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Pflegemodell OREM

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Pflegemodell OREM

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BEGRIFFSKLÄRUNGEN: .............................................................................................................. 3

THEORIE: ...................................................................................................................................... 3

MODELL: ....................................................................................................................................... 3

UNTERNEHMENSLEITBILD UND PFLEGELEITBILD ................................................................... 3

DAS PFLEGEMODELL VON DOROTHEA OREM ......................................................................... 5

DAS WESEN DER SELBSTPFLEGE ............................................................................................. 5

Annahmen zum Wesen des Menschen ....................................................................................... 5

SELBSTPFLEGEERFORDERNISSE ............................................................................................. 6

1. Universelle Selbstpflegeerfordernisse ..................................................................................... 6

2. Entwicklungsbedingte Selbstpflegeerfordernisse .................................................................... 6

A) Spezifische Entwicklungsstadien ........................................................................................ 6

B) Äußere Bedingungen mit Einfluss auf die menschliche Entwicklung ................................... 7

3. Krankheitsbedingte Selbstpflegeerfordernisse ........................................................................ 7

PRÄVENTIVE GESUNDHEITSPFLEGE ........................................................................................ 8

SELBSTPFLEGEDEFIZITE ............................................................................................................ 8

Therapeutischer Selbstpflegebedarf ......................................................................................... 10

Selbstpflegekompetenz ............................................................................................................. 10

DIE SELBSTPFLEGE ................................................................................................................... 11

Grenzen der Selbstpflege ......................................................................................................... 11

UNTERSTÜTZUNG DURCH PFLEGE ......................................................................................... 11

Was ist ein Patient? .................................................................................................................. 11

Die professionelle Pflegetätigkeit .............................................................................................. 12

DER PFLEGEPROZESS .............................................................................................................. 13

(1) Zwischenmenschliche und soziale Handlungen ................................................................... 13

(2) Technisch-professionelle Handlungen ................................................................................. 14

(1)Gegenwärtiger und zukünftiger Selbstpflegebedarf .............................................................. 14

(2) Gegenwärtige und zukünftige Selbstpflegefähigkeit ............................................................. 14

Verordnende Handlungen ......................................................................................................... 15

Regulatorische oder therapeutische Handlungen ...................................................................... 16

KONZEPTE REGULATORISCHER HANDLUNGEN: DAS PFLEGESYSTEM ............................. 16

(1) Das vollständig kompensatorische Pflegesystem: ............................................................... 17

(2) Das teilweise kompensatorische Pflegesystem: ................................................................... 17

(3) Das unterstützend-anleitende Pflegesystem: ....................................................................... 18

PFLEGETÄTIGKEITEN ................................................................................................................ 20

DIE PLANUNG REGULATORISCHER HANDLUNGEN ............................................................... 20

REGULATORISCHE PFLEGE ..................................................................................................... 20

DIE REGULATIVE KOMPONENTE DER PFLEGEEVALUATION ................................................ 21

CASE MANAGEMENT-(KONTROLL-)HANDLUNGEN ................................................................. 21

VON DER THEORIE ZUR PRAXIS .............................................................................................. 22

ANLEITUNG FÜR DIE PLANUNG ................................................................................................ 23

Hintergrundinformationen .......................................................................................................... 23

Assessment .............................................................................................................................. 23

Planung .................................................................................................................................... 23

Umsetzung ................................................................................................................................ 24

Evaluation ................................................................................................................................. 24

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BEGRIFFSKLÄRUNGEN:

Theorie:

Gedankliche, wissenschaftliche, abstrakte, spekulative Betrachtung: Erklärungsweise ohne Hin-blick auf Anwendung und praktische Verwertung. (aus: Ullstein Lexikon der deutschen Sprache Die Theorie ist immer eine abstrakte (rein begriffliche) Betrachtung. Sie erläutert die Realität und bezieht Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften, z.B. Soziologie, Psychologie mit ein. Somit bieten Theorien einen Orientierungsrahmen. Pflegetheorien helfen „Pflege“ zu erklären, vorherzusagen, zu ändern oder auch zu verstehen (vgl. Mischo-Kelling/Zeidler).

Modell:

Vorbild, Muster, Urform; Entwurf oder verkleinerte Nachbildung; nur die wesentlichen Züge einer enthaltenen Vorstellung. (aus: Knaurs Fremdwörterlexikon) Ein Modell ist somit eine Darstellung eines Gegenstandes oder eines Handlungsablaufes. Modelle erleichtern eine Betrachtung der Pflege bzw. ermöglichen sie überhaupt erst. Pflegemodelle zei-gen verschiedene Ansätze auf, wie Pflege idealerweise sein sollte. Je nach Pflegemodell können die Ansätze und Richtungen verschieden sein. Pflegemodelle helfen den Komplex Pflege zu erkennen und das charakteristische an ihr zu be-stimmen.

Unternehmensleitbild und Pflegeleitbild

Ein Leitbild spiegelt die grundsätzlichen Ziele, Werte und Vorstellungen eines Unternehmens wi-der. Ein Leitbild versucht ein realistisches Idealbild anzustreben. Die Zielsetzung ist zukunftsorientiert ausgerichtet und wird höchstwahrscheinlich von dem gegenwärtigen Zustand abweichen. Das Unternehmensleitbild macht transparent, welche Philosophie ein Unternehmen vertritt und kann damit als eine Art gemeinsamer Wegweiser verstanden werden, der den Mitarbeitern eine Orientierung bietet. Diese Philosophie wird in der Öffentlichkeit präsentiert. Pflegeleitbild: Jede Pflegekraft hat eine Vorstellung, was Pflege für sie bedeutet. Ein Pflegeleitbild beschreibt, welche pflegerischen Zielsetzungen in einem Unternehmen verfolgt werden und bietet somit einen „roten Faden“ für die Pflegepraxis. Schnittstelle: Da ein Pflegeleitbild pflegerische Zielsetzungen beinhaltet und „richtungsweisend“ fungiert, setzt es sich mit dem was Pflege beinhaltet auseinander. Genau diese Inhalte werden wiederum in Pflegemodellen beschrieben.

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Unter Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen wird man sich auf ein bestimmtes Pflegemodell festlegen oder Aspekte aus verschiedenen Modellen integrieren. Pflegeleitbilder basieren auf der Grundlage von Pflegemodellen.

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DAS PFLEGEMODELL VON DOROTHEA OREM

Das Wesen der Selbstpflege

Vereinfacht könnte man das, was Orem mit dem Begriff „Selbstpflege“ bezeichnet, als die Fähig-keit eines Individuums umschreiben, alle zum (Über)Leben benötigten Aktivitäten selbst zu bewäl-tigen. Orem versteht unter dem Begriff „selbst“ die Gesamtheit eines Individuums, nicht nur seine physi-schen, sondern auch seine psychischen und spirituellen Bedürfnisse. Selbstpflege von Orem meint somit die Ausübung von Tätigkeiten, die Menschen im eigenen Inte-resse einleiten und durchführen, um ihr Leben, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu erhalten:

Die Lebensprozesse und deren normale Funktionsfähigkeit zu erhalten, Ein normales Wachstum, eine normale Reifung und Entwicklung aufrechtzuerhalten, Krankheiten und Verletzungen vorzubeugen oder diese zu kontrollieren, Behinderungen vorzubeugen oder diese zu kompensieren, Das eigene Wohlbefinden zu fördern.

Annahmen zum Wesen des Menschen

1. Allen Lebewesen kommt der gleiche Wert zu; jedoch sind nur die Menschen in der Lage,

die intellektuellen und praktischen Kompetenzen zu entwickeln und die Motivation aufzu-bringen, auf deren Grundlage Selbstpflege möglich ist und die Pflege abhängiger Famili-enmitglieder erfolgen kann. Es ist in die Verantwortung des Menschen gestellt, seine eige-nen Bedürfnisse soweit wie möglich selbst zu befriedigen, indem er die dazu notwendigen Informationen und Kompetenzen erwirbt oder sich um Hilfe aus anderen Quellen, z.B. von Angehörigen oder professionellen Helfern einschließlich Pflegefachkräften, bemüht.

