Peter Funke, Athen in Klassischer Zeit

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Peter Funke schildert klar und prägnant die klassische Zeit des antiken Athen. Es wird deutlich, wieso gerade diese Epoche des griechischen Stadtstaates zweieinhalbtausend Jahre euro- päischer Kultur- und Geistesgeschichte zu prägen vermochte. Der erste Teil der Darstellung ist der Entstehung und Entwick- lung der athenischen Demokratie, der erfolgreichen Abwehr der Perser und der Zeit des ersten attischen Seebundes gewid- met. Im zweiten Teil werden die attische Philosophie, ihre Exponenten wie Sokrates und Platon vorgestellt und der pelo- ponnesische Krieg geschildert - jener antike Weltkrieg zwi- schen den mächtigen Bündnissystemen der Athener und Spar- taner. Den Abschluß des Buches bildet die neuerliche Blüte Athens im zweiten Seebund und der vergebliche Kampf um die Freiheit gegen die Makedonen, der mit der Niederlage bei Chaironeia endet. Peter Funke, Jahrgang 1950, ist Ordinarius für Alte Ge- schichte und Direktor des Seminars für Alte Geschichte und des Instituts für Epigraphik an der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster. Seine Hauptarbeitsgebiete bilden die Geschichte der griechischen Staatenwelt von der mykenischen bis zur römischen Zeit, antike Verfassungsgeschichte, griechi- sche Historiographie, antike Landeskunde und historische Geographie.

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History of Athens in Antiquity

Transcript of Peter Funke, Athen in Klassischer Zeit

  • Peter Funke schildert klar und prgnant die klassische Zeit des antiken Athen. Es wird deutlich, wieso gerade diese Epoche des griechischen Stadtstaates zweieinhalbtausend Jahre euro-pischer Kultur- und Geistesgeschichte zu prgen vermochte. Der erste Teil der Darstellung ist der Entstehung und Entwick-lung der athenischen Demokratie, der erfolgreichen Abwehr der Perser und der Zeit des ersten attischen Seebundes gewid-met. Im zweiten Teil werden die attische Philosophie, ihre Exponenten wie Sokrates und Platon vorgestellt und der pelo-ponnesische Krieg geschildert - jener antike Weltkrieg zwi-schen den mchtigen Bndnissystemen der Athener und Spar-taner. Den Abschlu des Buches bildet die neuerliche Blte Athens im zweiten Seebund und der vergebliche Kampf um die Freiheit gegen die Makedonen, der mit der Niederlage bei Chaironeia endet.

    Peter Funke, Jahrgang 1950, ist Ordinarius fr Alte Ge-schichte und Direktor des Seminars fr Alte Geschichte und des Instituts fr Epigraphik an der Westflischen Wilhelms-Universitt Mnster. Seine Hauptarbeitsgebiete bilden die Geschichte der griechischen Staatenwelt von der mykenischen bis zur rmischen Zeit, antike Verfassungsgeschichte, griechi-sche Historiographie, antike Landeskunde und historische Geographie.

  • Peter Funke

    ATHEN IN

    KLASSISCHER ZEIT

    Verlag C.H.Beck

  • Mit vier Abbildungen und fnf Karten; die Karten auf den Umschlaginnenseiten sowie auf den

    Textseiten 6 und 73 hat Frau Gertrud Seidensticker (Berlin) gezeichnet, die Karte auf S. 19 Herr Michael Tieke

    (Mnster).

    Fr Mary

    Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

    Funke, Peter:Athen in klassischer Zeit / Peter Funke. - Orig.-Ausg. -Mnchen : Beck, 1999(C.H.Beck Wissen in der Beck'schen Reihe ; 2074)ISBN 3 406 44574 8

    Originalausgabe ISBN 3 406 44574 8

    Umschlagentwurf von Uwe Gbel, Mnchen Umschlagabbildung: Ornament auf apulischer Vase,

    letztes Viertel des 5.Jahrnunderts v. Chr. C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), Mnchen 1999

    Satz: Ksel, KemptenDruck und Bindung: C.H.Beck'sche Buchdruckerei, Nrdlingen

    Gedruckt auf surefreiem, alterungsbestndigem Papier(hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)

    Printed in Germany

  • Inhalt

    I. Wendezeit und Zeitenwende:

    Der Aufbruch zur Demokratie.................................. 7

    Das 6. Jahrhundert: eine Vorgeschichte....................... 8 Kleisthenes: ein politischer Neubeginn........................ 14

    II. Selbstbehauptung und Erstarken:

    Die Zeit der Perserkriege .......................................... 29

    Der Ionische Aufstand ................................................. 29 Marathon und die Folgen ............................................. 31 Die zweite Bewhrungsprobe ...................................... 40 Der Griff nach der Hegemonie..................................... 46

    III. Herrschaft und Demokratie:

    Athen zur Zeit des Perikles ....................................... 50

    Die Etablierung der Herrschaft .................................... 51 Gesellschaft und Wirtschaft ......................................... 58 Die Schule Griechenlands............................................ 69

    IV. Ein antiker Weltkrieg: Der Peloponnesische Krieg 83 Der unentschiedene Krieg............................................ 85 Zwischen Frieden und Krieg........................................ 90 Der Weg in die Niederlage........................................... 94 Das Nachspiel .............................................................. 98

    V. Der Versuch einer Neubegrndung der Macht:

    Der neue Seebund ...................................................... 107

    VI. Der vergebliche Kampf um die Freiheit:

    Im Schatten Makedoniens ......................................... 114

    Zeittafel ............................................................................. 124

    Literaturhinweise ............................................................. 125

    Register ............................................................................. 127

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  • Stadt Athen

  • I. Wendezeit und Zeitenwende:

    Der Aufbruch zur Demokratie

    Es war eigentlich ein unerhrtes Geschehen, das sich im Jahre 508 v. Chr. an den Hngen der Akropolis in Athen abspielte: Eine aufgebrachte Menge von Athenern belagerte den Burg-berg, hinter dessen Mauern sich Isagoras, der amtierende ober-ste Beamte in Athen, und Knig Kleomenes I. von Sparta mit einigen hundert Gefolgsleuten und spartanischen Soldaten ver-schanzt hatten. Schon am dritten Tag muten sich die Belager-ten geschlagen geben. Den Spartanern wurde freier Abzug gewhrt, und auch Isagoras konnte unentdeckt gemeinsam mit den abziehenden Truppen entkommen; seine Anhnger aber wurden gefangengenommen und hingerichtet.

    Nun waren Brgerkriege und militrische Interventionen aus dem Ausland in der damaligen griechischen Staatenwelt alles andere als ungewhnlich, eher sogar an der Tagesord-nung, auch wenn es schon bemerkenswert war, da ein eher ungeordnetes athenisches Brgeraufgebot einen spartanischen Knig in die Knie zu zwingen vermochte. Das Besondere des Vorgangs lag aber darin, da es eben jener Knig Kleomenes gewesen war, der nur kurze Zeit zuvor - im Jahre 510 v. Chr. - an der Spitze einer groen spartanischen Interventionstruppe selber die Akropolis belagert und entscheidend zur Vertrei-bung der athenischen Tyrannen beigetragen hatte, die sich dort verbarrikadiert hatten. Damals betrieben fhrende athenische Adelsfamilien, allen voran die Alkmaioniden, aus dem Exil heraus den Sturz der Peisistratiden, die ber mehr als eine Generation hinweg als Tyrannen in Athen geherrscht hatten. Da aber die eigenen Krfte nicht ausreichten, schreckten die Alkmaioniden selbst vor einer Bestechung des delphischen Orakels nicht zurck, um im Kampf gegen die Tyrannis auch die Spartaner auf ihre Seite zu ziehen.

    Fr die Spartaner zahlte sich ihr Engagement allerdings nicht aus. Im Jahre 508 v. Chr. - nach einem zweiten Eingrei-fen in innerathenische Auseinandersetzungen - fanden sie sich

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  • nun selber unversehens in der Rolle der Belagerten wieder; und nicht nur Knig Kleomenes drfte sich an den von ihm er-zwungenen Abzug der Tyrannen erinnert gefhlt haben, als er mit seinen Soldaten die Akropolis rumen und sich nach Sparta zurckziehen mute. Das harsche Vorgehen der Athe-ner gegen ihren Landsmann Isagoras und seine Parteignger und gegen die Spartaner, die doch gerade noch als Helfer in der Not beim Sturz der Tyrannis die entscheidende Untersttzung gewhrt hatten, markiert einen Wendepunkt in der Geschichte Athens, der nur durch einen Rckblick auf die vorangegangene Zeit verstndlich wird.

    Das 6. Jahrhundert: eine Vorgeschichte

    Kaum waren die Tyrannen vertrieben, drohte die athenische Brgerschaft erneut in den Strudel adeliger Machtkmpfe hineinzugeraten, die in Athen schon im ausgehenden 7. und im frhen 6. Jahrhundert zu einer Zerreiprobe gefhrt und schlielich den Politiker Solon auf den Plan gerufen hatten. Tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Vernderungen hat-ten in jenen Jahren nicht nur in Athen die politische Ordnung aus den Fugen geraten lassen. Eine rapide zunehmende Ver-armung breiter buerlicher Schichten einerseits und die Forde-rung nichtadeliger, zu neuem Reichtum gelangter Gruppen nach einer strkeren Beteiligung am politischen Entschei-dungsproze andererseits lieen den Ruf nach einer grund-legenden gesellschaftlichen und politischen Reform immer ver-nehmlicher werden.

    In dieser Situation war Solon im Jahre 594 v. Chr. zum Archon gewhlt und mit der Aufgabe betraut worden, die wachsende Kluft zwischen den gesellschaftlichen Gruppierun-gen innerhalb der Polis zu berbrcken und das Gefge des athenischen Staates wieder ins Lot zu bringen. Solon stellte den zerrtteten Verhltnissen in Athen, der dysnoma, das Ideal der eunoma entgegen. Gemeint war damit eine Ordnung, die dem sozialen und konomischen Wandel in Athen Rechnung zu tragen suchte und auf eine entsprechende Neuverteilung der

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  • politischen Rechte und Pflichten innerhalb der Brgerschaft abzielte. Mastab fr die Beteiligung an den ffentlichen Ent-scheidungsprozessen wurde das Vermgen des einzelnen Br-gers und nicht mehr seine Herkunft. Nicht mehr die familiale Abstammung bestimmte knftighin die politischen Rechte des einzelnen, sondern seine Zugehrigkeit zu einer der vier, nach Einkommen gestaffelten Vermgensklassen, in die Solon die gesamte athenische Brgerschaft eingeteilt hatte.

    Mit Demokratie hatte das alles noch wenig zu tun, auch wenn zwei Jahrhunderte spter Solon in den Augen der Athe-ner als Begrnder der demokratischen Verfassung gelten sollte. Solon ging es vielmehr um den Abbau berkommener Vor-rechte der alten Adelsfamilien zugunsten eines zwar breiteren, aber eben doch abgestuften Mitwirkungsrechts der atheni-schen Brgerschaft. Volksversammlung (ekklesa) und Volks-gericht (heliaa) standen zwar allen Brgern offen, die Beklei-dung aller politischen mter und wohl auch die Wahl in den neu gegrndeten, jhrlich mit 400 Brgern zu besetzenden Rat blieben aber jeweils an bestimmte Mindesteinkommen gebun-den. Im politischen Bereich sollten die gleichen Prinzipien zum Tragen kommen, die auch schon der athenischen Wehrord-nung zugrunde lagen. So wie jeder Brger seinem jeweiligen Einkommen entsprechend zum Kriegsdienst herangezogen wurde, so wurden ihm nun auch die politischen Rechte zu-geteilt. Der Grundgedanke war eine neue Verknpfung von Staats- und Wehrverfassung, um auf diese Weise die Gesamt-heit der Brger enger in die Verantwortung fr den Staat (plis) einzubinden und den Zusammenhalt der Brgerschaft ber alle Gegenstze hinweg nachhaltig zu strken. Die enge Verbindung von Besitzstand, militrischen Pflichten und poli-tischen Rechten eines Brgers spiegelt sich auch in den Na-men der vier solonischen Vermgensklassen wider, die ur-sprnglich nach Ernteertrgen (gemessen in Medimnen, das sind Scheffel zu je ca. 52,51), spter dann nach dem Geldein-kommen unterschieden wurden: Pentakosiomdimnoi (Fnf-hundertscheffler / ber 500 Scheffel), Hippes (Reiter im Heer / ber 300 Scheffel), Zeugtai (Soldaten in der Schlacht-

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  • reihe / ber 200 Scheffel) und Thetes (Lohnarbeiter / unter 200 Scheffel).

