Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien; Perianal and rectal...

4
Perianale Ulzera stellen einen seltenen dermatologischen Befund dar, zeichnen sich durch eine unterschiedliche Ätiolo- gie aus und erfordern im Grenzbereich zwischen Dermatologie und Gastroente- rologie eine interdisziplinäre Zusammen- arbeit der beiden Fächer. Während peri- anale Ulzera aus dermatologischer Sicht in der Mehrzahl der Fälle auf sexuell über- tragbare Erkrankungen oder auf kutane Neoplasien zurückzuführen sind, wer- den sie in der Gastroenterologie in der Regel als assoziierte Manifestation prok- tologischer Grunderkrankungen verstan- den. Neben anorektalen Neoplasien zäh- len hierzu spezifische entzündliche Er- krankungen, wie z. B. der Morbus Crohn oder der Morbus Behçet, sowie eine Viel- zahl unspezifischer Proktitisformen, die mit Erosionen, Ulzera und Fistelbildun- gen einhergehen können [4, 10]. Als mög- liche Ursachen einer Proktitis gelten me- chanische Traumen, toxische Substanzen, Ischämien und radioonkologische Thera- pieverfahren. Auch in Suppositorien enthaltene Arz- neimittel können für eine Proktitis mit rektalen und perianalen Ulzera verant- wortlich sein [10]. Die nachfolgende Ka- suistik beschreibt dieses wenig bekann- te Krankheitsgeschehen mit richtungwei- sender Anamnese, charakteristischen Be- funden und typischem Verlauf. Anamnese Vor 2 Jahren erlitt die damals 59-jährige Patientin eine Fraktur des vierten Len- denwirbelkörpers. Als Analgetikum, so berichtete die Patientin anfänglich, sei- en ihr Titretta® Zäpfchen 1000/60 verord- net worden. Das Präparat enthält 1000 mg Paracetamol und 60 mg Codeinphosphat. Zunächst will die Patientin täglich 2, spä- ter dann 4 bis 5 Suppositorien verwendet haben. Vor 1 Jahr traten erstmals Diar- rhöen auf. Gleichzeitig wurden periana- le Ulzera bemerkt, die bis zur stationären Aufnahme 3 Monate später kontinuier- lich an Größe zunahmen. Aufgrund der schmerzhaften Defäkation und der da- durch bedingten reduzierten Nahrungs- aufnahme hatte die Patientin in 6 Mo- naten ca. 20 kg Körpergewicht verlo- ren. Während des stationären Aufenthal- tes stellte sich später heraus, dass die Pa- tientin das genannte Präparat bereits seit mindestens 5 Jahren regelmäßig verwen- det hatte, allerdings nur in einer täglichen Dosierung von 1 bis 2 Suppositorien. Wie die Patientin über diesen langen Zeitraum an das verschreibungspflichtige Medika- ment gekommen war, ließ sich nicht klä- ren. Klinischer Befund Perianal fand sich ein schmetterlingsför- mig aufgebautes, 7 × 4 cm großes, flaches Ulkus mit schlierenartig gelblich beleg- tem Grund. Der Ulkusrand zeigte sich ab- schnittsweise ausgestanzt, wallartig auf- geworfen oder unscharf begrenzt. Im Be- reich der wallartigen Abschnitte war der Rand unterminiert (. Abb. 1). Histopathologischer Befund In einer tiefen Probebiopsie aus dem Ul- kusrand findet sich ein proliferierendes Regeneratepithel ohne Atypien und ohne zytopathische Veränderung einer Her- pes-Virus-Infektion. Die Epidermis zeigt keine Hinweise einer toxischen Schädi- gung. Der Ulkusgrund ist von entzün- dungszellig durchmischtem Fibrin und Zelldetritus bedeckt. Direkt darunter fin- det sich ein mäßig dichtes gemischtzelli- ges lymphohistiozytäres Entzündungsin- filtrat. Eine granulomatöse Entzündung liegt nicht vor, und Erreger lassen sich auch in Spezialfärbungen nicht finden. Zusammenfassend kann aus dem fein- geweblichen Bild die Genese der Ulzera- tion nicht abgeleitet werden, jedoch kann eine ganze Reihe von Erkrankungen, wie z. B. eine Herpes-Virus-Infektion oder ein Morbus Crohn, ausgeschlossen wer- den (. Abb. 2). Diagnose Probebiopsie aus einem Ulkus mit eitri- ger Entzündungsreaktion ohne Hinweis für eine Herpes-Infektion, eine granulo- matöse Erkrankung oder einen malignen Tumor. Labor Die Routinelaborparameter zeigten keine richtungweisend pathologischen Befunde [Blut- und Differenzialblutbild, BSG, CRP, Eiweißelektrophorese, nierenpflichtige Substanzen, Transaminasen, HbA 1c und Treponema-pallidum-Partikelagglutina- tionstest (TPPA)]. Die bakteriologischen Untersuchungen führten zum Nachweis von Staphylococcus aureus, Escherichia co- li und Enterococcus faecalis. Die mykolo- gischen Kulturen waren unauffällig. Mo- lekulargenetisch kein Nachweis von HSV Typ 1 und 2, Ureaplasma parvum/urealy- G. Wagner 1 · C. Sand 2 · M.M. Sachse 1 1  Klinik für Dermatologie, Allergologie und Phlebologie, Klinikum Bremerhaven Reinkenheide, Bremerhaven, Deutschland 2  Apotheke Klinikum Bremerhaven Reinkenheide, Bremerhaven, Deutschland Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol- Codein-Suppositorien Hautarzt 2014 DOI 10.1007/s00105-014-3534-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 Der Hautarzt X · 2014 | Kasuistiken