2. Die Mittel, diesen Erfordernissen zur Selbstpflege gerecht zu werden, sind kulturell geprägt und von Mensch zu Mensch verschieden. Das bedeutet, dass es nicht den „einen Weg“ gibt, um den Erfordernissen der Selbstpflege gerecht zu werden, sondern zur Befriedigung von ähnlichen Bedürfnissen sind durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen möglich.

3. Selbstpflege durchzuführen, erfordert ein bewusstes und durchdachtes Handeln. Dieses Handeln wird durch das Wissen und Kompetenzen, das jeder Einzelne zur Verfügung hat, bestimmt. Menschen haben bezüglich ihres Selbstpflegeverhalten auch Wahlmöglichkeiten. Unter be-stimmten Bedingungen kann sich eine Person – aus welchen Gründen auch immer – dazu entschließen, keine selbstpflegerischen Handlungen einzuleiten, auch wenn diese eigent-lich erforderlich wären. Die Ursachen können Angst, Befürchtungen oder andere Prioritäten sein.

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Selbstpflegeerfordernisse

Einen wichtigen Bestandteil des Modells von Orem bilden die sogenannten Selbstpflegeerforder-nisse. Sie spielen auch in der Einschätzung des Patienten eine große Rolle. Orem unterscheidet universelle, entwicklungsbedingte und krankheitsbedingte Selbstpflegeerfor-dernisse.

1. Universelle Selbstpflegeerfordernisse

Folgende acht Selbstpflegeerfordernisse sind allen Menschen gemeinsam:

Ausreichende Zufuhr von Luft Ausreichende Zufuhr von Wasser Ausreichende Zufuhr von Nahrung Vorkehrungen im Zusammenhang mit Ausscheidungsprozessen und Ausscheidungen Der Erhalt eines Gleichgewichts zwischen Aktivität und Ruhe Der Erhalt eines Gleichgewichts zwischen Alleinsein und sozialer Interaktion Die Abwendung von Gefahren für Leben, menschliche Funktionsfähigkeit und menschli-

ches Wohlbefinden Die Förderung der menschlichen Funktionsfähigkeit und Entwicklung innerhalb sozialer

Gruppen in Einklang mit den menschlichen Fähigkeiten, Grenzen und dem Wunsch nach Normalität.

Diese universellen Selbstpflegeerfordernisse umfassen die grundlegenden physischen, psychi-schen und spirituellen Bestandteile des Lebens. Sie gehören zu den grundlegenden Aufgaben, die ein Individuum bewältigen können muss, um zur Selbstpflege in der Lage zu sein. Diese acht Erfordernisse sollten allerdings nicht isoliert von-einander betrachtet werden; so sollte man etwa die Vermeidung von Gefahren auch im Kontext aller anderen Erfordernisse beachten: bspw. Muss man sich bewusst sein, dass Luft, Wasser und Nahrung, deren Aufnahme lebensnotwendig ist, möglicherweise giftige und schädliche Substan-zen enthalten können.

2. Entwicklungsbedingte Selbstpflegeerfordernisse

Zusätzlich zu den universellen Selbstpflegeerfordernissen hat Orem eine zweite Art von Erforder-nissen herausgearbeitet, die nur in Zusammenhang mit besonderen Entwicklungsstadien von Be-deutung sind, und diese in zwei Gruppen eingeteilt: A) Spezifische Entwicklungsstadien Ein Teil der entwicklungsbedingten Erfordernisse bezieht sich darauf, dass zur Unterstützung der Lebensprozesse und zur Förderung der menschlichen Entwicklung bestimmte Bedingungen ge-schaffen und aufrecht erhalten werden müssen. Diese Klasse von Selbstpflegeerfordernissen ist an bestimmte Entwicklungsstadien gebunden, z.B. an die Phase unmittelbar nach der Geburt. Solche bestimmten Entwicklungsstadien sind:

1. Die intrauterine Lebensphase und die Geburt 2. Die neonatale Phase 3. Das Säuglingsalter

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4. Die Entwicklungsstadien der Kindheit, Jugend und des frühen Erwachsenenalters 5. Die Entwicklungsstadien des Erwachsenenalters 6. Die Schwangerschaft

Beispiel: Neugeborenes, dass zu seiner Temperaturregulation aus entwicklungsbedingten Grün-den Unterstützung benötigt, während der gesunde Erwachsene in der Lage ist, seine Körpertem-peratur selbst zu regeln. B) Äußere Bedingungen mit Einfluss auf die menschliche Entwicklung Die zweite Gruppe entwicklungsbedingter Selbstpflegeerfordernisse bezieht sich auf solche Be-dingungen, die einen negativen Einfluss auf die menschliche Entwicklung ausüben können. Darunter fallen Pflegemaßnahmen, die schon bestehende (oder potentielle) schädliche Auswir-kungen abschwächen oder beseitigen sollen, die von besonderen Lebensumständen oder Leben-sereignissen ausgehen. Zu diesen umständen oder Ereignissen zählen z.B.:

Mangelhafte Ausbildungsbedingungen Soziale Anpassungsschwierigkeiten Verlust von Verwandten, Freunden oder Bekannten Verlust von Besitz oder des Arbeitsplatzes Plötzliche Veränderung der Lebensbedingungen oder Behinderungen, unheilbare Krankhei-

ten oder der bevorstehende Tod Gefährdende Umweltbedingungen

Damit ist ein sehr weiter Bereich von Bedingungen benannt, die Orem für die individuelle mensch-liche Entwicklung als bedeutsam betrachtet.

3. Krankheitsbedingte Selbstpflegeerfordernisse

Bedingt durch Abweichungen vom Gesundheitszustand. Diese Erfordernisse treten dann auf, wenn Menschen krank, verletzt oder behindert sind, oder sich in medizinischer Behandlung befin-den. Unter solchen Umständen entstehen die folgenden zusätzlichen Anforderungen an das Individu-um:

(a) sich um angemessene medizinische Unterstützung zu bemühen und diese zu sichern

(b) die Auswirkungen und Resultate bestehender Krankheiten einschließlich ihrer Einflüsse auf die Entwicklung wahrzunehmen und ihnen entgegenzuwirken

(c) medizinisch verordnete diagnostische, therapeutische und rehabilitative Maß-nahmen effektiv durchzuführen und sie auf die Prävention spezifischer Krank-heitserscheinungen, auf die Krankheitsvorgänge selbst auszurichten,

(d) die beeinträchtigenden oder schädigenden Auswirkungen medizinischer Be-handlungsmaßnahmen, die von Ärzten durchgeführt oder angeordnet werden einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung wahrzunehmen, ihnen entgegenzuwirken bzw. sie zu regulieren,

(e) das eigene Selbstkonzept und Selbstbild dahingehend zu verändern, dass der besondere, d. h. beeinträchtigte Gesundheitszustand, in dem sich die eigene Person befindet, und die Angewiesenheit auf bestimmte Formen der Pflege akzeptiert werden können,

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(f) sich an ein Leben mit den Auswirkungen von Krankheiten und von medizi-nisch-diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen im Rahmen einer Le-bensführung anzupassen, die die persönliche Weiterentwicklung fördert.

Das Konzept der krankheitsbedingten Selbstpflegeerfordernisse beruht auf der Grundannahme, dass es im Falle einer Erkrankung für die betroffene Person notwendig wird, sich bei kompetenten anderen Personen um Rat und Hilfe zu bemühen, wenn sie selbst nicht in der Lage ist, die eige-nen Selbstpflegebedürfnisse zu befriedigen. Orem weist darauf hin, dass die Veränderung des eigenen Selbstkonzepts bei einer Erkrankung eine wichtige Rolle spielen kann und dass es von großer Bedeutung ist, sich innerlich an diejenigen Veränderungen, die durch Krankheiten oder Verletzungen verursacht werden, anzupassen.