    Diese timokratische, d.h. die politischen Mitwirkungsmg-lichkeiten des einzelnen nach dessen Besitzstand bemessende Neueinteilung des athenischen Brgerverbandes bildete den Kern eines umfassenden Reformprogrammes. Mit einer radika-len Tilgung aller Hypothekenschulden (seischtheia / Lasten-abschttelung) und dem Verbot, zahlungsunfhige Schuldner in die Sklaverei zu verkaufen, antwortete Solon auf die bedrckende wirtschaftliche und soziale Notlage in Athen. Zugleich dienten diese Eingriffe als flankierende Manahmen fr ein umfangreiches Gesetzgebungswerk, das sich auf fast alle ffentlichen und privaten Lebensbereiche der Athener aus-wirkte. Vieles wurde neuen Regelungen unterworfen, manches aber blieb auch bestehen oder wurde nur den neuen Verhlt-nissen angepat. Entscheidend war, da die solonischen Gesetze schriftlich fixiert und die Schrifttafeln mit den Geset-zestexten ffentlich aufgestellt wurden. Damit wurde das neue Recht dem willkrlichen Zugriff einer mndlichen Recht-sprechung entzogen und fr jeden Brger einsehbar, verfgbar und auch einklagbar. Die Verffentlichung der rechtlichen Grundlagen der Polis wurde so zum sichtbaren Ausdruck einer neuen staatlichen Ordnung, die darauf ausgerichtet war, die Brgerschaft aus ihrer festen Einbindung in die Politik der fhrenden Adelsfamilien zu lsen und jeden Brger unmittelbar an der Polis teilhaben zu lassen.

    Kurzfristig hatte die Anwendung timokratischer Prinzipien wohl kaum zu greren Vernderungen der politischen Fh-rungsschicht gefhrt; die Angehrigen der beiden obersten und einflureichsten Vermgensklassen waren sicherlich zunchst noch weitgehend mit den Angehrigen der alten mchtigen Adelsfamilien identisch. Lngerfristig mute sich das aber n-dern. Die politischen mter standen nun auch nichtadeligen Brgern offen, sofern sie ber das erforderliche Einkommen verfgten; vor allem aber hatte das solonische Regelwerk das brgerliche Selbstbewutsein der Athener geweckt. Die damit einhergehende allmhliche Auflsung alter Beziehungs- und

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  • Bindungsgeflechte schwchte die Position des Adels und zwang ihm neue Formen politischer Auseinandersetzung auf.

    Der von Solon eingeschlagene Weg einer grundlegenden Neu-konsolidierung Athens fand daher nicht berall die Akzeptanz, die fr eine dauerhafte Stabilisierung der Verhltnisse erforder-lich gewesen wre. Die Rivalitten zwischen den Adelshusern brachen erneut auf. Die Kmpfe um Macht und Einflu in der Polis nahmen sogar noch an Schrfe zu, da nun auch diejeni-gen, die bisher von den politischen Entscheidungen ausge-schlossen waren, ihre neu erworbenen Rechte und Ansprche zur Geltung brachten. In der ersten Hlfte des 6. Jahrhunderts drohte Athen ber den Auseinandersetzungen um die Fhrung in der Polis in Chaos und Anarchie zu versinken.

    Dieser innenpolitischen Konfrontation wurde erst ein Ende gesetzt, nachdem es dem Athener Peisistratos - nach mehreren Anlufen - im Jahre 546 v. Chr. endgltig gelungen war, sich in Athen als Tyrann zu etablieren. Am Schlu einer jahrzehn-telangen Abfolge erbitterter Parteienkmpfe stand die Tyran-nis, eben jene Herrschaftsform, der Solon durch seine Refor-men konsequent die Grundlagen zu entziehen versucht hatte. Paradoxerweise sollte aber gerade die Tyrannis des Peisistratos und seiner Familie letztlich zur Festigung der solonischen Ord-nung beitragen. Um seine Herrschaft gegenber den anderen Adeligen zu behaupten, setzte Peisistratos nicht nur auf den Beistand auswrtiger Tyrannen und Sldnertruppen, sondern suchte auch in Athen jenseits der eigenen engeren Klientel die Untersttzung anderer Bevlkerungsgruppen. Peisistratos be-ntigte eine breite Anhngerschaft, um das Machtbegehren seiner politischen Gegner zu paralysieren. Und er fand diese Anhnger vor allem auch in den Kreisen, deren Hoffnungen auf die solonischen Reformen durch die nachfolgenden Adels-kmpfe enttuscht worden waren. Zwar bot auch Peisistratos ihnen keine grere Teilhabe an der politischen Macht; diese konzentrierte er faktisch allein in seinen Hnden. Aber zumin-dest formal lie er die solonische Ordnung unangetastet, zumal sie sich bestens dazu nutzen lie, die lstige Adelskon-kurrenz im Zaume zu halten. Das Festhalten an dem durch

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  • Solon vorgegebenen institutionellen Rahmen setzte den politi-schen Ambitionen einzelner Aristokraten enge Grenzen, ins-besondere solange der Tyrann den bestimmenden Einflu auf die Besetzung der politischen mter ausben konnte. Alte Machtmechanismen wurden auer Kraft gesetzt und den Ade-ligen blieb in der Regel nur die Wahl zwischen einem Arrange-ment mit der herrschenden Tyrannenfamilie oder dem Exil.

    Die brigen Brger mochten sich mit ihrer politischen Ent-mndigung zunchst noch abfinden, da mit der Tyrannis wenigstens der unselige Widerstreit zwischen den Adelsfaktio-nen ein Ende gefunden hatte. Darber hinaus profitierten viele vom wirtschaftlichen Aufschwung Athens. Handel, Handwerk und Gewerbe blhten auf. Neben Wein und Olivenl wurden Tongefe aller Art zu einem Exportschlager. Durch die An-wendung innovativer Techniken bei der Herstellung und Ge-staltung erzielten die Athener in der Vasenproduktion bis dahin unerreichte Qualitten (Entwicklung der rotfigurigen Vasen-malerei) und drngten im gesamten Mittelmeerraum Konkur-renten wie etwa die Korinther zusehends vom Markt. Dieses konomische Erstarken war nicht zuletzt dem inneren Frieden in der Polis und einer geschickten Wirtschaftspolitik der Peisi-stratiden zu verdanken, die manches von dem wiederaufnahm und fortfhrte, was schon Solon ins Werk gesetzt hatte.

    An die solonische Politik knpften aber insbesondere auch die Manahmen der Peisistratiden an, die auf eine Strkung des Zusammengehrigkeitsgefhls aller athenischen Brger abzielten. Damit sollte ein Gegengewicht zu den Faktionsbil-dungen und zur Cliquenwirtschaft der einzelnen Adelshuser geschaffen und deren politische Einflumglichkeiten gemin-dert werden. Whrend aber fr Solon die Umverteilung der politischen Macht innerhalb der Brgerschaft im Vordergrund stand, diente fr die Tyrannen die Integration jedes einzelnen Brgers in die Polis ausschlielich dem eigenen Machterhalt. Jede Beeintrchtigung ihrer politischen Vorherrschaft sollte ausgeschlossen bleiben.

    Die Tyrannen lenkten daher die Entfaltungsmglichkeiten der Athener auf politikfernere Bereiche, die aber gleichwohl

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  • geeignet waren, den inneren Zusammenhalt der gesamten Polis zu strken. So betrieben die Peisistratiden eine planvolle Fr-derung von Kulten und religisen Festen, in die stets alle Br-ger eingebunden waren. Die Panathenen zu Ehren der Stadt-gttin Athena und die Dionysien wurden mit ihren musischen und sportlichen Wettkmpfen zu Hhepunkten im jhrlichen Festkreis aller Athener. Die aufwendige Ausgestaltung der Feste ging einher mit Baumanahmen in bis dahin nicht gekannten Ausmaen. Auf der Akropolis wurde ein prachtvol-ler, spter von den Persern zerstrter und nie wieder auf-gebauter Athenatempel errichtet und im Sdosten der Stadt begann man mit dem Bau des Olympieions, eines berdimen-sionierten Tempels fr den olympischen Zeus. Ein Wasserver-sorgungssystem mit schnen Brunnenanlagen und einem weit ausgelegten Leitungsnetz wurde in Angriff genommen, und fr eine neue Agor, den ffentlichen Versammlungs- und Markt-platz, wurde im Gebiet nrdlich des Areopags ein grozgig geplantes Areal mit ersten Bauten erschlossen. Gezielt gestalte-ten die Tyrannen die Stadt Athen zum kultischen und urbanen Zentrum und zur neuen Mitte ganz Attikas aus, um fr die Bewohner ber alle lokalen Bindungen hinweg einen neuen zentralen Bezugspunkt zu schaffen. Symbolisch fr dieses Ziel stand die Errichtung des Zwlf-Gtter-Altars auf der Agor, der als gedachter Mittelpunkt der Polis galt und von dem aus knftighin alle Wegstrecken in Attika vermessen wurden. Zugleich sollte das uere Erscheinungsbild der Stadt der Herrschaft der Tyrannen sichtbaren Glanz verleihen und ihre Macht nach auen hin dokumentieren.

    Mit dieser Politik, die auf Terror und Gewalt weitgehend verzichtete, vergewisserten sich die Peisistratiden des Rck-halts breiterer nichtadeliger Bevlkerungsschichten in Athen. Dieser Rckhalt bedeutete allerdings keineswegs eine un-bedingte Loyalitt gegenber den Tyrannen. Fr viele war die Alleinherrschaft eines Tyrannen nur das kleinere bel im Ver-gleich zu den Wechselfllen der aristokratischen Parteien-kmpfe vorangegangener Zeiten. So fgte man sich vorerst der peisistratidischen Herrschaft, zumal diese zumindest den

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  • Grundbestand der solonischen Ordnung unangetastet lie -wenn auch um den Preis der politischen Entmndigung. Auf Dauer aber war man nicht mehr bereit, den Mangel an politi-scher Mitsprache einfach hinzunehmen. Die Peisistratiden selbst hatten mit ihrer Politik entscheidend dazu beigetragen; der wachsende Wohlstand tat ein briges. Die Lsung der Br-ger aus ihrer politischen Bindung an einzelne Adelshuser und ihre ideologische Ausrichtung auf den athenischen Staat hatten insbesondere in den wohlhabenderen Schichten das brger-liche Selbstbewutsein gestrkt. Es war nur eine Frage der Zeit und vor allem auch der Gelegenheit, da diese Gruppierungen auch auf ihre politische Teilhabe an der Polis nicht mehr ver-zichten wollten.

    Nach dem Tod des Peisistratos 528/7 v. Chr. war die Herr-schaft zunchst offenbar reibungslos auf seine Shne ber-gegangen. Die Situation vernderte sich aber grundlegend, als im Jahre 514 v. Chr. die beiden Athener Harmodios und Ari-stogeiton den Peisistratiden Hipparchos in einem privaten Racheakt ermordeten. Sein Bruder Hippias, der den Mordan-schlag berlebt hatte, verschrfte daraufhin das tyrannische Regime und rief dadurch den verstrkten Widerstand der Athener hervor. Jetzt waren es wohl nicht mehr nur die adeli-gen Gegenspieler der Peisistratiden, sondern auch weite Teile der nichtadeligen besitzenden Schichten, die ein Ende der Tyrannenherrschaft herbeiwnschten. Aus eigenen Krften vermochten die Athener allerdings nicht die Tyrannis zu str-zen. Die Befreiung kam von auen, als spartanische Soldaten unter Fhrung des Knigs Kleomenesl. 510 v. Chr. in Athen intervenierten und Hippias zum Verlassen der Stadt zwangen.

    Kleisthenes: ein politischer Neubeginn

    Im Widerstand gegen die Tyrannis wuten sich die meisten Athener einig; ganz anders stand es jedoch mit ihren Vorstel-lungen ber die politische Neugestaltung. Hierber kam es nach dem Sturz der Tyrannis zu heftigen Auseinandersetzun-gen. Teile des Adels erhofften sich eine Restauration ihrer alten

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  • Machtstellung. Im Jahre 508 v. Chr. gelang es ihnen, ihren Wortfhrer Isagoras in das oberste Amt des Archonten zu bringen. Mit seiner Hilfe wollten sie sogar die von Solon ge-schaffene Grundordnung wieder auer Kraft setzen und die politische Macht in die Hnde eines 300kpfigen Adelsrates legen.

    Der Gegenspieler des Isagoras war der Kleisthenes aus dem Geschlecht der Alkmaioniden. Wie Isagoras drngte auch er zur Macht. Er war in den vorangegangenen Jahren der eigent-liche Drahtzieher im Kampf gegen die Tyrannis des Hippias gewesen, und er hatte auch durch Bestechung die delphische Priesterschaft dazu gebracht, die Spartaner zum Eingreifen in Athen zu veranlassen. Whrend Isagoras Athen wieder in die Bahnen einer Adelsherrschaft alten Stils zurcklenken wollte, hatte Kleisthenes erkannt, da sich das Rad nicht mehr zu-rckdrehen lie. Die Tyrannis war endgltig in Mikredit ge-raten; aber ebenso waren auch die frheren Herrschaftsformen obsolet geworden, die ausschlielich den alten Adelshusern vorbehalten waren. Die Tyrannis hatte die Rahmenbedingun-gen fr politisches Handeln unwiederbringlich verndert. Fast ein halbes Jahrhundert hatten die Peisistratiden die fhrenden Adelshuser in Athen politisch kaltgestellt und jegliches poli-tisch eigenstndige Agieren unterbunden. Damit waren die traditionellen Bindungen zwischen dem Adel und der brigen Bevlkerung nachhaltig gestrt und eingefahrene politische Verhaltensmuster aus der bung gekommen.

