Pädiatrische Onkologie – ein Überblick · PDF fileder < 15 Jahre und ca. 350...

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ONKOLOGIE heute 07/2016 UPDATE 48 In Deutschland erkrankt etwa jedes 500. Kind an Krebs. Aufgrund der alters- und erkrankungsbeding- ten besonderen Anforderungen erfolgen Diagnostik und Therapie kindlicher Krebserkrankungen in spezialisierten, interdisziplinären Behandlungszentren mit definierten Infrastrukturmerkmalen. Ein- gebunden sind diese pädiatrisch-onkologischen Zentren in ein etabliertes Netzwerk klinischer und wis- senschaftlicher Referenzeinrichtungen unter dem Dach der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH). Behandlungen innerhalb dieser Strukturen sorgen seit Jahrzehn- ten für zunehmend bessere Hei- lungschancen unter Minimierung therapieassoziierter Akut- und Spätfolgen. Innerhalb der jeweili- gen Therapieoptimierungsstudien werden bewährte Behandlungs- strategien fortlaufend evaluiert und neue Therapieoptionen unter kontrollierten Bedingungen un- tersucht und weiterentwickelt. Krebs bei Kindern und Jugend- lichen – aktueller Stand Eine Krebserkrankung ist in den westlichen Ländern die häufigste tödliche Krankheit bei Kindern und Jugendlichen. Jährlich erkran- ken in Deutschland rund 1.760 Kin- der < 15 Jahre und ca. 350 Jugend- liche von 15 bis 18 Jahren neu an Krebs [1]. Das Spektrum kindlicher Krebserkrankungen unterscheidet sich grundlegend von dem des Er- wachsenenalters. Während Karzi- nome > 90% der Neuerkrankun- gen bei Erwachsenen ausmachen, sind diese bei Kindern mit < 1,5 % ausgesprochen selten. Daher lassen sich Erkenntnisse aus der Erwachsenen-Onkologie oft nur wenig auf die pädiatrische On- kologie übertragen [2]. Auch neue Medikamente, die für Karzinome des Erwachsenenalters entwickelt wurden, sind oft für die Therapie kindlicher Malignome nicht opti- mal geeignet. Daher ist eine gezielte Krebsfor- schung für Kinder, die sich mit den besonderen molekularen, biologi- schen und klinischen Eigenschaf- ten kindlicher Krebserkrankungen Pädiatrische Onkologie – ein Überblick Angelika Eggert, Charité – Universitätsmedizin Berlin CME

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ONKOLOGIE heute 07/2016

UPDATE48

In Deutschland erkrankt etwa jedes 500. Kind an Krebs. Aufgrund der alters- und erkrankungsbeding-ten besonderen Anforderungen erfolgen Diagnostik und Therapie kindlicher Krebserkrankungen inspezialisierten, interdisziplinären Behandlungszentren mit definierten Infrastrukturmerkmalen. Ein-gebunden sind diese pädiatrisch-onkologischen Zentren in ein etabliertes Netzwerk klinischer und wis-senschaftlicher Referenzeinrichtungen unter dem Dach der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologieund Hämatologie (GPOH).

Behandlungen innerhalb dieserStrukturen sorgen seit Jahrzehn-

ten für zunehmend bessere Hei-lungschancen unter Minimierung

therapieassoziierter Akut- undSpätfolgen. Innerhalb der jeweili-gen Therapieoptimierungsstudienwerden bewährte Behandlungs-strategien fortlaufend evaluiertund neue Therapieoptionen unterkontrollierten Bedingungen un-tersucht und weiterentwickelt.

Krebs bei Kindern und Jugend-lichen – aktueller Stand

Eine Krebserkrankung ist in denwestlichen Ländern die häufigstetödliche Krankheit bei Kindernund Jugendlichen. Jährlich erkran-ken in Deutschland rund 1.760 Kin-der < 15 Jahre und ca. 350 Jugend-liche von 15 bis 18 Jahren neu anKrebs [1]. Das Spektrum kindlicherKrebserkrankungen unterscheidetsich grundlegend von dem des Er-wachsenenalters. Während Karzi-nome > 90% der Neuerkrankun-gen bei Erwachsenen ausmachen,sind diese bei Kindern mit < 1,5 %ausgesprochen selten.Daher lassen sich Erkenntnisse ausder Erwachsenen-Onkologie oftnur wenig auf die pädiatrische On-kologie übertragen [2]. Auch neueMedikamente, die für Karzinomedes Erwachsenenalters entwickeltwurden, sind oft für die Therapiekindlicher Malignome nicht opti-mal geeignet.Daher ist eine gezielte Krebsfor-schung für Kinder, die sich mit denbesonderen molekularen, biologi-schen und klinischen Eigenschaf-ten kindlicher Krebserkrankungen

Pädiatrische Onkologie – ein ÜberblickAngelika Eggert, Charité – Universitätsmedizin Berlin

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07/2016 ONKOLOGIE heute

UPDATE 49

beschäftigt, zwingend erforder-lich.

