum Fhrer bestellt nach diesem Ziele hin. Audi der Mensch im Hhlengleichnis des Staates, dem die Lsung aus den Fesseln und der Aufstieg gelang, trgt Zge des Sokrates. Denn wenn jener wieder zu den Gefesselten tritt und sie lsen und hinauffhren" will, so wrden sie ihn tten, vermchten sie ihn nur in die Hnde zu bekommen. Platon konnte nicht deutlicher sagen, w er ihn selbst umgewendet und hinaufgefhrt hat dorthin, wo er zuerst der wirklichen Dinge wirkliche Schatten, dann ihre Spiegelbilder, dann sie selbst und die Sonne zu sehen lernte. Also durch Sokrates und gleichsam in ihm hat er mit dem Auge der Seele das Gerechte selbst erschaut oder lieber noch das Gerecht und ebenso das Tapfer, das Mavoll, das W eise, berhaupt die Tugenden und die Tugend". Alle Menschen redeten zwar von ihr, ob sie lehrbar sei oder nicht, und jeder meinte etwas anderes mit dem verschlissenen Namen, am liebsten das was ihm beliebte. Sokrates aber ist der Einzige, der sie nicht nur mit W orten sucht obwohl er gerade dies viel ernster und unablssiger betreibt als die ndern , sondern der durch sein Leben und seinen Tod ihren Bestand verbrgt, und in dessen W esen Platons Seelenauge" unmittelbar jener Formen Bilder Gestalten ansichtig wird.

  • Denn was heit Eidos und Id ea17)? Etwas zu dem das Sehen den Zugang erffnet. Mag sein, da Idea ursprnglich mehr die Sicht ist, wo A ktivitt des Sehens und das was dem Auge sichtbar wird sich vereinen, Eidos mehr das Sichtbare und das Gesehene, Bild Form Gestalt als Gegenstand des Sehens. Jedenfalls sind beide W orte nahezu auswechselbar geworden. Nun pflegt man zu meinen, ihr Sinn habe sich mit der Zeit mehr oder minder abgeschliffen. Treffender wrde man vielleicht statt dessen sagen, er habe die Richtung vom ueren Augenschein zur inneren Form und Struktur genommen. Herodot sagt Blttern von solcher Form oder Art" ( ) und meint die tzende W irkung des Saftes, also etwas gar nicht unmittelbar Sichtbares, oder er lt jemanden in doppelter Form denken" ( ?). Ionische rzte leugnen gegen die Physiker, da es ein an sich Warmes oder Kaltes oder Trockenes oder Nasses gebe, welches mit keiner anderen Seinsform Gemeinschaft habe" ( , . . !. 1605 L), oder sie reden von den vier Formen des Feuchten" ( tow ypo, ; VII 474, V II542), Schleim, Galle, Wasser, Blut, oder von dem sen Saft" ( ?), der sich in eine andere Form" wandelt ( , . . .1635), oder von den vielen Formen der Krankheiten" ( , . . . VI 36), denen die Vielheit der Heilkunst entspreche, oder von den Arten (wie wir sagen) der Verbnde, des Fiebers, der Heilmittel. Gewi liegt darin oft etwas Klassifizierendes, aber hier ist es eben der Formgedanke, der die Klassifizierung beherrscht (wie anderwrts der Gedanke des Stammes , oder die Wendung und W eise ). Und dieselben Verfasser sprechen von der knolligen Form ( ) eines Schenkelknochens oder davon, da die Nieren die Form* des Herzens haben, oder wieder etwas innerlicher von der Natur des Menschen, A lter und Form ( V II52), auf die der Arzt achtgeben msse. Aristophanes bringt stets neu Geformtes auf die Bhne ( ? ). und sein Chor singt eine andere Hym nengestalt ( ). Thukydides soll, wie seine Erklrer ihn auffassen, das W ort fast immer abgeschwcht etwa fr Art und Weise* gebrauchen18). Nun wrden freilich wir sagen: viele Arten des

    F r i e d l a n d e r , Platon 2

  • Krieges, jede Todesart*, jede A rt von Fludit und Untergang. Aber was zwingt uns zu glauben, da dort, wo uns die scharfe Prgung fehlt, sie auch den Griechen gefehlt haben msse? Von dem Bilde der Krankheit reden ja auch wir ( Tfjs , Totorov fjv ), und gewi konnte ein sehr viel sinnlicheres Sprachgefhl als das unsere oft zu etwas Augenhaft-Anschaulichem Vordringen, wo wir die sichtbare G estalt durch ein mattes Allgemeinwort oder durch -heit und -keit bersetzen".Platon teilt ganz den gewhnlichen Gebrauch der W orte Eidos und Idea, und auch bei ihm darf man nicht allgemeiner und formloser sehen, was im Griechischen schrfer geprgt ist. Gewi knnte er sagen, da aus den zusammenpassenden Lauten die Silbe als eine Einheit entsteht. Er sagt aber: als eine einheitliche Form, ein einheitliches Gebilde ( Theaitet 204 ), etwas was man ins Auge fat. Nicht ob die Seele eine Zweiheit oder Dreiheit ist, fragt Platon, auch nicht ob sie zwei oder drei Teile hat, sondern ob zwei oder drei Formen, die in sich geschlossene, gleichsam mit dem Blick abzutastende Selbstndigkeit jeder einzelnen meinend. W enn er nun zuletzt jenes wahrhaft Gerechte", jenes seiend Schne", jenes Gute selbst zuweilen auch Eidos oder Idea nennt, so werden wir uns hten, das schon terminologisch verhrtete Fremdwort Idee dafr einzusetzen. W ir werden uns auch hten von Ideenlehre zu sprechen, es sei denn bei dem alten Platon, bei dem man wohl dieses verfestigte Denkschema schon einmal antrifft (Tfj !
  • drucks die unsichtbaren ewigen W esenheiten, weil eben dieses W ort vor allen anderen seiner Sprache auszudrcken schien, da das seiend Gerechte", das Tapfere selbst" ihm ein Etwas war, welches er mit dem Auge der Seele zu schauen vermochte.Sokrates sei, so sagt man seit Aristoteles, der Entdecker des Begriffes und der Definition, und Platon habe aus dem Begriff die Idee gemacht1). W ie sieht das Lebendige aus, welches hier auf die Flche der begriffsgeschichtlichen Abstraktion projiziert wird? Freilich fragte Sokrates unermdlich: was ist die Gerechtigkeit, was ist das Gute, auch was ist die Polis oder der Polites oder die Demokratie, was ist dieTechne oder die Sophia oder berhaupt das, von dem ihr jeweils redet? Unermdliche Arbeit des Logos wandte er im Gesprch an diese immer sich erneuernden Fragen. Aber nicht Begriffsbestimmung war seine letzte Absicht, wie er ja der Sache nach niemals bei einer Definition, wenn sie erreicht war, stehenbleiben konnte. Hinter jeder einzelnen Frage und hinter allen insgesamt stand die letzte: wie der Mensch leben msse im Dienste des Staates, der den tugendhaften Mann will, und des Gottes, der den guten Mann in der geordneten Polis will. Weil er selbst dieser Mann war, darum wute Sokrates, da es eine Antwort gab, und durch dieses Wissen w ar die Form seines Dialoges bestimmt. Er wandte durch seine Fragen die ndern dorthin, wo die Antwort sein mute. Er fragte: was ist . . . ? Also ein Seiendes mute es sein. Aber nur Platons Auge sah, und in dem Eidos fand er, was Sokrates suchen lehrte und was Sokrates lebte.Es geschieht nicht um einer biographischen Neugier willen, die hier noch weniger am Platz wre als irgendwo sonst, wenn wir ahnend erfassen wollen, wie Platon die Idee" empfing. Es wird auch deutlich geworden sein, da wir damit nicht etwas geschichtlich oder biographisch vielleicht Wichtiges, aber philosophisch letzten Endes Belangloses verhandeln. Die Idee hat eine ber zweitausendjhrige Geschichte, und kein W ort der philosophischen Sprache ist strker beschwert durch die Denkarbeit der Jahrhunderte. Das platonische Eidos allein ist nicht Philosophie aus Philosophie, wie seit Platon und wesentlich durch ihn jede Ideenforschung. Gerade darum ist es notwendig, den Begriff gleichsam in seiner Unschuld wieder sichtbar zu