    Die Folgewirkungen dieser peisistratidischen Politik ent-sprachen dann aber keineswegs den eigentlichen Intentionen. Was nur dem eigenen Machterhalt dienen sollte, hatte letztlich entscheidend dazu beigetragen, den Forderungen der Brger-schaft nach einer grundlegenden Neuordnung der politischen Entscheidungsprozesse in Athen den Weg zu bahnen. Kleisthe-nes griff diese Forderungen auf und propagierte die Idee einer umfassenden Neugestaltung des athenischen Brgerverbandes mit dem Ziel, allen Brgern eine mglichst unmittelbare Teil-habe an der Politik zu gewhren. Mit einem sicheren Gespr fr das vernderte politische Klima in Athen konnte er sich auf

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  • diese Weise in der Auseinandersetzung mit Isagoras um die politische Fhrung in Athen die Untersttzung breiter Bevl-kerungsschichten verschaffen.

    Kampflos wollten seine Gegner das Feld aber nicht rumen. In die Defensive gedrngt, rief Isagoras die Spartaner zur Hilfe. Erneut intervenierte Knig Kleomenes in Athen, und gesttzt auf die spartanischen Truppen gelang es Isagoras, Kleisthenes und die Familien von 700 seiner Parteignger aus Attika zu vertreiben. Aber auch dieses Vorgehen reichte nicht mehr aus, um die eigenen Ziele durchzusetzen. Der Versuch des Isagoras, das von Solon geschaffene Ratsgremium oder vielleicht auch schon einen bereits nach den politischen Vorstellungen des Kleisthenes neu zusammengesetzten Rat - die Quellen lassen uns hier im Ungewissen - aufzulsen, brachte das Fa zum berlaufen. Die Mehrheit der Brger war nicht mehr bereit, sich abermals politisch entmndigen zu lassen. Obgleich Kleis-thenes und seine gesamte engere Anhngerschaft auer Landes waren, fanden sich immer noch so viele Brger zum bewaffne-ten Widerstand zusammen, da es ihnen gelang, Isagoras und seine politische Gefolgschaft mitsamt den spartanischen Sol-daten unter der Fhrung des Kleomenes auf der Akropolis ein-zuschlieen. Was dann folgte, wurde bereits zu Beginn dieses Kapitels beschrieben.

    Mit dem Sieg ber Isagoras und seine Anhnger hatten sich die Athener im Jahre 508 v. Chr. gegen alle aristokratischen Restaurationsversuche erfolgreich zur Wehr gesetzt und ihrer Forderung nach einer greren Teilhabe an der Politik zum entscheidenden Durchbruch verholfen. Was durch die Refor-men Solons vorbereitet war und unter der Tyrannis der Peisi-stratiden - von diesen ungewollt - reifen konnte, trug nun Frchte. Das politische Selbstbewutsein breiterer Schichten hatte sich erstmals Geltung verschafft und sollte knftig zu einem ausschlaggebenden Faktor fr die weitere Ausgestaltung der athenischen Staatsordnung in klassischer Zeit werden. Da-her wurden eingangs die Geschehnisse des Jahres 508 v. Chr. als ein Wendepunkt der Geschichte Athens bezeichnet und an den Anfang dieser Darstellung gerckt.

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  • Der Sieg ber Isagoras war auch ein Sieg des Kleisthenes. Er hatte mit seinen Ideen die entscheidenden Impulse zum Widerstand gegeben; und da die Athener noch nicht ber das erforderliche Selbstvertrauen und auch noch nicht ber die notwendige Erfahrung verfgten, die staatliche Neuordnung eigenstndig in die Hand zu nehmen, setzten sie ihre Hoff-nungen auf Kleisthenes, der sogleich aus dem Exil zurck-gerufen wurde. Hier verharrten die Athener noch ganz in den Verhaltens- und Erwartungsmustern der berkomme-nen Adelsherrschaft. Das galt auch fr Kleisthenes. Fr ihn war die Umsetzung seiner Reformplne auch eine Frage der Selbstbehauptung in der Auseinandersetzung mit seinen ade-ligen Konkurrenten. Daher blieben die kleisthenischen Re-formmanahmen immer auch ein Stck adeliger Rivalitts-kmpfe.

    Waren Solon von den streitenden Parteien noch besondere Vollmachten zur Durchsetzung einer neuen Ordnung bertra-gen worden, so fand Kleisthenes eine so breite Zustimmung bei den athenischen Brgern, da er seine Ziele allem Anschein nach auf dem Wege regulrer Mehrheitsentscheidungen ver-wirklichen konnte, gegen die seine Gegner nichts auszurichten vermochten. Um der alten Adelsherrschaft endgltig die Machtgrundlagen zu entziehen, setzte Kleisthenes auf eine umfassende Neugliederung der gesamten Brgerschaft. Bis dahin waren die Athener nach Personenverbnden - nach Phylen (Stmmen) und Phratrien (Bruderschaften) -gegliedert, die auf gentilizische, d. h. mehr oder weniger fiktive verwandtschaftliche Beziehungen zurckgefhrt und von einzelnen Adelshusern dominiert wurden. Die Teilhabe der Brger an den politischen Entscheidungen war von ihrer Ein-bettung in dieses von personalen Bindungen geprgte Be-ziehungsgeflecht abhngig. Daran hatte auch die zustzliche Einteilung der Brgerschaft in vier Vermgensklassen durch Solon aufgrund der nachfolgenden politischen Ereignisse fak-tisch zunchst noch wenig gendert, obgleich diese Manahme eigentlich auf eine Beseitigung des gentilizischen Prinzips zumindest im politischen Bereich abzielte.

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  • Kleisthenes verfolgte daher einen radikaleren Weg und suchte der politischen Organisation des athenischen Brger-verbandes einen vllig neuen Zuschnitt zu geben. Dies war nicht zuletzt aufgrund der Gre der Polis Athen keineswegs leicht zu bewerkstelligen. Zum Polisterritorium zhlte eben nicht nur die Stadt Athen, sondern ganz Attika. Von den hoch aufragenden Gebirgszgen des Parnes und des Kithairon im Norden bis zur Sdspitze von Kap Sunion erstreckte sich das athenische Staatsgebiet ber mehr als 2600 km2 und entsprach damit fast genau der Gre des heutigen Staates Luxemburg. An der Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert drften hier ca. 120-150000 Einwohner - Frauen, Kinder, Fremde und Skla-ven mit eingerechnet - gelebt haben, von denen wiederum ca. 25-30000 mnnliche Vollbrger, d.h. Inhaber aller politi-schen Rechte und Pflichten waren. In der Hauptstadt Athen und ihrer nheren Umgebung lebte wohl kaum mehr als ein Drittel der Gesamtbevlkerung; die brige Einwohnerschaft verteilte sich auf ganz Attika, das nicht nur in den Kstenre-gionen und in den fruchtbaren Ebenen von Eleusis, Athen und des Binnenlandes, sondern auch an den Randzonen der Gebirge und in den nordstlichen und sdlichen Hgelland-schaften dicht besiedelt war. Es gab weit mehr als 100 Land-gemeinden ganz unterschiedlicher Gre. Streusiedlungen mit zahlreichen Einzelgehften und Drfern bestanden neben klei-neren urbanen Zentren mit durchaus stdtischem Geprge. Die Vielfalt und Dichte der Besiedlung Attikas hatte der Aus-bildung zahlreicher lokaler Sonderinteressen Vorschub gelei-stet. Vor allem die alten Adelsgeschlechter hatten einzelne Regionen ihrer Macht und ihrem Einflu unterworfen und fan-den hier - gesttzt auf die gentilizische Grundordnung der Polis - ihre Klientel und den notwendigen Rckhalt fr ihre Politik.

    Um diese Abhngigkeitsverhltnisse aufzulsen, bedurfte es einer entschiedeneren Abkehr vom gentilizischen Prinzip, als sie Solon vollzogen hatte. Kleisthenes machte daher ein rein territoriales Ordnungsprinzip, das den gewachsenen regiona-len Bindungen zuwiderlief, zum Fundament seines Reform-

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  • Das athenische Phylen- und Demensystem nach der kleisthenischen Neuordnung

    werkes. Er schuf ein vllig neues Phylensystem, das zum Grundraster der politischen Organisation des Brgerverbandes wurde. Die alte gentilizische Phylenordnung behielt zwar noch eine gewisse soziale Geltung; im Bereich des Politischen aber verlor sie alle Wirkungsmglichkeiten.

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  • Ganz Attika wurde in die drei groen Landschaftszonen Stadt (sty I Stadt Athen einschlielich der sie umgebenden Kephissosebene bis hinunter zur Kste von Phaleron und Pi-rus), Kste (parala) und Binnenland (mesgeia) einge-teilt. Die attischen Landgemeinden - und im Falle der Stadt Athen auch einzelne Stadtviertel - wurden als eigenstndige Verwaltungsbezirke (Demen) konstituiert und in den drei geographischen Grorumen zu jeweils 10 Einheiten zusam-mengefat, und zwar dergestalt, da jede Einheit eine zumin-dest annhernd gleich groe Anzahl von Brgern enthielt. Diese 30 Einheiten wurden Trittyen (Drittel) genannt, da aus ihnen insgesamt 10 neue Phylen geschaffen wurden, die jeweils aus einer Trittys der Bereiche Stadt, Kste und Binnen-land bestanden.

    In der beraus komplexen Struktur dieses Phylensystems kombinierte Kleisthenes zwei verschiedene Grundgedanken. Er verband die strikte Anwendung des Territorialprinzips mit der Idee der Durchmischung der gesamten Brgerschaft. Die Zu-sammenlegung regional unterschiedlicher Demengruppen zu jeweils einer Phyle sollte das Gemeinschaftsgefhl der Brger festigen und ihr politisches Zusammenwirken ber alle lokalen Bindungen hinweg ermglichen. Jede der 10 neuen Phylen wurde nach einem attischen Heros benannt, dessen kultische Verehrung die Zusammengehrigkeit innerhalb dieser Brger-abteilungen noch zustzlich strkte. Das neugestaltete Gefge von Demen, Trittyen und Phylen gewhrleistete ein ausgewo-genes Verhltnis zwischen den politischen Ansprchen des ein-zelnen Brgers und den Interessen der Gesamtheit.

    Die Basis der kleisthenischen Neuordnung bildeten die Demen, deren Stellung entscheidend gestrkt wurde. Ebenso wie die Phylen und Trittyen besaen auch sie gesonderte In-stitutionen zur Regelung der ihnen zugewiesenen Aufgaben. Die Demen, an deren Spitze jhrlich zunchst gewhlte, spter geloste leitende Beamte (Demarchen) standen, verfgten ber eigene Kulte, eigenen Besitz und eigene Gemeindeversammlun-gen, die mit wichtigen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet waren; denn auf der Ebene der Demen wurden alle Ansprche

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  • auf das athenische Brgerrecht geprft und die Brgerlisten gefhrt. Hier wurden auch die Kandidaten fr die Besetzung der obersten Magistraturen der Polis und zahlreicher anderer mter bestellt und spter dann auch die Richter fr die zen-tralen Gerichtshfe bestimmt. Die Demen waren auch die unterste Rekrutierungseinheit fr das nach den 10 Phylen ebenfalls neu geordnete militrische Aufgebot, an dem sich die Demen proportional zu ihrer Gre zu beteiligen hatten. Die Mannschaftsstrke eines jeden Phylenregimentes betrug ca. 1000 Schwerbewaffnete (Hopliten); darber hinaus steuerte jede Phyle ein kleines, seit der Mitte des 5. Jahrhunderts dann schlielich ca. 100 Mann starkes Kontingent zur Reiterei bei.

    Fr einen athenischen Brger wurde die Zugehrigkeit zu einem Demos folglich zu einer unabdingbaren Voraussetzung, um seine politischen Rechte und Pflichten in vollem Umfang wahrnehmen zu knnen. uerlich kam dies auch darin zum Ausdruck, da von nun an die Athener ihrem Eigennamen neben dem Vatersnamen (Patronymikon) auch die Angabe ihres Demos (Demotikon) hinzufgten, um ihren Status als Vollbrger anzuzeigen.

