Pi mal Gaumen - karrierefuehrer.de · Herr Rach, der Schriftsteller Joseph Conrad soll gesagt...

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Herr Rach, der Schriftsteller Joseph Conrad soll gesagt haben: „Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück unserer Erde vermehrt: die Kochbücher.“ Sie haben bislang drei davon geschrieben. Wie sieht das Glück aus, das Ihre Kochbücher den Lesern verheißen? Joseph Conrad irrt. Es gibt wunderbare Literatur, die über die gesamte Welt verteilt Glück bringt. Kochbücher sind in der Regel Bilderbücher, die beim Betrachter hoffentlich Lust erzeugen.

Voltaire wird der Satz zugeschrieben: „Ich habe gefunden, dass Menschen mit Geist und Witz auch immer eine feine Zunge besitzen, jene aber mit stumpfem Gaumen beides entbehren.“ Wie beschreiben Sie die Verbindung zwischen Geist und Gaumen? Da hat Voltaire natürlich vollkommen Recht. Der liebe Gott hat uns Geschmack verliehen, das heißt Essen und Trinken ist mehr als reine Nahrungsaufnahme. In vielen Ländern ist es fast das höchste Kulturgut. In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, galt Essen und Trinken dagegen jahrhundertelang tatsächlich lediglich als reine Nahrungs-

Innerlich scheint er die Ärmel immer hochgekrempelt zu haben, äußerlich sind sie es meistens. Schnell folgt enga-

giertes Handeln auf präzises Denken – und umgekehrt. Bevor Christian Rach 1991 in den Kreis der Michelin-Sterne-köche aufgenommen wurde, studierte er Philosophie und

Mathematik. Mitten im Examen entschied er sich, Koch zu werden, behielt aber Sokrates und Archimedes im Sinn.

Den Beweis, dass er rechnen und abstrahieren kann, hat er als Unternehmer erbracht. Der Philosophie, seiner

„Freundin der Weisheit“, fühlt er sich auch im Alltag nah. Zum Beispiel, wenn er als „Rach, der Restauranttester“

kurzzeitig fremde Betriebe führt, als wären es seine eige-nen, oder Jugendlichen mit ungeradem Lebenslauf in

„Rachs Restaurantschule“ eine berufliche Perspektive bietet. Koch, Coach, Unternehmer, Berater, Ausbilder,

Nachwuchs förderer, Buchautor und Lebensmittel- tester – Viola Strüder interviewte den visionären

Multiberufler am virtuellen Küchentisch.

Christian Rach über Kochen, Coachen

und Karrieren + ×

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Sturm und Drang. Die Küche – als Kind sein Lieblings-, spä-ter sein Arbeitsplatz. Christian Rach wurde am 6. Juni 1957 in St. Ingbert/Saarland geboren. Sein Vater war Ingenieur, die Mutter Hausfrau. Das Elternhaus war katholisch geprägt, Rach elf Jahre lang Messdiener. Mit 20, als junger Freigeist im Hippie-Look, verlässt er die Heimat und wählt Hamburg als sein Tor zur Welt. Nach dem Zivildienst nimmt er das Studium der Philosophie und Mathematik auf, das er mit Kochen finanziert. 1983, im Examenssemes-ter, entschließt er sich, Koch zu werden, lernt in Grenoble, wird Souschef in Wien, reist durch die Welt und eröffnet 1986 in Hamburg sein erstes Restaurant. http://christianrach.de

Bücher von Christian Rach

Das Kochgesetzbuch. Die Grundregeln erfolgreichen Kochens. Edel 2008. ISBN 978-3941378032. 29,95 Euro (Gibt es auch als iPhone-App!)Das Gästebuch. Kochen für besondere Anlässe. Edel 2009. ISBN 978-3941378292. 14,95 EuroRach kocht. Morgens, mittags, abends – lustvoll und gesund. Edel 2010. ISBN 978-3941378889. 24,95 Euro

aufnahme. Wir befinden uns allerdings auf dem besten Weg dahin, dass sich das endlich ändert.

Als Mathematiker kennen Sie die Welt der Zahlen, als Koch die der kreativen Genüsse. In welcher Welt ist es schwieriger, die wichtigsten Grundlagen zu lernen?Kochen fängt im Kopf an, genau das ist die Verbindung zur Mathematik. Ein Koch, der seinen Kopf nicht einschaltet, wird niemals ein guter Koch sein. Grundlage beider Berufe ist das zu erlernende Handwerk. Hat man einen natürli-chen Zugang, sprich Freude an der Materie, wird es einem sowohl in der Mathematik als auch in der Kochkunst ein-fach fallen, sich kreativ zu betätigen. Das will nicht heißen, dass der Unbegabte es nicht auch zu einer gewissen Kunst-fertigkeit bringen kann.