Krebserkrankungen von Kindernund Jugendlichen zeichnen sichdurch eine Reihe weiterer Beson-derheiten aus:• Krebs bei Kindern und Jugend-lichen ist selten.• Biologisch handelt es sich umErkrankungen, die in den meistenFällen kurativ behandelt werdenkönnen.• Die genetische Komplexitätkindlicher Krebserkrankungen istvergleichsweise niedrig, so dasssich relevante Mutationen leichteridentifizieren lassen.• Eine Heilungsrate von aktuell >80% hat dazu geführt, dass heutein Deutschland fast 40.000 Überle-bende einer kindlichen Krebser-krankung einen speziellen Bedarfan gesundheitlicher Beratung ha-ben.

Die häufigsten Erkrankungen beiKindern sind Leukämien (30,6%),Hirntumore (23,8%) und Lympho-me (14,2%) ([1], � Abb.1). Etwasweniger häufig sind Neuroblasto-me (5,8%), Nephroblastome

(4,6%) und Hepatoblastome (1%).Das Retinoblastom ist mit 2% derhäufigste bösartige Augentumor.DiehäufigstenSarkomeimKindes-alter sind Weichteilsarkome(6,1%) und Knochentumore(5,2%, Osteosarkome und Ewing-Sarkome).Das Diagnosespektrum ist in deneinzelnen Altersklassen sehr un-terschiedlich. Während embryona-le Tumore vor allem im Kleinkin-desalter vorkommen, sind Kno-chentumore besonders bei Ju-gendlichen und jungen Erwachse-nen zu verzeichnen.Die Überlebensraten bei Krebser-krankungen im Kindesalter sind inden zurückliegenden Dekadendank verbesserter Diagnostik undmultimodaler Therapiekonzeptedeutlich angestiegen [1]. Währenddie 5-Jahres-Überlebenswahr-scheinlichkeit für krebserkrankteKinder 1980 in Deutschland nochbei 69% lag, liegt dieser Wert mitt-lerweile bei deutlich über 80% (�Abb. 2).Die Kinderonkologie ist ein Bei-spiel dafür, wie durch die konse-quente Erfassung aller Erkrankun-gen in einem Krebsregister und ein

einheitliches, multizentrisches,evidenzbasiertes Vorgehen diePrognose der Erkrankung verbes-sert werden kann.

Struktur der pädiatrischenOnkologie in Deutschland

Die Erfolgsgeschichte der pädiatri-schen Onkologie wurde vor allemdurch den Aufbau vernetzterStrukturen für Erfassung, Dia-gnostik, Therapie und Nachsorgepädiatrisch-onkologischer Erkran-kungen unter dem Dach der GPOHermöglicht [2]. Dazu gehören:• 58 spezialisierte Behandlungs-zentren, die die erforderlichen Inf-rastrukturkriterien nach Vorgabedes Gemeinsamen Bundesau-schuss (G-BA) erfüllen• das Deutsche Kinderkrebsregis-ter an der Universität Mainz• das Deutsche Kindertumorre-gister an der Universität SchleswigHolstein• die Therapieoptimierungsstu-dien der GPOH mit den jeweiligenReferenzzentren• die GPOH Biomaterialbanken• das Pädiatrische Register fürStammzelltransplantation an derUniversität Frankfurt

Sonstige Diagnosen5,8 %

Leukämien30,6 %

320

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40

0<1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

*2009-2014, basierend auf insgesamt 12568 unter 18-jährigen Patienten

Mädchen Jungen

Lymphome14,2 %ZNS-Tumoren

23,8 %

ZNS: Zentrales Nervensystem

Nierentumoren4,6 %

Knochentumoren5,2 %

Weichteilsarkome6,1 %

Keimzelltumoren 4,0 %

Relative Häufigkeiten der an das Deutsche Kinderkrebsregister gemeldeten Erkrankungsfälle nach Diagnose-Hauptgruppen*

Alters- und geschlechtsspezifische Erkrankungsraten (pro 1 Million der jeweiligen Altersgruppe)*

Periphere Nervenzelltumoren

5,8 %

Abb.1: Häufigkeitsverteilung von Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.Links: Relative Häufigkeiten nach Diagnose-Hauptgruppen. Rechts: Alters- und geschlechtsspezifische Erkankungsraten. Quelle:Deutsches Kinderkrebsregister, Jahresbericht 2015.