  • machen. Freilich, eine geschichtliche berlieferung von Platons Urerlebnis kann es nicht geben. Statt dessen gilt es, sich nicht beirren zu lassen durch die auch jetzt noch nicht ganz aufgegebene Meinung: das Anschauliche, sthetische, Intuitive an der Idee das man schwer ganz verkennen konnte sei ein vielleicht verzeihliches, jedenfalls echt griechisches Herabgleiten, aber doch ein Herabgleiten von der Reinheit des Begriffes, ein intellektueller Sndenfall; vielmehr die Namen, mit denen Platon seine Erfahrung bezeichnet, ganz einfach und sinnlich zu ergreifen und mit seinen M ythen und Bildern zusammenzusehen. Gerade jenes Ursprungs wegen drfen wir nicht von vornherein begrifflich umschreiben, was die Idee sei", wie sie denn fr Platon zwar des Begreifens mehr als alles andere wert, doch in Begriffen nie vllig aussagbar is t ). W ir hten uns auch ber die A rt der Intuition irgend etwas festzulegen und wollen ausdrcklich davor warnen, sie sich als einen ekstatischen Akt im heut gewhnlichen Sinne des Wortes auszumalen. Nur der Versuch wird hier gemacht, den Punkt zu fixieren, wo Platon bei der Suche nach dem wahren Staat auf jenen Bereich traf, den zu bezeichnen ihm die W orte Eidos und Idea dienten. Dann aber mu von diesem Punkte aus das Ganze durchdrungen werden.W er mit dem Auge der Seele die ewigen Gestalten sah, so gewi, nein unvergleichlich gewisser als mit dem leiblichen Auge die irdischen, fr den hatten die Doppelreden der Sophisten jeden Sinn verloren. Da gut und schlecht eines sei; da ein und dasselbe fr diesen gut und fr jenen schlecht sei und fr denselben Menschen bald gut und bald schlecht; und da es ebenso stehe mit Schn und Hlich, Gerecht und Ungerecht, W ahr und Falsch: dies alles erwies sich als ein Spiel mit leeren W orten fr den, der das Schn und das Gerecht und das W ahr erblickt hatte. Man konnte dann nicht mehr fragen, ob es Gerechtigkeit gebe, oder ob das ein W ort sei ntzlich im Wettkampf, aber haltlos in sich. Man konnte dann auch nicht zweifeln, ob dieses Gerechte lehrbar sei oder nicht. W enn das Gerechte war, ein Eidos war, so wurde man gerecht, wenn man es anschaute. Oder hltst du es sagt der Sokra- des des Staates (V I500 C) fr irgend mglich, da man das nicht nachahme, bei dem man bewundernd verweilt? (

  • tis ? ;) Der Philosoph also, der bei dem Gttlichen und Geordneten verweilt, wird geordnet und gttlich nach Menschenmglichkeit. W ar aber dieses gltig, dann gab es nur die einzige Aufgabe: den ndern die Augen fr das zu ffnen, was man selbst sah. Und nicht nur um die Erziehung des Einzelnen ging es dabei. Zersetzte sich der Staat, weil Themis und Dike nicht mehr an seinem Herde geehrt wurden, so mute er um das Eidos der Gerechtigkeit, mute berhaupt um das Eidos, zuletzt und zuhchst um das Urbild des Guten" als ordnende bindende gttliche M itte neu gegrndet werden. Dieses und nichts anderes meint Platons Epigramm, da kein Ende des Unheils abzusehen sei, ehe nicht die Philosophen herrschten oder die Herrscher in echter W eise die W ahrheit suchten. Es ist nur ein anderer Ausdruck jenes systematischen Zusammenhanges, der fr ihn nicht aus Konstruktion sondern aus erlebter Notwendigkeit alle Zeit zwischen Eidos und Polis bestanden hat.Aber freilich: wie konnten die ndern sehend fr das gemacht werden, was nur Platons inneres Auge sah, was (nach Schopenhauer) nur dem Genius erreichbar, daher nicht schlechthin sondern nur bedingt mitteilbar" is t21)? W ie war berhaupt sicherzustellen, da es sich um Erkenntnis und Wissen, ja um die eigentliche Erkenntnis und das hchste W issen handle? In der Tat: Sagbar ist es auf keine W eise wie andere Gegenstnde der Lehre, so heit es in eben jenem Siebenten Briefe (341 C), und Platon hat ja niemals anders als in Andeutungen von den ewigen Formen sprechen knnen oder wollen. Aber er wute, da bloe Meinungen davonlaufen aus der Seele des Menschen, so da sie nicht viel wert sind, bis jemand sie bindet durch begriffliche Errterung ihres W esensgrundes ($ Sv tis ; Menon 98 ). Und wenn auch das, was er in den Blick bekommen hatte, von Meinung und Schein unnennbar w eit entfernt war, so bedurfte es doch der Sttzen des Wortes, um zu dauern fr ihn und die ndern. Solche Bindungen aufzusuchen, wurde darum der Inhalt alles seines Phi- losophierens. Und die Menschen durch lange Gemeinschaft* dahin zu fhren, da wie von einem berspringenden Funken ein Licht sich in der Seele entznde (Brief VII 341 C), das ist die Form alles seines Lehrens.

  • Eine Abschweifung wird erlaubt sein, um das Gesagte von ganz anderswo zu verdeutlichen22). Man kennt die Antwort, die am 14. Juli 1794 bei jener ersten Begegnung Goethe von Schiller empfing, als er ihm die Metamorphose der Pflanzen lebhaft vortrug und mit manchen charakteristischen Federstrichen eine symbolische Pflanze vor seinen Augen entstehen lie". Schiller schttelt den Kopf und sagt: Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee", und meint die Idee, wie sich versteht, in dem Kantischen Sinne als notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. Goethe stutzt, ist verdrielich. Ihm, dem intuitiven Geiste, wie Schiller ihn bald zu Beginn ihres Briefwechsels kennzeichnen wird, ist jener Unterschied, den der spekulative Geist zwischen Erfahrung und Idee setzt, unbegreiflich, ja zuwider. Das kann mir sehr lieb sein," ist seine Antwort, da ich Ideen habe, ohne es zu wissen, u n d s i e s o g a r m i t A u g e n s e h e . " Keine kantische, wohl aber eine platonische Idee im ursprnglichsten Sinne: das war Goethes Urpflanze. Goethe wute, da es ein Unterschied sei zwischen Sehen und Sehen, da die Geistesaugen mit den Augen des Leibes in stetem lebendigem Bunde zu wirken haben, weil man sonst in Gefahr kommt zu sehen und doch vorbeizusehen33)." Er sah mit Augen" mit dem Auge der Seele, htte Platon gesagt die Urpflanze in jener Fcherpalme des botanischen Gartens zu Padua, er hoffte sie unter den Gewchsen der ffentlichen Anlagen in Palermo zu entdecken", und wenn er nach seinen eigenen W orten in Sizilien die ursprngliche Identitt aller Pflanzenteile vollkommen einsah und diese nunmehr berall zu verfolgen und wieder gewahr zu werden suchte", so ist, was er hier Einsicht nennt, zuletzt jenes anschauende Erfassen und alles andere der V ersuch, das Gesehene durch die Kraft des Logos immer von neuem sichtbar zu machen.Wenn w ir hier zu Platon zurckkehrend von jenen Bindungen sprechen, durch die er seiner Anschauung Bestand und M itteilbarkeit verlieh, so sei von vornherein die Meinung abgewehrt, als wollten oder knnten wir ein allmhliches W erden irgendwie nachzeichnen. Nur um die Struktur sichtbar zu machen, mu eine scheinbar genetische Darstellung angewandt werden,