Wenn Sie Ihr Berufsleben in ein Menü übersetzen würden: Wie viele Gänge hätte es, und nach welchen Gewürzen würde es – mal fein, mal ausgeprägt – schmecken?Das Berufsleben in ein Menü zu übersetzen ist natürlich relativ schwierig. Einfach ausgesprochen könnte man sagen Vorspeise, Hauptgang, Dessert, wobei ich als erfah-rener Gastronom weiß, dass der Espresso das Wichtigste ist, denn der bleibt im Kopf der Menschen hängen – und ich hoffe, dass man innerhalb eines Berufslebens viele verschiedene Espressi trinken kann. Gewürzt werden soll-te jeden Tag neu, damit das Ganze spannend bleibt. Einen festen Karriereplan erachte ich übrigens für äußerst schwierig, weil er einem die Spontaneität und die Kreati-vität verbaut.

In Ihrer TV-Sendung „Rach, der Restauranttester“ kämpfen Sie gegen die Veränderungsresistenz der Inhaber. Ähnlich geht es vielen Führungskräften, sie verlieren dabei Zeit und Energie. Was ist Ihr Konzept, um den Widerstand möglichst schnell zu brechen? Klare und schnelle Analyse auf Augenhöhe – aber bitte erst dann, wenn ein Ausweg auch erkennbar ist. Eine Lösung muss also im Kopf vorskizziert sein, ansonsten wirkt die Klarheit verletzend und vorführend, und ich erreiche das Gegenteil. Es kommt darauf an, den Mitstreitern in der Füh-rung, Kommunikation und Analyse Schwächen zu offenba-ren und einen Zustand aufzuzeigen, um am Ende zielgerich-tet handeln zu können.

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Ein Teil der Nachwuchskräfte strebt heute von Anfang an nach Work-Life-Balance. Sie haben nun 23 Jahre lang die 80-Stun-den-Arbeitswoche gelebt und sind fast immer auf Betriebstem-peratur. Ihr Ratschlag an Einsteiger mit hohem Engagement: Wie behält man die Frische?Eine 80-Stunden-Arbeitswoche sollte natürlich nicht die Regel sein. Ein selbstständiger Unternehmer kommt meis-tens mit nicht weniger Stunden davon. Das Risiko, das man als Unternehmer trägt, ist nicht in einer 35- bis 40-Stunden-Woche zu meistern, aber eine gesunde Work-Life-Balance ist natürlich das A und O. Auch der erfolgreiche, strebsame Unternehmer sollte immer auf Ausgleich bedacht sein. Ob in die Natur blicken, Yoga oder Sport treiben: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die nicht in einem festen Rhythmus passie-ren müssen, die man aber immer wieder zur Entspannung und vor allem zur geistigen Erfrischung nutzen sollte.

Der Mensch kann ohne Gold, nicht aber ohne Salz leben. Was ist für Sie das Salz des Berufslebens, um langfristig erfolgreich zu sein? Das Salz eines Berufslebens ist die Vision, ist der Traum. Nun kann man natürlich einwenden, dass man an einem Fließ-band schlecht träumen kann, das ist vollkommen richtig. Aber nicht jedermanns Lebensglück hängt von der berufli-chen Erfüllung ab. Wenn ich als Unternehmer tätig bin, soll-te ich nie aufhören zu träumen und Visionen zu haben. Wenn ich die habe, sollte ich sie mit Pünktlichkeit, Fleiß, Dis-ziplin und kompetenten Partnern umsetzen.

Gibt es eigentlich eine Formel für gelungene neue Rezepte?Ich kann nur Rezepte entwerfen, deren Resultat ich später selber gerne esse. Umgekehrt herum: Ich mag keinen Grieß-brei, keinen Vanillepudding, also kann ich mit diesen Zuta-ten auch kein erfolgreiches Rezept entwickeln. Sicher ist aber auch: Rezepte passieren nicht am Reißbrett, es sei denn in der Molekularküche. Rezepte bewähren sich über einen längeren Zeitraum und müssen dann den Beweis erbringen, dass sie die Langstrecke beherrschen.

Stellen wir uns einen Einsteiger vor, der in seinem neuen Job erste Erfolge feiert. Was empfehlen Sie, um als „Dessert“ diesen Erfolg auch genießen zu können? Gelassenheit und Bodenständigkeit sind die wichtigsten Eigenschaften, um Erfolg genießen zu können. Erfolg um des Erfolges willen ist mit solchen negativen Vorzeichen besetzt,

• Rach hat die Schirmherrschaft für die Nachwuchs-

förderung der Selektion Deutscher Luxushotels über-

nommen und ist Mathe-Botschafter der Stiftung

Rechnen. Persönlich engagiert er sich überdies für die

Stiftung Kinderhospiz Mitteldeutschland.

