Philipp Jakob Siebenpfeiffer 175 Jahre »Der Westbote« · Philipp Jakob Siebenpfeiffer 175 Jahre...

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Philipp Jakob Siebenpfeiffer 175 Jahre »Der Westbote« 24. Juni 2007 Gästebuch mit Auszügen aus dem »Westboten« Oggersheim und einem Text von Katrin Kirchner Teil 1 Initiative © Herausgegeben von der Initiative Buchkultur • www.buchkultur.org

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Philipp Jakob Siebenpfeiffer 175 Jahre »Der Westbote«

24. Juni 2007 Gästebuch mit Auszügen aus dem »Westboten«Oggersheim und einem Text von Katrin Kirchner

Teil 1

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Ein zweites Fest: in Oggersheim

Philipp Jakob Siebenpfeiffer war zusammenmit J. G. A. Wirth Initiator des Hambacher Festes von1832, der ersten großen Kundgebung der demokrati-schen und liberalen Opposition im Vormärz. Zum Jah-resende 1831 war der Jurist und Publizist Siebenpfeifferauf der Flucht vor der politischen Zensur nach Oggers-heim gezogen, wo er im »Rondell« an der Schiller-straße eine eigene Druckerei für seine regierungskriti-sche Tageszeitung »Der Westbote« einrichtete.

Am 8. Januar 1832 veranstaltete die liberaleCasinogesellschaft der Stadt Oggersheim ein Festban-kett zu Ehren von Siebenpfeiffer, da politische Ver-sammlungen damals verboten waren. Am Festbankettnahmen alle städtischen Honoratioren und Beamteteil, auch die Regierungsvertreter der Zensurbehörde,die am gleichen Tag noch die Versiegelung seinerDruckerpresse vorgenommen hatten.

Das Oggersheimer Festbankett war einer derVorläufer des Hambacher Festes, damals ein Volksfestmit etwa 30 000 Besuchern.

»Frei sind wir, nichts hält uns zurück, in Og-gersheim blüht unser Glück« hatte einer der Setzer»zum Abschiede der von Zweibrücken nach Oggers-heim reisenden Typographen« damals enthusiastischgedichtet.

Am 17. März 1832 erschien die letzte Ausgabe.

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Gestern war er wieder: in Oggersheim

Auf und ab. Hin und her. Fünf Schritte längs.Drei Schritte quer. Hier die Türe, die nur von außen zuöffnen war. Längs des Raumes die weißen Wände. DerBlick aus dem vergitterten Fenster in den Garten derIrrenanstalt in Bümplitz.

Er ließ sich auf den einzigen Stuhl im Zimmerfallen, stützte seine Ellenbogen auf den kleinen wei-ßen Tisch, der vor dem Fenster stand und legte denKopf in seine beiden Hände.

Erinnerungen kamen hoch. Durchdrangen dasDickicht seines Kopfes. In diesen seltenen klaren Mo-menten konnte er sich zurückversetzen und sich dieEreignisse ins Gedächtnis zurück rufen.

Er war in seinen Gedanken wieder in Oggers-heim gewesen. Hatte das Schlagen der Druckmaschinegehört. Sah den »Westboten«. Druckfrisch und glän-zend schwarz die Farbe der Schrift.

Sah den Büttel, der die Druckmaschinen ver-siegelte. Wie oft hatte er selbst das Siegel entfernt?Hatte es etwas gebracht? Hatte er schreiben dürfen?Hatte er seine Ideen drucken dürfen?

Nein, die Zensur war überall gewesen. Dieseunsägliche Zensur. Ein Zeichen der Angst des Adels,allen voran des bayerischen Königs Ludwig des Er-sten, seinem Erzfeind.

Kleinlicher Ausdruck der Furchtsamkeit vordem Volk. Daß es erstarken könnte. Daß die Ideen derRevolution aus dem Nachbarlande herüber wehenkönnten. Sich einnisten könnten in den Köpfen.

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Immer wieder sang er stehend laut in seinemZimmer die weißen Wände an. Er sang das Festlied,sein Festlied, sah die vielen Menschen vor sich, wie siesich um die schwarz-rot-goldene deutsche Fahne ge-schart hatten.