    Die kunstvolle Verklammerung von Demos und Gesamt-polis wird besonders deutlich in der Zusammensetzung und Funktion des von Kleisthenes neu geschaffenen Rates (bule). Er war das eigentliche Kernstck der Reformen. In diesem Rat der Fnfhundert war jede der zehn neuen Phylen mit 50 Mitgliedern vertreten. Innerhalb der Phylen stellte jeder Demos eine der Gre seiner Brgerschaft entsprechende Zahl von Ratsherren (Buleuten). Diese wurden in den Gemeinden jhrlich aus einer greren Zahl von Bewerbern (mit einem Mindestalter von 30 Jahren) ausgelost. Jeder Brger durfte im Laufe seines Lebens allerdings nur zweimal der bule an-gehren, so da die regelmige mterrotation der Buleuten -wie im brigen auch vieler anderer Magistrate - ein hohes politisches Engagement von jedem einzelnen Brger ein-forderte.

    Diese Zusammensetzung des Rates sorgte nicht nur fr eine reprsentative und proportional ausgewogene Vertretung aller

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  • Brger in der bul, sondern stellte auch einen dauernden Aus-gleich zwischen den hufig doch ganz unterschiedlichen Wn-schen und Ansprchen innerhalb der Gesamtbrgerschaft sicher. Die Buleuten konnten nmlich im Rat weitgehend nur phylenweise agieren und waren daher stets gezwungen, ihre eigenen Interessen mit denen der brigen Buleuten der gleichen Phyle abzustimmen. Da nun die Mischung der Trittyen in jeder Phyle zu einer breiten regionalen Streuung der Demen und damit auch ihrer Ratsvertreter gefhrt hatte, fanden nicht nur in den Beratungen des Gesamtrates, sondern eben auch in jenen der einzelnen Phylensektionen der bul, der sogenannten Prytanien, die oft divergierenden Interessen der Brger ange-messen Bercksichtigung. Dies war um so wichtiger, als jede Prytanie ein Zehntel des Jahres als geschftsfhrender Aus-schu unter einem tglich neu ausgelosten Vorsteher (episttes) nicht nur den Rat leitete, sondern bis zum Beginn des 4. Jahr-hunderts auch den Vorsitz in den Volksversammlungen fhrte und damit eine einflureiche Rolle bei der politischen Ent-scheidungsfindung spielte.

    Auch wenn der bul erst im Verlaufe des 5. Jahrhunderts zahlreiche Aufgaben wie die Finanzkontrolle und die berwa-chung der Beamtenttigkeiten zuwuchsen, wurden ihr schon in kleisthenischer Zeit zentrale Kompetenzen bertragen. So lag die Festlegung der Tagesordnung der regelmig zusammen-tretenden Volksversammlung in den Hnden des Rates; vor allem aber bedurften smtliche Entschlieungsantrge, die der Volksversammlung zur Entscheidung vorgelegt wurden, einer Vorberatung und Beschlufassung durch den Rat. Ohne einen solchen Vorbeschlu des Rates (probleuma) konnte in der Volksversammlung ber keinen Antrag abgestimmt werden. Auch wenn die Volksversammlung letztlich der Souvern der Entscheidung blieb und durch zustzliche Initiativantrge ein Probleuma nachtrglich verndern konnte, wird hier gleich-wohl die enge Verzahnung von Rat und Volksversammlung deutlich. Erst durch das unbedingte Zusammenwirken beider Institutionen wurde die Teilhabe aller Brger an den politi-schen Entscheidungsprozessen gewhrleistet. Da der Rat in sei-

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  • ner Zusammensetzung ein reprsentatives Abbild des atheni-schen Brgerverbandes darstellte, konnte er als Gegengewicht zur Volksversammlung und quasi auch stellvertretend fr all diejenigen Brger fungieren, die oft schon allein aufgrund der weiten Entfernungen innerhalb Attikas nicht regelmig an den Volksversammlungen teilnehmen konnten.

    Wahrscheinlich bertrug Kleisthenes dem Rat auch ein be-sonderes Abstimmungsverfahren, das es den Buleuten ermg-lichte, einen der Tyrannis verdchtigen Politiker fr 10 Jahre des Landes zu verweisen; nach Ablauf dieser Zeit konnte der Verbannte, dessen Vermgen unangetastet blieb, wieder in die Heimat zurckkehren. Da die Abstimmung, bei der minde-stens 200 der 500 Buleuten gegen einen solchen Politiker votie-ren muten, mittels Tonscherben erfolgte, auf die der Name des zu Verbannenden zu notieren war, wurde das Verfahren ostrakisms (Scherbengericht) genannt. In den 80er Jahren des 5. Jahrhunderts ging dieses Verfahren dann vom Rat auf die Volksversammlung ber und wurde zu einer scharfen Waffe in den innenpolitischen Auseinandersetzungen. Der Zeitpunkt der Einfhrung und die genauen Modalitten des Ostrakismss waren zwar schon in der Antike umstritten; es spricht aber doch manches dafr, schon in Kleisthenes den Urheber zu sehen und von der hier beschriebenen Entwicklung der Verfahrensweise auszugehen. So besehen kennzeichnet auch der Ostrakisms die herausragende Stellung des Rates im neuen politischen Ordnungsgefge, dessen Bestand es zu stabi-lisieren und gegen alle Anfechtungen zu verteidigen galt.

    Die kleisthenischen Reformen hatten die Stellung des ein-zelnen Brgers in der Polis neu bestimmt. Besonders die Auf-wertung der Demen und die Konstituierung des Rats der Fnfhundert hatten jedem die Mglichkeit erffnet, unmittel-bar an den politischen Entscheidungen der Polis mitzuwir-ken. Von demokratia war damals allerdings noch nicht die Rede, auch wenn dafr alle entscheidenden Grundlagen nun-mehr gelegt und die Bahnen fr die zuknftige Entwicklung vorgezeichnet waren. Isonoma (gleichmige Zuteilung) war das Schlagwort, unter dem eine gleichgewichtige Parti-

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  • zipation aller Brger am politischen Leben verwirklicht wer-den sollte. Dieser Begriff knpfte ganz bewut an den der solonischen eunoma an, der ja noch die nach timokrati-schen Grundstzen abgestufte Verteilung politischer Rechte propagierte.

    Die solonischen Prinzipien wurden jedoch nicht zur Gnze auer Kraft gesetzt. Die Einteilung der Brgerschaft in die vier Vermgensklassen wurde beibehalten und der Zugang zu den hchsten Magistraturen der Polis blieb zunchst weiterhin den Angehrigen der beiden obersten Vermgensklassen vorbehal-ten, in denen auch noch im ausgehenden 6. und im frhen 5. Jahrhundert die alten Adelsfamilien dominiert haben drf-ten. Nur diese konnten jahrweise in das oberste Fhrungs-gremium der 9 Archonten gewhlt werden, um als ArchonEpnymos (namengebender Beamter / nach ihm wurde das Amtsjahr benannt / allgemeine ffentliche Aufgaben), als Basi-les (Knig / Kultangelegenheiten), als Polmarchos (Feld-herr / militrischer Oberbefehl) oder als einer der 6 Thesmo-thtai (Rechtssetzer / Richtergremium) Leitungsfunktionen in der Polis zu bernehmen.

    Unberhrt von den kleisthenischen Neuerungen blieb vor-erst auch der Areopag. Diese Ratsversammlung, die nach ihrem Amtssitz auf dem nordwestlich der Akropolis gelegenen Areshgel (reios pgos) benannt war, galt als Wchter der Polis. Dem Areopag oblagen seit altersher die Gesetzesauf-sicht, zentrale Gerichtsfunktionen und die oberste Kontrolle ber alle ffentlichen Angelegenheiten. Da sich die ca. 200 bis 300 Mitglieder, die dem Areopag auf Lebenszeit angehrten, aus den ehemaligen Archonten rekrutierten, stand folglich auch der Areopag nur den beiden oberen Zensusklassen offen. Kleisthenes hatte diesem machtvollen Rat keine Kompetenzen genommen, ihm aber mit dem Rat der Fnfhundert eine Insti-tution zur Seite gestellt, deren Verankerung im neuen politi-schen System ein gewisses Spannungsverhltnis zum Areopag mit sich brachte. Bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts gestaltete sich das Nebeneinander der zwei Ratsorgane jedoch offenbar weitgehend konfliktfrei.

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  • Die zwischen beiden nicht immer leicht zu haltende Balance konnte wohl nur dadurch erreicht werden, da sich auch der Adel mehrheitlich mit der neuen Ordnung abfand und arran-gierte, schlielich auch mit ihr umzugehen lernte. Man lie sich auf die neuen Bedingungen ein und bte sich im Umgang mit dem neuen Rat und der Volksversammlung. Autoritt und Er-fahrung der alten Adelsgeschlechter zhlten weiterhin, so da sich auch die breiteren Schichten der athenischen Brgerschaft ihrer Fhrung anvertrauten, solange nur die neu geschaffenen politischen Spielregeln eingehalten wurden. Daher lenkten auch in nachkleisthenischer Zeit vorwiegend Angehrige der alten Adelshuser die politischen Geschicke Athens - aber eben nicht mehr aus eigener Machtvollkommenheit, sondern nur noch im Einvernehmen und mit Zustimmung aller Brger.

    Das, was Kleisthenes 507 v. Chr. ins Werk gesetzt hatte, lie sich kaum von einem Tag auf den anderen vollenden. Die neue Ordnung wollte erprobt, eingebt und gegebenenfalls durch Vernderungen den je aktuellen Erfordernissen angepat wer-den. Und dennoch waren die Athener schon ein Jahr spter imstande, die erste groe Bewhrungsprobe erfolgreich zu bestehen. Im Jahre 506 v. Chr. wurde Athen von allen Seiten bedrngt. Die Nachbarstaaten sahen in der politischen Um-bruchsituation eine vermeintliche Schwchung Athens, die sie zu ihren Gunsten ausntzen zu knnen glaubten. Der sparta-nische Knig Kleomenes whnte eine Gelegenheit, die Nieder-lage von 508 v. Chr. wieder wettzumachen, und unternahm den Versuch, Isagoras gewaltsam nach Athen zurckzufhren, um ihn dort als Tyrannen einzusetzen. Diese militrische Unternehmung scheiterte allerdings bereits im Ansatz. Zwie-tracht in den eigenen Reihen brachte den Vorsto schon bei Eleusis zum Stehen und zwang schlielich zur Auflsung des spartanischen Bundesheeres und zum Rckzug. Isagoras wurde von den Athenern in Abwesenheit zum Tode verurteilt, sein Besitz konfisziert.

    Im Bunde mit den Spartanern hatten aber auch die Nach-barn im Norden, die Boioter und die mchtige Stadt Chalkis auf der Insel Euboia, gegen Athen mobil gemacht und die

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  • nrdlichen Grenzregionen Attikas angegriffen. Hier war es im 6. Jahrhundert zu einer erheblichen Ausweitung der attischen Machtsphre gekommen, die man nun rckgngig zu machen hoffte. Unter der Herrschaft der Peisistratiden hatte Athen nmlich nicht nur am Hellespont - auf der thrakischen Cher-sones und in Sigeion - Fu fassen knnen, sondern auch die Insel Salamis endgltig dem eigenen Staatsgebiet einverleibt und die Nordgrenze ber die Gebirgsketten des Kithairon und Parnes hinaus bis an das Sdufer des Asopos ausgedehnt.

    Boioter und Chalkidier hatten sich in der Einschtzung der militrischen Abwehrkraft Athens jedoch grndlich getuscht. Nach dem unerwarteten Rckzug des spartanischen Heeres gingen die Athener mit ihrem gesamten Aufgebot gegen die Angreifer im Norden vor. In krzester Zeit - angeblich sogar innerhalb eines Tages - konnten sie ber ihre Gegner in zwei getrennten Schlachten einen vollstndigen Sieg erringen. Um die attische Machtstellung abzusichern, wurden 4000 attische Brger auf den Lndereien der Chalkidier angesiedelt. Solche athenischen Brgerkolonien (Kleruchien) wurden ungefhr zur gleichen Zeit auch auf Salamis gegrndet und auf den nord-gischen Inseln Lemnos und Imbros, die damals von Miltia-des - in Unterscheidung zu seinem Onkel der Jngere genannt - erobert und seinen Landsleuten zur Besiedlung ber-lassen worden waren. Die Anlage dieser Kleruchien, deren Bewohner athenische Brger blieben, hatte nicht nur eine stra-tegische, sondern auch eine konomische Bedeutung. Tau-sende von Brgern konnten mit neuem Ackerland versorgt werden, und Athen gewann zugleich dringend bentigte zustzliche Anbauflchen zur Versorgung der eigenen Bevlke-rung. Das in jenen Jahren entwickelte Kleruchiensystem wurde in der Folgezeit zu einem wichtigen Instrument athenischer Macht- und Wirtschaftspolitik.