• In Rachs Restaurantschule eröffnete er 2010

das Slowman in Hamburg und bot arbeitslosen

Jugendlichen eine Perspektive in der Gastrono-

mie. www.slowman.de

• Auch 2012 ist er mit Rachs Restaurantschule wieder

im TV zu sehen – diesmal soll ein Ausbildungs-

restaurant in Berlin eröffnet werden.

• Rach getestet: Auf seiner Facebook-Seite leistet er

zusammen mit dem SGS Institut Fresenius einen Bei-

trag zu gesünderer Ernährung und hilft Verbrauchern

bei der Auswahl hochwertiger Lebensmittel.

http://christianrach.de

„Das Salz eines Berufslebens ist die Vision, ist der Traum.“ + ×

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Christian Rach: „Kochen fängt im Kopf an, genau das ist die Verbindung zur Mathematik.“

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dass er zur Gier führt. Zu wissen, woher man kommt, wo man steht und wohin man will – das sind die Grundlagen.

Angenommen, Sie übernehmen das Regiment in einer Küche unter echten Küchenphilosophen, die bekannt dafür sind, dass sie beim Kochen gern viel reden. Wann ist der Moment, in dem in Ihrer Küche absolut keiner mehr etwas sagen darf? In dem Moment, wenn Gäste kommen, um das philosophi-sche Dinner zu genießen, muss absolute Ruhe herrschen. Es gibt dann keine Diskussionen, keine philosophischen Ergüs-se – stattdessen muss es laufen wie in einem Uhrwerk. Es wird dann nur das gesprochen, was mit dem Kochen und Herstellen der Speisen zu tun hat.

Zum Schluss gefragt: Auf dem Holodeck von Star Trek beamen Sie sich zurück in die Antike und können als Koch und Philo-soph visionär in die Geschichte eingreifen: Was erfinden Sie, damit die Menschheit es schafft, die Weisheit mit Löffeln zu fressen?Vielleicht wäre es sinnvoll, Geld zwar zu erfinden und als Tausch- und Zahlungsmittel zuzulassen, aber die Existenz von Banken oder zumindest ihre Macht als Geldverleiher zu begrenzen.

Man nehme:– Visionen und Träume– Freude an der Materie– Spontaneität und Kreativität– Gelassenheit und Bodenständigkeit– Pünktlichkeit– Fleiß– Disziplin

ExpertiseChristian Rach ist der Typ Schaffer mit Feinsinn, und

diese Mentalität verleiht ihm Glaubwürdigkeit. 1988

baut, hämmert, schraubt und streicht er eigenhän-

dig eine alte Fernfahrerkneipe zum Restaurant um

und eröffnet es 1989 als Tafelhaus. 1991 erhält er den

begehrten Michelin-Stern und nachfolgend diverse

Auszeichnungen der edlen Gastronomieführer.

Nebenbei baut er weitere Lokale auf, darunter die

Cantina Milano und das Rach & Ritchy. Ganz boden-

ständig Restaurants von Grund auf zum langfristi-

gen Erfolg zu führen, war offenbar ein Fingerzeig zu

seinem zweiten Job als TV-Coach, mit dem er 2005

einem größeren Publikum bekannt wurde. Jenseits

von Powerpoint-Folien basiert das Sendekonzept

Rach, der Restauranttester auf angewandter Unter-

nehmensberatung mit Rachs Kernkompetenz

Kochen. Alle Restaurants haben den gemeinsamen

Nenner, dass sie vor dem Ruin stehen, ehe Rach

antritt. Der Gastronomieberater plädiert für das

Echte, Ehrliche und individuell Machbare – und

gegen bequeme Convenience-Lösungen. Nach sei-

ner Analyse erstellt er ein neues Konzept und moti-

viert die Inhaber zum Wandel. Innerhalb von einer

Woche räumt er auf, sorgt für Hygiene, ändert radi-

kal Inneneinrichtung und Speisekarte, übt geduldig

mit dem Personal kochen, verschafft den Betrieben

ein neues Image und begleitet die Wiedereröffnung.

Ob sich seine Ideen bewährt haben, schaut sich Rach

bei seinen Wiederbesuchen der Restaurants an. Gut

sechs von zehn Wirten haben mit seiner Unterstüt-

zung den Turnaround geschafft, so Rach. Die RTL-

Sendung wird in der Spitze im Durchschnitt von sie-

ben Millionen TV-Zuschauern gesehen. Die neue

Staffel läuft 2012.

Auszeichnungen: Goldene Kamera, 2010

Deutscher Fernsehpreis, 2010.

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