Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3...
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Positive Maßnahmen Von Antidiskriminierung zu Diversity DOSSIER
Impressum
Herausgeberin
Heinrich-Böll-Stiftung
Schumannstraße 8
10117 Berlin
www.boell.de
Das Dossier wurde zuerst veröffentlicht auf www.migration-boell.de im August 2010.
Direktlink: http://www.migration-boell.de/web/diversity/48_2596.asp
ViiSdP: Olga Drossou, Heinrich Böll Stiftung
Dossier-Redaktion: Andreas Merx, Olga Drossou
Andreas Merx ist Politologe und Organisationsberater mit den Arbeitsschwerpunkten Antidiskriminierung/AGG, Diversity
Politics/Politiken der Vielfalt und Integration/Interkulturalität. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Schlussredaktion: Heike Jensen
Titelbild: Cristina de Santana, Acryl auf Leinwand (2006)
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Positive Maßnahmen Von Antidiskriminierung zu Diversity DOSSIER
Heinrich Böll Stiftung
August 2010
Inhalt
Vorwort 1
Über das Dossier 2
Grundlagen & Ziele 3
SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung
SUSANNE BAER 11 Chancen und Risiken Positiver Maßnahmen: Grundprobleme des Antidiskriminierungsrechts
ALEXANDER KLOSE 21 Mehr Verbindlichkeit wagen – Positive Pflichten zu Positiven Maßnahmen
ANDREAS MERX 28 Positive Maßnahmen in der Praxis – 10 Fragen und Antworten zur Umsetzung Positiver Maßnahmen 28
Internationale Perspektiven 39
VIVIANE REDING 40 Positive action measures in the context of integration, migration and cultural diversity: Building a consensus on the basis of reasoned policies
UDUAK ARCHIBONG / FAHMIDA ASHRAF 44 Positive Action in the UK
CHRISTOPHER MCCRUDDEN / RAYA MUTTARAK / HEATHER HAMILL / ANTHONY HEATH 61 Affirmative Action without Quotas in Northern Ireland 61
PAUL LAPPALAINEN / YAMAM AL-ZUBAIDI / PAULA JONSSON 66 Active measures in Sweden – in theory and in practice
CARSTEN KELLER / INGRID TUCCI / ARIANE JOSSIN 74 Antidiskriminierung und Positive Maßnahmen in Frankreich
MICHAEL WERZ / JULIE MARGETTA MORGAN 80 Affirmative Action in the United States
Instrumente & Strategien 85
KATRIN WLADASCH 86 Chancengleichheit für alle – Einsatzmöglichkeiten von positiven Maßnahmen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene
MICHAELA DÄLKEN 90 Betriebsvereinbarungen als Positive Maßnahmen zur Gleichstellung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Arbeitswelt 90
PETER DÖGE 96 Der Diversity-Check – Vielfalt als Baustein zukunftsfähiger Organisationen
NEVIM ÇIL 100 Quotenregelungen als Instrument der Gleichbehandlung? Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Frauen- und MigrantInnenquoten
KENAN KOLAT 104 Quote für MigrantInnen - kein Tabuthema
Praxis & Projekte 107
HUBERTUS SCHRÖER / FRANZISKA SZOLDATITS 108 Interkulturelle Öffnung des Personalmanagements: Das Beispiel der Landeshauptstadt München
DRAGICA HORVAT / AGNESE PAPADIA 117 Chancengleichheit im Öffentlichen Dienst: Keine Utopie mehr? Die Kampagne „Berlin braucht dich!―
SUN-JU CHOI / MILTIADIS OULIOS 121 Positive Maßnahmen – wie erreicht man Gleichstellung im Medienbetrieb?
ANA-VIOLETA SACALIUC 126 Vielfalt zählt – Adressatenorientierte Positive Maßnahmen am Beispiel des Mentoring-Programms BERAMI
1 DOSSIER Positive Maßnahmen
Vorwort
Die Förderung von Chancengleichheit und der Abbau
von Diskriminierungen haben in der Europäischen Uni-
on zu Recht einen hohen Stellenwert. Dahinter steckt
die Erkenntnis, dass Diskriminierungen und strukturelle
Barrieren in allen gesellschaftlichen Bereichen - vor
allem am Arbeitsmarkt und in der Bildung - nicht nur die
Menschenwürde verletzen: sie behindern den gesell-
schaftlichen Aufstieg ganzer gesellschaftlicher Grup-
pen, verstärken die soziale Ungleichheit und lassen
dringend benötigte Potentiale brachliegen.
Um dem in Deutschland entgegenzuwirken, sind ge-
setzliche Regelungen erforderlich, die das existierende
Antidiskriminierungsrecht und sein Kernstück, das All-
gemeine Gleichbehandlungsgesetz, weiter entwickeln.
Darüber hinaus muss eine Reihe von Gesetzen - vom
Steuer- bis zum Arbeits- und Familienrecht - nachge-
bessert werden, die aktuell sowohl die Gleichstellung
der Geschlechter blockieren, als auch andere Gruppen
mittelbar oder unmittelbar benachteiligen.
Mehr und bessere Gesetze allein reichen aber nicht
aus, um die teilweise über Generationen hinweg ge-
wachsene und tief verankerte Abwertung und Diskrimi-
nierung gesellschaftlicher Gruppen zu überwinden. Es
sind vielmehr aktive Maßnahmen zur Förderung von
Chancengerechtigkeit erforderlich. Positive Maßnah-
men zum Abbau von Barrieren gehören neben der
Öffentlichkeitsarbeit zu den effektivsten Mitteln, mehr
Gleichheit bei den Chancen von Menschen unabhängig
von ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Religion oder
Weltanschauung, einer etwaigen Behinderung, ihrer
ethnischen Herkunft oder Hautfarbe, ihrer sexuellen
Orientierung oder einer anderen Gruppenzugehörigkeit
oder sozialen Benachteiligung herzustellen. Um dem
Ziel einer aufstiegsoffenen Gesellschaft näher zu kom-
men sind die freien Entfaltung des Potenzials, der Ta-
lente, Leistungsbereitschaft und Eigeninitiative jedes
Menschen zu fördern. Die Gesellschaft darf nicht länger
akzeptieren, dass die ethnische oder soziale Herkunft
von jungen Menschen über deren Zukunftschancen
entscheiden.
Die vorliegende Publikation steht im Kontext des Pro-
gramms „Soziale Teilhabe und faire Aufstiegschancen―,
in dessen Rahmen die Heinrich-Böll-Stiftung nach We-
gen in eine aufstiegsoffene, dynamische und gerechte
Gesellschaft sucht. Die Beiträge reflektieren unter an-
derem Erfahrungen aus anderen Ländern, die der Bun-
desrepublik auf dem Gebiet der aktiven Antidiskriminie-
rungspolitik voraus sind. Sie zeigen eindrucksvoll, wie
erfolgreich Positive Maßnahmen zur Gleichstellung sehr
unterschiedlicher Gruppen in öffentlichen Verwaltungen
und Institutionen ebenso wie in Unternehmen oder in
den Medien beitragen können - wenn sie die nötige
Akzeptanz erfahren und mit Augenmaß eingesetzt
werden.
Diese Publikation ist Zeugnis eines europaweiten Dia-
logs, der die Durchsetzung grundlegender europäischer
Werte wie die Gleichwertigkeit aller Menschen und
Chancengerechtigkeit in unseren Gesellschaften zum
Ziel hat. Sie bietet die Möglichkeit, von den Erfahrungen
anderer Länder zu lernen, im europäischen Vergleich
die eigenen sozialen und politischen Rahmenbedingun-
gen zu erkennen und befördert den Gedanken, dass wir
den Weg „von der Antidiskriminierung zu Diversity―
weitergehen müssen.
Ralf Fücks
Vorstand Heinrich Böll Stiftung
DOSSIER Positive Maßnahmen 2
Über das Dossier
Wie bricht man diskriminierende Strukturen und Einstel-
lungen auf, deren Folge die Abwertung und Benachtei-
ligung ganzer gesellschaftlicher Gruppen ist? In
Deutschland liegen zu dieser Problematik vor allem
Erfahrungen aus der Frauengleichstellungspolitik vor.
Sie zeigen, dass trotz vieler Fortschritte in Richtung
Geschlechtergerechtigkeit beharrliche strukturelle und
kognitive Barrieren verhindern, dass umfassende Erfol-
ge erzielt werden. Klar ist daher, dass ein aktives und
konsequentes Handeln sowie langfristiges Engagement
von allen Teilen der Gesellschaft gefordert sind. Aber
welche konkreten Maßnahmen sollen ergriffen werden?
Sind gesetzliche Quoten die Lösung, wie sie beispiels-
weise derzeit für Frauen in Leitungspositionen großer
Unternehmen oder zur Verbesserung der Repräsentati-
on von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentli-
chen Dienst diskutiert werden? Der Widerstand in
Deutschland gegen solche Quoten ist erheblich. Außer-
dem hat sich gezeigt, dass weder rechtliche Verbote
und Appelle, noch freiwillige aber unverbindliche Ver-
einbarungen allein ausgereicht haben, um den notwe-
nigen Einstellungswandel einzuleiten.
Sehen wir uns also jenseits von Deutschland nach
Lösungswegen um. Die Erfahrungen vieler Länder mit
einer aktiven Antidiskriminierungstradition zeigen, dass
das Zusammenwirken von gesetzlichen Vorschriften mit
„Positiven Maßnahmen― am ehesten zum Abbau von
Diskriminierungen geführt hat. EU hat dieser Erkenntnis
in ihren Antidiskriminierungsrichtlinien Rechnung getra-
gen. Sie sehen vor, dass „zur Gewährleistung der vol-
len Gleichstellung― Positive Maßnahmen zulässig seien,
mit denen Benachteiligungen und ungleiche Chancen-
verteilung zwischen Bevölkerungsgruppen „ausgegli-
chen oder verhindert werden können―. Die Bevölke-
rungsgruppen, um die es dabei geht, unterscheiden
sich in Bezug auf die Merkmale Geschlecht, ethnische
Herkunft, zugeschriebene „Rasse―, Religion, Weltan-
schauung, Alter, Behinderung oder sexuelle Identität. In
Deutschland wurde entsprechend in § 5 des Allgemei-
nen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erstmalig ex-
plizit die Möglichkeit verankert, Positive Maßnahmen -
als Ausnahme von dem zuvor formulierten Diskriminie-
rungsverbot - zugunsten von Menschen, die zu den
geschützten Gruppen gehören, einzuführen.
Doch weder der europäische noch der deutsche Ge-
setzgeber haben diese Maßnahmen näher definiert
oder die Situationen benannt, in denen solche ergriffen
werden sollten oder gar müssten. Die Gesetzgeber
haben damit die Ausgestaltung dieses Instruments der
Wirtschaft und der Gesellschaft überlassen und deren
Überprüfung den europäischen und deutschen Gerich-
ten, die die legalen Spielräume Positiver Maßnahmen
von Fall zu Fall ausloten. Diese rechtliche Offenheit
wird hierzulande jedoch noch zu wenig als Chance
begriffen und genutzt. Nicht nur die privaten, sondern
auch die wegen ihrer Vorbildfunktion wichtigen staatli-
chen Akteure in Bund, Ländern und Kommunen zeigen
wenig Bereitschaft, Positive Maßnahmen auf den unter-
schiedlichsten Ebenen zu ergreifen, um beispielsweise
der Benachteiligung von MigrantInnen auf dem (öffentli-
chen) Arbeits- und Wohnungsmarkt, im Bildungs- und
Gesundheitswesen oder in Institutionen des öffentlichen
und politischen Lebens entgegenzusteuern. Die Kosten
für diese Untätigkeit tragen tagtäglich zu allererst die
Betroffenen selbst. Darüber hinaus wird jedoch auch
der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt durch an-
haltende Diskriminierung geschwächt. Hinzu kommen
die Herausforderungen der Globalisierung und des
demografischen Wandels, die Deutschland nur dann
meistern kann, wenn es sich zu einem international
attraktiven „Land der Möglichkeiten― entwickelt, das
EinwanderInnen sowie allen hier lebenden Menschen
gleiche Chancen garantiert und ihnen soziale Auf-
stiegschancen einräumt.
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind daher gefor-
dert, Chancengleichheit für alle Bevölkerungsgruppen
und in allen Organisationen und gesellschaftlichen
Bereichen stärker als bisher herzustellen. Hierfür bieten
Positive Maßnahmen als Kernelemente einer aktiven
Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik effekti-
ve Handlungsmöglichkeiten. Dieses Dossier bietet
einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen und
politischen Rahmenbedingungen Positiver Maßnahmen
und zeigt Möglichkeiten - aber auch Fallstricke - bei
ihrer Umsetzung auf. Mit vielen Beispielen aus dem In-
und Ausland will es anregen, auch hierzulande bewähr-
te Handlungsansätze und Aktionen zu implementieren
sowie mit neuen Ideen zu experimentieren.
Olga Drossou Heinrich-Böll-Stiftung
Andreas Merx Dossier-Redakteur
3 DOSSIER Positive Maßnahmen
Grundlagen & Ziele
In der Europäischen Union wurden Positive Maßnah-
men zunächst zugunsten von Frauen in der Arbeitswelt
zugelassen. Implementiert wurden sie in den Mitglieds-
ländern einschließlich Deutschland mit einer Vielzahl
unterschiedlicher Instrumente, oft im Rahmen von Gen-
der Mainstreaming-Programmen. Es folgten Positive
Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Integra-
tion von Menschen mit Behinderungen. Erst mit den
vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien aus den Jahren
2000-2004 wurden Positive Maßnahmen zugunsten
aller geschützten Gruppen ermöglicht.
In Deutschland wurden diese Gruppen im Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 gemäß der
Merkmale Geschlecht, ethnische Herkunft, zugeschrie-
bene „Rasse―, Religion, Weltanschauung, Alter, Behin-
derung oder sexuelle Identität benannt. Dabei folgt das
AGG in weiten Teilen einem eher reaktiven und indivi-
dualrechtlichen Regelungsmodell, um Benachteiligun-
gen zu verhindern oder zu beseitigen: Es geht davon
aus, dass die Geschädigten im Anschluss an eine erlit-
tene Diskriminierung selbst die Sanktionierung über-
nehmen, indem sie Ansprüche erheben und ggf. vor
Gericht durchsetzen. Es ist allerdings fraglich, ob dieser
individualrechtliche Ansatz ausreicht, um mehr tatsäch-
liche Gleichstellung zu erzielen. Positive Maßnahmen
hat der deutsche Gesetzgeber zwar aus den EU-
Gleichbehandlungsrichtlinien übernommen, allerdings
in § 5 AGG lediglich als unverbindliche Handlungsopti-
on verankert. Damit erfüllt das AGG zwar die europäi-
sche Mindestanforderung, konkretisiert sie jedoch nicht
und entwickelt sie auch nicht weiter.
Die Beiträge in diesem Abschnitt beleuchten die rechtli-
chen und politischen Grundlagen Positiver Maßnahmen
sowie Chancen und Risiken bei ihrer Implementierung:
- Sibylle Raasch führt in juristische Grundlagen,
historische Entwicklungslinien, Potenziale und
Grenzen Positiver Maßnahmen im internationalen,
europarechtlichen und nationalen Kontext ein und
diskutiert das spezifische Umsetzungspotential von
§ 5 AGG in Deutschland.
- Susanne Baer erörtert, wie politisch und praktisch
mit Positiven Maßnahmen umgegangen werden
sollte und plädiert für differenzierte, breiter gefä-
cherte Gleichstellungsmaßnahmen, die die Fall-
stricke der Fixierung auf Gruppen und Merkmale
vermeiden.
- Alexander Klose verweist auf die Grenzen von
unverbindlichen Selbstverpflichtungen für Positive
Maßnahmen und plädiert für die Einführung ver-
bindlicher Zielvereinbarungen für alle AGG-
geschützten Gruppen, die auf Förderpflichten auf-
bauen und mit Hilfe von Plänen und Programmen
konkretisiert und überprüft werden können.
- Andreas Merx beantwortet zentrale Fragen zu
Definition und Zielen, Instrumenten und Vorteilen
sowie Erfolgsfaktoren und Hindernissen Positiver
Maßnahmen, die für ihre Konzeption und Umset-
zung relevant sind.
DOSSIER Positive Maßnahmen 4
Sibylle Raasch
Positive Maßnahmen – Eine Einführung
Was Positive Maßnahmen sind, ist nirgends durch
Normen verbindlich definiert. Auch die neuen EU-
Antidiskriminierungsrichtlinien aus den Jahren 2000 bis
2004 sowie ihre Umsetzung im deutschen Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus dem Jahr 2006
liefern keine Legaldefinition. Die Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (EuGH)
und des deutschen Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) überprüfen allerdings schon seit Jahren ein-
zelne Positive Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit
dem Recht der Europäischen Union (EU) bzw. dem
Grundgesetz. Sie haben bei dieser Gelegenheit
verallgemeinerbare Maßstäbe für ihre zulässige Ziel-
setzung und Anwendung entwickelt. Der Begriff selbst
ist eine Übersetzung von „positive action―. Er meint,
dass über bloße Nichtdiskriminierung hinaus auch aktiv,
also positiv, Maßnahmen ergriffen werden sollen, um
Diskriminierung und ihren Folgen entgegenzuwirken.
Die Idee zu positive action stammt aus den USA, wo
jedoch meist von „affirmative action― gesprochen wird.
In Europa hat sich eher „positive action― durchgesetzt,
ohne dass damit jedoch inhaltlich andere Akzente ge-
setzt würden. Bei US-amerikanischer affirmative action
stand anfangs der Kampf gegen Rassismus und die
gesellschaftliche Benachteiligung afrikanisch stämmiger
Minoritäten im Vordergrund, während Frauenbenachtei-
ligung erst im zweiten Schritt mit einbezogen wurde. In
der Europäischen Union (EU) ging es anfangs um die
Verbesserung der gesellschaftlichen Position von Frau-
en, also einer Bevölkerungsmehrheit. Der Kampf gegen
Rassismus und seine Folgen trat erst später hinzu.
Diskriminierungsverbote und Positive
Maßnahmen: eine notwendige, aber
schwierige Verbindung
Ziel jeder umfassenden Antidiskriminierungspolitik ist
es, mehr Gerechtigkeit und Egalität herzustellen, wo
bislang in Anknüpfung an bestimmte für das Individuum
unveränderliche Merkmale gesellschaftlich benachteiligt
wurde. Dieses Mehr an sozialer Gleichheit muss jedoch
erreicht werden, ohne die Unterschiedlichkeit von Indi-
viduen einfach einzuebnen. Denn zur unveräußerlichen
und unantastbaren Menschenwürde gehört es gerade,
dass individuelle Verschiedenheit zu respektieren ist
und nicht in platter Angleichung an die Mehrheits-Kultur
einfach zum Verschwinden gebracht wird. Es geht nicht
um Gleichmacherei, sondern um Chancengleichheit für
Ungleiche.
Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit
Nichtdiskriminierung allein reicht jedoch nicht, eine
gesellschaftlich über Generationen hinweg gewachsene
und in den Strukturen von Gesellschaft und Psyche der
Gesellschaftsmitglieder tief verankerte Abwertung und
Zurücksetzung ganzer gesellschaftlicher Gruppen auf-
zuheben. Chancengleichheit stellt sich nicht quasi na-
turwüchsig her, wenn durch das Recht bloß Diskriminie-
rung im Einzelfall unterbunden wird. Es bedarf einer
aktiven Umgestaltung der bisherigen Strukturen, in
denen diese Gruppenbenachteiligung eingeschrieben
ist, damit Individuen aus bisher benachteiligten Grup-
pen in der Zukunft tatsächlich gleiche Handlungs-,
Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten bekommen.
Das Diskriminierungsverbot verlangt aber lediglich ein
bloßes Nicht-Tun.
Positive Maßnahmen hingegen sind ein aktives Tun,
um Strukturen in der Gesellschaft, in einzelnen Organi-
sationen und in den Köpfen der Menschen umzugestal-
ten. Nur durch ein Zusammenwirken von Diskriminie-
rungsverboten und Positiven Maßnahmen kann der zur
Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit unerlässli-
che soziale Wandel tatsächlich bewirkt werden.
Zum Verhältnis zwischen Diskriminierungsverboten und
Positiven Maßnahmen stellen sich juristisch jedoch
zwei Grundfragen. Wann schlägt erstens eine Positive
Maßnahme zugunsten bislang Benachteiligter ihrerseits
in eine Diskriminierung von bislang Begünstigten um?
Juristisch spricht man hier von einem Fall der umge-
kehrten Diskriminierung (reverse discrimination). Am
Beispiel der Frauenquoten hat sich der Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaft (EuGH) mit dieser Kollisi-
on schon breit auseinandergesetzt und Quoten grund-
sätzlich zugelassen.
Diskriminierung durch Unterlassen?
Doch wann ist zweitens die Situation bislang Benachtei-
ligter so schlecht, dass bereits das Unterlassen von
Positiven Maßnahmen als Diskriminierung durch Unter-
lassen zu werten ist? Juristisch handelt es sich hier um
5 DOSSIER Positive Maßnahmen
einen Fall der Verletzung von Schutzpflichten im Sinne
eines Untermaßverbots. Bislang wird beim Untermaß-
verbot im deutschen Recht nur an staatliche Hand-
lungspflichten gedacht, wie sie das Bundesverfas-
sungsgericht (BVerfG) erstmals im Zusammenhang mit
dem Schutz des ungeborenen Lebens vor einem
Schwangerschaftsabbruch entwickelt hat.1 Ausgangs-
punkt sind hier jeweils einzelne Grundrechte, die vom
Ansatz her eigentlich nur als Abwehrrechte gegen
staatliche Eingriffe konzipiert sind. Genügt der bloße
staatliche Nichteingriff aber nicht, den Grundrechts-
schutz in der Realität durchzusetzen, kann die wertset-
zende Bedeutung eines Grundrechts im Extremfall auch
aktives staatliches Handeln verlangen2.
Schutzpflichten zugunsten gesellschaftlich Benachteilig-
ter könnten in Weiterentwicklung dieses Gedankens
künftig auch bei privaten Unternehmen angedacht wer-
den, insofern diese es sind, die allein über die zur Be-
seitigung bestehender Benachteiligung notwendigen
Ressourcen verfügen, insbesondere Arbeitsplätze. Im
Behindertenschutz jedenfalls klingt dieser Gedanke im
Fall der Verpflichtung der ArbeitgeberInnen zu ange-
messenen Vorkehrungen entsprechend Art. 5 RL
2000/78/EG bereits an: Unterlässt ein/e ArbeitgeberIn
zumutbare angemessene Vorkehrungen zugunsten
einer oder eines konkreten behinderten Beschäftigten,
so dass im Einzelfall eine bestimmte Tätigkeit nicht
ausgeübt werden kann, wertet die Richtlinie dieses eher
als Diskriminierung denn als bloße Unterlassung einer
Positiven Maßnahme.3 Klarer wäre es allerdings, wenn
der europäische und/oder der deutsche Gesetzgeber
explizit nicht nur das Schutzgut, die Beseitigung beste-
hender gesellschaftlicher Benachteiligung und ihrer
Folgen, sondern auch positive Handlungspflichten für
diejenigen privaten AkteurInnen formulieren würde, die
für eine solche Beseitigung aktiv werden müssten.
1 Rechtsprechungsnachweise zum Schutzpflichtkonzept siehe Raasch, Sibylle in: Rust, Ursula; Falke, Josef (Hrsg.): Allge-meines Gleichbehandlungsgesetz, Berlin 2007, § 5 Rn. 25 Fn. 45.
2 Zum Schutz des ungeborenen Lebens verlangte das BVerfG anfangs eine Strafnorm, später eine Beratung Schwangerer zugunsten des werdenden Lebens, also eine Positive Maß-nahme, zu deren Flankierung zudem noch weitere Verbesse-rungen der Situation von Müttern/Eltern und Kindern postu-liert wurden.
3 Vgl. Schiek, Dagmar: Gleichbehandlungsrichtlinien der EU – Umsetzung im deutschen Arbeitsrecht, in: NZA 2004, S. 873 ff., S. 875; ebenso für Diskriminierung durch „Andersartigkeit― beim Unterlassen angemessener Vorkehrungen: For-schungskonsortium University of Bradford u.a.: Internationale
Sichtweisen zu positiven Maßnahmen, Europäische Kom-mission (Hrsg.), Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften 2009, S. 32 f.
Frauenförderung, Gleichstellungspolitik,
Diversity Management in Deutschland
Einzelne behinderte Menschen werden in Deutschland
schon seit langem nicht nur geschützt, sondern auch
gefördert. Zugunsten von Frauen als Gruppe und ge-
sellschaftliche Mehrheit setzten Positive Maßnahmen
Ende der 70er Jahre ein. Begrifflich sprach man an-
fangs von „Frauenförderung―. Dieser Begriff legte in
patriarchaler Bevormundung jedoch immer nahe, Frau-
en hätten im Vergleich zu Männern persönliche Defizite,
welche die Frauen selber aufgerufen seien abzustellen.
Inhaltlich ging es anfangs dem entsprechend auch um
konkrete Aus- und Weiterbildungsprogramme wie
„Frauen in Männerberufe― oder „Frauen in Führungspo-
sitionen―.
Gleichstellungspolitik im öffentlichen Dienst
Unter Berufung auf die Vorbildfunktion des öffentlichen
Dienstes wurden in Landesverwaltungen und Universi-
täten bald auch längerfristig angelegte Frauenförder-
programme implementiert. Dabei wurde zur neutraleren
Formulierung „Gleichstellungspolitik― übergegangen.
Den Frauenförderrichtlinien für den öffentlichen Dienst
Hamburgs und Bremens 1984 folgten in Nordrhein-
Westfalen und dem Saarland 1989 erste Frauenförde-
rungsgesetze und 1990/91 in Berlin, Bremen und Ham-
burg die ersten Gleichstellungsgesetze für den öffentli-
chen Dienst.4 Seit den 90er Jahren verfügen der Bund
und alle Bundesländer über Frauenförder- oder Gleich-
stellungsgesetze für ihren öffentlichen Dienst. Die Um-
setzung der Gleichstellung von Frauen wird durch
Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte in Bund, Län-
dern und Gemeinden flankiert.
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Am 27.4.1994 wurde dem Gleichberechtigungssatz des
Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ein weiterer Satz 2
angefügt: „Der Staat fördert die tatsächliche Gleichbe-
rechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die
Beseitigung bestehender Nachteile hin.― Damit wurde
die schon zuvor bestehende Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts (BVerfG) zur Zulässigkeit Posi-
tiver Maßnahmen im Grundgesetz festgeschrieben.5
Das BVerfG sieht die Grenze für Positive Maßnahmen
vor allem dort, wo diese in Wahrheit gar nicht der
4 Einzelheiten siehe Raasch, Sibylle: Frauenquoten und Män-nerrechte, Baden-Baden 1991, S. 85 ff.
5 Ausführlicher Raasch, Sibylle, in: Rust, Ursula; Falke, Josef: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Berlin 2007, § 5 Rn. 25.
DOSSIER Positive Maßnahmen 6
Durchsetzung von Chancengleichheit für die Zukunft
dienen, sondern tradierte Geschlechterrollen und damit
verbundene Vorurteile, aber auch Privilegien aus der
Vergangenheit in die Zukunft fortschreiben wollen. Es
hat deswegen Hausarbeitstage nur für Frauen6 und die
Freistellung von Arbeiterinnen von der Nachtarbeit für
verfassungswidrig erklärt.7 Zur Frauenquote hat es sich
bislang nicht geäußert, obwohl ihm zeitweise entspre-
chende Fragen vorlagen, die sich dann aber durch
bloßen Zeitablauf (und anderweitige Beförderung der
sich diskriminiert fühlenden Männer) wieder erledigten.
Positive Maßnahmen in der Privatwirtschaft
In der Privatwirtschaft hingegen ist es bei einzelnen
Positiven Maßnahmen geblieben. Nur selten und zu-
meist nur in Großunternehmen wird Gleichstellungspoli-
tik systematisch und mit langfristiger Orientierung be-
trieben. Ein umfassendes Gleichstellungsgesetz für die
Privatwirtschaft8 scheiterte 2001 mit der wenig verbind-
lichen Vereinbarung zwischen der Bundesregierung
und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft
zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und
Männern in der Privatwirtschaft. Damals sicherte die
Bundesregierung der Wirtschaft zu, neue Gesetze im
Gleichstellungsbereich nur dann einzuführen, wenn
dazu eine Verpflichtung aus EU-Recht bestünde, so-
lange die Absichtserklärung der Wirtschaftsverbände zu
Nichtdiskriminierung und Positiven Maßnahmen Wir-
kung zeige. Die dafür bislang vorgelegten Bilanzen
Chancengleichheit aus den Jahren 2003, 2006 und
2008 zeigen aber, dass die Vereinbarung nicht wirkt
und im Bereich der Wirtschaft keine neue Dynamik an-
gestoßen hat. Vor allem fehlen statistisch nachweisbare
Verbesserungen für Frauen im Erwerbsbereich. Andere
Merkmale als Geschlecht sind in diese Vereinbarung
zur Förderung der Chancengleichheit nicht einbezogen.
Die Beschränkung von Positiven Maßnahmen auf die
Merkmale Geschlecht und Behinderung in Unterneh-
men und Verwaltungen könnte für die Zukunft durch
eine neue Strategie aufgebrochen werden. Diversity
Management (DiM) ist eine Managementstrategie, die
neben Geschlecht auch andere Merkmale positiv ein-
beziehen will, um mehr Vielfalt im Unternehmen zu
ermöglichen. Auch DiM kommt aus den USA. DiM zielt
auf einen grundlegenden Wandel der Organisationskul-
6 Vgl. BVerfGE 52/369, 376 (Hausarbeitstag).
7 Vgl. BVerfGE 85/76, 210 (Nachtarbeit).
8 Entwurf siehe Pfarr, Heide (Hrsg): Ein Gesetz zur Gleichstel-lung der Geschlechter in der Privatwirtschaft, Düsseldorf 2001.
tur ab: Die bislang in den Betrieben vorherrschende
Orientierung an einer Mehrheitskultur, geprägt vor allem
durch die Merkmale männlich, weiß, jung, ohne ge-
sundheitliche Einschränkungen und heterosexuell, soll
abgelöst werden durch eine Kultur der Vielfalt, welche
die bislang ausgeschlossenen Merkmale positiv inte-
griert. Die neuen Handlungsmaximen lauten: Regeln
und Standards, die für alle passen, und Respekt vor der
Andersartigkeit.9
Als Grenze für DiM gilt jedoch, was schon für die vorhe-
rigen Positiven Maßnahmen auf freiwilliger Basis galt:
DiM muss sich aus Sicht eines Unternehmens auf ab-
sehbare Zeit rechnen. Vielfalt in der Belegschaft ist kein
ethisch-altruistisches Konzept, sondern eine Personal-
entwicklungsstrategie, die hofft, Engpässe auf dem
Arbeitsmarkt zu umgehen, die Arbeitsleistung im Be-
trieb zu erhöhen, mehr Kreativität für das Unternehmen
freizusetzen und damit das Unternehmensergebnis in
Form von Produkten oder Dienstleistungen zu verbes-
sern und den Gewinn des Unternehmens zu steigern.
Außerhalb der Gewinnzone lässt demnach auch DiM
keine Positiven Maßnahmen der Unternehmen zuguns-
ten von bisher benachteiligten Beschäftigtengruppen
erwarten. Das Recht und der Gesetzgeber sind dem-
nach trotz DiM weiter gefordert, damit Chancengleich-
heit für alle Bevölkerungsgruppen und in allen Organi-
sationen auch im privaten Sektor systematischer als
bisher sichergestellt werden kann.
Die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU
Ein Verbot von Geschlechtsdiskriminierung im Entgelt-
bereich wurde bereits bei der Gründung der Europäi-
schen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 im Art. 119 EWG
als Primärrecht verankert. Verschiedene Antidiskrimi-
nierungsrichtlinien folgten ab 1975 und bauten das
Verbot sekundärrechtlich schrittweise zu einem umfas-
senden Verbot von Geschlechtsdiskriminierung im
Erwerbsbereich aus. Die Richtlinie (RL) 76/207/EWG
aus dem Jahr 1976 sah bereits in Art. 2 Abs. 4 1976
eine Ausnahmemöglichkeit zugunsten Positiver Maß-
nahmen vor.
Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde 1999 über Art.
13 EG-V, inzwischen Art. 10 AEUV, der Diskriminie-
rungsschutz über Geschlecht hinaus auf die Merkmale
(zugeschriebene) „Rasse―, ethnische Herkunft, Religi-
on/Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle
9 Einzelheiten siehe Krell, Gertraude: Diversity Management, in: dieselbe (Hrsg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik, 5. Aufl. Wiesbaden 2008 S. 63 ff.
7 DOSSIER Positive Maßnahmen
Ausrichtung ausgedehnt. Zugleich wurde die bisherige
Beschränkung der EU-Antidiskriminierungspolitik auf
den Bereich von Beschäftigung und Beruf aufgegeben
und somit das allgemeine Vertragsrecht bei Gütern und
Dienstleistungen mit einbezogen.
Mit dem Vertrag von Lissabon wurde 2009 auch das
bisher noch unverbindliche allgemeine Diskriminie-
rungsverbot des Art. 21 EU-Grundrechte-Charta ver-
bindliches Gemeinschaftsrecht. Damit sind zusätzlich
zur Diskriminierung in Anknüpfung an die Merkmale aus
Art. 13 EG-V jetzt auch Diskriminierungen wegen der
Sprache, der politischen oder sonstigen Anschauungen,
der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des
Vermögens sowie der Geburt verboten. Durch die Vor-
anstellung von „insbesondere― wird deutlich, dass es
sich hier nur um eine beispielhafte Auflistung besonders
diskriminierungsgefährdeter Merkmale handeln soll,
also noch weitere Merkmale hinzukommen können.
Auch die gesondert vom allgemeinen Diskriminierungs-
verbot in Art. 23 Satz 1 EU-Grundrechte-Charta gere-
gelte Gleichheit von Männern und Frauen wurde ver-
bindliches Gemeinschaftsrecht. Sie ist nunmehr „in
allen Bereichen― sicherzustellen.
Positive Maßnahmen nach primärem Gemeinschaftsrecht
Ebenfalls 1999 wurde dem bisherigen Verbot von Ent-
geltdiskriminierung in Art. 119 EWG, inzwischen Art.
141 Abs. 1 und 2 EG-V und heute Art. 157 Abs. 1 und 2
AEUV, ein neuer Abs. 3 EG-V angefügt, der die Gleich-
stellung der Geschlechter im Erwerbsbereich als Rats-
kompetenz festlegte. Es folgte ein neuer Art. 141 Abs. 4
EG-V, welcher, wie schon zuvor die RL 76/203/EWG,
Positive Maßnahmen als Option ausdrücklich zuließ:
Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der
vollen Gleichstellung von Männern und Frauen
im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Glei-
chbehandlung die Mitgliedsstaaten nicht daran,
zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterre-
präsentierten Geschlechts oder zur Verhinde-
rung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen
in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergün-
stigungen beizubehalten oder zu beschließen.
Mit Maßnahmen „zur Erleichterung der Berufstätigkeit―
wurde Art. 141 Abs. 4 EG-V etwas weiter formuliert als
der vorherige Art. 2 Abs. 4 der RL 76/204/EWG, ohne
dass in der Rechtsprechung des EuGH bislang jedoch
deswegen eine gravierende Veränderung erkennbar
geworden wäre. Art. 2 Abs. 4 der RL 76/204/EWG
jedenfalls soll als Ausnahme vom individuellen Recht
auf Nichtdiskriminierung nach Ansicht des EuGH eng
auszulegen sein.10
Nach dem Vertrag von Lissabon 2009 befinden sich die
Regelungen zu Entgeltgleichheit, Geschlechtsdiskrimi-
nierung im Erwerbsbereich und Positiven Maßnahmen
nunmehr wortgleich in Art. 157 AEUV. Parallel wurde
auch die Gestattung Positiver Maßnahmen beim Merk-
mal Geschlecht aus Art. 23 Satz 2 EU-Grundrechte-
Charta in den Kanon des verbindlichen Gemeinschafts-
rechts überführt: „Der Grundsatz der Gleichheit steht
der Beibehaltung oder der Einführung spezifischer
Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Ge-
schlecht nicht entgegen.―
Positive Maßnahmen zugunsten anderer Merkmale als
Geschlecht bleiben nach dem primären Gemeinschafts-
recht weiterhin ungeregelt. Lediglich für den Rat der EU
wurde 1999 in Art. 13 Abs. 2 EG-V, jetzt Art. 10 AEUV,
eine Kompetenz geschaffen, gemeinschaftliche För-
dermaßnahmen zur Unterstützung der in den Mitglieds-
staaten zur Zielverwirklichung nach Abs. 1 getroffenen
Maßnahmen einstimmig zu beschließen.
Positive Maßnahmen nach den EU-Antidiskrimi-nierungsrichtlinien
Auf der Basis von Art. 13 EG-V (inzwischen Art. 10
AEUV) folgten ab 2000 drei neue Antidiskriminierungs-
richtlinien. Die RL 2000/43/EG (Antirassismusrichtlinie)
weitete den Diskriminierungsschutz auf (zugeschriebe-
ne) „Rasse― und ethnische Herkunft aus. Über den
Erwerbsbereich hinaus wurden hier auch der Sozial-
schutz, Bildung sowie Güter und Dienstleistungen, die
der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich
Wohnraum in den Diskriminierungsschutz einbezogen.
Damit wurden erstmals auch breite Bereiche des allge-
meinen Vertragsrechts erfasst. Die RL 2000/78/EG
(Richtlinie Beschäftigung und Beruf) bezog die Merkma-
le Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter und
sexuelle Ausrichtung in den Diskriminierungsschutz bei
Beschäftigung und Beruf mit ein.