Transcript of Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien; Perianal and rectal...

Page 1: Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien; Perianal and rectal ulcers due to abuse of paracetamol-codeine suppositories;

Perianale Ulzera stellen einen seltenen dermatologischen Befund dar, zeichnen sich durch eine unterschiedliche Ätiolo­gie aus und erfordern im Grenzbereich zwischen Dermatologie und Gastroente­rologie eine interdisziplinäre Zusammen­arbeit der beiden Fächer. Während peri­anale Ulzera aus dermatologischer Sicht in der Mehrzahl der Fälle auf sexuell über­tragbare Erkrankungen oder auf kutane Neoplasien zurückzuführen sind, wer­den sie in der Gastroenterologie in der Regel als assoziierte Manifestation prok­tologischer Grunderkrankungen verstan­den. Neben anorektalen Neoplasien zäh­len hierzu spezifische entzündliche Er­krankungen, wie z. B. der Morbus Crohn oder der Morbus Behçet, sowie eine Viel­zahl unspezifischer Proktitisformen, die mit Erosionen, Ulzera und Fistelbildun­gen einhergehen können [4, 10]. Als mög­liche Ursachen einer Proktitis gelten me­chanische Traumen, toxische Substanzen, Ischämien und radioonkologische Thera­pieverfahren.

Auch in Suppositorien enthaltene Arz­neimittel können für eine Proktitis mit rektalen und perianalen Ulzera verant­wortlich sein [10]. Die nachfolgende Ka­suistik beschreibt dieses wenig bekann­te Krankheitsgeschehen mit richtungwei­sender Anamnese, charakteristischen Be­funden und typischem Verlauf.

Anamnese

Vor 2 Jahren erlitt die damals 59­jährige Patientin eine Fraktur des vierten Len­denwirbelkörpers. Als Analgetikum, so berichtete die Patientin anfänglich, sei­en ihr Titretta® Zäpfchen 1000/60 verord­

net worden. Das Präparat enthält 1000 mg Paracetamol und 60 mg Codeinphosphat. Zunächst will die Patientin täglich 2, spä­ter dann 4 bis 5 Suppositorien verwendet haben. Vor 1 Jahr traten erstmals Diar­rhöen auf. Gleichzeitig wurden periana­le Ulzera bemerkt, die bis zur stationären Aufnahme 3 Monate später kontinuier­lich an Größe zunahmen. Aufgrund der schmerzhaften Defäkation und der da­durch bedingten reduzierten Nahrungs­aufnahme hatte die Patientin in 6 Mo­naten ca. 20  kg Körpergewicht verlo­ren. Während des stationären Aufenthal­tes stellte sich später heraus, dass die Pa­tientin das genannte Präparat bereits seit mindestens 5 Jahren regelmäßig verwen­det hatte, allerdings nur in einer täglichen Dosierung von 1 bis 2 Suppositorien. Wie die Patientin über diesen langen Zeitraum an das verschreibungspflichtige Medika­ment gekommen war, ließ sich nicht klä­ren.