Präventive Gesundheitspflege

Orem hebt als eine zentrale Komponente ihres Modells die präventive Gesundheitspflege beson-ders hervor. Den universellen Selbstpflegeerfordernissen auf effektive Weise gerecht zu werden, bezeichnet sie als „primäre Prävention“. Unter der „sekundären Prävention“ versteht sie die Abwendung nachteiliger Auswirkungen oder Komplikationen von Krankheiten oder langfristigen Behinderungen mittels Früherkennung und unmittelbarer Intervention. „Tertiäre Prävention“ findet nach Orem dann statt, wenn in der Folge von Entstellungen und Be-hinderungen Rehabilitationsmaßnahmen eingeleitet werden. Diese Betrachtungsweise steht in Einklang mit den gegenwärtigen Bestrebungen, anstelle der Krankheit die Gesundheit ins Zentrum der Krankenpflege zu rücken.

SELBSTPFLEGEDEFIZITE

Wenn die Selbstpflegefähigkeit eines Individuums in einer Weise gefordert ist, die über die natürli-che und alltägliche Notwendigkeit zu überleben hinausgeht, kann dies vielfältige Ursachen haben. Eine akute oder chronische Krankheit oder ein emotionales Trauma können beispielsweise Per-sonen veranlassen, zu zusätzlichen Maßnahmen zu greifen, um für sich sorgen zu können, oder sich um Unterstützung durch andere zu bemühen. Die Menschen besitzen aber nun eine sehr unterschiedliche Kompetenz, die an sie gerichteten Erfordernisse mit Hilfe von Selbstpflegetätigkeiten zu bewältigen. Menschen, die gesund sind, d. h. die das eigene Leben ohne Krankheit und ohne die Hilfe anderer bewältigen können, werden ihre alltäglichen Selbstpflegebedürfnisse im allgemeinen erfüllen kön-nen. Kranke Menschen jedoch oder solche, die emotionale Traumata durchlebt oder keine ausrei-chenden Kompetenzen zur Selbstpflege erlernt oder entwickelt haben, sind unter Umständen nur begrenzt in der Lage, ihren Selbstpflegebedürfnissen gerecht zu werden. Die Menschen verfügen über eine ausgeprägte Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen inner-halb ihrer selbst oder in ihrer Umgebung anzupassen. Es gibt jedoch Situationen, in denen die gesamten, an ein Individuum gerichteten Anforderungen dessen Bewältigungsmöglichkeiten über-steigen. Dann kann der Fall eintreten, dass dieses Individuum, um seinen Selbstpflegebedarf zu decken, auf Hilfe angewiesen ist.

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Das Bild der Waage kann auch herangezogen werden, um das Konzept der Selbstpflegedefizite zu verdeutlichen. Wie sich erhöhte Anforderungen auf die Fähigkeit des einzelnen, seine Selbst-pflege zu bewältigen, auswirken können, lässt sich anhand von drei Typen von Situationen veran-schaulichen: Selbstpflegefähigkeiten eines gesunden Menschen, mit deren Hilfe er den universellen Selbstpfle-geerfordernissen gerecht werden kann:

Ein Individuum, dessen Gesundheitszustand sich verschlechtert, das aber noch in der Lage ist, den universellen und krankheitsbedingten Selbstpflegeerfordernissen gerecht zu werden:

Universelle Selbst-pflegeerfordernisse Selbstpflege-fähigkeiten

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Ein Individuum, dessen Gesundheitszustand sich verschlechtert und das dabei den universellen und krankheitsbedingten Selbstpflegeerfordernissen nicht mehr gerecht werden kann und demzu-folge eine Pflegeintervention benötigt:

Universelle Selbst-pflegeerfordernisse Selbstpflege-fähigkeiten

Therapeutischer Selbstpflegebedarf

Mit dem Begriff "therapeutischer Selbstpflegebedarf' werden jene Selbstpflegehandlungen be-zeichnet, die ein Mensch benötigt, um seinen Selbstpflegeerfordernissen gerecht zu werden. Da-mit werden die Selbstpflegeerfordernisse, die für einen Patienten bekannt sind (oder in Zukunft auftreten könnten), mit dem, was zu ihrer Deckung getan werden kann oder sollte, in Beziehung gesetzt. Die Feststellung des therapeutischen Selbstpflegebedarfs eines Individuums entspricht demnach einer Beschreibung dieses Individuums hinsichtlich seiner Entwicklung, Struktur und Funktionsfähigkeit.

Selbstpflegekompetenz

Orem bezeichnet mit dem Begriff „Handelnder“ die Person, die die jeweilige Pflege tatsächlich durchführt. Eine Person, die ihre eigene Pflege selbst vornimmt, bezeichnet sie als „selbstpflege-risch Handelnde“. Die Fähigkeit eines Menschen, sich an der eigenen Selbstpflege zu beteiligen, nennt sie seine „Selbstpflegekompetenz“. Der normale gesunde Mensch verfügt über eine vollständige oder sich entwickelnde Selbstpflege-kompetenz. In anderen Fällen befindet sich das selbstpflegerische Handeln noch in der Entwicklung; so müs-sen etwa Kinder, die sich darin üben, die Toilette zu benutzen, die Kontrolle des Sphinkters erst erlernen und allmählich ein Verständnis für den Ausscheidungsvorgang entwickeln. Dieses Lernen findet innerhalb des jeweiligen kulturellen Kontextes statt. Und schließlich gibt es Menschen, die eine Selbstpflegekompetenz entwickelt haben, von der sie aber dennoch keinen Gebrauch ma-chen, dies ist etwa der Fall, wenn eine Person erkennt, dass sie Hilfe braucht, und auch in der Lage ist, sich um Unterstützung zu bemühen, sich aber vielleicht aus Angst oder aufgrund von Befürchtungen nicht dazu entschließen kann, Hilfe zu suchen.

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DIE SELBSTPFLEGE

Die Selbstpflege beruht auf einer Reihe von komplexen Handlungen, die die jeweilige Person ab-sichtlich und auf ihre je persönliche Weise vornimmt. Der Prozess der Selbstpflege setzt damit ein, dass ein Individuum sich des eigenen Gesundheitszustandes bewusst ist. Um zu diesem Bewusstsein zu kommen, muss es wiederum rational denken; denn das Individuum muss auf seine eigenen Erfahrungen, auf die kulturellen Normen und auf die gelernten Verhal-tensweisen zurückgreifen, um zu einer Einschätzung der eigenen gesundheitlichen Verfassung zu gelangen. Außerdem muss es bewusst den Wunsch haben, den eigenen Bedarf an Selbstpflege zu decken; dies ist eine für das Modell von Orem wichtige Annahme. Hat das Individuum die Entscheidung getroffen, auf ein bestimmtes Bedürfnis mit einem bestimm-ten Selbstpflegeverhalten zu reagieren, dann muss es einen konkreten Handlungsplan oder eine Vorgehensweise entwickeln, mit deren Hilfe es sein Bedürfnis befriedigen kann. Des weiteren bedarf es der Bereitschaft und des Engagements, den einmal entwickelten Plan wei-ter zu verfolgen. Um selbstpflegend handeln zu können, muss eine Person viel über sich selbst und darüber wis-sen, was Gesundheit ist, und muss kulturell bestimmte Erwartungen kennengelernt haben.,

Grenzen der Selbstpflege

Eine Person, die diese Fähigkeiten besitzt, wird den eigenen Selbstpflegebedarf mit hoher Wahr-scheinlichkeit decken können. In anderen Fällen kann die Selbstpflegekompetenz jedoch auch Grenzen haben oder aufgrund äußerer Hindernisse eingeschränkt sein. So kann es beispielswei-se einer Person an Wissen über sich selbst mangeln, möglicherweise hat sie gar nicht das Be-dürfnis, sich dieses Wissen anzueignen. Eine andere Schwierigkeit kann darin bestehen, in Gesundheitsfragen Urteile z. B. darüber zu fäl-len, wann genau es an der Zeit ist, sich um Rat und Unterstützung anderer zu bemühen. Des wei-teren kann es Probleme bereiten, über sich selbst oder hinsichtlich der zur Selbstpflege notwendi-gen Handlungen dazuzulernen. Schließlich können körperliche, psychische oder emotionale Be-einträchtigungen die Mitwirkung an der Planung und Ausübung von Pflege erschweren.