Die Ausweitung in den Bereich des allgemeinen Ver-
tragsrechts aus der Antirassismusrichtlinie fehlt hier
jedoch. Die RL 2002/73/EG (Gender-Richtlinie) brachte
den Diskriminierungsschutz für das Merkmal Ge-
schlecht im Erwerbsbereich aus der RL 76/207/EWG
10
Vgl. EuGH Slg 1995 I-3051 Rn. 21 (Kalanke).
DOSSIER Positive Maßnahmen 8
auf den Stand der beiden Antidiskriminierungsrichtlinien
aus dem Jahr 2000. Und die RL 2004/113/EG weitete
den Diskriminierungsschutz für Geschlecht wie zuvor
schon in der Antirassismusrichtlinie auf das allgemeine
Vertragsrecht aus, ohne jedoch genauso weit zu gehen.
Vor Geschlechtsdiskriminierung geschützt werden soll
hier nur beim Angebot von Gütern und Dienstleistun-
gen, die der Öffentlichkeit ohne Ansehen der Person
zur Verfügung stehen.
EU-Richtlinien sind allerdings nur hinsichtlich der darin
vorgegebenen Ziele für die Mitgliedsstaaten verbindlich.
Die Mittel zur Zielerreichung kann sich jeder Mitglieds-
staat aussuchen. Sie müssen allerdings hinsichtlich der
verbindlichen Ziele effektiv sein. Sind sie es nicht oder
wurde eine Umsetzung innerhalb der vorgegebenen
Frist versäumt, stellt sich die europarechtlich kompli-
zierte Frage, ob eine Richtlinie ausnahmsweise doch
direkt angewandt werden kann.
Während die Gender-Richtlinie einfach auf Art. 141
Abs. 4 EG-V verweist, sehen die anderen drei Richtli-
nien für ihren jeweiligen Anwendungsbereich mit ähnli-
chen, allerdings nicht völlig identischen Formulierungen
vor, dass als Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot
Positive Maßnahmen gestattet sind. Es dürfen „zur
Gewährleistung der vollen Gleichstellung― Maßnahmen
beibehalten oder eingeführt werden, mit denen Benach-
teiligungen aufgrund des jeweiligen Merkmals „verhin-
dert oder ausgeglichen werden―.
Die Quotenrechtsprechung des EuGH
Da der EuGH auch in der Folgezeit nur über Positive
Maßnahmen zum Merkmal Geschlecht im Bereich des
Arbeitslebens entschieden hat, ist noch unklar, ob der
Raum für Positive Maßnahmen in den anderen drei
Richtlinien eingeschränkter als beim Merkmal Ge-
schlecht im Arbeitsleben interpretiert werden wird oder
ob der EuGH die Zulässigkeit Positiver Maßnahmen für
alle Merkmale einheitlich bestimmen wird.
Beim Merkmal Geschlecht dürfen Positive Maßnahmen
nach der Quoten-Rechtsprechung des EuGH Frauen
jedenfalls keinen „absoluten― Vorrang einräumen. Im
Einzelnen verlangt der EuGH: Frauen müssen im quo-
tierten Bereich u.a. auch wegen Geschlechtsdiskrimi-
nierung unterrepräsentiert sein. Die Frau und konkurrie-
rende Männer müssen über eine gleichwertige Qualifi-
kation für die Position verfügen. Auch die individuelle
Lage des Mannes muss berücksichtigt werden. Wenn
soziale Gesichtspunkte zu seinen Gunsten überwiegen,
muss er trotz Frauenunterrepräsentanz, Qualifikations-
patt und Quotierung ausgewählt werden.11
Dabei dürfen
die zusätzlichen Kriterien zur Beurteilung der persönli-
chen Lage eines Mannes jedoch nicht ihrerseits wieder
geschlechtsdiskriminierend wirken.12
Flexible Ergebnis-
quoten in Gleichstellungsplänen sind hingegen unein-
geschränkt zulässig, ebenso unter bestimmten Umstän-
den 50-Prozent-Quoten ohne Qualifikationsvorbehalt im
Ausbildungsbereich sowie Besetzungsvorgaben für
Gremien.13
Auch wurden vom EuGH schon Frauenquo-
ten bei nur fast gleichwertiger Qualifikation erwogen.14
Zusammenfassend kann man sagen, Positive Maß-
nahmen müssen gezielt und konkret an ein ansonsten
gegen Ungleichbehandlung geschütztes Merkmal an-
knüpfen und eine Situation der Benachteiligung oder
deren Folgen korrigieren wollen. Dabei ist nicht erfor-
derlich, dass die konkret von der Positiven Maßnahme
begünstigte Person zuvor auch persönlich benachteiligt
wurde, wenn nur die begünstigte Gruppe in diesem Be-
reich zuvor Nachteile erlitten hat oder noch erleidet und
diese Nachteile durch die Positive Maßnahme künftig
verhindert oder in ihren Folgen ausgeglichen werden
sollen. Die Maßnahme darf nicht pauschal die Träge-
rInnen bestimmter Merkmale ohne Ansehen der übrigen
beteiligten Personen besser stellen und sie muss in
Beziehung auf die Benachteiligung, die ausgeglichen
werden soll, und die Folgen für die bislang begünstigten
MerkmalsträgerInnen verhältnismäßig sein.15
Positive Maßnahmen nach § 5 AGG
Der deutsche Gesetzgeber hätte bei der Umsetzung
der Vorgaben zu Positiven Maßnahmen aus den vier
EU-Antidiskriminierungsrichtlinien über diese hinausge-
hen oder völlig neue Wege beschreiten können. Denn
EU-Richtlinien sind nach Art. 288 AEUV nur hinsichtlich
ihrer Ziele verbindlich, überlassen dem nationalen Ge-
setzgeber jedoch die Wahl der Form und der Mittel. Zu-
dem formulieren alle vier Antidiskriminierungsrichtlinien
nur Mindeststandards. Vorschriften, die im Hinblick auf
die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes güns-
tiger sind, dürfen eingeführt oder beibehalten werden.
11
Vgl. EuGH Slg 1995 I-3051 (Kalanke) und Slg 1997 I-6363 (Marschall).
12 Vgl. EuGH Slg 1997 I-6363 Rn. 35 (Marschall).
13 Vgl. EuGH Slg. 2000 I-1875 Rn. 50 f. (Badeck).
14 Vgl. EuGH Slg 2000 I-5539 Rn. 62 (Abrahamsson).
15 Nachweise in Rechtsprechung und Literatur siehe Raasch, Sibylle in: Rust, Ursula; Falke, Josef: Allgemeines Gleichbe-handlungsgesetz, Berlin 2007, § 5 Rn. 20 f., 68 f.
9 DOSSIER Positive Maßnahmen
Tatsächlich hat der deutsche Gesetzgeber die Positiven
Maßnahmen für Deutschland über § 5 Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) jedoch weder näher
konturiert noch rechtsverbindlicher gestaltet. Auch nach
§ 5 AGG bleibt es bei einer allgemeinen Option auf
Positive Maßnahmen in Ausnahme von den zuvor for-
mulierten Gleichbehandlungsgeboten. Besondere Ty-
pen von Positiven Maßnahmen werden nicht
präferenziert, besondere Situationen, in denen auf
jeden Fall Positive Maßnahmen zu ergreifen wären,
werden nicht bezeichnet.
Wer darf welche Positiven Maßnahmen ergreifen?
In § 5 AGG sind keine konkreten AkteurInnen für solche
Maßnahmen bezeichnet: Positive Maßnahmen „sind
zulässig―. Daraus ist zu schließen, dass alle Personen
und Organisationen, die im Gesetz den Diskriminie-
rungsverboten unterliegen, ihrerseits auch Positive
Maßnahmen ergreifen dürfen. Eine weitere konkretisie-
rende Ermächtigung durch den Gesetzgeber ist nicht
erforderlich.
Interessant ist auch, dass durch diese weite Formulie-
rung des § 5 AGG nicht zugeordnet wird, welche Akteu-
rInnen welche Nachteile durch Positive Maßnahmen
ausgleichen dürfen. Es muss lediglich klar sein, welcher
Benachteiligung durch die jeweilige Positive Maßnahme
gegengesteuert werden soll. Das Allgemeinwohlinter-
esse an der Gleichstellung bisher diskriminierter Gesell-
schaftsgruppen kann von allen AkteurInnen und Orga-
nisationen durch eigene Positive Maßnahmen zuguns-
ten aller oder einzelner der im AGG geschützten Merk-
male konkretisiert und wahrgenommen werden. Ein Be-
zug der ArbeitgeberInnen zu Problemen im eigenen Be-
trieb oder Unternehmen oder ein besonderes betriebli-
ches Interesse an Gleichstellung ist nicht erforderlich.16
Diese Offenheit des § 5 AGG kollidiert weder mit EU-
Recht noch mit deutschem Verfassungsrecht. Insbe-
sondere den Anforderungen der Grundrechtswesent-
lichkeit, wonach Eingriffe in Grundrechte immer durch
den Gesetzgeber selber legitimiert werden müssen,
wurde durch § 5 AGG selbst ja nachgekommen.17
Sie
bietet Kreativität und Engagement einerseits den größt-
möglichen Raum, belässt allerdings andererseits auch
alle Aktivitäten im völligen Belieben der AkteurInnen.
16
Vgl. Bauer, Jobst-Hubertus; Göpfert, Burkard; Krieger, Stef-fen: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl. Mün-chen 2008, § 5 Rn. 7.
17 Ebenso Hinrichs, Oda, in: Däubler, Wolfgang; Bertzbach, Martin: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl. Ba-den-Baden 2008, § 5 Rn. 16 f.
Der Gedanke, wer selbst diskriminiert habe, solle durch
Positive Maßnahmen anschließend Wiedergutmachung
leisten, wie er im US-amerikanischen Recht in Zusam-
menhang mit einer Verurteilung zu affirmative action
entwickelt wurde,18
ist dem deutschen Recht somit
fremd. Das hat auch zur Folge, dass nicht gleich als
vorherige(r) DiskriminiererIn stigmatisiert werden kann,
wer Positive Maßnahmen ergreift. Damit ist die Offen-
heit des § 5 AGG Anwendungsstärke und -schwäche
zugleich.
Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit
Was die Zulässigkeitsvoraussetzungen angeht, lehnt
sich § 5 AGG stark an die Vorgaben aus den drei EU-
Antidiskriminierungsrichtlinien für die neu geschützten
Merkmale und Bereiche an. Er ist damit enger gefasst
als Art. 157 Abs. 4 AEUV für das Merkmal Geschlecht
im Arbeitsleben. Denn lediglich „bestehende Nachteile―
dürfen durch Positive Maßnahmen nach § 5 AGG „ver-
hindert oder ausgeglichen― werden, während nach §
157 Abs. 4 AEUV auch allgemeiner bloß „zur Erleichte-
rung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Ge-
schlechts― Positive Maßnahmen ergriffen werden könn-
ten und Art. 23 Satz 2 EU-Grundrechte-Charta jede
spezifische Vergünstigung für das unterrepräsentierte
Geschlecht gestattet. Die Diskriminierungsprävention ist
allerdings nach der schriftlichen Gesetzesbegründung19
mit eingeschlossen.
Die Verknüpfung zwischen Benachteiligung und Ge-
gensteuerung durch Positive Maßnahmen bleibt nach
deutschem Recht jedenfalls für alle geschützten Merk-
male gleich eng. Das AGG ebnet durch seine einheitli-
che Fassung für alle Merkmale Unterschiede ein, die
bei Positiven Maßnahmen nach EU-Recht zwischen
den verschiedenen Merkmalen bestehen könnten.
Schließlich müssen die gewählten positiven Maßnah-
men „geeignet und angemessen― sein. Damit werden
Verhältnismäßigkeitskalküle übernommen, wie sie der
EuGH und die deutschen Gerichte im Fall Positiver
Maßnahmen schon seit langem entwickelt haben, wie
sie aber in Art. 157 Abs. 4 AEUV sowie den EU-
Antidiskriminierungsrichtlinien selber nicht ausdrücklich
formuliert sind.
18
Ausführlich von Wahl, Angelika: Gleichstellungsregime, Opladen 1999, S. 128 ff.
19 Vgl. BT-Drs 16/1780 S. 35.
DOSSIER Positive Maßnahmen 10
Auswirkungen des § 5 AGG auf die Unternehmenspraxis
In der Praxis hat die neue Option auf Positive Maß-
nahmen in § 5 AGG bislang keinen Kreativitätsschub
ausgelöst. Eine Unternehmensbefragung im Hamburger
Raum20
zeigte, dass die meisten Unternehmen sich
bestehender Benachteiligungen in ihrem Bereich einer-
seits zwar bewusst sind, ohne sie jedoch andererseits
als Diskriminierung im Sinne des AGG einzustufen.
Eine kleine Minderheit allerdings erkannte schon, dass
sie diskriminierte und gegen das AGG verstieß, hielt
das Gesetz aber für so anwendungsschwach, dass ein
Umsteuern für nicht erforderlich gehalten wurde.
In der großen Mehrzahl der Unternehmen gab es dem
entsprechend auch keine Positiven Maßnahmen. So-
weit dennoch vorhanden bezogen sich die Positiven
Maßnahmen vor allem auf Familienfreundlichkeit, nur
selten gezielt auf das Merkmal Geschlecht und nur
ganz vereinzelt auf andere Merkmale. Extra im Hinblick
auf die neuen Möglichkeiten des § 5 AGG eingeführt
wurde nichts. Teilweise werden Positive Maßnahmen,
insbesondere Frauenquoten, weiterhin explizit abge-
lehnt oder gar als Diskriminierung eingestuft. Diversity
Management wurde lediglich in zwei Großunternehmen
vage erwähnt.
20
Vgl. Raasch, Sibylle; Rastetter, Daniela: Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis, Projektbericht Universität Hamburg, März 2009, S. 24 ff.; Dieselben: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Gesetzliche Regelungen und Umsetzung im Betrieb, in: Badura, Bernhard u.a. (Hrsg.): Fehlzeitenreport 2010. Vielfalt managen: Gesund-heit fördern – Potentiale nutzen, Berlin, Heidelberg 2010 S. 11 ff., S. 19.
Fazit
Positive Maßnahmen werden in Deutschland also seit
2006 zwar durch § 5 AGG zugunsten verschiedener
gesellschaftlicher Gruppen explizit gesetzlich ermög-
licht. In der Praxis deutscher Unternehmen spielen sie
über bloße Familienfreundlichkeit hinaus jedoch ge-
genwärtig noch keine große Rolle. Und für die anderen
Merkmale neben Geschlecht und Behinderung fehlt es
bislang auch erkennbar an Ideen, wie überhaupt ange-
setzt werden könnte. Andererseits hat das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz aber auch nicht zum Abbau
bestehenden freiwilligen Engagements beigetragen, wie
Kritiker des Gesetzes anfangs unkten.
Sibylle Raasch ist Professorin für Öffentliches Recht
und Legal Gender Studies an der Universität Hamburg in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakul-tät. Aktuelle Forschungsgebiete: Gleichstellungspolitik im Erwerbsleben, Zeitpolitik.
11 DOSSIER Positive Maßnahmen
Susanne Baer
Chancen und Risiken Positiver Maßnahmen: Grundprobleme des Antidiskriminierungsrechts
In § 5 des AGG ist von „Positiven Maßnahmen― die
Rede.1 Das ist ein rechtspolitischer Fortschritt. Der
Gesetzgeber bekennt sich zu der Notwendigkeit, struk-
turelle Ungleichheiten auch aktiv ausgleichen zu müs-
sen, um tatsächlich Chancengleichheit zu erzielen.
Zudem spricht der Gesetzgeber nicht von „umgekehrter
Diskriminierung― (wie einige Gegner von Fördermaß-
nahmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur) oder
von „Bevorzugung― (wie, neben Benachteiligung, in Art.
3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes). Vielmehr stellt das
AGG in § 1 klar, dass „Diskriminierung― ein Verhalten
ist, das benachteiligend wirkt. Damit wird Diskriminie-
rung klar von „Differenzierung― unterschieden: Diskrimi-
nierung benachteiligt die Einen und privilegiert die An-
deren, während Differenzierung auch Nachteile beseiti-
gen kann, ohne dass dies in gesellschaftlich ungleichen
Verhältnissen einer Bevorzugung gleich käme. Der
Fortschritt, der in § 5 AGG liegt, ist jedoch nur ein Teil
einer längeren Geschichte. Die Regelungen und die
politische Debatte um Fördermaßnahmen werfen kom-
plizierte Fragen auf und bergen erhebliche Herausfor-
derungen.
In diesem Beitrag2 geht es darum, was juristisch, also
im engeren Sinne und insbesondere nach dem AGG,
unter Positiven Maßnahmen zu verstehen ist3, aber
auch darum, wie politisch und praktisch sinnvoll damit
1 Die weiteren Regeln zu zulässigen Unterschieden im AGG ermöglichen zwar Positive Maßnahmen, können aber die allgemeine Regel des § 5 AGG auch wieder einschränken. Das Verhältnis zwischen den jeweiligen Vorschriften ist bis-lang nicht überzeugend geklärt. Wenn § 5 AGG besagt, dass andere Regeln unberührt bleiben, kann das eben auch be-deuten, Fördermaßnahmen nur für zulässig zu halten, wenn sie auch den weiteren Anforderungen des Gesetzes genü-gen. Zum Gesetz auch Baer, Diskriminierung beenden - Tole-ranz fördern. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, in: Die Renaissance der Rechtspolitik. Zehn Jahre Politik für den sozialen Rechtsstaat (Brigitte Zypries, Hg., München 2008), S. 135-140.
2 Dieser Beitrag geht auf einen Vortrag der Autorin zum 6. Ge-burtstag des Antidiskriminierungsnetzwerkes Berlin (ADNB) im Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) 2009 zu-rück. Er ist der Arbeit der in diesem Netzwerk Engagierten gewidmet.
3 Neben dem AGG spielen die Verfassung – das Grundgesetz, GG - und die Regeln des „Völkerrechts― oder internationalen Rechts eine wichtige Rolle (dazu unten). Neben dem AGG gelten allerdings auch zahlreiche Gesetze in Bund und Län-dern zu einzelnen Diskriminierungsgründen, insbesondere Behinderung und Geschlecht.
umgegangen werden sollte. Ausgangspunkt sind die
rechtlichen Rahmenbedingungen für gleichstellungsori-
entierte Praxis und Thema sind die Probleme, die Her-
ausforderungen, die Ambivalenzen, die uns mit Blick
auf Positive Maßnahmen bewegen müssen. Ich stelle
die Frage, wie sinnvoll es ist, sich in der bisher gängi-
gen Weise auf Positive Maßnahmen zu konzentrieren,
und plädiere dafür, über differenzierte Gleichstellungs-
maßnahmen breiter gefächert zu diskutieren. Dabei
wende ich mich gegen jede Form von „Gruppismus―,
auch wenn sie gut gemeint sein mag, weil Politik für
Gruppen essentialisiert und das Problem wiederholt,
das wir eigentlich lösen wollen. Alternativ scheint es
wichtiger, eine postkategoriale Politik gegen Diskrimi-
nierung zu entwickeln.
Der rechtliche Ausgangspunkt: jedenfalls för-
dern dürfen, vielleicht auch müssen
Die Rede von den „Positiven Maßnahmen― kommt –
rechtspolitisch und dogmatisch betrachtet - aus dem
Europarecht, mit Blick auf „affirmative action― auch aus
den USA. Ausgangspunkt der Diskussionen in Deutsch-
land ist § 5 AGG, der in Umsetzung europäischer Richt-
linien gegen Diskriminierung und auch im Einklang mit
ihnen4 ausdrücklich Positive Maßnahmen nennt. Das
dient, so § 1 AGG, der Umsetzung des Zieles des AGG,
„Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder we-
gen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der
Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des
Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder
zu beseitigen.― Eine Positive Maßnahme ist nach § 5
AGG also keine benachteiligende, sondern „eine unter-
schiedliche Behandlung―, „wenn durch geeignete und
angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile we-
gen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder
ausgeglichen werden sollen―.5 Das klingt sehr schön.
Aber es wirft eben auch Fragen auf.
4
Artikel 5 der Richtlinie 2000/43/EG, Artikel 7 Abs. 1 der Richt-linie 2000/78/EG und Artikel 2 Abs. 8 der Richtlinie 76/207/EWG.
5 In der Begründung zum Gesetzentwurf lässt der Gesetzge-ber „Maßnahmen zur Behebung bestehender Nachteile ebenso zu wie präventive Maßnahmen zur Vermeidung künf-tiger Nachteile―. Es ist also weniger an ausgleichende Ge-rechtigkeit i.S.v. Kompensation für vergangene Benachteili-gung gedacht, sondern eher an Chancengerechtigkeit, die
DOSSIER Positive Maßnahmen 12
Rechtlich stellt sich zunächst die Frage, ob Positive
Maßnahmen nur ergriffen werden dürfen oder ob sie
auch ergriffen werden müssen – vom Staat, vom Ar-
beitgeber, von Dienstleistenden etc. Das AGG zwingt
hier ausdrücklich zu nichts, es lässt nur zu. Allerdings
gibt es einige weitere juristische Regeln, aus denen
sich erhöhter rechtlicher Druck ableiten lässt, auch
tatsächlich etwas zu tun. So verpflichten das Grundge-
setz und einige Landesverfassungen jedenfalls den
Bund und die Länder ausdrücklich dazu, Gleichstellung
zu fördern. Im Grundgesetz normiert Art. 3 Abs. 2 Satz
2 GG für den Staat seit 1994, aktiv zumindest auf die
Gleichstellung von Männern und Frauen hinzuwirken.
Es ist allerdings durchaus ernüchternd, dass eine ge-
schlechtsbezogene Fördervorschrift für die Privatwirt-
schaft einschließlich der Aufsichtsräte oder Vorstände
großer Unternehmen bislang fehlt. Die Politik setzt auf
„freiwillige Vereinbarungen―, die in der Sache bislang
kaum Fortschritte erzielen. Daneben suggeriert Art. 3
Abs. 3 S. 2 GG, dass aktiv gegen Diskriminierungen
aufgrund von Behinderungen vorgegangen werden soll,
was die UN-Konvention gegen Diskriminierung auf-
grund von Behinderungen von 2006, die seit 2009 ver-
bindlich gilt, verstärkt.
In aller Regel gibt es jedoch keinen durchsetzbaren
Handlungszwang, sondern Handlungsaufträge. So er-
öffnet auch internationales Recht - die Konventionen
gegen Rassismus (CERD), für Rechte der Frauen (CE-
DAW), der Kinder (CRC) oder bezüglich Behinderungen
(CRDP) - ebenso wie die EU gerade bei Positiven Maß-
nahmen für Staaten lediglich Spielräume. Menschen-
rechtsverträge fordern allerdings Rechenschaft und
enthalten Selbstverpflichtungen, auf die sich durchaus –
politisch und anlässlich der Berichterstattungsverfahren
vor den Ausschüssen der Vereinten Nationen – Bezug
nehmen lässt. Im Bereich Behinderung tut der Gesetz-
geber auch Einiges, nicht zuletzt auf Druck einer star-
ken Lobby. Das Bundesverfassungsgericht hat schließ-
lich aus dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3
S. 1 GG schon vor 1994 auch herausgelesen, dass der
Staat durchaus zugunsten der Gleichstellung wirken
darf6. Doch wie soll das konkret aussehen, wo jetzt § 5
AGG Positive Maßnahmen erlaubt?
Hürden aus dem Weg räumen und das Aufstellen weiterer Barrieren verhindern soll.
6 Wichtige Entscheidungen des BVerfG behandelten die Wit-wenrente und dann das Nachtarbeitsverbot gegen Frauen; ausführlich dazu Ute Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung (2. Aufl. (mit Nachtrag) Baden-Baden 1996). Für Anregungen zu dieser Argumentation danke ich Nora Markard.
Ein Problem: Gruppismus
Die Regeln zu Positiven Maßnahmen sind erfreulich,
aber auch aus einer gleichstellungsorientierten Per-
spektive heraus problematisch. In der Begründung zum
Gesetzesentwurf der Bundesregierung heißt es, man
wolle „gezielte Maßnahmen zur Förderung bisher be-
nachteiligter Gruppen nicht nur durch den Gesetzgeber
(wie etwa im Gesetz zur Gleichstellung behinderter
Menschen und im Gesetz zur Gleichstellung von Frau-
en und Männern), sondern auch durch Arbeitgeber,
Tarifvertrags- und Betriebspartner sowie seitens der
Parteien eines privatrechtlichen Vertrags― ermöglichen.
Hier wird also anerkannt, dass aktive Politik benötigt
wird, um Gleichstellung zu erreichen, nicht nur passive
Verbote. Aber im Detail irritiert es, dass der Gesetzge-
ber auf „Gruppen― Bezug nimmt. Wer soll das sein?
Die Rede von „benachteiligten Gruppen― ist sehr geläu-
fig. Die Politik orientiert sich dann an Zielgruppen, Men-
schen fühlen sich einer Gruppe zugehörig und Debatten
beziehen sich auf Gruppen: „die Frauen―, „die Migran-
ten―, „die Behinderten―, usw. Individuell mag es auch
wichtig sein, sich irgendwo sozial zu Hause zu fühlen,
ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, ge-
meinsam auch politisch zu handeln. Die Gruppe scheint
jedoch auch zentral, wenn Diskriminierung als Phobie
beschrieben wird: Homophobie, Ausländerfeindlichkeit
und Fremdenangst. Dann werden Ungleichheiten psy-
chologisiert, anstatt jedenfalls auch Strukturen ernst zu
nehmen. Zudem konzentriert sich eine solche Sicht auf
TäterInnen. So schreibt auch die Bundesregierung in
der Begründung zum AGG, Ziel sei ein „möglichst lü-
ckenloser Schutz vor ethnisch motivierter Benachteili-
gung―. Es geht aber in erster Linie nicht um Motive der
Benachteiligenden, sondern um Nachteile Diskriminier-
ter. Gleichstellungsrecht darf sich nach der insofern
überzeugenden europäischen Rechtsprechung deshalb
auch gerade nicht an Motiven oder Beweggründen
orientieren, also auch keinen Vorsatz verlangen, um
Diskriminierung ahnden zu können. Die Rede von „Mo-
tivation― verweist ebenso wie die Diskussion um hate
crimes, also um eine Strafverschärfung wegen diskrimi-
nierender „Gesinnung―, auf eine tief verwurzelte und
höchst problematische Gewohnheit, Diskriminierung als
ausnahmsweise problematisches Denken und als Aus-
druck einer kollektiven Psyche in Reaktion auf konstru-
ierte Kollektive zu sehen.
In Diskussionen um Positive Maßnahmen ist es eben-
falls ganz üblich, von Gruppen zu sprechen, die als
Benachteiligte jetzt endlich gefördert werden sollen. Es
13 DOSSIER Positive Maßnahmen
ist jedoch auch hier falsch, weil es politisch und juris-
tisch gefährlich ist, sich auf Gruppen zu beziehen. Noch
schärfer formuliert: Der Bezug auf Gruppen und Grup-
penrechte ist keine Lösung, sondern ein zentrales Prob-
lem von Recht gegen Diskriminierung: rechtlicher
Gruppismus. Warum?
Gruppenrechte essentialisieren Differenz und Ungleich-
heiten. Wer Menschen in Gruppen einteilt, reduziert sie
auf ein Merkmal oder eine Eigenschaft, die eine Gruppe
definieren, homogenisiert also Menschen, die Einiges,
aber nie alles gemeinsam haben. Wer sich an Gruppen
orientiert, tendiert dazu, kollektive Identitätskonzepte
als Identitätspolitiken zu verfestigen. Das begünstigt
elitäre Repräsentationspolitiken, denn in Gruppen spre-
chen dann leaders für andere, mit denen nicht selbst
gesprochen werden muss. Und genau das ist ein zent-
raler Faktor nationalistischer Politiken, die Rogers Bru-
baker7 in seiner Kritik des politischen Gruppismus ana-
lysiert hat; es ist auch ein wesentlicher Aspekt multikul-
tureller Politik, die Anne Phillipps in ihrem Plädoyer für
„Multikulturalismus ohne Kultur―8 kritisiert. Ein Beispiel
für die Probleme gruppistischer Politiken ist die von der
Bundesregierung initiierte Islamkonferenz, in der von
Anfang an umstritten ist, wer da für wen sprechen darf.
Ein weiteres Beispiel ist aber auch dem AGG selbst
eigen, da es für bestimmte Gruppen, nämlich für Religi-
onsgemeinschaften, kollektive Privilegien sichert, die
diesen selbst wieder ermöglichen, andere zu diskrimi-
nieren.9 Dieses Problem, mit dem Bezug auf Gruppen
auch elitäre Fürsprache für diese zu fördern und die
Individuen in den Gruppen zu ignorieren, ist ein Prob-
lem aller Minderheitenrechte. Hier taucht ein rechtlicher
Gruppismus auf, ein legal groupism, der meines Erach-
tens die Ziele von Gleichstellungsrecht konterkariert.
7 Rogers Brubaker, Ethnizität ohne Gruppen, Hamburg 2007.
8 Anne Phillips, Multiculturalism without Culture, Woodstock 2007.
9 Hinsichtlich des Glaubens erlaubt das AGG Differenzierun-gen bei Maßnahmen der Religionsgemeinschaften, wenn dies „eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt―, und zwar für „eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses … im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit― (§ 9 Abs. 1) oder aber, wenn Loyalität im Sinne des Selbst-verständnisses verlangt wird (§ 9 Abs.2). Hier dürfen Religi-onsgemeinschaften – aber nur diese, nicht Weltanschau-ungsgemeinschaften – die eigenen Leute fördern. Es ist um-stritten, inwieweit sie aber auch andere ausgrenzen dürfen, also diejenigen, die den Glauben teilen, aber hinsichtlich ei-nes anderen Merkmals nicht passen, also schwule Männer in der katholischen Kirche oder Frauen in religiösen Positionen zahlreicher Glaubensgemeinschaften. Viele gehen davon aus, dass Religion hier alle anderen Toleranzgebote über-spiele. Ich halte das für höchst problematisch. Auch hier wirkt sich das Problem des Gruppismus aus, denn die Rechte des Kollektivs dienen dazu, die Rechte des (gläubigen) Indivi-duums, selbstbestimmt zu leben, zu verletzen.
Dieser Gruppismus widerspricht auch der Tradition der
Grund- und Menschenrechte. Den Menschenrechten
und auch den deutschen Grundrechten einschließlich
des Rechts auf Gleichheit in Art. 3 GG liegt kein Kollek-
tivismus, sondern ein normativer Individualismus zu-
grunde. Mehr noch: Die Grund- und Menschenrechte
richten sich historisch gerade gegen Politiken, in denen
Individuen verfolgt und ausgegrenzt worden sind, weil
sie einer Gruppe zugerechnet wurden, die als minder-
wertig galt. Der Antisemitismus lebt davon ebenso wie
jeder andere Rassismus. Auch Sexismus lässt sich so
verstehen: „Die Frauen― werden diskriminiert, indem sie
auf eine bestimmte Variante von Weiblichkeit reduziert
werden, und Menschen werden benachteiligt, wenn und
soweit eine bestimmte Norm des Sexuellen für alle gilt,
derzufolge dann die eine Gruppe heterosexuell normge-
treu lebt und die andere Gruppe homosexuell abweicht.
Das meint eine Kritik an „Heteronormativität―, die sich
mit „queeren― Interventionen in Geschlechtertheorien
entwickelt hat. Grund- und Menschenrechte waren und
sind zudem gerade ein „Nie wieder― zum Holocaust, zur
Sklaverei und deren Varianten im Kolonialismus, zu
jeder Form von Rassismus, auch zur sexuellen Diskri-
minierung. Grund- und Menschenrechte lassen sich
also insgesamt ebenso wie das Antidiskriminierungs-
recht als Normen verstehen, mit denen kritisiert wird,
wenn Menschen ihre Individualität abgesprochen wird,
indem sie auf Gruppen reduziert werden.
Das Problem des Gruppismus verschwindet nun auch
nicht, wenn er gut gemeint ist. Vielmehr ist Gruppismus
sogar problematisch, wenn eine Gruppe in guter Ab-
sicht konstruiert und gefördert wird. Wer Fördermaß-
nahmen als Gruppenrechte konstruiert, beteiligt sich auf
gewisse Weise auch daran, Identitäten aufzuzwingen.
Das ist als Dilemma der Differenz10
beschrieben wor-
den. Es bedeutet jedoch nicht, dass Förderung un-
denkbar wäre. Es bedeutet schon gar nicht, dass nach
langjähriger Diskriminierung z.B. durch Segregation,
also Trennung in unterschiedliche Lebensbereiche,
nicht dringend auch Maßnahmen gefragt sind. Dann
geht es jedoch nicht darum, Menschen zu „integrieren―,
sondern eher darum, Menschen partizipieren zu lassen.
Es geht nicht darum, der Gruppe zu sagen, was gut für
10
Vgl. grds. Baer, Dilemmata im Recht und Gleichheit als Hierarchisierungsverbot - Der Abschied von Thelma und Louise, Kriminologisches Journal (4)1996, S. 242. Zu den Debatten um Quoten in einigen westdeutschen Frauenpro-jekten in den 1980er Jahren Dagmar Schultz, Whiteness – ein persönliches Zeugnis, in: Mythen, Maske, Subjekte (Eg-gers, Kilomba, Piesche, Arndt, Hrsg., Münster 2005), S. 525. Zur weiterhin einschlägigen Diskussion um Gleichheit und Differenz Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzwei-se, Sulzbach / Taunus 1995.
DOSSIER Positive Maßnahmen 14
sie ist, sondern es muss darum gehen, Einzelnen zu
ermöglichen, zu entscheiden, was gut für sie ist. Prob-
lematisch ist es also, wenn ein zentrales Problem wie-
derholt wird, um es zu lösen; produktiv wird es, wenn
ein Problem benannt, aber nicht normiert wird, um es
zu beseitigen. Gibt es also auch, wie ich sie nennen
würde, postkategoriale Gleichstellungsmaßnahmen,
also Politiken und Argumente, die insbesondere den
rechtlichen Gruppismus hinter sich lassen?
Ein weiteres Problem: Symmetrie
Bevor wir uns dieser Möglichkeit zuwenden, müssen wir
einige weitere Probleme der gängigen Deutungen von
Positiven Maßnahmen lösen. Ein Problem liegt in einer
symmetrischen Weltsicht, die wie der Gruppismus sehr
geläufig ist. Danach sind Menschen grundsätzlich
gleichberechtigt und nur ausnahmsweise diskriminiert;
die Symmetrie ist also die Regel, die Asymmetrie die
Ausnahme. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll bei
der Interpretation von § 5 AGG daher ein objektiver
Maßstab gelten und es soll eine „Abwägung mit
Rechtspositionen der von ihnen negativ Betroffenen―
stattfinden. Stehen also die Positionen der Diskriminier-
ten ganz symmetrisch neben denen der Privilegierten?
Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes (EuGH) heißt es, dass ein „absoluter
Vorrang der zu fördernden Gruppe― nicht zulässig ist11
.
Hat das irgendwer gefordert – oder sind das eher Fan-
tasien und Unterstellungen, die hier prägen?
In der Sache gibt die europäische Rechtsprechung vor,
in jedem Einzelfall einer Fördermaßnahme darauf zu
achten, dass niemand ungerecht behandelt wird, und
zwar auch nicht der- oder diejenige, der/die angesichts
einer Fördermaßnahme zugunsten Benachteiligter zu-
rückstehen muss.12
Von „absolut― kann also keine Rede
sein. Zum AGG heißt es in der Begründung weiter, „aus
sonstigen Gründen erlaubte Bevorzugungen― seien
11
EuGH Rs. C-450/93 vom 17. Oktober 1995 – Kalanke. Auf die Entscheidungen in den Fällen Marschall und Badeck wird meist nicht verwiesen, die in der Sache interessanter sind; danach sind Fördermaßnahmen zulässig, solange die Einzelfallgerechtigkeit gewahrt ist; im Rahmen von be-reichsspezifischen Plänen sind feste Quoten zulässig, wenn der Staat sie für Ausbildungsplätze vorsieht, auf die er kein Monopol hat.
12 Der EuGH betont in der Rechtsprechung zu Positiven Maß-nahmen, dass dabei auch durch die Hintertür – bei der Be-trachtung der Einzelfallgerechtigkeit – keine diskriminieren-den Argumente benutzt werden dürfen. So ist es unzulässig, einen Mann entgegen einer Vorgabe der Frauenförderung einzustellen, nur weil er Alleinernährer ist, weil dieses Krite-rium mittelbar ungleiche Geschlechterverhältnisse zemen-tiert und sich zu Lasten von Frauen auswirkt, also selbst diskriminiert.
„durch die Vorschrift nicht berührt―, wie z.B. der Vater-
schaftsurlaub. Es kann durchaus irritieren, warum in
Deutschland gerade dieses Beispiel genannt wird. Wem
müssen hier welche Ängste genommen werden? Män-
nern, die meinen, zu kurz zu kommen? Handelt es sich
nicht gerade bei den Regeln zur Elternzeit um Versu-
che, rechtlich gegen Diskriminierung, nämlich gegen
Stereotype und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
vorzugehen? Hier wird jedenfalls suggeriert, dass auch
weithin Privilegierte – hier: Männer - von Maßnahmen
gegen Diskriminierung mit profitieren werden.
Zudem spricht die Begründung zum AGG von „Bevor-
zugung―. Damit fällt der Begründungstext in eine Rheto-
rik zurück, die durch das AGG mit seinem § 1 überwun-
den werden sollte, der sich doch gerade ausdrücklich
gegen Benachteiligungen wendet. Hier handelt es sich
ebenfalls um einen Rückfall in die symmetrische und
politisch konservative Vorstellung, Gleichstellungsrecht
sei Recht gegen unsachliche Unterschiede – mal für die
Einen, mal für die Anderen. Es ist eine blinde, eine
unhistorische Vorstellung – als ginge es bei Sexismus
mal um Frauen, mal um Männer, bei Rassismus mal
um Schwarze, mal um Weiße usw. – und nicht etwa um
tradierte, verfestigte, in Strukturen manifeste Benachtei-
ligungen, die nicht automatisch oder immer, aber im
sogar empirisch nachweisbaren Regelfall „die Anderen―
treffen, also hierzulande: Frauen, MigrantInnen, Nicht-
christlich Gläubige, Alte und Kinder, Behinderte etc.