  • nicht unhnlich vielleicht wie er selbst im Timaios den Mythos von der Weltschpfung erzhlt und doch davor warnt, ihr Nacheinander wrtlich zu nehmen. Platon konnte lngst der frheren Philosopheme kundig sein, und da die berlieferung ihn zum Freunde des Herakliteers Kratylos macht, so hat er wohl mindestens von diesem Gedankenbezirk eine Kenntnis gehabt23). Fest steht nur das hchst Wichtige und fast immer Verkannte, da nicht aus frheren Systemen ihm seine Philosophie erwuchs. Erst als ihm die Augen fr das Eidos aufsprangen, wandten sich alle Krfte seines Daseins mit ihrer ungeheuren Spannung in diese eine Richtung. Erst jetzt wurde Platon in einem ganz neuen Sinne Philosoph. Und zu suchen ist weit mehr das Gesetz, nach dem die Stoffe um jenen Einheitspunkt kristallisierten, als die geschichtliche Ordnung, in der dies alles geschah.Wenn Platon seine Intuition fr sich und andere festhalten wollte, so mute er sich des Baustoffes seiner Sprache bedienen. Das Gerechte oder das Schne, das er mit dem Auge der Seele schaute, trug fr ihn das Siegel des allein Wirklichen W ollte er also das Schne" vor der Verwechselung mit einem schnen Mdchen bew ahren und das w ar zuweilen ntig, wie der Groe Hippias (287 E) zeigt so konnte er hinzusetzen: das Schne selbst" ( ). Daneben bot sich ihm ein W ort, das als neugeprgte Mnze der Sophistenzeit hin und her gegeben wurde: aus Euripides und Aristophanes kennt man jenes seiend, in seiender W eise (?, ), das den Gegensatz zu dem nur Scheinbaren, nicht Wirklichen aus- drcken soll4). So hat Platon von dem seiend Guten" und Schnen gesprochen, er hat auch dieses Adverbium zu einem kleinen Satz ausgeweitet: die Erkenntnis des Gleichen selbst, (nmlich dessen) was es (Wirklich) 5 ( fcrnv Phaidon 75 ), und hat diesem kleinen Satz einen ersten leicht terminologischen Klang gegeben: alles das, dem wir so ein ,was es (wirklich) ist' aufprgen ( ols Itrri Phaidon 75 D).15)Jene Ausdrcke, die Platon aus dem Sprachstoff seiner Zeit aufgriff oder weiterbildete, waren hchst folgenreich. Denn mit ihnen tra t er in eine Seinsforschung ein, die ber Gorgias, Melissos, Zenon auf den groen Parmenides selbst, den Ent-

  • decker des einen ewigen unvernderlichen Seins, zurckging. Anfangs brauchte Platon um diesen geschichtlichen Zusammenhang gar nicht zu wissen und wute um ihn vielleicht so wenig, wie heute ein Mensch wei, da er hegelisch redet, wenn er an und fr sich, oder lutherisch-paulinisch, wenn er alles in allem, oder comtisch, wenn er I am positive sagt. Aber es w ar doch nicht zufllig, da er hier die Richtung auf jene ursprnglichste und mchtigste Seinsforschung nahm.Die herrschende Philosophiegeschichte tuscht einigermaen darber, wer Sokrates wirklich war. Sie lt ihn wohl mit Cicero die Philosophie vom Himmel auf die Erde herabholen und macht damit die Entfernung zwischen ihm und den frheren Denkern sehr weit. Aber sie kennt nicht die Frage, ob man ohne Platon, der die Kraft und Richtung des prfenden und erziehenden Sokrates mit den Spekulationen jener frheren verband, berhaupt die Mglichkeit htte, den Elenktiker mit den Physikern in eine und dieselbe Philosophiegeschichte hineinzustellen. Und doch besteht auch hier ein geheimer Zusammenhang. Sokrates wirkte inmitten der Sophisten, fr die groe Menge von ihnen nicht unterscheidbar, fr Aristophanes geradezu ihr Reprsentant, und doch in einem abgrndigen Gegensatz zu ihnen, den zu sehen man freilich mit Platons scharfem Auge begabt sein mute. Die Sophistik aber bewahrte, wenn sie ihre Taschenspielereien mit dem Sein und dem Nichtsein trieb, noch immer Parmenideische Denkformen, mochten sie auch zum W ortskelett ausgedrrt sein. Nun war durch den Gegensatz zu den Sophisten zwar gewi nicht das W esen des Sokrates, wohl aber die A rt seines Fragens bestimmt. Und wenn er fragte: Was i s t die Gerechtigkeit? und des einen wenigstens sicher war, da die Gerechtigkeit i s t oder e t w a s i s t , so brauchte er nicht zu wissen, da ihm noch, der so ganz anderes wollte und war, die Form des Suchens durch den groen alten Denker im geheimen vorgezeichnet wurde.So nahm Platon schon mit der Frage des Sokrates, dann vor allem mit jedem Versuch, die neu geschauten W esenheiten zu benennen und abzugrenzen gegen das, womit sie nicht verwechselt werden durften, gelufige Sprach- und Denkformen auf, die zuletzt ihren Stammbaum auf Parmenides zurck- fhrten. Aber bei diesen meist flau gewordenen Formen knnte

  • am wenigsten Platon sich beruhigen und gar fr seine hchsten Erfahrungen. Durch alle abgeleitete Spekulation hindurch griff er auf ihren Ursprung zurck. Er nahm nicht wie das vielleicht Aristoteles spter an ihm selber oder Kant an den englischen Empiristen getan hat als philosophischer Denker Restprobleme auf, die ein Vorgnger liegengelassen hatte. Sondern die Seinslehre des Parmenides gab ihm die Mittel, seine Intuition mit dauernden Gedanken und W orten zu befestigen. Zwar stand an der Stelle des einen ganzen einfachen unerschtterten kugelfrmigen Seins, das die anschauliche Phantasie dieses ersten Ontologen, dieses eckigen ungeschickten und doch groen Dichters, auch mit dem Geiste erblickt hatte, bei Platon die Flle der Gesichte, die mit jedem neuen Hinsehen sich mehrte und weitete, und so sehr sie nach Einheit verlangte, doch niemals jene eindhafte Starre wieder erreichen konnte. Aber trotz dieses unvermeidlichen Gegensatzes sehen wir erstaunliches Ubereinstimmen bis in den W ortlaut. Es sind eben jene Prdikate des parmenideischen Seins ganz, einfach, unerschttert die Platon auf seine Urbilder bertrg t ). Und wenn Zenon die alleinige Existenz des parmenideischen Seins aus den Widersprchen der Vielheit neu deduziert hatte, so weist Platon den W idersinn auf, der sich ergibt, wenn man das Gerechte Schne Fromme in der Mehrzahl denkt, statt in der Einmaligkeit des ideellen Seins ). Aber weit mehr als das. Der ganze Aufbau seiner Seinswelt und der ihren Stufen entsprechenden Erkenntnisformen, wie er am deutlichsten im Staat (476 E ff) gezeigt wird, ist streng par- menideisch. Bei beiden Denkern steht dem Seienden das absolute Nichtsein diametral gegenber. Fr beide ist das Nichtsein unerkennbar. Wie knnte ein Nichtseiendes erkannt werden? fragt Glaukon im Staat. Das Nichtseiende kannst du weder erkennen noch nennen, belehrt die Gttin den Parmenides1). Das auf vollkommene W eise Seiende ( v) hingegen ist bei Platon auf vollkommene W eise erkennbar ( ), wie es bei Parmenides ganz eigentlich nur einen einzigen W eg der Forschung gibt, den nmlich, der auf das reine Sein hinfhrt und die Wesensbestimmungen dieses Seins als Wegmale () trgt. Bei beiden liegt die W elt, in der wir uns bewegen, zwischen jenen Polen, sie ist Sein und Nichtsein