Klinischer Befund

Perianal fand sich ein schmetterlingsför­mig aufgebautes, 7 × 4 cm großes, flaches Ulkus mit schlierenartig gelblich beleg­tem Grund. Der Ulkusrand zeigte sich ab­schnittsweise ausgestanzt, wallartig auf­geworfen oder unscharf begrenzt. Im Be­reich der wallartigen Abschnitte war der Rand unterminiert (. Abb. 1).

Histopathologischer Befund

In einer tiefen Probebiopsie aus dem Ul­kusrand findet sich ein proliferierendes Regeneratepithel ohne Atypien und ohne zytopathische Veränderung einer Her­

pes­Virus­Infektion. Die Epidermis zeigt keine Hinweise einer toxischen Schädi­gung. Der Ulkusgrund ist von entzün­dungszellig durchmischtem Fibrin und Zelldetritus bedeckt. Direkt darunter fin­det sich ein mäßig dichtes gemischtzelli­ges lymphohistiozytäres Entzündungsin­filtrat. Eine granulomatöse Entzündung liegt nicht vor, und Erreger lassen sich auch in Spezialfärbungen nicht finden. Zusammenfassend kann aus dem fein­geweblichen Bild die Genese der Ulzera­tion nicht abgeleitet werden, jedoch kann eine ganze Reihe von Erkrankungen, wie z. B. eine Herpes­Virus­Infektion oder ein Morbus Crohn, ausgeschlossen wer­den (. Abb. 2).

Diagnose

Probebiopsie aus einem Ulkus mit eitri­ger Entzündungsreaktion ohne Hinweis für eine Herpes­Infektion, eine granulo­matöse Erkrankung oder einen malignen Tumor.

Labor

Die Routinelaborparameter zeigten keine richtungweisend pathologischen Befunde [Blut­ und Differenzialblutbild, BSG, CRP, Eiweißelektrophorese, nierenpflichtige Substanzen, Transaminasen, HbA1c und Treponema-pallidum­Partikelagglutina­tionstest (TPPA)]. Die bakteriologischen Untersuchungen führten zum Nachweis von Staphylococcus aureus, Escherichia co-li und Enterococcus faecalis. Die mykolo­gischen Kulturen waren unauffällig. Mo­lekulargenetisch kein Nachweis von HSV Typ 1 und 2, Ureaplasma parvum/urealy-

G. Wagner1 · C. Sand2 · M.M. Sachse1

1  Klinik für Dermatologie, Allergologie und Phlebologie, Klinikum

Bremerhaven Reinkenheide, Bremerhaven, Deutschland2  Apotheke Klinikum Bremerhaven Reinkenheide, Bremerhaven, Deutschland

Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien

Hautarzt 2014DOI 10.1007/s00105-014-3534-4

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

1Der Hautarzt X · 2014 |

Kasuistiken

Page 2: Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien; Perianal and rectal ulcers due to abuse of paracetamol-codeine suppositories;

ticum, Chlamydia trachomatis und Myco-plasma hominis (DNA­PCR).

Technische Untersuchungen

Koloskopie: Unmittelbar hinter dem un­auffälligen Analkanal bei 10 cm ab ano zeigt sich ein ca. 20 mm großes, fibrinbe­legtes Ulkus. Darüber hinaus unauffälli­ger Schleimhautbefund mit normaler Ge­fäßzeichnung terminales Ileum, rechtes, mittleres und linkes Kolon.

Histopathologische Befunde: hämor­rhagisch ulzeröse Entzündung im Rek­tum 10 cm ab ano; unauffällige Schleim­haut terminales Ileum und übriges Kolon.

Ösophagogastroduodenoskopie: klei­ne axiale Hernie bei sonst unauffälligen Befunden.

Thoraxröntgenaufnahme, Abdomen­sonographie und gynäkologisches Konsil zeigten altersgemäße Befunde.