    Nach ihrem militrischen Erfolg hatten die Athener Hun-derte von Boiotern und Chalkidiern gefangen gesetzt und erst gegen immens hohe Lsegeldzahlungen wieder in die Freiheit entlassen. Die eisernen Fesseln, in denen man die Kriegsgefan-genen abgefhrt hatte, wurden der Stadtgttin Athena geweiht

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  • und demonstrativ auf der Akropolis zur Schau gestellt. Und vom Zehnten des Lsegeldes errichteten die Athener auf der Akropolis ein groes bronzenes Viergespann als weitere Wei-hung an Athena und versahen es mit einer Inschrift, in der sie ihren Sieg ber die Boioter und Chalkidier feierten.

    Die Aufstellung dieser monumentalen Weihegaben zeigt, welche Bedeutung die Athener ihren militrischen Siegen bei-maen und welches Selbstbewutsein sie hieraus schpften. Die gerade erst neu verfate - und in vielem wohl auch noch nicht ganz ausgestaltete - Polis hatte den strksten Mchten der griechischen Staatenwelt die Stirn geboten. Das nach den kleisthenischen Phylen neu geordnete Heeresaufgebot hatte seine erste Bewhrung erfolgreich bestanden und war auch ohne die persische Untersttzung, um die man zunchst nach-gesucht hatte, zurechtgekommen. Die Brgerschaft war imstande gewesen, allein auf sich gestellt die Polis gegen alle Zugriffe von auen zu verteidigen.

    Der Wert dieses auenpolitischen Erfolges auch fr die Sta-bilisierung der innenpolitischen Verhltnisse kann kaum ber-schtzt werden. Die Ereignisse von 506 v. Chr. haben der kleisthenischen Ordnung entscheidend zum Durchbruch ver-holfen. In den folgenden Jahren scheint es keine offenen poli-tischen Richtungskmpfe mehr gegeben zu haben. Es bestand wohl ein weitgehender Konsens in den Grundfragen, so da die Verfassung weiter ausgestaltet werden konnte. Im Jahre 501/500 v. Chr. wurde die militrische Kommandostruktur dahingehend verndert, da an die Spitze der einzelnen Phy-lenregimenter Strategen gesetzt wurden, die von der Volks-versammlung aus einer Gruppe in den Phylen vorbestimmter Kandidaten jhrlich gewhlt wurden, wobei auch Wiederwahl mglich war. Das militrische Oberkommando verblieb vor-erst beim Polemarchen, der sich aber von nun an mit den 10 Strategen ins Benehmen zu setzen hatte. Im gleichen Jahr -vielleicht aber auch schon 504/3 v. Chr. - wurde auch ein Eid eingefhrt, mit welchem sich die Ratsherren bei ihrem Amts-antritt verpflichten muten, nur zum Besten der gesamten Br-gerschaft zu handeln. Die Ratskompetenzen blieben zwar

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  • uneingeschrnkt, aber die Eidesformel unterstrich doch die starke Stellung der Volksversammlung und die konstitutive Bindung zwischen bul und ekklesa.

    Die Konsolidierung der neuen Verfassung wurde untermauert von einer Mystifizierung ihrer Anfnge. Es ist erstaunlich, wie schnell der eigentliche Verlauf der Geschehnisse in den Hintergrund trat. Schon im letzten Jahrzehnt des 6. Jahrhun-derts wurde in Trinkliedern und Gedichten die Ermordung des Hipparchos durch Harmodios und Aristogeiton (514 v. Chr.) als Ursache fr den Sturz der peisistratidischen Tyrannis und als Beginn der Freiheit besungen. Spartas Intervention und auch die Verdienste des Kleisthenes wurden rasch verdrngt. Was zhlte, war die Ideologie der Befreiung von der Tyrannis aus eigener Kraft. Harmodios und Aristogeiton, nicht Kleisthe-nes, wurden als Urheber der Isonomia gefeiert.

    Sichtbaren Ausdruck fand diese Ideologisierung in einer von dem Bildhauer Antenor geschaffenen Statuengruppe der bei-den Tyrannenmrder, die die Athener um 500 v. Chr. auf der Agor an zentraler Stelle ffentlich aufstellen lieen. Die Sta-tuengruppe wurde zum Sinnbild fr die neue Verfassung Athens; und als sie 480 v. Chr. von den Persern als Beutegut verschleppt wurde, ersetzten die Athener sie schon wenige Jahre spter durch eine neue, bei den Bildhauern Kritios und Nesiotes in Auftrag gegebene Gruppe. Die Aufstellung der Tyrannenmrderstatuen fgte sich ein in ein umfassendes Bau-programm, das die Auseinandersetzung mit der peisistratidi-schen Baupolitik suchte und der neuen politischen Ordnung auch architektonisch einen Rahmen verleihen sollte.

    Auf der Akropolis wurde sdlich des von den Peisistratiden aus Kalkstein errichteten Athenatempels auf den Fundamenten eines lteren Heiligtums mit dem Bau eines prachtvollen Mar-mortempels (dem sogenannten Vor-Parthenon) begonnen. Der von den Tyrannen initiierte gigantische Bau des Olympiei-ons wurde hingegen bewut nicht mehr weitergefhrt; er blieb als Mahnmal tyrannischer Hybris unvollendet liegen und wurde erst - nach mehreren Anlufen in hellenistischer Zeit -unter dem rmischen Kaiser Hadrian 131 n. Chr. fertiggestellt.

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  • Zwischen dem Musen- und dem Nymphenhgel westlich des Areopags wurde um 500 v. Chr. fr die Tagungen der atheni-schen Volksversammlung eine aufwendige, Pnyx genannte Platzanlage hergerichtet. Zur gleichen Zeit wurde die Westseite der Agor durch Grenzsteine abgesteckt und formell als ffent-licher Amtsbezirk gekennzeichnet. Hier wurden die ersten neuen Amtsgebude der athenischen Magistrate und ein Sit-zungssaal fr den Rat der Fnfhundert erbaut. Der Markt-, Versammlungs- und Festplatz entwickelte sich nun auch zur neuen politischen Mitte Athens.

    II. Selbstbehauptung und Erstarken:

    Die Zeit der Perserkriege

    Der Ionische Aufstand

    Im Jahre 499 v. Chr. traf Aristagoras von Milet in Athen ein. Ein Jahr zuvor hatte er sich wegen des Scheiterns einer gegen die Insel Naxos gerichteten Militroperation mit seinem persi-schen Oberherrn berworfen. Daraufhin hatte er die ionischen Griechenstdte an der kleinasiatischen Kste zum Aufstand gegen die Perser aufgerufen, die seit 547 v. Chr. ihren Herr-schaftsbereich ber ganz Kleinasien und schlielich sogar ber die Dardanellen hinaus bis nach Thrakien und Makedonien ausgedehnt hatten. Obgleich sich die Rebellion wie ein Fl-chenbrand ausbreitete, bedurfte Aristagoras weiterer Unter-sttzung. Daher war er in das griechische Mutterland gereist, um fr die Sache der kleinasiatischen Griechen zu werben. Whrend er in Sparta nur Ablehnung fand, erklrten sich die Athener zur Hilfeleistung bereit und beschlossen die Entsen-dung von 20 Kriegsschiffen.

    Vieles drfte zusammengekommen sein, was die Entschei-dung der Athener beeinflute: Persien hatte schon seit lngerer Zeit dem gestrzten athenischen Tyrannen Hippias in Klein-asien Heimstatt gewhrt und die Athener gedrngt, ihn wieder

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  • in Athen aufzunehmen. Dieser Druck hatte die antipersischen Ressentiments noch gestrkt, die schon bald nach 508 v. Chr. wachgerufen worden waren, als ein an die Perser gerichtetes Bndnisersuchen der Athener vom Groknig als Unterwer-fungsgeste gedeutet wurde. Ausschlaggebend fr den atheni-schen Entschlu zum Engagement in Kleinasien war aber wohl das militrische und politische Selbstbewutsein der Athener, das durch die Erfolge ber Sparta, Boiotien und Chalkis eine entscheidende Strkung erfahren hatte. Den Athenern schlo sich dann nur noch das euboiische Eretria mit 5 weiteren Schif-fen an.

    Die Perser wurden von dem pltzlich ausbrechenden Auf-stand offenbar gnzlich unvorbereitet getroffen, so da sie eine lngere Phase der Mobilisierung bentigten; zwischenzeitlich konnten die Aufstndischen 498 v. Chr. - gemeinsam mit den athenischen und eretrischen Kontingenten - bis Sardes vor-stoen und die Stadt zerstren. Auf dem Rckzug erlitten sie bei Ephesos jedoch eine erste schwere Niederlage. Gleichwohl weitete sich der Aufstand aus und griff auf die Regionen des Hellespont und auf Lykien, Karien und Zypern ber. Athen und Eretria zogen allerdings schon nach einem Jahr ihre Trup-pen wieder zurck, so da deren Intervention nur ein kurzes Gastspiel blieb und die weiteren Auseinandersetzungen ganz ohne mutterlndische Beteiligung abliefen. Noch drei Jahre konnten sich die Aufstndischen behaupten. 494 v. Chr. be-siegelte dann aber die vollstndige Vernichtung ihrer Flotte bei der kleinen, Milet vorgelagerten Insel Lade und die an-schlieende Eroberung und Zerstrung von Milet das Ende des Ionischen Aufstandes.

    Die kleinasiatische Katastrophe strzte die Athener aus dem Hochgefhl eigener Strke in eine tiefe Verunsicherung. Das Scheitern des Aufstandes wurde auch in Athen als Niederlage empfunden. Es war die erste groe (auen)politische Schlappe der neu verfaten Brgerschaft. Entsprechend empfindlich rea-gierten die Athener, als im Frhjahr 492 v. Chr. der Dichter Phrynichos mit der Tragdie Der Fall Milets (Miletu Hlo-sis) die persische Eroberung dieser Stadt auf die Bhne brachte

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  • und alle Zuhrer zu Trnen rhrte. Da er mit seinem Stck an ein husliches Unglck erinnert habe, wurde der Dramatiker mit einer hohen Geldstrafe belegt und ber das Werk ein Auffhrungsverbot verhngt.

    Fr die Athener konnte kein Zweifel daran bestehen, da die Perser auf Rache sinnen und sich nicht einfach mit der Wie-derherstellung ihrer alten Vorherrschaft begngen wrden.

    Marathon und die Folgen

    Als Miltiades (der Jngere) im Sommer 493 v. Chr. auf der Flucht vor den Persern in Athen anlangte, mu er wie ein Vor-bote des kommenden Unheils gewirkt haben. Miltiades hatte seine Besitzungen auf der thrakischen Chersones aufgeben ms-sen, ber die er fast ein viertel Jahrhundert geherrscht hatte; und auch die athenischen Klerucheninseln Lemnos und Imbros waren wohl erneut in persische Hand gefallen. Damit hatte Athen beraus wichtige Positionen am Hellespont verloren. In Voraussicht auf die knftige Entwicklung und auch vor dem Hintergrund andauernder Auseinandersetzungen mit der Insel gina forcierte bereits damals Themistokles als amtierender Archon des Jahres 493/2 v. Chr. den Ausbau des Pirus zum neuen Hafen Athens und suchte auf eine nachhaltige Strkung der Schlagkraft der athenischen Flotte hinzuwirken. Er drfte damit durchaus mit Miltiades auf einer Linie gelegen haben, der nach seiner Rckkehr sehr rasch zu einer politischen Fhrungspersnlichkeit avancierte. Der in den spteren Quel-len behauptete Dissens zwischen beiden Politikern in der Frage der Flottenpolitik ist jedenfalls mehr als fraglich, da auch dem Miltiades aufgrund seiner langjhrigen Erfahrungen in der Nordostgis die Bedeutung maritimer Strke bewut sein mute und er selbst nur wenige Jahre spter ein groes Flot-tenunternehmen leiten sollte.

    Aber ber die allerersten Anfnge einer neuen Seepolitik war man noch nicht hinausgelangt, als sich die Situation 492 v. Chr. weiter zuspitzte. In einem groen, kombinierten See- und Landunternehmen dehnte der Feldherr Mardonios,

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  • ein Schwiegersohn des Groknigs Dareios, die persische Ein-flusphre erneut ber Thrakien hinaus bis nach Makedonien aus und unterwarf auch die Insel Thasos. Vielleicht wre der Vorsto sogar noch bis weit nach Griechenland hinein vor-angetrieben worden, wenn nicht die gesamte persische Flotte am Berg Athos in einem Sturm zerschellt wre; mehr als 300 Schiffe wurden zerstrt und ber 20000 Menschen fanden in der aufgewhlten See den Tod. Das Fiasko am Berg Athos hielt die Perser aber nicht davon ab, ihre Plne eines Rache-und Eroberungszuges gegen Griechenland weiterzuverfolgen. 491 v. Chr. hatte der persische Groknig den Griechen ein letztes Ultimatum gestellt und sie durch Gesandte auffordern lassen, ihm Erde und Wasser als Zeichen der Unterwerfung zu bergeben. Whrend zahlreiche Staaten der Forderung Folge leisteten, weigerten sich vor allem die Spartaner und ihre Ver-bndeten sowie die Athener, die ja schon einmal nach dem Sturz der Tyrannis ein solches Begehren des Dareios abgelehnt hatten.