  • zugleich2*). Auf diese Zwischenwelt ist bei Platon die besondere Erkenntnisweise gerichtet, die er Doxa, (bloe) Meinung, nennnt. Bei Parmenides heit die Zwischenwelt ganz entsprechend die W elt nach der Doxa ( ), nur da sich bei ihm in diesem W orte trbe Meinung des Ich und trbe Erscheinung des Es untrennbar mischen. Denn hier berhren wir nun die Verschiedenheit der beiden so gleichartigen Strukturen. Fr Parmenides, der zuletzt nur das eine reine Sein als real anerkennt, ist Sein und Denken ein und dasselbe", gerade so wie ihm in jener Zwischenwelt der Doxa Seinsweise des Gegenstandes und Erfassungsweise des Erkennenden in eins zusammengeht30). Platon, der die ganze Flle der angeschauten Formen in seine Seinswelt hinein nimmt, und zu dessen grten Erfahrungen durch Sokrates der Mensch, die Seele gehrt, hat so einfach nicht mehr bauen knnen. Die Grundformen des Planes bernimmt er. Doch den Stufen der Gegenstnde setzt er die Stufen der Gegenstandserfassung in scharfem Sichentsprechen gegenber. Er hat dann noch weit ber Parmenides hinaus ein harmonisches System des Seins und des Erkennens konstruiert. Aber das gehrt zum Ausbau seiner Philosophie und mu hier beiseite bleiben, wo nur gezeigt werden soll, was er dem vorhandenen Denkstoff entnimmt, um die eigene Intuition begrifflich zu binden.Auch heute ist die Vorstellung nicht ausgestorben, die sich als Denkform wenigstens auf Aristoteles berufen kann: Platon habe zu dem parmenideischen Sein das herakliteische W erden gefgt und so sein System gebaut. Aber Addition ergibt niemals ein Lebendiges, und Platon hatte andere Sorgen, als sich einen Platz in der Problemgeschichte zu sichern. Er hatte das Eidos in den Blick bekommen und fand sich vor der Aufgabe, das Erschaute durch den Logos stndig sichtbar zu erhalten. Nun ist gewi, da das immer Seiende nur gegeben sein kann zugleich mit dem Gegensatz eines nicht in dieser W eise Seienden. So haben auch die indischen Denker die Welt, die dem einen ewigen Atman gegenber ist, mannigfach benannt, als Unbestndigkeit, Wechsel, Leiden, Nicht-Selbst. Platon brauchte nicht nach eigenen W orten zu tasten. Wenn er Namen fr das suchte, was wir (im Leben des Alltags gemeinhin) seiend nennen"1), so lie ihn auch hier Parmenides nicht

  • im Stich. Die Parmenideische Formel Sein sowohl wie Nichtsein" ( ) dient in jenem ontologischen System des Staates dazu, um zugleich unsere W erdewelt auf das wahrhafte Sein zu beziehen und ihren ewigen Abstand von ihm paradox festzuhalten. Aber Parmenides hatte das reine Sein auch abgeschieden von dem, was diese unsere unwirkliche W elt erfllt: W erden und Vergehen, Wachsen und Schwinden. Aus seinem Munde nimmt Platon diese W orte auf, weil sie seine eigene Sicht genau bezeichnen und er nicht unselbstndig genug ist, um originell sein zu w ollen ). In diesem Augenblick" sah er Heraklit und Parmenides einander gegenber. Dabei mochte der Schler des Kratylos zunchst bersehen, wie seine ganze Zeit es nicht mehr wute, da es bei Heraklit, wenn man nicht auf W erden und Wechsel, sondern auf das Gesetz des W erdens und die Dauer im Wechsel blickte, durchaus etwas dem Parmenides Homologes gab. Mit jener Kraft des Scheidens und Ordnens, durch die er auch Sokrates und die Sophisten (in historisch noch viel tieferer Berechtigung) trotz allem, was ihnen gemeinsam war, schied wie der Schpfer an der sixtinischen Decke Tag und Nacht, spannte er die hera- kliteische und die parmenideische Weitsicht auseinander und jochte beide doch wieder zusammen als Symbol des Gegenber von Seinswelt und W erdewelt, das die Entdeckung der ewigen Formen ihm aufgab.Aber es gab doch noch eine hhere Ansicht, in der diese Zweiheit sich wieder zur Einheit bog. Eines ist Alles. Zusammenstrebendes W idereinanderstrebendes, Zusammenklingendes W idereinanderklingendes, aus Allem Eines und aus Einem A lles: so Heraklit. Und Platon: Das eine Eidos und die vielen Einzeldinge fordern sich gegenseitig. Das Eidos gibt den Dingen Anteil am Sein, sie hingegen streben hin zu der Vollkommenheit des Eidos. Nur wenn das eine nicht ohne das andere ist, ist das All mit sich selbst zusammengebunden. War das nicht Herakliteismus, echterer sogar als jene verwsserte und sophistisch mibrauchte Lehre vom Flu aller Dinge?33) Platon hat diese Fgung des W ider-Spnnstigen" (iraAtvTovos 3
  • ndern" kristallisieren lassen. So paradox es klingt, es ist doch richtig, da der Dialog Parmenides die am strksten herakliteische unter Platons Schriften ist und der Philosoph Parmenides in diesem W erke ebensosehr Herakliteer* wie Eleat. Damit aber haben wir zugleich den Ort erreicht, wo die Krfte der beiden groen alten M eister sich fr Platon vereinten, so wie Anfang und Ende auf Kreises Umfang gemeinsam" ist. Das Eine Weise" des Heraklit, welches die Vielheit, ja die Allheit ausdrcklich in sich schliet, und das Eine Seiende" des Parmenides, welches Nichtsein und Vielheit ausschlieen will und doch nicht ausschlieen kann; denn sogar von dem Sein sprechen wir mit Namen" aus dieser W elt des Seins und Nichtseins", und das Sein ist in der W elt des Scheins prsent: diese beiden Sichten koinzidieren in Platons ideenhafter Welt, da in ihr berall durch das Nichtsein das Sein, durch die Vielheit die Einheit hindurchscheint, wie umgekehrt das Sein sich in das Nichtsein notwendig hineinbildet. Neben Parmenides und Heraklit war Pythagoras der dritte unter den groen alten Weisen, von dessen Ausstrahlung Platon noch gradwegs berhrt wurde in den pythagoreischen Kreisen Unteritaliens und wohl schon vorher in der Umgebung des Sokrates. Was hat Pythagoras, diese w eit in die Zeit w irkende Kraft'), die auf rtselhafte W eise immer neue Krfte an sich zog und durch sie hindurch ging, fr Platon bedeutet? Es ist kein Zufall, da das einzige Mal, wo in seinen Schriften Pythagoras selbst genannt wird, er als Fhrer der Erziehung" neben Homer erscheint (Staat X 600 A).Bedenken wir, da Platons strkste Erschtterungen in seiner bildsamsten Zeit aus der W irrnis des Staates entstanden, dem er zu gehren meinte, und aus der Haltlosigkeit der Menschen, die diesen Staat leiteten. So ging sein ganzes W ollen darauf, an Stelle der Unordnung Ordnung zu setzen. Da man nach dem Beispiel des Handwerkers und des Knstlers, der aus Teilen ein in die Reihe gestelltes und wohlgeordnetes Ding ( -) zusammenfgt, in Leib und Seele, Hauswesen und Staat Ordnung ( ) w irken msse, und da darin Vorzug und Vollkommenheit jedes Gefges bestehe, lehrt eindringlich Platon auf der Hhe des Gorgias-Dialoges (503 E 507 E f.), nachdem er die Vorkmpfer

