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64 BZB März 08 Wissenschaft und Fortbildung Pharmakologie in der Zahnmedizin Aktuelle Erkenntnisse aus der Arzneimittellehre Ein Kursbericht von Dr.Thomas Rauscher, Hilpoltstein Der Pharmakologe Prof. Dr. Dr. Albrecht Ziegler (Uni Kiel) referierte in einem informativen und spannenden Tagesseminar an der eazf in Mün- chen über die naturwissenschaftlichen Erkennt- nisse der Arzneimittellehre und stellte dabei die Bezüge zur Zahnmedizin einprägsam heraus. Lokalanästhesie Die Weiterleitung von Reizen durch Nerven- fasern erfolgt über winzige Kanäle in der Nerven- membran, die innerhalb von Millisekunden durchlässig werden. Lokalanästhetika (LA) ver- hindern die Öffnung dieser Na-Kanäle und der Schmerz kann nicht weitergeleitet werden. Zuge- fügtes Adrenalin gewährleistet ein verzögertes Abfluten. Andere vasokonstriktorische Zusätze wie Noradrenalin oder Octapressin konnten sich nicht durchsetzen. Es gibt keine Tachyphylaxie (Gewöhnung) bei LA. Eiter (ph-Verschiebung) oder psychische Erregung reduzieren die Wirk- samkeit. Die Aussage, dass man nach der Gabe von LA nicht für den Straßenverkehr tauglich sei, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Ferner ruft das am häufigsten eingesetzte Articain keine Blut- bildschädigungen hervor. Allergien sind nur auf die häufig zur Konservierung zugesetzten Para- bene bekannt. Bei Herzrisikopatienten ist die Gabe von Betablockern in Absprache mit dem Kardiologen sinnvoll. Eine Schwangerschaft stellt keine Kontraindikation für LA dar. Analgetika Brausetabletten stellen die am besten wirk- same Darreichungsform von Analgetika dar. Paracetamol ist analgetisch und antipyretisch, aber in hohen Dosen (über 10 g) auch hepatoto- xisch (Antidot: Glutathion) und bei chronischem Gebrauch nephrotoxisch (Rp: 3 mal 1g täglich). Metamizol (Novalgin ® ) wirkt analgetisch, fieber- senkend, antiphlogistisch und spasmolytisch. Die angeblich blutschädigende Wirkung (Agra- nulozytose) konnte in Studien nicht bestätigt werden. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Diclofenac und ASS (Aspirin ® ) hem- men die Prostaglandinsynthese und wirken da- mit schmerzlindernd. Die bekannte Hemmung der Thrombozytenaggregation durch alle NSAR begründet die gefürchtete Gefahr der Nach- blutung. Bei kachektischen und älteren Patien- ten ist aufgrund möglicher Nebenwirkungen von NSAR wie der Reduktion des Nierendrucks, Atemnot durch die verringerte Weithaltung der Lungen, Magenschleimhautproblemen und der Blutungsgefahr (zusammen mit ASS) ein Aus- weichen auf zum Beispiel Metamizol zu empfeh- len. Mischpräparate (z.B. Dolomo ® ) ergänzen sich in der Wirkung und sind daher besser wirksam. Stärkere Analgetika sind Opioide (z. B. Mor- phium). Von den Nebenwirkungen ist nur die Obstipation für den Zahnarzt erwähnenswert. Codeinhaltige Mischpräparate und Tramadol gelten als sehr wichtige therapeutische Reserve- mittel. Bei neuropathischen Schmerzen stehen Antiepileptika zur Verfügung, deren therapeuti- sche Wirkung aber erst nach der Einnahme über viele Wochen eintritt. Die Behandlung solcher Patienten gehört in die Hände eines Neurologen. Benzodiazepine Angstpatienten sind oft dankbar für eine Präme- dikation. Midazolam (Dormicum ® ) eignet sich da- für am besten. Es wirkt bereits nach 30 Minuten und hat eine Halbwertszeit von nur zwölf Stun- den (die Halbwertszeit von Valium beträgt 56 Stunden). Besonders angenehm ist dabei, dass der Patient eine retrograde Amnesie hat und Beliebige Auswahl von handelsüblichen Schmerzmitteln Foto: Rauscher

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64 BZB März 08 Wissenschaft und Fortbildung

Pharmakologie in der ZahnmedizinAktuelle Erkenntnisse aus der Arzneimittellehre

E in Kursber icht von Dr. Thomas Rauscher, H i lpo l t s te in

Der Pharmakologe Prof. Dr. Dr. Albrecht Ziegler(Uni Kiel) referierte in einem informativen undspannenden Tagesseminar an der eazf in Mün-chen über die naturwissenschaftlichen Erkennt-nisse der Arzneimittellehre und stellte dabei dieBezüge zur Zahnmedizin einprägsam heraus.