Eine symmetrische – oder formale – Vorstellung von
Gleichstellungsrecht geht davon aus, dass eigentlich
alle gleiche Chancen haben, einige nur ausnahmsweise
benachteiligt und einige dann ebenso ausnahmsweise
bevorzugt werden sollten.
Eine solche Sichtweise entspricht schlicht nicht der
gesellschaftlichen Realität, die von zahlreichen Mustern
der Ungleichheit durchzogen ist. Sie ignoriert den Kern
von Diskriminierung – die ungleiche Verteilung von
Chancen, Ressourcen und Anerkennung, die eben
nicht willkürlich oder gar zufällig, sondern historisch
gewachsen tief in gesellschaftliche Strukturen einge-
schrieben ist. Sie sichern Privilegien der Normalität. Es
handelt sich also um eine symmetrische Illusion.
Diese Illusion hat auch mehrere problematische Folgen.
Sie führt dazu, dass Positive Maßnahmen auch für
diejenigen diskutiert werden, die hinsichtlich der Merk-
male, die eigentlich Benachteiligung indizieren, eher
profitieren, also eben auf der Seite der Privilegien ste-
hen. Dann erscheint entgegen aller Befunde zu sozia-
len Ungleichheiten plausibel, dass Menschen gefördert
15 DOSSIER Positive Maßnahmen
werden, die eine Merkmalsdividende erhalten, die also
von einer strukturellen Ungleichheit eher profitieren.
Connell hat das mit Blick auf Männer als „patriarchale
Dividende― beschrieben13
. Deren Auszahlung lässt sich
beobachten, wenn Männer gefördert werden sollen,
obwohl sie regelmäßig in der Erwerbsarbeit auch we-
gen des Geschlechts mehr Zugang, mehr Verdienst,
mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung haben als
die meisten Frauen, oder wenn Frauenförderung aus-
schließlich Menschen zugute kommt, die der Mittel-
oder Oberschicht angehören, heterosexuell in einer
Normpartnerschaft leben, nicht behindert sind usw. In
Deutschland gibt es solche Diskussionen über Förder-
maßnahmen für GrundschullehrerInnen. Diese sind
nicht völlig deplatziert. Wichtig wäre es jedoch, über die
Abwertung von Berufen zu sprechen, in denen bislang
überwiegend Frauen tätig sind, und über die Abwertung
der Tätigkeiten, die den Dingen nahe sind, die kulturell
Frauen zugewiesen werden, also Fürsorge und frühe
Erziehung. Desgleichen lohnt sich eine Debatte über
Vorstellungen, pädagogisch Abschied von „männlichen
Vorbildern― alten Zuschnitts oder von sexistischer Diffe-
renzierung zwischen Mädchen und Jungen zu nehmen.
In Deutschland sind pauschalere Forderungen, „Deut-
sche― oder „Weiße― zu fördern, lange nur bei Rechtsra-
dikalen formuliert worden. Doch gibt es durchaus be-
reits Verhältnisse, wo Positive Maßnahmen denen
dienen sollen, die in einer Gesellschaft, die sich im
Anschluss an Rommelspacher14
als Weiße Dominanz-
kultur beschreiben lässt, durchweg profitieren. Ein Bei-
spiel sind die Hochschulen in Kalifornien in den USA;
ein anderes Beispiel deutet sich in der deutschen De-
batte um die Ausgrenzung deutscher Kinder auf groß-
städtischen Schulhöfen an. Zudem gibt es ein Beispiel
für solche Politiken auch im AGG. Dort folgt das AGG
selbst der symmetrischen Illusion. Nach § 19 Abs. 3
AGG darf „im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung
sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener
Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftli-
cher, sozialer und kultureller Verhältnisse― bei der Ver-
mietung von Wohnungen aufgrund von „Rasse― oder
Ethnizität differenziert werden. Gemeint sind Entwick-
lungen, in denen Wohngebiete „kippen―, sich also die
demografischen Verhältnisse so ändern, dass die
Wohnqualität massiv abgewertet wird. Das AGG kon-
struiert Maßnahmen gegen dieses „Kippen― implizit als
13
Robert Connell, Der gemachte Mann, Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1999.
14 Birgit Rommelspacher, Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht, Berlin 1995.
Positive Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt. Kon-
kret handelt es sich aber regelmäßig um Ausgrenzung
der „Anderen― aus Weißen und für bestimmte soziale
Schichten gedachten Räumen. Auch hier zeigt sich:
Wer Unterschiede sät, kann Diskriminierung ernten.15
Gesellschaften sind nicht symmetrisch, sondern durch
Strukturen und individuelle Erfahrungen der Ungleich-
heit geprägt. Wer Regeln symmetrisch fasst, konstruiert
Wirklichkeit aus der Sicht derer, die privilegiert sind,
deren Leben nicht auch durch Diskriminierung geprägt
ist. Dann werden Unterschiede behauptet, wo Benach-
teiligung vorliegt, oder, nach Catharine MacKinnon: Das
fixiert symmetrische Differenz und bekämpft nicht
asymmetrische Dominanz.16
Es werden – im Anschluss
an Guayatri Spivak17
- Erfahrungen der Subalterne
ausgeblendet. Es wird Differenz oder auch Diversität
gesagt, wo über Rassismus, Sexismus etc. gesprochen
werden sollte. Die symmetrische Illusion verhindert es
nicht zuletzt, auch schmerzliche Gespräche zu führen,
aber sie tut damit, vereinfacht formuliert, nur Einigen
weniger weh.
Noch ein Problem: Subtilisierung
Schließlich gibt es noch ein weiteres Problem der „Quo-
ten―. Positive Maßnahmen wecken Hoffnungen, die sich
ohne weiteres nicht erfüllen können. Vielmehr zeigen
die Erfahrungen mit den seit Jahrzehnten etablierten
Regeln gegen Sexismus jedenfalls im Öffentlichen
Dienst, dass Förderregeln auch dazu führen, Diskrimi-
nierung besser zu verstecken, Benachteiligung also
subtiler werden zu lassen. Das lässt sich als
Subtilisierung bezeichnen: Wenn eine Förderregel gilt,
wird nach unauffälligeren Dingen als zuvor gesucht, um
weiter zu machen wie bisher. Da, wo es bislang in
Deutschland rechtlich zwingend qualifikationsabhängige
Quoten gibt, werden dann eben ungleiche Qualifikatio-
nen festgestellt, um die Quote nie zur Anwendung zu
15
Problematisch ist auch die Möglichkeit zur „Unterscheidung― bei familien- und erbrechtlichen Schuldverhältnissen (§ 19 Abs. 4), die regelmäßig Privilegierte fördern wird. So ist eine private Erbentscheidung zugunsten merkmalsbestimmter Menschen ebenso erlaubt wie bei zivilrechtlichen Schuld-verhältnissen, „bei denen ein besonderes Nähe- oder Ver-trauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen be-gründet wird―, insbesondere bei Vermietung auf demselben Grundstück und bei Vermietungen von weniger als 50 Woh-nungen (§ 19 Abs. 5), um die Privatsphäre zu schützen.
16 Catharine A. MacKinnon, Gleichheit der Geschlechter - Über Differenz und Dominanz, in Erna Appelt / Gerda Neyer: Fe-ministische Politikwissenschaft, Wien 1994, S. 7-71.
17 Gayatri Spivak, Can the subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, (Übers. v. Alexander Joskowicz, Stefan Nowotny, mit einer Einleitung von Hito Steyerl), Wien 2007.
DOSSIER Positive Maßnahmen 16
bringen. Oder es werden in Bewerbungsverfahren ge-
rade diejenigen nicht in die engere Wahl gezogen, die
tatsächlich konkurrieren und dann von Positiven Maß-
nahmen profitieren würden, um der Vorgabe insgesamt
auszuweichen. Oder es werden Positionen ad
personam besetzt, also insgesamt ohne Verfahren, um
erst gar keine Diskussion führen zu müssen. Dann
verschiebt eine Quote die Vorurteile und eben auch die
handfesten Benachteiligungen, anstatt ihnen entgegen
zu treten.
Sinnvoller ist es, genau zu diskutieren, was wo zu wel-
chem Zweck genau „Qualifikation― bedeutet. Die Berli-
ner Polizei hat – so Polizeipräsident Glietsch auf der
Veranstaltung des Antidiskriminierungsnetzwerkes
Berlin (ADNB) des Türkischen Bundes in Berlin-
Brandenburg (TBB) 2009 - u.a. ihre Assessments um-
gestellt, also überprüft, inwiefern Auswahlkriterien mit-
telbar dazu führen, MigrantIinnen aus der Polizei aus-
zugrenzen. Dazu gehört folgende Formulierung zu
Stellenausschreibungen: „Die Berliner Polizei, die als
Hauptstadtpolizei bei ihrer Aufgabenerfüllung den viel-
fältigen Anforderungen einer multikulturellen Metropole
Rechnung zu tragen hat, ist besonders an Bewerbern
interessiert, die über - möglichst muttersprachliche -
Fremdsprachenkenntnisse verfügen, insbesondere
Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Italie-
nisch, Kroatisch, Polnisch, Russisch, Serbisch, Spa-
nisch, Tschechisch, Türkisch oder Vietnamesisch.― Das
fördert zumindest im Ansatz Vielfalt ohne Gruppismus,
ohne Symmetrie, ohne Subtilisierung.
Essentialismus
Mit dem Bezug auf scheinbar klar bestimmbare Grup-
pen wird also eine Minderheit, eine Subalterne, werden
die Anderen als solche konstruiert und zementiert. Ein
Merkmal, eine Eigenschaft und eine Erfahrung werden
zu einem bestimmenden Aspekt kollektiver Identität.
Das ist eben unproblematisch, wenn sich Menschen zu
Zeiten selbst für eine geteilte Identität und Zugehörig-
keit entscheiden, weil dies dann immer wieder auch
verändert werden kann. Nichts spricht dagegen, sich
heute „als Frau― oder „als Mann― oder „als Christin― oder
„als Muslim― oder „als Behinderte― oder auch „als Wohl-
habende― etc. zu fühlen, zu geben und zu engagieren.
Es ist aber etwas ganz anderes, darauf staatlich, juris-
tisch festgelegt zu werden.
Wer Menschen bezogen auf bestimmte Merkmale för-
dert, festigt genau diese Merkmale auch als Stigma.
Eine „Frauenquote― ist deshalb ebenso problematisch
wie eine ethnische Quote, z.B. eine „Schwarzenquote―,
wie sie 2009 auf der Fashion-Week in Sao Paulo in
Brasilien für die Auswahl von Models in der Modebran-
che vorgeschlagen worden ist. Dies gilt nicht, weil es
sich um Positive Maßnahmen handelt, sondern weil und
soweit diese Maßnahmen Gruppen fixieren. Beide sind
gleichstellungsorientiert gemeint, wirken sich aber so
auch gleichstellungsfeindlich aus. Sie naturalisieren ein
Merkmal – Frau, schwarz – und bestätigen Alltagsste-
reotype („die brauchen das, weil sie es sonst nicht
schaffen―). Sie reduzieren Menschen auf ein Merkmal,
privilegieren das politisch und ignorieren andere Aspek-
te von Individualität. Wer Eine/n fördert, lässt auch
Andere außen vor. Es geht ja regelmäßig nicht darum,
schlicht Chancen zu eröffnen, sondern es geht um
konkrete Verteilungsentscheidungen mit begrenzten
Mitteln: Positive Maßnahmen für eine Stelle, einen
Ausbildungsplatz, ein Mandat. Solche „Quoten―, die
sich so an „Merkmalen― orientieren, müssen dann auch
Vorrangregeln haben: erst die Frauen, dann die Behin-
derten, dann der Migrationshintergrund? So spielen
Normen Menschen gegeneinander aus. Kurz: Wer
Differenzierung sät, wird auch Diskriminierung ernten,
und wer eine Differenzierung setzt, wird hierarchisierte
Ungleichheiten18
erzeugen.
Auch dieses Problem lässt sich an einer Regelung aus
dem AGG illustrieren: § 20. Dort werden hinsichtlich der
Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen
Identität oder des Geschlechts Unterschiede am Markt
zugelassen, wenn dafür ein sachlicher Grund vorliegt (§
20 Abs. 1). Als solche Gründe anerkennt das AGG
insbesondere die Vermeidung von Gefahren oder
Schäden, den Schutz der Intimsphäre oder der persön-
lichen Sicherheit, die erwähnte Selbstbestimmung von
Religionsgemeinschaften, sowie (Abs. 2) bestimmte
versicherungsmathematische Kalkulationen.
Ausdrücklich nennt der Gesetzgeber aber auch Maß-
nahmen, mit denen „besondere Vorteile gewährt― wer-
den, wenn „ein Interesse an der Durchsetzung der
Gleichbehandlung fehlt― (Nr. 3). Hier geht es also um
Fördermaßnahmen. Jedoch: die in § 1 AGG gelisteten
„Merkmale― „Rasse― und Ethnizität werden nicht ge-
nannt. Der Gesetzgeber hat an „Preisnachlässe oder
andere Sonderkonditionen bei der Anbahnung, Durch-
führung oder Beendigung von Massengeschäften―
gedacht, die niemanden benachteiligen. Was soll das
18
Dazu Baer, Ungleichheit der Gleichheiten? Zur Hierarchisie-rung von Diskriminierungsverboten, in: Universalität – Schutzmechanismen – Diskriminierungsverbote (Hg. v. Eckart Klein/Christoph Menke, Potsdam 2008), S. 421-450.
17 DOSSIER Positive Maßnahmen
sein? Ermäßigungen für alte oder junge Menschen bei
Eintrittspreisen? Benachteiligen diese tatsächlich nie-
manden, weil die Gesamtkalkulation stimmen muss?
Das AGG geht jedenfalls davon aus, dass solche Maß-
nahmen zulässig sind. Eine positive - und vielleicht
auch öffentlichkeitswirksame - Aktion, Benachteiligte
umsonst in die Theater zu lassen, ins Kino oder ins
Schwimmbad, wäre also rechtmäßig. Aber wäre es
nicht auch höchst problematisch, dann damit zu wer-
ben, dass endlich „Schwule, Schwarze und Behinderte,
Frauen und Lesben― usw. willkommen sind?
Jenseits des Dilemmas der Differenz?
Eine symmetrische und essentialisierende Vorstellung
von Positiven Maßnahmen birgt also insgesamt Prob-
leme. Es sind Probleme für jede Arbeit gegen Diskrimi-
nierung, aber es stellt sich ein spezifisches Problem im
Recht: das Dilemma der Differenz, das im rechtlichen
Gruppismus besonders ausgeprägt ist. Auch wer es gut
meint, nutzt ein Stigma. Wie also lässt sich „postkatego-
rial― gegen Diskriminierung arbeiten?
Wir müssen immer wieder diskutieren, was es bedeutet,
wenn das ADNB des TBB den Schwerpunkt auf „Arbeit
mit und für Menschen nicht-deutscher Herkunft und
People Of Colour― legt. Was genau wird da markiert, mit
welchen auch unbeabsichtigten Wirkungen? Klar ist,
dass Rassismus, also Merkmale wie Herkunft oder
Hautfarbe, ebenso wie andere Markierungen von Un-
gleichheiten nie isoliert von Geschlecht und sexueller
Identität, von Alter und Befähigung, von Glauben und
Weltanschauung und was sich sonst noch hierarchisie-
rend auswirkt, zu verstehen ist. Diskriminierung ist
immer mehrdimensional. Daher ist es sinnvoll, nicht von
MigrantIinnen, sondern von Menschen oder „people―
mit Migrationserfahrungen zu sprechen. Aber ist das
genug? Und wann ist die Orientierung auf „Nicht-
deutsch― angemessen? Was suggeriert die Kombinati-
on „Nicht-deutsch― und Colour? Wir müssen uns immer
wieder mit dem Zusammenwirken und der Mehrdimen-
sionalität, mit der Hierarchie der Ungleichheiten ebenso
wie mit der Angemessenheit der sprachlichen Bezeich-
nungen befassen, um Diskriminierung und die Arbeit
gegen Ungleichheiten mehrfach - intersektional, inter-
dependent – zu begreifen und gestalten zu können.
Hier liegen - zumindest für mein Nachdenken über
Positive Maßnahmen - die derzeit größten Probleme.
Es ist weder klar noch einfach, wie sich ohne erneute
Stigmatisierung und Essentialisierung und eingedenk
der Mehrdimensionalität, also eben „postkategorial―
juristisch eindeutig benennen ließe, auf wen sich Positi-
ve Maßnahmen konkret beziehen sollen. Das AGG
arbeitet mit „Merkmalen― wie „Rasse―19
und „Ethnizität―.
Das ADNB arbeitet für People of Colour und Menschen
mit Migrationshintergrund oder Nicht-Deutsche. Wird so
keine Gruppe markiert, sondern eine Wahrscheinlich-
keit benannt, benachteiligt zu werden? Konkrete Erfah-
rungen sind das eben nicht, denn diese sind nicht kol-
lektiv identisch. In der politischen Arbeit mag daher die
Markierung von Benachteiligungswahrscheinlichkeiten -
oft „Strukturen― genannt – wichtig sein. Für Regeln und
Maßnahmen trägt das aber eher nicht.
Was folgt daraus für die Arbeit gegen Diskriminierung?
Wie gelingt es, Menschen „positiv― zu adressieren,
ohne das Negative damit immer wieder festzuschrei-
ben? Wie wichtig sind da die Kontexte, muss sich also
eine Positive Maßnahme in Berlin auf andere Merkmale
beziehen als in, z.B., München? Muss sie sich in Schu-
len auf andere Menschen beziehen als im Lebensmittel-
Einzelhandel, eine Maßnahme in der Politik auf andere
Merkmale abstellen als eine Maßnahme im Sport?
Jede Regelung, die Positive Maßnahmen auf Merkmale
bezieht, wird die Zielgruppe oft zu weit und manchmal
zu eng fassen. Dann werden von der Maßnahme oft
diejenigen erfasst, die es auch ohne sie schaffen wür-
19
Das wird als Problem gesehen. Im Entwurf der Bundesre-gierung BT-Drs. 15/… S. 28 heißt es: „Die Verwendung des Begriffs der „Rasse― ist nicht unproblematisch―, unter Hin-weis auf Göksu, Rassendiskriminierung beim Vertragsab-schluss als Persönlichkeitsverletzung, Fribourg 2003, S. 8 ff. Doch wolle man, wieder im Einklang mit der EU, mit „Rasse― den sprachlichen Anknüpfungspunkt zu „Rassismus― „und die hiermit verbundene Signalwirkung – nämlich die konse-quente Bekämpfung rassistischer Tendenzen― – nutzen. In Übereinstimmung mit Erwägungsgrund 6 der RL 2000/43/EG weist der Gesetzgeber Theorien zurück, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschli-cher Rassen zu belegen: „Die Verwendung des Begriffs „Rasse― in der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG bedeutet keinesfalls eine Akzeptanz solcher Vorstellungen. Zur Klar-stellung wurde daher – auch in Anlehnung an den Wortlaut des Artikels 13 des EG-Vertrags – die Formulierung „aus Gründen der Rasse― und nicht die in Artikel 3 Abs. 3 GG verwandte Wendung „wegen seiner Rasse― gewählt. Sie soll deutlich machen, dass nicht das Gesetz das Vorhandensein verschiedener menschlicher „Rassen― voraussetzt, sondern dass derjenige, der sich rassistisch verhält, eben dies an-nimmt.― Dasselbe gelte für das Merkmal der „ethnischen Herkunft―. Es sei in einem weiten Sinne zu verstehen, EG-rechtlich auszulegen und umfasse auch Kriterien, wie sie das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) vom 7. März 1966 (BGBl. 1969 II S. 961) nennt: Benachteiligungen auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, des nationalen Ursprungs oder des Volkstums (im Sinne des ethnischen Ursprungs). Dies gilt auch dann, wenn scheinbar auf die Staatsangehörigkeit oder Religion abgestellt wird, in der Sa-che aber die ethnische Zugehörigkeit gemeint ist.
DOSSIER Positive Maßnahmen 18
den. Frauenförderung hat die Tendenz, gerade die
Frauen zu fördern, die ansonsten eher privilegiert sind.
Männerförderung lässt schwule oder behinderte Män-
ner tendenziell außen vor. Und die Förderung von Men-
schen muslimischen Glaubens privilegiert tendenziell
Männer und zeigt einen konservativen Drall. Merkmals-
bezogene Positive Maßnahmen normieren, zementie-
ren, essentialisieren und aktivieren Stereotype, und das
in institutionell vermachteten Zusammenhängen.
Wie sollen wir also nennen, was auch juristisch wahr-
genommen, kompetent adressiert und was bekämpft
werden soll? Warum nicht Recht - und damit auch
Maßnahmen - gegen Rassismus, und damit, allgemei-
ner: postkategoriales Antidiskriminierungsrecht? Warum
nicht Recht gegen Sexismus, und damit Recht für all
die Männer und Frauen und Intersexuellen, die von
einer rigiden Zweigeschlechtlichkeit nachteilig betroffen
sind? Warum nicht Recht gegen jede Orientierung am
biochronologischen Alter, damit also für alle, die gern
nach genaueren Kriterien als dem Geburtsjahrgang
beurteilt werden? Das AGG erlaubt derzeit eine unter-
schiedliche Behandlung hinsichtlich des Alters, wenn
eine Maßnahme „objektiv und angemessen und durch
ein legitimes Ziel gerechtfertigt― sowie „angemessen
und erforderlich― ist (§ 10). Danach dürfen Arbeitgebe-
rInnen also Menschen eines bestimmten Alters fördern,
um die Personalstruktur zu diversifizieren. Das ist eine
Positive Maßnahme. Aber ist es überhaupt je sinnvoll,
an ein biografisches Lebensalter anzuknüpfen? Sollten
wir uns nicht eher an Fähigkeiten und Einschränkungen
orientieren? Es ist mehr als fraglich, ob normierte Un-
terschiede jemals „positiv― wirken können. Gibt es eine
Maßnahme zu Geschlecht, die nicht sexistisch wirkt, zu
sexueller Orientierung, die nicht im heteronormativen
Muster steht, zu „Rasse―, die nicht Rassismus ist? Ich
bezweifle das.
Konsequenzen? Breiter diskutieren!
Juristisch signalisiert also sogar die an sich erfreuliche
Möglichkeit, aktiv gegen Diskriminierung vorzugehen,
die § 5 AGG mit den Positiven Maßnahmen regelt,
einige Schwierigkeiten. Der deutsche Gesetzgeber sagt
deutlich, dass Positive Maßnahmen grundsätzlich zu-
lässig sind, und europarechtlich ist klar, dass sie zuläs-
sig sind, wenn sie niemanden automatisch fördern, den
Einzelfall ausreichend beachten und verhältnismäßig
ausfallen.20
Dasselbe statuiert mit Blick auf rassistisch
20
Die rechtlichen Vorgaben sind für die Frauenförderung mittlerweile sehr differenziert und auf alle anderen „Merkma-le― übertragbar. Sie ergeben sich aus der Rechtsprechung
markierte Menschen auch Art. 2 Abs. 2 der Antirassis-
mus-Konvention der Vereinten Nationen (CERD), die
Deutschland seit langem ratifiziert hat. Das AGG er-
laubt Fördermaßnahmen, jedenfalls unter bestimmten
Bedingungen und auch für rassistisch Benachteiligte.
Die Ambivalenz bleibt, solange es mit „Merkmalen―
arbeitet, gruppistisches Denken begünstigt und „Unter-
scheidungen― zulässt, also einer symmetrischen Illusion
folgt. Die Diskussion um Positive Maßnahmen muss
sich daher sehr intensiv mit der Frage befassen, für
wen genau da was genau getan werden soll.
Insbesondere bietet es sich an, Positive Maßnahmen
nicht mehr so eng zu fassen wie bisher. „Positive―
Maßnahmen sind doch eigentlich all jene, die darauf
zielen, zur Gleichstellung und Vielfalt ohne Ausgren-
zung beizutragen. Sie sind „positiv―, weil und wenn sie
einen Beitrag zum übergeordneten Ziel darstellen,
Diskriminierung zu beenden. Die deutsche, bis zur
Klärung auf europäischer Ebene sehr kontroverse und
öffentlich fast nur hinsichtlich der geschlechtsbezoge-
nen Ungleichheit geführte Debatte wurde demgegen-
über weithin auf eine ganz bestimmte Positive Maß-
nahme verkürzt, auf „die― Frauenförderung. Diese wur-
de dann in meist feindseliger Absicht auch noch auf
eine scheinbar formalmathematische Formel gebracht,
die tendenziell immer ungerechte, mechanistisch klin-
gende „Quote―. Bei Positiven Maßnahmen geht es
jedoch um weit mehr.
Radikaler gesagt: Es ist meines Erachtens unsinnig,
Positive Maßnahmen eng zu fassen und von anderen –
von welchen eigentlich: negativen Maßnahmen? - ab-
zugrenzen. Ob ich Diskriminierung verbiete oder einen
Menschen direkt fördere – entscheidend ist, bei wem,
wann und wo eine Maßnahme ansetzt, wenn denn
beides der Gleichstellung dient. Sinnvoll ist es dann
wohl, zeitlich zu differenzieren: Nachträgliche Maßnah-
men - Beschwerden und Klagen, Schadensersatz für
Verletzungen, Unterlassensanordnungen für die Zu-
kunft – sind anders zu beurteilen als vorgängige Maß-
nahmen - präventive Aufklärung usw. Produktiv scheint
mir auch zu fragen, wo, bei wem und wie genau Maß-
nahmen ansetzen. Hier wäre die Orientierung an drei
Typen denkbar:
- Maßnahmen zur Ermächtigung Benachteiligter
(Empowerment),
des EuGH und finden im gesamten Gleichstellungsrecht Anwendung. Informationen finden sich u.a. bei www.stop-discrimination.info/1231.0.html.
19 DOSSIER Positive Maßnahmen
- Maßnahmen zur Gestaltung von Entscheidungen
(anti-bias, Antidiskriminierung i.e.S.), und
- Maßnahmen zur Gestaltung von Verhältnissen
(Pluralismus).
Empowerment
Ein erster Typ sind Maßnahmen zur Ermächtigung, das
Empowerment. Dies ist aus guten Gründen z.B. ein
Prinzip der Arbeit des ADNB im TBB. Es zielt darauf,
Menschen, die diskriminiert werden, also Benachteili-
gungen erfahren, zu stärken. Dazu gehört die „Förde-
rung― - aber eben die ermächtigende, nicht die paterna-
listische - z.B. eben des ADNB mit öffentlichen Geldern.
Das sind auch Maßnahmen zur Stärkung von Netzwer-
ken oder Vereinigungen. Und dazu gehören Bildungs-
und Qualifizierungsmaßnahmen. Sie setzen in erster
Linie direkt bei Benachteiligten an. Es können aber
auch Maßnahmen sein, die Privilegierte dazu bringen,
sich mit Diskriminierung auseinander zu setzen, um zu
verstehen, wie Benachteiligte ermächtigt werden kön-
nen und wollen.
Ermächtigungsmaßnahmen sind im Bereich der Er-
werbsarbeit ebenso sinnvoll wie in der Sozial- oder
Bildungspolitik, der Familien- oder Gesundheitspolitik,
der Infrastruktur- und Regionalpolitik – um nicht mehr
über Andere, sondern miteinander zu sprechen - let the
subaltern speak -, um Wirklichkeiten nicht als symmet-
rische, sondern auch als ungleiche Verhältnisse begrei-
fen zu können. Es handelt sich insofern um eine Quer-
schnittsaufgabe demokratischer Politik im aktivierenden
Gewährleistungsstaat.
Gestaltung von Entscheidungen
Der zweite Typ sind Maßnahmen zur Gestaltung von
Entscheidungen, also anti-bias, Antidiskriminierung im
engeren Sinne. Sie wenden sich direkt an Menschen
mit Entscheidungsmacht, um diese dazu zu bringen,
gerecht zu be/urteilen. Das zielt auf alle Menschen, die
Macht haben und (auch) so privilegiert sind. Entschei-
dungsbezogene Maßnahmen sind Verbote diskriminie-
render Entscheidungen mit Sanktionen (z.B. bei Aus-
wahl, Einstellung, Beförderung, aber auch Benotung
usw.), Trainings für Personalauswahl oder -beurteilung,
Aus- und Fortbildung für Lehrende, strategische und
fachliche Kompetenzentwicklung für Politik und Verwal-
tung usw.
Solche Maßnahmen sind für die Erwerbsarbeit wichtig -
Ausbildung, Einstellung, Beförderung, Kündigungs-
schutz -, was sich auch mit der Häufung dieses Lebens-
bereichs im Beschwerdebild des ADNB deckt. Aber
Entscheidungen werden auch in der Politik, im Ehren-
amt, in der Bildung usw. gefällt. Auch hier sind Maß-
nahmen gegen Vorurteile eine Querschnittsaufgabe.
Gestaltung von Verhältnissen
Der dritte Typ sind Maßnahmen zur Gestaltung von
Verhältnissen – andere würden sagen: „Strukturen― -
mit dem Ziel der Pluralität. Offiziell heißt das Ziel
„Gleichstellung― oder „Integration― oder „Diversität― bzw.
„Vielfalt― – aber Pluralität betont als Begriff nicht be-
stimmte Unterschiede, sondern verweist auf unzählige
Lebensentwürfe. Solche Maßnahmen zielen darauf,
bestimmte Ergebnisse abzusichern, also die Resultate
der Entscheidungen. Sie adressieren wieder Menschen
mit Entscheidungsmacht (und deshalb sind viele dieser
Versuche bislang nur sehr bedingt wirksam), wie die
Entscheidungsvorgaben, bei gleicher Qualifikation (oder
im öffentlichen Dienst: bei gleicher Eignung, Befähigung
und fachlicher Leistung) im Zweifel zugunsten der Un-
terrepräsentierten (eigentlich: Benachteiligter) zu ent-
scheiden und nicht mehr wie bislang im Zweifel zuguns-
ten der Passung ins Privileg (das ist „die Quote―).
Solche Gestaltungsmaßnahmen sind in der Erwerbsar-
beit wichtig und bekannt - deutlich für Schwerbehinder-
te, weiter kontrovers für Frauen, laut gefordert für Män-
ner, diskutiert für rassistisch benachteiligte Menschen,
Migrantinnen und auch Migranten, so und anders Be-
nachteiligte. Dann müssen sie qualifikationsabhängig
gestaltet werden. Solche Vorgaben können sich aber
auch auf Repräsentation oder Ressourcen beziehen.
Dann kommt es nicht immer auf Qualifikationen an.
Diese „Quoten― oder Vorgaben zu „Parität― richten sich
an Organisationen, z.B. im Rahmen der Vergabe öffent-
licher Gelder21
oder durch die Pflicht, Beschwerdestel-
len einzurichten. Weiter können sie Orte eröffnen, z.B.
durch die Überlassung von Räumen an Menschen, die
bislang dort keinen Ort haben. Weitere Beispiele sind
Quotierungen z.B. von Ausbildungsplätzen oder Vorga-
ben zur Zusammensetzung von Gremien und
Kandidaturlisten.
21
Vgl. dazu das im Auftrag der LADS Berlin im Jahr 2008 erstellte Gutachten von Susanne Baer und Ipek Ölcüm Dis-kriminierungsschutz im Rahmen der Öffentlichen Auftrags-vergabe. Online unter: http://www.berlin.de/imperia-/md/content/lb_ads/lads_gutachten_vergabe.pdf (Zugriff am 19.10.2010).
DOSSIER Positive Maßnahmen 20
Die Herausforderung: Passendes wählen
Die Herausforderung guter Antidiskriminierungspolitik
liegt darin, sich aus der Palette unterschiedlicher Positi-
ver Maßnahmen gegen Diskriminierung das Passende
heraus zu suchen. Dazu müssen wir wissen, was ge-
nau warum passt, und um das zu beurteilen, müssen
wir wissen, was wie wirkt, welche Vorteile mit sich
bringt und welche Nachteile erzeugt. Genau da lauern
auch die Probleme, die ich zu benennen versucht habe:
Fördermaßnahmen sind weithin und meist doppelge-
sichtig. Sie verfestigen im Zuge eines problematischen
Gruppismus oft, was individuell sehr unterschiedlich
erlebt wird. Sie sind mit dem Dilemma der Differenz
konfrontiert, mit dem symmetrischen Bezug auf Unter-
schiede, die doch eigentlich nicht mehr entscheidend
sein sollen, weil sie Benachteiligung bzw. Privilegierung
bedeuten. Recht ist eine wichtige Ressource, um gegen
Diskriminierung vorzugehen. Aber in den Foren des
Rechts und an den Orten juristischen Entscheidens –
also in Verwaltungen und anderen Trägern von Ho-
heitsgewalt und in Gerichten, aber auch in den vorgela-
gerten Stufen der Beratung und Verhandlungen – müs-
sen wir immer wieder klären, warum aus der Palette der
Positiven Maßnahmen was genau zulässig und auch
richtig sein soll.
Wir können und sollten nicht naiv fordern, was sich
dann kontraproduktiv auswirkt. Eine Hierarchie der
Ungleichheiten ist nicht akzeptabel. Wir müssen inten-
siv diskutieren, wozu Akteure gezwungen sein sollten,
oft weit jenseits von Quotierungsdiskussionen. Das
AGG zwingt bereits zum vorurteilsfreien, nicht diskrimi-
nierenden Handeln, es ermöglicht eine Ermächtigungs-
politik und es lässt unter bestimmten Bedingungen auch
Entscheidungs- und Zielvorgaben zu.22
22
Das gilt in der Erwerbsarbeit insofern ein Merkmal „wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufli-che Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.― (§ 8) Damit lassen sich Zielvorgaben sachlich rechtfertigen, also z.B. das multikultu-relle Team des ADNB für eben diese Arbeit. Nicht zulässig sind jedoch tätigskeitsunabhängige Vorgaben zur Chancen-gerechtigkeit in allen Lebensbereichen, also eine allgemeine Förderklausel nur um des Merkmals willen.
Genügt das für gute Maßnahmen gegen Rassismus,
die Benachteiligte ermächtigen, Entscheidungen verän-
dern, Verhältnisse gestalten? Wir suchen wirksame und
nicht durch die Hintertür wieder ausgrenzende Regeln
für Menschen gegen Diskriminierung. Der Gesetzgeber
könnte - im Bund und in den Ländern – noch deutlicher
und sollte auch schlauer werden. Die Fortentwicklung
des Rechts der Europäischen Union wird seitens der
deutschen Bundesregierung derzeit blockiert, weil man
ja schon sehr viel getan habe und Barrierefreiheit für
die Wirtschaft zu viel koste; hier muss also rechtspoli-
tisch interveniert werden.23
Solche Debatten werden mit
entscheiden, was dann auch rechtlich zu erreichen ist.
Susanne Baer ist Professorin für Öffentliches Recht
und Geschlechterstudien an der Humboldt Universität zu Berlin und Global Law Faculty an der University of Michigan Law School, USA. Sie arbeitet seit Jahren zu Antidiskriminierungsrecht, kritischer Rechtsforschung und vergleichendem Konstitutionalismus. Im November 2010 wurde sie zur Bundesverfassungsrichterin ernannt ..
23
Die Fortentwicklung läge in einer Harmonisierung des Schutzes hinsichtlich aller Merkmale für alle Anwendungs-bereiche, ungeachtet der Religion oder der Weltanschau-ung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Aus-richtung, KOM (2008), S. 426 endgültig, v. 2. Juli 2008.
21 DOSSIER Positive Maßnahmen
Alexander Klose
Mehr Verbindlichkeit wagen – Positive Pflichten zu Positiven Maßnahmen
Das individuell-reaktive Regelungsmodell
Das am 18. August 2006 in Kraft getretene Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verfolgt ein ehrgeizi-
ges Ziel. Nach § 1 AGG zielt das Gesetz darauf ab,
Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse― oder we-
gen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der
Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des
Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder
zu beseitigen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich der
Gesetzgeber in weiten Teilen für ein individuell-
reaktives Regelungsmodell entschieden. Reaktives
Recht antwortet auf Rechtsverstöße im Einzelfall, in-
dem individuelle Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der
Handlungspflichten geschaffen werden. So stehen den
Betroffenen bei Verletzung der in § 7 und § 19 AGG
statuierten Diskriminierungsverbote insbesondere Ent-
schädigungs- und Schadensersatzansprüche zu (§§ 15,
21 AGG).
Der Gesetzgeber geht also zum einen davon aus, dass
die Geschädigten im Anschluss an eine erlittene Dis-
kriminierung selbst die in den europäischen Richtlinien
vorgeschriebene Sanktionierung übernehmen, indem
sie Ansprüche erheben und ggf. vor den Gerichten
durchsetzen. Zum anderen vertraut er darauf, dass dies
bei den Sanktionierten (und denen, die befürchten
sanktioniert zu werden) dazu führt, dass sie diskriminie-
rendes Verhalten (in Zukunft) unterlassen.