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ONKOLOGIE heute 07/2016

UPDATE50

• Arbeitsgruppen u.a. zur Le-bensqualität, psychosozialen Be-treuung und Erfassung von Spät-folgen• die Arbeitsgemeinschaft fürPädiatrische Radioonkologie (AP-RO)

DasselteneVorkommenkindlicherKrebserkrankungen und die Not-wendigkeit einer großen ärztli-chen und pflegerischen Erfahrungin der Steuerung der meist sehr ag-gressiven Therapie und ihrer Ne-benwirkungen haben zu einerZentralisierung der Patientenver-sorgung in speziellen Kliniken ge-führt [2].Deutschlandweit werden > 95%aller Kinder und Jugendlichen miteiner Krebserkrankung in 58 spe-zialisierten Zentren im Rahmen so-genannter Therapieoptimie-rungsstudien diagnostiziert undbehandelt. Diese Studien dienender Qualitätssicherung, Standardi-sierung und Optimierung von The-rapieoptionen und stellen denGoldstandard der kinderonkologi-schen Behandlung dar.Diagnostik und Therapie erfolgenkonsequent nach den Vorgabendieser Studien, um die Heilungs-chancen des Patienten zu wahrenund Nebenwirkungen zu begren-zen. Behandlungsverläufe und –ergebnisse werden dabei detail-liert dokumentiert und ausgewer-tet, um aus den erhobenen Datendie Qualität des Behandlungskon-zepts zu bewerten. NachfolgendeTherapiekonzepte führen diese Er-kenntnisse der klinischen For-schung mit parallel dazu erarbeite-ten Ergebnissen der Grundlagen-forschung zusammen, um die The-rapie in Folgestudien weiter zu op-timieren [2].Es geht bei den Therapieoptimie-rungsstudien also nicht um klassi-sche Pharmastudien zur Zulassungneuer Medikamente, sondern umdie kontinuierliche Verbesserung

der Therapie. Die Durchführungdieser akademisch geführten unddurch öffentliche Gelder oderSpenden finanzierten klinischenStudien ist für die Weiterentwick-lung von Therapieoptionen vonenormer Bedeutung.In Folge einer europäischen Geset-zesnovelle zu klinischen Studienaus 2001 [3] ist die Anzahl der The-rapieoptimierungsstudien derGPOH aufgrund hoher administra-tiver Hürden und Kosten in denletzten Jahren leider deutlich zu-rückgegangen und innovative Stu-dienkonzepte wurden zuneh-mend durch einfache Datenregis-ter ersetzt.Damit wurde die Behandlungssitu-ation für krebskranke Kinder in Eu-ropa verschlechtert. 2014 wurdevonderEUeinenovellierteVerord-nung zu klinischen Studien verab-schiedet, die Fortschritte bringenwird [4].Dazu gehören einheitliche Geneh-migungsverfahren auf europäi-scher Ebene, die Straffung von Ab-läufen durch enge Fristsetzungenund die extrem sinnvolle Einfüh-rung der Begrifflichkeit der mini-mal-interventionellenStudien. Ins-besondere von letzterer profitie-ren die pädiatrisch-onkologischenStudien, in denen der Einsatz be-kannter zugelassener Medika-mente außerhalb der eigentlichenIndikationsstellung (Off-Label-Use) mit bis zu 87% aller eingesetz-ten Medikamente die Regel ist.Der G-BA hat 2006 die gesetzlichenVoraussetzungen für die Zulas-sung pädiatrisch-onkologischerZentren für die Behandlung dieserPatienten festgelegt und zugleichdie Behandlung auf diese Zentrenbeschränkt [5].Bereits bei Verdacht auf eine Kreb-serkrankung müssen Kinder undJugendliche bis 18 Jahre in einekinderonkologische Behandlungs-einrichtung überwiesen werden,in der eine fachkompetente ärztli-

che, pflegerische und psychosozia-le Versorgung nach den Infrastruk-tur-Kriterien des G-BA gewährleis-tet ist [5].Darüberhinaus istnurdanneingu-ter Therapieerfolg möglich, wennSpezialisten anderer Fachrichtun-gen (Kinderchirurgen, pädiatri-sche Neurochirurgen, Radiologen,Strahlentherapeuten, Pathologenusw.) interdisziplinär an Diagnos-tik und Therapie teilhaben. Zudemist die psychosoziale Versorgungein wichtiger und unverzichtbarerBestandteil der pädiatrisch-onko-logischen Gesamtbehandlung, dersich im klinischen Alltag bewährthat [6].