    In Sparta und Athen wurden die persischen Boten unter Ver-sto gegen das Gesandtenrecht sogar umgebracht. Damit wa-ren alle Brcken abgebrochen und der Entschlu zum Wider-stand unumkehrbar. Und so harrte man in banger Erwartung des Kommenden, als im Frhjahr 490 v. Chr. die Perser mit groem Aufwand zum Feldzug gegen Griechenland rsteten. Um nicht erneut am Athosgebirge zu scheitern, hatten sich die Perser fr eine Seeroute quer durch die gis entschieden. Unter dem Kommando des Datis und des Artaphernes bewegte sich eine riesige persische Flotte, auf der mehr als 20000 Sol-daten und Hunderte von Reitern mit ihren Pferden transpor-tiert wurden, durch die Kykladen hindurch auf das griechische Festland zu. Mit an Bord befand sich auch der greise Hippias, den die Perser nach dem erwarteten Sieg wieder als Tyrannen und als ihren Statthalter in Athen einsetzen wollten.

    Unter den Augen der Athener fuhren die Perser unmittelbar an der attischen Ostkste entlang und landeten bei der euboi-ischen Stadt Eretria, an der sich die Perser wegen der Beteili-gung am Ionischen Aufstand ebenfalls rchen wollten. Nach

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  • nur sechstgiger Belagerung fiel die mchtige und stark be-festigte Stadt und wurde niedergebrannt. Den Athenern stand damit klar vor Augen, was auch sie zu gegenwrtigen hatten. In Erwartung des Kommenden whlten sie Miltiades zu einem ihrer Strategen. Man setzte auf seine langjhrigen Erfahrungen im Umgang mit den Persern; und diese Rechnung sollte auf-gehen. Obgleich das Oberkommando dem Polemarchen Kalli-machos zustand, wurde Miltiades zum entscheidenden Akteur. Als nach der Zerstrung Eretrias die persische Armada im Sptsommer 490 v. Chr. an der Euboia unmittelbar gegenber-liegenden Kste von Marathon anlandete, war es Miltiades, der als Wortfhrer in der Volksversammlung den Entschlu durchsetzte, noch am gleichen Tag mit dem gesamten Heeres-aufgebot auszurcken und sich den Persern bei Marathon ent-gegenzustellen. Gleichzeitig entsandte man einen Eilboten nach Sparta mit der Nachricht von der Landung der Perser und der dringenden Bitte um rasche Hilfe.

    Die Perser hatten ihr Lager auf der nordstlichen Seite der weit ausladenden Bucht von Marathon aufgeschlagen. Die Athener bezogen im Sden Stellung, wo die Auslufer des Pen-telikongebirges nahe ans Meer heranrcken und nur noch einen recht schmalen Durchgang fr den Weg nach Athen frei-lassen. Hier bot sich eine gnstige Gelegenheit, den Persern den Weg zu verstellen. Mehrere Tage lagen sich die Heere gegenber, ohne da eine Seite den Angriff vorzutragen wagte. Wieder soll es Miltiades gewesen sein, der seine wankelmti-gen Mitstrategen, die eine offene Feldschlacht frchteten, zum Ausharren bewegen konnte.

    Fr die Perser verstrich wertvolle Zeit, da sie tglich mit der Ankunft der spartanischen Entsatztruppen rechnen muten. Daher entschlossen sie sich endlich doch, den Kampf aufzu-nehmen und gegen die Athener vorzurcken, die durch ein Heeresaufgebot aus dem boiotischen Plataiai Verstrkung erhalten hatten. Trotz groer zahlenmiger berlegenheit hielten die Perser dem Gegenangriff nicht stand und wurden unter starken Verlusten zu ihren Schiffen zurckgedrngt. 6400 Perser sollen in der Schlacht gefallen sein, whrend die

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  • Athener nur 192 Tote zu beklagen hatten. Die Perser konnten allerdings ihre Flotte weitgehend retten und das Gros ihrer Sol-daten auf den Schiffen in Sicherheit bringen. Der Versuch, nach Umfahrung Attikas die Stadt Athen von Westen her unmittelbar anzugreifen, wurde schon bald aufgegeben, da die athenischen Truppen in Eilmrschen von Marathon zurckge-eilt und bei der Stadt erneut in Stellung gegangen waren. Unverrichteter Dinge zog sich die persische Flotte nach Klein-asien zurck.

    Den Athenern war zweifellos bewut, da mit dem Sieg bei Marathon die Auseinandersetzung mit den Persern noch lange nicht ausgestanden war. Gleichwohl strkte der ungeahnte Erfolg nicht nur ihr Selbstbewutsein und ihr Vertrauen in die eigene Kraft, sondern brachte ihnen vor allem auch Ansehen in der griechischen Staatenwelt ein. Den Spartanern, die wegen eines religisen Festes nicht frher hatten ausrcken knnen und erst kurz nach der Schlacht in Athen eingetroffen waren, prsentierten die Athener voll Stolz das Schlachtfeld, auf dem sie fr ihre Gefallenen einen hoch aufragenden Grabhgel errichteten. In Delphi und Olympia verkndeten reiche Weih-gaben aus Athen die Ruhmestat von Marathon, an die zu er-innern die Athener in der Folgezeit nicht mde wurden, um die Rechtmigkeit ihrer spteren Machtstellung durch den Verweis auf diese Rettung ganz Griechenlands vor den Bar-baren zu unterstreichen.

    Die Perser drften die Bedeutung ihrer Niederlage weitaus geringer eingeschtzt haben, zumal sie nicht nur ihre Einflu-sphre in Thrakien und Makedonien wahren konnten, son-dern nun auch ihre Vormachtstellung auf die gische Insel-welt ausgedehnt hatten. Und es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann sie erneut versuchen wrden, sich auch das festlndische Griechenland zu unterwerfen.

    Im Hochgefhl ihres Sieges trauten sich die Athener aber allem Anschein nach, solchen Machtambitionen entgegenzu-wirken und selber offensiv zu werden. Dem Miltiades, dessen Rat nach seinem Erfolg bei Marathon um so mehr gefragt war, gelang es daher schon im folgenden Frhjahr, die Athener mit

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  • dem Versprechen auf reiche Beute fr einen Kriegszug gegen die Insel Paros zu gewinnen. Nach allem, was wir wissen, hatte er persnlich noch eine alte Rechnung mit den Pariern zu begleichen. Das Vorgehen gegen Paros entsprach aber eben auch den allgemeinen Interessen Athens, da die persische Pr-senz auf den Kykladen unmittelbar vor der eigenen Tr eine dauernde Bedrohung darstellte. Auch drften die Athener gehofft haben, den Ende der 90er Jahre verlorenen Einflu in der Nordostgis wiederzugewinnen. So willigten sie in die Plne des Miltiades ein und stellten ihm Geld, Soldaten und die grte Flotte zur Verfgung, die sie bis dahin hatten in See ste-chen lassen: Mit 70 Schiffen war das Kontingent mehr als drei-mal so gro wie dasjenige, das 498 v. Chr. zur Untersttzung des Aufstandes der kleinasiatischen Griechen ausgesandt wor-den war.

    Die hoch gesteckten Erwartungen der Athener wurden aber bitter enttuscht. Mglicherweise konnte Miltiades zwar einige kleinere Kykladeninseln fr Athen gewinnen; die Belagerung von Paros aber mute er nach 26 Tagen ergebnislos abbrechen und kehrte mit leeren Hnden nach Athen zurck. Das Cha-risma des Siegers von Marathon hatte schweren Schaden genommen und die Hochstimmung der Athener war rasch ver-flogen. Seine politischen Gegner nutzten die Gunst der Stunde, strengten einen Hochverratsproze an und forderten sogar die Todesstrafe, der Miltiades nur mit knapper Not entging; wenig spter aber starb er an den Folgen einer Verletzung, die er sich bei der Belagerung von Paros zugezogen hatte.

    Betrug am Volk war dem gescheiterten Strategen im Proze vorgeworfen worden. Schon dieser Anklagepunkt ist ein deut-liches Zeichen fr das gewachsene Selbstbewutsein und die Ansprche einer attischen Brgerschaft, die nicht mehr gewillt war, ihren politischen Fhrern bedingungslos Gefolgschaft zu leisten. Der Proze gegen Miltiades 489 v. Chr. markiert den Beginn erbitterter politischer Auseinandersetzungen, die das Jahrzehnt zwischen Marathon und Salamis beherrschten. Der Kampf einzelner Personen und Gruppen um den bestimmen-den Einflu lebte wieder auf; es ging aber nicht mehr allein um

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  • Beschriftete Tonscherben (Ostraka)mit den Namen von Aristeides, Komon und Themistokles;

    Photo: Archiv fr Kunst und Geschichte, Berlin.

    die Durchsetzung persnlicher Machtinteressen. Die kleisthe-nische Ordnung, die - auch institutionell - die Grundlage fr die politischen Entscheidungsprozesse abgab, erzwang eine strker an Sachthemen und programmatischen Perspektiven orientierte Politik. Die Frage des Erhalts und Ausbaus oder der Rcknahme dieser neuen Ordnung stand dabei ebenso zur Debatte wie die Gestaltung der auenpolitischen Beziehungen zur persischen Gromacht, aber auch zur benachbarten Insel gina, der alten Rivalin Athens unmittelbar vor den Toren des Pirus. Vielfach vermischten sich auch innen- und auenpoliti-sche Aspekte, so da denjenigen, die sich fr einen Ausgleich mit Persien aussprachen, eine tyrannische Gesinnung nachge-sagt wurde; und umgekehrt wurde auch den noch in Athen verbliebenen Anhngern der Peisistratiden eine propersische Haltung unterstellt, was nicht verwundern konnte, da die Per-ser dem alten Tyrannen Hippias Zuflucht gewhrt hatten.

    Die 80er Jahre wurden zur Bewhrungsprobe fr die von Kleisthenes geschaffene isonome Verfassung Athens. In der hit-zigen Atmosphre der politischen Richtungskmpfe wurde das Ostrakismosverfahren zum wichtigsten Regulativ. Damals ging dieses Verfahren vom Rat der 500 in die Hnde der Gesamtbrgerschaft ber, die damit einen wichtigen Zugewinn

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  • an politischer Mitsprache fr sich verbuchen konnte. Jahr fr Jahr wurden zwischen 487 und 482 v. Chr. fhrende Politiker ostrakisiert und von der politischen Bhne verbannt; unter ihnen Xanthippos, der Vater des Perikles, und Aristeides, der spter zu den Mitbegrndern der athenischen Vormachtstel-lung gehrte. Bedenkt man, da eine erfolgreiche Abstimmung an ein Quorum von mindestens 6000 Stimmen gebunden war, so wird die breite Teilnahme der Brgerschaft und die Inten-sitt deutlich, mit welcher in Athen um die Ausgestaltung der Politik gerungen wurde.

    Weitere politische Neuerungen festigten zustzlich das demokratische Potential, das in der kleisthenischen Ordnung angelegt war: Seit 487 v. Chr. wurden die 9 Archonten nicht mehr gewhlt, sondern aus jeweils 100 von den Demen nomi-nierten Kandidaten ausgelost. Zugleich verlor der Archon Polemarchos die militrische Kommandogewalt an die 10 Stra-tegen, whrend er selbst nur noch fr die Ausrichtung der Gedenkfeiern fr die im Krieg Gefallenen zustndig war und richterliche Funktionen im Bereich des Fremdenrechtes zu erfllen hatte. Die Beliebigkeit des Losverfahrens minderte den politischen Stellenwert des Archontenkollegiums und auf Dauer auch des Areopags, der sich ja aus den ehemaligen Archonten zusammensetzte. Zugleich wurde die Stellung der Strategen gestrkt, die auch weiterhin alljhrlich durch die Volksversammlung gewhlt wurden. Da auch Wiederwahl uneingeschrnkt mglich war, entwickelte sich das Strategen-amt lngerfristig zu einer Schlsselposition im athenischen Staat, von der aus weit ber den militrischen Bereich hinaus Politik betrieben werden konnte.