Zweifel an der Wirksamkeit des AGG
Ob sich diese Annahmen des Gesetzgebers bewahrhei-
tet haben, ist bisher wissenschaftlich nicht hinreichend
untersucht. Gegen eine häufige Inanspruchnahme des
Gesetzes durch diskriminierte Personen spricht die
geringe Zahl der Gerichtsentscheidungen, in denen
Diskriminierungsfälle verhandelt werden. Dass dies
nicht auf eine hohe Befolgungsrate zurückzuführen ist,
lassen Diskriminierungserfahrungen vermuten, von
denen AnwältInnen, Antidiskriminierungsverbände und -
stellen, aber auch die Medien und Betroffene selbst
berichten.1 Stattdessen dürfte das geringe Ausmaß, in
1 Eine Umfrage im Rahmen des Forschungsprojekts „Realität der Diskriminierung in Deutschland – Vermutungen und Fak-ten― bei den erstinstanzlichen Arbeits-, Verwaltungs- und So-zialgerichten in sechs ausgewählten Bundesländern kam zu
dem Gerichte insbesondere im Bereich des Zivilrechts-
verkehrs, d.h. beim Zugang und der Versorgung mit
Gütern und Dienstleistungen,2 mit Diskriminierungskla-
gen befasst werden, auf die seltene Mobilisierung des
AGG zurückzuführen sein. So kam eine europaweite
Untersuchung zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt
82 Prozent der Personen, die Diskriminierungen erfah-
ren hatten, den letzten Vorfall (in einem Zeitraum von
12 Monaten) nicht bei irgendeiner Stelle meldeten.3
Die rechtssoziologische Forschung hat einiges über die
Faktoren in Erfahrung gebracht, von denen es abhängt,
ob ein Gesetz befolgt und in Anspruch genommen wird.
Dazu zählen insbesondere die Informiertheit über das
Gesetz, die erwarteten Vor- und Nachteile bei (Nicht-)
Befolgung bzw. (Nicht-) Inanspruchnahme und der
Grad der normativen Abweichung von den Zielen des
Gesetzes.4
Informiertheit
Während für die Befolgung des AGG die Kenntnisse
der darin enthaltenen Ge- und Verbote genügen, setzt
die Inanspruchnahme darüber hinaus Wissen und Fer-
tigkeiten voraus, die den „Zugang zum Recht― eröffnen.
Das AGG ist einer Mehrheit in der Bevölkerung unbe-
kannt (34 Prozent haben vom AGG schon einmal ge-
dem Ergebnis, dass seit Inkrafttreten des Gesetzes bis Ende 2009 1.113 Fälle mit Verbindung zum Gleichbehandlungs-recht verhandelt wurden. Dem stehen im gleichen Zeitraum knapp 500 in der JURIS-Datenbank veröffentlichte Entschei-dungen gegenüber. Die Ergebnisse des an der FU Berlin im Rahmen des PROGRESS-Programms der Europäischen Union durchgeführten Projekts werden demnächst bei Nomos veröffentlicht. Siehe: http://www.diskriminierung-in-deutschland.de/informationen_ueber_das_forschungsprojekt-/index.html (Zugriff am 17. 11.2010).
2 Ausführlich zu dieser Rechtsprechung: Franke, Das zivil-rechtliche Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleich-behandlungsgesetzes (AGG) in der Rechtsprechung, Neue Justiz 2010, S. 233-240.
3 European Union Agency for Fundamental Rights (Hrsg.), European Union Minorities and Discrimination Survey, De-zember 2009, in der Zusammenfassung S. 51ff.. Online un-ter: http://fra.europa.eu/fraWebsite/eu-midis/eumidis_main-_results_report_en.htm (Zugriff am 17,11.2010).
4 Ausführlich: Klose, Wie wirkt Antidiskriminierungsrecht?, in: Cottier/Estermann/Wrase (Hrsg.), Wie wirkt Recht? Baden-Baden: 2010, S. 331-351.
DOSSIER Positive Maßnahmen 22
hört, 15 Prozent sind sich nicht sicher).5 Auf die im
Rahmen des Eurobarometer gestellte Frage: „Kennen
Sie Ihre Rechte für den Fall, dass Sie Opfer von Dis-
kriminierung oder Belästigung sind?― antworteten in
Deutschland nur 26 Prozent mit „Ja― (dagegen 61 Pro-
zent in Finnland und 41 Prozent in Schweden und
Großbritannien).
Noch weniger weit verbreitet sind – zumindest unter in
Deutschland lebenden TürkInnen und Menschen aus
Ex-Jugoslawien – Kenntnisse von Organisationen, die
Hilfe für Diskriminierungsopfer anbieten (Kenntnisse
bejahen 25 Prozent der TürkInnen und 20 Prozent der
Ex-JugoslawInnen).6
Positive und negative Sanktionen
Ansprüche auf Ersatz des materiellen und immateriellen
Schadens sind zugleich Anreiz für die Inanspruchnah-
me und – aus Sicht des Anspruchsgegners – die Befol-
gung des Gesetzes. Trotz der Vorgaben des Europa-
rechts, wonach die Sanktionen „wirksam, verhältnismä-
ßig und abschreckend― sein müssen, zeigen sich insbe-
sondere deutsche Arbeitsgerichte, von denen ein Groß-
teil der AGG-Verfahren bearbeitet wird, traditionell
zurückhaltend bei Entschädigungszahlungen für Per-
sönlichkeitsverletzungen. Doch selbst die vor diesem
Hintergrund spektakulären 20.000,- Euro Entschädi-
gung, verbunden mit einem zeitlich unbegrenzten
Schadensersatz in Höhe der entgangenen Verdienstdif-
ferenz, die das Landesarbeitsgericht Berlin-
Brandenburg einer Frau zusprach, die wegen ihres
Geschlechts von der GEMA beim beruflichen Aufstieg
benachteiligt worden war,7 dürften bei größeren Unter-
nehmen nicht ausreichend sein, um eine abschrecken-
de Wirkung zu erzielen.8
5
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.), Diskriminie-rung im Alltag. Wahrnehmung von Diskriminierung und Anti-diskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft, Baden-Baden: 2008, S. 40. Online unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionADS/PDF-Anlagen/2009-04-02-schriftenreihe-band4,property=pdf,bereich=ads,sprache=de,rwb=true.pdf (Zugrifft am 17.11.2010).
6 European Union Agency for Fundamental Rights (Hrsg.), European Union Minorities and Discrimination Survey, S. 200 f., 224. Online unter: http://fra.europa.eu/fraWebsite/eu-midis/eumidis_main_results_report_en.htm (Zugriff am 17.11.2010).
7 Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg v. 26. November 11.2008, ArbuR 2009, S. 134 f.. Das Urteil wurde inzwischen aus beweisrechtlichen Gründen vom Bundesarbeitsgericht aufgehoben, Urteil v. 22. Juli 2010, Az.: 8 AZR 1012/08.
8 So nach rechtsökonomischer Analyse des Urteils, Frenzel, Zeitschrift für europäisches Sozia- und Arbeitsrecht 2010, S. 62, 67, der den zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Scha-densersatz zwar für eine Überkompensation des Schadens
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grad der erwar-
teten Sanktionierung neben der Schwere der Sanktion
auch von deren Wahrscheinlichkeit abhängt, die im Fall
von Diskriminierungen äußerst gering ist. Sie bleiben
dort, wo andere „Gründe― (die Stelle sei bereits besetzt,
die Wohnung schon vergeben) vorgeschoben werden,
selbst den Betroffenen häufig verborgen, erfolgen (wohl
auch Dank des AGG) selten(er) öffentlich und lassen
sich daher vor Gericht trotz der Beweiserleichterung in
§ 22 AGG nur schwer nachweisen.
Normative Abweichung
Konkurrierende Normorientierungen führen zu Akzep-
tanzproblemen in der Bevölkerung und können sowohl
die Befolgung als auch die Inanspruchnahme des Ge-
setzes negativ beeinflussen. Auch wenn die hinter dem
AGG stehenden Absichten und Werte („Gerechtigkeit
gegen jedermann―; „Gleiche Chancen für alle―) abstrakt
von den meisten der im Rahmen der bereits zitierten
Sinus-Studie Befragten geteilt werden, stimmten 40
Prozent der Aussage zu: „Antidiskriminierungspolitik
halte ich für überflüssig.― Nur 15 Prozent waren „über-
haupt nicht― dieser Auffassung. Als in der Gesellschaft
benachteiligt gelten in erster Linie die „sozial Schwa-
chen―. Auf das AGG bezogen sind nur für Menschen
mit Behinderung und Ältere mehr Befragte der Mei-
nung, für sie sollte „mehr― und nicht „weniger― bzw.
„nichts― getan werden. Am Ende dieser „Bilanz der
Schutzwürdigkeit― stehen „Homosexuelle―, „Transsexu-
elle― und „Männer―.9
Die bisherigen Ausführungen verweisen auf die Gren-
zen individuell-reaktiver Rechtsdurchsetzung, die mit
den bisherigen Bemühungen zur Umsetzung des AGG
sicherlich noch nicht erreicht sind. Sie ist unentbehrlich,
wenn es darum geht, im Einzelfall Abwehrrechte gegen
Diskriminierungen zu schaffen und Streitfälle einer
gerechten Lösung zuzuführen.10
Soweit das Gesetz
der Betroffenen hält, im Hinblick auf den Abschreckungseffekt bei größeren Unternehmen aber eine deutlich höhere Ent-schädigung fordert. Auf „Kostenkalküle zwischen den erhöh-ten Kosten, wenn man alles entsprechend des AGG einrich-tet, und den Kosten potentieller Prozesse, falls man dieses nicht tut― ist auch Raasch in der von ihr durchgeführten Be-fragung Hamburger Unternehmen gestoßen: Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis, 2009, S. 7. Online unter: http://www.migration-boell.de/downloads/diversity/AGG_Pro-jektbericht_09-02-18.pdf (besucht am 17.11.2010).
9 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.), Diskriminie-rung im Alltag. Wahrnehmung von Diskriminierung und Anti-diskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft, Baden-Baden: 2008, S. 16, 20, 98.
10 Mahlmann in Rudolf/Mahlmann (Hrsg.), Gleichbehandlungs-recht, Baden-Baden: 2007, S. 51.
23 DOSSIER Positive Maßnahmen
über den individuellen Schutz hinaus eine sozial gestal-
tende Wirkung entfalten und ausweislich seiner Be-
gründung eine „Kultur der Vielfalt und gegen Diskrimi-
nierung in Deutschland― schaffen soll,11
sind jedoch
weitergehende Maßnahmen erforderlich.
Kollektiv-proaktive Regelungen
Als proaktiv können Regelungen bezeichnet werden,
die über die Sanktionierung von Rechtsverstößen hin-
ausgehen und unabhängig von individuellen Klagen
positive Verpflichtungen zur Verwirklichung von Gleich-
heit schaffen.12
Proaktives Recht reagiert damit nicht
auf Einzelfälle, sondern zielt auf die Veränderung kol-
lektiver Prozesse z.B. durch die Umgestaltung diskrimi-
nierender Strukturen in einem Unternehmen. Adressa-
tInnen dieses Gleichbehandlungsrechts der „vierten
Generation―13
sind daher nicht Diskriminierende und
Diskriminierte sondern Personen, die aufgrund ihrer
institutionellen Stellung in der Lage sind, solche Struk-
turen zu beeinflussen.
International
Bekannte Beispiele für proaktives Antidiskriminierungs-
recht sind die Fair Employment and Treatment Order
1998 (FETO) in Nordirland, die equality duties in Groß-
britannien, das System der Aktionspläne und aktiven
Maßnahmen in Schweden und das federal contractor
programme in den USA. Diese Regelungen stimmen
darin überein, dass neben bestehende Diskriminie-
rungsverbote Vorschriften treten, die sowohl die staatli-
chen Stellen als auch private ArbeitgeberInnen dazu
veranlassen sollen, selbst Maßnahmen zur Verhinde-
rung von Diskriminierung und zur Förderung von
Gleichbehandlung zu ergreifen. Die Befolgung dieser
Pflichten wird von staatlichen Stellen regelmäßig (bzw.
in den USA im Rahmen des Vergabeverfahrens) an-
11
BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 30.
12 Schiek/Busch, Proaktiver Schutz (rassistischer) Diskriminie-rung im Arbeitsrecht – lernen von Südafrika?, Arbeitspapier 85 der Hans Böckler Stiftung, 2004, S. 11 f..
13 Nach dieser Zählung gilt als Ausgangspunkt der Rechtsent-wicklung die Aufnahme von Gleichheitsgarantien und Dis-kriminierungsverboten in die nationalen Verfassungen bzw. in das Primärrecht. Es folgt einfachgesetzliche und sekun-därrechtliche Vorschriften, bei denen die Gedanken der (formalen) Gleichbehandlung und der Rechtsdurchsetzung im Vordergrund stehen. Als Recht der dritten Generation werden Positive Maßnahmen bezeichnet, mit denen der Er-kenntnis Rechnung getragen wird, dass unterschiedliche Behandlung zur Herstellung von Gleichheit erforderlich sein kann. Die vierte Generation bilden schließlich positive Pflichten, die auf institutionelle und strukturelle Diskriminie-rungen reagieren und einem Mainstreaming-Ansatz folgen.
hand der ergriffenen Maßnahmen und der erzielten
Ergebnisse überprüft.
So sind in Schweden private ArbeitgeberInnen mit mehr
als 25 Beschäftigten zur Förderung gleicher Rechte für
Männer und Frauen verpflichtet. Dies umfasst nicht nur
die Herstellung gleicher Beschäftigungs- und Entgelt-
bedingungen, sondern verpflichtet ein Unternehmen,
bei dem sich ein geschlechtsspezifisches Ungleichge-
wicht innerhalb der Belegschaft zeigt, auch dazu, sich
um die Einstellung von BewerberInnen des unterreprä-
sentierten Geschlechts zu bemühen. In regelmäßigen
Abständen sind Statistiken über geschlechtsspezifische
Lohnunterschiede, Aktionspläne und anschließende
Berichte mit Vorschlägen zu konkreten Gleichstel-
lungsmaßnahmen vorzulegen. Eine „Ombudsperson für
Gleichstellung― wacht über die Einhaltung dieser Pflich-
ten und hat im Fall der Nichtbefolgung die Befugnis zur
Verhängung von Strafzahlungen.14
Über eine Auswei-
tung des Konzepts, das 1999 bereits auf ethnische
Minderheiten übertragen wurde, auf weitere Merkmale
wird derzeit in Schweden diskutiert.15
In Nordirland sind öffentliche und private ArbeitgeberIn-
nen mit mehr als zehn Beschäftigten verpflichtet, re-
gelmäßig Erhebungen über die religiöse Zusammen-
setzung ihrer Belegschaft durchzuführen. Zeigt sich
dabei, dass KatholikInnen und ProtestantInnen nicht
gleichmäßig repräsentiert sind, muss die Personal- und
insbesondere Einstellungspolitik überprüft und ggf.
verändert werden. Zu diesem Zweck kann die nordiri-
sche Gleichstellungskommission (notfalls auch
zwangsweise) Vereinbarungen mit den ArbeitgeberIn-
nen treffen, in denen neben konkreten Maßnahmen
auch Zielvorgaben formuliert werden können.16
Die im Vereinigten Königreich bestehenden sog. „posi-
tiven Pflichten― richten sich an eine Vielzahl öffentlicher
Behörden und Einrichtungen, die öffentliche Funktionen
wahrnehmen. Gegenstand dieser Pflichten ist es, das
eigene Verwaltungshandeln nicht nur auf Diskriminie-
rungen, sondern auch auf Möglichkeiten zur Förderung
von Chancengleichheit hin zu überprüfen. Größere
14
Klose/Merx, Positive Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile im Sinne des § 5 AGG, Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2010, S. 31. Online unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionADS/PDF-Anlagen/20100913-expertise-positive-ma_C3_9Fnahmen,property=pdf,bereich=ads,sprache=de,rwb=true.pdf (Zugriff am 17.11.2010).
15 Vgl. dazu den Beitrag von Paul Lippaleinen in diesem Dos-sier.
16 Vgl. dazu den Beitrag von McCrudden et. al. in diesem Dossier.
DOSSIER Positive Maßnahmen 24
Behörden haben darüber hinaus sog. Equality Schemes
zu erstellen, aus denen sich die geplanten Maßnahmen
ergeben müssen. Durch den am 1. Oktober 2010 in
Kraft getretenen Equality Act werden die drei bestehen-
den duties zu einer einheitlichen Public sector equality
duty zusammengefasst, die über die bisher erfassten
Merkmale „Rasse―, Behinderung und Geschlecht auch
Alter, Transsexualiät und sexuelle Orientierung sowie
Religion und Weltanschauung einschließt.17
Soweit wissenschaftliche Untersuchungen zu den ge-
nannten Maßnahmen vorliegen, weisen diese darauf
hin, dass die Verpflichtungen nicht nur befolgt, sondern
auch das damit bezweckte Ziel, Diskriminierung zu
verhindern und Gleichbehandlung zu fördern, erreicht
wird. Das Beispiel Nordirland zeigt dabei, dass freiwilli-
ge Vereinbarungen, die von ArbeitgeberInnen mit einer
Behörde abgeschlossen wurden, die zugleich auch
Befugnisse zur zwangsweisen Durchsetzung besitzt,
die stärksten Wirkungen entfalten.
In Deutschland
Auch im AGG finden sich einzelne Vorschriften mit
einem kollektiv-proaktiven Charakter. Zum einen in § 12
Abs. 1 und 2 AGG, die ArbeitgeberInnen verpflichten,
„auch vorbeugende Maßnahmen― zum Schutz vor Dis-
kriminierungen zu ergreifen, wozu auch Schulungen der
Beschäftigten gehören sollen.18
„Um unerwünschten
Benachteiligungen im Beruf entgegenzuwirken,― sei es
nach Auffassung des Gesetzgebers „Erfolg verspre-
chender, deren Eintritt durch präventive Maßnahmen zu
vermeiden, als erst nach deren Eintritt den Benachtei-
ligten auf Ausgleichsansprüche zu verweisen.―19
Zum anderen finden sich solche Vorschriften in der
Aufgabenbeschreibung der Antidiskriminierungsstelle
des Bundes in § 27 AGG. Nach dessen Absatz 3 soll
die Stelle u.a. öffentlichkeitswirksam über Rechte der
Betroffenen und deren Durchsetzungsmöglichkeiten
aufklären und Maßnahmen zur Verhinderung von Dis-
kriminierungen ergreifen. Hier betont der Gesetzgeber
erneut, dass der „Zweck der Bekämpfung von Diskrimi-
17
Die einzelnen equality duties sind bisher in sec. 71 Race Relation Act 1976, sec. 49A Disability Discrimination Act 1995 und sec. 76A Sex Discrimination Act 1975 geregelt. Zu positive duties ausführlich: Uduak Archibong in diesem Dos-sier.
18 Zur Rechtslage ausführlich: Schmidt, Organisationspflichten von Arbeitgebenden, Expertise im Auftrag der Antidiskrimi-nierungsstelle des Bundes, 2010. Online unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/ADS/root,did=141178.html (Zugriff am 17.11.2010).
19 BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 37.
nierungen […] am nachhaltigsten durch deren Präventi-
on gefördert― werde, und schlägt als konkrete Maß-
nahmen das Angebot und die Durchführung einschlägi-
ger Fortbildungen durch die Stelle in Betrieben vor.20
Was die Durchführung von Schulungen nach § 12 Abs.
2 AGG betrifft, liegen widersprüchliche Angaben vor.
Während die – in methodischer Hinsicht kritikwürdige –
Studie von Hoffjan/Bramann zu dem Ergebnis kommt,
dass mehr als 85 Prozent der befragten Unternehmen
(positionsabhängig) Schulungen durchgeführt haben
(oder dies zumindest vor hatten), weisen andere Befra-
gungen darauf hin, dass der Anteil dieser Gruppe an
der Gesamtheit der Unternehmen mit 18 Prozent bis 28
Prozent deutlich geringer ist.21
Auch die (präventive)
Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet
ein heterogenes Bild. Hatte sich die ehemalige Leiterin
Martina Köppen vor allem darauf konzentriert, einen –
schließlich nicht zustande gekommenen – „Pakt mit der
Wirtschaft― zu schließen,22
ist die Stelle in den vergan-
genen Monaten mit Plakatkampagnen, medialen Ver-
lautbarungen, einer Initiative zu anonymen Bewer-
bungsverfahren und verschiedenen Forschungsvorha-
ben in der (Fach-) Öffentlichkeit deutlich sichtbarer
geworden.
Schließlich soll nicht übersehen werden, dass auch die
Diskriminierungsverbote – allerdings nur im Rahmen
eines individuell-reaktiven Verfahrens – kollektiv-
proaktive Wirkungen entfalten können. Dies gilt vor
allem für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, da
es (auch) auf die Veränderung vermeintlich neutraler,
aber tatsächlich diskriminierender Vorschriften, Kriterien
und Verfahren zielt. Aber auch die nach wie vor nicht in
deutsches Recht umgesetzte Verpflichtung aus Art. 5
RL 2000/78/EG, angemessene Vorkehrungen für Men-
schen mit Behinderung zu treffen, kann zur Anbringung
einer Rampe oder eines Fahrstuhls führen, die dann
über den Einzelfall hinaus Diskriminierungen verhin-
dern. Entsprechendes gilt, wenn die Durchsetzung des
Verbots unmittelbarer Diskriminierungen zur Änderung
generell-abstrakter Regelungen führt, die wie z.B. § 622
20
BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 30, 51.
21 Priddat/Wilms, Nutzen und Kosten des Allgemeinen Gleich-behandlungsgesetzes, Baden-Baden: 2008, S. 96 m.w.N..
22 Zur Schwerpunktsetzung und Arbeitsweise der Antidiskrimi-nierungsstelle in den ersten zwei Jahren ihres Bestehens vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen v. 27. April 2009 (BT-Drs. 16/12779), zur Öffentlichkeitsarbeit insbesondere die Fra-gen 15 und 16.
25 DOSSIER Positive Maßnahmen
BGB in unzulässiger Weise an das Lebensalter anknüp-
fen.23
Obwohl der deutsche Gesetzgeber also erkannt hat,
dass individuell-reaktives Recht nicht ausreicht, um
Diskriminierungen wirksam zu bekämpfen, hat er mit
den genannten Vorschriften im AGG kein kollektiv-
proaktives Regelungsregime geschaffen, das mit den
oben genannten Beispielen aus anderen Rechtsord-
nungen vergleichbar wäre.
Positive Maßnahmen nach § 5 AGG
Einer gesonderten Betrachtung sollen schließlich die in
§ 5 AGG geregelten Positiven Maßnahmen unterzogen
werden. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung
zulässig, wenn durch geeignete und angemessene
Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1
AGG genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen
werden sollen. Wille des Gesetzgebers war es, Maß-
nahmen zur Behebung bestehender Nachteile ebenso
wie präventive Maßnahmen zur Vermeidung künftiger
Nachteile nicht nur durch den Gesetzgeber, sondern
auch durch ArbeitgeberInnen, Tarifvertrags- und Be-
triebspartnerInnen sowie seitens der Parteien eines
privatrechtlichen Vertrags zuzulassen.24
Dieser Rechtslage entsprechend kommen empirische
Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die „Options-
regelung― in § 5 AGG auf die Durchführung Positiver
Maßnahmen durch private ArbeitgeberInnen faktisch
keinen Einfluss hatte. Es wurden kaum neue Maßnah-
men ergriffen; immerhin wurden auch keine bestehen-
den Maßnahmen wegen des AGG abgeschafft.25
Die
(wenigen) Fördermaßnahmen, von denen – in aller
Regel nicht im Kontext von § 5 AGG – berichtet wird,
betreffen in erster Linie Frauen, Menschen mit Behinde-
rung und im Zuge der demographischen Entwicklung
zunehmend Ältere. Horizontale Diversity-Ansätze finden
sich fast ausschließlich in internationalen Großunter-
nehmen.26
Von der Möglichkeit, selbst Positive Maßnahmen zu
ergreifen, hat der Bundesgesetzgeber bereits vor In-
krafttreten des AGG mit den Gesetzen zur Gleichstel-
23
EuGH v. 19. Januar 2010, Rs. C-555/07 (Kücükdeveci), NJW 2010, S. 427 ff..
24 BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 34.
25 Raasch, Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis, 2009, S. 27 f..
26 Klose/Merx, Positive Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile im Sinne des § 5 AGG, Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2010.
lung von Männern und Frauen sowie von Menschen mit
und ohne Behinderung im Bereich des öffentlichen
Dienstes Gebrauch gemacht. Eine weitergehende Ver-
pflichtung privater ArbeitgeberInnen besteht bisher nur
zugunsten Schwerbehinderter.
Verbindliche rechtliche Grundlagen zur
Gleichstellung behinderter Menschen
In dem am 1. Mai 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur
Gleichstellung behinderter Menschen (BBG) finden sich
verschiedene über den Einzelfall hinausgehende Ver-
pflichtungen, die sich in erster Linie an die Träger öf-
fentlicher Gewalt, d.h. insbesondere die Bundesverwal-
tung, richten. Dazu gehört die Herstellung von
Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr, die
Verwendung barrierefreier Informationstechnik und die
entsprechende Gestaltung von Formularen und Vordru-
cken (§§ 8, 10, 11 BBG).
Nach § 5 BBG sollen zur Herstellung der
Barrierefreiheit darüber hinaus Zielvereinbarungen
zwischen anerkannten Behindertenverbänden und
Unternehmen oder Unternehmensverbänden getroffen
werden. Diese sollen insbesondere Mindestbedingun-
gen darüber enthalten, wie Lebensbereiche in Zukunft
zu verändern sind, um dem Anspruch behinderter Men-
schen auf Zugang und Nutzung zu genügen, sowie
einen Zeitpunkt oder Zeitplan, bis zu dem diese Bedin-
gungen erfüllt werden. Zwar können die anerkannten
Verbände die Aufnahme von Verhandlungen, nicht
jedoch den Abschluss einer solchen Vereinbarung
verlangen. Seit 2002 wurden daher insgesamt 29 Ziel-
vereinbarungen abgeschlossen, von denen jedoch fast
zwei Drittel auf die Eisenbahnen sowie die Unterneh-
men Edeka und Globus zurückgehen.27
Um die bisher
„sehr zögerliche― Inanspruchnahme des Instruments zu
verbessern, hat die Bundesregierung inzwischen einen
Mustervertragstext entwickelt.28
Das neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (Rehabilitati-
on und Teilhabe behinderter Menschen, SGB IX) ent-
hält eine ganze Reihe verbindlicher Förderungspflichten
für schwerbehinderte Menschen. Kollektiv-proaktiv wirkt
dabei vor allem die für öffentliche und private Arbeitge-
berInnen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen geltende
27
Das „Zielvereinbarungsregister― ist einsehbar unter: http://www.bmas.de/portal/19564/2007__09__21__zielvereinbarungsregister.html (Zugriff am 17.11.2010).
28 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen v. 27. Mai 2008 (BT-Drs. 16/9283), zur Zielvereinbarung die Fragen 30 ff..
DOSSIER Positive Maßnahmen 26
Pflicht, davon mindestens 5 Prozent mit schwerbehin-
derten Menschen zu besetzen (§ 71 SGB IX), die je-
doch durch eine Ausgleichsabgabe „ersetzt― werden
kann. Ein weiteres Instrument ist die Integrationsver-
einbarung, die nach § 83 SGB IX zwischen Arbeitgebe-
rIn und Schwerbehindertenvertretung zu treffen ist und
die z. B. Regelungen zu einer anzustrebenden Beschäf-
tigungsquote, einschließlich eines angemessenen An-
teils schwerbehinderter Frauen enthalten kann. Auch
hier besteht ein Anspruch – in diesem Fall der Schwer-
behindertenvertretung – Verhandlungen mit den Arbeit-
geberInnen aufzunehmen.
Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Schwerbe-
hinderung ist von 2001 bis 2006 kontinuierlich gestie-
gen (von 3,8 Prozent auf 4,3 Prozent); 2007 lag sie bei
4,2 Prozent. Zu berücksichtigen ist bei dieser positiven
Entwicklung jedoch, dass sie vor allem von den öffentli-
chen ArbeitgeberInnen, bei denen die Quote von 5,1
Prozent auf 6,0 Prozent im Jahr 2007 stieg (im Bund
sogar auf 8,6 Prozent) sowie von Großunternehmen
getragen wird, während ArbeitgeberInnen mit bis zu 40
MitarbeiterInnen lediglich eine Quote von 2,6 Prozent
erreichten (private Wirtschaft insgesamt: 3,7 Prozent).
Mehr als 30 Prozent der verpflichteten privaten Unter-
nehmen beschäftigen überhaupt keine schwerbehinder-
ten Menschen.29
Pro-aktive Instrumente im Bundesgleich-
stellungsgesetz
Das am 5. Dezember 2001 in Kraft getretene Gesetz
zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der
Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes
(BGleiG) enthält mit der Verpflichtung zur Umsetzung
von Gender Mainstreaming und zur Aufstellung von
Gleichstellungsplänen zwei kollektiv-proaktive Instru-
mente par excellence. Ergänzt durch § 2 der Gemein-
samen Geschäftsordnung der Bundesministerien
(GGO), wonach die Gleichstellung von Frauen und
Männern als durchgängiges Leitprinzip bei allen politi-
schen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen
der Bundesministerien gefördert werden soll, ist es Ziel
des § 2 BGleiG, eine gleichstellungsorientierte Sicht-
weise zum selbstverständlichen Bestandteil des Ar-
beitsalltags der Bundesverwaltung werden zu lassen.30
29
Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (Hrsg.), Jahresbericht 2008/2009, S. 10 f.. Online unter: http://www.integrationsaemter.de/files-/11/JB_BIH2009.pdf (besucht am 17. November 2010).
30 Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bun-desgleichstellungsgesetz, Berichtszeitraum: 1. Juli 2001 bis 30. Juni 2004, BT-Drs. 16/3776 v. 7. Dezember 2006.
Die in § 11 BGleiG geregelten Gleichstellungspläne
sind Instrumente der Personalplanung und –entwick-
lung, die alle zwei Jahre aktualisiert bzw. neu erstellt
werden und für deren Umsetzung alle Funktionsträge-
rInnen mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben ver-
antwortlich sind. Neben einer Beschreibung der Situati-
on der weiblichen im Vergleich zu den männlichen
Beschäftigten hat der Plan eine Auswertung der bishe-
rigen Fördermaßnahmen und ggf. Gründe zu enthalten,
warum Zielvorgaben nicht erreicht worden sind. In je-
dem Plan sind zur Erhöhung des Frauenanteils in den
einzelnen Bereichen personelle und organisatorische
Maßnahmen (z.B. die Flexibilisierung der Arbeitszeitre-
gelung oder die Einrichtung von Telearbeitsplätzen) im
Rahmen konkreter, zeitlich gestaffelter Zielvorgaben zu
entwickeln.
Die Erfolge sind noch immer bescheiden, wie der erste
Erfahrungsbericht und Auswertungen des Bundesminis-
teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSF) belegen: Von 2000 bis 2005 hat sich der
Anteil der Abteilungsleiterinnen von 9 Prozent auf 15
Prozent erhöht, der der Unterabteilungsleiterinnen von
8,6 Prozent auf 14,7 Prozent und der der Referatsleite-
rinnen von 13,5 Prozent auf 20 Prozent. Eine positive
Wirkung der Instrumente des BGleiG liegt zumindest
nahe, wenn man die Zahlen mit Untersuchungen aus
der Privatwirtschaft vergleicht. Danach ist der Anteil der
weiblichen Topmanagerinnen von 7,5 Prozent Anfang
2007 auf 5,5 Prozent Anfang 2008 zurückgegangen.
Die Vorstandsmitglieder der 100 größten deutschen
Unternehmen waren 2007 mit einer einzigen Ausnahme
männlich, bei den „Top 200 Unternehmen― betrug der
Frauenanteil „gut 1 Prozent―.31
Mehr Verbindlichkeit wagen!
Die Analyse hat gezeigt, dass kollektiv-proaktive Maß-
nahmen im AGG vereinzelt und systematisch nur im
Behinderten- und Frauengleichstellungsrecht zur An-
wendung kommen. Dass sie dort – in unterschiedlichem
Umfang – die erwünschten Wirkungen zeigen, ent-
spricht den Erfahrungen anderer Länder. Als Erfolg
versprechend haben sich dabei Konzepte erwiesen, die
auf Förderpflichten aufbauen, die dann mit Hilfe von
Plänen und Programmen konkretisiert werden. Mit Hilfe
welcher Instrumente die darin regelmäßig neu verein-
31
3. Bilanz Chancengleichheit: Europa im Überblick, 2008, S. 27 f. online unter: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ-/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/3.-bilanz-chancengleich-heit-europa-im-blick,property=pdf,bereich=bmfsfj,spra-che=de,rwb=true.pdf (Zugriff am 17.11.2010).
27 DOSSIER Positive Maßnahmen
barten Gleichstellungsziele dann konkret erreicht wer-
den, wird unter Einbeziehung aller Beteiligten sachnah
„vor Ort― entschieden. Eine einleitende Bestandsauf-
nahme und eine systematische Evaluation stehen am
Anfang und am Ende eines jeden Zyklus. Grundsätzlich
entspricht dies den oben erläuterten Frauenförder- bzw.
Gleichstellungsplänen, sollte dem horizontalen Ansatz
des AGG folgend nun aber (wie z.B. im Vereinigten
Königreich) um die anderen in § 1 AGG genannten
Merkmale und um effektive Durchsetzungsinstrumente
(z.B. Sanktionen bei Verfehlung der Zielvorgaben)
erweitert werden. Entsprechendes gilt für die Erweite-
rung des Gender- zu einem Diversity-Mainstreaming32
.
Das Beispiel Schweden zeigt darüber hinaus, dass
vergleichbare Pflichten nicht nur im öffentlichen Be-
reich, sondern auch für private Unternehmen eingeführt
werden können, ohne dass damit übermäßige Belas-
tungen für private ArbeitgeberInnen verbunden sein
müssen. Sie könnten in Deutschland im Wege von
Betriebsvereinbarungen zwischen ArbeitgeberIn und
Betriebsrat verbindlich gemacht werden33
Gegenstand
einer solchen Zielvereinbarung sollte neben der Ent-
wicklung der Personalstruktur auch das Dienstleis-
tungsangebot der jeweiligen Behörde bzw. des Unter-
nehmens sein. Bei Konflikten zwischen ArbeitgeberIn
und Betriebsrat wäre die Antidiskriminierungsstelle des
Bundes aufgerufen, als Schlichterin und Mediatorin tätig
zu werden. Zur Durchsetzung dieser Verpflichtung ist
daran zu denken, die Vergabe öffentlicher Aufträge und
Subventionen vom Abschluss (und der Einhaltung)
einer solchen Vereinbarung abhängig zu machen.34
Eine solche Regelung könnte auf § 17 Abs. 1 AGG auf-
bauen, der Tarifvertragsparteien, ArbeitgeberInnen und
Beschäftigte bisher nur unverbindlich auffordert, im
32
Zu Diversity Management als horizontaler Handlungsoption nach § 5 AGG vgl. Franke/Merx, Positive Maßnahmen – Handlungsmöglichkeiten nach § 5 AGG, Arbeit und Recht 2007, S. 235-239.
33 Vgl. den Beitrag von Michaela Dälken in diesem Dossier.
34 Zur Zulässigkeit von „Diskriminierungsschutz im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe― vgl. das gleichnamige Gutachten von Baer/Ölcüm im Auftrag der Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung, 2008.
Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten
an der Verwirklichung von Gleichbehandlung mitzuwir-
ken. Damit würde der Gesetzgeber nicht nur mit der in
Art. 26 RL 2006/54/EG enthaltenen Verpflichtung der
Mitgliedstaaten Ernst machen, ArbeitgeberInnen zu er-
suchen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um allen
Formen der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
vorzubeugen35
, sondern entspräche auch der zu Art. 3
Abs. 2 GG vertretenen Auffassung, dass das AGG dem
umfassenden Verfassungsauftrag zur tatsächlichen
Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der
Gesellschaft in der bestehenden Form nicht gerecht
wird. Insbesondere im Arbeitsleben seien bloße Diskri-
minierungsgebote nicht ausreichend und müssten z.B.
durch die Verpflichtung der Tarifvertragsparteien da-
rauf, Ergebnisse in der tatsächlichen Gleichstellung von
Frauen vorzuweisen, ergänzt werden.36
Angesichts der
sich auch auf europäischer Ebene abzeichnenden Ein-
ebnung der Hierarchien des Gleichbehandlungsrechts,
sollte dies auch für die anderen in § 1 AGG genannten
Merkmale gelten.
Regelungen wie § 5 AGG, die die Durchführung positi-
ver Maßnahmen lediglich erlauben, reichen dagegen
allein nicht aus, um nachhaltige Aktivitäten zum Abbau
struktureller Diskriminierung und zur Verwirklichung von
mehr Gleichstellung auszulösen.
Alexander Klose ist wissenschaftlicher Geschäftsfüh-
rer des Instituts für interdiszilplinäre Rechtsforschung / Law & Society Institute (LSI Berlin) der Humboldt-Universität zu Berlin, Inhaber des Büros für Recht und Wissenschaft sowie Lehrbeauftragter für Gender- und Diversity-Kompetenz an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Antidiskrimi-nierungsrecht und die Rechtssoziologie.
35
Vgl. auch (in schwächerer Form) Art. 11 RL 2000/43/EG, Art. 13 RL 2000/78/EG, Art. 8b RL 76/207/EWG.
36 Roetteken, AGG, Heidelberg: 2007, § 1 Rn. 149. Zu einer Schutzpflicht des Gesetzgebers in diesem Sinne vgl. Raasch in Rust/Falke, AGG, Berlin: 2007, § 5 Rn. 25, 45 sowie in diesem Dossier.
DOSSIER Positive Maßnahmen 28
Andreas Merx
Positive Maßnahmen in der Praxis – 10 Fragen und Antworten zur Umsetzung Positiver Maßnahmen
1. Was sind Positive Maßnahmen?
Ganz allgemein lassen sich Positive Maßnahmen als
gezielte Fördermaßnahmen umschreiben, mit denen
strukturelle Barrieren abgebaut und gezielt Diversity
gefördert werden können. Im Fokus Positiver Maßnah-
men stehen dabei die von den EU-
Gleichbehandlungsrichtlinien und dem AGG geschütz-
ten Personen und gesellschaftlichen Gruppen (die in §
1 AGG geschützten Diskriminierungsgründe sind: Alter,
Behinderung, ethnische Herkunft/zugeschriebene „Ras-
se―, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung und
sexuelle Identität), für die bestehende Nachteile „ver-
hindert oder ausgeglichen werden sollen―. Es findet sich
allerdings keine umfassendere Definition Positiver
Maßnahmen im Europäischen Gleichbehandlungsrecht
oder im AGG.