Aktueller Stand der Diagnostik

Prinzipiell erfolgt die Diagnostik inder pädiatrischen Onkologie nachden gleichen Prinzipien und mit

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AML ALL NHL Ewing sarcoma Brain tumors M-Hodgkin

Germ cell tumors Neuroblastoma Osteosarcoma Rhabdornyosarcoma nephroblastoma

Abb. 2: Anstieg der 2-Jahres- (bis 1970)und 5-Jahres-Überlebensratenvon krebskranken Kindern und Jugend-lichen in Deutschland seit 1940.Quelle: Deutsches Kinderkrebsregisterund http://www.kinderkrebsinfo.de

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07/2016 ONKOLOGIE heute

UPDATE 51

den gleichen Methoden, die in derOnkologie erwachsener PatientenAnwendung finden. Während einGroßteil der Initialdiagnostik beiErwachsenen ambulant erfolgenkann, erfolgen die Staging-Unter-suchungen bei tumorerkranktenKindern in der Regel jedoch unterstationären Bedingungen in einererfahrenen pädiatrisch-onkologi-schen Klinik.Eine kritische Auswahl der Unter-suchungsverfahren und Interpre-tation der Ergebnisse ist die Vor-aussetzung für eine korrekte Dia-gnose. Die Zuweisung zur speziali-sierten Diagnostik (z.B. MIBG-Szin-tigraphie bei Neuroblastom) er-folgt durch den pädiatrischen On-kologen, der sich als „Fallmana-ger“ für die gesamte Behandlungversteht.Insbesondere aufwändigere oderschmerzhafte Untersuchungen er-fordern bei Kindern eine adäquateSedierung oder Narkose. Eine gutePlanung der Sequenz notwendi-ger diagnostischer Maßnahmen istim Interesse des Kindes wichtig,denn so kann ein Teil der Diagnos-tik im Rahmen einer einzigen Nar-kose erfolgen.Bei vielen Tumoren des Kindesal-ters hängen die Therapiestrate-gien entscheidend von der richti-gen Beurteilung der Staging-Er-gebnisse ab. So werden z.B. Neph-roblastome nach radiologischerDiagnosestellung und Bestätigungdurch das nationale Bildgebungs-Referenzzentrum nicht primäroperiert, sondern ohne histologi-sche Diagnosesicherung primärchemotherapiert [7].Bei den meisten Hirntumoren hin-gegen ist eine primär möglichstweitgehende operative Tumor-entfernung entscheidend für dieweitere Prognose.Der Stellenwert der molekularenDiagnostik für die adäquate Risi-kostratifizierung hat bei vielenKrebsarten wesentlich zugenom-

men [8-10]. Eine unvollständigeInitialdiagnostik kann zur falschenTherapiestrategie führen oder diesichere Beurteilung des Thera-pieansprechens verhindern.

AktuelleBehandlungskonzepte

Generell erfolgt die onkologischeTherapie bei Kindern multimodalund risikoadaptiert [11]. Eine on-kologische Primärtherapie außer-halb der etablierten Therapieopti-mierungsstudien ist abzulehnen,da bereits geringfügige Änderun-gen die erreichbaren günstigen Er-gebnisse gefährden können. Vorallem in diagnostisch oder thera-peutisch unklaren Situationen sinddie Referenzeinrichtungen undStudienzentralen zwingend mit-einzubeziehen.Pädiatrisch-onkologische Erkran-kungen wachsen in der Regelschnell und metastasieren früh.Daher hat die Chemotherapie imRahmen des Behandlungskon-zepts einen besonders hohen Stel-lenwert. Die Behandlung erfolgthäufig nach einem neoadjuvantenKonzept - einer Kombination vonintensiver Polychemotherapie mitetablierten Zytostatika in unter-schiedlicher Kombination und ei-ner lokalen operativen und/oderstrahlentherapeutischen Behand-lung.Fast alle Krebserkrankungen imKindesalter sprechen auf eine Be-handlung mit Zytostatika an. Dadie oft beachtlichen Behandlungs-erfolge immer auf dieser Basis er-reicht wurden, erfolgt auch derEinsatz neuerer Zytostatika odermolekular gezielter Medikamentein der Primärtherapie kindlicherMalignome ausschließlich im Rah-men klinischer Studienprotokolle.Der Zeitpunkt der Operationhängt von der Verdachtsdiagnoseab und oft ist eine initiale Biopsieausreichend [12]. Der Operateurmuss in der pädiatrischen Tumor-

