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Bethel zum BTHG Pflege in der Eingliede- rungshilfe Letzte Revision: 16. Mai 2019

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Bethel zum

BTHG Pflege in der Eingliede-rungshilfe

Letzte Revision: 16. Mai 2019

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Dieser Text befasst sich mit dem rechtlichen Rahmen zur Abgrenzung der Leistungen im SGB V, SGB IX, SGB XI und SGB XII. Soweit nicht anders benannt, bezieht sich der Text auf die Gesetzeslage ab 2020.

Eine Neuinterpretation der Schnittstelle Eingliederungshilfe/Pflege ist nach dem nahezu zeitgleichen Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes und der Pflegestärkungsgesetze im Dezember 2016 nötig. Durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes und der Anpassung der Leistungsinhalte wurde die Pflegeversicherung im Rahmen des Pfle-gestärkungsgesetzes II reformiert und bekam eine größere Teilhabeorientierung.

Begriff der Pflegebedürftigkeit Bis 31.12.2016 Ab 01.01.2017 §14 SGB XI: Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die we-gen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinde-rung für die gewöhnlichen und re-gelmäßig wiederkehrenden Verrich-tungen im Ablauf des täglichen Le-bens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erhebli-chem oder höherem Maß (§15) der Hilfe bedürfen.

14 SGB XI: Pflegebedürftig sind Perso-nen, die gesundheitlich bedingte Be-einträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedür-fen. Es muss sich um Personen han-deln, die auf Dauer körperliche, kogni-tive oder psychische Beeinträchtigun-gen oder gesundheitlich bedingte Be-lastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder be-wältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate bestehen, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.

Mit dem Pflegestärkungsgesetz III wurde das Verhältnis zwischen Pflegeversicherung, der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe in der Pflegeversicherung neugestaltet. Wei-terhin wurden mit dem BTHG diverse Regelungen eingeführt, die Auswirkungen auf die Schnittstelle haben. Sie sind bereits in Kraft getreten bzw. gesetzlich fixiert.

Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung von EGH und Pflege aber daran festgehalten, dass für Pflegeleistungen in Gemeinschaftswohnformen bzw. in besonderen Wohnformen

Vorbemerkung

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(siehe Abschnitt B) der Behindertenhilfe nur eine geringe pauschale Aufwandsentschä-digung i.H.v. derzeit 266 € gezahlt wird.

Mit der Umgestaltung der stationären Behindertenhilfe durch die Trennung der Leistungen ab 1.1.2020 soll eine angepasste Folgeregelung im SGB XI diesen Zustand erhalten und damit entstehen neue Abgrenzungsfragen (siehe Abschnitt C).

Die Absicht des Gesetzgebers, weitgehende Klärung im Verhältnis der Leistungsarten zu schaffen, kann aus heutiger Sicht als nicht erreicht eingeschätzt werden. Noch fehlende Richtlinien und Empfehlungen zur Gestaltung der Schnittstellen müssen abgewartet und im Verlauf einbezogen werden. Nachfolgend sollen zentrale Rechtsbegriffe mit Bezug auf das Zusammenspiel der Leistungen im Einzelfall erörtert werden.

Das Recht der Eingliederungshilfe (EGH) nach SGB IX bezieht sich für die Schnittstelle zur Pflege im Wesentlichen auf das Alter und die Lebenslage des Leistungsberechtigten bei Behinderungseintritt („Lebenslagen-Modell“) sowie das Wunsch und Wahlrecht, während das Recht der Pflegeversicherung nach SGB XI sowie der Hilfe zur Pflege nach SGB XII für die Abgrenzung gegenüber der Eingliederungshilfe auf unterschiedliche Wohn- und Ver-sorgungsformen („Umfassungs-Modell“) abstellt. Um diese unterschiedlichen Modelle pra-xistauglich und anschlussfähig auszulegen, werden im Folgenden einige Grundannahmen getroffen und die Folgewirkungen für die Seite der Leistungsempfänger und der Leis-tungserbringer skizziert.

A. Das Lebenslagenmodell des BTHG

B. Begriffsklärungen zur Wohnform

C. Der „Umfassungsbegriff“ – Regelungen für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf (§ 103 SGB IX)

D. Die Bestimmungen des § 43a SGB XI – Inhalt der Leistungen (Vollstationäre Pflege)

E. Verhältnis Pflegeversicherungsleistungen zu anderen Sozialleistungen

F. Behandlungspflege nach § 37 SGB V

G. Möglichkeiten der Inanspruchnahme weiterer Leistungen nach dem SGB XI

Inhalt

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H. Beschreibung vorfindlicher Gestaltungsmodelle für die Zusammenarbeit mit zugelassenen Pflegediensten und der Schaffung neuer Kapazitäten durch die Leistungserbringer der Eingliederungshilfe.

Nach der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes informierte das BMAS zur Schnittstelle zwischen EGH und Pflege:

„Beim Zusammentreffen von Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege wird nun das sogenannte "Lebenslagenmodell" umgesetzt: Bis zum Erreichen der Regelal-tersgrenze umfassen die Leistungen der Eingliederungshilfe die Leistungen der Hilfe zur Pfle-ge. Damit gelten für die Betroffenen die günstigeren Einkommens- und Vermögensgren-zen der Eingliederungshilfe. Bei Personen, die vor Erreichen der Regelaltersgrenze An-spruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, gilt diese Regelung auch über die Altersgrenze hinaus, soweit die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden können.“1

Das BTHG macht jedoch deutlich, dass neben der Anwendung des Lebenslagenmodells auch die Wohnform, in welcher Leistungsberechtigte leben, relevant ist:

Die Frage, wann Pflegeversicherungsleistungen bzw. sozialhilfefinanzierte Hilfe zur Pflege von der Eingliederungshilfe umfasst ist, erschließt sich also u. a. durch Rückgriff auf Begrif-fe („Einrichtungen und Räumlichkeiten“) des SGB XI.

1 BMAS, http://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2016/bthg-verabschiedet.html, [18.1.18]

§ 103 SGB IX2020 Regelungen für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf (1) Werden Leistungen der Eingliederungshilfe in Einrichtungen und Räum-lichkeiten im Sinne … des Elften Buches… erbracht, umfasst die Leistung auch die Pflegeleistungen … (2) Werden Leistungen der Eingliederungshilfe außerhalb von Einrichtungen und Räumlichkeiten im Sinne … des Elften Buches… erbracht, umfasst die Leistung auch die Leistungen der häuslichen Pflege …, es sei denn, der Leis-tungsberechtigte hat vor Vollendung des für die Regelaltersrente … erforder-lichen Lebensjahres keine Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.

A. Das Lebenslagenmodell des BTHG

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Während SGB IX und XI für die Abgrenzung von EGH/ Pflege auf besonders definierte „Räumlichkeiten“ abstellen, führt das SGB IX im Zusammenhang mit individuellen Leis-tungsansprüchen den Begriff der „Wohnform“ ein, während das SGB XII-Sozialhilfe für die Berechnung von angemessenen Unterkunftskosten auf „gemeinschaftliche Wohnformen“ abstellt. Damit es im Folgenden nicht zu Unklarheiten oder Verwechslungen kommt, er-folgt zunächst eine allgemeine Begriffsklärung.

Zur Erläuterung der Schnittstelle EGH/Pflege ist es wichtig, die Rechtsbegriffe unterschied-licher Wohnformen sicher nutzen zu können. Drei Bestimmungen sind von besonderer Bedeutung:

Die „besondere Wohnform“ zur individuellen Bedarfsdeckung nach § 104 SGB IX Die „gemeinschaftliche Wohnform“ im Rahmen von Unterkunftskosten nach

§ 42a SGB XII Räumlichkeiten nach § 71 Abs. 4 SGB XI zum Verständnis des § 103 SGB IX und der

damit geregelten Umfassung der Pflege durch Eingliederungshilfe. Im Folgenden werden die Wohnformen in ihrer rechtlichen Verankerung kurz dargestellt.