Die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/43/EG
(Antirassismusrichtlinie) enthält in Artikel 5 („Positive
Maßnahmen―) die entsprechende Formulierung zu
Positiven Maßnahmen:
Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die
Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung
der vollen Gleichstellung in der Praxis spezifi-
sche Maßnahmen, mit denen Benachteiligungen
aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft
verhindert oder ausgeglichen werden, beizube-
halten oder zu beschließen.
Eine nahezu gleich lautende Formulierung findet sich in
der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG (ar-
beitsrechtliche Rahmenrichtlinie) in Artikel 7 („Positive
und spezifische Maßnahmen―):
Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die
Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung
der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezi-
fische Maßnahmen beizubehalten oder einzu-
führen, mit denen Benachteiligungen wegen ei-
nes in Artikel 1 genannten Diskriminierungs-
grunds verhindert oder ausgeglichen werden.
In verschiedenen Urteilen des Europäischen Gerichts-
hofs (EuGH) zur Umsetzung von Positiven Maßnahmen
im Bereich der Gleichstellung von Frauen und Männern
in der Arbeitswelt1 wurde eine Minimaldefinition Positi-
ver Maßnahmen im Europäischen Rechtskontext entwi-
ckelt. Danach handelt es sich bei Positiven Maßnah-
men um Mittel, „die zwar ihrerseits diskriminierend
wirken können, tatsächlich aber in der sozialen Wirk-
lichkeit bestehende faktische Ungleichbehandlungen
beseitigen oder verringern sollen―.
Der deutsche Gesetzgeber hat die Formulierungen der
EU-Gleichbehandlungsrichtlinien sinngemäß übernom-
men und dabei zugleich eine Mindestanforderung an
die Zulässigkeit der Maßnahmen festgeschrieben. § 5
AGG „Positive Maßnahmen― lautet:
Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20
benannten Gründe ist eine unterschiedliche Be-
handlung auch zulässig, wenn durch geeignete
und angemessene Maßnahmen bestehende
Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grun-
des verhindert oder ausgeglichen werden sollen.
Eine Studie der Europäischen Kommission von 2009 zu
„Internationalen Sichtweisen zu positiven Maßnahmen―
(Archibong et al. 2009) hat eine etwas umfangreichere
Arbeitsdefinition Positiver Maßnahmen entwickelt. Sie
beschreibt Positive Maßnahmen als „angemessene
Aktivitäten, die implementiert werden, um in der Praxis
eine vollständige und effektive Chancengleichheit für
alle Mitglieder von Gruppen zu gewährleisten, die sozial
oder wirtschaftlich benachteiligt sind oder anderweitig
die Folgen vergangener oder gegenwärtiger Diskrimi-
nierung oder Benachteiligung zu erleiden haben.―
In der Arbeitswelt und insbesondere im Unternehmens-
kontext hat sich der Begriff der „Positiven Maßnahme―
noch wenig durchgesetzt. Die zahlreichen gezielten
Fördermaßnahmen, die im Rahmen der vielfältigen
Aktivitäten von Unternehmen, Organisationen und öf-
fentlichen Verwaltungen/Einrichtungen im Bereich Anti-
diskriminierung, Gleichstellung sowie zur Förderung der
personalen Vielfalt im Rahmen eines umfassenderen
1
Siehe z.B. die EuGH-Rechtsprechung zur Richtlinie 76/207/EWG; vgl. EuGH Slg. 2000 I-1875 Rn. 50 f. (Badeck) oder auch EuGH Slg. 1997 I-6363 (Marschall).
29 DOSSIER Positive Maßnahmen
Diversity Managements umgesetzt werden und durch-
aus als „Positive Maßnahmen― bezeichnet werden
könnten, laufen meist noch nicht unter diesem Begriff.
Häufig werden die Maßnahmen im Unternehmenskon-
text eher „zielgruppenorientierte Fördermaßnahmen―
genannt.
Die zunehmende Thematisierung und Diskussion um
Positive Maßnahmen wird zukünftig sicherlich dazu
beitragen, ein breiteres Verständnis und eine Vielzahl
differenzierterer Definitionen Positiver Maßnahmen zu
entwickeln.
2. Welche strukturellen Barrieren können mit
Positiven Maßnahmen abgebaut werden?
Positive Maßnahmen sollen dazu beitragen, bestehen-
de Nachteile für Personen und Personengruppen auf-
grund vorhandener struktureller Diskriminierungen zu
verhindern oder auszugleichen. Eine Vielzahl internati-
onaler, europäischer und nationaler Studien, Analysen
und Statistiken weisen auf unterschiedliche in Deutsch-
land bestehende strukturelle Barrieren, Nachteile und
deutliche Unterrepräsentationen für verschiedene ge-
sellschaftliche Gruppen hin. Im folgenden dazu eine
Auswahl aus den jeweiligen Merkmalsdimensionen des
AGG.
Bereich (Lebens)Alter
- Ältere ArbeitnehmerInnen über 55 Jahre sind in
Deutschland häufig von Arbeitslosigkeit und
Altersdiskriminierung betroffen. Zwar hat sich die
Erwerbstätigenquote der ArbeitnehmerInnen
zwischen 55 und 64 Jahren in den vergangenen
Jahren mit derzeit 51,5 Prozent wieder etwas
verbessert (2005 lag sie nur bei 44,9 Prozent), sie
ist allerdings im Vergleich etwa zu Finnland (55
Prozent), dem Vereinigten Königreich (57,4
Prozent), Dänemark (58,6 Prozent) oder
Schweden (70 Prozent) weiterhin niedrig. (Eurostat
2008).
- Für jüngere Menschen wird der Berufseinstieg
immer schwieriger. Oft stehen am Anfang schlecht
oder unbezahlte monatelange Praktika
(„Generation Praktika―). Junge Menschen erhalten
besonders häufig auch nur befristete
Arbeitsverträge, deren Gesamtzahl mit insgesamt
2,7 Millionen unter allen Beschäftigten so hoch wie
noch nie zuvor ist. Mehr als 30 Prozent aller
jungen Menschen unter 25 Jahren in Deutschland
arbeitete 2008 in den unsichereren befristeten
Beschäftigungsverhältnissen („Generation
Probezeit―), die eine gute Lebensplanung deutlich
erschweren. (Grau/Statistisches Bundesamt 2010).
Bereich Menschen mit Behinderung
- In den letzten Jahren konnten durchaus
Fortschritte beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
von Menschen mit Behinderung erzielt werden (die
Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung
lag 2008 bei 14,6 Prozent gegenüber 8,7 Prozent
bei allen Erwerbsfähigen). Insbesondere ältere
Menschen oder Frauen mit Behinderung sind
allerdings weiterhin sehr stark von Arbeitslosigkeit
betroffen, bei den Hartz IV-EmpfängerInnen kam
es zu einer Zunahme von knapp 3 Prozent.
(Deutscher Bundestag 2009)
- Die Beschäftigungsquote von Menschen mit
Schwerbehinderung ist in den vergangenen Jahren
insgesamt leicht gestiegen (von 2001: 3,8 Prozent
unter allen Beschäftigten auf 2007: 4,2 Prozent).
Insbesondere bei kleinen und mittleren Unterneh-
men der Privatwirtschaft ist sie allerdings weiterhin
mit 2,6 Prozent eher gering. Besser ist sie im
öffentlichen Dienst, mit einer Quote von mittler-
weile immerhin 6 Prozent. (Bundesarbeitsgemein-
schaft der Integrationsämter und Hauptfürsorge-
stellen 2009: 10 f.).
Bereich ethnische Herkunft
- Eine im Jahr 2009 veröffentlichte OECD-Studie zur
Arbeitsmarktintegration von jungen MigrantInnen
zeigte, dass Nachkommen von Einwanderern in
Deutschland deutlich schlechtere Chancen auf
dem Arbeitsmarkt als junge Menschen mit zumin-
dest einem im Inland geborenen Elternteil haben.
In Deutschland ist unter den 20- bis 29-Jährigen
mit Migrationshintergrund der Anteil der Gering-
qualifizierten ohne Abitur oder abgeschlossene
Berufsausbildung doppelt so hoch wie in der
gleichen Altersgruppe ohne Migrationshintergrund.
Dieser überdurchschnittliche Anteil lässt sich aber
nur zum Teil mit Qualifikations- und Sprachdefizi-
ten, die als insgesamt wichtigste Faktoren zu
betrachten sind, erklären. Die Analyse der OECD
verweist auch auf bestehende Vorurteilsstrukturen
als Begründung:
Der Abstand zu gleichqualifizierten Personen
ohne Migrationshintergrund ist hingegen bei
Hoch- und Fachhochschulabsolventen und
Absolventen höherer beruflicher Bildung ver-
DOSSIER Positive Maßnahmen 30
gleichsweise stark ausgeprägt. „Dieser Be-
fund überrascht, da beide Gruppen ihre Bil-
dungsabschlüsse in der Regel im Inland er-
worben haben. Eine Erklärung könnte sein,
dass in Deutschland und Österreich auf dem
Arbeitsmarkt die Erwartung vorherrscht, dass
Migranten und deren Nachkommen eher ge-
ring qualifiziert sind. Bildungserfolge von
Migranten und deren Nachkommen werden
entsprechend noch nicht ausreichen (sic.)
honoriert―, sagte OECD-Migrationsexperte
Thomas Liebig. So haben in Deutschland 90
Prozent der 20 bis 29-jährigen hochqualifi-
zierten Männer ohne Migrationshintergrund
einen Arbeitsplatz. Bei der vergleichbaren
Gruppe mit Migrationshintergrund sind es
dagegen nur 81 Prozent.― (Liebig, Widmaier
2009)
- Im Jahre 2008 kam die OECD in ihrem
Beschäftigungsausblick 2008 zu einem ähnlichen
Ergebnis und benannte den Faktor
„Diskriminierung― ganz offen (S. 3):
Ebenso liegt in Deutschland bei jungen Men-
schen mit Migrationshintergrund (20 bis 29-
jährigen, Migranten 2. Generation) die Be-
schäftigungsquote um etwa 15 Prozentpunk-
te niedriger als bei der vergleichbaren Grup-
pe ohne Migrationshintergrund. Dies ist nur
knapp zur Hälfte durch Unterschiede im Bil-
dungsniveau zu erklären. Ein weiterer be-
deutenderer Faktor dürfte die Diskriminie-
rung am Arbeitsmarkt sein.
- Der OECD-Experte für Migration und Arbeits-
marktintegration Liebig (2007) führte aus:
Zum Teil müssen Kinder von Zuwanderern
bei gleicher Qualifikation (in den entspre-
chenden Teststudien der Internationalen Ar-
beitsorganisation (ILO) deutete lediglich der
Name auf einen Migrationshintergrund hin)
drei bis viermal so viele Bewerbungen
schreiben wie Kinder von Nichtzuwanderern,
bis sie eine Einladung zu einem Bewer-
bungsgespräch erhalten. Der niedrigere Bil-
dungshintergrund kann somit auch ein be-
quemer Vorwand sein, um diskriminierende
Einstellungen zu verdecken.
- Eine zwischen 2007 und 2008 von der Universität
Konstanz im Auftrag des Forschungsinstituts zur
Zukunft der Arbeit (IZA) mit der sog. Testing-
Methode2
durchgeführte Studie, bei der rund 1.000
Bewerbungen für Praktikastellen von BewerberIn-
nen mit identischen Qualifikationen an Arbeitge-
berInnen verschickt wurden, ergab eine durch-
schnittliche Diskriminierungsrate von 14 Prozent
für die BewerberInnen mit türkischem Namen. Bei
kleineren Unternehmen lag die Rate sogar bei 24
Prozent. Ein weiteres interessantes Ergebnis der
Studie war, dass sich die Diskriminierungsrate bei
den BewerberInnen, die den Bewerbungsunterla-
gen eine von einem anderen deutschen Arbeit-
geber unterzeichnete Referenz beilegen konnten,
erheblich verringerte. Dies lässt auf weit verbrei-
tete gesellschaftliche Vorurteilsstrukturen gegen-
über „AusländerInnen― oder „TürkInnen― schließen,
die sich dann stark relativieren, wenn die Einzel-
person aus der anonymisierten und abgewerteten
Gruppe heraustreten kann. (Kaas/Manger 2010).
Bereich Geschlecht
- Elke Holst und Anita Wiemer (2010) fassten die
aktuelle Studie des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wie folgt
zusammen:
Vorstände und Aufsichtsräte großer Unter-
nehmen in Deutschland werden nach wie vor
von Männern dominiert mit erdrückender
Mehrheit. (...) Lediglich 2,5 Prozent aller Vor-
standsmitglieder der 200 größten Unterneh-
men (ohne Finanzsektor) sind gegenwärtig
Frauen. In den Aufsichtsräten nehmen Frau-
en ein Zehntel aller Sitze ein. Ähnlich sieht
die Lage in Vorständen und Aufsichtsräten
des Finanzsektors aus. In den 100 größten
Banken sind 2,6 Prozent, in den 62 größten
Versicherungen 2,8 Prozent aller Vor-
standsmitglieder Frauen. Der Frauenanteil in
den Aufsichtsräten liegt jedoch höher als bei
den Top-200-Unternehmen: 16,8 Prozent bei
den Banken und Sparkassen und 12,4 Pro-
zent bei den Versicherungen. Insgesamt sind
rund drei Viertel der Frauen mit Sitz in einem
Aufsichtsrat von ArbeitnehmerInnenvertre-
tungen entsandt und erhalten damit aufgrund
von Mitbestimmungsregelungen ihr Mandat.
Trotz einiger positiver Beispiele hat sich die
2 Zur Testing-Methode siehe auch Yiğit, Andrades Vazquez, Yazar 2010.
31 DOSSIER Positive Maßnahmen
Situation in den Spitzengremien insgesamt in
den letzten Jahren kaum geändert.
- Auch finanziell sind Frauen in Deutschland durch
ein erhebliches Lohngefälle (gender pay gap) be-
nachteiligt. In Deutschland ist dieser Unterschied
seit vielen Jahren mit ca. 23 Prozent gegenüber
dem EU-Durchschnitt von 17 Prozent besonders
hoch, was ein deutliches Indiz für strukturelle
Benachteiligungen darstellt. Im europäischen Ver-
gleich der 27 EU-Mitgliedstaaten belegt Deutsch-
land hier inzwischen den viertletzten Platz.
(Eurostat o.D.)
Bereich Religion
- In einer europäischen Vergleichsstudie zur
Wahrnehmung der Diskriminierung von MuslimIn-
nen gab durchschnittlich jede/r dritte/r Muslim/a an,
in den letzten 12 Monaten eine Diskriminierung
erfahren zu haben, bei den deutschen Muslim/a
waren es 31 Prozent. Die Arbeitswelt war dabei
der am meisten genannte Bereich, auch Behörden
nahmen einen vorderen Rang ein. (Agentur der
Europäischen Union für Grundrechte 2009)
Bereich sexuelle Orientierung
- Obwohl in den letzten Jahren sicherlich viele
Fortschritte in der rechtlichen und
gesellschaftlichen Anerkennung von Menschen
verschiedener sexueller Orientierungen gemacht
wurden, ist deren Diskriminierung in vielen
Lebensbereichen noch immer vorhanden. Im
Eurobarometer der Europäischen Kommission
„Diskriminierung in der EU 2009― gaben 36 Prozent
der deutschen Befragten an, dass Diskriminierung
aufgrund der sexuellen Orientierung in
Deutschland verbreitet ist (EU-27: 47 Prozent).
(Europaische Kommission 2009)
3. Welche Ziele haben Positive Maßnahmen?
Folgende grundsätzliche Ziele werden mit Positiven
Maßnahmen verfolgt:
- Bestehende Nachteile, die bestimmte Personen
oder gesellschaftliche Gruppen gegenwärtig oder
in der Vergangenheit erlitten haben, zu beseitigen,
auszugleichen oder zukünftig zu verhindern;
- Strukturelle Diskriminierungen zu überwinden und
abzubauen und dadurch dem Ziel von echter
Chancengleichheit näher zu kommen;
- Ein mehr an tatsächlicher Gleichstellung durch die
gezielte und spezifische Förderung bisher
benachteiligter Gruppen zu erreichen;
- Verschiedenheit, Vielfalt und Partizipation in allen
Bereichen des sozialen, ökonomischen, kulturellen
und politischen Lebens zu fördern und die
deutlichen Unterrepräsentationen verschiedener
gesellschaftlicher Gruppen in zentralen Lebens-
bereichen (z.B. Arbeitswelt, Bildungsbereich,
Medien, Politik etc.) sowie Gremien und Positionen
(z.B. Frauen in Führungspositionen der
Privatwirtschaft) auszugleichen;
- Ein ergänzendes, konstruktives und proaktives
Instrument neben der eher „repressiv― und reaktiv
ausgerichteten Bekämpfung von Diskriminierungen
anzuwenden.3
4. Was sind Voraussetzungen zur Durch-
führung Positiver Maßnahmen?
Die Einführung Positiver Maßnahmen ist nach § 5 AGG
mit Blick auf die in § 1 AGG geschützten Diskriminie-
rungsmerkmale (Alter, Behinderung, ethnische Her-
kunft/zugeschriebene „Rasse―, Geschlecht, Religion
oder Weltanschauung und sexuelle Orientierung) unter
zwei Voraussetzungen möglich: Zweckbindung der
Maßnahme und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.
Erste Voraussetzung: Zweck der Maßnahme
Zum einen muss mit Positiven Maßnahmen der Zweck
verfolgt werden, bestehende oder zu befürchtende
Nachteile von Personen oder Personengruppen wegen
der in § 1 AGG genannten Merkmale zu verhindern
oder auszugleichen.
Unter „Nachteile― sind alle Umstände zu verstehen, die
dazu führen, dass Personen im Arbeitsleben oder beim
Abschluss zivilrechtlicher Verträge wegen eines der in §
1 AGG genannten Merkmale schlechtere Chancen als
andere Personen haben, bestimmte Positionen, Güter
oder Leistungen zu erlangen. Es kann sich dabei um
Nachteile tatsächlicher oder struktureller Art handeln.
Ein wesentliches Indiz zur Feststellung solcher Nachtei-
le ist die erhebliche numerische Unterrepräsentation
der betreffenden Personengruppe in bestimmten Berei-
3 Vgl. Wladasch, Liegl 2009, S. 7.
DOSSIER Positive Maßnahmen 32
chen im Verhältnis zu ihrem gesamtgesellschaftlichen
Anteil. Ein Beispiel hierfür ist z.B. die geringe Anzahl
von Frauen in Aufsichtsräten, Vorstandsetagen und
Führungspositionen in der Privatwirtschaft oder die
deutliche Unterrepräsentation von Menschen mit Migra-
tionshintergrund in den öffentlichen Verwaltungen. In
beiden Fällen ist von strukturellen Barrieren auszuge-
hen, die Hinweise auf bestehende Nachteile für diese
Personengruppen bei der Besetzung dieser Positionen
geben.
§ 5 AGG spricht zwar nur „von bestehenden Nachtei-
len―, nach der amtlichen Begründung sind aber auch
präventive Maßnahmen zur Vermeidung künftiger
Nachteile möglich. Bezugsgrößen für bestehende oder
zukünftige Nachteile können dabei sowohl der einzelne
Betrieb, eine betreffende Branche, aber auch eine be-
stimmte Region oder die gesamtgesellschaftlichen
Verhältnisse sein.
Zweite Voraussetzung: Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen
Als weitere Voraussetzung verlangt § 5 AGG, dass die
positive Maßnahme im Hinblick auf den Zweck der
Nachteilsverhinderung bzw. des Nachteilsausgleichs
verhältnismäßig, also „geeignet und angemessen― ist.
Geeignet sind Positive Maßnahmen, wenn objektiv die
Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch die Maßnahme
das bezweckte Ziel der Verhinderung oder des Aus-
gleichs der Nachteile auch erreicht wird, wobei an die
Wahrscheinlichkeit keine allzu hohen Anforderungen zu
stellen und nur offensichtlich ungeeignete Maßnahmen,
die am Ziel vorbeigehen würden, ausgeschlossen sind.
Die Maßnahme ist nur erforderlich, wenn das ange-
strebte Ziel nicht auf andere Weise durch ein milderes,
genauso zielführendes Mittel erreicht werden kann, das
sich weniger stark auf die Eingriffe in Rechte der Mit-
glieder von Gruppen, die nicht von den Maßnahmen
profitieren, auswirken würde.
Angemessen schließlich sind Positive Maßnahmen,
wenn sie unter Berücksichtigung des Ausmaßes der
bestehenden Nachteile die jeweils nicht begünstigten
Gruppen nicht überproportional belasten. Hierbei bedarf
es einer umfassenden Gesamtabwägung des Ausma-
ßes des bestehenden faktischen Nachteils und der
Effektivität der Maßnahme mit Eingriffen in die Rechte
Dritter, die nicht begünstigt werden.
5. Was sind Grenzen Positiver Maßnahmen?
Aus den beiden Voraussetzungen zur Durchführung
Positiver Maßnahmen sowie insbesondere aus der
Rechtsprechung des EuGH lassen sich die wichtigsten
Grenzen Positiver Maßnahmen benennen. Diese liegen
zunächst in einer Nichtbeachtung der oben ausgeführ-
ten Voraussetzungen. Des Weiteren müssen Positive
Maßnahmen objektive Beurteilungen des jeweiligen
Einzelfalls ermöglichen, sie müssen zeitlich limitiert und
immer wieder in Hinblick auf das weiterhin bestehende
oder zu befürchtende Ausmaß der Nachteile überprüft
werden.
Eine weitere wichtige Grenze Positiver Maßnahmen
sind sog. „positive Diskriminierungen―. Eine positive
Diskriminierung liegt dann vor, wenn Mitgliedern einer
bestimmten Gruppe (z.B. Frauen oder Menschen mit
Migrationshintergrund) im Verhältnis zu anderen (z.B.
Männern oder deutschen Staatsangehörigen) ein auto-
matischer und unbedingter Vorteil eingeräumt wird, der
ausschließlich in der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe
begründet ist. Eine Positive Maßnahme wäre bspw.
dann eine illegitime positive Diskriminierung, wenn
ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Qualifikatio-
nen und auf absoluten Vorrang Frauen mit Migrations-
hintergrund allen anderen Gruppen beim beruflichen
Aufstieg vorgezogen würden. Folgend der Recht-
sprechung des EuGH zu Quotenregelungen für Frauen
ist zwar der absolute Vorrang der zu fördernden Gruppe
der Frauen ausgeschlossen, aber Regelungen mit
Öffnungsklauseln zu Gunsten von männlichen Bewer-
bern sind als vereinbar mit europäischem Recht zu
betrachten. Diese rechtliche Zulässigkeit ist auch auf
andere Konstellationen mit anderen Personengruppen
europarechtskonform übertragbar und stellt keinen
Verstoß gegen das AGG dar.
6. Welche Instrumente Positiver Maßnahmen
können ergriffen werden?
Der Begriff der „Maßnahme― wurde vom deutschen
Gesetzgeber nicht näher bestimmt. Die gängigen
Rechtskommentare zum AGG sowie die Begründungen
der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien verdeutlichen
aber, dass der Begriff der „Maßnahme― weit zu verste-
hen ist und darunter alle geeigneten, angemessenen
und verhältnismäßigen Aktivitäten fallen, die eine Ver-
hinderung oder den Ausgleich von Benachteiligungen
für eine der im AGG geschützten gesellschaftlichen
Gruppen zum Ziel haben.
33 DOSSIER Positive Maßnahmen
Es gibt von daher einen recht breiten Katalog rechtlich
zulässiger Positiver Maßnahmen, der sich nicht auf die
ebenso bekannten wie umstrittenen Quotenregelungen
reduzieren lässt. Positive Maßnahmen lassen sich
dabei hinsichtlich ihrer Eingriffstiefe (Grad des Anstre-
bens tatsächlicher Ergebnisgleichheit) und ihrer Aus-
wirkungen auf die Vorrechte bisher privilegierter Grup-
pen (z.B. weiße, deutsche, mittelalte, heterosexuelle
Männer) in „schwache― und „starke― bzw. „weiche― und
„harte― Maßnahmen unterteilen.
Das vielfältige Spektrum möglicher Positiver Maßnah-
men beinhaltet sowohl zielgruppenorientierte Aktivitäten
(z.B. die gezielte Ansprache von Frauen oder Men-
schen mit Migrationshintergrund in Stellenangeboten
oder betriebliche Fördermaßnahmen für ältere Arbeit-
nehmerInnen), wie zielgruppenübergreifende Maßnah-
men (z.B. Work-Life-Balance-Programme, umfassen-
des Diversity Management als horizontale Handlungs-
option Positiver Maßnahmen), als auch auf den Abbau
(potentiell) diskriminierender Strukturen abzielende
Instrumente (wie z.B. die Überprüfung sämtlicher Richt-
linien und Personalprozesse in einem Antidiskriminie-
rungs- oder Diversity-Check).
Die folgende Auswahl bekannter Instrumente aus der
Arbeitswelt beleuchtet die vielfältigen Möglichkeiten, mit
Positiven Maßnahmen eine gezielte Förderung perso-
naler Vielfalt umzusetzen:
- Anwerbungs- und Informationskampagnen
beispielsweise zur Erhöhung des Anteils von
MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund;
- Spezielle Rekrutierungsmethoden, um z.B. den
Anteil der MitarbeiterInnen über 55 Jahre zu
erhöhen;
- Gezielte Ansprache der Zielgruppen in öffentlichen
Stellenanzeigen, wie etwa „Bewerbungen von
Frauen/Menschen mit Migrationshintergrund sind
besonders erwünscht―;
- Durchführung eines Antidiskriminierungs- oder
Diversity-Checks zur Überprüfung aller Organisa-
tionsstrukturen, Richtlinien und Personalprozesse
auf ggf. vorhandene Diskriminierungspotentiale;
- Betriebsinterne Arbeitsvereinbarungen, z.B. zur
Verbesserung der Arbeitszeitflexibilität für ältere
MitarbeiterInnen (z.B. in Betriebsvereinbarungen)
oder spezifische Urlaubs- und Feiertagsregelungen
z.B. für MitarbeiterInnen mit muslimischer
Religionszugehörigkeit;
- Work-Life-Balance-Modelle z.B. zur Verbesserung
der Vereinbarkeit von Beruf und Familienpflichten
und damit von Aufstiegschancen von Frauen;
- Betriebsinterne Förderangebote wie etwa betriebs-
eigene Kinderbetreuungsplätze oder Telearbeits-
plätze zur Förderung der Beschäftigung weiblicher
MitarbeiterInnen;
- Gezielte, spezielle Fort- und Weiterbildungsange-
bote, z.B. für ältere MitarbeiterInnen, die zuvor bei
Weiterbildungsmaßnahmen ggf. weniger berück-
sichtigt wurden;
- Mentoring-Programme, z.B. für junge Frauen oder
Menschen mit Migrationshintergrund;
- PraktikantInnenprogramme, z.B. für Menschen mit
Behinderungen;
- Aufbau und Förderung von betrieblichen
Netzwerken wie z.B. schwul-lesbische „Rainbow-
Groups― oder Gruppen von Ingenieurinnen;
- Festlegung von gezielten Fördermaßnahmen für
die jeweilige Personengruppen oder zur Förderung
von Gleichbehandlung in Tarifverträgen, Betriebs-
vereinbarungen, Auswahlrichtlinien oder arbeits-
vertraglichen Regelungen;
- Qualifikationsabhängige Zielquoten, z.B. für
Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund
wie etwa die Selbstverpflichtung der Stadt
Hamburg, den Anteil der Jugendlichen mit
Migrationshintergrund in der Ausbildung der
kommunalen Verwaltung bis 2011 auf 20 Prozent
zu erhöhen;
- Umsetzung gesetzlicher Quoten, wie z.B. die
Verpflichtung privater und öffentlicher Arbeitge-
berInnen mit mind. 20 MitarbeiterInnen, mindest-
ens 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehin-
derten Menschen zu besetzen;
- Einrichtung von Gleichbehandlungsstellen, Benen-
nung von Diversity-Verantwortlichen oder Antidis-
kriminierungsbeauftragten, wie z.B. in den Diver-
sity-Abteilungen vieler Unternehmen oder Gleich-
stellungsbüros von Kommunen in Deutschland;
- Diversity-Trainings oder Antidiskriminierungs-
Trainings für Führungskräfte, Personalverantwort-
liche, betriebliche InteressenvertreterInnen und
MitarbeiterInnen;
- Diversity Management als horizontale Handlungs-
option einer Positiven Maßnahme.
DOSSIER Positive Maßnahmen 34
7. Was sind zentrale Erfolgsfaktoren einer
effektiven Umsetzung Positiver Maßnahmen?
Aus verschiedenen vergleichenden Analysen zur An-
wendung Positiver Maßnahmen in Ländern der Europä-
ischen Union sowie den bisherigen Erfahrungen mit
Gleichstellungsmaßnahmen in den verschiedenen
Diversity-Dimensionen (z.B. Gender Mainstreaming,
Interkulturelle Öffnung) lassen sich einige zentrale
Erfolgsfaktoren für eine effektive Umsetzung Positiver
Maßnahmen benennen:
- Deutliche Unterstützung bzw. politischer Wille der
Leitungsebenen zur nachhaltigen Umsetzung
Positiver Maßnahmen;
- Hohes Maß an (möglichst schriftlich fixierter und
öffentlicher) Selbstverpflichtung zur Umsetzung
Positiver Maßnahmen und sichtbare Übernahme
von Verantwortung für die Prozesse durch die
Leitungsebenen;
- Bereitstellung ausreichender finanzieller,
personeller, zeitlicher und institutioneller
Ressourcen;
- Verankerung im Leitbild der Organisation (z.B. im
Diversity-Leitbild, als Teil der Corporate Social
Responsibility oder von Good Governance-
Konzepten);
- Klar formulierte Diversity- oder Gleichbe-
handlungsrichtlinien;
- Klare organisatorische Verantwortlichkeiten, z.B. in
einem „Diversity-Kompetenz-Team― oder einer
„Steuerungsgruppe Gleichbehandlung― der
Personalabteilung;
- Umfassende Situationsanalyse durch Datenanaly-
se oder –erhebung, z.B. in einem Diversity-Check;
- Entwicklung eines langfristigen, transparenten und
umfassenden Gesamtkonzepts;
- Formulierung eines deutlichen Zielkatalogs mit
Auswahl eines geeigneten Mix aus zielgruppen-
orientierten, zielgruppenübergreifenden und auf
die Veränderung von Organisationsstrukturen
abzielenden Instrumenten;
- Strategische Ausrichtung und systematisches,
schrittweises Verständnis des Umsetzungspro-
zesses;
- Einbeziehung der Zielgruppen und der „Mehrheit―
der Belegschaft bei der Konzepterstellung,
Umsetzung und Auswertung der Maßnahmen;
- Einbezug des Betriebsrats, der Gleichstellungsbe-
auftragten und vorherige Konsultation der jeweils
wichtigsten stakeholder;
- Durchführung der Positiven Maßnahmen mit einer
übergreifenden Diversity-Perspektive, um erneute
stereotype Zuschreibungen (Stichwort „Quoten-
frau―) zu verhindern;
- Systematisches Monitoring, Controlling und Er-
folgsmessung: Sicherstellung und Überprüfung des
vereinbarten Zielkatalogs, Entwicklung bzw. Durch-
führung von Auswertungsverfahren, Evaluation;
- Proaktive, transparente und systematisch die
Umsetzung begleitende Öffentlichkeitsarbeit zu
Vorhaben, Begründungen und Nutzen der Maß-
nahmen sowie Kommunikation der gesellschafts-
politischen, sozialpolitischen und wirtschaftlichen
Ziele, Vorteile und Erfolge.
8. Was sind mögliche Hindernisse bei der
Umsetzung Positiver Maßnahmen?
Internationale, europäische und nationale Studien zur
Umsetzung und Wirkung von Positiven Maßnahmen
lassen auch einige zentrale Hindernisse für eine Erfolg
versprechende Gestaltung Positiver Maßnahmen er-
kennen. Als wichtigste Barrieren sind dabei zu nennen:
- Fehlende oder unzureichende finanzielle, zeitliche,
personale und institutionelle Ressourcen;
- Fehlende Unterstützung durch Führungsebene und
Leitungsebenen;
- Fehlende Daten und Schwierigkeiten der
Wirkungsmessung;
- Fehlendes Bewusstsein, mangelnde Akzeptanz,
Vorbehalte oder Widerstand der Mehrheit der
Belegschaft, die nicht Zielgruppen von Positiven
Maßnahmen sind;
- Unzureichende Einbeziehung der Zielgruppen, der
Mehrheit der Belegschaft und relevanter
AkteurInnen;
- Vorbehalte oder Ängste der Zielgruppen Positiver
Maßnahmen vor erneuter Stigmatisierung (z.B. als
„QuotenmigrantIn―);
- Fehlende strategische Ausrichtung und fehlende
Einbindung in Gesamtstrategie (z.B. durch nur
punktuelle, zeitlich begrenzte Projekte oder
unklare Zielformulierungen);
35 DOSSIER Positive Maßnahmen
- Fehlende Informationen und Kenntnisse der
Möglichkeiten der Umsetzung Positiver Maß-
nahmen;
- Mangelhafte oder unklare Kommunikation des
Vorhabens, der Motivation und des Nutzens der
Maßnahmen;
- Fehlende gesellschaftliche Akzeptanz und
politische Unterstützung Positiver Maßnahmen.
9. Wie können Positive Maßnahmen effektiv
durchgeführt werden?
Es gibt natürlich nicht „die Umsetzung― von Positiven
Maßnahmen. Unternehmen, Organisationen und öffent-
liche Einrichtungen/Verwaltungen wählen ihren je eige-
nen Weg der Durchführung, in Abhängigkeit von ihren
Entscheidungsstrukturen, bestehenden strukturellen
Barrieren, vorhandener personaler Vielfalt, Betriebs-
größe, Umfeld sowie personalpolitischen Bedürfnissen
und Strategien. Dennoch lässt sich anhand eines Stu-
fenmodells ein „klassischer― Umsetzungsprozess als
Musterbeispiel darstellen. Als jeweilige Stufen lassen
sich stichwortartig benennen:
- Klare Selbstverpflichtung und Bekenntnis der
Führungsebene;
- Entwicklung eines Leitbilds;
- Bestandsaufnahme und Analyse der
Ausgangssituation;
- Zielformulierung;
- Analyse von Barrieren, Chancen und Risiken;
- Einbeziehung der Zielgruppen und wichtiger
AkteurInnen;
- Entwicklung eines langfristigen und umfassenden
Gesamtkonzepts;
- Auswahl geeigneter zielgruppenorientierter, ziel-
gruppenübergreifender und auf die Veränderung
von Organisationsstrukturen abzielender Instru-
mente;
- Umsetzung;
- Monitoring, Controlling und ggf. Modifikation:
- Erfolgsmessung und Evaluation;
- Kontinuierlich: Öffentlichkeitsarbeit und Kommuni-
kation.
10. Welche gesellschaftspolitischen und
wirtschaftlichen Chancen und Vorteile sind mit
Positiven Maßnahmen verbunden?
Aus verschiedenen internationalen, europäischen und
nationalen Studien und Unternehmensbefragungen zu
Positiven Maßnahmen und Maßnahmen zur Förderung
personaler Vielfalt lassen sich eine Vielzahl gesell-
schaftspolitischer und wirtschaftlicher Chancen und
Vorteile gezielter Fördermaßnahmen zusammenfassen.
Gesellschaftspolitische Chancen und Vorteile Positiver Maßnahmen
- Gezielter Abbau struktureller Barrieren und
Diskriminierungen;
- Erreichung von mehr Chancengleichheit, Gleich-
behandlung und tatsächlicher Gleichstellung;
- Proaktiver Beitrag zu einer effektiven Antidiskrimi-
nierungspolitik;
- Verbesserung der Repräsentation aller BürgerIn-
nen in den zentralen Lebensbereichen unserer
Gesellschaft. Somit werden die Demokratie und
der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundge-
setzes gestärkt;
- Effektives Instrument zum verbesserten Umgang
mit und zur Gestaltung von einer zunehmend
vielfältigen Gesellschaft;
- Gezielte Motivation und Empowerment der geför-
derten Personen und gesellschaftlichen Gruppen;
- Verbesserung der Übernahme gesellschaftlicher
und sozialer Verantwortung von Unternehmen, Or-
ganisationen und öffentlichen Einrichtungen/Ver-
waltungen;
- Verbesserung der wirtschaftlichen, kulturellen,
politischen, sozialen und identifikatorischen
Integration aller BürgerInnen;
- Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
und des friedlichen Zusammenlebens von Men-
schen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und
Religion, verschiedenen Alters, Geschlechts,
sexueller Orientierung, und von Menschen mit und
ohne Behinderung etc. in einer internationalen und
vielfältigen BürgerInnengesellschaft;
- Verringerung der Risiken, Gefahren und Kosten
mangelhafter Integration in Form von gesellschaft-
lichen und sozialen Ausgrenzungstendenzen, Ex-
klusion & Segregation sowie durch dauerhaft be-
DOSSIER Positive Maßnahmen 36
stehende Diskriminierungen aufgeladene soziale
Konflikte;
- Proaktiver Beitrag zur Entwicklung einer Kultur der
Anerkennung und des Respekts gegenüber den
Lebensentwürfen von vielfältigen Menschen;
- Aktive Gestaltung des demographischen Wandels
und einer zukunftsfähigen Arbeitsmarktpolitik, da
es angesichts unbesetzter Ausbildungsplätze
sowie des zu erwartenden Fachkräftemangels
mittelfristig um eine verbesserte Ausschöpfung des
vorhandenen Arbeitskräftepotentials geht;
- Gezielte Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt
als wirtschaftliches und gesellschaftliches Zu-
kunftspotential einer weltoffenen Gesellschaft;
- Imagegewinn durch ein weltoffenes Klima und eine
kosmopolitische Kultur der Toleranz und Anerken-
nung gegenüber gesellschaftlicher Vielfalt.