chirurgie ausreichend erfahrensein. Aufgrund der Seltenheit derTumoren ist daher eine Verlegungin ein erfahrenes kinderchirurgi-sches Zentrum zur Operationmanchmal erforderlich.Für die meisten Tumorentitäten istinzwischen auch eine komplexemolekulare Untersuchung des Tu-mormaterials zur Risikoadaptati-on der Therapie erforderlich, de-ren genaue Kenntnis für die OP-Planung unabdingbar ist. Hierzustehen neben den Referenzzent-ren nationale Biomaterialbankenzur Verfügung [13]. In speziell da-für ausgerüsteten Tumorboxenwerden Tumormaterial und ande-re Gewebe- oder Blutproben di-rekt aus dem OP an die betreffen-den zentralen Referenzeinrichtun-gen gesandt.Die Strahlentherapie ist ein unver-zichtbarer Bestandteil der multi-modalen Kombinationstherapiekinderonkologischer Erkrankun-gen [11]. Sie wird sowohl in kurati-venKonzeptenalsauch inderPalli-ation eingesetzt.Auch die Radiotherapie von Kin-dern sollte nur in Kliniken erfol-gen, die über entsprechende Er-fahrung auf diesem Gebiet verfü-gen. Indikationsstellungen undFestlegungen der zu bestrahlen-denRegionsowiederDosierungenund der Fraktionierungen werdenfürdieunterschiedlichenTumorar-ten von den jeweiligen Studien-zentralen und der APRO beratenund unter Berücksichtigung derweiteren Therapiemodalitäten,des Alters der Patienten und histo-logischer Kriterien abgestimmt[14].Die kurativ erforderliche Radikali-tät ist dabei gegenüber möglichenSpätfolgen der Behandlung abzu-wägen, denn die betroffenen Kin-der befinden sich oft noch in einerWachstums- und Entwicklungs-phase.Die Möglichkeiten der klassischen

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ONKOLOGIE heute 07/2016

UPDATE52

3-Säulen Therapie scheinen heuteweitgehend ausgeschöpft zu sein,da die Heilungsraten bei den meis-ten kindlichen Krebserkrankun-gen trotz Intensivierung der The-rapie stagnieren.Wesentliche Verbesserungen derHeilungsraten lassen sich mit einerTherapieintensivierung nichtmehr erreichen. Daher gelangenauch in der pädiatrischen Onkolo-gie neue Therapiestrategien zurAnwendung. Molekular gezielteMedikamente und Immunthera-pien werden bisher allerdings na-hezu ausschließlich in Rezidivsitua-tionen (und auch hier nur im Rah-men von Studien) erprobt.

Neue Wege der Diagnostik undTherapie

In der molekularen Diagnostik ste-hen uns heute Hochdurchsatzme-thodenwiedieSequenzierungvonGenen zur Verfügung, mit derenHilfe wir uns ein umfassendes Bildder komplexen Mechanismen derKrebsentstehung machen können.Die erfolgreiche Anwendung die-ser Verfahren ist in der pädiatri-schen Onkologie weit fortgeschrit-ten und ebnet nicht nur den Wegfür noch präzisere Diagnosen undRisikostratifizierungen, sondernauch für maßgeschneiderte Be-handlungsansätze jedes Patienten[2].Mit der molekularen Analyse einereinzelnen Tumorbiopsie gewin-nen wir zur Zeit allerdings noch ei-nen relativ oberflächlichen Ein-blick in die Biologie eines Tumors,die sehr viel heterogener ist, als ei-ne einzelne Biopsie vermuten lässt.Die molekularen Eigenschaften ei-nes Tumors unterscheiden sichzwischen Metastasen und Primär-tumor, ebenso wie zwischen Rezi-div und Primärtumor [15], da sichder Tumor mit erstaunlicher Flexi-bilität durch Selektion primär resis-tenter Klone oder durch Aktivie-rung alternativer Signalwege an