  • der Redeknste, der Lust, der W illkr, mit einem Wort: der Unordnung besiegt hat. Nichts ist Platon ferner als jener Ausspruch Goethes, da er eher eine Ungerechtigkeit als eine Unordnung ertragen knne. Denn Ungerechtigkeit ist Unordnung. Wo Platon das verhate Ubergreifen in fremden W irkenskreis vermieden sieht, da ist Ma, Sophrosyne, Gerechtigkeit. Und wenn Handwerker und Knstler in vergnglichem Stoffe etwas W ohlgeordnetes" schaffen, um wie viel mehr mu diese Ordnung" dem unsichtbaren Vorbild eignen, auf das sie hin- blidcen bei ihrem Tun. So kann es nicht anders sein, als da Platon das Ideenreich, dieses Reich des Vollkommenen, als einen Bezirk sieht, in dem alles seine Ordnung hat und ewig in gleicher W eise sich verhlt, weder sich gegenseitig ein Unrecht tut noch Unrecht empfngt, alles wohl gefgt und nach Verhltnissen da ist" (Staat 500 C). Dann aber w ar der Kosmos der Zahlen, war Harmonie und Proportion in dem Bezirk der schwingenden Saiten und in dem greren des gestirnten Himmels Abbild eines vollkommenen Seins, wies ihn und zog empor zum berhimmlischen Ort. Darum sind es die Wissenschaften von dieser Ordnung, ist es vor allem ihre Einheit und ihr Bezug in dem pythagoreischen System, was ihn ergreift und ihm das, wovon er in dem Staat seiner Zeit nichts hatte finden knnen, in einer ganz anderen W elt aufzuweisen scheint. Kosmos ist das Gefge der W elt wie des Staates wie der Seele. Geometrie hlt Himmel und Erde zusammen. Es sagen die Weisen, lieber Kallikles, da den Himmel und die Erde und Gtter und Menschen die Gemeinschaft () Zusammenhalte und die Freundschaft und W ohlgefgtheit (;) und Ma () und Gerechtigkeit (?), und dieses Ganze nennen sie deswegen Ordnung ( ), lieber Gefhrte, nicht Unordnung und Zuchtlosigkeit. Du aber scheinst den Sinn nicht darauf zu lenken bei aller deiner Weisheit, sondern es entgeht dir, da die geometrische Gleichheit (die Proportion) unter Gttern wie unter Menschen Groes vermag. Du hingegen meinst, man msse rcksichtslos nach Macht streben ( ). Denn du kmmerst dich nicht um Geometrie (Gorgias 507 E f). Jetzt wird deutlich, was die Berhrung mit Pythagoras ihm gebracht hat. Sokrates schrnkte sich ein auf den Bezirk des Menschen und des Staates, und so Platon durch

  • seine H erkunit und durch das Vorbild des Lehrers. Aber whrend Sokrates von den Dingen droben ' ( ) nichts zu verstehen behauptete, war in Platons Seele etwas verwandt und zugewandt dem Kosmos, der den Menschen und den Staat gleichsam als die uerste homozentrische Kugel umgibt. Da Platon der Durchbruch ber den Staat hinaus in diesen Kosmos gelang, und da er hinwiederum Mensch und Staat als W esen kosmischen Ranges begriff: das w ar er dem groen italischen W eisen und der Kraft, die noch von ihm ausstrahlte, schuldig. Und er hat gewut, warum er die Betrachtung dieses W eltalls unter den Namen des Pythagoreers Timaios stellte, nachdem er von Sokrates den idealen Staat hatte grnden lassen.Noch eins gab es, was ihm die Pythagoreer unentbehrlich machen mute: der Ernst, den sie auf die menschliche Seele wandten. In die eigene Seele und ihren tiefen Sinn w ar H eraklit zurckgetaucht, ohne je ihre Grenzen zu erreichen. In anschaulichem M ythos sprachen ber ihr W esen und Schicksal die Pythagoreer und die um Orpheus". Ihre Kunde von der Seele hat Platon mit seiner strksten Teilnahme begleitet, und in seinem geschriebenen W erk ist so viel davon, da die Ansicht begreiflich wird, er sei zu allem anderen auch noch ein orphi- scher Theologe gewesen. Die Lehre von der Ewigkeit und Unvergnglichkeit der individuellen Seele, so heit es, sei mit der Ideenlehre schwer in Einklang zu bringen. Platon habe in W ahrheit jenen Glaubenssatz entlehnt von den Glaubenslehrern, die ihn fertig darboten3). Aber selbst wenn ein W iderspruch im System hier aufgewiesen wre, so ist es keine gute Art, ihn aus einer Vereinigung ursprnglich getrennter Lehren zu erklren. Und gar bei Platon! Der lauschte freilich berall hin, wo er verwandte Tne vernahm, aber er war der letzte, fremde Lehren wohl oder bel seinem Gefge einzupassen. Man ist sich viel zu wenig klar darber, da Platon unm ittelbar von den Schicksalen der Seele berhaupt nichts lehrt". Sokrates spricht in den M ythen davon, die ein Teil der platonischen Dramen sind. Und wenn er sich auf die M ysterienpriester und Theologen beruft, so ist allerdings die Richtung, aus der jene mythischen Bilder kamen, damit bezeichnet, keineswegs aber gesagt, was sie fr ihn selbst waren. Darf man darber schon hier etwas vermuten, so hatten sie tiefe symbolhafte Wirklich

  • keit oder w aren ihm verehrungswrdige Formen, Bilder, W orte fr das, was er in eigener Sprache nicht zu sagen vorzog. Aber es fhrt in die Irre, wenn man daraus eine platonische Physik oder Historie der Seele macht.W re Platon Parmenides gewesen, so wre gegenber der Macht, Unmittelbarkeit und gleichsam Konsistenz des Agathon, das er zu Gesicht bekommen hatte, alles andre verschwunden, und eine All-Eins-Lehre wre das Ergebnis gewesen. Aber Platon w ar des eigenen Menschseins viel zu gewi, hatte viel zu sehr in Sokrates den anderen Menschen erlebt, viel zu stark den Eros, der den Menschen zum Menschen hinfhrt und beide gemeinsam zur Idee, als da ihm das Parmenideische Ineins- setzen von Denken und Sein htte gengen knnen. Da sich die W elt streng fr ihn schied in den Bereich des niemals Seienden, immer W erdenden und Vergehenden, und in den des ewig Seienden, das der Trger alles W ertes wurde, da w ar die Frage: wohin gehrt der Mensch? Nicht aus einem theoretischen oder systematischen Interesse entstand sie ihm, sondern aus dem Zwang seiner Aufgabe, den Menschen neu zu formen und in einen neuen Staat hineinzugrnden. Im Groen Alkibiades wird bei der Betrachtung des delphischen Spruches Erkenne dich selbst" die Frage gestellt: was ist dieses Selbst? Und die Antwort lautet hchst paradox, fr einen Griechen viel paradoxer als fr einen Brger der christlichen W elt: der Mensch ist Seele. Das heit, was den Menschen eigentlich ausmacht, seine Existenz", das W esenhafte an ihm ist Seele. Um es mit Plotins W orten zu sagen: Nach dem, was das Herrschend- Beste ist, ist die Gesamtgestalt Mensch" ( III 4, 2). Platon hat die W elt des ewig Seienden neu entdeckt. Damit wird der Mensch ein Glied beider W elten und keiner, etwas zwischen beiden W elten, der W elt des W erdens und Vergehens angehrend mit dem Leibe, den Sinnen, den niederen Seelenteilen", und der W elt des Seins mit dem Ewigen in der Seele. So ist es die Entdeckung des Ideenreiches, die den Menschen nicht mehr ganz und gar und schlechthin ein Glied sein lt der einen ungetrennten Welt, sondern seine Scheidung in Leib und Seele erzwingt.Platons Lehre" von der Ewigkeit oder Unsterblichkeit der Seele ist w eder fertig bernommene Theologie noch beruht sie