Wirtschaftliche Chancen und Vorteile Positiver Maßnahmen
- Verbesserung der Personalgewinnung beim
„Wettbewerb um talentierte Köpfe―;
- Verbesserung der Personalbindung durch gezielte
Fördermaßnahmen;
- Verbesserter Umgang mit einem zunehmend von
Vielfalt geprägten Arbeitsmarkt und Umfeld
wirtschaftlichen Handelns;
- Verbesserung des Unternehmens- oder Organisa-
tionsimages in der Konkurrenz mit anderen Arbeit-
geberInnen (Image als ArbeitgeberIn, die/der Viel-
falt gezielt wertschätzt und aktiv gegen Diskrimi-
nierungen vorgeht);
- Verbesserte Nutzung der spezifischen Talente,
Ressourcen und Kompetenzen unterschiedlicher
ArbeitnehmerInnen;
- Verbesserte wirtschaftliche Ergebnisse durch mehr
personale Vielfalt: stärkere KundInnenzufrieden-
heit durch zielgruppengerechtere Produkte und
Leistungen, Erschließung neuer Märkte durch viel-
fältige MitarbeiterInnen sowie erhöhte Kreativität
und Innovationsfähigkeit in vielfältigen Teams;
- Kostenverringerung durch weniger Diskriminie-
rungen, Konfliktverringerung und Abbau von
Reibungsverlusten;
- Verbesserung der gezielten Förderung bisher we-
niger repräsentierter gesellschaftlicher Gruppen;
- Förderung von Antidiskriminierung, Chancen-
gleichheit, Gleichbehandlung und Vielfalt als
Unternehmenswerte. Positive Maßnahmen und
Diversity als wichtiger Bestandteil der corporate
social responsibility;
- Steigerung der Attraktivität des
Wirtschaftsstandortes Deutschland im globalen
Wettbewerb.
Die Studie „Internationale Sichtweisen zu positiven
Maßnahmen― im Auftrag der Europäischen Kommission
(Archibong et al. 2009) liefert im Rahmen einer umfas-
senden Befragung von 632 Unternehmen, Organisatio-
nen und öffentlichen Einrichtungen aus 30 europäi-
schen Ländern, Kanada, den USA und Südafrika weite-
re wertvolle Hinweise für die mit Positiven Maßnahmen
verbundenen Chancen und Vorteile. Als effektive Wir-
kungen von Positiven Maßnahmen wurden von den
befragten Unternehmen, Organisationen und öffentli-
chen Einrichtungen genannt:
- Schärfung des Bewusstseins für Gleichstellungs-
probleme in der Organisation: 80 Prozent
- Verbesserung des Organisationsimages: 78
Prozent
- Stärkung des Vertrauens der Beteiligten: 77
Prozent
- Bereitstellung von Netzwerkmöglichkeiten: 73
Prozent
- Bereitstellung von beruflichen Weiterbildungsmög-
lichkeiten: 73 Prozent
- Verbesserung der Repräsentation der Zielgruppe
in der Belegschaft: 69 Prozent
- Verbesserung der Servicequalität/KundInnenzufrie-
denheit: 64 Prozent
- Verbesserung der Arbeitsleistung der Belegschaft:
61 Prozent
- Steigerung der Effizienz: 55 Prozent
- Verbesserung der Personalbindung: 45 Prozent
- Verbesserung der finanziellen Ergebnisse: 32
Prozent
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Andreas Merx ist Politik- und Organisationsberater und
Inhaber von Pro Diversity. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Antidiskriminierung/AGG, Diversity Management, Diversity Politics sowie integrationspolitische und inter-kulturelle Themen.
39 DOSSIER Positive Maßnahmen
Internationale Perspektiven
Das Konzept der Positiven Maßnahmen hat seinen
Ursprung in den USA, wo es als affirmative action be-
kannt geworden ist. Es entstand als Reaktion auf die
Forderungen der US-amerikanischen BürgerInnen-
rechtsbewegung, die den Jahrhunderte währenden
Rassismus gegen die Schwarze Bevölkerung anpran-
gerte und bekämpfte. Später wurden mit affirmative
action weitergehende Ziele verfolgt, wie die Überwin-
dung der Benachteiligung von Frauen und nichtschwar-
zer ethnischer Minderheiten.
International sowie innerhalb der Länder der Europäi-
schen Union gibt es inzwischen sehr verschiedenartige
Erfahrungen mit Positiven Maßnahmen, die zum Teil
auf Unterschieden in dem zugrunde liegenden Ver-
ständnis, der genauen Ausrichtung und der Durchfüh-
rung basieren. Vor dem Hintergrund heterogener sozia-
ler und politischer Systeme, ebenso divergenter
Rechtssysteme und Rechtskulturen sowie gesellschaft-
licher und wirtschaftlicher Entwicklungen bilden die
Erfahrungen anderer Länder einen wertvollen Erfah-
rungsschatz, auf den in der Planung von Positiven
Maßnahmen hierzulande zurückgegriffen werden kann.
- Viviane Reding beschreibt den rechtlichen Rah-
men und die Unterstützung für Positive Maßnah-
men im Kontext der Europäischen Union. Sie zieht
eine positive Zwischenbilanz der Umsetzung in
den Mitgliedsländern und weist auf Bedingungen
hin, die für den Erfolg der Maßnahmen unerläss-
lich sind.
- Uduak Archibong und Fahmida Ashraf konzent-
rieren sich auf Großbritannien und erläutern den
dortigen juristischen Kontext für Positive Maßnah-
men sowie bisherige Ergebnisse in der Umsetzung
anhand ausgewählter Fallstudien. Im Annex zu
diesem Beitrag finden sich die Kernaussagen und
Handlungsempfehlungen der von Uduak Archibong
geleiteten, einflussreichen EU-Studie „Internationa-
le Sichtweisen zu Positiven Maßnahmen: Eine
vergleichende Analyse in der Europäischen Union,
in Kanada, in den USA und in Südafrika―
(„PAMECUS-Studie―).
- Christopher McCrudden und sein Team erläutern
Positive Maßnahmen innerhalb der nordirischen
Beschäftigungspolitik, die auf eine Gleichbehand-
lung von KatholikInnen und ProtestantInnen abzie-
len. Ihren diesbezüglichen Evaluationsergebnissen
zufolge, waren freiwillige verbindliche Vereinba-
rungen mit Unternehmen so erfolgreich, dass sie
sogar einen breiteren Trend in Richtung „fair
employment― auslösten.
- Paul Lappalainen, Yamam Al-Zubaidi und Paula
Jonsson führen in die schwedische Tradition Posi-
tiver Maßnahmen ein und nähern sich auf der Ba-
sis bisheriger Forschungsergebnisse der Frage an,
ob eher Sanktionen oder Anreizsysteme zu einer
tatsächlichen Implementierung dieser Maßnahmen
beitragen.
- Carsten Keller, Ingrid Tucci und Ariane Jossin
erläutern die Besonderheiten der französischen
Antidiskriminierungspolitik und beleuchten die Er-
folge und Defizite durchgeführter Maßnahmen in
der Stadt- und Quartiersentwicklung sowie im Hin-
blick auf den Zugang zu Elite-Hochschulen.
- Michael Werz und Julie Margetta Morgan analy-
sieren die langjährigen Erfahrungen, die in den
USA mit dem Konzept der affirmative action ge-
macht wurden. Sie berücksichtigen dabei beson-
ders die Bereiche des Hochschulwesens und des
Auslandsdienstes.
DOSSIER Positive Maßnahmen 40
Viviane Reding
Positive action measures in the context of integration, migration and cultural diversity: Building a consensus on the basis of reasoned policies
Over the years it has become clear that the challenges
associated with integration, migration and cultural di-
versity will not disappear on their own. Instead, we have
seen increasing reference to the need for positive ac-
tion measures to combat discrimination. But what ex-
actly are positive action measures? A recent study
undertaken for the European Commission in 2009 (Ar-
chibong et al.) found that there was wide-spread confu-
sion and inconsistency in the terminologies used to
describe positive measures across the EU, North Amer-
ica and South Africa. In order to establish greater clar-
ity, the study produced a new legal definition of positive
action measures as ―proportionate measures under-
taken with the purpose of achieving full and effective
equality in practice for members of groups that are
socially or economically disadvantaged, or otherwise
face the consequences of past or present discrimination
or disadvantage‖ (p. 24).
In order to ensure real and effective equality, these
measures will need to take into account the different
starting points in different countries – different contexts
will require different focuses, and some countries have
further to go than others. Nonetheless, positive action
measures do more than just apply non-discrimination
principles. They also aim to actively support and/or
compensate disadvantaged groups. In some cases it
may be necessary for specific groups to receive addi-
tional support and be treated more favourably for a spe-
cific purpose (Henrad 2007, p. 13). In the Netherlands
for example, researchers from ethnic minorities can
access a specific grant scheme (Archibong et al. 2009,
p. 57). In other countries, quota systems are frequently
used to support the employment of people with disabili-
ties. Positive action measures can be based on legisla-
tion, schemes or programmes – both public and private,
and at regional, national or supranational level.
EU legal framework: a long tradition
Within the European Union, the legal framework for
positive action in the Member States has been estab-
lished by a number of directives, as well as by related
case law from the European Court of Justice (ECJ). EU
law for many years only addressed positive action in
relation to sex discrimination (European Commission
2007a). It was in this context that the ECJ ruled that the
aim of positive action measures is ―to achieve substan-
tive, rather than formal, equality by reducing de facto
inequalities which may arise in society and, thus, in
accordance with Article 141(4) EC, to prevent or com-
pensate for disadvantages in the professional career of
persons belonging to the under-represented sex‖ (Case
C-407/98, Abrahamsson, paragraph 48).
As part of this reasoning the ECJ has developed a set
of criteria to assess the legality of positive action meas-
ures: They must be based on clear unambiguous crite-
ria, address specific career inequalities and help
women to conduct their life on a more equal footing with
men (De Vos 2007, p. 19). So, for instance, a law allow-
ing women to receive a pension at an earlier date than
men would not be considered to be a positive action
measure as it does not address the occupational diffi-
culties encountered by women during their careers
(Case Griesmar, C-366/99).
In 1997, the Amsterdam Treaty pushed the equality
agenda forward and provided a legal basis (Article 13 of
the EC Treaty, now Article 19 of the TFEU) at EU level
for adopting non-discrimination measures based on
grounds other than sex, namely racial or ethnic origin,
religion, belief, disability, age or sexual orientation. This
has given rise to several new directives which in turn
refer to positive action.
These legal provisions include Article 5 of the Racial
Equality Directive 2000/43/EC (European Council
2000a) and Article 7 of the Employment Framework
Directive 2000/78/EC (European Council 2000b). Fol-
lowing their adoption, Member States can (but are not
obliged to) adopt positive action measures to prevent or
compensate for disadvantages linked to discriminatory
treatment. EU legislation now allows for the possibility
of adopting positive action measures, although it does
not establish an obligation to adopt them.
Nevertheless, although it has not yet ruled on any posi-
tive action measures under these directives, it is ex-
41 DOSSIER Positive Maßnahmen
pected that the ECJ will assess Member States' positive
action measures according to the principle of propor-
tionality. This requires that derogations from the princi-
ple of equality are appropriate and necessary in order to
achieve their aim and that the principle of equality be
reconciled, as far as possible, with the requirements of
the aim pursued (Case C-476/99, Lommers, paragraph
39). The need for a reasonable justification is therefore
included in those rules.
Positive action in practice
In January 2007, a Eurobarometer study (European
Commission 2007b) illustrated that the majority of
Europeans are in favour of adopting more measures to
provide equal opportunities for all. Indeed, 87 per cent
of survey respondents were in favour of measures
supporting people with disabilities and 84 per cent in
favour of measures for older people. Public support for
the use of positive action measures is a central element
in addressing the challenges faced by groups and
communities that have historically been disadvantaged
or discriminated against.
To date, Member States have developed a huge variety
of policies on positive action – some use "soft" meas-
ures like raising awareness of equality issues, while
others tackle the under-representation of certain groups
in more determined ways, with targeted recruitment
and/or the use of quotas. The Danish government, for
example, believes that public administration staff should
reflect the labour market in general – as such, 4 per
cent of staff should be immigrants from western coun-
tries or their descendants.
Similarly, in the UK, one hospital encourages people
from ethnic minority backgrounds to take up a range of
internships in order for them to gain confidence and
skills. The aim is for participants to remain employed
after the internships have ended. In Austria, the city of
Vienna's housing department has established a scheme
to address intercultural conflict among residents of the
city's public housing. The city now employs a group of
intercultural mediators who work in mixed teams to
provide support that is easy to access and acceptable
for as many people as possible.1
Furthermore, several Member States have implemented
new measures to help migrants and ethnic minority
1
More examples are available at the EC‘s Employment, Social Affairs and Equal Opportunity website http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=618&langId=en
groups to access employment. The European Commis-
sion High Level Advisory Group of experts on the social
integration of ethnic minorities identified no less than 14
barriers preventing the access of ethnic minorities to the
labour market (Süssmuth et al. 2007).
European Commission support for positive
action
Identical treatment may result in formal equality, but it is
not enough to bring about equality in practice. In its
2008 Communication on ―non-discrimination and equal
opportunities: a renewed commitment‖
(COM(2008)420), the European Commission recog-
nised the rapidly growing importance attributed to the
role of positive action in redressing the lack of equality
in societies.
The Commission has established permanent dialogue
with the Member States to broaden and deepen our
understanding of what positive action can do for Euro-
pean citizens, as well as to encourage its use, in par-
ticular in the areas of access to education, employment,
housing and health care. In October 2010 the Commis-
sion will be holding a seminar to exchange good prac-
tices on policies supporting access to and progress in
employment of people from ethnic minorities2.
Moreover, the Commission is continuously seeking to
improve knowledge of the concept of positive action, as
well as its practical implementation in Europe. The
Commission also actively monitors and compares ex-
periences with non-EU countries which have an estab-
lished tradition of positive action such as Canada, the
United States and South Africa. Indeed, a recent study
has shown a general agreement that positive action
contributes to tackling discrimination against particular
groups within society. There is however considerable
variation in the level of familiarity with and understand-
ing of the concept.
Effective positive action requires access to good quality
data – both in order to target measures accurately and
in order to politically justify positive action measures to
the electorate. However, this can be difficult for many
Member States which, for historical reasons, consider it
unacceptable to collect data on race, ethnicity, religion,
belief or sexual orientation. The Commission recog-
nises this dilemma and has published a European
2 Results will be published at the EC‘s Employment, Social Affairs and Equal Opportunity website http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=840&langId=en
DOSSIER Positive Maßnahmen 42
Handbook on equality data (Makkonen 2007a) and a
study on how to measure progress made in combating
discrimination and promoting equality (Makkonen
2007b) to encourage Member States to collect and
compile the necessary data without compromising indi-
vidual human rights or data protection rules.
In addition to working with national authorities to de-
velop policies on positive action, the Commission works
in close cooperation with enterprises. Business has a
key role to play in tackling discrimination in the labour
market and in promoting diversity in the workforce. Over
the past few years, the Commission has been actively
raising awareness among companies that recruiting a
diverse workforce is not simply about respecting anti-
discrimination rules; it is also about improving economic
performance. In 2010, the Commission launched a new
project under the 'Business Case for Diversity' agenda,
which aims to establish a platform for EU-level ex-
change between organisations promoting and imple-
menting national diversity charters. The Commission is
also conducting a feasibility study with businesses to
look at the potential development of a European diver-
sity award and diversity benchmark data.
Conclusion
The European Union is founded on the shared princi-
ples of liberty, democracy, respect for human rights and
fundamental freedoms. Common to all European socie-
ties is a fundamental recognition that every individual is
of equal worth and should have fair access to the op-
portunities of life. Discrimination undermines these
shared values. Positive action measures are an impor-
tant legal and policy tool to address situations of unfair-
ness and disadvantage.
Nonetheless, I recognise that, for positive action meas-
ures to work effectively and to be accepted by society
as a whole there must be consensus that the measures
and policies being put forward are reasonable, justifi-
able and necessary. In addition, it is essential to involve
the groups targeted by the measures in their design,
planning, implementation and evaluation – it is not
enough to implement policies for people, it must be
done with them. Effective measures will also require
that we overcome barriers to positive action, such as a
lack of awareness of its benefits and an inconsistent
use of the legal framework.
I know that some national authorities remain reticent in
implementing positive action measures. However, I also
know that most are very aware that, while identical
treatment of people may result in equality in a formal
sense, it is not enough to bring about real equality. And
ultimately that is what we are all striving for.
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Dr. Viviane Reding is a Luxembourg politician, cur-
rently serving as European Commissioner for Justice, Fundamental Rights and Citizenship and Vice President of the Commission. Before starting a professional ca-reer as a journalist in Luxembourg, she obtained a doctorate in human sciences at the Sorbonne.
DOSSIER Positive Maßnahmen 44
Uduak Archibong / Fahmida Ashraf
Positive Action in the UK
Introduction
This paper provides an overview of the laws regulating
positive action in the UK. It also presents key findings
from a selection of research studies on positive action
in the UK conducted between 2003 and 2009 by the
Centre for Inclusion and Diversity at the University of
Bradford, and provides examples of positive action
drawn from these studies. In addition, key messages
and recommendations based on an international study
on positive action are provided as an annex.
Background
The projected life expectancy for workers who were 60
in the year 2000 is now 80 years (Griffiths, 1997). While
the numbers of retired people post 2010 are set to rise
dramatically, many will thus still have a life expectancy
of a good number of years ahead of them at that point.
To add to this, the UK has seen lower birth rates in the
last 20 years (Griffiths, 1997) and the average age of
first time mothers has also increased (National Statis-
tics, 2004/2005). Moreover, the UK is likely to see de-
creasing numbers of economically active people and an
increase in the average age at which people are enter-
ing into the workforce, yet it will simultaneously see a
rise in the number of retired people. These factors to-
gether present an economic challenge for the future as
the burden on pensions, health care and welfare rises,
and together they provide a compelling economic case
for diversity, as it will become increasingly important to
place all those who can work into employment.
In addition to the economic obligations, the business
case for diversity in UK workplaces has never been
clearer. Many authors (e.g. Cassell, 1997; D‘Netto and
Sohal, 1999; Woodhams and Danieli, 2000) have
shown that diversity is associated with competitive
advantage and business success in several ways.
Foremost, organisations that have ethical policies and
procedures and which actively manage diversity are
associated with an improved corporate image. This is
increasingly important in a world where competition and
markets are global, and where employees and custom-
ers alike are increasingly having more choice about
who they give their custom to and who they work for.
From an employee perspective, a heterogeneous or-
ganisation that celebrates diversity in its workforce has
been associated with a range of desirable effects, from
reduced staff turnover levels and increased workforce
motivation to enhanced team working and improved
business ideas (Cassell, 1997; Kochan et al., 2003). By
breaking down the boundaries created by past discrimi-
nation, organisations that celebrate the diversity of their
workforce are also better placed to attract and retain the
best personnel (Woodhams and Danieli, 2000). Further,
diversity has also been associated with increased or-
ganisational effectiveness in terms of improved decision
making and problem solving, enhanced creativity and
innovation and better quality management (Von Bergen,
Soper and Parnell, 2005; Perkins, 2006). It is also as-
sociated with helping to create a flexible workforce that
can aid the processes of restructuring and organisa-
tional change (Cassell, 1997).
From the consumer perspective, increased technology,
the internet and global migration have meant that or-
ganisations now serve global markets and must there-
fore appeal to a multi-national, diverse customer base
(Platt, 2005). D‘Netto and Sohal (1999) note that to-
day‘s organisations must serve a customer base com-
prising people who are different and who share different
attitudes, needs, desires, values and behaviours. So for
example in organisations like the National Health Ser-
vice (NHS), it is argued that where the workforce is
representative of the communities that they serve, this
will lead to care being delivered more effectively (Archi-
bong, 2002; Woodhams and Danieli, 2000). In fact,
equality and diversity strategies (DOH 2003) make a
clear business case for the NHS to harness the diver-
sity of its workforce. In other organisations, it is argued
that mirroring the composition of customers and clients
will provide an organisation with a desirable competitor
advantage as the workforce will be better placed to
understand its customers and will have an enhanced
ability to deal more sensitively with their needs, thereby
increasing customer satisfaction, and gaining and keep-
ing their trust (D‘Netto and Sohal, 1999; Von Bergen,
Soper and Parnell, 2005). In addition, organisations
with a diverse workforce are also associated with an
ability to attract ethical investors, which is particularly
important in the public sector (Cassell, 1997).
Clearly there remains a vibrant debate about the most
appropriate way to tackle inequality and diversity at
work (Edwards and McAllister, 2002; Bagshaw, 2004;
45 DOSSIER Positive Maßnahmen
Stratigaki, 2005; Bajawa and Woodhall, 2006; Young,
Mountford and Skrla, 2006). Woodhams and Danieli
(2000) have explained how the current UK approach to
equality, at least in terms of legislation is to ensure that
people are treated equally or ―the same‖ (or no less
equally) in spite of their differences. In other words the
focus is on ensuring that circumstances do not arise in
which decisions are based on differences (assumed to
exist on the basis of socio/biological groupings) be-
tween people, as it is viewed that these circumstances
often allow unfair discrimination to result. Nevertheless,
Woodhams and Danieli (2000) argue that such policies
and practices are flawed because they regard differ-
ences as negative and attempt to formally gloss over
and ignore many of the fundamental group-based char-
acteristics that divide one group from another. They
have particularly noted the difficulties in placing people
with disabilities within such an agenda because of the
heterogeneity of this group. The above discussions
indicate a compelling reason for institutions to take
steps to ensure that their policies and practices are fair
and lawful from the outset and have strengthened the
need for transparent positive action measures for realis-
ing equality of opportunity in the workplace.
Legal perspective of positive action in the UK
Whilst legislative mandates which have been developed
over the last 40 years have helped to create and re-
spond to change in society and to promote civil rights
and equality, inequality and discrimination persist today
(Framework for a fairer future - The Equality Bill, 2008).
For example:
- The gender pay gap, though down from 17,4% in
1997, still means that a woman‘s full time pay is
on average 12,6% less per hour than a man‘s.
Women working part time are paid around 40%
less per hour;
- The rate of employment of disabled people has
risen from 38% ten years ago to 48% today, but if
you are disabled, you are still two and a half times
more likely to be out of work than a non-disabled
person;
- If you were from an ethnic minority, in 1997 you
were 17,9% less likely to find work than if you
were white. The difference is still 15.5%;
- 62% of over-fifties feel that they are turned down
for a job because they are considered too old,
compared with 5% of people in their thirties;
- 6 out of 10 lesbian and gay school children expe-
rience homophobic bullying and half of those con-
template killing themselves as a result.
There is widespread recognition that the problem of
discrimination will not disappear on its own and that
appropriate strategies are required in order to nurture a
workforce that comprises a variety of talents and re-
flects the diverse community being served (DOH, 2003;
AUT, 2004; Archibong, 2006b; Archibong and Burford,
2006). Indeed the current projections (Framework for a
Fairer Future - Equality Bill, 2008) show that if progress
is not stepped up:
- The pay gap between men and women will not
close until 2085;
- It will take almost 100 years for people from ethnic
minorities to get the same job prospects as white
people;
- Disabled people will probably never get the same
job prospects;
- It will take 20 years for women to achieve equal
representation in the Senior Civil Service; and
- It will take 80 years to elect a representative
House of Commons.
In the UK, positive action policy has been put in place to
redress disadvantage, eradicate discrimination and
guarantee equal opportunity for every member of soci-
ety. At present there is no legal definition of positive
action (Archibong et al. 2007), however key equal op-
portunities legislation allows employers to target spe-
cific groups (including women, disabled people and
ethnic groups) in legally acceptable ways (NHS Em-
ployers, 2005).
Legislation that establishes positive action measures in the UK
In relation to the law applying in Great Britain (England,
Wales and Scotland), positive action schemes are not
established by legislation, although there are obliga-
tions on public authorities to promote equality. The
situation is different in Northern Ireland.1 In 1989, the
law on religious discrimination was significantly revised
and it is now found in the Fair Employment and Treat-
ment (Northern Ireland) Order 1998 (FETO) (SI 3162
1
See also the article by Christopher McCrudden, Raya Mutta-rak, Heather Hamill and Anthony Heath in this volume.
DOSSIER Positive Maßnahmen 46
(NI 21). In general terms, there are several key ele-
ments to the legal framework:
- Employers with more than ten employees are
obliged to collect data on the religious composi-
tion of their workforce, as well as job applicants.
- At least once every three years, each employer
must review the religious composition of those
who are employed and determine whether ―mem-
bers of each community [i.e. Protestant and Cath-
olic] are enjoying fair participation in employment‖
(Art 55(1)).
- If there is not fair participation of both communi-
ties, the employer must determine ―the affirmative
action (if any) which would be reasonable and ap-
propriate‖ (Art 55(2)). The Equality Commission
can require employers to provide evidence of the
reviews that they have conducted. Ultimately, the
Commission can direct an employer to take affir-
mative action and set goals for the employer as
well as and timetables for changing the religious
composition of the firm. These directions are
legally enforceable.
In order to redress the substantial under-representation
of Catholics in policing, recruitment to the Police Ser-
vice for Northern Ireland (PSNI) is governed by a spe-
cial legislative arrangement. The Police (Northern Ire-
land) Act 2000 establishes a ―50:50‖ recruitment
scheme. Applicants to the PSNI are first sorted into
pools of qualified persons (i.e. those who have sufficient
qualifications to be considered for appointment). Two
pools are formed: one consists of Protestant applicants
(and any other non-Catholic applicants); the other con-
sists of Catholic applicants. For every person appointed
from the Protestant pool of applicants, one must also be
appointed from the Catholic pool (section 46(1)).
Legislation that establish obligations on public or private sector organisations to take positive action
There are no legal instruments in Great Britain which
oblige private sector organisations to take positive ac-
tion. With regard to public sector organisations, there
are a range of legal obligations which place public au-
thorities under a duty to promote equality. Whilst these
might not constitute positive action per se, they estab-
lish frameworks within which public authorities can be
expected to take positive action.
The first duty to promote equality was created in North-
ern Ireland. Section 75 of the Northern Ireland Act 1998
places public authorities under a duty to ―have due
regard to the need to promote equality of opportunity
(a) between persons of different religious belief,
political opinion, racial group, age, marital status,
sexual orientation;
(b) between men and women generally;
(c) between persons with a disability and those
without; and
(d) between persons with dependents and those
without.‖
Schedule 9 of the Act specifies that all public authorities
are required to prepare an ―equality scheme‖ setting out
the detailed arrangements for complying with the duty.
In Great Britain, the Race Relations (Amendment) Act
2000 introduced an amended section 71(1), which
states that a public authority:
shall, in carrying out its functions, have due regard
to the need
(a) to eliminate unlawful discrimination; and
(b) to promote equality of opportunity and
good relations between persons of different
racial groups.
The general duty in the Act was subsequently supple-
mented by a series of legally-enforceable specific duties
set out in the Race Relations Act 1976 (Statutory Du-
ties) Order 2001 (No. 3458). In summary, these create
obligations for public authorities to collect data relating
to the ethnic origin of their employees and, in relation to
education providers, students. Most public authorities
must also prepare a race equality scheme explaining
the organisation‘s procedures for taking race equality
into account in policy-making. The race equality duty
has now been complemented by further duties on dis-
ability and gender. The disability duty was created by
the Disability Discrimination Act 2005 and the gender
duty is included in the Equality Act 2006. Both follow a
broadly similar structure to the race equality duty, al-
though there are differences in their detailed require-
ments. The government has expressed its intention to
introduce a single equality duty covering also the
grounds of gender reassignment, age, disability and
sexual orientation (Government Equalities Office:
Framework for a fairer future – the Equality Bill‘ (cm
7431, 2008) p. 15). Below is a summary of the legal
analysis of the UK legislation which forms part of a
recent study on positive action measures in the Euro-
pean Union, Canada, United States and South Africa
(Archibong et al. 2009 b.).
47 DOSSIER Positive Maßnahmen
Forms of positive action permitted, but not required, by legislation
Most of the British anti-discrimination legislation pro-
vides specific exceptions for two types of positive action
in relation to employment. Firstly, there are exceptions
for ‗outreach‘ measures (e.g. s. 37 Race Relations Act
1976). These are steps designed to encourage partici-
pation in the workforce from under-represented com-
munities, e.g. advertising a job in ethnic minority news-
papers. Secondly, there are exceptions for training
schemes. This allows employers and other bodies to
provide targeted training schemes for members of un-
der-represented groups, either for job-seekers or for
those already in employment. In addition, the Northern
Ireland legislation allows employers to adopt criteria in
redundancy selection which might indirectly discrimi-
nate against the over-represented religious community
(Art. 73 FETO). Employers in Northern Ireland can also
limit recruitment to persons who have been unemployed
for a specific period of time (this would indirectly dis-
criminate against Protestants because Catholics are
over-represented among the long-term unemployed)
(Art. 75 FETO).
In relation to positive action outside the employment
sphere, two provisions can be highlighted. Section 35 of
the Race Relations Act 1976 permits measures ―done in
affording persons of a particular racial group access to
facilities or services to meet the special needs of per-
sons of that group in regard to their education, training
or welfare …‖. This has been used for a wide variety of
schemes, such as nursing homes for particular racial
groups (Para 4.23, Department for Communities and
Local Government 2007). In addition, the Sex Discrimi-
nation (Election Candidates) Act 2002 permits, inter
alia, the use of women-only shortlists when political
parties select candidates for elections. It should be
noted that the Disability Discrimination Act 1995 forbids
discrimination against disabled persons, but there is no
corresponding prohibition of discrimination against non-
disabled persons. This means that no exceptions are
needed to justify positive action for disabled persons as
this cannot be challenged as unlawful discrimination
against non-disabled persons.
Forms of positive action prohibited by legislation
With the exception of disability, anti-discrimination legis-
lation applies in a symmetrical fashion. This means that
positive action measures designed to assist groups
vulnerable to discrimination (such as women, ethnic
minorities, religious minorities) may constitute unlawful
discrimination against members of the advantaged
group (e.g. men, the White British, Christians, etc).
Unless it is protected by the specific statutory excep-
tions described above, positive action is vulnerable to
legal challenge as direct or indirect discrimination. For
example, Lambeth v. Commission for Racial Equality
(1990 ICR 768) concerned a Council district where over
half of all tenants were Afro-Caribbean or Asian. In or-
der to make the housing service more sensitive to the
needs of minority ethnic communities, the Council re-
served certain posts for minorities. In relation to those
posts which did not involve substantial contact with the
public, this was held to constitute unlawful direct dis-
crimination.
The new Equality Act (2010) brings together nine sepa-
rate pieces of legislation into one single Act simplifying
the law and strengthening it in important ways to help
tackle discrimination and inequality. Implementation of
the majority of the Equality Act will begin on 1 October
2010. The Equality Act 2010 provides a new cross-
cutting legislative framework to protect the rights of
individuals and advance equality of opportunity for all;
to update, simplify and strengthen the previous legisla-
tion; and to deliver a simple, modern and accessible
framework of discrimination law which protects indi-
viduals from unfair treatment and promotes a fair and
more equal society. There is on-going debate on how
the Equality Act will extend positive action.
Positive action in the UK: Research evidence
This section presents findings from four studies con-
ducted by the Centre for Inclusion and Diversity, Uni-
versity of Bradford between 2003 and 2009.
Study 1
The three-year collaborative study ―Positive Action
Research in Education and Health (PAREH)‖ (Archi-
bong et al. 2006a) was undertaken between September
2003 and August 2006. It aimed to explore the under-
standing of Positive Action and assess its impact on
workforce diversity in the Higher Education, Further
Education and National Health Service (NHS) sectors. It
was jointly funded by the University of Bradford and the
European Social Fund. The scope of the study was
broad and addressed the following research questions:
What are the meanings and goals of positive action in
three specific contexts: Higher Education, Further Edu-
cation and National Health Service sectors? To what
extent does the reality of positive action match the
experiences, expectations and aspirations in the areas
DOSSIER Positive Maßnahmen 48
of race, gender and disability? A comparative case
study methodology was utilised with a combination of
various participatory methods – literature review, docu-
mentary analysis, concept analysis, interviews, focus
groups, conference and survey.
Key findings - Conceptual dimensions of positive action
A concept analysis framework was adopted in this study
to consider the usage of the notion of positive action
within both legislative and practical contexts. With a fo-
cus on the UK context, the approach involved identifica-
tion of conceptual characteristics in terms of borderline
cases, related cases, antecedents and consequences.
Whilst the overall equality and diversity agenda re-
ceives high profile media coverage and continues to be
well debated in academic circles, there is significantly
less conceptual analysis of the nature of the anti-
discriminatory tools that the public sector employer can
call upon, and this presents both practical and theoreti-
cal problems in their application. This is particularly the
case with positive action, which has been on the statute
books in the UK since the mid-1970s and is a means of
overcoming structural workforce-related disadvantage
for particular social groups. More than thirty years later,
with a public sector increasingly aware of positive ac-
tion‘s potential for overcoming inequality and enhancing
workforce diversity, considerable confusion remains
over its appropriate application in the workplace. In
NHS case studies, Iganski et al. (2001) found few posi-
tive action initiatives that were embedded in systematic
strategies, and arguments for such initiatives were
neither understood nor embraced. Bhavnani (1997) also
found that schemes are often developed in an ad hoc
and pragmatic way in which theory does not accom-
pany practice.
Certainly, whilst it has strong potential as an anti-
discrimination measure (Karim, 2004), positive action
remains a contested term (Nowak, 2004), with wrongful
interpretation by employers leading in some instances
to litigation (Karim, 2004; Nowak, 2004, Millar, 2006a).
In the recent consultation document on age discrimina-
tion, positive action proposals were criticised by the
National Association of Teachers in Further and Higher
Education (NATFHE), who said that the guidelines
were, ―Vague and insufficient‖ (DTI, 2006). Within the
workforce, poor communication of well-intended posi-
tive action measures have sometimes caused confusion
amongst intended beneficiaries and their peers (Arora
and Archibong, 2003); with such situations potentially
leading to stigmatisation of recipients and a negative
impact on overall staff morale. Moreover, such methods
are also limited because there is a lack of parity be-
tween legislative provisions for equality strands. Indeed
suggestions have been made for Black and Minority
Ethnic (BME) groups to be given the same priority as
gender equality, particularly in Public Administration
(PA) training and setting targets at higher structural
levels within universities (Carter, Fenton and Modood,
1999).
Positive action can be considered to have three signifi-
cant conceptual dimensions: the legislative, the practi-
cal and the political. Statutory equality bodies explain
the legislative concept, whilst managers within organi-
sations develop the concept of positive action and apply
it through workforce diversity measures. Nonetheless,
the perception of positive action is affected by its com-
munication through the media. It can seem directly
dependent on the context, and can be driven and
framed by the political agenda of the time. These fac-
tors can impact on the nature of positive action and the
initiatives that materialise in reality.
Other findings
Although the majority of organisations involved in this
research had detailed equality and diversity policies in
place, there were mixed interpretations of positive ac-
tion and confusion between general equal opportunities
practices and positive action. There were perceptions of
exclusion by the very people targeted by positive action,
particularly in relation to being ostracised and made to
feel uncomfortable when taking part. Senior manage-
ment were not involving under-represented groups in
the decision-making process in relation to positive ac-
tion, suggesting that positive action implementation is
more to do with compliance with legislation and less to
do with ―hearts and minds‖. Most positive action activi-
ties which were identified in this research were targeted
at women and black and minority ethnic groups. There
was limited evidence on programmes aimed at disabled
staff.
There was an over emphasis on positive action initia-
tives aimed at service users and less so for schemes
aimed at staff. Specific initiatives such as schemes for
supporting learning, training, mentoring, work shadow-
ing and forums for networking have been highlighted as
selective examples of positive action.
49 DOSSIER Positive Maßnahmen
Participants have reported the visible benefits of posi-
tive action, particularly in relation to promoting a diverse
workforce, providing assistance to minority groups and
improving representation in the workforce. Although the
benefits of positive action are highlighted, particularly in
relation to improving representation of women and BME
people in organisations, more effort is required in get-
ting minority groups in senior posts within organisations.
Some designers of positive action initiatives felt that
they were doing well in terms of disability, and positive
action was therefore not necessary. However, evidence
from the study suggests that positive action is least
prioritised in organisations. Others, especially peers, felt
that such practices were unfair and that minority ethnic
people were being advantaged at the expense of the
majority.
Study 2
This study addressed ―Critical Success Factors in the
Implementation of Positive Action in the NHS UK‖ (Bax-
ter et al. 2008). Early desk top research by NHS Em-
ployers (2005) established that, although positive action
initiatives are common in the NHS, there is little coordi-
nation of these activities nationally. The main objectives
were to investigate and identify the types and range of
positive action activities, identify key success factors,
and showcase examples of successful positive action
schemes. A total of 20 organisations took part in the
study, providing over 70 examples of positive action for
consideration. The researchers visited each of these
organisations and conducted in-depth interviews to find
out more about the respective positive action schemes.
On completion of the interviews, the schemes were
analysed, and a focus group brought together all par-
ticipating organisations. Emerging findings were shared
and consensus gained on the key factors supporting
successful positive action.
Key findings
Participating organisations were asked to consider the
factors which, in their view, were key to achieving suc-
cess with positive action. There was a considerable
degree of consensus on these, and participants em-
phasised that all of them needed to be in place to
strengthen the chances of success.