I. Die „besondere Wohnform“ nach § 104 SGB IX – Leistungen nach Besonderheit des

Einzelfalls und die „gemeinschaftliche Wohnform“ nach § 42a SGB XII

Der § 104 SGB IX dient der Präzisierung des Wunsch- und Wahlrechtes für Menschen mit Behinderungen im Zuge der Leistungsgewährung. Mit der Bezeichnung „besonderen Wohnform“ meint der Gesetzgeber, Gemeinschaftswohnformen in denen mehrere Leistungsberechtigte in eigenem und gemeinschaftlich genutzten Wohnraum zusammen-leben. Vor dem Hintergrund des durch die UN-Behindertenkonvention angestrebten Ziels inklusiver Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen muss dem Wunsch, außerhalb von Gemeinschaftswohnformen, in der ausschließlich Menschen mit Behinde-rungen betreut werden, zu leben, besonderes Gewicht zugemessen werden.

B. Begriffserklärung zur Wohnform

§ 104 SGB IX Leistungen nach Besonderheit des Einzelfalls (3) … Kommt danach ein Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen in Betracht, ist dieser Wohnform der Vorzug zu geben, wenn dies von der leistungs-berechtigten Person gewünscht wird.

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Mit Artikel 13 des BTHG ist der § 42a SGB XII geändert worden. Diese Änderung wurde zwingend mit der Trennung von Fachleistungen im Sinne der EGH von sozialhilfefinanzier-ter Existenzsicherung nach dem SGB XII nötig. Mit dem BTHG werden EGH (fach-) Leistun-gen aus dem SGB XII in das SGB IX überführt. Niedrigschwellige Unterstützungsleistun-gen, Leistungen zur Existenzsicherung und Kosten der Unterkunft (KdU) müssen deshalb künftig auch für Menschen, die in Gemeinschaftswohnformen leben, getrennt dargestellt werden. § 42a SGB XII unterscheidet für die Angemessenheit von Wohnflächen und Un-terkunftskosten nach Wohnungen (§ 42a Abs. 2 Nr. 1 SGB IX), „persönlichem Wohnraum und zusätzlichen Räumlichkeiten“ in Gemeinschaftswohnformen (§ 42a Abs. 2 Nr. 2) so-wie anderen Unterkünften (z. B. Plätze in Obdachlosenunterkünften), die weder als „Woh-nung“ noch als „persönlicher Wohnraum“ anzusehen sind. Die Wohnung wird vom Gesetz näher definiert (§ 42a Abs. 1 Satz 2 SGB IX) und vom per-sönlichen Wohnraum in gemeinschaftsbezogenen Wohnangeboten durch ihre voll-ständige Ausstattung mit Blick auf eine eigene Haushaltsführung und die bauliche Tren-nung von anderen Wohneinheiten unterschieden.

II. Die „Räumlichkeit“ nach § 71 Abs. 4 SGB XI

Der rechtliche Begriff „Räumlichkeiten“ nach § 71 Abs. 4 SGB XI ist für die Schnittstelle EGH/Pflege zentral. Die Einführung der Leistungstrennung (Fachleistungen der EGH und Existenzsicherungsleistungen der Sozialhilfe) führt zur Abwendung vom Einrichtungsbe-griff in der EGH. Gleichzeitig unterscheidet das SGB XI für Leistungsansprüche von Men-schen mit Behinderungen weiter zwischen ambulanten und einrichtungsentsprechenden Wohn-/ Unterstützungssettings. Diese Grenzlinie wird nun mit dem Rechtsbegriff der „Räumlichkeiten“ neu beschrieben. Der § 71 Abs. 4 SGB XI definiert eine Negativabgrenzung zu Pflegeeinrichtungen. Die Be-dingungen der sog. Räumlichkeiten sind in Nummer 3 formuliert. Zu beachten ist, dass

§ 42a SGB XII Bedarfe für Unterkunft und Heizung (2) … Wohnung ist die Zusammenfassung mehrerer Räume, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Ge-samtheit alle für die Führung eines Haushalts notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen. Persönlicher Wohnraum ist ein Wohnraum, der Leistungsberechtigten allein oder zu zweit zur alleinigen Nutzung überlassen wird, und zusätzliche Räumlichkeiten sind Räume, die ihnen zusammen mit weiteren Personen zur gemeinsamen Nutzung überlassen werden.

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alle unter a) bis c) genannten Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit von einer solchen Räumlichkeit auszugehen ist.

§ 71 SGB XI Pflegeeinrichtungen

(4) Keine Pflegeeinrichtungen im Sinne des Absatzes 2 sind

1. stationäre Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vor-sorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teil-habe an Bildung oder zur sozialen Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen im Vor-dergrund des Zweckes der Einrichtung stehen,

2. Krankenhäuser sowie

3. Räumlichkeiten,

a) in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für diese im Vor-dergrund steht,

b) auf deren Überlassung das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz An-wendung findet und

c) in denen der Umfang der Gesamtversorgung der dort wohnenden Men-schen mit Behinderungen durch Leistungserbringer regelmäßig einen Umfang erreicht, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrich-tung entspricht; bei einer Versorgung der Menschen mit Behinderungen sowohl in Räumlichkeiten im Sinne der Buchstaben a und b als auch in Einrich-tungen im Sinne der Nummer 1 ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, ob der Umfang der Versorgung durch Leistungserbringer weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.

Das ins § 71 Abs. 4 Nr. 3 b) SGB XI benannte Wohn-und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) findet in der Regel dann Anwendung, wenn Verträge über Wohnraum mit Pflege-oder Be-treuungsleistungen gekoppelt werden (z.B. bei Anbieterverantworteten Wohngemein-schaften)

In Bezug auf § 71 Abs. 4 Nr. 3c) SGB XI soll bis zum 01.07.2019 eine Klärung zu den Merk-malen der Versorgung einer vollstationären Einrichtung erfolgen (Richtlinie auf Spitzen-verbandsebene der Pflegekassen unter Beteiligung der Wohlfahrtsverbände).

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Der Geltungsbereich der Räumlichkeiten nach § 71 Abs. 4 SGB XI bezieht sich im Wesent-lichen auf alle nachfolgend benannten rechtlichen Aussagen zur Schnittstelle EGH/Pflege in den Sozialgesetzbüchern IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinde-rungen), XI (Soziale Pflegeversicherung) und XII (Sozialhilfe):

§ 103 SGB IX – Regelung für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf § 43a SGB XI – Inhalt der Leistungen (Vollstationäre Pflege) § 13 SGB XI – Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozial-

leistungen SGB XII, Siebtes Kapitel - „Hilfe zur Pflege“

III. Schlussfolgerungen Neben dem Alter und der Lebenslage ist der Wohnkontext der Leistungsberechtigen

entscheidend für das Zusammentreffen der Leistungen der Eingliederungshilfe und Pflege. Für die Feststellung von Räumlichkeiten im Sinne des SGB XI und die damit einhergehende Begrenzung der Pflegeversicherungsleistungen auf den

„Abgeltungsbetrag“ (266 €) für Behindertenhilfeeinrichtungen wird der Umfang der Leistungen daraufhin überprüft, ob er weitgehend vollstationärer Versorgung entspricht (§ 71 Abs. 4 Nr. 3c). Maßgeblich für das genaue Verständnis dieser Be-grifflichkeit wird eine Richtlinie sein, die bis 01.07.2019 durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen erarbeitet sein muss.

Bei ambulanten Wohnformen und Wohngemeinschaften wird die Richtlinien zur

näheren Abgrenzung der Kriterien nach §71 Abs. 4 Nr. 3c sowie die Anwendung des WBVG (§ 71 Abs. 4 Nr. 3b) entscheidend sein und damit das Wahlrecht der Leis-tungsberechtigten in Bezug auf den bzw. die Dienstleister der erforderlichen Teil-habeleistungen.

Inwieweit die Richtlinie zu §71 Abs. 4 Nr. 3c zu einer Ausweitung der pauschalen

Abgeltung führt und damit Auswirkungen auf bestehende Angebotsstrukturen hat, die sich bisher aus beiden Leistungssystemen finanzieren, bleibt abzuwarten.