  • auf begrifflich gewonnenen Schlssen. Der Phaidon-Dialog zeigt mit aller Klarheit zweierlei. Platon sieht die Ewigkeit der Seele verbrgt durch Sokrates' Sieg ber den Tod. H ier wurde ein Etwas gar nicht davon berhrt, da Sokrates", den sie so nannten, to t dalag und ins Grab gelegt wurde. Ich kann den Kriton, ihr Mnner, nicht berzeugen, da ich hier Sokrates bin, der ich jetzt mich unterrede und jedes von dem, was gesagt wird, an seinen Platz setze; sondern er glaubt, da ich der sei, den er wenig spter als Leiche sehen wird, und er fragt denn also, wie er m i c h bestatten soll! Die Unsterblichkeitsbeweise des Dialoges aber, von denen mit sehr gutem Grunde keiner ans letzte Ziel gelangt, machen ein zweites deutlich. Die Ewigkeit der Seele ist fr Platon verbrgt durch das Sein der Idee. Nur fr den Ideenfreund hat es Sinn, von Unsterblichkeit zu sprechen. W enn die menschliche Seele ihrer N atur nach so beschaffen ist, da sie das ewige Sein erkennt, so mu sie denn Gleiches wird nur durch Gleiches erkannt ein Sein haben nach der W eise der ewigen Formen. Und wie die Unsterblichkeitsbeweise des Phaidon nicht zufllig sind gegen den einrahmenden Bericht vom Tode des Sokrates, so sind auch jene beiden Brgschaften fr das ewige Sein der menschlichen Seele nicht zufllig gegeneinander. Denn in Sokrates und durch ihn hindurch hatte Platon die ewigen Formen geschaut, und so sind ihm Sokrates und Eidos" und Unsterblichkeit" in dieselbe Mitte gegrndet und fast nur drei verschiedene Namen fr dasselbe Wesen. Der Mensch im Staat: das w ar die Gegebenheit, von der Platon wie jeder Hellene herkam. Die alte fraglose Einheit hatte sich aufgelst. Aber aus der Entzweiung und dem Kampf um eine neue Ordnung entstand ihm die eigene Vision: hier der Mensch oder die Seele als die innere Politeia, dort der Staat als eine erw eiterte Seele, Seele und Staat also Einheitsgefge von gleichartiger Struktur in notwendigem gegenseitigen Bezge, da sie beide auf das Eidos, zuhchst auf die Idee des G uten gerichtet sind.Der Mensch im All: das w ar die Erkenntnis, zu der Pythagoras dem Platon verhalf. Und die Vision, zu der Platon vordrang, war diese: Er sah in den groen Kosmos eingeschlossen den kleinen Kosmos und beide Lebewesen* in notwendigem gegen

  • seitigen Bezge, da den Gestirnen und dem W eltall Seele eignet und der vollkommenen Seele die geordnete Bewegung des Universums"). Das gemeinsame Prinzip ihrer Ordnung aber ist das Agathon.Der Mensch und das Eidos: das war Platons eigenstes Erlebnis, das er wohl dem Sokrates verdankte und doch mit niemandem teilte. Die Seele empfing von dem Eidos, dessen sie ansichtig wurde, die Ewigkeit zurck. Das Eidos wurde seelenhaft, vielmehr war es von Anfang an. Denn das Gerechte, Tapfere, Fromme, Gute: so hieen die Ideen, die Platon zuerst auf Sokrates blickend sah. Und in seiner spteren Zeit war es ihm unfabar, wie man dem schlechthin Seienden ( ) die Gemeinschaft absprechen knne mit Bewegung, Leben, Seele, Denken oder die Verwandtschaft und hnlichkeit mit dem G eist8).Seele und Eidos also stehen in notwendigem Bezge. Und wie das Auge der Seele zuerst in einem groen Aufblick die ewigen Formen erkannte und Platons Philosophieren dann ein immer erneuter Versuch ist, die entdeckte W elt sichtbar zu erhalten, so werden diese beiden Erkenntnisweisen in den platonischen Dialogen gespiegelt durch die zwei Bewegungen, die zu dem Eidos fhren: Mania und Dialektik.

    F r l e d l n d e r , Platon 3

  • K A P I T E L II / D

    Fr die Platoniker des Altertums hat die Dmonologie einen bestimmten Platz in dem Gedankenbau des Meisters1). Die m odernen Darsteller seiner Philosophie sind zu aufgeklrt, um seine uerungen ber diesen Gegenstand ganz ernst zu nehmen. Aber mit welchem Recht hlt man, was von den Dmonen gesagt wird, fr bloes Spiel und bertrgt gleichzeitig die physikalischen und physiologischen Lehren des Timaios und die .Sprachphilosophie des Kratylos in die Paragraphen eines platonischen Systems? Doch nur darum, weil es heut eine Wissenschaft von der N atur und von der Sprache gibt, aber keine von den Dmonen. Nun, der Kratylos gleicht wahrhaftig einem Durcheinander tollster Kapriolen w eit eher als einer sprachwissenschaftlichen Abhandlung, und ber die mythische Naturwissenschaft des Timaios htte ein Forscher wie Demokrit vermutlich den Kopf geschttelt, berhaupt sollte kein Zweifel sein, da Platon in seinen Schriften unm ittelbar keine W issenschaft in unserem Sinne lehrt. Und wenn gewi Spiel" ist, was die Personen der platonischen Dramen ber die W elt des Dmonischen aussagen, so doch ein Spiel, dem wie allem platonischen Spielen tiefer Ernst innewohnt. W er sich freilich erkhnen wollte, diesen Emst mit W orten auszusprechen, dem wrde Platon einwenden: Soviel wei ich: wenn es schon geschrieben oder gesagt werden sollte, wrde es von mir am besten gesagt w erden (Brief VII 341 D).Platon traf auf einen dmonischen Bereich, als er dem Sokrates begegnete. Denn in dem Leben dieses Mannes, der wie kein anderer es sich zur Aufgabe gesetzt zu haben schien, mit der

  • Kraft seines Verstandes das Unklare aufzuklren, gab es geheimnisvolle Mchte, die er nicht prfte auf ihren Rechtsanspruch, sondern denen er gehorchte. Er sprach oft und gern von seinem Daimonion, und so bekannt w ar diese Seltsamkeit, da die Anklage darauf fuen und ihm vorwerfen konnte, er fhre neue dmonische W esen ( ) ein". W ir fragen nicht bei der Psychopathologie an, welcher A rt dieses Daimonion war, und versuchen nicht mit Schopenhauer ihm einen Platz zwischen W ahrtrumen, Geisterseherei und ndern okkulten Phnomenen zu geben*). Noch weniger freilich darf man das Ungewhnliche dadurch dem Verstndnis nherbringen, da man es als innere Stimme des individuellen Taktes, als Ausdruck der geistigen Freiheit, als sicheren Mastab der Subjektivitt dem rationalen und gesellschaftlichen Erfahrungskreis einordnet). Ja man strt sich den Zugang eigentlich schon, wenn man das Daimonion sagt, als wre es ein Ding, anstatt es in der neutralen Ausdrucksart des Griechischen das Dmonische zu nennen. In dieser W ortbildung liegt einerseits ausgedrckt jenes Unbestimmte: aber du weit nicht, von wannen es kommt und wohin es fhrt; dann aber genauer, da dieses wirkende Etwas nicht innerhalb des Menschen und ihm zur Verfgung ist, vielm ehr von einem umfassenden Bereich auer ihm eingreift in ihn und mit Ehrfurcht von ihm bemerkt wird. So gibt es auf einer ndern Stufe das Gttliche, und Platon lt gar den Sokrates in der Verteidigungsrede beides verbinden und eben jene Erscheinung ein Gttliches und Dmonisches" ( 31 D) oder auch das Zeichen des G ottes ( 40 ) nennen. Von dieser Kraft pflegt Sokrates bei Xenophon zu sagen, sie rate ihm oder zeige ihm im voraus an, was zu tun sei oder nicht"*). Das einzige Mal, wo eine bestimmte W irkung sichtbar wird, nmlich als Sokrates sich auf seine Verteidigung vorbereiten will, tritt sie ihm entgegen ( Mem. IV 8,5). Und darauf, da es ein W iderstand, etwas Hinderndes ist, wird bei Platon besonderer Nachdruck gelegt. Man hat keinen Grund, den allgemeineren Linien des Xenophon mehr zu trauen als der strengeren Abgrenzung Platons, so sehr wiederum dieser verschrft und system atisiert haben kann. Zum mindesten wrde man es verstehen, da Sokrates sich jener wirkenden Mchte am deut-