Therapie und Verlauf

Die Applikation der Suppositorien wur­de beendet. Um einen Codein­Entzug zu vermeiden und eine weiterhin notwen­dige Analgesie zu gewährleisten, erhielt die Patientin ein orales Kombinations­präparat bestehend aus 500 mg Paraceta­mol und 20 mg Codeinphosphat (talvo­silen® 500 mg/20 mg Tabletten). Die Be­handlung mit anfänglich 1500 mg Parace­tamol und 60 mg Codeinphosphat konn­te schrittweise reduziert und nach 6 Wo­chen eingestellt werden. Zur lokalen The­rapie des Ulkus wurden Sitzbäder mit ad­stringierenden Zusätzen und fibrinoly­tisch wirksame Salben verordnet. Unter dieser Behandlung bildete sich das Ul­kus innerhalb von nur 3  Wochen fast vollständig zurück. Es zeigte sich zu die­sem Zeitpunkt eine aufgeworfene Nar­benplatte mit umschriebenen Erosionen (. Abb. 3). Zu einer weiteren Wiedervor­stellung mit geplanter Kontrollrektosko­pie erschien die Patientin nicht mehr.

Diskussion

Suppositorien sind eine medikamentö­se Darreichungsform, die bei zahlreichen Indikationen vornehmlich in der Pädiat­rie Verwendung finden. Auf diese Weise

lässt sich der medikamentöse First­Pass­Effekt reduzieren. Bei Erwachsenen wer­den Suppositorien zur lokalen Behand­lung anogenitaler Erkrankungen und zur systemischen Therapie als Analgetika, Spasmolytika oder Antipyretika einge­setzt. Besonders zur Behandlung der Mi­gräne werden Suppositorien verordnet, da die rektale Resorption der Wirkstof­fe durch Übelkeit und Erbrechen nicht beeinflusst wird. Als Analgetika werden hauptsächlich Paracetamol (Acetamino­phen) oder nichtsteroidale Antiphlogisti­ka (NSAR) eingesetzt, die als Monosubs­tanz oder als Kombinationspräparate an­geboten werden. Einzelne Suppositorien enthalten zusätzlich Codein, das teilweise zu Morphin demethyliert wird und so die analgetische Wirkung der Präparate ver­stärkt [12]. Ein weiterer Wirkstoff, der in der Vergangenheit zusammen mit Para­cetamol in Suppositorien enthalten war, ist Dextropropoxyphen [6]. Dabei handelt es sich um ein Opioid mit analgetischer Wirkung, das heute jedoch nicht mehr in Suppositorien enthalten ist.

Unter dem Titel „Anokutaner Ergotis­mus gangraenosus“ berichteten erstmals 1980 V.  Wienert und E.­I.  Grußendorf [16] über das Auftreten perianaler Ulze­ra nach Verwendung von Suppositorien. Bei einer 35­jährigen Patientin hatten sich nach Abusus Ergotamin­haltiger Suppo­sitorien perianale Ulzera entwickelt. Die Patientin hatte täglich bis zu 5 Supposito­rien mit einer Gesamtdosis von 7,5 mg Er­gotamintartrat eingeführt, was der emp­fohlenen wöchentlichen Dosis entspro­chen hätte. Die Autoren postulierten ei­

2 | Der Hautarzt X · 2014

Kasuistiken

Abb. 3 8 Klinischer Befund 3 Wochen nach Ab-setzen der Suppositorien

Abb. 2 9 Histologie vom Ulkusrand mit Re-generatepithel und ge-mischtzelliger Entzün-dung (Hämatoxylin-Eosin-Färbung)

Abb. 1 8 Perianal schmetterlingsförmig aufge-bautes Ulkus

Page 3: Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien; Perianal and rectal ulcers due to abuse of paracetamol-codeine suppositories;

ne verstärkte kutane Ergotamin­Resorpti­on durch perianale und intraanale Läsio­nen infolge einer proktologischen Grund­erkrankung mit nachfolgender Gefäßkon­striktion und lokaler Ischämie. In den fol­genden Jahren wurden vereinzelt weite­re Kasuistiken über Ergotamin­induzier­te perianale Ulzera nach Abusus von Sup­positorien publiziert [2, 5]. Inzwischen sind Ergotamin­haltige Suppositorien in Deutschland aus dem Handel gezogen worden. Nicht auszuschließen ist jedoch deren Bezug im Ausland, z. B. durch In­ternetapotheken [11].