Leadership
By far the most often cited ―success factors‖ were con-
nected with strong leadership. These included:
- a dedicated resource, in the form of a designated
individual, preferably with a sound knowledge of
equality and diversity issues, in a position to drive
through the required ―logistical‖ aspects of the
work but also able to overcome some of the less
tangible – cultural or political – issues which inevi-
tably arise;
- passion for the work and the objectives, i.e. un-
derstanding and enthusiasm, drive and persever-
ance;
- commitment from the top of the organisation, and
across the organisation, including managers,
clinical staff etc.;
- an emphasis on team working.
Strategic Management Approach
Many organisations pointed to the value of undertaking
positive action initiatives within a strong strategic
framework, which ensures that the option to try positive
action emerged from a sound, appropriately funded,
long-term strategy for the organisation. Examples in-
clude positive action as part of a long-term recruitment
and retention strategy or wider organisation develop-
ment programme.
Several examples of positive action in our survey were
developed as part of a local partnership scheme with
other stakeholder organisations such as other NHS
Trusts, the local Strategic Health Authority, the Local
Authority and Jobcentre Plus (a UK government agency
supporting people of working age from welfare into work
and helping employers to fill their vacancies). These
schemes not only support coordinated action across a
community but also often provide real resource savings,
as part of the work involved is delegated to other or-
ganisations or shared across several partners.
Sound planning and project management were regu-
larly cited as instrumental in achieving success. This
includes robust evaluation which demonstrates that the
positive action being implemented is having the re-
quired effect. Outcomes might include changing the
balance of ethnicity among staff in general, or increas-
ing the number of disabled applicants for certain posts.
DOSSIER Positive Maßnahmen 50
Communication
Communicating to the right people, in the right way at
the right time is a major success factor and should be
considered carefully. Three main aspects of this
emerge in relation to implementing positive action:
1. Communicating with target groups: knowing the
local community and why certain groups are being
targeted - and effectively marketing the organisa-
tion or specific initiative to them in ways which will
make an impact.
2. Communicating within the organisation: making it
clear what the positive action initiative is about and
what it is trying to achieve, managing expectations,
why it is not ―unfair‖ to other groups, when it is due
to end etc.
3. Sharing good practice: there is a great deal of good
work taking place; re-inventing the wheel is waste-
ful and time-consuming whereas networking and
mutual learning can offer shortcuts and earlier pay-
back.
Organisational Culture
Another, less tangible aspect of successful outcomes is
the culture of the organisation – ―the way we do things
round here‖. For example, the ability to ―think outside
the box‖, be flexible and adaptable, and even to take
calculated risks, is seen by several of those involved as
key drivers in determining what they did and how they
went about it.
Celebrating success is also seen as an important fea-
ture of achieving cultural change: fostering a sense of
achievement, improved morale and laying the founda-
tions for more successful action in the future.
Resources
Unsurprisingly, securing adequate resources is consid-
ered fundamental to success. However, many of the
other success factors can help to bolster the resources
available, such as: sharing good practice to save need-
less repetition of work, careful targeting and evaluation
to improve the value derived from each initiative, and
sound planning and project management to help to
ensure that resources are used effectively.
Study 3
The third study project is entitled ―Positive action meas-
ures in the European Union, Canada, United States and
South Africa‖ (PAMECUS) (Archibong et al. 2009c).
This section is an extract that will present the main
findings from the thematic analysis based upon the data
collected from 2 consensus workshops and interviews
involving 62 HR/ED professionals in the UK. In addition,
the research involved a documentary analysis of the
materials provided by workshop participants relating to
positive action policies and practices within their re-
spective organisations.2
Key findings
Whilst all interviewees perceived positive action to be
closely linked to the mission of their organisation, their
understanding varied significantly across sectors. There
was a general consensus that positive action was an
effective way to change organisational practices in
order to redress former injustice experienced by histori-
cally oppressed minority groups. Several interpretations
of positive action were offered. Positive action is viewed
as an effective and legitimate tool to bring about change
within organisations.
A number of reasons were identified as to why positive
action had been introduced within organisations. Public
sector interviewees consistently attributed the impetus
for implementing positive action within their organisa-
tions to legislation which ―makes organisations ... stand
up and seem to be committed‖.
The effectiveness of positive action as a tool to achieve
sustainable change was unquestioned but appeared to
be dependent upon a number of wider variables. Given
that positive action can be seen to have negative con-
notations, interviewees felt that organisations needed to
communicate clear messages about the aims behind
introducing such measures and how they would be
operationalised in practice. Embedding positive action
within the philosophy of an organisation with a genuine
understanding and acceptance of its importance
amongst all staff was considered to be key to success-
ful application of positive action measures. Equally, it
was felt that there needed to be a strong commitment
and willingness within the workforce to change the
existing organisational culture and strong leadership
and commitment to achieve change.
Organisations are generally satisfied with the progress
they have made through their implementation of posi-
2
As an annex to the conclusion, please find the key messages and the recommendations of this study.
51 DOSSIER Positive Maßnahmen
tive action measures and could see the benefits. Many
organisations recognised the value of positive action as
a tool to help them create a workforce that would better
reflect and respond to the needs of local communities.
However, there were mixed results in terms of assess-
ing the impact of positive action strategies across or-
ganisations. It was apparent that not all organisations
felt confident about discussing the impact of their initia-
tives due to a lack of clarity about what their expecta-
tions had been from the outset in relation to their re-
spective project outcomes. Organisations have no way
of measuring whether positive action has achieved its
aims; consequently a more robust system of monitoring,
evaluation and impact assessment needs to be built
into positive action programmes from the outset.
There was widespread agreement that positive action
initiatives were more likely to get off the ground with
involvement from the target group itself. Some organi-
sations felt that sufficient effort had not been made to
mainstream equality internally.
Study 4
This study dealt with Corrective Action to redress the
ethnic imbalance in senior management: Experiences
of BME Leaders/Managers in the NHS (Ashraf and
Archibong 2009). The NHS has historically been under-
taking several initiatives to promote equality in employ-
ment as well as programmes to develop and promote
BME staff (NHS Executive, 1996). However, discrimina-
tion remains a feature of NHS employment practices
and may help to explain the lack of BME staff at senior
levels in the service (Esmail, 2007; Archibong and Darr,
2010). Despite having many initiatives BME staff are
under-represented in the NHS senior management
(National Nursing Leadership Programme, 2002, Esmail
2004, Archibong et al. 2006b) and at the top of each
organisation, the management is almost always white
(Carvel and Shifrin 2004). The literature review high-
lights the disproportionate numbers of BME staff at
middle and senior management levels within the NHS.
Iganski et al. (2001) and Bagihole (1999) found that
implementation of equal opportunities in NHS is slow
and there is a lack of equal opportunities-related mana-
gerial knowledge and strategies. There are basic statis-
tics on the number of BME staff employed by the NHS
but very little on their access to training courses, lead-
ership programmes and promotional opportunities (Es-
mail 2007; Esmail et al. 2005). Whilst recent attempts to
encourage the participation of influential senior manag-
ers, acting as role models for BME junior staff and
breaking down the old hierarchical relationships, is
crucial for the success of BME staff (Salman and Butler,
2004), evidence exists to show that factors such as the
lack of exposure to positive BME role models may have
militated against effective sustenance of representa-
tional diversity (Darr et al. 2008; Archibong et al. 2007).
Although several research studies have been carried
out on different initiatives/programmes offered at the
organisational level, limited work has been published on
the experiences of people who have participated in
those initiatives.
The aim of the study was to explore the experiences of
corrective action initiatives in redressing the ethnic
imbalance in NHS senior management. This study
explored the main NHS corrective action initiatives to
develop BME staff into management, the impact of
corrective action initiatives in terms of BME staff pro-
gression and retention and their experiences. A case
study approach involving in-depth face to face semi-
structured interviews and documentary analysis of
relevant policies was undertaken.
Key findings
The study revealed many ongoing corrective action
initiatives taking place in NHS organisations such as
Top Talent programme, the Breaking Through Pro-
gramme, BME Graduate Programme, Transformational
Leadership course, The Mary Seacole Awards and
Beacon programme. Other initiatives include manage-
ment and fast tracking schemes, BME staff forums,
BME support groups and networks schemes aimed at
recognising and cultivating leadership potential within
BME staff (National Nursing Leadership Programme,
2002).
Corrective action initiatives were seen as an opportunity
to learn and develop in a safe environment. Most par-
ticipants felt that corrective action changed their lives in
terms of achieving confidence, skills, networking and
gaining qualifications. These participants described
corrective action initiatives as milestones in their lives
that helped them to develop in their roles at work and
changed their thinking positively and how they worked
from prior to their participation in the corrective action
initiatives. Other participants felt that anyone can be-
come a manager but not necessarily be an effective
leader, and these initiatives taught them how to be an
effective leader or a good manager.
DOSSIER Positive Maßnahmen 52
The benefits of positive actions were visible as individ-
ual participants highlighted the changes experienced
after participation, both at the workplace and at the
personal level. These initiatives were seen by partici-
pants as an opportunity to develop and progress in their
professions. During participation in these initiatives peo-
ple learnt new skills and gained qualifications to com-
pete. Some participants were promoted at work from
managers to senior managers, and some were given
team leaders‘ roles as well as a pay rise. Those partici-
pants who took part in the Breaking Through Pro-
gramme were encouraged to apply for promotions or a
secondment post up to Director level. These initiatives
provided participants with learning opportunities includ-
ing presentation skills, communication skills, negotiation
skills and confidence to ask questions/raise any con-
cerns during meetings and one-to-one sessions. In
some cases participants were not directly promoted but
their roles and responsibilities were changed so that
some participants started representing their depart-
ments/teams to different boards and meetings. In some
organisations where individuals felt that they could not
move on with their careers in their own organisation,
participating in these initiatives gave them the confi-
dence to apply elsewhere and come back after a few
years to more senior posts in their own organisations.
Overall, the findings suggest that there are some good
examples of corrective action initiatives taking place in
the NHS organisations. Corrective action initiatives
were supported by the most senior staff working in the
NHS such as executives and directors. The ongoing
involvement in mentoring by the executives/directors
made huge differences for the participants in terms of
encouraging them to share their learning and applying
for better posts or secondments. Participants gained
skills and qualifications to compete at work. Many par-
ticipants were promoted at senior levels and others
moved out to work with the other NHS organisations for
better posts. Most participants reported that BME staff
networks helped them gain knowledge and information
about different training opportunities.
Although these initiatives made a visible difference in
terms of participants‘ learning and helping them move
on with their careers, it was also evident that it was not
the case for every participant. Some people struggled to
cope with the change that was taking place as a result
of The Agenda for Change. Under the current economic
climate, like at any other large organisations, NHS
employees were also facing difficulties in terms of their
contracts or job securities. Some participants experi-
enced lack of support from their colleagues and were
unable to share their learning with their colleagues.
Although there are many Directors and Chief Execu-
tives involved in mentoring it is often only a short term
commitment. To make mentoring more successful, an
ongoing commitment from the most senior staff is es-
sential. One-to-one sessions with mentors encouraged
BME managers to raise certain issues such as how
they were treated by their colleagues and line manag-
ers as well as working towards their career progression.
Ongoing support from senior management gives confi-
dence to participants and makes a real difference in
their development and job progression (McCarty et al.,
2005).
Examples of positive action measures in the
UK
Black Leadership Initiative
As part of a Further Education College‘s efforts to
achieve a more representative workforce in relation to
disability, gender and ethnicity, the Race Equality Ac-
tion Plan for the college identified an under-
representation of black staff at senior management
level within the organisation. A programme to provide
mentoring for black staff in the further education sector
was set up to help them advance in their career paths.
Some of the impetus for this initiative came from the
Network for Black Managers, which is an established
forum that challenges racial inequality within the further
education sector. Members of this network currently
meet regularly and make presentations to minority
ethnic staff based at the college. College restructuring
took place two years ago and involved working with the
Network for Black Managers to recruit more minority
ethnic staff as well as to make recommendations.
Creating a more representative workforce
This project was anchored in a voluntary organisation
which provides educational, care and employment
services for people with complex learning disabilities
and other disabilities. The Disability Discrimination Act
and related legislation triggered the need to boost the
number of disabled people in the workforce. Although
the organisation is not a public sector organisation and
therefore not beholding to its duties, it works with public
bodies such as the Learning and Skills Council that are
compliant with the legislation. There are also financial
incentives for the organisation to recruit more disabled
53 DOSSIER Positive Maßnahmen
students onto courses as all these students have finan-
cial weighting attached to their disabilities.
Recruitment and selection procedures are in place to
encourage people with disabilities to apply for positions
within the organisation. There is a guarantee of an
interview, once the minimum requirements are met by
applicants. Comparisons are made by the Personnel
department on a regular basis with figures held by the
local authority to assess whether applications reflect the
proportion of disabled people in the local population.
Improving recruitment of people of Chinese and mixed ethnic backgrounds into the health service
This project is executed by a Primary Care Trust. The
Trust is committed to becoming an employer of choice
and embedding equality into all its policies. It undertook
a ‗data cleanse‘ exercise in relation to its workforce in
2007, which provided a breakdown of the workforce by
the different equality strands. The results of this exer-
cise provided the Trust with an evidence base from
which to set workforce targets. The Trust also intro-
duced a number of initiatives to improve the representa-
tion of underrepresented groups into the workforce,
including specific ethnic groups.
In order to attract more applicants of Chinese and
mixed ethnic backgrounds, job vacancies were emailed
to 300 community organisations and also distributed
through the organisation‘s weekly bulletin. The national
website ―Ethnic Britain‖ (http://www.ethnicbritain.co.uk/)
was also used to advertise 80 posts. In addition guid-
ance for potential applicants on how to access NHS
jobs was translated into different languages. Workforce
targets are reported on at the end of the year and those
targets that are outstanding are rolled onto the following
year‘s targets. It was highlighted that the online process
of filling in application forms for NHS jobs was far from
straightforward.
Promoting Global Citizenship and Lifelong Learning
Located within a voluntary sector organisation, the
initiative was developed in response to a need ex-
pressed by members of the African community, particu-
larly young people and women, to learn more about
their own history and identity. The purpose was to raise
community awareness about social (in)equality, includ-
ing subjugation and marginalisation faced by African
people.
The organisation runs programmes to help teach about
the history of Africa as part of a continuum of struggle
dating back to the era of chattel slavery. The organisa-
tion also teaches skills for overcoming day-to-day chal-
lenges, emphasises indigenous self-knowledge sys-
tems and encourages people to unify around a belief in
common, human dignity. The success of the initiative is
evaluated with reference to the satisfaction of commu-
nity members with the initiative, measured by feedback
from individuals, audio interviews and suggestion box
type forms.
Widening Opportunity for Women (WOW): Maintaining the WOW factor
In 1999, the percentage of women in senior posts in a
health organisation was 28%. One hundred women
were surveyed to help develop the content of the pro-
gramme. W.O.W. consists of a series of workshops
which can either be done in sequence or selectively.
The workshops originally included issues such as mak-
ing a difference; assertiveness skills; positive thinking;
and time out for working parents. New workshops in-
clude finding the balance; making more of a difference;
and mentoring/coaching if required. The outcomes of
the project include 325 women who have attended
W.O.W. training since 2000 and almost 40% senior
posts are now occupied by women. Furthermore in
2004, 54.5 per cent of appointments were earned by
women. The programme was described by an external
audit as ―An excellent example of the use of training as
a positive action tool.‖
Positive Assets: Mental health service user employment service
People who use mental health services are sometimes
disadvantaged when they apply for jobs and may suffer
discrimination. In order to challenge this discrimination,
the Trust has developed Positive Assets to encourage
and support individuals who have used mental health
services to apply for posts within the Trust. Support is
available from the Trust in a number of ways including:
- Ensuring the recruitment process values the skills
and experiences gained by service users.
- Advertising job vacancies directly to service us-
ers, user groups and mental health workers.
- Working with applicants to identify strengths and
skills.
- Helping with the completion of forms and inter-
view preparation.
DOSSIER Positive Maßnahmen 54
- Supplying practical information – finance, child-
care, training etc.
- Providing ongoing practical support once in post.
Women in Science, Engineering and Technology Initiative (WiSETI)
The University‘s WiSETI had its origins in 1993 when
the University joined the Opportunity 2000 Campaign.
In 1998 some of the University‘s culture change goals
were targeted at SET with specific initiatives to address
the under-representation of women in SET. WiSETI
was created in 1999 with support from Personnel and
funding from the Vice-Chancellor to raise expectations
and to meet the challenge of those raised hopes and
aspirations. Its remit is:
- to improve the numbers of women studying SET
at the university;
- to improve the recruitment, retention and promo-
tion rates of women in SET appointments and
- to raise the profile and enhance the self-
confidence of women in SET through a range of
initiatives.
WiSETI addresses:
- access - recruitment and admissions;
- participation - retention of women graduate stu-
dents and post-docs;
- progression - the career progress of women post-
docs into permanent posts and their retention if
they choose to have children or have to undertake
other caring responsibilities;
- performance - whether women are required to
outperform men in order to win research funding
or appointments.
WiSETI has played a key role in highlighting the issue
of the under-representation of women in SET. It suc-
cessfully introduced dialogue between the different
agencies in the university (where undergraduates are
admitted by Colleges) concerned with outreach to
school students. It is mainstreamed into and funded
from the University's HR Strategy, with additional finan-
cial support from the Colleges and the University's
learning and teaching strategy. An annual WiSETI lec-
ture by a high profile woman scientist is part of the
outreach to girls and women who may be interested in
science.
Conclusion
Positive action in the UK is generally viewed as an
effective and legitimate tool to bring about change
within organisations. The legislative mandate is a key
driver for compliance with the utilisation of positive
action in the public sector. Many organisations have
recognised the value of positive action as a tool to help
them create a workforce that would better reflect and
respond to the needs of local communities.
Strong leadership and commitment is required for posi-
tive action initiatives to be effective. Organisations are
generally satisfied with the progress they have made
through their implementation of positive action meas-
ures and could see the benefits. However, organisa-
tions have no way of measuring whether positive action
has achieved its aims; consequently a more robust
system of monitoring, evaluation and impact assess-
ment needs to be built into positive action programmes
from the outset.
Uduak Archibong is Professor of Diversity at the Uni-
versity of Bradford, UK, where she directs the Centre for Inclusion and Diversity and provides strategic over-sight for equality and diversity across the institution. She leads a global team of researchers to undertake numerous large-scale research projects on representa-tional diversity and inclusive workplaces including the recently completed European Commission funded col-laborative research study on Positive Action Measures in the European Union, Canada, United States and South Africa (PAMECUS). Fahmida Ashraf is Research Officer at the Centre for
Inclusion and Diversity at the University of Bradford. Her research interests include workforce diversity, eth-nicity, race, gender, disability issues and research methods.
55 DOSSIER Positive Maßnahmen
ANNEX:
Key messages of the PAMECUS-Study1
The key messages of this study address the context of
equality and diversity, the definition and understanding
of positive action, the drivers for positive action, the
barriers to positive action, support for positive action,
outcomes and impacts, and positive action in practice.
Context of equality and diversity
- Positive action is generally undertaken within the
framework of written equality policies, mission
statements and annual reports, which reflect a
commitment to equality.
- Monitoring and specific target setting relating to
equality and diversity are widespread, with gender
being the most widely monitored and sexual ori-
entation the least monitored ground.
- Lack of disaggregated data in key sectoral fields
means effective positive programmes cannot be
comprehensively developed and implemented.
- Attracting diverse communities into the organisa-
tion may not necessarily mean a change of cul-
ture and attitude towards positive action.
Definition and understanding of positive action
- There is confusion and inconsistency in the termi-
nologies used to describe positive measures
across the study countries.
- There is a lack of common understanding in
Europe, within countries and across sectors on
the meaning of positive action.
- A clarification of the nature and purpose of posi-
tive action measures can promote a better under-
standing of the actual nature of the measures and
in turn generate a more positive attitude and per-
ception of the utility of positive action.
- The historical and political context of the respec-
tive countries, influences the formulation and ad-
aptation of positive action.
Drivers for positive action
- Legislation remains the main driver for positive
action. Other key drivers include altruistic rea-
sons, moral-ethical consideration, business rea-
sons, demographic changes, corporate social re-
1 The full study was published by Archibong et al. (2009a).
sponsibility, organisational policy and grassroots
efforts.
- Negative factors are seen to drive positive action
in some instances where organisations set up
programmes for political and financial gains with
little genuine interest in the essence of positive
action.
Barriers to positive action
- Lack of resources – human, financial and time -
are the most frequently cited barriers to positive
action, particularly in the European countries.
Lack of senior management buy-in, continued
support and commitment remain major impedi-
ments to successful and sustained positive action.
- Legal frameworks on positive action lag far behind
social policy, and conflicting data protection ar-
rangements in some countries create serious bar-
riers to implementing positive action.
- There are difficulties in ensuring that the legisla-
tive framework is consistently applied in practice.
Furthermore, there are differences among coun-
tries in implementing sanctions against organisa-
tions who do not implement positive action or
achieve equitable practice.
- Lack of awareness of the benefits of positive
action measures within the workforce and in the
wider society, and the role of the media in prob-
lematising these measures and rendering out-
comes as tokenistic, are seen as major barriers to
the acceptability of positive action.
Support for positive action
- Support of the wider society is essential for the
success of position action programmes. Strong
individual commitment, support from colleagues,
leadership and senior management buy-in are
necessary to sustain positive action activities.
- There are differences between all sectors in their
enthusiasm and implementation of positive ac-
tions. There is evidence of commitment of some
public sector organisations to push the bounda-
ries of policy, to develop a much broader applica-
tion of positive action.
- Positive action programmes are most successful
with the inclusion of meaningful involvement of
the target groups in design, planning, implementa-
tion and evaluation
DOSSIER Positive Maßnahmen 56
Outcomes and impacts
- There is lack of systematic monitoring of the ef-
fectiveness of positive action in terms of outputs
and outcomes. Organisations are struggling to
develop robust evidence, and tend to rely on ‗soft‘
measures to assess the impact of positive action.
- Whilst on the whole, positive action measures are
seen to be effective in raising awareness of equal-
ity issues in organisations, having real impact on
minority groups, and improving an organisation‘s
image and reputation, their potential contribution
to business success is less well recognised and is
not always deemed to translate into better finan-
cial results.
- Positive Action initiatives are largely time limited
and not seen as long term measures. Generally,
the groups that benefit most from positive action
initiatives are minority ethnic groups and women,
and the least likely to be beneficiaries are LGBT
and disabled people.
Positive action in practice
- Examples of practice in organisations confirm
confusion about the scope of positive action
measures and the overlap with other complemen-
tary measures such as equality and diversity
monitoring and impact assessment.
- There is an incredibly diverse range of activities
that go under the heading of positive action. Many
countries focus on specific groups, perhaps at the
expense of others, which might be a reflection of
the particular context or ‗politics‘ of that country.
- In practice, positive action measures tend to focus
more on training and improving employment op-
portunities rather than service delivery.
- The introduction of positive action within organisa-
tions can produce some negative consequences
or backlashes such as negative stereotypes,
stigmatisation, lack of proper oversight, dishonest
behaviour and malpractice.
Recommendations of the PAMECUS-Study
The following recommendations address research, law
and policy development, and practice at European and
national levels as well as the organisational level.
Research on positive action
- Research should be undertaken in an attempt to
map the current situation of "disadvantage" with
regard to the different fields in which positive ac-
tion can be applied, e.g. employment, education,
housing, health care, etc. relating to these differ-
ent grounds. This research should be carried out
at the national level, as it can also be expected
that the situation with regard to different equality
grounds or grounds will also vary across the
Member States. These national mapping studies
should provide the basis for any further policy re-
view focusing on where (which fields and
grounds) to allow positive action, and what (pub-
lic) resources to direct towards particular forms of
positive action.
- There needs to be research to assist courts which
are called upon to establish whether a prior situa-
tion of disadvantage justifies the use of a particu-
lar positive action measure. The research should
assist courts to identify the relevant questions or
issues which should be resolved, and could result
in a series of model questions (which could be
adapted on a case by case basis) which the court
would need to address. This research should be
carried out on a European basis. The model ques-
tions could then provide a basic EC law frame-
work for assessing "disadvantage", but could also
be added to in light of further national law re-
quirements. An approach analogous to ‗cost-
benefit analysis‘ based on some measure of jus-
tice might be developed.
- Given that an organisation‘s equality and diversity
objectives can be hampered by a lack of under-
standing of the rationale for positive action (and
the need to continue to make the case for and
measure the impact of positive action), undertak-
ing research around the economic advantages of
positive action may prove beneficial.
- A comprehensive intervention study is necessary
to develop a coherent model/theory for measuring
success which would guide the type of positive
action measures implemented.
- In fact, there is so little evaluation of ‗good prac-
tice‘ in positive action, that development of a
model for identification, evaluation and dissemina-
tion of ‗best practice‘ would be advantageous.
- In light of the centrality of monitoring in promoting
sustained positive action measures, organisations
57 DOSSIER Positive Maßnahmen
need to gather disaggregated data in key sectoral
fields on all grounds of discrimination. This may
not appear to be a radical or innovative sugges-
tion, but in the light of the poverty of practice, we
feel that while listed last in this catalogue of ac-
tions, it is of primary importance and would for the
majority of organisations and agencies, be inno-
vative in practice.
Law and policy development
- In order to foster a shared understanding of what
is meant by positive action within the European
Union, the European Commission should promote
dialogue with civil society organisations and the
social partners.
- Based on such dialogue, EU-level guidance on
the meaning of positive action should be devel-
oped. This could be in the form of a non-binding
legislative instrument, such as a Commission
Recommendation or a Council Resolution. Alter-
native mechanisms could include a Joint Declara-
tion by the social partners.
- In the introduction and revision of EC anti-
discrimination legislation, it should be ensured
that public, private or voluntary organisations who
wish to engage in positive action are entitled to do
so.
- Member States should revise national legislation
where this prohibits or restricts the opportunity for
public, private or voluntary organisations to take
positive action.
- In order to evaluate the need for, and effective-
ness of, positive action, data collection is re-
quired. Whilst respecting data protection legisla-
tion, Member States should ensure that organisa-
tions may engage in data collection where this is
designed to facilitate and analyse positive action
measures.
- The EU institutions and Member States are rec-
ommended to introduce legal duties to implement
positive action measures where necessary to
achieve full equality in practice.
Practice at European and national levels
- Create a European-level framework of under-
standing of positive action measures and define
specific indicators of success in the implementa-
tion of these measures. The EC needs best-
practice networks to support member states in
dealing with uncertainties and ensure parallel
translation and application of the EU approach to
positive action. These networks should operate at
national and cross-sector levels to enable the
sharing of ideas, approaches and activities, and
encourage organisations to move from intention to
action. This may help to move the focus from
rhetoric to outcomes.
- Governments should undertake to educate the
general public through ‗social marketing‘ about
positive action, in order to address widespread
misunderstandings that appear to exist, and to fa-
cilitate the linking up of various stakeholders al-
ready engaged in such measures. Widespread
awareness raising campaigns of both the need for
positive action measures for disadvantaged
groups and the benefits of such measures for
wider society will promote a wider acceptance and
positive attitudes towards positive action.
- Develop clear strategies for identifying and man-
aging the negative consequences of positive ac-
tion (or its misuse and abuse). The role of the me-
dia and other robust communication approaches
should be considered. Establish educational fo-
rums and networks to promote understanding and
dialogue in relation to positive action.
- Government bodies at all levels should actively be
encouraged to implement positive action pro-
grammes for disadvantaged groups in order to set
an example for the rest of society in overall atti-
tude and approach to such measures. Minimum
operating standards for positive action application
should be set by the EC with appropriate ar-
rangements for reporting successes and chal-
lenges on an EC-wide basis. This might be un-
derpinned by selective punitive or enforcement
action against bodies failing to meet existing
minimum targets for compliance with equality and
human rights duties.
- Make available adequate financing through na-
tional government or EU funds to support complex
programmes required to ensure effective imple-
mentation and evaluation of positive action. Such
programmes might include those that promote in-
tersectional and intersectoral approaches to non-
discrimination.
- Develop tools to assist organizations to establish
baseline data to facilitate positive action imple-
DOSSIER Positive Maßnahmen 58
mentation and design robust strategies to support
the evaluation of the effectiveness of measures
taken. Adoption of an EU and a national action
plan that identifies systems that need to be in
place to ensure efficient and robust monitoring.
Impact assessment tools may be deployed for this
purpose.
Practice at the Organisational level
- Positive action needs to be mainstreamed as part
of a broader normative change and supported by
institutions with proper mentoring and training. In-
crease internal and external acceptability of posi-
tive action by raising awareness of the nature and
benefits of positive action. A programme of edu-
cation and training including seminars and events
to increase knowledge and practice of positive ac-
tion, its benefits and its role within diversity
strategies.
- Address positive action as an integral part of a
wider organisational corporate mission, workforce
planning and service development, working
closely with the relevant governmental bodies. In-
tegrate positive action within talent management,
succession planning frameworks and wider em-
ployment and service development practices. This
may require cross-departmental working in order
to ensure a more co-ordinated approach.
- Adopt a more coherent and collaborative ap-
proach to the introduction of positive action be-
tween organisations. This collaboration will not
only help to increase the acceptability of the pro-
grammes but may also help convince managers
of the likely benefits of positive action, not least if
other organisations are competitors. A strategy
found effective in the USA is to encourage organi-
zations to compete for recognition in equality and
diversity (‗justice‘) fields: if bodies are competing
to excel in positive action, this creates healthy
competition. Awards might be created and pub-
licly presented to encourage this.
- Ensure involvement of members of minority
groups in the development and evaluation of posi-
tive action measures. Individuals who have bene-
fited from various positive action initiatives should
be encouraged to work within the extension of
such programmes, in order to increase represen-
tation amongst positive action implementers.
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61 DOSSIER Positive Maßnahmen
Christopher McCrudden / Raya Muttarak / Heather Hamill / Anthony Heath
Affirmative Action without Quotas in Northern Ireland
New research has shown that Northern Ireland‘s inno-
vative affirmative action programme has resulted in
improvements in fair employment, both for Catholics
and Protestants.1 Historically, Catholics and Protestants
in Northern Ireland were typically highly segregated
from each other in employment, with Catholics being
concentrated in particular sectors of the labour market,
and in particular firms, and suffering unemployment
rates two to three times as high as those of Protestants.
But for the last twenty years, Northern Ireland‘s pro-
gramme of affirmative action has used detailed monitor-
ing for firms‘ composition plus agreed action plans,
where necessary, to ensure for both groups "fair par-
ticipation" in employment, avoiding the setting of quo-
tas.
The legislation requires employers to carry out regular
reviews of their workforce composition to determine
whether there is fair employment, and to undertake
remedial action where required. These reviews enable
the Commission responsible for enforcement of the
legislation (from 1990 to 2000, the Fair Employment
Commission; from 2000, the Equality Commission) to
identify those employers whose workforce is insuffi-
ciently representative and to initiate agreements with
them for improvement.
The Nuffield Foundation funded an in-depth study over
the past two years into the extent to which any changes
to workforce composition can be attributed to the fair
employment policies. The interdisciplinary team of re-
searchers from Oxford University found not only a direct
association between the agreements and positive
change, but that there appeared to be "spill-over" ef-
fects on employers overall, with a general move to-
wards fair employment.
In this article, we provide a non-technical account of this
research and some preliminary "headline" results, to-
gether with a brief analysis of some policy implications.
More detailed discussion, together with an account of
research methods and data analysis will be published
subsequently.
1 A previous version of this article appeared in The Equal Rights Review, Vol. Four (2009), pp. 7-14.
Background
Northern Ireland has, since 1989, had a remarkable and
innovative programme of affirmative action that aims to
use legal enforcement measures to ensure that both
communities in Northern Ireland - Catholics and Protes-
tants - enjoy "fair participation" in employment. The
Northern Ireland approach is radically different from the
approach to inequality of opportunity in the rest of the
UK and is also somewhat different from the much bet-
ter-known American affirmative action programmes.
The success (or otherwise) of the Northern Ireland
approach may well have important implications for other
jurisdictions such as the EU that are considering how to
tackle issues of fair employment (for example in the
context of ethnic inequalities in the labour market).
The Northern Irish Approach to Fair
Employment
The affirmative action programme was established by
the Fair Employment (Northern Ireland) Act 1989,
amending and substantially replacing the previous 1976
fair employment legislation which essentially prohibited
discrimination but which did not require any significant
positive action to promote fair employment. This legisla-
tion was subsequently modified by the Fair Employment
and Treatment (Northern Ireland) Order 1998 (FETO).
The Northern Ireland legislation imposes on all regu-
lated employers, both public and private, a duty to carry
out regular reviews of the composition of their workforce
in order to determine whether there is fair participation
of both communities, and to undertake remedial action
where fair participation has not been achieved. The
principal legal enforcement agency wasinitially the Fair
Employment Commission (FEC), and from 2000 the
Equality Commission for Northern Ireland (ECNI). Its
major tool available under the legislation was its right to
select regulated employers for investigation and, where
deemed necessary, to establish agreements to improve
the representation of the under-represented group.
While the majority of agreements have been estab-
lished to remedy Catholic under-representation, there
have also been a number designed to remedy Protes-
tant under-representation in specific regulated employ-
ers.
DOSSIER Positive Maßnahmen 62
These affirmative action agreements typically included
process requirements and substantive requirements.
They involved:
- Changes in the way in which regulated employers
conducted their personnel functions, particularly
by formalising advertising, hiring, promotion, dis-
missal, and equal opportunities training;
- Specified affirmative action measures deemed
most appropriate for regulated employers, such
as the use of targeted advertising to the under-
represented group, and statements in advertise-
ments particularly welcoming applications from
the under-represented group;
- The adoption of specified numerical goals by
regulated employers in order to reduce under-
representation, together with timetables by which
these numerical targets would be achieved.
No reverse discrimination or quotas were permitted or
could be required by the FEC/ECNI. A major exception
to this approach involves affirmative action in the police
force where a form of quota system has been in opera-
tion since the implementation of the Patten Report of
1999.
There are two main sorts of agreement, namely legally
enforceable agreements and voluntary agreements
negotiated with Commission staff. In practice, the great
majority of the agreements (around two-thirds) have
been voluntary ones. The Commission moved towards
legally binding agreements when it was unable to se-
cure a satisfactory voluntary agreement. Ultimately
these legally binding agreements are backed up by
sanctions although in practice the Commission has
primarily employed persuasion rather than enforcement.
In summary, the most notable features of the Northern
Ireland legislation and approach to affirmative action
are:
- Its symmetrical character – the legislation applies
both to Catholic and to Protestant under-
representation;
- A concern with outcomes and not solely with
process (although issues of process are by no
means ignored);
- The annual monitoring of regulated employers‘
composition and the publication of their results,
identifying individual regulated employers by
name;
- A definition of fair participation that takes account
of the availability of suitably-qualified personnel in
the relevant geographical area;
- The use of legally binding and voluntary agree-
ments depending on the judgement of the Com-
mission as to which is more likely to be successful
to achieve compliance and redress under-
representation;
- The limited measures that employers were permit-
ted to take in order to redress under-
representation in comparison with other countries
such as the USA or India and their affirmative ac-
tion measures.
The MacBride Principles
Another politically important reason for employers to
engage in affirmative action in Northern Ireland was
provided by the campaign to establish the MacBride
Principles. This was a campaign by US-based activists,
largely from the Irish-American community, together
with some human rights groups, to put pressure on the
British government to act more decisively on fair em-
ployment in Northern Ireland. One of the main aims of
the campaign was to put pressure on American corpo-
rations with subsidiaries in Northern Ireland to adopt a
set of anti-discrimination principles called the MacBride
Principles. These were named after and sponsored by
Sean MacBride, a controversial Irish statesman who
had been chief of staff of the IRA during the 1930s,
Minister of Foreign Affairs in the Irish Republic, founder
of Amnesty International, and recipient of the Nobel
Peace Prize in 1974.
The MacBride Principles were launched in 1984.
American companies with subsidiaries in Northern
Ireland were invited to commit themselves to a series of
non-discrimination and affirmative action principles in
their operations in Northern Ireland. These principles
had much in common with the content of the agree-
ments described above that were reached with the
FEC/ECNI. They included, inter alia:
- Increasing the representation of individuals from
under-represented religious groups in the work
force, including managerial, supervisory, adminis-
trative, clerical and technical jobs;
63 DOSSIER Positive Maßnahmen
- Publicly advertising all job openings and undertak-
ing special recruitment efforts to attract applicants
from under-represented religious groups;
- Abolishing job reservations, apprenticeship re-
strictions and differential employment criteria,
which discriminate on the basis of religion or eth-
nic origin;
- Appointing a senior management staff member to
oversee the company‘s affirmative action efforts
and the setting up of timetables to carry out af-
firmative action principles.
In addition to the above, each signatory to the MacBride
Principles was required to report annually to an inde-
pendent monitoring agency on its progress in the im-
plementation of these Principles. This was specified in
the 1986 amplified version of the Principles. Companies
were invited to indicate their acceptance of the Princi-
ples by ―signing‖ them. The model chosen was that
previously adopted in the Sullivan Principles relating to
South Africa although, unlike in South Africa, there was
no substantial move to force divestment from compa-
nies that were unwilling to sign the Principles. The
MacBride Principles had no legal force in Northern
Ireland, but there was the risk of economic sanctions
from US state or non-governmental activity. For exam-
ple, some US jurisdictions (such as New York City)
legislated that firms with operations in Northern Ireland
could lose state or city contract bids if their Northern
Ireland subsidiaries were not implementing the
MacBride Principles.