»Hinauf, Patrioten, zum Schloß, zum SchloßHoch flattern die deutschen Fahnen.«Er sang es mit einer Stimme, die schon brüchig

war. Aus 300 jungen Kehlen hatte es geklungen, da-mals. Eifrig waren sie dabei gewesen, die Handwerks-burschen, mit denen er sein Lied eingeübt hatte. Undwieder und wieder wurde es gesungen nach dem Fest.

»Es keimet die Saat und die Hoffnung istgroß!«

Schluchzen kam aus seiner Kehle, es überla-gerte den Gesang. Bis die Stimme ganz verstummteund nur noch leises Weinen zu hören war.

Warum war er hier, innerhalb dieser Mauernmit den gepflegten Gärten und Brunnen außen herum,die er nie besuchen durfte?

Er schaute auf den Teller mit der Suppe, die sieihm hingestellt hatten. Längst war sie kalt geworden.Seine Hand zitterte, als er den Löffel hielt. Mit seinerLinken hielt er die Rechte fest.

Immer wieder aufs Neue würde er einer imagi-nären Zuhörerschaft erzählen vom Fest in Hambach,von Wirth, seinem Mitstreiter, wie er hoch zu Roß, wieein mittelalterlicher Herzog, in Neustadt eingezogenwar. Seine Rede auf dem Schloß, die er mit tiefster undleidenschaftlicher Erregung gesprochen hatte. Er hattedie Zuhörer begeistert.

Vor ihm, dem Dr. Johann Georg August Wirth,hatte er, Siebenpfeiffer, seine Festrede gehalten.

Er erhob sich, schaute sich um. Sah in seinerErinnerung die Menschen, die sich ihm hoffnungsfrohzuwandten. Auf dem Schloß in Hambach an diesem27. Mai des Jahres 1832.

Mit hoch erhobener Faust deklamierte er Teileseiner Rede:

»Und es wird kommen der Tag, der Tag desedelsten Siegstolzes, wo der Deutsche vom Alpenge-birg und der Nordsee, vom Rhein, der Donau und derElbe den Bruder im Bruder umarmt, wo die Schlag-bäume und wo alle Hoheitszeichen der Trennungverschwinden!«

Und wieder rezitierte er: »Ja, es wird kommen der Tag, wo ein gemein-

sames deutsches Vaterland sich erhebt, das alle Söhneals Bürger begrüßt und alle Bürger mit gleicher Liebe,mit gleichem Schutz umfaßt!«

Und wofür das alles? Was hatte es ihnen ge-bracht, den Rednern an diesem Fest? Tragische Figurenim Kampf um, ja um was eigentlich? Die deutsche Ein-heit? Das deutsche Volk? Die Pressefreiheit? Und widerdie Zensur?

Träume hatte er gehabt. Träume, für derenDurchsetzung er alles aufs Spiel gesetzt hatte. HatteHab und Gut und zuletzt noch sein Vaterland verloren.

Es war alles umsonst gewesen. Seine Ziele, für die er ganz persönlich immer

wieder gekämpft hatte. Aufklärung durch eine freie Presse. Kreative Journalisten,

die mitdenken und Verantwortung tragen. Schulen,

die zu mündigen Staatsbürgernπ erziehen.

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Erschöpft ließ er sich auf sein Bett fallen. Zogsein Taschentuch aus der Hosentasche und wischtesich den kalten Schweiß von der Stirn.

Und doch. Wieder und wieder würde er in den wenigen

Momenten, in denen er Klarheit in seinem Kopf hatte,in Oggersheim sein.

Würde wieder sein Lied singen. Würde Fetzen seiner Rede herausschreien in

die Einsamkeit seines Zimmers, und in der Dunkelheitseines armen Kopfes versinken und nicht mehr wissen,wo und wer er war.