  • lidisten dort bewut wurde, wo er auf Hindernisse stie. W ar doch auch Goethe man wird ihn nicht ohne Vorsicht als Eideshelfer fr Sokrates herbeirufen wollen neben sehr anderen Ansichten, die er ber das Dmonische aussprach, gelegentlich geneigt, Hemmendes, das zum Vorteil wurde, zu verehren als etwas Dmonisches, das man anbetet, ohne sich anzumaen, es w eiter erklren zu wollen5). Da die Stimme niemals vorwrts treibt ( ), spricht die A pologie (31 D) und wrtlich ebenso der Theages (128 D) aus. Aber es ist kein Zeichen fr unplatonischen Ursprung dieses Dialoges, wenn es bald darauf ebendort heit, da die Kraft des Dmonischen bei irgend etwas mit zugreife () 129E). Jedenfalls mssen dem Verfasser der Schrift diese beiden Auffassungen vereinbar gewesen sein. Sokrates konnte im Schweigen des Dmonischen zugleich etwas vorwrts W irkendes mitvernehmen und nennen.Platon hat zunchst das Daimonion in sein Sokratesbild bernommen als einen Zug, an dem der seltsame Mensch so kenntlich w ar wie an seiner aufgestlpten Nase und den hervorstehenden Augen. Es trete sehr hufig auf und stelle sich auch in kleinen Dingen entgegen, sagt Sokrates selbst in seiner Verteidigungsrede (40 A). So werden wir uns nicht besonders wundern, werden freilich auch nie vergessen, da wir den eigenen Bericht des Ironikers lesen, wenn im Euthydem (272 E) das dmonische Zeichen ihn am Aufstehen hindert, ihm also zu der Begegnung mit den streitschtigen Fechtmeistern verhilft; noch weniger, wenn es ihn im Phaidros nicht davongehen lt, bevor er sein Vergehen gegen den Eros durch eine zweite wahrere Rede geshnt hat (242 BC)5*). Im Theages wird die Echtheit der W irkung an einer Reihe von Fllen bewiesen, wo die W arnung eingetroffen sei: als Charmides sich zu den Ne- meischen Spielen habe ausbilden wollen, bei dem Mordplan eines gewissen Timarchos und bei der unheilvollen Ausfahrt der Schiffe nach Sizilien. Aber hier ist es nun sehr bezeichnend, da diese Dinge nicht Selbstzweck sind. Nicht im mindesten ist der Theages darauf aus, wie man zu sagen pflegt, aus Sokrates einen W undermann zu machen. Vielmehr gibt Sokrates selbst die A bsidit an, in der er alle jene Geschichten erzhlt habe: weil diese Kraft dieses Dmonischen auch fr die Gemein-

  • sidft m it denen, die meinen Umgang suchen, geradezu alles bedeutet ( ? 129 ). Denn vielen trete es entgegen. Diese knnten keinen Vorteil ziehen aus seinem Verkehr, und er sei zu solchem Verkehr mithin gar nicht imstande. In vielen Fllen hindere es das Zusammensein nicht, doch htten die Betreffenden keinen Nutzen davon. W o aber die Kraft des Dmonischen an der Gemeinschaft hei fend Anteil nehme, da gehe es mit ihnen alsbald voran.Ganz hnlich im Groen Alkibiades. Und da es sich dort um eine erste, hchst folgenreiche, lang hinausgezgerte Begegnung handelt, so darf man sich w ieder einiger W orte Goethes zu Eckermann am 24. Mrz 1829 erinnern: Je hher ein Mensch, desto mehr steht er unter dem Einflu der Dmonen, und er mu nur immer aufpassen, da sein leitender W ille nicht auf Abwege gerate. So w altete bei meiner Bekanntschaft mit Schillern durchaus etwas Dmonisches ob; w ir konnten frher, wir konnten spter zusammengefhrt werden; aber da wir es gerade in der Epoche wurden, wo ich die italienische Reise hinte r mir hatte und Schiller der philosophischen Spekulation mde zu werden anfing, w ar von Bedeutung und fr beide von grtem Erfolg. Nicht unhnlich hier. Auch hier konnten M eister und Schler frher, konnten spter zusammengefhrt werden. Durch den dmonischen W iderstand ist Sokrates lange von dem Jngling ferngehalten worden. Inzwischen hat er ihn beobachtet. Jetzt schweigt die Stimme, und er redet ihn an. In der Ausdrucksweise des Theages: das Dmonische greift mit zu. Oder wie es nun, wo die wirkende Kraft deutlicher bezeichnet werden soll, im Alkibiades (106A) heit: der Gott, der mich bisher gehindert, hat mich jetzt auf dich zugesandt. Man darf nicht pedantisch fragen, ob Daimonion und Gott hier dasselbe seien. Sie sind es uud auch wieder nicht. Denn um wirkende Mchte handelt es sich und nicht um Namen*). Also weil es um das entscheidendste Anliegen, um Erziehung geht, darum ist auch hier das Dmonische wichtig. Und in ganz hnlichem Sinne ist schlielich im Theaitet beides verbunden. Sokrates spricht dort von seiner Hebammenkunst (150 B) und der verschiedenen W irkung: wie manche vor der Zeit ihn verlassen zum Schaden dessen, was sie geboren htten oder noch unge-

  • boren in sich trgen. Als M usterbeispiel wird derselbe Ari- steides genannt, der in dem verwandten Zusammenhang des Theages vorkommt, und den wir im Laches von seinem Vater Lysimadios zu Sokrates gebracht sehen. Dann heit es im Theaitet: Wenn diese nun wiederkehren, meine Gemeinschaft wnschend und sich dabei ganz wunderlich gebrdend, so hindert mich das Dmonische, das sich mir einstellt, mit einigen zusammen zu sein, mit anderen erlaubt es mirs, und dann geht es mit diesen von neuem voran (151 A). So wird klar, warum dieser Wesenszug im Bilde des Sokrates fr Platon denn doch wichtiger ist als die aufgestlpte Nase oder die hervorstehenden Augen. Bei Xenophon mu man an ein kleines Sonderorakel denken, das seinem Trger und denen, die mit ihm zusammen sind, W eisungen gibt ber beliebige Dinge, das eine zu tun, das andere zu lassen (Mem. 1 1,4). Bei Platon entscheidet das Dmonische in Sokrates vor allem ber sein Erziehungswerk. Damit ist es nicht nur die erstaunliche Merkwrdigkeit eines einzelnen Mannes, sondern es gehrt zum W esen des groen Erziehers. Es behtet als etwas Auerlogisches die im Logos sich bewegende Erziehung davor, zu einem rationalen Geschft zu werden, und wahrt ihr jenen Zusammenhang mit dem Geheimnis, der dem sophistischen Unterricht fehlt. Als normhaft also, nicht als Abnormitt, mu es von Platon verstanden worden sein. Offenbar versprte er selbst eine solche Macht und mu vielleicht jeder wenigstens etwas davon verspren, der Menschen zu bilden nicht blo beamtet, sondern auch berufen ist?Die spteren Platoniker haben sich die Frage nach dem Wesen des sokratischen Daimonion vielfach vorgelegt. W ir haben Abhandlungen darber von Plutarch, Apuleius, Maximus, Pro- k los7). Sie alle machen sich das Besondere dadurch begreiflich, da sie es aus seiner Vereinzelung befreien und es mit ndern Dmonen in dieselbe Reihe stellen, vor allem mit jenem Dmon, der nach verbreitetem Glauben den Menschen durch sein Leben begleitet und nach platonischer Lehre" die Menschenseele noch ber dieses Leben hinaus. Es ist auch heut keine Absurditt, von solchen Dingen zu reden. Denn nicht um Geister und Gespenster handelt es sich hier noch um theur- gische und magische Riten, sondern um Mchte, mag man auch