LokalanästhesieDie Weiterleitung von Reizen durch Nerven-fasern erfolgt über winzige Kanäle in der Nerven-membran, die innerhalb von Millisekundendurchlässig werden. Lokalanästhetika (LA) ver-hindern die Öffnung dieser Na-Kanäle und derSchmerz kann nicht weitergeleitet werden. Zuge-fügtes Adrenalin gewährleistet ein verzögertesAbfluten. Andere vasokonstriktorische Zusätzewie Noradrenalin oder Octapressin konnten sichnicht durchsetzen. Es gibt keine Tachyphylaxie(Gewöhnung) bei LA. Eiter (ph-Verschiebung)oder psychische Erregung reduzieren die Wirk-samkeit. Die Aussage, dass man nach der Gabevon LA nicht für den Straßenverkehr tauglich sei,ist wissenschaftlich nicht haltbar. Ferner ruft dasam häufigsten eingesetzte Articain keine Blut-bildschädigungen hervor. Allergien sind nur aufdie häufig zur Konservierung zugesetzten Para-bene bekannt. Bei Herzrisikopatienten ist dieGabe von Betablockern in Absprache mit demKardiologen sinnvoll. Eine Schwangerschaftstellt keine Kontraindikation für LA dar.

AnalgetikaBrausetabletten stellen die am besten wirk-same Darreichungsform von Analgetika dar.Paracetamol ist analgetisch und antipyretisch,aber in hohen Dosen (über 10 g) auch hepatoto-xisch (Antidot: Glutathion) und bei chronischemGebrauch nephrotoxisch (Rp: 3 mal 1g täglich).Metamizol (Novalgin®) wirkt analgetisch, fieber-senkend, antiphlogistisch und spasmolytisch.Die angeblich blutschädigende Wirkung (Agra-nulozytose) konnte in Studien nicht bestätigtwerden. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)wie Ibuprofen, Diclofenac und ASS (Aspirin®) hem-men die Prostaglandinsynthese und wirken da-mit schmerzlindernd. Die bekannte Hemmungder Thrombozytenaggregation durch alle NSARbegründet die gefürchtete Gefahr der Nach-blutung. Bei kachektischen und älteren Patien-ten ist aufgrund möglicher Nebenwirkungenvon NSAR wie der Reduktion des Nierendrucks,Atemnot durch die verringerte Weithaltung derLungen, Magenschleimhautproblemen und derBlutungsgefahr (zusammen mit ASS) ein Aus-weichen auf zum Beispiel Metamizol zu empfeh-len. Mischpräparate (z.B. Dolomo®) ergänzen sichin der Wirkung und sind daher besser wirksam.Stärkere Analgetika sind Opioide (z.B. Mor-phium). Von den Nebenwirkungen ist nur dieObstipation für den Zahnarzt erwähnenswert.Codeinhaltige Mischpräparate und Tramadolgelten als sehr wichtige therapeutische Reserve-mittel. Bei neuropathischen Schmerzen stehenAntiepileptika zur Verfügung, deren therapeuti-sche Wirkung aber erst nach der Einnahme überviele Wochen eintritt. Die Behandlung solcherPatienten gehört in die Hände eines Neurologen.

BenzodiazepineAngstpatienten sind oft dankbar für eine Präme-dikation. Midazolam (Dormicum®) eignet sich da-für am besten. Es wirkt bereits nach 30 Minutenund hat eine Halbwertszeit von nur zwölf Stun-den (die Halbwertszeit von Valium beträgt 56Stunden). Besonders angenehm ist dabei, dassder Patient eine retrograde Amnesie hat undBeliebige Auswahl von handelsüblichen Schmerzmitteln

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daher den unangenehmen Zahnarztbesuch ver-gisst. Als Nebenwirkung kann es zu Atemdepres-sionen kommen, die in Zusammenhang mitAlkohol lebensbedrohlich werden können (Anti-dot: Anexate®).

AntiphlogistikaEin erfolgreicher Einsatz von Antiphlogistika inder Schwellungsprophylaxe ist fraglich. Amehesten wirken noch subcutan verabreichte Cor-ticoide. Die chronische Anwendung von Leder-mix oder Endomethasone ist abzulehnen, da eszwar initial die Schmerzen reduziert, dafür aberspäter das Infektionsrisiko erhöht. Tryptische En-zyme wie Wobenzym®, Phlogenzym® oder Bro-melain haben keinen Wirksamkeitsnachweis.