Schön war er als junger Mann gewesen, dieserPhilipp Jakob Siebenpfeiffer. Hoffnungsfroh und ehr-geizig. Geboren im beziehungsreichen Jahr der Fran-zösischen Revolution 1789. Trotz der entbehrungsrei-chen Jugend und mit viel Krafteinsatz hatte er es ge-schafft. Er war Doktor der Jurisprudenz, Dichter undJournalist. Ein Bild aus seinen jungen Jahren läßtdunkles, gelocktes Haar, eine gerade Nase, volle Lip-pen und feurige, sprechende Augen erkennen. Umden Mund zeigt er einen ironischen, leicht spöttischenZug.

Emilie, seine Emilie hatte immer zu ihm gehal-ten, in den schwersten Zeiten.

War die vielen Male mit ihm umgezogen. Im-mer wieder hatte sie neu anfangen müssen. Wiederund wieder neue soziale Bindungen aufbauen undsich hineinfinden müssen in eine weitere, fremdeGesellschaft.

Als sie zum letzten Mal diesen schweren Schrittmachen mußten, alles verkaufen, was möglich war,

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um das eigene Land, das geliebte Land zu verlassenund ins Exil zu gehen, auch da war sie klaglos an sei-ner Seite gewesen.

Sie hatte die Familie versorgt, während er sichum seine ehrgeizigen Ziele gekümmert hatte.

Sie war die gebildete Bürgertochter Emilie vonWeisseneck, Tochter des Professors Joseph Maria Weis-senegger, der im Jahre 1804 von Kaiser Franz in denAdelsstand erhoben worden war.

Sie hatte seine Einstellung zu Frauen verän-dert. Hatte seine Ideen geteilt und gehofft, wie vieleihrer Zeitgenossinnen, auf eine Änderung der gängi-gen Frauenrolle.

Ihretwegen hatte er in Hambach die Gleich-stellung der Frau gefordert.

»Es wird kommen der Tag«, deklamierte er mitlauter Stimme, »wo das deutsche Weib nicht mehr diedienstpflichtige Magd des herrischen Mannes, son-dern die freie Genossin des freien Bürgers ist!«

Er nahm den Arm herunter und ließ sich schwerauf seinen Stuhl fallen. Schaute durch das vergitterteFenster in den Park und wischte sich mit dem Ärmelseiner Jacke die Tränen aus dem Gesicht.

So geliebt hatte er sie, seine Emilie. Als sienach schwerer Krankheit und kurz nach der Übersied-lung in die Schweiz gestorben war, war er zum erstenMal in der Dunkelheit versunken. Nur er hatte sie pfle-gen und versorgen dürfen in dieser Zeit.

Keine politischen Reden an ihrem Grab. Nein!Das hatte er nicht gewollt.

Sein Name war bekannt geworden, damals,nach dem Fest. Bekannt bis nach Hamburg, Berlin,München und Paris. Nun waren nicht mehr nur die

bayerische Regierung und dieser König in Münchensein Feind und es war nicht mehr nur ihr Anliegen, ihnzum Schweigen zu bringen.

Am 18. Juni 1832 war er verhaftet worden, zu-sammen mit Wirth und vielen anderen, die an seinerSeite gestanden hatten beim Fest, oben auf demSchloß.

Es wäre ein Leichtes gewesen, sich der Verhaf-tung zu entziehen. Er war drei Tage vorher gewarntworden, Bürger hatten Tag und Nacht seine Wohnungund seinen Garten bewacht. Man hatte die Sturm-glocke geläutet. Der Gendarmeriehauptmann hattenoch vor Gericht erklärt, daß es nicht möglich gewe-sen wäre, den Siebenpfeiffer in Gewahrsam zu neh-men, wenn er sich nicht freiwillig unterworfen und dieBürger zur Ruhe gemahnt hätte.

Die Regierung zog die Verhandlung lange hin-aus. Hatte Angst gehabt vor der Wut und der Begei-sterung der Leute.

Verhöre waren in großen Zeitabständen er-folgt. Erst am 26. Mai 1833 war Anklage gegen ihn er-hoben worden.

Sie hatten sich nicht getraut, den Prozeß inZweibrücken abzuhalten. Eine Stadt mit einer Festunghatte es sein müssen, eine Festung mit dem Militär ingreifbarer Nähe. Hatten wohl Angst vor dem Volk, dassich hätte erheben können.