UNTERSTÜTZUNG DURCH PFLEGE

Was ist ein Patient?

Das Werk von Orem ist für die Pflege deswegen von Bedeutung, weil sie den Versuch macht, die Grenzen professioneller Pflegetätigkeit durch die Beantwortung folgender Fragen näher zu be-stimmen: Wann ist bei einer Person Pflege erforderlich, und wann kann eine einmal eingeleitete Pflegetätigkeit bei einem Patienten beendet werden? Im allgemeinen ist ein Patient eine Person, die bei der Befriedigung bestimmter Selbstpflegebe-dürfnisse professionelle Hilfe benötigt und mit dieser Hilfe Einschränkungen der eigenen Fähigkei-ten möglicherweise kompensieren oder überwinden kann. Orem geht bei ihrer Definition des Be-griffs „Patient“ aus pflegerischer Sicht von drei Voraussetzungen aus:

dass ein Patient einen universellen, entwicklungsbedingten oder krankheitsbedingten Selbstpflegebedarf hat, den er selbst nicht decken kann: Diese Bedingung impliziert, dass eine Person, die ihre Selbstpflege eigenständig bewältigen kann, keine pflegerische Unter-

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stützung benötigt. Das ist nicht in jedem Fall so selbstverständlich, wie es vielleicht er-scheinen mag, denn kulturelle und soziale Faktoren können zu unterschiedlichen Auffas-sungen über den Zeitpunkt führen, ab wann eine Unterstützung erforderlich ist; und bevor einer Person Pflege angeboten werden kann, benötigt sie ein gewisses Maß an gesund-heitsbezogenem Wissen und muss die Entscheidung treffen können, sich um Hilfe zu be-mühen.

dass diese Person über ein Mindestmaß an Selbstpflegefähigkeiten entweder schon verfügt hat oder es potentiell erwerben kann: Es muss für das Individuum erstrebenswert sein, sich selbst zu versorgen , oder es muss die Aussicht bestehen, dass es nach angemessenen medizinischen und pflegerischen Maßnahmen in der Lage sein wird, einige der Selbstpfle-getätigkeiten vorzunehmen; so mag beispielsweise ein Patient mit einer Rückenmarksver-letzung zunächst nur eine begrenzte Selbstpflegekompetenz haben, in der Folge angemes-sener Behandlungsmaßnahmen kann man aber möglicherweise erwarten, dass er sich zu-nehmend an der eigenen Selbstpflege beteiligt.

dass zwischen dem Selbstpflegebedarf einer Person und ihrer Fähigkeit, diesen Bedarf zu decken, ein Ungleichgewicht besteht: Das Individuum ist entweder gegenwärtig nicht in der Lage, seine Selbstpflegeerfordernisse zu erfüllen, oder wird dazu mit hoher Wahrschein-lichkeit in Zukunft nicht mehr in der Lage sein; so kann etwa ein Patient mit einer degenera-tiven Gelenkerkrankung im Augenblick fähig sein, seine alltägliche Versorgung selbst zu bewältigen, doch kann mit dem Fortschreiten seiner Erkrankung professionelle pflegerische Unterstützung erforderlich werden.

Die professionelle Pflegetätigkeit

Pflegefachkräfte können in der Unterstützung des Patienten viele Funktionen wahrnehmen. Orem hat diese Tätigkeiten zu folgenden fünf Kategorien zusammengefasst :

1. für andere handeln, 2. andere leiten oder anweisen, 3. körperliche oder psychische Unterstützung bieten, 4. eine Umgebung schaffen, die die Pflegehandlungen und Entwicklung persönlicher Fähig-

keiten unterstützt, 5. andere unterrichten.

Die vielleicht offensichtlichste Funktion einer Pflegeperson ist die, stellvertretend für einen ande-ren zu handeln, der bestimmte Notwendigkeiten seiner Gesundheitsfürsorge nicht mehr selbst bewältigen kann. Die traditionellen körperbezogenen Tätigkeiten der Pflegekräfte beschränken sich auf diesen Bereich. Orem sieht jedoch für die Pflege noch zahlreiche weitere Bereiche, wo Fachkräfte Verantwortung zu übernehmen haben. So verlangt beispielsweise die Tätigkeit, einen Patienten anzuleiten und zu führen, von der Fachkraft, dem Patienten für die Bewältigung seiner Selbstpflegeerfordernisse wichtige Informationen oder Ratschläge zu vermitteln. Körperliche und psychische Unterstützung zu bieten ist eine weitere wichtige Aufgabe der Pflege. Orem begreift körperliche Unterstützung als eine Partnerschaft, ein aus Patient, Pflegeperson und anderen Beteiligten bestehendes Arbeitsteam, das bestimmte gesundheitliche Bedürfnisse erfüllt. Psychische Unterstützung versteht sie als die „verstehende Präsenz“ einer Person, die zuhören und dem Patienten unterschiedliche Unterstützungsformen anbieten kann. Auch die Umgebung ist nach Orem ein wichtiger Faktor in der Pflege. Die Pflege sollte nach ihrer Vorstellung eine Umgebung schaffen, die dem Patienten die Befriedigung seiner gesundheitlichen Bedürfnisse ermöglicht, die ihn darin unterstützt, neue Fähigkeiten zu entwickeln, und die das Auf-treten neuer Beeinträchtigungen verhindert.

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Und schließlich sieht Orem in der Pflegefachkraft eine Person, die lehrt. Dazu muss sie selbst Wissen und Kompetenzen besitzen und diese an andere weitergeben können. Sie muss in der Lage sein, dem Patienten zu beschreiben und zu erklären, worin sein Selbstpflegebedarf besteht, welche Methoden und Handlungs- oder Behandlungsmöglichkeiten zur Befriedigung dieses Be-darfs bestehen, wie er seine Selbstpflege verwirklichen kann und welche Möglichkeiten es gibt, bestehende Einschränkungen seiner Selbstpflegekompetenz zu kompensieren. Die genannten Tätigkeiten von Pflegefachkräften bestehen nicht völlig unabhängig voneinander. Es gibt viele Situationen, in denen gleichzeitig verschiedene Pflegehandlungen vorgenommen werden, um ein bestimmtes gesundheitsbezogenes Ziel zu erreichen. So können Pflegefachkräfte etwa während der Durchführung der Körperpflege mit dem Patienten über seine Pflege sprechen und ihn darüber aufklären, wie er zukünftige Verschlechterungen seines Gesundheitszustandes vermeiden kann.

DER PFLEGEPROZESS

Orem hebt des öfteren hervor, dass Pflege aus praktischem Handeln besteht und dass ihre theo-retischen Konzepte in eine Form übersetzt werden müssen, in der sie in der Praxis genutzt wer-den können. Diese „Übersetzung“ erfolgt mit Hilfe des Pflegeprozesses, - einem Vorgehen, das sich traditionell aus vier Schritten zusammensetzt:

dem Assessment (Einschätzung), der Planung, der Intervention und der Evaluation (Auswertung).

Orem befürwortet dieses Pflegeprozess-Konzept, allerdings in einer Form, die mit ihrer Theorie besser in Einklang steht. Sie fasst den Pflegeprozess als einen Vorgang auf, bei dem die Pflege-fachkräfte zwischenmenschliche und soziale sowie technisch-professionelle Handlungen vorzu-nehmen haben.

(1) Zwischenmenschliche und soziale Handlungen

Die zwischenmenschliche und soziale Komponente der Pflege besteht darin, dass die Pflegefach-kräfte im Umgang mit Patienten und deren Familien einen angemessenen Stil entwickeln müssen. Im einzelnen sollten sie:

Beziehungen zum Patienten, zu seiner Familie und anderen Beteiligten aufbauen und auf-rechterhalten,

mit dem Patienten und den betreffenden anderen Personen übereinkommen, dass sie für gesundheitsbezogene Fragen zur Verfügung stehen,

kontinuierlich mit dem Patienten und den anderen Personen zusammenarbeiten und Infor-mationen gemeinsam besprechen.