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Im BTHG trifft der § 103 SGB IX wesentliche Aussagen zum Zusammenspiel von Leistungen der EGH und der Pflege. Ein zentraler Begriff in diesem Paragraf ist der der „Umfassung“. Die Umfassungsregelung nach § 103 SGB IX legt - in Räumlichkeiten nach § 43a SGB XI in Verbindung mit § 71 SGB XI Abs. 4 („quasi-stationäre“ Bereiche) die Umfassung von Leis-tungen der Pflegeversicherung sowie der Hilfe zur Pflege durch die EGH (Abs. 1) und au-ßerhalb von Räumlichkeiten nach § 43a SGB XI i. V. m. § 71 SGB XI Abs. 4 („ambulante“ Be-reiche) die Umfassung der Hilfe zur Pflege durch die EGH (Abs. 2) fest.

I. In Räumlichkeit nach § 43a SGB XI i. V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI

In Räumlichkeiten nach § 43a SGB XI i. V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI umfassen die Leistungen der EGH die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege (§ 103 Abs. 1 SGB IX). Es ist damit von einer vollständigen Integration von Pflegeleistung in den Rahmen der EGH auszugehen. In diesem Fall ergeben sich vorerst keine Abgrenzungsfragen, denn die Pflegeversicherung ist mit der Abgeltung der Pauschale nach § 43a SGB XI nicht mehr leistungspflichtig.

Die Pflegekasse gewährt für Menschen mit einem Leistungsanspruch von Pflegegrad 2 bis 5 einen pauschalen Betrag zur Abgeltung der Pflegeleistungen in Höhe von max.

266 €2. Auch die Inanspruchnahme des Entlastungsbetrages nach § 45b SGB XI entfällt3

für Leistungsberechtigte im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI an den Tagen, an denen sie sich in einer Einrichtung bzw. in „Räumlichkeiten“ im Sinne des § 43a aufhalten. Leistungsberech-tigte haben somit nur noch anteiligen Anspruch auf Leistungen (Pflege-geld/Entlastungsbetrag) der Pflegeversicherung für die Tage, an denen Sie nicht in der Ein-richtung oder Räumlichkeit gepflegt werden.

Äußert ein Leistungserbringer, dass die Pflegebedürftigkeit das Maß übersteigt, welches in der Gemeinschaftswohnform noch nichtmehr sichergestellt werden kann, wird im Rahmen

2 § 43a SGB XI 3 BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 20.4.2016, B 3 P 1/15 R

C. Der „Umfassungsbegriff“ – Rege-lungen für Menschen mit Behinde-rungen und Pflegebedarf (§103 SGB IX)

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der Gesamtplanung4 die Vereinbarung getroffen, dass die Leistung bei einem anderen Leistungserbringer erbracht wird5. Bisher ist unklar, ob für die Entscheidung in der Ge-samtplanung hier der individuelle Bedarf der Leistungsberechtigten oder die Rahmen-bedingungen der Gemeinschaftswohnformen entscheidend sind. Wäre das zweite der Fall, würde dies dem Grundsatz der Personenorientierung widersprechen. Pflegebedürftige Menschen mit Behinderungen, die am 01.01.2017 einen Anspruch auf häusliche Pfle-ge(sach)-Leistungen nach § 36 SGB XI in der Form umgesetzt haben, dass sie ambulante Pflege durch einen zugelassenen Pflegedienst mit EGH-Leistungen in Räumlichkeiten nach § 71 Abs. 4 SGB XI kombiniert haben, sind durch eine Besitzstandsregelung über den 01.01.2020 hinaus abgesichert und können nicht in den Anwendungsbereich der §§ 103 Abs. 1 SGB IX, 43a SGB XI fallen (pauschale Abgeltung; 266 €). Zu bedenken ist, dass EGH zur gesellschaftlichen Teilhabe und Pflege zum Erhalt der Selbstständigkeit durch die unterschiedliche Zielsetzung auch auf unterschiedliche Weise durch die Leistungserbringer sichergestellt werden: Unter Aspekten von personeller und fachlicher Ausstattung entspricht die EGH somit NICHT den Anforderungen an Pflegeleis-tungen (und vice versa).

4 Nach SGB IX Teil 2 Kapitel 7; zu Einzelheiten s. Betheler Arbeitshilfe „Gesamtplanverfahren im BTHG“ https://www.bethel.de/fileadmin/Bethel/downloads/Aktuelle_Flyer_Broschueren_etc/bthg/2019-03- 27_final_Gesamtplanverfahren_im_BTHG_final.pdf 5 § 103 Abs. 2 SGB IX

§ 103 SGB IX Regelung für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf (1) Werden Leistungen der Eingliederungshilfe in Einrichtungen oder Räum-lichkeiten i. S. d. § 43a SGB XI in Verbindung mit § 71 Abs. 4 SGB XI erbracht, um-fasst die Leistung auch die Pflegeleistungen in diesen Einrichtungen oder Räum-lichkeiten. Stellt der Leistungserbringer fest, dass der Mensch mit Behinderun-gen so pflegebedürftig ist, dass die Pflege in diesen Einrichtungen oder Räumlich-keiten nicht sichergestellt werden kann, vereinbaren der Träger der Eingliede-rungshilfe und die zuständige Pflegekasse mit dem Leistungserbringer, dass die Leistung bei einem anderen Leistungserbringer erbracht wird; dabei ist angemessenen Wünschen des Menschen mit Behinderungen Rechnung zu tragen. Die Entscheidung zur Vorbereitung der Vereinbarung nach Satz 2 er-folgt nach den Regelungen zur Gesamtplanung nach Kapitel 7.

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II. Außerhalb von Räumlichkeiten nach § 43a SGB XI

Hier stehen die Leistungen der EGH gleichrangig neben den Leistungen der sozialen Pfle-geversicherung. Leistungen der sozialhilfefinanzierten Hilfe zur Pflege werden nach dem Lebenslagenmodell in der Regel von der EGH umfasst (§ 103 Abs. 2 SGB IX). Für Personen, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze Pflegebedürftigkeit und Behinderung erleiden, besteht aufgrund der Gleichrangigkeit Zugang zu beiden Leistungen. Die Hilfe zur Pflege wird dann jedoch nach den Vorschriften der Sozialhilfe erbracht.

Für die Anwendung der Umfassungsregelung nach § 103 SGB IX bedarf es – durch Einfüh-rung der Räumlichkeitsdefinitionen nach § 71 Abs. 4 SGB XI immer der Beurteilung, ob der Gesamtumfang der Hilfe durch den Leistungserbringer weitgehend der Versorgung in ei-ner vollstationären Einrichtung entspricht6. Der § 103 Abs. 2 SGB IX erweitert die Umfas-sungsregelung auf Empfänger aller ambulanten Leistungen der EGH (Ausnahme Alters-grenze). Die Leistungsempfänger können mit der Umfassungsregelung bis zum Erreichen des Regelrentenalters von einer für sie positiveren Anrechnung auf Einkommens- und Vermögenslagen profitieren.

6 § 71 SGB XI Abs. 4 Satz 3c

§ 103 SGB IX Regelung für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf (2) Werden Leistungen der Eingliederungshilfe außerhalb von Einrichtungen oder Räumlichkeiten i. S. d. § 43a SGB XI in Verbindung mit § 71 Abs. 4 SGB XI erbracht, umfasst die Leistung auch die Leistungen der häuslichen Pflege nach den §§ 64a bis 64f, 64i und 66 SGB XII, solange die Teilhabeziele nach Maß-gabe des Gesamtplanes (§ 121) erreicht werden können, es sei denn der Leis-tungsberechtigte hat vor Vollendung des für die Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches erforderlichen Lebensjahres keine Leistungen der Eingliede-rungshilfe erhalten. Satz 1 gilt entsprechend in Fällen, in denen der Leistungs-berechtigte vorübergehend Leistungen nach den §§ 64g und 64h SGB XII in Anspruch nimmt. Die Länder können durch Landesrecht bestimmen, dass der für die Leistungen der häuslichen Pflege zuständige Träger der Sozialhilfe die Kosten der vom Träger der Eingliederungshilfe erbrachten Leistungen