Während Ergotamin in Suppositorien regelhaft nicht mehr zur Verfügung steht, stellen heute Paracetamol als Monosubs­tanz oder in Kombination mit ASS dieje­nigen Wirkstoffe dar, die als Ursache einer arzneimittelbedingten lokalen Ulkusgene­se im Applikationsbereich von Supposito­rien angesehen werden [1, 4, 11, 15]. Nur vereinzelt wurden Ulzera nach Diclofe­nac­ oder Indometacin­haltigen Supposi­torien beobachtet [8]. Typischerweise sind Frauen im Alter zwischen 30 und 60 Jah­ren betroffen [3, 4, 15]. Als Indikation für den Gebrauch der Analgetika werden Mi­gräne, Zephalgien anderer Genese und abdominelle Schmerzen angegeben [3, 4, 11]. Bei vielen Patienten bestehen gleich­zeitig psychische Erkrankungen wie De­pressionen oder Persönlichkeitsstörun­gen [1, 4]. Die Anzahl der Suppositorien wird von den Patienten in der Regel gerin­ger angegeben als tatsächlich appliziert. In der Mehrzahl haben die Patienten täglich mindestens 3, häufiger jedoch auch mehr Suppositorien verwendet [4, 6, 8, 15]. In Einzelfällen konnten Patienten beobach­tet werden, die am Tag bis zu 16 Supposi­torien eingeführt hatten [3]. Der klinische Befund der durch Suppositorien verur­sachten perianalen Ulzera weist unabhän­gig von den jeweils enthaltenen Arznei­mitteln eine charakteristische Morpholo­gie auf. Die Ulzera sind durch einen ty­pischerweise symmetrischen Aufbau ge­prägt und wurden wiederholt als schmet­terlingsförmig beschrieben [5, 6, 15]. Sie können Durchmesser von 10–15 cm errei­chen und sich intraanal fortsetzen. Ver­einzelt entstehen auch mehrere, nur we­nige Zentimeter durchmessende Ulzera, die dann in unregelmäßiger Verteilung perianal lokalisiert sind. Der Ulkusgrund

ist scharf begrenzt, bisweilen aufgewor­fen und unterminiert. Der meist nur we­nige Millimeter tief gelegene Ulkusgrund kann Granulationsgewebe, gelblich fibri­nöse Belege oder hämorrhagische Krus­ten aufweisen [4, 6, 8, 15]. Der histopa­thologische Befund zeigt eine Ulzeration mit Regeneratepithel und gemischtzelli­ger Entzündung. Diarrhöen, schmerzhaf­te Tenesmen sowie Blut­ und Schleimab­gänge müssen als Symptome einer zusätz­lich bestehenden Proktitis gewertet wer­den, in deren Folge rektale Ulzera, rek­tovaginale Fisteln, Strikturen und Rek­tumstenosen auftreten können [1, 4, 11]. Welche pathogenetischen Mechanismen, durch Paracetamol induziert, zur Ulku­sentstehung führen, ist nicht bekannt [3]. Diskutiert wird eine initiale Vasokonstrik­tion, wie sie bei Ergotamin­haltigen Sup­positorien als gesichert angesehen wird [2, 15, 16]. Paracetamol und NSAR hem­men bei Menschen die Cyclooxygenasen (COX 1 und 2), die die Prostaglandinsyn­these einleiten. Die verschiedenen Pros­taglandine besitzen sowohl vasodilatato­rische als auch vasokonstriktorische Ei­genschaften. Darüber hinaus können sie die Thrombozytenaggregation hemmen oder fördern [14]. Entgegen der früheren Auffassung hemmt Paracetamol auch pe­ripher die COX­2 [10]. Die Blockade der COX­2­abhängigen Prostaglandinsyn­these ist insofern von Bedeutung, da die COX­1­induzierte Bildung vasokonstrik­torischer und thrombozytenaktivieren­der Thromboxane weniger stark gehemmt wird [10]. Durch einen Abusus Paraceta­mol­haltiger Suppositorien könnte sich möglicherweise lokal eine stark erhöhte Gewebekonzentration des Paracetamols einstellen mit nachfolgender Störung des Gleichgewichts der verschiedenen Pros­taglandine und ihrer teilweise antagonis­tischen Eigenschaften. Darüber hinaus können hohe Paracetamol­Konzentrati­onen auch in Abwesenheit von Throm­boxan vasokonstriktorisch wirksam sein [9, 13].