eine Therapie anpassen kann.Die molekulare Analyse einer Tu-morerkrankung durch Biopsie istalso lediglich eine Momentauf-nahme eines Teils der Tumorer-krankung, und sollte zukünftigdurch vermutlich aussagekräftige-re Liquid Biopsies aus Blut oderKnochenmark der Patienten [16]im Zeitverlauf der Therapie er-gänzt werden.Die Erwartung an die molekulareTumortherapie ist auch bei Kin-dern ein möglichst spezifischerundeffektiverAngriffaufdiemali-gnen Zellen unter Vermeidungvon Begleittoxizitäten. Die Haupt-Limitation ist wie bei der Chemo-therapie die Anpassungsfähigkeitdes Tumors, die bei Behandlungmit einer einzigen molekular ge-zielten Substanz relativ schnell zuResistenzen führt.Mögliche zukünftige Lösungenstellen die Kombination mit Che-motherapie oder die komplemen-täre Applikation mehrerer mole-kular gezielter Medikamente dar,die unterschiedliche Signalwegeder Krebszelle angreifen.Kaum ein Gebiet wird im Augen-blick so intensiv beforscht wie Im-muntherapien (Antikörperthera-pien, adoptive T-Zelltherapie oderTumorvakzinierungsstrategien)gegen kindliche Krebserkrankun-gen. Insbesondere der Einsatz vonAntikörpern in der pädiatrischenOnkologie ist bei einigen Erkran-kungen ein großer Erfolg [17,18].Für die Therapie großer solider Tu-moren sind monoklonale Antikör-per allerdings oft ungeeignet, dahierbei ein Verteilungs- und Reich-weitenproblem vorliegt. Mit einerMolekülmasse von etwa 150 kDasind Antikörper in ihrer Gewebe-gängigkeit eingeschränkt undkönnen oft nur unzureichend intiefere Tumorschichten eindrin-gen.Immun-Escape-Mechanismen desTumors bewirken zudem, dass

nicht genügend Antikörper denTumor erreichen.Die besten Therapieerfolge wer-den bislang bei Leukämien erzielt,da sie keine großen Tumoren bil-den und das Verteilungsproblemsomit nicht gegeben ist. Ein gutesBeispiel ist der erfolgreiche Einsatzdes monoklonalen Antikörpers Bli-natumomab (gerichtet gegenCD19) bei akuten lymphoblasti-schen Leukämien (B-Vorläufer-ALL) im Kindesalter [17].Im Fall von soliden Tumoren wirddie Therapie mit monoklonalenAntikörpern meist nur bei minima-ler Resterkrankung nach operati-ver Tumorentfernung und Chemo-therapie durchgeführt, um einzel-ne freie Tumorzellen im Körper zuvernichten und dadurch die Bil-dung von Metastasen zu verhin-dern. Das erfolgreichste Beispiel inder pädiatrischen Onkologie isthierbei der Einsatz eines Anti-GD2Antikörpers beim Neuroblastom[18].Dieser Tumor weist eine hohe Ex-pression des Gangliosids GD2 anseiner Oberfläche auf. Der Einsatzeiner Immuntherapie unter Ver-wendung des Anti-GD2-Antikör-pers ch14.18beiHochrisiko-Neuro-blastompatienten mit minimalerResterkrankung führte in eineramerikanischen Studie zu einem si-gnifikanten Überlebensvorteil[18].Ein weiterer, sehr vielversprechen-der immuntherapeutischer Ansatzbesteht im Einsatz genetisch ver-änderter T-Lymphozyten des Pati-enten oder eines gesunden Spen-ders,diemit sog.„chimericantigenreceptors„ (CARs) ausgestattetwerden, die eine Erkennung vonTumorzellen über Oberflächen-merkmale ermöglichen. CAR-transduzierte T-Zellen haben einebeeindruckende Wirksamkeit beitherapierefraktärer kindlicher B-ALL gezeigt: in einer Phase 1/2a-Studie mit 39 pädiatrischen ALL-