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§ 43a SGB XI regelt die bislang auch schon geltende pauschale Abgeltung der Leistungen der Pflegekasse in Höhe von max. 266 € für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5, die – aktuell in Einrichtungen, ab 2020 in Räumlichkeiten nach § 71 Abs. 4 SGB XI – leben:

Bei Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf kann es streitig sein, ob sie einen An-spruch auf EGH (ggf. einschließlich Pflege) haben oder ob ihr Bedarf ausschließlich mit Pflegeleistungen gedeckt werden kann. Die Klärung dieser Frage findet seit 01.01.2018 im Gesamtplanverfahren statt, in welchem der Sozialhilfe- bzw. EGH-Träger den Bedarf des Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf und die zu erbringenden Leistungen fest-stellt. Um auch seitens der Leistungserbringer eine fachgerechte Beratung in solchen Fäl-len sicherzustellen, folgen einige grundsätzliche Ausführungen zum Vorrang/Nachrang der EGH gegenüber Pflegeversicherungs- bzw. sozialhilfefinanzierten Pflegeleistungen:

E. Verhältnis Pflegeversicherungsleistungen zu anderen Sozialleistungen

D. Die Bestimmungen des § 43a SGB XI – Inhalt der Leistungen (Vollstationäre Pflege)

§ 43a SGB IX Inhalt der Leistungen

Für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in einer vollstationären Einrich-tung im Sinne des § 71 Abs. 4 Nr. 1, in der die Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung oder die soziale Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erzie-hung von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund des Einrichtungs-zwecks stehen, übernimmt die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 genannten Aufwendungen 15% der nach Teil 2 Kapitel 8 SGB IX vereinbarten Vergütung. Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelfall je Kalen-dermonat 266 Euro nicht überschreiten. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in Räumlichkeiten im Sinne des § 71 Abs. 4 Nr. 3, die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinde-rungen nach Teil 2 SGB IX erhalten.

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Im Verhältnis von Pflegeversicherungsleistungen zu anderen Sozialleistungen sind staatliche Doppelleistungen für einen identischen Bedarf ausgeschlossen7. Zudem gilt die Regel: Versicherung vor Steuer. Zur Abgrenzung von zweckidentischen Leistungen werden die konkret in Frage stehenden Sozialleistungen gegenübergestellt8. Zweckidentität be-steht dann, wenn in dem jeweilig übereinstimmenden Umfang – bezogen auf die jeweils konkreten Leistungen – beide Leistungen der Deckung desselben Bedarfs dienen9.

Zielsetzung

Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hil-febedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen, auch in Form der aktivierenden Pflege, wieder-zugewinnen oder zu erhalten10.

Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, den Leistungsberechtigten eine individuelle Le-bensführung zu ermöglichen und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern11.

Die Abgrenzung der EGH gegenüber den Leistungen der Pflegeversicherung ist danach vorzunehmen, welchem Ziel die konkrete Maßnahme dient. Steht vornehmlich oder aus-schließlich die Milderung der Behinderung oder die Eingliederung des Menschen mit Be-hinderungen in die Gesellschaft im Vordergrund, ist EGH zu gewähren. Eine Aufspaltung der Maßnahme in solche der EGH und solche der Pflegeversicherung ist dann nicht vorzu-nehmen. Dient z. B. der Einsatz eines Integrationshelfers vornehmlich dazu, einem Kind mit Behinderungen den Schulbesuch zu erleichtern, ist EGH zu leisten. pflegerische Maß-nahmen treten in den Hintergrund.12 Da sowohl im Bereich der EGH als auch im Bereich der Pflege Verrichtungen erst in Verbindung mit dem jeweiligen Hilfeziel ihren Sinn und damit ihre Bestimmung als Sozialleistung erhalten können, ist bei Handlungen mit unterschiedli-chen Zielrichtungen genau zu überprüfen, ob es sich um identische Hilfen handelt. Die Festlegung muss im Zuge der Bedarfsermittlung/Bedarfsfeststellung des

7 (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 1985 – 5 C 27/84 –, juris; BVerwG, Urteil vom 14.03.1991 – 5 C 3489, BeckRS 1991, 31230968). 8 BVerwG 12.4.1984 – 5 C 3.83 – E 69, 177, 181; 12.2.1987 – 5 C 24.85 – NDV 1987, 294). 9 (BVerwG 12.7.1996 – 5 C 18.95 – NDV-RD 1997, 13; VG Braunschweig 17.3.2010 – 3 A 30/09 – ZfF 2011, 89). 10 § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB XI 11 (§ 90 Absatz 1 SGB IX). 12 vgl VGH Mannheim, Urt. v. 17.9.1997 – 6 S 1709/97 = NDV-RD 1996, 38). (Klie/Krahmer/Plantholz, SGB XI § 13 Rn. 30 - 32, beck-online

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Gesamtplanverfahrens (§ 142 SGB XII2018, § 118 SGB IX) erfolgen. Demnach ist es in Zu-kunft von zentraler Bedeutung, wie in der Zielformulierung argumentiert wird. Das Modellprojekt des LVR zu diesem Thema mit dem Titel „NePTun“ beschäftigt sich mit den Fragen: „Ist es auf Grundlage der neuen rechtlichen Voraussetzungen auf der Ebene des Einzelfalls möglich, Leistungen der Eingliederungshilfe, der häuslichen Pflege nach SGB XI und der häuslichen Pflege nach SGB XII inhaltlich-fachlich voneinander abzugrenzen?“ und „Welche Auswirkungen hat dies auf Leistungsberechtigte, Leistungsträger und Leistungs-anbieter?“. Das Projekt hat eine Laufzeit bis zum 30.06.2021. Eine Abgrenzung der Pflegeversicherungsleistungen zu anderen Sozialleistungen findet sich im § 13 SGB XI:

I. Für „quasi-stationäre“ Wohnformen

Der § 13 Abs. 3 SGB XI regelt das Verhältnis von EGH- zu Pflegeleistungen für „quasi- sta-tionäre“ Bereiche:

§ 13 SGB XI Verhältnis von Pflegeversicherungsleistungen zu anderen Sozialleis-tungen

(2) Die Leistungen nach SGB V einschließlich der Leistungen der häuslichen Kran-kenpflege nach § 37 SGB V bleiben unberührt. Dies gilt auch für krank-heitsspezifische Pflegemaßnahmen, soweit diese im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V zu leisten sind.

§ 13 SGB XI Verhältnis von Pflegeversicherungsleistungen zu anderen Sozialleis-tungen

(3) Die Leistungen der Pflegeversicherung gehen den Fürsorgeleistungen zur Pflege

1. nach dem Zwölften Buch, 2. nach dem Lastenausgleichsgesetz, dem Reparationsschädengesetz und

dem Flüchtlingshilfegesetz, 3. nach dem Bundesversorgungsgesetz (Kriegsopferfürsorge) und nach den

Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen,

vor, soweit dieses Buch nichts anderes bestimmt. Leistungen zur Pflege nach diesen Gesetzen sind zu gewähren, wenn und soweit Leistungen der Pflege-versicherung nicht erbracht werden oder diese Gesetze dem Grunde oder der Hö-he nach weitergehende Leistungen als die Pflegeversicherung vorsehen.

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Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der EGH sind nach § 13 Abs. 3 SGB XI gleichrangig nebeneinander zu gewähren. Der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3 SGB XI be-zieht sich auf „quasi-stationäre“ Wohnformen. Mit den Ausführungen werden die Umfas-sungsregelungen des § 103 Abs. 1 SGB IX im SGB XI nachvollzogen.

Sobald der Anwendungsbereich des § 103 Abs. 1 SGB IX eröffnet ist, ergeben sich in Ge-meinschaftswohnformen im Sinne § 43a SGB XI i. V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI bisher keine Ab-grenzungsfragen, denn die Pflegeversicherung überträgt mit der Abgeltung der Pau-schale nach § 43a SGB XI die Verpflichtung der Leistungserbringung auf den EGH- Träger.

II. Für „quasi ambulante“ Wohnformen

Für die Abgrenzung, Übernahme, Durchführung sowie Erstattung von Leistungen der Pflegeversicherung und der Beteiligung der für die Hilfe zur Pflege zuständigen Träger in Wohnformen außerhalb von Räumlichkeiten nach § 43a SGB XI i. V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI ist § 13 Abs. 4 SGB XI entscheidend.