Diese Prozesse müssen über die gesamte Dauer der Pflegebeziehung aufrechterhalten und, wo erforderlich, modifiziert werden.

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(2) Technisch-professionelle Handlungen

Die technisch-professionellen Handlungen untergliedert Orem in

diagnostische Handlungen verordnende Handlungen therapeutische oder regulatorische Handlungen Case Management-Tätigkeiten

Die genannte Reihenfolge entspricht der logischen Abfolge der einzelnen Handlungen. So müssen sinnvollerweise etwa die diagnostischen Schritte den verordnenden vorausgehen. Dennoch kann Pflege unter Umständen auch schon eingeleitet und ausgewertet werden (thera-peutische oder regulatorische Handlungen), bevor die erforderlichen anamnestischen Informatio-nen vollständig erhoben worden sind. Case Management-Handlungen (die Aspekte der Pflegeauswertung innerhalb des Pflegeprozes-ses) begleiten jedoch die gesamte Pflegebeziehung zum Patienten.

(1)Gegenwärtiger und zukünftiger Selbstpflegebedarf

Worin besteht der gegenwärtige Selbstpflegebedarf des Patienten, und wie wird er sich voraus-sichtlich in Zukunft darstellen? Um den Selbstpflegebedarf eines Patienten zu bestimmen, muss sein Gesundheitszustand vor dem Hintergrund seiner universellen, entwicklungsbedingten und krankheitsbedingten Selbstpfle-gerfordernisse eingeschätzt werden. Dieser Prozess lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Jedes universelle, entwicklungsbedingte und krankheitsbedingte Selbstpflegeerfordernis wird daraufhin untersucht, ob Probleme bestehen oder in Zukunft möglicherweise auftreten könnten.

Es werden mögliche Wechselwirkungen zwischen universellen, entwicklungsbedingten und krankheitsbedingten Selbstpflegeerfordernissen bestimmt.

Es werden diejenigen Faktoren bestimmt, die einen Einfluss darauf haben könnten, ob ein Selbstpflegeerfordernis gedeckt werden kann.

(2) Gegenwärtige und zukünftige Selbstpflegefähigkeit

Kann der Patient diesen Selbstpflegebedarf decken? Dazu muss die Pflegekraft bestimmen, welche Gesundheitsverhaltensweisen der Patient ohne Hilfe ausführen kann, welche er noch entwickeln und welche er unterlassen sollte. Dieser Prozess, die Selbstpflegefähigkeit eines Patienten einzuschätzen (Assessment), kann in der Praxis wie folgt aussehen: Die Pflegefachkraft

bestimmt und beschreibt die Selbstpflegetätigkeiten des Patienten, bestimmt und beschreibt die Einschränkungen seiner Selbstpflegekompetenz, schätzt auf der Basis dieser Informationen die allgemeine Fähigkeit des Patienten ein, ob er

die zu seiner Selbstpflege notwendigen Entscheidungen und Handlungen bewältigen kann (d. h. es wird bestimmt, ob der Patient ein Selbstpflegedefizit hat),

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überprüft diese Schlussfolgerungen mittels Beobachtungen, Messungen und ähnlichen Me-thoden,

sie bestimmt mit Hilfe der bewährten pflegerischen Methoden und Kriterien, inwieweit der Patient hinreichend über das Wissen, die Kompetenzen und die Motivation verfügt, um je-dem Selbstpflegeerfordernis gerecht zu werden,

schätzt ein, was der Patient tun kann, was er nicht tun kann und was er tun sollte, um den momentanen und zukünftigen Selbstpflegebedarf zu befriedigen,

bestimmt, falls ein Selbstpflegedefizit besteht, was der Patient tun und was er unterlassen sollte, um den unmittelbar gegebenen Selbstpflegebedarf zu decken,

bestimmt im Falle eines bestehenden oder potentiellen Selbstpflegedefizits darüber hinaus, inwieweit der Patient in Zukunft in der Lage sein wird, sich die zur Gesundheitspflege not-wendigen Kompetenzen anzueignen.

Verordnende Handlungen

Als „verordnende Handlungen“ bezeichnet Orem die praktischen Entscheidungen, die die Pflege-person und der Patient nach der Erhebung der erforderlichen Informationen treffen müssen. Diese Handlungen können im herkömmlichen Pflegeprozess-Konzept mit dem Stadium „Planungsphase“ gleichgesetzt werden. Mit Hilfe dieser Handlungen wird festgelegt, was für die jeweilige Person vor dem Hintergrund ih-rer gegenwärtigen Situation und ihres Wissens zu tun ist, und eingeschätzt, was in Zukunft ge-schehen könnte. Orem hebt hervor, dass verordnende Handlungen auf die Ganzheit eines Indivi-duums und nicht nur auf einzelne Aspekte Bezug nehmen müssen. Verordnende Handlungen dienen dazu, folgende Pflegeaspekte auszuarbeiten:

die Mittel und Vorgehensweisen (oder Pflegemaßnahmen), die eingesetzt werden sollen, um bestimmten Selbstpflegeerfordernissen gerecht zu werden,

eine sinnvolle Organisation dieser Maßnahmen, die Aufgaben der Pflegefachkräfte, des Patienten und derer, die ihn als Abhängigen pfle-

gen, soweit sie die Befriedigung seines therapeutischen Selbstpflegebedarfs betreffen. Die verordnende Handlung kombiniert zwischenmenschliche und soziale Rollen mit den tech-nisch-pflegerischen. Zwischenmenschliche Prozesse können z. B. dann relevant sein, wenn Pflegefachkräfte mit Pati-enten oder Angehörigen zusammenarbeiten, indem sie gegenseitig Informationen austauschen oder den zeitlichen Ablauf der Pflege gemeinsam vereinbaren. Technisch-professionelle Handlungen werden dagegen dann benötigt, wenn die Pflegefachkraft Methoden ausarbeiten will, um ein bestimmtes Selbstpflegeerfordernis zu decken. Beide Formen der Pflegehandlungen sollten zeitgleich stattfinden. Mit anderen Worten: die Pflegepersonen sollten auch dann einen guten zwischenmenschlichen und sozialen Kontakt zum Patienten und seiner Familie entwickeln und aufrechterhalten, wenn mehr „technische“ Gesichtspunkte der Pflege geplant und umgesetzt werden. Dass der Einbezug der Familienangehörigen und anderer Bezugspersonen in den Prozess der Verordnung sehr bedeutsam ist, hebt Orem immer wieder hervor. Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass manche Menschen von sich aus dazu bereit sind, sich aktiv an der eigenen Selbstpflege oder auch der Pflege Abhängiger zu beteiligen, wäh-rend andere unter Umständen nicht auf die Unterstützung ihrer Angehörigen eingestellt sind.

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Aus diesem Grund schlägt Orem vor, dass die Pflegefachkräfte versuchen sollten, diejenigen per-sönlichen Eigenschaften von Patienten und Angehörigen zu bestimmen, z. B. Passivität oder Trauer, die einen Einfluss auf die Pflegesituation haben könnten, und die Bedingungen herauszu-finden, die eine Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal beeinträchtigen könnten. Zu diesem Zweck sollten sie Beobachtungen anstellen und die subjektiven Eindrücke heranziehen, die sie im Rahmen ihres Assessment gewonnen haben.

Regulatorische oder therapeutische Handlungen

Mit den regulatorischen oder therapeutischen Handlungen meint Orem die praktischen Tätigkei-ten, die der Umsetzung des zuvor Verordneten dienen. In diesem Zusammenhang ist besonders wichtig, dass ein angemessenes System, d. h. eine geordnete Regelung für die Pflegepraxis ent-wickelt wird. Die regulatorischen und therapeutischen Handlungen sind im herkömmlichen Pflege-prozess-Konzept den Stadien „Intervention“ und „Auswertung“ ganz ähnlich.