Die Veranstaltung hatte in Landau im neu er-bauten Saal der Gastwirtschaft »Zum Schwanen« stattgefunden.

Lange hatte es gedauert, das Gericht zusam-menzustellen, hatten doch zunächst die liberal gesinn-ten Richter durch regierungstreue rechtsrheinische

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Juristen ersetzt werden müssen. Die Verhandlungenwaren öffentlich gewesen. Viel Anteilnahme durch dieBevölkerung hatte es gegeben. Die Zahl der Fremden inLandau wurde pro Tag auf etwa 5 000 geschätzt.

Es war ein wunderbarer Prozeß gewesen, wodie Angeklagten als Ankläger aufgetreten waren unddas Königtum vor die Schranken gezogen hatten.

In seiner zweistündigen Verteidigungsredehatte er sein politisches Glaubensbekenntnis in allerÖffentlichkeit zusammenfassen und lautstark und im-mer wieder unterbrochen vom Applaus der Zuhörervortragen können.

Dann war der Freispruch gekommen. Der Jubelwar unbeschreiblich gewesen; die Zeugen waren sichum den Hals gefallen, hatten sich geküßt, die Ange-klagten waren entzückt über die Geschworenen gewe-sen, die sich auch von den Drohungen der Soldatendes Königs nicht hatten einschüchtern lassen.

Der König war außer sich gewesen über dasfehlgeschlagene Urteil.

Der österreichische Gesandte in Stuttgart hattedie Freisprechung als Skandal für ganz Deutschlandbezeichnet. Der Sieg, den man mit der Unterdrückungdes Hambacher Festes glaubte errungen zu haben, seidamit wertlos geworden.

War er dadurch endlich frei? Konnte er zu seiner Emilie, zu seiner Familie

und zu seiner Arbeit zurückkehren, nach fast einemJahr in Untersuchungshaft?

Schwer war diese Untersuchungshaft gewesen,unsauber das Gefängnis. An einem Tag hatte er fünfMäuse gefangen.

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Nein, er war nicht frei. Es gab ein weiteres Ver-fahren gegen ihn. Wegen Beleidigung in- und aus-ländischer Beamter wurde er vor das für seinen Wohn-ort zuständige Zuchtpolizeigericht in Frankenthal ge-zerrt. Gaben ihm die Höchststrafe, diese Verbrecher.Zwei Jahre und die Kosten!

Immer und immer wieder würden sie Mittelfinden, ihn zum Schweigen zu bringen. Zehn JahreKampf um bessere politische Bedingungen lagen hin-ter ihm. Als Staatsbeamter mit vielen Eingaben an dieRegierung, dann als Journalist in ständigen Ausein-andersetzungen mit der Zensur, später als Redner aufdem Hambacher Fest und vor Gericht.

Er erkannte die Stärkeren und zog die Konse-quenzen. Seine Möglichkeiten waren erschöpft. Erwollte nicht zum Märtyrer werden. Er war am Endeseiner Kraft.

In der Nacht vom 14. auf den 15. November1833 hatte er endlich die sich zuvor schon so oft dar-gebotene Gelegenheit zur Flucht ergriffen.

Diese Flucht war genauestens vorbereitetgewesen.

Begünstigt durch den Leichtsinn der Gerichts-beamten. Die Zellentür war tagsüber offen gewesen.Er hatte laufend Besuche empfangen dürfen. DerStaatsprokurator des Gerichts hatte die Erlaubnis-scheine so nachlässig ausgestellt, daß praktisch jederzu dem Gefangenen gehen konnte, der es wollte.Meist hatten die Scheine weder Namen noch Datumgetragen, wurden vom Gefängniswärter nicht einbe-halten, so daß sie stets von neuem und von jedemhatten benutzt werden können.

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Die Besuche hatten ohne Aufsicht eines Be-amten stattgefunden. Frau Siebenpfeiffer hatte ihrenMann täglich stundenlang besuchen und in seinerZelle mit ihm speisen dürfen.