Die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung nach dem Neunten Buch, dem Bundesversorgungsgesetz und dem Achten Buch bleiben unberührt, sie sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig; die notwendige Hilfe in den Einrichtungen und Räumlichkeiten nach § 71 Abs. 4 ist einschließlich der Pflegeleistungen zu gewähren.

§ 13 SGB XI Verhältnis von Pflegeversicherungsleistungen zu anderen Sozial-leistungen

(4) Treffen Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliede-rungshilfe zusammen, vereinbaren mit Zustimmung des Leistungsberechtigten die zuständige Pflegekasse und der für die Eingliederungshilfe zuständige Träger,

1. dass im Verhältnis zum Pflegebedürftigen der für die Eingliederungshilfe zuständige Träger die Leistungen der Pflegeversicherung auf der Grundlage des von der Pflegekasse erlassenen Leistungsbescheids zu übernehmen hat,

2. dass die zuständige Pflegekasse dem für die Eingliederungshilfe zuständi-gen Träger die Kosten der von ihr zu tragenden Leistungen zu erstatten hat sowie

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3. die Modalitäten der Übernahme und der Durchführung der Leistungen sowie der Erstattung.

Die bestehenden Wunsch- und Wahlrechte der Leistungsberechtigten blei-ben unberührt und sind zu beachten. Die Ausführung der Leistungen er-folgt nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvor-schriften. Soweit auch Leistungen der Hilfe zur Pflege nach SGB XII zu erbrin-gen sind, ist der für die Hilfe zur Pflege zuständige Träger zu beteiligen. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen beschließt gemeinsam mit der Bun-desarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe bis zum 1. Ja-nuar 2018 in einer Empfehlung Näheres zu den Modalitäten der Übernahme und der Durchführung der Leistungen sowie der Erstattung und zu der Betei-ligung des für die Hilfe zur Pflege zuständigen Trägers. Die Länder, die kom-munalen Spitzenverbände auf Bundesebene, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrich-tungen auf Bundesebene, die Vereinigungen der Leistungserbringer der Ein-gliederungshilfe auf Bundesebene sowie die auf Bundesebene maßgebli-chen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthil-fe pflegebedürftiger und behinderter Menschen sind vor dem Beschluss an-zuhören. Die Empfehlung bedarf der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. (4a) Bestehen im Einzelfall Anhaltspunkte für ein Zusammentreffen von Leis-

tungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe, bezieht der für die Durchführung eines Teilhabeplanverfahrens oder Ge-samtplanverfahrens verantwortliche Träger mit Zustimmung des Leis-tungsberechtigten die zuständige Pflegekasse in das Verfahren beratend mit ein, um die Vereinbarung nach Absatz 4 gemeinsam vorzubereiten.

Die in § 13 Absatz 4 Satz 5 SGB XI beschriebene Empfehlung für eine bundesweit einheitli-che Umsetzung der bei einem Zusammentreffen von Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe abzuschließenden Vereinbarung, den Modalitäten der Über-nahme und der Durchführung der Leistungen, der Erstattung sowie der Beteiligung des für den Hilfe zur Pflege zuständigen Trägers wurde im März 2018 vom GKV-Spitzenverband und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozial-hilfe beschlossen. Diese ist neben den weiteren gesetzlichen Regelungen aus dem SGB XI und SGB XII (ab 2020 SGB IX) sowie den heute noch nicht bekannten Regelungen zu den

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Wohnformen13 maßgeblich und entscheidend für den praktischen Umgang der Leistungs-träger mit der Schnittstelle von Eingliederungshilfe und Pflegeversicherungsleistungen. Die Bundesministerien für Gesundheit und für Arbeit und Soziales haben der Empfehlung am 10.04.2018 zugestimmt. Im Vergleich zum Entwurf der Empfehlungen sind nur wenige Änderungsvorschläge der Verbände aufgenommen worden. Dem für die Schnittstelle zentralen Aspekt „Leistungen der Eingliederungshilfe sind im Verhältnis zur Pflegeversi-cherung nicht nachrangig“ wird durch die Klarstellung des Gleichrangs der Leistungen zu Beginn der Empfehlung und damit der Feststellung, dass Pflege und Eingliederungshilfe auch nach Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs grundsätzlich unterschiedli-che Aufgaben und Ziele haben, Rechnung getragen. Ob die Empfehlung in der Praxis wie beschrieben umgesetzt wird und bestehende Unsicherheiten durch die Empfehlung besei-tigt werden, wird kritisch gesehen und bleibt abzuwarten. Im Folgenden sollen die Inhalte der Empfehlung beschrieben und bewertet werden.

13 Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen erlässt spätestens bis zum 1. Juli 2019 Richtlinien wann, der Umfang der Versorgung durch Leistungserbringer weitgehend der Versorgung einer vollstationären Einrichtung entspricht. (§ 71 SGB XI)

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II.1. Empfehlung des GKV-Spitzenverbandes und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe gemäß § 13 Absatz 4 Satz 5 SGB XI

Abbildung 1 Vereinfachte Darstellung der Vereinbarung gemäß §13 Abs. 4 Satz 5 SGB XI

Zielsetzung:

Durch die Vereinbarungen zur koordinierten Leistungserbringung wie aus einer Hand soll eine effektivere und effizientere Leistungsgewährung gesichert werden, da sämtliche Be-lange der Leistungsberechtigten bei einer Behörde gebündelt und allein durch diese be-arbeitet werden. Mit den Verfahrensreglungen für die Vereinbarungen gemäß § 13 Abs. 4 Satz 5 SGB XI soll weitereine staatliche Doppelfinanzierung ausgeschlossen werden. Aus der bisherigen Kann-Regelung soll für die Leistungsträger dem Gesetzgeber nach eine verbindliche Koordination entstehen, bei dem das Wunsch- und Wahlrecht der Leis-tungsberechtigten im Vordergrund steht.

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Geltungsbereich:

Vereinbarungen können ausschließlich beim Zusammentreffen von fortlaufenden Leis-tungen der Eingliederungshilfe, Pflegeversicherung und - unter Beachtung des § 103 Abs. 2 SGB XI - der Hilfe zur Pflege außerhalb von Gemeinschaftswohnformen im Sinne des §43a SGB XI getroffen werden. Als fortlaufende Leistungen der Pflegeversicherung werden die Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI), der Umwandlungsanspruch (§ 45a Abs. 4 SGB XI) und der Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI) beschrieben. Zusätzlich können auch die Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), die Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) und die Tages- und Nachtpflege (§ 41 SGB XI) im Einzelfall Gegenstand der Vereinbarung sein. Fortlaufende Leistungen der Eingliederungshilfe sind solche, die die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, insbesondere eine möglichst selbstbestimmte und eigenverantwortliche Lebensführung im eigenen Wohn-raum, ermöglichen oder erleichtern. Wenn im Einzelfall auch die Aufnahme der Verhinde-rungspflege, Kurzzeitpflege und Tages- und Nachtpflege vereinbart würde, verlören diese Leistungen ihre Flexibilität der Inanspruchnahme und ihren eigentlichen Zweck. Die Zu-stimmung des Leitungsberechtigten zu einer Vereinbarung, die auch Leistungen der Ver-hinderungspflege und Kurzzeitpflege umfasst, ist somit nicht zu empfehlen.

Die Vereinbarung:

Treffen o.g. Leistungen zusammen, muss mit Zustimmung des Leistungsberechtigten die zuständige Pflegekasse und ggf. der Träger der Hilfe zur Pflege frühzeitig in das für die Vereinbarung entscheidende Teilhabe- bzw. Gesamtplanverfahren einbezogen werden (§ 13 Abs. 4a SGB XI). Dem Träger der Eingliederungshilfe als verfahrensführendem Träger kommt eine zentrale Rolle zu. Dieser muss die Zustimmung der Leistungsberechtigten ein-holen und die an der Vereinbarung zu beteiligenden Träger informieren.