Einer anderen Hypothese zufolge könnte eine periphere COX­Hemmung die druckinduzierte Relaxation vor Ort hemmen. Die Ischämie hätte möglicher­weise eine Ulkusbildung zur Folge [7]. Ob andere Prostaglandin­abhängige Me­chanismen, z. B. die in der gastrointesti­

Zusammenfassung · Abstract

Hautarzt 2014DOI 10.1007/s00105-014-3534-4© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

G. Wagner · C. Sand · M.M. Sachse

Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien

ZusammenfassungBei einer 61-jährigen Patientin bestand seit 4 Monaten ein kontinuierlich an Größe zu-nehmendes perianales Ulkus. Im Rahmen der Proktoskopie stellte sich ein weiteres Ulkus im Rektum dar. Anorektale Malignome, lokal persistierende virale Infektionen oder primär entzündliche Darmerkrankungen fanden sich hingegen nicht. Als Ursache der Ulzera konn-te die Verwendung Paracetamol- und Code-in-haltiger Suppositorien ermittelt werden. Nach Absetzen der Suppositorien bildete sich das perianale Ulkus innerhalb von 3 Wochen fast vollständig zurück. Die Pathogenese der Paracetamol-induzierten Ulzera ist nicht be-kannt. Diskutiert wird eine dosisabhängige Vasokonstriktion.

SchlüsselwörterNebenwirkung · Nichtsteroidale Antiphlogistika · Anokutaner Ergotismus gangraenosus · Cyclooxygenasen · Prostaglandinsynthese

Perianal and rectal ulcers due to abuse of paracetamol-codeine suppositories

AbstractA 61-year-old woman presented with a pro-gressive perianal ulcer which had developed 4 months ago. Upon further examination, an-other ulcer of the rectum was detected. Ano-rectal malignancies, viral infections or pri-mary inflammatory bowel disease were not found. It could be demonstrated that the ul-cers were induced by paracetamol and co-deine suppositories. After discontinuation of these suppositories, the perianal ulcers healed almost completely within 3 weeks. The pathogenesis of paracetamol-induced ul-cers is unknown. However, dose-dependent vasoconstriction is a possible explanation.

KeywordsSide effects · Nonsteroidal antiinflammatory drug · Ano-cutaneous gangraenous ergotism · Cyclooxygenases · Prostaglandine synthesis

3Der Hautarzt X · 2014 |

Page 4: Perianale und rektale Ulzera nach Abusus von Paracetamol-Codein-Suppositorien; Perianal and rectal ulcers due to abuse of paracetamol-codeine suppositories;

nalen Mukosa erfolgende Schleim­ und Bicarbonatproduktion als Schutzmecha­nismen der Schleimhäute, auch anorek­tal von Bedeutung sind, wird kontro­vers eingeschätzt [3, 8, 14]. Aufgrund der Morphinbildung beinhaltet das einzel­nen Suppositorien hinzugefügte Codein ein deutliches Suchtpotenzial, das auch zu einer Überdosierung der Analgetika beitragen kann. Das Codein ist somit als Schrittmacher eines Analgetikaabusus zu verstehen und für das vermutlich dosis­abhängige Auftreten der analgetikaindu­zierten Ulzera indirekt mit verantwort­lich zu machen. Die Differenzialdiagno­sen der durch Suppositorien verursach­ten perianalen Ulzera umfassen unter an­derem mechanische oder mazerativ be­dingte Ulzera, kutane oder anorektale Malignome, blasenbildende Dermatosen, das Ulcus durum, die Kryoglobulinämie, nekrotisierende Herpes­Virus­Infektio­nen bei HIV­Infizierten sowie den Mor­bus Crohn und die Colitis ulcerosa [2, 3, 8, 11]. Die Therapie der Wahl besteht im Absetzen der Suppositorien. Bei Codein­haltigen Präparaten kann in Abhängigkeit von der Dauer der Anwendung eine ora­le Substitution zur Verhinderung einer Entzugssymptomatik notwendig werden, die anschließend langsam reduziert wer­den muss. Die lokale Ulkustherapie rich­tet sich nach den Vorgaben der phasenad­aptierten Wundbehandlung. In der Regel heilen die Ulzera innerhalb weniger Wo­chen vollständig ab.