Konzepte regulatorischer Handlungen: das Pflegesystem

Die Erstellung eines Pflegesystems umfasst nach Orem die folgenden Schritte:

(a) Die Pflegefachkraft entwirft für die Beziehungen zu einem Patienten ein System, das dazu dient, dessen gegenwärtigen und zukünftigen Selbstpflegeerfordernissen gerecht zu wer-den.

(b) Sie legt fest, in welchem Zeitraum, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein Kontakt zwischen Pflegeperson und Patient stattfindet.

(c) Sie bestimmt, welchen Anteil die Pflegeperson und der Patient an der Befriedigung des Selbstpflegebedarfs haben sollen, und stellt damit sicher, dass

eine Zusammenstellung der Selbstpflegetätigkeiten und ein Zeitplan für deren Ausführung

vorliegt, eine Regelung bezüglich des Umfangs getroffen wird, in dem sich der Patient an der eige-

nen Selbstpflege beteiligt, der Patient ein Interesse an der eigenen Pflege und den Wunsche entwickelt, selbstpfle-

gend tätig zu werden, der Patient bestehende Selbstpflegekompetenzen weiterentwickelt, verbessert oder weiter-

hin beherrscht, der Patient neue Kompetenzen und Fähigkeiten zur Befriedigung des Selbstpflegebedarfs

ausbildet, ohne dass gleichzeitig neue Beeinträchtigungen auftreten.

Die Pflege ist nichts anderes als die zum Wohle anderer ausgeübte Tätigkeit von Pflegefachkräf-ten, die spezifischen gesundheitsbezogenen Zielsetzungen dient. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, wie die Pflegefachkraft in einer gegebenen Situation ihre Bemühungen und ihr Vorgehen bei der Pflege des Patienten gestaltet. Die Weise, in der Pflege-fachkraft und Patient miteinander interagieren, sowie die Umgebung, innerhalb der dieser Kontakt stattfindet, bezeichnet Orem als das Pflegesystem.

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Die Hauptkomponenten, aus denen dieses Pflegesystem besteht, sind:

(a) die Pflegefachkraft/-kräfte, (b) der Patient oder mehrere kranke Menschen, (c) die Ereignisse, die zwischen ihnen stattfinden, einschließlich der Interaktion mit Angehöri-

gen und Freunden des/der Patienten. Zu den Grundlagen eines jeden Pflegesystems gehören:

(a) Die Gründe für das Bestehen einer Pflegebeziehung müssen eindeutig feststehen. (b) Es muss die generelle und besondere Rolle der Pflegefachkraft sowie des Patienten und

relevanter anderer Personen bestimmt sein. (c) Der Zuständigkeitsbereich der Pflege muss festgelegt sein. (d) Die konkreten Maßnahmen müssen bestimmt sein, die zum Einsatz kommen sollen, um

den einzelnen Selbstpflegeerfordernissen gerecht zu werden. (e) Es muss eingeschätzt werden, was zur Erhöhung der Selbstpflegefähigkeit eines Patienten

zu tun ist, damit dessen Selbstpflegebedarf in Zukunft gedeckt werden kann. Orem geht von drei Typen von Pflegesystemen aus:

dem vollständig kompensatorischen System, dem teilweise kompensatorischen System und dem unterstützend-anleitenden Pflegesystem.

(1) Das vollständig kompensatorische Pflegesystem:

Die Wahl dieses Pflegesystems ist angezeigt, wenn die Pflegeperson für den Patienten eine in hohem Maße kompensatorische Funktion übernehmen muss. Häufig sind Patienten nicht in der Lage, den eigenen universellen Selbstpflegeerfordernissen nachzukommen; Pflegefachkräfte müssen dies dann solange übernehmen, bis der Patient seine Pflege (wenn möglich) wieder selbst vornehmen kann oder aber gelernt hat, mit der jeweiligen Behinderung umzugehen. Z.B. bei

Komatösen Patienten Patienten nach Schlaganfall oder Herzinfarkt, der strikte Bettruhe hat nach Operationen Säuglingen

Im allgemeinen besteht die Rolle der Pflegefachkraft im Rahmen eines vollständig kompensatori-schen Systems darin

(a) Einschränkungen in der Selbstpflegekompetenz des Patienten zu kompensieren und (b) den Patienten zu unterstützen und zu schützen sowie eine Umgebung zu schaffen, die für

den Ausbau bestehender und die Entwicklung neuer Selbstpflegekompetenzen förderlich ist.

Die Pflegefachkraft muss beim vollständig kompensatorischen Pflegesystem nicht nur die direkte Pflege vornehmen, sondern auch stellvertretend für den Patienten die notwendigen Urteile fällen und Entscheidungen treffen.

(2) Das teilweise kompensatorische Pflegesystem:

Verglichen mit dem vollständig kompensatorischen beinhaltet dieses System eine weniger um-fangreiche und weniger intensive pflegerische Tätigkeit. Die Pflegeperson übernimmt hier zwar

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auch eine kompensatorische Funktion, der Patient ist dabei jedoch sehr viel stärker an Entschei-dungen und Handlungen im Rahmen seiner Pflege beteiligt. Z.B. bei Patienten mit

Einschränkung der Mobilität Mangel an Wissen/Kompetenz Psychische Gründe (Amputation)

Innerhalb dieses Pflegesystems trägt außerdem der Patient einige Verantwortung, und zwar für:

(a) die Durchführung einiger der Selbstpflegemaßnahmen, so wird vom Patienten erwartet, dass er sich an der eigenen Pflege soweit beteiligt, wie er dazu in der Lage ist;

(b) die Akzeptanz der von den Pflegefachkräften angebotenen Pflege und Unterstützung, so-weit diese angemessen ist.

(3) Das unterstützend-anleitende Pflegesystem:

Dieses System ist dann angemessen, wenn ein Patient in der Lage ist, die zur Selbstpflege not-wendigen Tätigkeiten selbst auszuüben und sich neuen Situationen anzupassen, aber gegenwär-tig pflegerische Unterstützung benötigt; manchmal kann diese einfach darin bestehen, ihm Bestä-tigung zukommen zu lassen. Im allgemeinen beschränkt sich die Rolle der Pflegeperson hier darauf, den Patienten bei Ent-scheidungen zu unterstützen und ihm Wissen und Kompetenzen zu vermitteln. In diesem System kann es für die Pflegefachkraft erforderlich sein, den Patienten anzuleiten oder die Umgebung beispielsweise durch die Reduzierung unnötiger Ablenkungen so zu verändern, dass sie für das Lernen förderlich ist. Die Pflegefachkraft kann eine beratende Funktion einnehmen, wenn nur pe-riodisch Informationen vermittelt oder aufgefrischt werden müssen. Ihre Rolle im unterstützend-anleitenden Pflegesystem besteht also vorwiegend darin, die Anwen-dung und Entwicklung von Selbstpflegefähigkeiten zu fördern, während der Patient selbst die Selbstpflege vornimmt. Diese Pflegesysteme sollten nicht als eine weitere Möglichkeit zur Klassifikation von Patienten verstanden werden, die, wenn sie einmal vorgenommen worden ist, künftig nicht mehr in Frage gestellt wird. Pflegesysteme müssen, wie anhand der Pflegeplanung verdeutlicht wurde, dynamisch sein. Ein Patient kann anfangs ein vollständig kompensatorisches Pflegesystem benötigen, um seinen uni-versellen Selbstpflegeerfordernissen gerecht zu werden; doch mit der Verbesserung seines Ge-sundheitszustandes muss sich auch das Pflegesystem verändern, das für ihn angemessen ist. Für einen Patienten, der sich zunehmend an der eigenen Pflege beteiligt, ist das teilweise kom-pensatorische Pflegesystem angemessen, und schließlich kann der Übergang zu einem unterstüt-zend-anleitenden System gerechtfertigt sein. Pflegesysteme können sich auch überlappen: Ein teilweise kompensatorisches sowie unterstützend-anleitendes System ist dann angemessen, wenn der Patient sowohl Wissen als auch Kompetenzen erwerben muss.