Für die beschriebenen Leistungen wird vereinbart, dass auf Grundlage des Leistungsbescheides der Pflegekasse der Träger der Einglie-

derungshilfe im Verhältnis zum Leistungsberechtigten die Leistungen der Pflege-versicherung übernimmt. Damit entfällt die Leistungsverpflichtung der Pflegekas-se.

der für die Eingliederungshilfe zuständige Träger die Kosten der von der Pflege-kasse zu tragenden Leistungen von dieser erstattet bekommt.

Das Gesetz gibt den Trägern die Möglichkeit, gemeinsame Vereinbarungen auch für eine Mehrzahl gleich oder ähnlich gelagerter Fälle vorzubereiten und zutreffen. In Fällen, in denen eine Vereinbarung auf diesem Wege herbeigeführt wird, könnte dem individuellen Wunsch-und Wahlrecht des einzelnen Leistungsberechtigten keine Rechnung getragen

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werden. Deshalb ist den Leistungsberechtigten eine Ablehnung so einer Konstellation an-zuraten.

Die getroffene Vereinbarung ist bindend, solange sich die Verhältnisse, die für die Festset-zung ihrer Dauer maßgebend waren, in diesem Zeitraum nicht ändern. Änderungen, die sich auf die Leistungsgewährung auswirken, sind unverzüglich den an der Vereinbarung be-teiligten Trägern mitzuteilen.

Die Rolle der Leistungsberechtigten in der Vereinbarung: Auch, wenn die Leistungsberechtigten im Rahmen der Vereinbarung kein Vertragspartner im eigentlichen Sinne sind, haben sie wegen der Voraussetzung der Zustimmung an ver-schiedenen Stellen in der Vereinbarung eine zentrale Rolle, da sie das Verfahren über Zu-stimmungen oder Ablehnungen beeinflussen können. Verweigert ein Leistungsberechtig-ter seine Zustimmung zur Vereinbarung, darf diese nicht geschlossen werden und der Leis-tungsberechtigte erhält die Leistungen der Pflegeversicherung sowie die Leistungen der Eingliederungshilfe von beiden Leistungsträgern getrennt. Ein Koordinationszwang beim Zusammentreffen der Leistungen ergibt sich mit Blick auf die Position des Leistungs-berechtigten aus der Empfehlungen nicht, dieser findet erst nach der Zustimmung der Lei-tungsberechtigten Anwendung.

Leistungserbringung:

Nach den in der Empfehlung beschriebenen Modalitäten der Leistungserbringung (§4) und Leistungsabrechnung (§5) ist es für die Eingliederungshilfe nicht möglich, pflegerische Sachleistungen nach SGB XI in den Prozess der Erbringung von Teilhabeleistungen so zu integrieren, dass ein für Eingliederungshilfe zugelassener dienst auch Pflege zu Lasten der Pflegekasse mit abdeckt. Die Leistungen sind stattdessen durch einen oder mehrere ge-eignete Leistungserbringer (zugelassene Dienste der Eingliederungshilfe und zugelassene Pflegedienste) nach dem jeweiligen Leistungsrecht zu erbringen. Das Ziel der Empfehlung, dass Leistungen „wie aus einer Hand erbracht werden“, bezieht sich somit nicht auf die Umsetzung durch Dienste vor Ort. Die Qualitätssicherungsmaßnahmen und Prüfungen sowie die Leistungsabrechnung der jeweiligen Leistungssysteme bleiben ebenfalls unbe-rührt.

Evaluation:

Die Umsetzung der Empfehlung und die auf dieser Grundlage abgeschlossenen Ver-einbarungen sollen nach § 13 Abs. 4b SGB XI im Rahmen der Evaluation nach § 18c SBG XI (Fachliche und wissenschaftliche Begleitung der Umstellung des Verfahrens zur Fest-stellung der Pflegebedürftigkeit) untersucht werden. Erste Ergebnisse der Evaluation

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sollen zum 1. Juli 2019 vorliegen14. Dieser - für ein so komplexes Verfahren sehr kurzen - Evaluation nach § 13 Abs. 4b SGB XI kommt eine wichtige Rolle zu, da die Auswirkungen für die Praxis in Gestalt

der Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechtes der leistungsberechtigten Person, der möglichen Leistungsverschiebung von der Eingliederungshilfe in die Pflege und der möglichen Umsetzung gemeinsamer Vereinbarungen für eine Mehrzahl

gleich oder ähnlich gelagerter Fälle

erst im Lauf einer gefestigten Umsetzung deutlich werden können.

Die Evaluation der Regelungen nach § 13 Abs. 4 SGB XI im Rahmen der fachlichen und wissenschaftlichen Begleitung nach §18c SGB XI die „insbesondere … Maßnahmen und Ergebnissen der Vorbereitung und der Umsetzung der Umstellung des Verfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit untersucht, ist fraglich.

Nutzen:

Die Empfehlungen bleiben hinter den Erwartungen zurück und beziehen sich in erster Li-nie auf Verwaltungshandeln und kaum auf die Leistungserbringung vor Ort. Lediglich für die Leistungsberechtigten, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, be-hördliche Angelegenheiten wahrzunehmen oder für die diese eine große Hürde darstel-len, kann eine solche Vereinbarung hilfreich sein, da statt drei Ansprechpartnern (Träger der Eingliederungshilfe, Pflegekasse, ggf. noch Träger der Hilfe zur Pflege) nur noch der Eingliederungshilfeträger für die Anliegen zuständig ist.

Die Erbringung ärztlich verordneter Pflegeleistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V (Behand-lungspflege) war und ist weiterhin von den oben beschriebenen Rechtsgebieten unbe-rührt. Häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V kann prinzipiell auch in Räumlich-keiten im Sinne des § 43a SGB XI erbracht werden. Hierfür wurde § 37 SGB V im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes III um den Satz ergänzt: „Versicherte erhalten in stationären Einrichtungen im Sinne des § 43a des Elften Buches Leistungen nach Satz 1, wenn der Be-darf an Behandlungspflege eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine quali-fizierte Pflegefachkraft erfordert.“15. Am 20.09.2018 wurde durch einen

14 § 13 Abs. 4b SGB XI 15 § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V

F. Behandlungspflege nach § 37 SGB V

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Beschluss16 des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die Häusliche Krankenpflege- Richtlinie an die Gesetzeslage angepasst. Höchstrichterliche Urteile haben in der Vergangenheit immer wieder festgelegt, in welchem Umfang Behandlungspflege in Einrichtungen im Sinne des § 43a SGB XI nach Satz 1 vom Einrichtungsträger zu leisten ist17. In den Eckpunkten der Entscheidung zum Beschluss des G-BA ist benannt, dass in Ange-boten im Sinne §43a die „einfachsten“ behandlungspflegerischen Maßnahmen regelmä-ßig schulden und mit eigenem Personal erbringen müssen. Die verordnenden Ärzte können somit davon ausgehen, dass die „einfachsten“ behandlungspflegerischen Maßnahmen von der Einrichtung erbracht werden, solange kein expliziter Hinweis vorliegt, dass die Ein-richtung die Leistung nicht mit geeignetem Personal erbringen kann; eine Verordnung ist in den Fällen einfachster Behandlungspflege somit regelhaft nicht zu erteilen. Darüber hinaus schulden die Angebote auch weitergehende Maßnahmen der medizini-schen Behandlungspflege, sofern sich dies aus ihren Verträgen, ihren Leistungsbeschrei-bungen, ihrem Aufgabenspektrum unter Berücksichtigung ihrer Zielgruppe und aus ihrer sächlichen und personellen Ausstattung ergibt.18 Vor dem Hintergrund, dass Maßnahmen der Behandlungspflege vielfach in den Landesrahmenverträgen der EGH angespro-chen sind, lehnen Krankenkassen eine Leistungserstattung zur Vermeidung von Doppel-finanzierungen aktuell meist ab, ohne ordnungsgemäß die Rechtslage im Einzelfall zu prüfen, was den Leistungsanspruch von Leistungsberechtigten verletzen kann. Zu der Frage, „wie sich Leistungen der Behandlungspflege den einfachsten Maßnahmen zuordnen lassen?“, wird in den tragenden Gründen zum Gerichtsbeschluss geschrieben: „Zu den sog. „einfachsten Maßnahmen“ der medizinischen Behandlungspflege gehören nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Leistungen, die für Versicherte im eigenen Haushalt grundsätzlich von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden könnten. Einfachste Maßnahmen sind somit solche, die ohne medizinische Vorkenntnisse und Fertigkeiten von Laien erbracht werden können und nicht mit nennenswerten Infek-tions- oder Verletzungsgefahren verbunden sind. […] Danach verläuft die Grenze der von einer Einrichtung geschuldeten Leistungen genau dort, wo diese vom Personal der Einrich-tung der Eingliederungshilfe erbracht werden können und müssen.“ Mit dem Verweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung werden lediglich beispielhaft Leis-tungen genannt: Regelmäßige Gabe von Tabletten nach ärztlicher Anweisung, das Messen des Blutdrucks oder des Blutzuckergehalts, das An- und Ablegen einfach zu handhaben-der Stützverbände, das Einreiben mit Salben (soweit es sich nicht um schwierige Wundver-sorgung handelt), die Verabreichung von Bädern u. ä.