Fazit für die Praxis

5 Perianale Ulzera können besonders in Verbindung mit der Symptomatik einer Proktitis auf den Abusus Parace-tamol-haltiger Suppositorien zurück-zuführen sein. 5 Für die Diagnose entscheidend ist die Anamnese bei Ausschluss anderer Grunderkrankungen. 5 Nach Absetzen der Suppositorien hei-len die Ulzera ab.

Korrespondenzadresse

Dr. G. WagnerKlinik für Dermatologie, Allergologie und PhlebologieKlinikum Bremerhaven Reinkenheide, Postbrookstr. 103, 27574 [email protected]

Danksagung. Die histologische Aufnahme und die dazugehörigen Erläuterungen wurden freundlicher-weise von Herrn Priv.-Doz. Dr. med. C. Rose, Dermato-histologisches Einsendelabor Lübeck, zur Verfügung gestellt.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. G. Wagner, C.  Sand und M.M. Sachse geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1. Baekelandt M, Vansteenberge R, Van der Spek P et al (1990) Rectal stenosis following the use of sup-positories containing paracetamol and acetylsali-cylic acid. Gastrointest Radiol 15:171–173

2. Brandt O, Abeck D, Breitbart E et al (1997) Peria-naler Ergotismus gangraenosus. Hautarzt 48:199–202

3. Casas M, Gómez C, Sainz S et al (2011) Rectal ulcer induced by suppositories. Rev Esp Enferm Dig (Ma-drid) 103:553–554

4. D’Haens G, Breysem Y, Rutgeerts P et al (1993) Proctitis and rectal stenosis induced by nonsteroi-dal antiinflammatory suppositories. J Clin Gastro-enterol 17:207–212

5. Eigler FW, Schaarschmidt K, Gross E et al (1986) Anorectal ulcers as a complication of migraine the-rapy. J R Soc Med 79:424–426

6. Fenzy A, Bogomoletz WV (1987) Anorectal ulce-ration due to abuse of dextroproproxyphene and paracetamol suppositories. J R Soc Med 80:62

7. Fromy B, Merzeau S, Abraham P, Saumet JL (2000) Mechanisms of the cutaneous vasodilator respon-se to local external pressure application in rats: in-volvement of CGRP, neurokinins, prostaglandins and NO. Br J Pharmacol 131(6):1161–1171

8. Gizzi G, Villani V, Brandi G et al (1990) Ano-rectal le-sions in patients taking suppositories containing non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID). Endoscopy 22:146–148

9. Hammermann C, Bin-Nun A, Markovitch E et al (2011) Ductal closure with paracetamol: a surpri-sing new approach to patent ductus arteriosus treatment. Pediatrics 128:e1618–e1621

10. Hinz B, Cheremina O, Brune K (2008) Acetamino-phen (paracetamol) is a selective cyclooxygenase-2-inhibitor in man. FASEB J 22:383–390

11. Jongen J, Peleikis H-G, Eberstein A et al (2010) Proktitis aus Sicht der Proktologie. Coloproctology 32:273–278

12. Lüllmann H, Mohr K, Hein L (2010) Opiate/Opioide. In: Lüllmann H, Mohr K, Hein L (Hrsg) Pharmakolo-gie und Toxikologie. Thieme, Stuttgart, S 304294–304

13. Merrill G, McConnell P, Vandyke K et al (2001) Co-ronary and myocardial effects of acetaminophen: protection during ischemia-reperfusion. Am J Phy-siol Heart Circ Physiol 280(6):H2631–2638

14. Simmons DL, Botting RM, Hla T (2004) Cyclooxyge-nase isozymes: the biology of prostaglandin syn-thesis and inhibition. Pharmacol Rev 56:387–437

15. Streit E, Gholam P, Hadaschik E et al (2014) Anorec-tal necrosis after paracetamol abuse. Br J Dermatol 170:217–218

16. Wienert V, Grußendorf E-I (1980) Anokutaner Ergo-tismus gangraenosus. Hautarzt 31:668–670

Kommentieren Sie diesen Beitrag auf springermedizin.de

7 Geben Sie hierzu den Beitragsti-tel in die Suche ein und nutzen Sie anschließend die Kommentarfunk-tion am Beitragsende.

4 | Der Hautarzt X · 2014

Kasuistiken