MundtrockenheitXerostomie tritt häufig als Nebenwirkung vonArzneimitteln wie trizyklischen Antidepressiva,Bluthochdruckmitteln oder onkologischen The-rapieformen auf. Die beste Therapie ist viel zutrinken. Speichelstimulationsmittel (z.B. Para-sympathomimetika Pilocarpin oder Nikotinamid),reizende Mundspüllösungen oder Speichelersatz-mittel mit dem Basisstoff Carboxylmethylcellu-lose (CMC) (z.B. Glandosane®) oder auf Muzin-basis werden von den Patienten nicht gutakzeptiert.

OsteoporosetherapieBei Osteoporose ist eine Behandlung mit Bis-phosphonaten am erfolgversprechendsten. Diesesind allgemein sehr nebenwirkungsarm. Aller-dings treten bei der i.v.-Therapie von Krebs-patienten manchmal Kiefernekrosen auf. Bei deroralen Darreichung (Osteoporoseprophylaxe)gibt es bisher keine Hinweise auf Komplikatio-nen, zum Beispiel in der Implantologie (DGZMK-Stellungnahme).

AntibiotikaIn der Zahnheilkunde sollten bakterizide Anti-biotika (Penicilline, Cephalosporine) verordnetwerden. Prof. Ziegler setzt noch immer auf Peni-cilline, die auch bei Dosierungen bis zu 10 Mio.I.E. am Tag keine nennenswerten Nebenwirkun-gen zeigen. Das Amoxicillin hat ein erweitertesSpektrum im grampositiven Bereich und wirddaher dem Penicillin V vorgezogen. Clindamy-cin ist hochwirksam, hat aber ein Wirkloch beimClostridium difficile. Dieses Bakterium breitet

sich oft nach zirka drei Monaten im Darm aus.Die DGZMK empfiehlt derzeit den Einsatz einesAminopenicillins und ß-Lactamaseinhibitors(z.B. Augmentan®). Im Falle einer vermutetenAllergie sollte die Therapie mit Clindamycin odereinem Makrolid begonnen werden. Der von derDGZMK empfohlenen antibiotischen Therapie-dauer von zwei bis drei Tagen bei chirurgischerDrainage stimmt Prof. Ziegler nicht zu. Er emp-fiehlt nach Abklingen der Infektion noch zwei bisdrei Tage mit dem Antibiotikum weiterzuthera-pieren. Metronidazol ist vor allem in der Paro-dontaltherapie ein wichtiges Antibiotikum ge-gen Anaerobier.

EndokarditisprophylaxeDie infektiöse Endokarditis ist eine ernstzuneh-mende Erkrankung mit häufig letalem Ausgang.Ausgehend davon, dass Bakteriämien bei 90 Pro-zent der zahnärztlichen Eingriffe ausgelöst wer-den, ist eine Prophylaxe mit bakteriziden Anti-biotika vorgeschrieben. Auch wenn es in derinternationalen Kardiologie im Jahr 2007 wegender nicht nachzuweisenden Effektivität der Pro-phylaxe eine Veränderung der Kriterien zurEndokarditisprophylaxe gab, ist die Indikationweiterhin sehr ernst zu nehmen. Bei Patientenmit hohem Risiko (nach Endokarditis, nachHerzklappenersatz, bei Herzfehlern – siehe Herz-pass) sind einmalig 2 bis 3g Amoxicillin 30 bis60 Minuten vor dem Eingriff zu verordnen. BeiPenicillinunverträglichkeit sind 600 mg Clinda-mycin als Einmaldosis indiziert.

AntithrombotikaImmer mehr Patienten nehmen heute Fibrinoly-tika oder Thromboseprophylaktika ein. Bekanntsind besonders die niedermolekularen Heparine.Vitamin K-Antagonisten wie Marcumar® verhin-dern die Synthese von Gerinnungsfaktoren in derLeber. Die genaue Einstellung mit einem VitaminK-Antagonist gleicht einem Hochseilakt. Bei ei-nem bevorstehenden chirurgischen Eingriff istnun abzuwägen, ob man das mühsam einge-stellte Gleichgewicht aus Thromboserisiko undBlutungsneigung preisgeben oder dem Risiko derBlutung einer Wunde im Mundbereich durch einorales Antifibrinolytikum begegnen soll (fünfpro-zentige Tranexamsäure). Die Herstellung der Lö-sung erfolgt aus Anvitoff Kapseln (250mg in 5mlH2O) oder Cyklokapron® (500mg in 10ml). Es soll-te viermal täglich zwei Minuten gespült werden.

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