16 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie: Verord-nung von Behandlungspflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen vom 20.09.2018 17

Rechtsprechung BSG 2015 zu „einfachsten Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege“ (BSG 22.4.2015 – Az. B 3 KR 16/14 R und 25.2.2015 - B 3 KR 11/14 R) 18 Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Häuslichen Kranken-pflege-Richtlinie: Verordnung von Behandlungspflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für Behinderte Men-schen. Vom 20.09.2018

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Somit wird deutlich, dass es in Bezug auf die Erbringungs- und Vergütungspraxis von Leis-tungen der medizinischen Behandlungspflege nach SGB V in Gemeinschaftswohnformen nach § 43a SGB XI neue Vereinbarungen zwischen dem Träger der Eingliederungshilfe und Krankenkassen geschlossen werden müssen, die aktuell geltende Vereinbarungen ablösen werden.

§ 38a SGB XI Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohn-gruppen

Der Anspruch auf zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreu-ten Wohngruppen (Wohngruppenzuschlag i. H. v. 214 €) gilt nur bei einem Zusammenleben außerhalb von Gemeinschaftswohnformen nach § 43a i. V. m. § 71 Abs. 4 Nr. 1 u. 3 SGB XI.

Der Anspruch steht auch Menschen mit Pflegegrad 1 zu.

§ 40 SGB XI Pflegehilfsmittel und Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen

Pflegebedürftige (auch mit Pflegegrad 1) haben gem. § 40 Abs. 1 SGB XI Anspruch auf Pflegehilfsmittel.

Das Verhältnis zu den Hilfsmitteln der EGH (§ 84 SGB IX) ist über entsprechend dem individuellen Bedarf und der Zielsetzung der HiMi-Versorgung im Einzelfall zu klären. Beispiel: Rollstuhl zum Ausgleich eines Mindestmaßes an Mobilität und Teil-habe fällt in Zuständigkeit der Krankenkasse, Rollstuhl zur Herstellung voller Teil-habe am Gemeinschaftsleben fällt in den Zuständigkeitsbereich der EGH (z.B. An-schaffung eines Shoppers zusätzlich zum vorhandenen normalen Rollstuhl, damit Einkäufe eigenständig getätigt werden können).

Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 haben gem. § 40 Abs. 4 SGB XI Anspruch auf Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen.

§ 42 SGB XI Kurzzeitpflege

Auf Kurzzeitpflege besteht für Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 ein Anspruch bei

häuslicher Pflege. Dies setzt voraus, dass Leistungen der EGH nur in ambulanter Form erbracht werden

– nicht in Gemeinschaftswohnformen nach § 71 Abs. 4 SGB XI.

G. Möglichkeiten der Inanspruchnahme weiterer Leistungen nach dem SGB XI

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§ 43a SGB XI Inhalt der Leistungen

Pauschale greift ab Pflegegrad 2; – Regelung zur Ausschüttung bei Abwesenheiten Aufenthalte bei Angehörigen: Leistungsberechtigte von Angeboten i. S. v. § 71 Abs.

4 SGB XI können für die Tage, an denen sie häuslich gepflegt werden (z. B. an den Wochenenden, zu Urlaubszeiten) anteilig einen Anspruch auf Pflegegeld bzw. Pflegesachleistung geltend machen. Sowohl der Anreise- als auch der Abreisetag sind dabei als voller Tag der häuslichen Pflege anzusehen. Die Berechtigten haben für die Abwesenheitstage Anspruch auf ungekürztes Pflegegeld. Eine Kürzung um den Sachleistungsanteil ist rechtswidrig. Berechtigte, die zeitweise im häuslichen Umfeld gepflegt werden, haben während dieser Zeit auch Anspruch auf Leistun-gen nach § 45b.

§ 45b SGB XI Entlastungsbetrag

Entlastungsbetrag (125 €) gilt ab Pflegegrad 1.

An den Schnittstellen zwischen der Eingliederungshilfe und Pflege entsteht ein erhöhter Bedarf an Koordination unterschiedlicher Leistungen. Dies macht es nach heutigem Kenntnisstand notwendig, dass Leistungen, die bisher über die Eingliederungshilfe fi-nanziert werden, perspektivisch über die Pflegeversicherungen und Krankenkassen abre-chenbar gemacht werden19. Auch zukünftig werden mit der Leistungserbringung je nach Art der Pflege- oder Eingliederungshilfeleistungen geeignete Leistungserbringer20 beauf-tragt und es gelten die jeweiligen Leistungsrechte bei der Erbringung und Abrech-nung der Leistungen. Für die Leistungserbringer der Eingliederungshilfe wird es nötig, Strukturen und Kapazitäten zu schaffen, in denen und mit denen Pflegeleistungen (die nicht von der Eingliederungshilfe umfasst21 sind) neben den Teilhabeleistungen

19 Bsp: Qualifizierte Behandlungspflege in Räumlichkeiten nach § 43a SGB XI2020 i.V. m. § 71 Abs. 4 SGB XI2020 20 Pflegedienste mit Zulassung SGB XI/SGB V bzw. durch schriftliche Vereinbarung mit dem Träger der Ein-gliederungshilfe zugelassene Dienste der Eingliederungshilfe) 21 § 103 SGB IX2020

H. Beschreibung vorfindlicher Gestaltungsmodelle für die Zusammenarbeit mit zugelassenen Pfle-gediensten und der Schaffung neuer Kapazitä-ten durch die Leistungserbringer der Eingliede-rungshilfe.

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erbracht werden, sich ergänzen und Synergieeffekte erzeugen. Dabei müssen noch feh-lende Richtlinien und Empfehlungen zur Gestaltung der Schnittstellen abgewartet und im Verlauf in die Planung und Steuerung von Angeboten einbezogen werden.

Um Leistungen der Pflege als Dienst erbringen und abrechnen zu können, müssen die An-forderungen des SGB V und SGB XI erfüllt werden. Dies gelingt nur mit den Strukturen ei-nes ambulanten Pflegedienstes. Neben den finanziellen Auswirkungen bedeutet dies auch eine erhebliche Veränderung in der Leistungserbringung. In diesem Zusammenhang wer-den in der Regel drei Varianten/Konstellationen der Zusammenarbeit von Diensten der EGH mit ambulanten Pflegediensten zur Sicherstellung der Pflegeleistungen diskutiert. Im Folgenden sollen diese drei Varianten kurz vorgestellt und erste Überlegungen zu Vortei-len/Chancen und Nachteilen/Risiken genannt werden.

I. Leistungen der Pflege nach SGB XI und SGB V sowie Leistungen zur Teilhabe nach SGB IX werden von einem Dienst erbracht, der alle Zulassungen besitzt. Diese Variante beschreibt den „Leistungsmix“, der derzeit schon von Pflegediensten mit ergänzender Zulassung zur Erbringung ambulanter Eingliederungshilfeleistungen ange-boten wird. Durch die veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen versuchen beste-henden Pflegedienste vermehrt die Erbringung ambulanter Eingliederungshilfe in ihr Leis-tungsangebot zu integrieren. Für Leistungserbringer der Eingliederungshilfe kommt diese Variante weniger in Betracht, da die Grundlage dieser Variante die Zulassung und Organi-sationsform nach SGB XI und SGB V ist.