    Diese institutionellen Vernderungen, deren ganze Tragweite die Athener zum damaligen Zeitpunkt vielleicht noch gar nicht absehen konnten, waren wichtige Weichenstellungen fr die weitere Ausformung der athenischen Verfassung und strkten das Gewicht der Gesamtbrgerschaft im politischen Entschei-dungsproze. Einer der Protagonisten dieser Entwicklung war allem Anschein nach Themistokles. In den Quellen ist zwar kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen seiner Person

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  • und den verfassungsrechtlichen nderungen der 80er Jahre nachzuweisen; aber sein Name findet sich sehr hufig auf den Scherben, die in jener Zeit zum Ostrakismos verwandt worden waren und die in den archologischen Ausgrabungen in Athen in reicher Zahl wieder zu Tage gefrdert wurden. Bei diesen Ostrakismosentscheidungen, in denen sich Themistokles stets gegen alle seine Gegner hatte durchsetzen knnen, ging es der Sache nach eben auch um die innenpolitische Ausrichtung und nicht nur um den auenpolitischen Kurs Athens, den Themi-stokles nach Ausweis der Quellen auf jeden Fall entscheidend beeinflute.

    In der ersten Hlfte der 80er Jahre berlagerte eine erneute Eskalation des Konfliktes mit der Insel gina die athenisch-persischen Spannungen. Da der Groknig Dareios und nach dessen Tod (486 v. Chr.) sein Nachfolger Xerxes durch Auf-stnde im Inneren ihres Reiches gebunden waren, drohte den Athenern von persischer Seite zunchst noch keine unmittel-bare Gefahr. Aber mit der Insel gina kam es zu einem Krieg, der den Athenern schon sehr bald ihre militrische Unter-legenheit zur See klar vor Augen fhrte. Trotz des Sieges bei Marathon wurde immer deutlicher, da mit einem herkmm-lichen Landheer weder den gineten noch gar den Persern wirklich beizukommen war. Es war das Verdienst des Themi-stokles, dies schon sehr frh erkannt zu haben. Unter dem Ein-druck einer wachsenden Einflunahme Persiens auf die gis und des damit einhergehenden Verlustes der attischen Ein-flusphren im Bereich des Hellespont hatte er als Archon bereits 493/2 v. Chr. auf eine Vergrerung der athenischen Seemacht und den Ausbau des Pirus mit seinen drei groen geschtzten Buchten als neuen Hafen gedrngt. Angesichts des Seekrieges mit gina unmittelbar vor der attischen Kste und der in bersee drohenden Persergefahr setzte Themistokles nun alles daran, die Athener fr seine alten Flottenplne zu gewinnen.

    In der zweiten Hlfte der 80er Jahre spitzte sich die Lage zu. Nachdem sich die Situation im Inneren des persischen Reiches wieder stabilisiert hatte, begann ab 484 v. Chr. der Groknig

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  • Xerxes mit einem riesigen Aufwand die Vorbereitungen zu einem neuen Feldzug gegen Griechenland. Ein Kanal wurde quer durch die Athoshalbinsel gebaut, um die Flottenpassage zu erleichtern, nachdem 492 v. Chr. vor der schwer zu um-fahrenden Sdspitze eine persische Flotte gescheitert war. Fr den raschen und reibungslosen Vormarsch eines Landheeres wurden an den Dardanellen Brcken gebaut und bis nach Makedonien hinein Vorratsmagazine angelegt. Diese ungeheu-ren Rstungsanstrengungen der Perser muten damals wie ein dunkler Schatten ber der Tagespolitik in Athen gelegen haben.

    Da war es eine Gunst der Stunde, da 483 v. Chr. in den Berg-baugebieten Sdattikas (Laureion) neue, sehr ergiebige Silber-lagersttten erschlossen werden konnten, die den Athenern groe finanzielle berschsse einbrachten. Die Verwendung dieser berschsse, die bis dahin stets an alle Brger verteilt wurden, stellte Themistokles nun vor der Volksversammlung zur Disposition und beantragte, das Geld fr den Bau von 200 Schiffen zu nutzen. Das Kernstck dieser neuen atheni-schen Flotte waren die Trieren. Die Kampfesweise dieser schnellen und wendigen, 37 m langen und nur 5V2m breiten Kriegsschiffe bestand darin, mit einem am Bug befestigten bronzenen Rammsporn die feindlichen Schiffe auer Gefecht zu setzen und zu versenken. Es kam vor allem darauf an, sehr schnell eine hohe Geschwindigkeit zu erreichen und geschickt zu manvrieren. Alles hing also von den Ruderern ab, die gut aufeinander eingespielt und daher stndig im Training sein muten. Die Athener brachten es hier im Laufe der Zeit zu einer unbertroffenen Perfektion. Und so wurde ihre Flotte zum Rckgrat der athenischen Herrschaftspolitik im 5. und 4. Jahrhundert.

    In den 80er Jahren mute aber Themistokles sein Flotten-bauprogramm noch gegen erbitterte Widerstnde durchsetzen; damals drften Vorwrfe laut geworden sein, wie sie spter der antike Autor Plutarch unter Verwendung eines Platonzitats (Nomoi 706 c) formulierte: Themistokles habe aus standfesten Hopliten Matrosen und Seeleute gemacht und damit seinen

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  • Mitbrgern Schild und Speer aus der Hand genommen und das Athenervolk an die Ruderbank gefesselt. Hinter diesen Vor-haltungen verbarg sich die Ahnung um die politische Brisanz des athenischen Beschlusses, militrisch knftighin primr auf die Flotte zu setzen. Denn es ging hierbei um weit mehr als nur die Strkung einer neuen Waffengattung. Da jede Triere mit 170 Ruderern und einer 30kpfigen Decksmannschaft besetzt war, erforderte der Aufbau der athenischen Flotte eine weitaus grere Zahl von Menschen, als je zuvor zum Kriegsdienst herangezogen worden war.

    Mit der festen Integration dieser Brger in das nun mehr als doppelt so starke attische Wehrpotential wurde auch deren politisches Gewicht grer. Angesichts der im antiken Denken fest verankerten Verbindung von Wehr- und Staatsverfassung drfte dieser politische Aspekt des themistokleischen Flotten-bauprogrammes durchaus gesehen worden sein, wenn auch mglicherweise noch nicht mit aller Konsequenz. Vielleicht aber darf man doch daraus schlieen, da Themistokles in der Strkung der Gesamtbrgerschaft eine neue politische Chance fr Athen, aber auch fr sich selbst gesehen hat und daher auch als der eigentliche Initiator der verfassungsrechtlichen Vernderungen der Jahre 487/6 v. Chr. gelten kann, die Aus-druck einer grundlegenden Neuorientierung waren.

    Die zweite Bewhrungsprobe

    Im Sptsommer 481 v. Chr. mute auch dem letzten Zweifler klar sein, da eine erneute Konfrontation mit Persien unmit-telbar bevorstand. Die Perser hatten ihre mehrjhrigen Kriegs-vorbereitungen abgeschlossen und in Sardes ein Heer von weit ber 100000 Mann zusammengezogen; darber hinaus sam-melte sich an der kleinasiatischen Kste eine Flotte von mehr als 600 Schiffen. Zugleich wiederholte Xerxes das Spiel seines Vaters Dareios und schickte Gesandte an die griechischen Staaten mit der Forderung nach Wasser und Erde zum Zeichen der Unterwerfung. Die Athener und Spartaner blieben aller-dings von dieser diplomatischen Offensive ausgenommen, da

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  • sie schon 10 Jahre zuvor die Boten des Dareios umgebracht hatten und auch an ihrer entschieden antipersischen Haltung wohl weiterhin kein Zweifel bestand. Die brigen griechischen Staaten reagierten wie schon 491 v. Chr. recht unterschiedlich auf die persische Forderung. Erneut zeigten sich die Zerrissen-heit und die unterschiedlichen Interessen im griechischen Mut-terland. Weite Teile Nord- und Mittelgriechenlands einschlie-lich des delphischen Orakels und die meisten Inseln, aber auch einige Staaten auf der Peloponnes schlugen sich auf die per-sische Seite oder verhielten sich zumindest wohlwollend neu-tral gegenber den Persern. Es waren daher kaum mehr als 30 Staaten, die sich im Herbst 481 v. Chr. auf Anregung Athens hin unter der Fhrung Spartas in Korinth versammelten und zu einem antipersischen Verteidigungsbndnis zusam-menschlossen. Neben Athen und Sparta mitsamt seinen pelo-ponnesischen Verbndeten gehrten anfangs nur noch einige wenige Poleis aus Mittelgriechenland und von den Kykladen diesem durch einen gemeinsamen Eid verbundenen Hellenen-bund an; hinzu kam auch noch die Insel gina, die ihren Streit mit Athen beilegte. Die vom sizilischen Syrakus und aus Korkyra erwartete Hilfe blieb hingegen aus.

    Angesichts des riesigen Militraufgebotes, das sich im Frh-jahr 480 v. Chr. von Kleinasien aus zu Wasser und zu Lande an der thrakischen und makedonischen Kste entlang auf Grie-chenland zubewegte, muten die Chancen auf eine erfolgreiche Abwehr der Perser alles andere als aussichtsreich erscheinen. Der anfngliche Plan, bereits an der thessalischen Nordgrenze in der schmalen Schlucht des Tempetals den Persern den Weg zu versperren, wurde sogleich wieder aufgegeben, da die grie-chischen Stellungen allzu leicht zu umgehen waren. Der Ge-danke eines Rckzugs bis an die Landenge von Korinth wurde verworfen, da man Athen nicht kampflos den Persern berlas-sen wollte. So wurde in Mittelgriechenland eine Verteidigungs-linie errichtet, indem der spartanische Knig Leonidas mit einem vergleichsweise kleinen Kontingent von ca. 7000 Mann den Landweg an den Thermopylen sperrte und zugleich beim Kap Artemision an der Nordspitze Euboias die Seeroute durch

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  • 271 Trieren blockiert wurde, von denen Athen weit mehr als die Hlfte unter dem Kommando des Themistokles stellte. Der Hellenenbund entschied sich fr die Offensive zur See, wh-rend man sich zu Lande eher auf die Defensive verlegen wollte. Die eigentliche Entscheidung fiel aber bei den Thermopylen, nachdem die Perser mit Hilfe eines griechischen Verrters den Pa auf einem Seitenweg hatten umgehen knnen. Die Nieder-lage des Spartaners Leonidas bei den Thermopylen bedeutete zugleich auch das Ende der mehrtgigen erbitterten Seekmpfe am Kap Artemision. Da der griechischen Flotte der Rckzug abgeschnitten zu werden drohte, segelte sie eiligst lngs der Westkste Euboias nach Sden, um sich bei Salamis neu zu formieren. Zugleich sammelten sich die Landtruppen des Hel-lenenbundes auf dem Isthmos von Korinth, den sie mit einer Mauer gegen den drohenden Angriff zustzlich zu sichern suchten.

    Die Perser hatten nun ungehinderten Zugang nach Mittel-griechenland; und auch Attika war ihnen schutzlos ausgelie-fert. Damit hatten sich die schlimmsten Befrchtungen der Athener erfllt. Allenthalben machten sich Bestrzung, Angst und Schrecken breit. Und wieder war es Themistokles, der den Athenern Ungeheures zumutete, indem er sie davon ber-zeugte, alles auf eine Karte zu setzen und die Rettung in der Seeschlacht zu suchen. Um der unaufhaltsam nahenden Gefahr zu entgehen, wurde der Entschlu gefat, Haus und Hof zu verlassen und die gesamte Bevlkerung Attikas auer Landes zu bringen. Alle wehrfhigen Mnner wurden auf den Kriegs-schiffen eingesetzt und die Frauen, Kinder und alten Leute nach Salamis, gina und Troizen verbracht.

    Whrenddessen zogen die persischen Truppen raubend und brandschatzend bis nach Attika, das ihren Plnderungen un-geschtzt zum Opfer fiel. Rache fr das Niederbrennen der Heiligtmer in Sardes whrend des ionischen Aufstandes hatten die Perser geschworen und bten nun bittere Vergeltung durch die systematische und vollstndige Zerstrung Attikas und insbesondere Athens. Hilflos und zur Unttigkeit gezwun-gen, muten die Athener von ihren Zufluchtsorten im Saroni-

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  • sehen Golf aus zusehen, wie ihre Stadt in Flammen aufging und ihr Land verwstet wurde. Weder jemals zuvor noch irgendwann spter waren Athen und Attika einer solchen Ver-nichtungswut ausgesetzt.

    Die persische Flotte war gleichzeitig in der Bucht von Pha-leron unmittelbar sdlich des Pirus und in Sichtweite von Salamis gelandet, wo die griechische Flotte vor Anker lag, die mittlerweile auf ber 370 Trieren angewachsen war, von denen immer noch mehr als die Hlfte die Athener stellten. Als die Perser in den Sund vordrangen und die kleine, Salamis vor-gelagerte Insel Psyttaleia besetzten, gelang es Themistokles nur mit Mhe, die unter dem Oberbefehl des Spartaners Eury-biades stehenden griechischen Schiffsverbnde in Salamis zu halten. Themistokles erkannte die strategischen Vorteile, die die Gewsser zwischen Salamis und dem attischen Festland boten. Er lockte die persischen Schiffe in die Falle. Als diese in den letzten Septembertagen des Jahres 480 v. Chr. zum Angriff bergingen und tiefer in die schmale Meerenge eindrangen, waren die wendigen griechischen Trieren im Vorteil, da die greren und ungelenkeren persischen Schiffe keine Entfal-tungsmglichkeiten hatten. Einen Tag lang tobte eine erbitterte Seeschlacht, deren Verlauf der Dichter Aischylos, der selbst an den Kmpfen teilgenommen hatte, in seiner 8 Jahre spter auf-gefhrten Tragdie Die Perser eindrucksvoll beschrieben hat.