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07/2016 ONKOLOGIE heute

UPDATE 53

Patienten kamen 92% der behan-delten Kinder in eine kompletteRemission [19,20].Ob diese Ansätze auch bei solidenTumoren eine Rolle spielen wer-den, wird derzeit in verschiedenenStudien getestet [21]. Die erstenklinischen Ergebnisse zeigen, wiewichtig die sorgfältige Auswahlder Zielstruktur ist, die idealer-weise selektiv nur im Tumor expri-miert sein sollte. Ansonsten sinderhebliche Nebenwirkungen sehrwahrscheinlich.Neue Ansätze sogenannter Check-point-Inhibitoren sind in der päd-iatrischen Onkologie gerade erstin frühen klinischen Studien ange-kommen. Da die Substanzklasse inihremWirkmechanismusnichtent-itätenspezifisch ist, könnte es beijeder Tumorart eine Subgruppevon Patienten geben, die erheblichprofitiert. Die Effektivität bei kind-lichen Krebserkrankungen bleibtaber noch abzuwarten.Die meisten immuntherapeuti-schen Verfahren sind ungleich

komplexer als die bisherigen Be-handlungsverfahren, sie setzenmitunter eine sehr aufwändigeDiagnostik bis hin zur Genomse-quenzierung und das Vorhaltenextensiver Infrastruktur mit GMP-zertifizierten Herstellungsräumenvoraus. Es wird sich zeigen, wie ef-fektiv die Behandlungskonzeptesein werden, wie sie sich in die der-zeitige pädiatrisch-onkologischeVersorgungslandschaft integrie-ren lassen und vor allem wie sie zufinanzieren sind.Das drängendste Problem in derKinderonkologie sind heute Rezi-dive der jeweiligen Krebserkran-kung, von denen in Deutschlandjedes Jahr etwa 600 Kinder und Ju-gendliche betroffen sind. ZumZeitpunkt des Rückfalls sind diekonventionellen Therapien oftschon weitgehend ausgereizt. DieAnalyse der molekularen Eigen-schaften jedes Tumors eröffnet dieneue Möglichkeit, individuell„passende“ Medikamente auszu-wählen und den möglichen Effekt

dieser gezielten Therapie zu über-prüfen.Ziel eines neuen deutschlandwei-ten Projektes unter dem Namen„INFORM“ ist es, molekular geziel-te Medikamente in einer gegenden einzelnen Tumor möglichstmaßgeschneiderten Form bei an-sonsten quasi unheilbaren Rezidi-ven einer pädiatrischen Krebser-krankung einzusetzen. Unter demDach der GPOH sind 11 Studien-gruppen und 58 Behandlungs-zentren am INFORM-Register be-teiligt. Nach Abschluss der Mach-barkeitsstudie [22] wird ab 2017 imRahmen einer klinischen Studiegeprüft, ob und bei welchenKrebsarten das individualisierteKonzept im Vergleich zur bisheri-gen einheitlichen ChemotherapieVorteile bringt.Eine Verabreichung molekular ge-zielter Medikamente außerhalbklinischer Studien ist im Sinne ei-nes Erkenntnisgewinns und zu-künftigerVerbesserungderThera-piestrategien nicht zielführendund sollte auch bei Rezidiven mög-lichst unterbleiben.

NachsorgeLangzeitüberlebender

In der EU erkranken jährlich >12.000 Patienten im Alter von 15-24 Jahren an Krebs. Diese Alters-gruppe (Adolescents and YoungAdults = AYA) fällt dabei oft in ei-ne Kompetenzlücke zwischen Kin-der- und Erwachsenenonkologieund ihre altersspezifischen Bedürf-nisse kommen häufig unzurei-chend zur Geltung [23-25]. AYA-Patienten haben bislang am we-nigstenvonderglobalenZunahmeder onkologischen Überlebensra-ten profitiert (� Abb. 3). In denKinderkliniken fehlt es zudem oftan einer systematischen Entwick-lung medizinischer und psychoso-zialer Angebote für Jugendliche.Die Vernetzung mit anderen Diszi-plinen bei der Betreuung jugendli-

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Alter bei der Diagnose (in Jahren)

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Abb. 3: Verbesserung der 5-Jahres Überlebensraten invasiver Krebsarten in verschie-denen Altersgruppen. Quelle: SEER Report 1975-1997 und [24,25]

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UPDATE54

Prof. Dr.Angelika Eggert

Vorstandsvorsit-zende GPOH e.V.