  • bei Iamblich und Proklos und sonst oft genug die Grenze verwischt finden9). Und ehe man dieses Gebiet als Aberglauben abtut, denke man an die Engelshierardiie, die bei Dante durch viele Rnge bis zum Thron des Hchsten steigt, und man erkenne aus dem letzten Buch von W ahrheit und Dichtung, den Gesprchen mit Eckermann und den Orphisdien Urworten, wieviel in dem W eltbilde Goethes, des so sehr zur Klarheit strebenden, das Dmonische und der Dmon bedeutet*).Bei Plutarch erhebt sich ber dem kindlich derben Miverstndnis, in dem das sokratische Daimonion mit solchen Erscheinungen der natrlichen M antik wie Niesen oder weissagenden .Stimmen* verwechselt wird, eine hhere Ansicht, genhrt wohl vom Geist des Poseidonios10): W ie menschliche Rede auf das Ohr, so wirken die Logoi (um das vieldeutige W ort beizubehalten) der Dmonen unm ittelbar auf die menschliche Seele. Und was die gewhnlichen Menschen nur in der Entspanntheit des Schlafes erfhren, das faten Menschen von ungetrbter Artung und sturmloser Seele, die wir dann heilige und dmonische Menschen nennen, im Wachen auf. Ein solcher, befreit von der Disharmonie und W irrnis ( ) der ndern, sei Sokrates gewesen. Und dann in einem platonisierenden Mythos scheint sich zu zeigen, was Plutarch unter den Dmonen versteht. Dmonen, so nennt eine Orakelstimme dem in die Trophonioshhle entrckten Timarchos jene Sterne, die er ber dem Dunkel schweben sieht: das seien die reinsten Teile in der Vernunft (vos) bevorzugter Menschen, das was nicht eingehe in die Mischung der Seele und des Leibes. W ie die Korken ber dem Netze schwimmen, so jener dmonische Stern ber dem Menschen, und an ihn sei die Seele folgsam oder unwillig gebunden.Stoisch, wenngleich platonisch getnt, ist hier die Lehre von dem alles durchdringenden, Makrokosmos und Mikrokosmos verbindenden Logos. Die eigentliche Dmonologie bildet Platonisches leise um, noch dazu in der platonischen Form des Mythos. Im Timaios (90 A) heit es: Das Herrschendste der Seele gibt der Gott jedem als seinen Dmon. Es wohnt im Haupt, dem Himmel verwandt und darum ihm entgegengehoben. Und dieses Gttliche ( ) gilt es zu pflegen, damit der Mensch den Dmon wohlgeordnet zu seinem Bewohner habe und eudmo-

  • nisdi werde. Da ist, was logisch und psychologisch Vernunft heit, fromm verehrend auf das hchste Dasein bezogen11). Mit dieser Lehre" des Timaios scheint Plutarch in eins gesehen zu haben, was Platon in den Seelenmythen vom Dmon dichtet. Im Phaidon fhrt ja der Dmon den Menschen, der ihm im Leben zu Teil ward, nach dem Tode zum Gericht und nach dem Urteil in den Hades. Und ein anderer Dmon fhrt ihn spter wieder herauf. Im Mythos des Staates ist es umgekehrt die Seele, die sich vor der Einkrperung durch den Zufall des Loses nur beschrnkt, aber nicht bestimmt ihre Lebensform und damit ihren Dmon als den Erfller des Erwhlten(- ) frei erwhlt. Hier sind nicht verschiedene Lehren Platons, Platon gibt keine Dogmen und am wenigsten ber Dmonen. Aber er verbindet den Volksglauben an den Dmon, der den Menschen durchs Leben geleitet, das eine Mal mit seinem W issen um die menschliche Seele, das andere Mal noch dazu mit orphischen Jenseitsbildern, um etwas von der eigenen Erfahrung auch fr die ndern bildhaft und damit ergreifbar zu machen. Dmon, das meint zunchst so etwas wie die mitgeborene menschliche Form die Existenz wrde man heute sagen , das was sich durch allen Zufall und alle Bewegung des Lebens als die eigentliche Konstante erhlt und alles Handeln erst zu meinem Handeln macht. So hatte schon Heraklit dem Volksglauben an jenen geisterhaften Begleiter seinen Satz entgegengestellt: Dmon ist dem Menschen seine Artung." Aber Platon meint mehr zu sehen und im Mythos mehr aussprechen zu knnen. Diese innere Artung ist nichts, was ihrem Trger nur in diesem Leben zugehrt. Sie folgt ihm ber die Grenze des Jenseits, steht mit ihm vor Gericht und fhrt ihn zum Strafort. Denn Urteil und Bue sind streng auf die im Diesseits getragene Lebensform bezogen. Diese wiederum ist ihrem irdischen Trger nicht uerlich umgehngt. Er hat sie mitgebracht ber die Grenze der Geburt aus einem frheren Dasein. Der M ythos des Staates legt mit der freien W ahl des Einzelnen und mit der Verkndung der Moira: Die Schuld ist bei dem Whlenden* die metaphysische Verantwortung fest und scheint den Phaidon, der eine fatalistische, fr das sittliche Handeln gefhrliche Deutung mglich machte, ausdrcklich zu berichtigen mit dem Gegensatz: Nicht euch wird der Dmon

  • erlsen, sondern ihr werdet den Dmon whlen." So ist denn in der platonischen W elt der Dmon Symbol nicht nur fr jenes als Macht gesehene und verehrte So mut du sein (Goethe, Urworte, ), sondern darber hinaus fr die ebenso geheimnisvolle wie unerbittliche Verknpfung des menschlichen Daseins mit der Transcendenz. Die W ahl des Dmons, wie sie uns Menschen im Mythos der Politeia anheimgegeben wird, symbolisiert jene transcendentale Freiheit" (Kant), jene Freiheit im M ssen (Jaspers), die der menschlichen Existenz eignet: Es ist, als ob ich mich vor der Zeit gewhlt htte, wie ich bin" (Jaspers)11). Dabei zeigt der Timaios mit der Gleichung von Dmon und Nus, wie bei aller Einsicht in das Dunkle Platon dem denkenden Geist seinen Herrscherrang bewahrt.Dem staatlichen Dasein der Menschen liebt Platon in seinen spteren Jahren Rang und Aufgabe zu bestimmen, indem er es mit an einer mythischen W elt des Vollkommenen. Sie wird im Mythos des Staatsmanns (269 C ff) reprsentiert durch die Weltperiode, da der hchste Gott fr den Kosmos sorgt, in einer mythisch leuchtenden Stelle der Gesetze (713 B ff) durch das Goldne Zeitalter des Kronos. Und hier wie dort wird diese Vollkommenheit den gesellig hausenden W esen dadurch vermittelt, da gttliche Dmonen alles Lebende nach Geschlechtern und Herden untereinander eingeteilt haben (Pol. 271 D), da sie Friede und Gesetzlichkeit, mit einem W orte Eudmonie, den ihnen unterstellten Geschlechtern schenken (Ges. 713 E). In den Gesetzen wir