Auf Verordnung des Kantonsarztes sollte eraußerdem auf dem Speicher des Gefängnisses spazie-ren gehen. Von hier war ihm die Flucht gelungen.

Seine Flucht. Das war ein Paradestück. SeineAugen glänzten in der Erinnerung daran. Er hatte sichan einem Seil in den Gefängnishof herabgelassen.Viele Helfer waren da gewesen und hatten seine Fluchtunterstützt.

Lange vorher hatte Emilie Hab und Gut ver-kauft. Hatte alles in der Neuen Speyerer Zeitung aus-geschrieben und gut abgestoßen.

Nach einer Zwischenstation in Weißenburg imElsaß ging er nach Bern.

War außerordentlicher Professor geworden,hatte aber wirtschaftliche Not gelitten.

Von der Politik hatte er sich abgewandt. Erkonzentrierte sich auf seine Lehrtätigkeit über dieStaatswissenschaft an der Universität Bern.

In Deutschland hatte er die große Zahl seineAnhänger enttäuscht zurücklassen müssen.

Ausgewiesen haben sie ihn, als er noch einmalsein Land besuchen wollte. Er hatte nach Baden ein-reisen wollen. Hätte keinen Paß. Haben sie gesagt.Auch Freiburg hatte er nur kurz besuchen können.Hatte dann schnell wieder ausreisen müssen. Warumhatten ihn alle so angeschaut? Hatten dann zur Seitegeschaut und den Kopf geschüttelt.

Wieder und wieder wurde es dunkel in sei-nem Kopf. Die Schmerzen waren fast nicht mehr zuertragen.

Am 5. April 1842, zehn Jahre nach dem Ham-bacher Fest, hatte ihn sein Universitätskollege Prof.Dr. Tribolet im Schloß Bümplitz unweit von Bern inseiner Irrenanstalt aufgenommen.

Schöne Anlage. Gärten, Brunnen und Wasserreichlich vorhanden. Aufnahmekapazität 20 Personen.Im alten Schloß die Tobsüchtigen, im neuen Schloßdie Ruhigen, die Melancholie-Fälle.

Strafmaßnahmen für die Randalierer: Zwangs-jacke, Zwangshemd, Bestrafungen wie zum BeispielEssensentzug.

Ganz sicher hätte er, der Siebenpfeiffer, sienicht gewollt, diese Bittschrift an den bayerischenKönig.

Er hatte nichts davon gewußt und hätte auchnichts mehr begriffen.

Der Lithograph und Kalligraph Robert Nick ausBern hatte das Gesuch an Ludwig I. gerichtet.

»Wegen dem Herrn Dr. Siebenpfeiffer, frühererund unterthänigster Diener eurer Majestät …«

»… der König möge sich doch gnädigst bewo-gen finden, ihn entweder in eine bayerische Irren-anstalt zu übernehmen oder doch etwas weniges zubewilligen, denn in seiner jetzigen Lage ist derselbesehr unglücklich …«

Siebenpfeiffer als Bittsteller vor dem König.Welch tragische Ironie eines gescheiterten Lebens.

Die Entscheidung des Königs?

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»An das Ministerium des Innern zur Abwei-sung. München, den 28. Februar 1844. Ludwig.«

Kleinliches Verhalten eines vermeintlich gros-sen Herrn. Hätte er großzügig sein können? Was hättees ihn gekostet, Großmut zu zeigen? Wußte er dochdurch seinen gut funktionierenden Geheimdienst,daß Siebenpfeiffer nicht mehr bei sich war und niemehr gesunden würde.

Wie groß mußte sein Haß auf diesen ehemali-gen aufmüpfigen Untertan gewesen sein, daß erselbst in dieser Situation nicht einlenken konnte?

»Bin ich schon tot? Bin ich noch nicht tot? Kann ich endlich zu meiner Emilie? Sie wartet schon so lange auf mich. Meine

Emilie wiedersehen. Bitte, meine Emilie wiedersehen,wiedersehen …«

Am 14. Mai 1845 wurde Siebenpfeiffer durchden Tod von seinem Leiden erlöst.

[Katrin Kirchner]