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Pflegesystem

Aufgaben des Patienten Pflegesystem Aufgaben der Pflegefachkraft

einige der Selbstpflegetä-tigkeiten selbst vornehmen

die Unterstüt-zung durch das Pflegepersonal annehmen

die mangelnde Selbstpflegekompe-tenz des Patienten kompensieren

den Patienten un-terstützen und schützen

für den Patienten urteilen und ent-scheiden

die vorhandenen Fähigkeiten des Pa-

tienten fördern

vollständig

kompensatorisch

einige der Selbst-pflegetätigkeiten für den Patienten vor-nehmen

Einschränkungen der Selbstpflege-kompetenzen des Patienten kompen-sieren

den Patienten bei

Bedarf unterstützen

den Patienten bei Entscheidungspro-zessen unterstüt-zen

den Patienten beim Lernen unterstützen

die für den Patien-ten wichtigen In-formationen regel-

mäßig auffrischen

teilweise

kompensatorisch

unterstützend -

anleitend

den Erfordernis-sen der Selbst-pflege gerecht werden

weiter dazuler-nen und neue Selbstpflegefä-higkeiten entwi-

ckeln

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Pflegetätigkeiten

Wenn ein bestimmtes Pflegesystem - oder ein bestimmter Teil davon - ausgewählt ist, muss die Pflegefachkraft entscheiden, wie sich die für den Patienten gesetzten Pflegeziele am besten errei-chen lassen. Die allgemeinen Methoden, die dafür in Frage kommen, wurden oben bereits aufge-führt.

Die Planung regulatorischer Handlungen

Die Planung der regulatorischen Handlungen besteht für Orem darin, dass das Pflegesystem um praktische und materielle Gesichtspunkte erweitert wird. Im einzelnen sind dies die folgenden Dimensionen:

(a) Zeit: Für die Pflegeplanung und die Festlegung von Behandlungszielen ist ein zeitlicher Rahmen ganz wichtig. Die Erstellung eines realistischen Zeitplans macht es leichter festzu-stellen, ob eine Behandlungsmaßnahme Erfolg hatte oder nicht.

(b) Ort: Der Ort, an dem die Pflege stattfindet, ist davon abhängig, welchen Selbstpflegebedarf ein Patient hat, hängt von seiner Fähigkeit ab, diesen Bedarf zu decken, sowie von den Einschränkungen, denen seine Selbstpflegekompetenz unterliegt. So kann es beispielswei-se sinnvoll sein, einen Patienten darüber aufzuklären, wie er sich zu Hause Insulin verab-reichen kann, ohne dazu eine künstliche Umgebung wie etwa ein Krankenhaus aufsuchen zu müssen.

(c) Bedingungen der Umgebung: Eine wichtige Bedingung dieser Art kann etwa darin beste-hen, dass die Umgebung ruhig ist und unnötige Belastungen für den Patienten ausgeschal-tet sind. Ein Patient, der soeben eine intrakranielle Blutung erlitten hat, braucht unter Um-ständen eine streng kontrollierte Umgebung mit Ruhe, gedämpftem Licht und vermindertem Kontakt zu anderen.

(d) Material: Für die pflegerische Behandlung sind eine angemessene Ausrüstung und ange-messene Materialien von großer Wichtigkeit. Das Pflegepersonal muss darüber entschei-den, welche Pflegematerialien bereitgestellt werden sollen und inwieweit deren Anschaf-fung rentabel ist.

(e) Umfang und Qualifikation des zur Umsetzung, Auswertung und Modifikation des Pflege-plans erforderlichen Personals: Bestimmte Aufgaben der Pflege stellen von vornherein be-stimmte Anforderungen an den Umfang und an die Qualifikation des beteiligten Personals. Im Falle eines erkrankten Neugeborenen werden Pflegefachkräfte benötigt, die technisch versiert sind, während die Arbeit einer Gemeindekrankenschwester vor allem zwischen-menschlichen Kompetenzen verlangt.

Regulatorische Pflege

Pflegefachkräfte helfen Patienten, ihre Selbstpflegebedürfnisse zu befriedigen, und leiten sie bei der Einübung oder Entwicklung von Selbstpflegekompetenzen an. Diese regulatorischen Hand-lungen bilden die Komponente des „Tuns und Denkens“ in der Pflege. Orem geht in diesem Zu-sammenhang direktiv vor, wenn sie klare Anweisungen dazu gibt, wie Pflegepersonen handeln und was sie täglich in der Pflegedokumentation protokollieren sollten.

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Die regulative Komponente der Pflegeevaluation

Orem ergänzt die obige Liste von Pflegetätigkeiten um drei weitere Handlungen, die mit der Frage zu tun haben, ob bei einem Patienten die jeweils praktizierte Pflege weitergeführt werden kann oder ob Veränderungen notwendig sind. Im Rahmen dieser letzten drei Pflegetätigkeiten beurteilt die Pflegefachkraft den bestehenden Pflegeplan sowie die Fortschritte des Patienten in Richtung der zu Beginn der Pflege formulierten Ziele. Orem betrachtet eine solche Auswertung der durchgeführten Pflegemaßnahmen als sehr wichtig und macht dazu konkrete Vorgaben dazu, in welcher Form diese vorgenommen werden sollte:

den Patienten zu beobachten und ihn darin zu unterstützen, sich selbst entsprechend zu beobachten, um zu bestimmen, ob und mit welchem Erfolg er eigene Selbstpflegetätigkei-ten vornimmt,

zu beurteilen, wie wirksam und hinreichend die von dem Patienten ausgeübte Selbstpfle-ge ist, inwieweit er die Fähigkeit besitzt, ein eigenes Repertoire an Selbstpflegekompe-tenzen zu entwickeln, und wie effektiv die bisherige pflegerische Unterstützung war,

die Ergebnisse der Pflegeintervention aus Sicht des Patienten einzuschätzen und gege-benenfalls Veränderungen am Pflegesystem vorzunehmen bzw. zu empfehlen, d. h. die Rollen des Pflegepersonals und des Patienten entsprechend zu modifizieren.

Es ist also wichtig, nicht nur von den Pflegepersonen und dem übrigen medizinischen Personal, sondern ebenso von dem Patienten eine Rückmeldung darüber zu erhalten, inwieweit die Behand-lung aus seiner Sicht zu Fortschritten führt. Darüber hinaus hebt Orem hervor, dass auch Ände-rungen des Pflegeplans in Betracht gezogen werden müssen. Sie sieht damit für die Pflegeplanung einen Rückkopplungsmechanismus vor, mit dem die Pflege-fachkräfte die Effektivität ihres Planes einschätzen und bei Bedarf Veränderungen vornehmen können.

Case Management-(Kontroll-)Handlungen

Case Management-Handlungen umfassen Tätigkeiten wie die Evaluation (Auswertung), Kontrolle, Anleitung und Überwachung jeder der diagnostischen, verordnenden, therapeutischen und regu-lierenden Handlungen, die bei einem einzelnen Patienten vorgenommen werden. Das Case Management ist insofern besonders wichtig, als es alle Aspekte der Pflege einbezieht und diese zu einem dynamischen Prozess macht, der auf Veränderungen seitens des Patienten reagiert. Darüber hinaus ermöglicht es, die vorhandenen materiellen und personellen Ressourcen sinnvoll zu nutzen und die psychischen und physischen Belastungen möglichst gering zu halten, denen eine Person möglicherweise ausgesetzt ist, während sie Pflege erhält oder sucht. Diese Kontrollfunktion im Rahmen des Pflegeprozesses dient also zum einen dazu, die vorge-nommene Pflege zu evaluieren, zum anderen dazu, die Nutzung der vorhandenen Ressourcen zu überprüfen. Die Kontroll-Handlungen umfassen die Beobachtung und das Assessment mit dem Ziel zu be-stimmen:

(1) ob die regulatorischen oder therapeutischen Handlungen zeitweise oder ständig in Einklang mit dem Pflegesystem durchgeführt werden, das für den Patienten ausge-wählt wurde,

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(2) ob die durchgeführten Handlungen den Eigenschaften des Patienten und seiner Umgebung gerecht werden, zu deren Veränderung sie verordnet wurden, oder ob sie nicht mehr angemessen sind,

(3) ob der Patient mit Hilfe der durchgeführten Pflegemaßnahmen seinen therapeuti-schen Selbstpflegebedarf decken kann, ob er zu selbstpflegerischem Handeln ange-leitet wird, ob sich eine Weiterentwicklung zeigt bzw. ob sie angemessen ist oder ob sich der Patient gegebenenfalls an eine sich verringernde Selbstpflegekompetenz anpasst.