    Trotz der vernichtenden Niederlage konnten sich Teile der persischen Flotte nach Kleinasien zurckziehen und bei Samos erneut in Stellung gehen. Der Groknig Xerxes floh zu Lande nach Sardes, lie aber sein Heer unter dem Kommando des Mardonios in Griechenland zurck. Da Attika vollstndig zer-strt war, bezogen die persischen Truppen in Thessalien ihr Winterquartier. Ohne Flottenuntersttzung war die Situation fr die persische Landarmee beraus prekr, zumal die mili-trischen Krfteverhltnisse nun einigermaen ausgeglichen waren.

    Angesichts dieser Lage richteten die Perser alle ihre Bem-hungen darauf, den Hellenenbund zu spalten und vor allem

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  • Athen aus der antipersischen Front herauszubrechen. Ganz aussichtslos waren diese Versuche nicht, da die Verbndeten noch wenig Bereitschaft zeigten, sich ber die Isthmosgrenze hinauszuwagen und die in ihre Heimat zurckgekehrten Athe-ner vor einem erneuten Angriff der Perser zu schtzen. Und das Angebot, das die Perser unterbreiteten, war durchaus ver-lockend: Beilegung aller Feindseligkeiten, Freigabe Anikas und die Gewhrung voller politischer Freiheit; darber hinaus wurde den Athenern jede gewnschte Erweiterung ihres Terri-toriums und Hilfe beim Wiederaufbau der zerstrten Heilig-tmer zugesagt. Obgleich in verzweifelter Lage wiesen die Athener das persische Angebot mit Entschiedenheit zurck und flohen zu Beginn des Frhjahrs ein zweites Mal aus ihrer Heimat. Was 480 v. Chr. in Attika noch nicht zerstrt wurde, fiel nun 479 v. Chr. der Verwstung anheim. Nur mit Mhe konnten die Athener ihre Verbndeten schlielich doch zu einer militrischen Intervention bewegen. Unter dem Ober-befehl des Spartaners Pausanias rckte das gesamte Heeres-aufgebot gegen die Truppen des Mardonios vor, die sich dar-aufhin nach Boiotien zurckzogen. Mehrere Wochen dauerten die Kampfhandlungen in der Ebene von Plataiai, bis es zur Entscheidungsschlacht kam, in der das persische Heer eine totale Niederlage hinnehmen mute.

    Der Sieg ber die Perser wurde vervollstndigt durch die etwa zeitgleiche Vernichtung der persischen Restflotte auf der Samos gegenberliegenden Mykale-Halbinsel. Schon im Frh-jahr 479 v. Chr. war auf Betreiben des Themistokles ein grie-chischer Flottenverband unter dem Oberbefehl des Spartaners Leotychidas in die gis entsandt worden. Allerdings waren die Griechen zunchst nicht bereit, zum Angriff gegen die Perser berzugehen. Sie rckten zum Schutz des Mutterlandes nur bis Delos vor. Zgerlich gaben sie dann aber dem Drngen vor allem der Samier nach und griffen am Fu des Mykalegebirges erfolgreich die dort verschanzten persischen See- und Land-streitkrfte an.

    Dieser Vorsto ber die gis hinweg markierte einen Wen-depunkt in der Politik des Hellenenbundes. Man war von der

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  • Defensive in die Offensive gegangen. Damit stellte sich die Frage nach den politischen Zielsetzungen des Bundes, der sich ja eigentlich nur der Abwehr der persischen Angriffe ver-schrieben hatte. Nun aber wurde man mit den Erwartungen der griechischen Stdte an der kleinasiatischen Kste und auf den vorgelagerten Inseln konfrontiert, die reihenweise von den Persern abfielen und auf den Schutz ihrer Freiheit durch den Hellenenbund hofften. Als auf Samos ber das Beitrittsersu-chen dieser Staaten zum Hellenenbund beraten wurde, zeig-ten sich jedoch in aller Deutlichkeit die ganz unterschiedli-chen Auffassungen der Bndner ber das weitere Vorgehen. Die Spartaner wandten sich kategorisch gegen jedes weitere militrische Engagement in der gis und pldierten fr eine Umsiedlung aller Griechen aus Kleinasien ins griechische Mut-terland. Die Athener traten hingegen mit aller Entschiedenheit fr den Erhalt und Schutz der kleinasiatischen Griechenstdte ein. Das Ergebnis dieser Samos-Konferenz war ein Kompro-mi: Die Inselstaaten wurden in den Bund aufgenommen; das Verhltnis zu den Kstenstdten wurde aber in der Schwebe gehalten.

    Die Athener wollten sich mit dieser Lsung nicht zufrieden geben und boten sich daher den kleinasiatischen Poleis als Schutzmacht an. Bis dahin hatten sie sich stets dem Oberbefehl der Spartaner unterstellt, obgleich sie die Hauptlast der Per-serkriege getragen hatten und die athenischen Kontingente -zumal zur See - beim militrischen Gesamtaufgebot des Hel-lenenbundes den Ausschlag gaben. Jetzt aber beschritten sie eigene Wege. Whrend Leotychidas mit den peloponnesischen Schiffsverbnden nach Griechenland zurckkehrte, belagerten die Athener im Winter 479/8 v. Chr. mit Untersttzung ioni-scher und hellespontischer Griechen erfolgreich die persische Garnison in Sestos. Mit dieser Aktion legten sie den Keim, aus dem sich nur ein Jahr spter ein umfassendes Bndnissystem entwickelte, das die Grundlage der athenischen Macht im 5. Jahrhundert bilden sollte.

    Der Verlauf der Samos-Konferenz und die Belagerung von Sestos waren erste Anzeichen fr einen aufkommenden Anta-

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  • gonismus zwischen Athen und Sparta. Die Erfolge in den Per-serkriegen hatten das Selbstbewutsein der Athener gefestigt, und ihr kompromiloser Einsatz fr die gemeingriechische Sache im Kampf gegen die Perser hatten ihnen bei den brigen Hellenen groes Ansehen verschafft. Diese Stimmungslage wuten die Athener zu nutzen, um sich gegenber Sparta zu emanzipieren und den eigenen politischen Handlungsspiel-raum zu vergrern. Das zeigte sich auch, als die Athener 479/8 v. Chr. - unmittelbar nach der Vertreibung der Perser -gegen den erklrten Willen Spartas ihre Stadt und den Pirus mit Mauern umgaben und zu einem festen Bollwerk auszu-bauen begannen. Die protestierenden Spartaner wurden zu-nchst hingehalten und dann vor vollendete Tatsachen gestellt. Zu einem offenen Bruch wollten es beide Staaten noch nicht kommen lassen; es blieb aber doch - wie der athenische Histo-riker Thukydides in seinem Werk ber den Peloponnesischen Krieg schreiben sollte - eine heimliche Verstimmung.

    Der Griff nach der Hegemonie

    Eine politische Wende brachte das Winterhalbjahr 478/7 v. Chr. Zuvor hatte eine griechische Flotte unter dem Ober-befehl des Spartaners Pausanias Zypern und Byzantion der Perserherrschaft entrissen. Das selbstherrliche und ruhmsch-tige Gebaren, das Pausanias in Byzantion an den Tag legte, bestrkte das antispartanische Ressentiment der ionischen Griechen, die neben den Athenern einen entscheidenden Anteil am Erfolg der Flottenexpedition 478 v. Chr. gehabt hatten. Schon ein Jahr zuvor hatten die Debatten und Entscheidungen der Samos-Konferenz das geringe Interesse Spartas am Schicksal der kleinasiatischen Griechen deutlich werden lassen. Nun bewirkte das Verhalten des Pausanias, der sich wie ein per-sischer Despot auffhrte, einen endgltigen Stimmungsum-schwung. Die ionischen Griechen, allen voran die mchtigen Inselstaaten Chios und Samos, erzwangen die bertragung des Oberbefehls auf den Athener Aristeides, der die attischen Schiffskontingente kommandierte.

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  • Aristeides war wie viele der in den politischen Auseinander-setzungen der 80er Jahre Ostrakisierten 480 v. Chr. im Zuge einer Generalamnestie nach Athen zurckgekehrt und hatte sich seitdem fhrend am Kampf gegen die Perser beteiligt. Nun nutzte er die ihm angetragene Stellung, um fr Athen ein ganz neues Bndnissystem mit weitaus festeren Organisationsstruk-turen aufzubauen, als sie der Hellenenbund besa. Die Grund-lage hierfr bildeten zweiseitige, zeitlich unbefristete Vertrge, die Athen mit zahlreichen gischen Insel- und Kstenstaaten abschlo. Diese Vertrge verpflichteten zur gegenseitigen Hil-feleistung und zur Anerkennung der gleichen Freunde und Feinde. War hiermit zunchst zweifellos eine klare Frontstel-lung gegenber Persien gemeint, lie diese Vertragsklausel aber doch die Zielsetzungen des neuen Bndnissystems grundstz-lich offen. So bekamen die Athener, denen auch der militri-sche Oberbefehl zu Wasser und zu Lande zugestanden wurde, ein Herrschaftsinstrument in ihre Hand, das sie gegebenenfalls auch gegen andere Gegner richten konnten.

    Das Rckgrat des Bundes bildeten Mitgliedsbeitrge (ph-roi), die in eine Bundeskasse flssen, die von 10 athenischen Schatzmeistern (hellenotamai) verwaltet wurden und dem Bau und Unterhalt der Bndnerflotte dienen sollten. Daher waren Geldzahlungen quasi als Kompensationsleistung nur von den Bndnern zu leisten, die nicht imstande waren, eigene Schiffs-kontingente zu stellen, wie dies Thasos, Chios, Samos und manche andere Seemacht zumindest in den Anfangsjahren des Bundes taten. Aristeides hatte die jhrlichen Matrikelbeitrge auf 460 Talente festgesetzt; das waren fast 12000 kg Silber und entsprach mehr als 5 Mio. Tageslhnen eines athenischen Handwerkers - eine stolze Summe, aber immer noch weniger als der Tribut, den allein die persische Satrapie in Kleinasien jhrlich an den Groknig abzuliefern hatte. Die Bundeskasse wurde im Apollonheiligtum auf Delos etabliert, das allen ioni-schen Griechen als Kultzentrum galt. Hier tagte auch die Bun-desversammlung, in der jeder Mitgliedsstaat ber eine Stimme verfgte, faktisch aber Athen von Anfang an dominiert haben drfte, da es mit den Stimmen seiner kleineren Verbndeten

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  • die Mittelmchte majorisieren konnte und ber das mit Ab-stand grte Militrpotential verfgte.

    Was Aristeides 478/7 v. Chr. ins Werk gesetzt hatte, wird heute gemeinhin als attischer Seebund oder auch - mit Bezug auf den Zentralort - als delisch-attischer Seebund bezeich-net. Fraglich bleibt, ob mit dessen Grndung zugleich auch die Auflsung des Hellenenbundes einherging oder ob dieser zu-mindest formal noch weiterbestand, bis 461 v. Chr. der endgl-tige Bruch zwischen Sparta und Athen vollzogen wurde. Die Eindmmung der immer noch bedrohlichen Persergefahr und die Befreiung und den Schutz der kleinasiatischen Griechen-stdte hatten die Spartaner jedenfalls schon damals ganz den Athenern und ihrem neuen Seebund berlassen.

    In den nchsten beiden Jahrzehnten ist die Politik Athens fest mit dem Namen des Kimon, des Sohnes des Marathonsie-gers Miltiades, verbunden. Er stellte alle anderen Politiker, die sich bis dahin im Kampf gegen die Perser hervorgetan hatten, weit in den Schatten. Aristeides, der Baumeister des Seebundes, verlor in den folgenden Jahren offenbar ebenso rasch an Ein-flu wie Themistokles, der Ende der 70er Jahre sogar einem Ostrakismos zum Opfer fiel und nach lngeren Irrwegen schlielich beim persischen Groknig in Kleinasien Zuflucht fand.

    Kimon prgte die athenische Auenpolitik in den 70er und 60er Jahren so nachhaltig, da diese Zeit heute auch als die kimonische ra bezeichnet wird. Er fhrte den Seebund von Erfolg zu Erfolg: Die letzte persische Garnison auf dem europischen Festland wurde aus dem thrakischen Eion ver-trieben und die Offensive gegen die Perser schlielich sogar bis nach Karien und Lykien getragen. Einen Glanzpunkt