II. Kooperation zwischen den Diensten der Eingliederungshilfe und einem nach SGB XI/SGB V zugelassen ambulanten Pflegedienst. In dieser Variante schließt ein Leistungserbringer der Eingliederungshilfe mit einem be-stehenden Pflegedienst vor Ort eine Kooperationsvereinbarung zur ergänzenden pflege-rischen Versorgung der Klientinnen und Klienten. Diese Variante eignet sich für kleine Leistungserbringer oder Gemeinschaftswohnformen und Dienste mit geringen pflegeri-schen Bedarfen.

Vorteile/Chancen:

• Der Pflegedienst übernimmt die Verantwortung für die pflegerischen Maßnahmen.

• Eine Anpassung der Pflegefachkraftquote in den Diensten der Eingliederungshilfe ist kurzfristig nicht nötig.

• Die Variante lässt sich schneller umsetzen als die Variante 3.

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Nachteile/Risiken:

• Versorgungsprozesse werden durch einen externen Dienst beeinflusst. • Leistungen werden nicht aus einer Hand erbracht. • Klientinnen/Klienten haben unterschiedliche Ansprechpersonen. • Keine Planungssicherheit für die Leistungserbringer, weil das Klientel die freie

Wahl zwischen dem Kooperationspartner und anderen Pflegediensten hat. • Der Einfluss der EGH-Dienste auf die Ausgestaltung der pflegerischen Leistungen

ist gering. • Geringe fachlichen und strukturelle Ausrichtung von Pflegediensten auf

Menschen mit Eingliederungshilfebedarf. • Hoher Koordinations-und Abstimmungsbedarf zwischen den Diensten und

Mitarbeitenden. • Konkurrenz bei der Leistungserbringung zweckidentischer Leistungen.

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III. Gründung eines ambulanten Pflegedienstes mit Zulassung nach SGB XI und SGB V durch einen Leistungserbringer der Eingliederungshilfe. Durch einen Leistungserbringer der Eingliederungshilfe wird ein ambulanter Pflegedienst als eigenständig wirtschaftende22 Einrichtung innerhalb des Leistungserbringer aufgebaut, der in den Angeboten der Eingliederungshilfe die pflegerischen Leistungen erbringt und abrechnet. Zur Erbringung der Leistungen nach SGB V muss einem Rahmenvertrag nach §§ 132, 132a Abs. 2 SGB V beigetreten und die darin beschriebenen Voraussetzungen erfüllt werden. Der Rahmenvertrag bestimmt u. a. die Möglichkeiten des Personaleinsatzes. Für die Erbringung ambulanter psychiatrischer Pflege nach SGB V muss ein gesonderter Antrag gestellt werden. Zur Erbringung der Leistungen nach SGB XI muss ein Versorgungsvertrag bestehen23 und die Bedingungen des Rahmenvertrages24 zur ambulanten pflegerischen Versorgung müssen eingehalten sowie die beschriebenen Voraussetzungen erfüllt werden. Diese umfangreichen Anforderungen und Voraussetzungen sind in verschiedenen Ge-setzen, Richtlinien, Empfehlungen und Verträgen beschrieben. Die Umsetzung von § 75 SGB XI Abs. 1 und der §§ 132, 132 a SGB V findet auf Landesebene und für die Leistungen nach SGB V mit unterschiedlichen Verhandlungspartnern statt. Dies führt zu einer Vielzahl von Rahmenverträgen mit z.T. großen Unterschieden. Die folgende Abbildung gibt einen ersten Überblick über die maßgeblichen Reglungen und der Ebene, auf welcher sie ange-siedelt sind.

22 Einnahmen und Ausgaben des Pflegedienstes müssen vom übrigen Teil abgegrenzt werden. 23 §72 SGB XI 24 § 75 Abs. 1 SGB XI

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Diese Variante eignet sich für größere komplexe Leistungserbringer oder Dienste, die in räumlicher Nähe zueinander liegen und hohe pflegerische Bedarfe der Klientel abzudecken haben.

Vorteile/Chancen:

• Die vorhandenen Strukturen können genutzt werden.

• Bei der Planung des Dienstes können die „Besonderheiten“ bei der Ver-sorgung von Menschen mit Eingliederungsbedarf einfließen.

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• Leistungen können von einem Anbieter erbracht werden und so der Kreis der Ansprechpersonen klein gehalten werden.

• Sozialgesetzbuchübergreifend können Leistungen aus „einer Hand“ an-geboten werden (Synergieeffekte).

• Neue Zielgruppen können angesprochen werden.

• Angebote können spezifisch und effizienter geplant und umgesetzt wer-den.

• Kommunikationswege sind einfacher zu gestalten.

• Keine Konkurrenz bei der Leistungserbringung zweckidentischer Leis-tungen.

Nachteile/Risiken:

• Der Pflegedienst des Leistungserbringers der Eingliederungshilfe hat keine Pla-nungssicherheit, weil das Klientel die freie Wahl zwischen den vorgehaltenen und anderen Pflegediensten hat.

• Ein Pflegedienst ist nur schwer kostendeckend zu betreiben und beinhaltet ein wirtschaftliches Risiko.

• Der Aufbau eines ambulanten Pflegedienstes braucht einen längeren Vorlauf.

• Die Personalakquise für einen Pflegedienst gestaltet sich schwierig.

• Hoher Koordinations-und Abstimmungsbedarf zwischen den Diensten und Mitarbeitenden.

Neben diesen drei Varianten besteht für Pflegebedürftige mit den Pflegegraden 2 bis 5 außerhalb von Angeboten im Sinne des § 43a SGB XI auch noch die Möglichkeit, die Pflege als „Laienpflege“ selbst sicherzustellen und Pflegegeld nach §37 SGB XI in Anspruch zu nehmen. Ausschlaggebend für die Wahl einer der genannten Varianten durch einen Leistungser-bringer der Eingliederungshilfe, nämlich

der Aufbau leistungsfähiger Kooperationsstrukturen, die auf dem Zusammenwir-ken von pflege- und teilhabeorientierten Diensten basieren, die durch Koope-rationsverträge die Bedingungen der Zusammenarbeit regeln

oder

der Aufbau eines leistungsträgerinternen Pflegedienstes zur Deckung pflegeri-scher Bedarfe,

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Pflege in der Eingliederungshilfe Seite 30

ist neben der Größe und Komplexität des Leistungserbringers der Bedarf und die Struktur der zu betreuenden Klientinnen und Klienten. Auch die Frage, inwieweit der Dienst in die Gesamtorganisation eingebunden und vorhandene Ressourcen bei Aufbau und Betrieb genutzt werden können, ist ausschlaggebend für die Entscheidung. Unabhängig von der Struktur der Leistungserbringung steht das Wunsch- und Wahlrecht für Menschen mit Be-hinderung im Zuge der Leistungsgewährung im Vordergrund. Neben den gesetzlichen Veränderungen, wird sich auch der Bedarf an pflegerischen Leis-tungen verändern. Es ist davon auszugehen, dass dieser in allen Bereichen der Eingliede-rungshilfe einen höheren Stellenwert einnimmt, hier spielt das Alter und die Zunahme von häufig multipel und chronisch auftretenden Erkrankungen eine große Rolle. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mehr Menschen den Pflegegrad 1. erhalten. Bei diesen Menschen stehen Leistungen (z.B. Unterstützungs-leistungen im Alltag) im Vordergrund, die den Verbleib in der häuslichen Umgebung si-cherstellen sollen, ohne das bereits voller Zugang zu den Leistungen (Pflegesachleis-tungen) der Pflegeversicherung möglich ist. Auch dieser Personenkreis sollte von den Leis-tungserbringern der Eingliederungshilfe in den Blick genommen werden. Das Zusammenführen der sehr unterschiedlichen Systeme unter Beachtung der Verände-rungen durch das BTHG und den Pflegestärkungsgesetzen ist eine organisatorische Heraus-forderung, mit der sich die Leistungserbringer der Eingliederungshilfe zeitnah befassen sollten.