cher Patienten mit Malignomen,die typischerweise ältere Patien-ten betreffen, stellt ebenso eineHerausforderung dar wie die Ein-bindung der pädiatrischen Onko-logie bei jungen Erwachsenen mittypischen pädiatrischen Maligno-men. Überregional nutzbareStrukturen zur Transition in die Er-wachsenenmedizin existierenkaum. Diesen Themenfeldern wid-met sich seit einigen Monaten eineneu gegründete multiprofessio-nelle Arbeitsgemeinschaft Adoles-zente/junge Erwachsene/Transiti-on (AjET) der GPOH. Neben derWeiterentwicklung der Struktureninnerhalb der GPOH gilt das Au-genmerk dabei der Vernetzungmit der Erwachsenen- und Organ-medizin und internationalen Part-nern sowie der Einbindung der Be-troffenen.Die maligne Erkrankung und ihreBehandlung können nicht nur vor-übergehende physische und psy-chischeBelastungenundakuteNe-benwirkungen auslösen, sondernauch dauerhafte Spätfolgen [26,27].Diese Spätschäden können nachAbschluss der aktiven onkologi-schen Behandlung weiterbeste-hen oder sich erst entwickeln. US-amerikanische Daten berichten,dass ca. 2/3 aller noch lebenden Pa-tienten 30 Jahre nach ihrer Krebs-behandlung im Kindesalter unterSpätfolgen leiden. Solche Zahlenliegen für Deutschland noch nichtvor. Zu den bedeutsamen Spätfol-gen nach antineoplastischer The-rapie im Kindesalter gehören Hör-verluste durch Platinderivate, Kar-diomyopathien durch Anthrazykli-ne, Einschränkungen der Nieren-funktion durch Ifosfamid, Störun-gen endokriner Funktionen mit

Minderwuchs, Schilddrüsenunter-funktionen und Infertilität durchStrahlentherapie und Alkylantien,neuropsychologische und kogniti-ve Leistungsstörungen durch Schä-delbestrahlung in Kombinationmit Chemotherapie und Zweitma-lignome (4,8 % in 25 Jahren!)durch Strahlentherapie und Topoi-somerase-II-Inhibitoren.In der pädiatrischen Onkologiewurde schon seit den 1980er Jah-ren der Bogen von der Therapie-planung bis in die Nachsorge ge-spannt, um die Überlebensqualitätzu dokumentieren [26, 28, 29].1998 wurde das Late Effects Sur-veillance System (LESS) etabliert,in dem prospektiv die Überleben-den auf Spätfolgen untersuchtwerden [28, 29]. Viele der Geheil-ten sind mit einer guten Leistungs-fähigkeit in unserer Gesellschaftintegriert, können ihre berufli-chen Fähigkeiten entwickeln undFamilien gründen. Es fehlen inDeutschland allerdings speziali-sierte Nachsorgezentren für Lang-zeitüberlebende einer pädiatri-schen Krebserkrankung, die es auf-zubauen gilt [26].Patienten sollen hier zukünftig in-dividuelle, risikoadaptierte Nach-sorgepläne basierend auf denEmpfehlungen der jeweiligen Stu-die erhalten, die eine Früherken-nung und adäquate Behandlungmöglicher Spätfolgen sicherstel-len. Hier sollen sich Betroffeneauch symptomorientiert an Spe-zialisten wenden können und eineleitliniengerechte Behandlung er-fahren.Im europäischen PanCare-Netz-werk (http://www.pancare.eu)werden nicht nur Nachsorgeemp-fehlungen formuliert und ein Pati-entenpass entwickelt, sondern in

großen Patientenkohorten wer-den auch die wesentlichen Spätfol-gen nach einer Krebserkrankungim Kindes- und Jugendalter unter-sucht. Die deutsche VIVE-Studie(http://www.kinderkrebsin-fo.de/fachinformationen/nach-sorge/spaetfolgen/projekt_vi-ve/index_ger. html) erfasst eben-falls Spätfolgen nach Krebs im Kin-des- und Jugendalter bei ca. 9.000ehemaligen Patienten. Das Projektverfolgt das Ziel, die Lebensquali-tät der langzeitüberlebenden Pati-enten nachhaltig zu verbessern.Der Erhalt von Gesundheit und Le-bensqualität nach der Behandlungvon Krebs in allen Altersschichtenwird zukünftig für die Gesellschaftnicht nur einen sozialen, sondernauch einen wirtschaftlichen Faktordarstellen.

Literatur: www.onkologie-heute.info

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. med. Angelika EggertDirektorin, Klinik für Pädiatrie mitSchwerpunkt Onkologie undHämatologieVorstandsvorsitzende, GPOH e.V.Charité Universitätsmedizin in BerlinOtto-Heubner-Centrum für Kinder-und Jugendmedizin13353 Berlin,Augustenburger Platz 1E-Mail: [email protected]

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