VON DER THEORIE ZUR PRAXIS

In diesem Kapitel werden eine Reihe von Pflegeplänen vorgestellt, die auf der Grundlage des Pflegemodells von Orem entwickelt wurden. Pflegeplanungen vorzunehmen macht einen wichti-gen Bestandteil der gegenwärtigen Pflegepraxis aus. Sich bei der Pflegeplanung auf ein bestimm-tes Pflegemodell zu berufen, kann besondere Schwierigkeiten mit sich bringen. Bei Orem etwa ist es so, dass sie zwar eine allgemeine Richtung vorgibt, wie die Pflege verläuft, doch sie überlässt es der einzelnen Pflegefachkraft zu entscheiden, wie sie ihr Modell verwenden und mit ihm arbeiten will. Das impliziert, dass es nicht einen einzigen „richtigen“ Weg gibt, auf der Grundlage des Modells von Orem einen Pflegeplan zu erstellen. Stattdessen sollten die Pflegefachkräfte Orems Vorstel-lungen aufnehmen und sie bei der Entwicklung eines Pflegeplanes so nutzen, dass dieser den Bedürfnissen des einzelnen Patienten gerecht wird. Diese Anregung ist nicht so zu verstehen, dass die Pflegeplanung ganz beliebig verläuft. Orems Konzept erfordert einiges an Arbeit, um die für das Assessment benötigten Informationen zu sammeln und eine Pflegeplanung vorzunehmen. Doch in der Konsequenz sind in der Pflegepla-nung eine Vielzahl von Ansätzen und Organisationsformen möglich. Dies ist nicht nur positiv zu bewerten. Es wäre sehr viel einfacher, wenn jeder, der mit Orems Modell arbeitet, sich an einer einheitlichen Strukturvorgabe orientieren könnte; doch eine solche Vorgabe gibt es nicht. Orems Pflegemodell lässt sich leicht mit dem Pflegeprozess-Konzept und dessen einzelnen Pha-sen „Assessment“, „Planung“, „Intervention“ und „Evaluation“ in Einklang bringen. Ihr theoretisches Verständnis des Pflegeprozesses muss nun im Detail in die Praxis übertragen und dort zur Anwendung gebracht werden. Dieser Schritt ist unabdingbar, wenn die von Orem entwickelte Theorie einen sinnvollen Beitrag zur Pflegepraxis leisten soll. Eine Möglichkeit für ein solches Vorgehen im Sinne einer Umsetzung des Modells in die Praxis besteht darin, die wichtigs-ten klinischen Tätigkeiten herauszuarbeiten, auf denen eine an Orem orientierte Pflegepraxis ba-siert. Oder anders gesagt: damit sind die grundsätzlichen Fragestellungen und Handlungen angespro-chen, mit denen sich die Pflegefachkräfte, die bei der Pflegeplanung sich am Modell von Orem orientieren, auseinandersetzen sollten. Aufgrund der unterschiedlichen individuellen Bedingungen werden nicht bei jedem Patienten je-weils alle der im Folgenden aufgeführten Fragen bedeutsam sein.

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ANLEITUNG FÜR DIE PLANUNG

Hintergrundinformationen

(a) Bestimmen Sie die biologischen, sozialen, psychologischen und kulturellen Faktoren, die

Einfluss auf die Fähigkeit des Patienten haben, für sich selbst zu sorgen. (b) Bestimmen Sie die Auswirkungen, die die Erkrankung des Patienten auf seine natürliche

Umgebung hat. (c) Bestimmen und analysieren Sie die Auswirkungen, die die Erkrankung des Patienten auf

seine Familienangehörigen und auf deren Interaktion hat. (d) Bestimmen Sie den Informationsbedarf des Patienten und seiner Familie sowie ihre Lernfä-

higkeit. (e) Bestimmen und analysieren Sie das Potential des Patienten, selbstpflegend zu werden.

Assessment

(a) Führen Sie eine ausführliche und systematische Erhebung und Einschätzung der Situation

des Patienten durch. (b) Bewerten Sie die Auswirkungen der Erkrankung auf den Lebensstil des Patienten. (c) Bestimmen Sie die gegenwärtigen Bewältigungsstrategien des Patienten. (d) Nehmen Sie eine Einschätzung des Einflusses vor, den biologische, psychosoziale und kul-

turelle Faktoren auf den Umgang des Patienten mit seiner Erkrankung ausüben. (e) Bestimmen Sie den Entwicklungsstand des Patienten und seiner Familie. (f) Bestimmen Sie die Unterstützungssysteme, die dem Patienten zugänglich sind. (g) Leiten Sie aus der Einschätzung den therapeutischen Selbstpflegebedarf des Patienten ab. (h) Bestimmen Sie jegliche Selbstpflegedefizite im Hinblick auf die Erkrankung des Patienten

und stellen Sie deren Ursachen fest. (i) Bestimmen und analysieren Sie den Lernbedarf des Patienten und seiner Familie. (j) Entwickeln Sie für die Pflege Ziele, die sich an den festgestellten Selbstpflegedefiziten ori-

entieren.

Planung

(a) Erstellen Sie für die Pflege des Patienten Ziele, die mit den festgestellten Bedürfnissen des

Patienten in Einklang stehen. (b) Planen Sie das Pflegemanagement mit dem Ziel, die Selbstpflegedefizite des Patienten wie

auch diejenigen Probleme zu beseitigen, vor die seine Familie möglicherweise gestellt ist. (c) Unterstützen Sie den Patienten darin, im Hinblick auf seine Pflege eigene Entscheidungen

zu treffen. (d) Bestimmen und wählen Sie angemessene Methoden aus, die der Bewältigung der Selbst-

pflegedefizite des Patienten dienen. (e) Stellen Sie die für die Pflege des Patienten erforderlichen materiellen und personellen Res-

sourcen zur Verfügung.

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Umsetzung

(a) Führen Sie die Pflegeinterventionen so durch, dass diese mit einem wissenschaftlichen

Pflegemodell, dem Stand der Forschung sowie einer in beiderseitigem Einverständnis ge-wählten Pflegeplanung in Einklang stehen.

(b) Überweisen Sie den Patienten an andere Vertreter oder Instanzen der Gesundheitsfürsor-ge, wenn dies geboten ist, um ihm zu einer maximalen Selbstpflegekompetenz zu verhel-fen.

(c) Regen Sie den Patienten dazu an, seine eigenen Möglichkeiten und Ressourcen zur Ver-ringerung seiner Selbstpflegeeinschränkungen einzusetzen.

(d) Schützen Sie die Selbstpflegefähigkeiten des Patienten, um neuen Einschränkungen vor-zubeugen.

(e) Dokumentieren Sie die relevanten Beobachtungen und Interventionen.

Evaluation

(a) Entwickeln Sie Kriterien, anhand derer Sie die Effektivität des Pflegeplans im Sinne einer Ver-ringerung des Selbstpflegedefizits und einer Erweiterung der Selbstpflegekompetenz bemessen können. (b) Ziehen Sie diese Kriterien heran, um die Ergebnisse der Pflege für Patient und Familie im Hin-blick auf die festgelegten Ziele zu evaluieren. (c) Evaluieren Sie die Durchführung des Pflegeprozesses und orientieren Sie sich dabei an den Maßstäben der professionellen Pflegestandards. (d) Modifizieren Sie den Pflegeplan, wenn dies aufgrund der Evaluationsergebnisse geboten er-scheint.