The body monitoring the operation of the MacBride
Principles in the United States was the Investor Re-
search Responsibility Centre (IRRC). A comparison of
their effectiveness with that of the FEC/ECNI agree-
ments should be instructive. On the one hand, the risk
of economic sanctions in the case of MacBride might be
expected to strengthen their effects. However, this risk
might have been expected to decline over time as the
―troubles‖ began to recede: Particularly following the
Belfast/Good Friday Agreement of 1998, pressure from
activists accordingly might have been reduced. On the
other hand, the greater institutional authority and legal
power of the FEC/ECNI to check on implementation of
the agreements might be expected to increase their
long-term effectiveness.
Lawsuits
A third source of pressure for regulated employers to
engage in fair employment practices is provided by
court cases alleging discrimination and brought against
regulated employers by individual complainants, analo-
gous to lawsuits in the United States. From 1998 these
have been heard in the Fair Employment Tribunal
(FET), which hears complaints of discrimination on the
basis of religion or political opinion. The FET has the
power, if it finds in favour of the complainant, to make a
financial award, with no upper limit specified.
Our Research Objectives
Our research had five main objectives:
- To assess whether agreements concluded be-
tween employers and the Commissions had been
successful in improving the extent to which regu-
lated employers moved towards fair employment
(both in occupational and employment terms), and
to assess whether the legally enforceable or the
voluntary agreements were more effective;
- To investigate whether other influences on firms,
such as individual cases taken to the Fair Em-
ployment Tribunal and the MacBride Principles,
increased progress towards fair employment in
individual firms;
- To evaluate the overall success of the affirmative
action programme set up in the fair employment
legislation;
- To understand the principal mechanisms which
facilitated progress towards fair employment;
- To draw policy recommendations.
Key Findings
The study identified four key findings:
1. Agreements were positively associated with im-
provements in fair employment, both those de-
signed to improve Catholic representation and
those designed to improve Protestant representa-
tion. Voluntary agreements proved to be more ef-
fective than the legally-enforceable Article 13
agreements;
2. Agreements were effective both in boosting em-
ployment and increasing shares in manage-
rial/professional occupations – i.e. the gains were
not restricted to workers in low skill occupations;
DOSSIER Positive Maßnahmen 64
3. There was no sign that either Fair Employment
tribunal cases or the MacBride Principles had last-
ing impacts on individual regulated employers;
4. Improvements in fair employment were not re-
stricted to regulated employers that had agree-
ments. Instead, there appeared to be "spill-over" ef-
fects on non-agreement firms such that there was a
general move towards fair employment, with a clear
decline in "extreme" firms at both ends of the spec-
trum.
The Effects of Affirmative Action Agreements
in More Detail
Turning, first, to the various measures of Commission
enforcement activity, we find significant effects both for
voluntary Catholic agreements (on the growth of Catho-
lic employment) and for voluntary Protestant agree-
ments (on the growth of Protestant employment). In
contrast, the effects of legally enforceable agreements
are not significant. Moreover, in the case of Catholic
agreements, the magnitude of the coefficient for the
legally enforceable agreements is clearly smaller than
that for the voluntary agreements.
The most striking positive finding is that voluntary
Commission agreements have been more effective than
the legally enforceable ones. This finding applies both
to Catholic and to Protestant agreements, to agree-
ments concluded under the Fair Employment Commis-
sion and under its successor the Equality Commission,
and to the effects of agreements both on overall em-
ployment in the firm and on the share of professional
and managerial employees. It thus seems to be a very
robust result.
We also found significant and positive effects both on
the share of Catholic employees in regulated employers
where there were less than 36 per cent Catholics, and
on the share of Protestant employees where there were
less than 41 % Protestant employees. This can proba-
bly be attributed to "spill-over" effects, with a declining
number of non-agreeing firms being located in the two
tails of the distribution (Figure 1). As Figure 1 shows,
the distribution of regulated employers shifted from a
bimodal one in 1990 to a unimodal one in 2005 with
fewer firms located in the two tails of the distribution.
Figure 1: Distribution of regulated employers by percent-ages Catholics: 1990-2005 (non-agreement regulated employers) Source: Monitoring return data, 1990 – 2005.
Apart from these positive results, we have found little
evidence for direct effects of individual Fair Employment
Tribunal activity and not a great deal of evidence for the
effect of legally enforceable Commission agreements,
or for MacBride agreements.
If this analysis is correct, then reforms of the kind
sought by the Commission in their agreements, requir-
ing wider advertising and outreach, can potentially play
a bigger role than reforms designed to eliminate dis-
crimination at the point of application. So even if the
financial incentives of tribunal cases (the costs of de-
fending them as well as the financial penalties imposed)
lead regulated employers to reform their selection pro-
cedures (in itself an untested assumption), this may not
in itself make a great deal of difference to the degree of
under-representation in the firm.
This is not in any way intended to deny the importance
of direct discrimination in hiring, promotion or firing,
although unfortunately no field experiments of discrimi-
nation of the sort that have been carried out on racial
discrimination have been attempted in Northern Ireland.
Rather our point is that additional processes, some of
which might be regarded as constituting indirect dis-
crimination or deriving from prior beliefs about likely
discrimination (such as the "chill factor"), may well be
even more widespread but may also be more suscepti-
ble to policy intervention. But if this argument for ex-
plaining differences in the effectiveness of tribunal and
agreement activity is correct, how might we explain the
differences in the effectiveness of voluntary and legally
enforceable agreements, or between Commission and
MacBride agreements, all of which aim to tackle re-
cruitment practices?
65 DOSSIER Positive Maßnahmen
Our qualitative research suggests that leadership from
the top of an organisation is crucial in the effective
implementation of reforms. Actual implementation of
reforms is bound to involve a degree of discretion on
the part of lower-level employees: formal procedures,
even if tightly specified, can never rule out discretion,
and how that discretion is exercised may well depend
upon the extent to which junior employees perceive that
their seniors value the objectives. Voluntary agree-
ments, where senior staff of the firm concerned (with
whom agreements are typically negotiated) have been
persuaded of the legitimacy of the exercise, may thus
be more wholeheartedly implemented than legally en-
forceable agreements where the leadership of the firm
had to be compelled to accept the intervention. This still
leaves open the question of why the MacBride agree-
ments were less successful than the voluntary agree-
ments negotiated by the Commission. One possibility
might be the different basis for targeting firms for
MacBride agreements. As American subsidiaries they
may already have had in place more professionalised
and civil-rights oriented personnel functions.
Finally, it is important to recognise that our failure to find
direct evidence of positive effects of legally-enforceable
or of MacBride agreements on fair employment within
individual regulated employers does not in any way
imply that such agreements were without value. Here,
our earlier distinction between direct effects and spill-
over effects becomes highly relevant. The fact that the
Commission had the power to impose legally-
enforceable agreements, and that it was willing to exer-
cise that power on occasion, might well have made its
task of securing voluntary agreements considerably
easier. It might also have signalled to other, non-agree-
ment, regulated employers that the Commission "meant
business". The signalling effect of these agreements on
other regulated employers might well have been impor-
tant for the overall success of the programme.
Policy Implications
The Northern Ireland experience shows that progress
can be made towards fair employment without resorting
to quotas that would probably be politically unaccept-
able in the rest of the UK or in Europe. A fundamental
aspect of the Northern Ireland programme is the moni-
toring of employees, the targeting by the Commission of
employers where progress is not being made, and the
use of agreed programmes and timetables to achieve
progress towards fair employment. The key mecha-
nisms that "delivered" these favourable outcomes ap-
peared to be:
- The professionalisation of Human Resources
within regulated employers. In particular, the ap-
pointment of a designated employee to ensure
compliance with FEC/ECNI guidelines;
- Formal advertising and recruitment methods
rather than by word of mouth;
- Targeted advertising of vacancies to encourage
applications from the under-represented group;
- The introduction of criteria-based redundancy
policies.
These measures do not appear to have involved major
administrative burdens on firms and have proven to be
politically acceptable.
Christopher McCrudden is Professor of Human Rights Law at the Faculty of Law, University of Oxford. Raya Muttarak is a post-doctoral researcher in the Depart-
ment of Political and Social Sciences, European Uni-versity Institute. Heather Hamill is a University Lecturer
in Sociology and Fellow of St Cross College, University of Oxford. Anthony Heath is Professor of Sociology in
the Department of Sociology, University of Oxford.
DOSSIER Positive Maßnahmen 66
Paul Lappalainen / Yamam Al-Zubaidi / Paula Jonsson
Active measures in Sweden – in theory and in practice
The history in Sweden of the civil laws against discrimi-
nation is central to the use of active measures. A short
overview is presented. Then, after an introduction to the
provisions on active measures under the current 2009
Discrimination Act, we have provided an overview of
some experiences concerning the monitoring of those
provisions as well as the provisions that existed in ear-
lier laws. This is followed by some reflections on sanc-
tions and incentives. We then discuss some areas
which can be related to the issue of active measures.
The paper ends with some final comments on active
measures. Two limitations concerning this paper should
be noted. We will not be discussing active measures in
regard to schools or higher education. Also, the views
presented solely represent the personal views of the
authors.
Initially, concerning active measures we would like to
point out some of our basic ideas about the develop-
ment of active measures and their relevance in relation
to individual complaints. Establishing an individual right
of redress in regards to discrimination was a positive
step towards a society without discrimination. However,
such laws are reactive and place the burden of social
change on the hope that individuals subjected to dis-
crimination will carry the burden of bringing complaints
that redress their situation and hopefully contribute to
the establishment of equality as a norm.
Fairly early in this development it was realized by some
actors, e.g. discriminated groups and policymakers, that
complementary measures were needed. This led to the
idea of active measures that would in one way or an-
other promote equality and prevent discrimination.
Instead of being reactive and relying on persons that
are in vulnerable positions, the focus is instead on pro-
active measures that put pressure on those with the
power to discriminate and/or the power to prevent dis-
crimination. In summary, individual complaints will lead
to societal change in a slow manner while active meas-
ures of various types are intended to push the process
faster on a broader scale.
At the same time, since active measures in working life
are focused on employers, it is important to ensure that
sanctions and/or incentives are in place that will seri-
ously encourage employers to actually implement them
– both in theory and in practice. As indicated in the text,
the theory and requirements are in place, but thus far
the results have been limited. Presumably this is be-
cause the sanctions/incentives have been insufficient.
Legislative history in brief
Active measures in a stricter sense are to be found in
the 2009 Discrimination Act and some of the laws re-
placed by this new Act. Prior to 2009, Sweden had
basically seven civil laws banning discrimination. In
1980 Sweden adopted the Equal Opportunities Act
concerning gender. This law banned gender discrimina-
tion in working life. It also included some provisions on
active measures that were strengthened over the years.
In 1994 Sweden banned ethnic discrimination in work-
ing life. This act was revised and strengthened in 1999
and included some provisions concerning active meas-
ures. In 1999 two other laws were adopted banning
discrimination in working life due to sexual orientation
and disability. These latter two acts contained no spe-
cific provisions on active measures. In 2001 the Equal
Treatment of Students at Universities Act was adopted,
in 2003 the Discrimination Act basically banning dis-
crimination in the provision of goods and services and
in 2006 the Act on the prohibition of discrimination and
other degrading treatment of children and pupils. These
last three laws essentially covered gender, ethnicity,
religion, disability and sexual orientation.
Up until 2009 there were four supervisory bodies re-
lated to the various grounds; the Equal Opportunities
Ombudsman concerning gender (1980), the Ombuds-
man against ethnic discrimination (1986), the Disability
Ombudsman (1994) and the Ombudsman against dis-
crimination due to sexual orientation (1999). In 2009,
the four discrimination ombudsmen were merged into
the Swedish Equality Ombudsman (http://do.se/en/),
and the laws were merged into the comprehensive
Discrimination Act, which went into effect that year.
Active measures according to the
Discrimination Act
A new Discrimination Act entered into force on 1 Janu-
ary 2009 as a result of a government inquiry set up in
67 DOSSIER Positive Maßnahmen
2002. The inquiry had proposed a leveling up of the
active measures in the old laws to cover the ―old‖
grounds of disability and sexual orientation and the new
grounds of age and transgender identity. The govern-
ment instead simply merged the rules concerning active
measures into the new law. It was stated that the effec-
tiveness of the provisions on active measures had not
been sufficiently evaluated.
The new law thus retained the differences between the
various grounds concerning active measures and these
provisions remained almost the same as in the previous
acts. This means they only comprise the grounds of
sex, ethnicity, religion or other belief, and the differ-
ences between active measures regarding sex as op-
posed to ethnicity and religion or other belief remain.
This also meant that the previous hierarchy of grounds
was to a large extent retained – with sex at the top
followed by ethnicity and religion and then all the other
grounds.
Basically it can be said that employers must have gen-
der equality plans and gender pay gap analyses. Fur-
thermore, within the limits of EU law, positive treatment
in working life is allowed in regard to the underrepre-
sented sex. Concerning ethnicity and religion or other
belief, employers must undertake active measures to
promote equality with regard to these grounds. How-
ever, positive treatment is not allowed. Thus, in general,
according to the Act all employers have a duty to under-
take active measures to bring about equal rights and
opportunities in the workplace regardless of sex, ethnic-
ity and religion or other belief. This should be done in
cooperation with the employees who are usually repre-
sented by their trade unions.
According to Chapter 3 § 3 of the Act this work shall be
goal-oriented. This section comprises sex, ethnicity,
religion or other belief. There are separate provisions
stating that all employers with 25 employees or more
shall set up a gender equality plan. There has been a
discussion about whether goal-oriented means that
employers have to set up written action plans that also
cover ethnicity, religion or other belief. The Equality
Ombudsman has stated that there is no obligation to
collect all related information in a specific written plan
though it seems that it would be difficult to carry out a
goal oriented work without such documentation. At least
for now, the Ombudsman recommends that employers
include all of these grounds in an equality plan.
The obligation concerns the following areas:
Working conditions
- Ensure that the working conditions are suitable for
all employees (sex, ethnicity, religion or other be-
lief);
- Enable both female and male employees to com-
bine employment and parenthood (sex, ethnicity,
religion or other belief);
- Prevent and hinder any employee being subjected
to harassment or reprisals (sex, ethnicity, religion
or other belief).
Recruitment
- Ensure that people have the opportunity to apply
for vacant positions (sex, ethnicity, religion or oth-
er belief);
- Promote an equal distribution of women and men
in different types of work and employee catego-
ries (sex);
- Make special efforts to achieve an equal distribu-
tion between men and women in all employee
categories (sex).
Matters of pay (sex)
- Every three years survey and analyze
- provisions and practices regarding pay and
other terms of employment;
- pay differences between women and men per-
forming work that is to be regarded as equal or
of equal value.
- Every three years draw up an action plan for
equal pay (obligatory if there are 25 or more em-
ployees) including the result of the survey and
analysis, indication of pay adjustments and other
measures and a cost estimate and timetable
(soonest possible and within three years at the
latest). A report on and evaluation of the above is
to be included in the following action plan.
- Provide trade unions with the information neces-
sary to ensure their ability to cooperate properly in
the survey and analysis as well as with the action
plan.
DOSSIER Positive Maßnahmen 68
Gender equality plan (sex – though in practice, please note the analysis concerning all the rele-vant grounds and goal oriented work)
- Every three years draw up a gender equality plan
(obligatory if there are 25 or more employees).
The Act consists of two parts, one part containing provi-
sions on prohibitions against discrimination and repris-
als, the other containing provisions on active measures.
Though the second part could be thought of as the part
relating to the promotion of equal rights and opportuni-
ties, the preparatory work clearly states that the two
parts are closely linked together and the aim of both
parts is equal rights and opportunities in practice. It is
stated that the prohibitions, in addition to being the tool
for achieving individual rights, are intended to promote
non-discrimination through changing behavior, attitudes
and public opinion. Nevertheless it is stated that prohibi-
tions are not enough to realize equal rights and oppor-
tunities within a foreseeable future. Active measures
are therefore to be seen as a means for promoting equ-
ality for larger groups of people in a more direct way.
Failure to comply with the provisions on active meas-
ures is subject to a financial penalty that can be issued
by the Board against discrimination as the result of a
complaint filed by the Equality Ombudsman. For various
reasons this type of procedure and sanctions have
been insufficient to provide employers with a serious
incentive to develop good practices when it comes to
active measures. In our opinion, various improvements
are needed as well as other complementary tools in
order to achieve the implementation of more effective
active measures.
Some of the tools needed for such supervision are
regulated in Chapter 4, § 3 of the Discrimination Act:
A natural or legal person who is subject to the
prohibitions of discrimination and reprisals, the
obligation to investigate and take measures
against harassment or the provisions on active
measures in this Act is obliged, at the request of
the Equality Ombudsman,
1. to provide information about circumstances in
their activities that are of importance for the super-
vision exercised by the Ombudsman,
2. to provide information about qualifications when
the Ombudsman is assisting in a request from an
individual under Chapter 2, Section 4 or 8,
3. to give the Ombudsman access to workplaces
and other premises where the activities are con-
ducted for the purpose of investigations that may
be of importance to the supervision exercised by
the Ombudsman, and
4. to attend discussions with the Ombudsman.
More strategic use needs to be made of these tools.
They also need to be seen in the context of related
tools. Anti-discrimination clauses in public contracts are
one such tool. At least these seem to have stimulated
the pro-active private sector work in the United States.
Placing a higher equality duty on the public sector is
another such tool. Gender and other forms of equality
―mainstreaming‖ are not uncommon in Sweden. Devel-
oping active measures containing sanctions/incentives
that would help make these efforts become more effec-
tive should be possible.
Monitoring compliance with active measures
provisions
With the 1980 Equal Opportunities Act concerning gen-
der discrimination in working life, Sweden got its first
ever provisions on active measures. The provisions
concerned working life only and were relatively weak.
Firstly, the Act did not include any requirements on
written documentation of the pro-active work. Secondly,
the provisions were made optional. In other words the
provisions were subsidiary to collective bargaining
agreements. Consequently and for a little more than a
decade, the right to oversight of gender equality plans
was rarely exercised, mainly due to the idea that not
much could be achieved through monitoring.
In 1992, further supervisory powers were given to the
Equal Opportunities Ombudsman through the amended
version of the same Act, which - this time - included
requirements on written gender equality plans. Even
though the requirements to have written action plans
were optional in that they could be replaced by a collec-
tive bargaining agreement, the mere existence of those
requirements made monitoring more interesting and
thereby less rare. The results of the supervisions exer-
cised during about two years brought to light the poor
quality of the written action plans. Only a handful of the
350 written action plans examined, which concerned
the period of 1993-1995, proved to be fully satisfactory.1
However, in 1994 the Act was strengthened once again.
Written action plans came to stay. Avoiding the re-
1 JämOs Testamente – a short report on monitoring carried out by the Equal Opportunities Ombudsman (gender) during 29 years (2008). Unpublished report (in Swedish only).
69 DOSSIER Positive Maßnahmen
quirement of written documentation of the pro-active
work through collective bargaining agreements was no
longer possible. Several new provisions were intro-
duced including a provision on goal-oriented active
measures and the requirement of a yearly evaluation of
the action plan. A provision on pay gap surveys was
introduced in that same year as well. Nevertheless, it
was not until 2001 when the notion of ―work of equal
value‖ was introduced that gender pay issues became a
target for monitoring in a serious way.
In 2005 the Equal Opportunities Ombudsman commis-
sioned a survey from Statistics Sweden (the national
statistical agency) that, among other things, asked
about the extent to which employers (businesses and
government agencies) had a current gender equality
plan for 2004/2005 as required by law. According to the
survey almost 80 per cent of government agencies had
a plan, while only 30 per cent of the businesses had a
plan. While about 80 per cent of businesses with 200 or
more employees had a plan, 57 per cent of businesses
with 50-199 employees had plan and only 25 per cent
with 10 to 49 employees had a plan. Even though the
percentages in both the public and private sectors had
improved since the previous survey in 1999, the figures
still showed a substantial deviation from the require-
ments of the law.2
In 1999 active measures provisions concerning ethnic
origin, religion and belief were introduced with the new
Act on measures against ethnic discrimination in work-
ing life. The provisions were mandatory and could not
be avoided through collective bargaining agreements,
which was probably a result of the passivity of social
partners during the previous decade.3
A study made by TNS Sifo in 2002 showed that about
40 per cent of employers surveyed had a written plan
on active measures concerning ethnicity and religion.
The supervisory agency at the time (the Ombudsman
against Ethnic Discrimination) ran a 4-months informa-
tion campaign just after that study aiming at improving
employers‘ understanding of the provisions on active
measures. However, the first monitoring efforts under-
taken after the campaign showed that only 10 per cent
2 JämO. Jämställdhetplanen: Hur fungerar jämställdhetsarbe-tet i praktiken? (Gender Equality Plans: How does gender equality work function in practice?) 2005 p. 18. Available at: http://www.jamombud.se/docs/scbrapport_05.pdf (accessed 19/10/2010).
3 See for instance the preparatory works: Proposition 1990/91:113, A new Equal Opportunities Act, p. 61.
of the employers had written plans on active measures
that were satisfactory.4
Both ethnic origin and religious affiliation are classified
as sensitive data in Sweden, which made some imple-
mentation aspects of the provisions less obvious from a
practical point of view compared to sex/gender issues.
However, that did not explain the 10 per cent compli-
ance rate. For instance, general data concerning birth
place, and birth place of parents, are fairly easy to ac-
cess through Statistics Sweden. Compiling such infor-
mation and processing it with the necessary safeguards
is not illegal.5 Nevertheless, employers seemed to be
very reluctant about processing information on ethnic
origin or religious affiliation. Our conclusion is that the
uncertainty regarding sensitive data has been used as
an excuse to avoid undertaking active measures re-
garding ethnicity and religion or other belief. When it
comes to a similarly vague provision on active meas-
ures regarding gender, these are carried out at about
the same low rate even though statistical measure-
ments are not considered to be ―sensitive‖.
Supervision or monitoring of ethnicity- and religion-
oriented active measures, from a historical point of
view, has followed the same patterns as in the case of
gender. In both cases, different approaches have been
adopted through the years, concentrating on certain
geographical regions, certain industries or simply moni-
toring only certain provisions. Again, in both cases,
there is more to this continuous change of strategies
than just the ambition of finding more effective methods.
It is very much about what has been described as the
poor quality of active measures plans regardless of
ground. It is also about the difficulties that supervisory
agencies were encountering in taking the issue to the
next level. Generally speaking, there is a built-in para-
dox in the way the active measures provisions are con-
structed and enforced.
On one hand, the provisions are vaguely formulated.
There is very little help, if any at all, in the legal texts
and in the preparatory works that would make a con-
4 Monitoring by the Ombudsman against Ethnic Discrimination (2008). Unpublished report (in Swedish only).
5 The safeguards are prescribed by the Swedish Data Inspec-tion Board. Safeguards for processing sensitive information do not seem to be a new or problematic area. For further information, see the study for the Council of Europe by Pa-trick Simon (2007): ―Ethnic‖ statistics and data protection in the Council of Europe countries - Study Report. Available at: http://www.libertysecurity.org/article1746.html (accessed 19/10/2010).
DOSSIER Positive Maßnahmen 70
sensus possible on what measures are to be regarded
as a minimum. For instance, there is the requirement of
ensuring ―that the working conditions are suitable for all
employees‖ regardless of sex, ethnicity, religion or other
belief‖. The law is constructed with the Swedish tradi-
tions of collective bargaining agreements in mind. In
other words, the provisions are vague because the
employer is expected to find the right measures in co-
operation with the trade unions involved. At the same
time, detailed provisions could prove to be too rigid for
the purpose.
On the other hand, when the supervisory agency (DO –
the Swedish Equality Ombudsman) is not satisfied with
the pro-active work of a certain employer, the DO has to
take the case to the Board against Discrimination,
where it is expected to explain in detail which exact
measures it wants the Board to order the employer to
undertake. In other words, there is some sort of catch
22 logic in the way the active measures provisions are
constructed. The requirements in the law are vague,
while at the same time the Ombudsman, in asserting a
violation of the provisions, must explain in detail which
measures should be undertaken.
When the gender pay gap provisions were broadened
to include the notion of ―work of equal value‖ it was ne-
cessary to break down that notion into various parts in
order to make the provision useful at all. The legal text
then included four criteria for assessing ―work of equal
value‖: knowledge, skills, responsibility and effort. This
detailed information, no matter how vague it may seem
at first glance, made the monitoring more interesting.
―The One Million Inspection‖ – a monitoring project
aiming at inspecting pay gap issues for one million
employees on the Swedish labor market, showed that
when the provisions are more detailed, it is easier to
monitor the pay gap and bring about changes. After the
project was finished, pay adjustments worth about 72
million SEK (approx. 7 million Euros) were made. The
pay analysis method prescribed by law since 2001 led
the social partners to concentrate more on clearly de-
fined pay criteria. The monitoring efforts that were un-
dertaken got the market moving.6
6 JämO. Miljongranskningen: Resultat av etapp 2 och slutrap-port (2008) (The one million inspection – the results of phase 2 and final report). Available at: http://www.jamombud.se/-docs/miljongranskningen_etapp2_nov2008.pdf (accessed 19/10/2010).
One conclusion drawn by some in the field from the
Swedish model of active measures provisions is that
detailed provisions – when possible – are necessary.
With vague provisions, the law and the monitoring seem
to function mainly as awareness raising tools. The risk
here is that the focus is put on measures that are easy
to formulate or analyze with statistics, and not neces-
sarily real change indicating greater equality. It is also
highly likely that the sanctions and incentives related to
monitoring of active measures have relied too heavily
on the good will of employers and unions, rather than
on sanctions which promote a more serious use of
active measures in working life.
Sanctions and incentives – what leads to
change?
What incentives are there for an organization to pro-
mote equal rights and opportunities? To comply with the
Discrimination Act? To achieve policy objectives?
Maybe to achieve higher profitability? Political correct-
ness? Streamlining? To meet demands in the annual
report? Or perhaps moral, democratic or social rea-
sons? Are there different motivators for the private
sector as opposed to the public sector? The reasons
that motivate an organization to promote equality will
have an effect on how the issue of equality is ap-
proached and dealt with. Our experience is that organi-
zations often say that compliance with the law or fulfil-
ment of the government‘s policy is their reason for pro-
moting equality. Within the public sector the democratic
argument is gaining ground, i.e. government authorities
are increasingly realizing that they cannot fulfil their
duty to provide public services to all citizens equally
without considering non-discrimination in all activities. In
this sense it will be interesting to follow up the policy
adopted by the County Administrative Boards men-
tioned below.
Nevertheless some are of the opinion that gender
mainstreaming is something different from mainstream-
ing of non-discrimination on all grounds, mainly due to
the fact that gender mainstreaming has its starting point
in the governmental gender policy. However, we believe
that isolating gender mainstreaming instead has to do
with ideological and/or historical reasons. These rea-
sons basically reflect the hierarchy of discrimination
grounds that has been established in Sweden – with
gender at the top. As far as we are concerned, separat-
ing the grounds in this way will not lead to substantive
equality on any of the grounds - including gender. A
focus on gender alone usually misses the fact that
71 DOSSIER Positive Maßnahmen
women (and men) are the targets of discrimination
related to other factors such as ethnicity, disability and
sexual orientation, as well as the intersectionality of
these grounds.
Similarly, separating legal provisions concerning active
measures from other equality promotion measures does
not serve the ultimate goal of achieving substantive
equality. The law by itself is not necessarily effective in
promoting change. Change is dependent on the context
or the factors involved. The law needs to be considered
as one of several factors that can lead to social change
in terms of greater equality. A common problem seems
to be that many relevant actors look at legislation as
being something separate from everyday life and poli-
cies. If policy initiatives and government or-
ders/assignments within the area of human rights,
mainstreaming, etc. were directly linked with the Dis-
crimination Act and its purpose, it might become more
obvious that effective promotion of equal rights and
opportunities will lead to diversity.
The point is that in the end it does not matter what the
incentives are (legislation, policy objectives, main-
streaming) when it comes to the long term goal - equal
rights and opportunities for all. The starting points may
differ, but in the long term the processes will converge
into a focus on core issues related to equality if the
organization is serious in its efforts.
At the end of the day we have to remember that it is the
acts of individual human beings that have to be influ-
enced and stimulated - both in their role as being possi-
ble discriminators and in their position as possible tar-
gets of discrimination.
Still, linking the provisions on non-discrimination and
active measures, gender mainstreaming, mainstream-
ing on other grounds, work environment regulations,
human rights, democracy, antidiscrimination clauses in
public contracts etc. and dealing with all discrimination
grounds as part of a whole will probably push the proc-
ess towards equal rights and opportunities in a much
more effective way.
Thus far much of the focus in Sweden has been related
to specific grounds, which in turn has often promoted an
environment where discriminated groups are encour-
aged to compete with each other for the favours that
may or may not be provided by policymakers. This at
least seems to be what occurred in the relatively con-
fusing and uneven development of the laws against
discrimination in Sweden. A more comprehensive ap-
proach over the years would probably have led to
greater combined pressure from different interests
concerning compliance with the legal provisions related
to active measures.
Some related areas
Though the legal provisions on active measures might
not by themselves have led to clear improvements
concerning the promotion of equality in working life,
they could have had an effect in combination with other
measures in a larger context. According to a study on
active measures in legislation and collective bargaining
agreements carried out by Lena Svenaeus (formerly the
Equal Opportunities Ombudsman), one conclusion is
that legislation has been a useful tool for pushing the
equality process further.7
Historically, the Swedish social partners (employers and
unions) have opposed legislation on discrimination and
are of the opinion that those questions are better dealt
with within the existing system of collective bargaining.
Contrary to the opinion of the social partners, the study
shows that the most frequent clauses concerning active
measures found in collective agreements involve the
areas specified in the Discrimination Act.
Naturally, one can ask what the point of such agree-
ments is, if the issue has already been determined by
the law. The advantage is that incorporation of the
issues into an agreement can mean that the union
takes greater ownership of the issue – in other words
the union becomes more involved in monitoring compli-
ance. The union then has its own interest in the active
measures. Above all, sanctions are more tangible given
the occurrence of a breach of such an agreement. An-
other aspect is that the trade unions might generally
push the equality question more diligently if the issue is
included in their own system to a larger extent. In addi-
tion, the terms in an agreement can go further than the
minimum prescribed by law. There is a general opinion
that the social partners do not regard the anti-
discrimination laws to be a central issue within labour
law. Thus trade unions have not been very active in the
monitoring of active measures. At the same time, to the
extent that the social partners involve these issues in
the collective bargaining process, this can be seen as a
form of mainstreaming equality into the labour market.
7 Svenaeus, L.: A legal study on active measures for equal rights and opportunities in law and collective bargaining. Un-published report, in Swedish only (2008).
DOSSIER Positive Maßnahmen 72
As a parallel outside the labour market, gender main-
streaming in the public sector is an area in which suc-
cessive Swedish governments have invested political
capital as well as financial resources. Even though
mainstreaming has a focus on an organization‘s activi-
ties other than its role as an employer, it can be an
effective method for equality promotion on a broad
basis within the organization. Equality in the role of
carrying out of activities/delivery of services naturally
has a connection to an organization‘s role as an em-
ployer, and vice versa.
Concerning the public sector it is obvious that there has
been a substantial increase in the number of women in
middle management and higher. This is presumably the
result of a combination of various factors such as politi-
cal leadership, demographics and the law. It is also
possible that the decreased prestige of public sector
employment has played a role. At the same time, no
studies indicate that positive treatment as defined by
law has been a significant factor. The private sector in
Sweden has not been affected in the same way. One
indication here is that comparatively speaking Canada,
in the private sector, has more women in positions of
middle management and higher.
Apart from gender mainstreaming, various government
initiatives have been taken to promote ethnic diversity.
One required all government agencies to develop a
diversity plan. Another required some government
agencies to develop anti-discrimination strategies con-
cerning ethnicity, religion, disability and sexual orienta-
tion. The order concerning diversity plans was issued in
1999. This applied to all government agencies. Several
years later it turned out that many agencies had not
understood that they were required to have a diversity
plan at all. And many of those that did, were unsure
about what such plans were to cover. However, these
same agencies often referred to these plans when they
were subjected to monitoring of their compliance with
the law concerning active measures related to ethnic
and religious equality. These types of plans seldom had
any relation to the legal requirements that applied.
The ineffectiveness of the government‘s order concern-
ing ethnic diversity plans was summarized in a 2005
government inquiry entitled The Blue and Yellow Glass
House: Structural Discrimination in Sweden.8 This in-
8 Det blågula glashuset: strukturell diskriminering I Sverige (SOU 2005:56) (The Blue and Yellow Glass House: Structural Discrimination in Sweden. English summary pp. 41-60) http://www.sweden.gov.se/sb/d/108/a/46188). Also see Paul
quiry also proposed the issuance of a government regu-
lation requiring equality promotion plans in all govern-
ment agencies. These were to cover all grounds and
the scope was to include all of their functions, i.e. their
roles as employers as well as service providers, rule-
makers and public contractors. However, this proposal
was not adopted. It instead resulted in orders requiring
a number of key government agencies to develop and
implement anti-discrimination strategies covering eth-
nicity, religion or other belief, disability and sexual orien-
tation.
Although the results have thus far been unclear, an
interesting good practice currently under development
is the joint action plan to promote equal rights and op-
portunities recently adopted by all of the County Admin-
istrative Boards in Sweden. The plan includes all
grounds of discrimination specified in the Discrimination
Act, and as compared to gender mainstreaming the
plan has an integrated employer and service provider
perspective. The overall result is a plan that includes
active measures related to the role of employer as
prescribed by law as well as measures related to the
role of service provider. This is the result of the gov-
ernment‘s order, even though the order was not formu-
lated in this ―all-inclusive‖ manner.
Another related measure is the regulation requiring the
use of anti-discrimination clauses in all of the larger
public contracts for services of the 30 largest govern-
ment agencies.9 If these clauses indicate that compa-
nies risk losing their contracts if they violate the anti-
discrimination clause, it is likely that the companies will
act proactively to ensure at least minimal compliance
with the law‘s requirements concerning active meas-
ures. This may be important given the apparent failure
of many to comply with the requirements concerning
gender equality plans and other active measures men-
tioned above.
There are various questions yet to be answered. What
kinds of clauses have been included? What are the
sanctions in relation to the contracting agency if it fails
to include such clauses, includes meaningless clauses
or fails to follow-up implementation in any meaningful
manner?
Lappalainen and Marcus Lundgren: Diskriminering dröjer kvar DEL II (2007) - (Discrimination remains Part II).
9 Förordning (2006:260): om antidiskrimineringsvillkor i upphandlingskontrakt. Available at: http://62.119.73.146/templates/page_1787.aspx
73 DOSSIER Positive Maßnahmen
Final comments
Discrimination has to do with the use of power in soci-
ety. It has to do with the unequal treatment of persons
due to irrelevant factors such as sex, ethnicity, religion,
disability or sexual orientation. Those who discriminate
are not necessarily aware of their own prejudices. Natu-
rally, everyone has prejudices, particularly underlying
prejudices which may have little to do with a conscious
ideology. They are nevertheless a product of their par-
ticular society‘s prejudices, history, sexism, racism, self-
image and denial. These factors form the structure in a
society and in particular influence those with power in
society. Power is the key issue related to discrimination.
Employers and landlords may have the same underly-
ing prejudices as the people that are applying for jobs
or housing, but the difference is that the former have
the power to deny or grant jobs or housing based on
their open or underlying prejudices.
It is also important to note that discrimination leads to
both unfavourable as well as favourable treatment of
men and women, the more and less abled, heterosexu-
als and homosexuals, ―immigrants‖ and ―Swedes‖.
Some people are discriminated against, some receive
positive treatment. This means that privileges are pro-
vided to persons who represent the norms in society –
quite often in terms of sex, ethnicity, religion, sexual
orientation and functional level. To change this some-
thing other is often needed than education and a reli-
ance on the good will of those with power in society.
In the introduction we talked about the need for active
measures to promote a faster breakdown of these pat-
terns. Policymakers, civil servants, employers, employ-
ees and in particular discriminated groups need to con-
sider more effectively the sanctions and incentives that
are needed to change these patterns. One basic idea is
that if discrimination costs enough, or the risks are high
enough, a potential discriminator can change his or her
behaviour. Thus, in Sweden, within the framework of
the law we need to determine if the sanctions in the law
can be strengthened so that provisions on active meas-
ures are more detailed, if active measures could be
increased to correspond to all prohibitions in the Act, or
if the Board against Discrimination can be given a more
effective role or if the Equality Ombudsman should
instead be given broader powers to issue fines as a
result of non-compliance.
We also need to understand that the private sector in
particular is affected by costs and/or potential cost risks.
Presumably a major reason that Canadian and US
companies show more concern for diversity compared
to their European counterparts, is that discrimination
and the failure to take active measures carry with them
significant cost risks. Since these risks can affect prof-
its, the interest of the leadership in companies is
stronger. Quite possibly, this makes it easier for man-
agement to understand and implement the ―business‖
case for diversity.
Sweden needs to more thoroughly examine and evalu-
ate related measures that are intended to contribute to
the promotion of equality. Those actors who are inter-
ested in actual implementation need to examine the
introduction of sanctions/incentives into mainstreaming
of various types. Equality promotion is often claimed to
be a public sector priority, yet a failure to act is seldom
sanctioned. For example, if the heads of agencies were
put on notice that their ability to counteract discrimina-
tion and promote equality will be one factor in their
salary development and/or retention of their jobs, this
will presumably lead to more effective leadership in
implementation of equality policies. Beginning at the top
in this manner would ensure that the hierarchy is put on
notice concerning the importance of equality within the
agency. All too often, responsibility for the implementa-
tion of well-meaning policies is put in the hands of mid-
level civil servants who have little or no influence unless
the head of the agency is supporting the efforts. We
need to ensure that the stairs will be cleaned from the
top.
Paul Lappalainen is the Head of Equality Promotion
with the Swedish Equality Ombudsman and was head of the government inquiry entitled The Blue and Yellow Glass House: Structural Discrimination in Sweden (SOU 2005:56). Yamam Al-Zubaidi and Paula Jons-son, also with the Ombudsman, have many years ex-
perience working with active measures.
DOSSIER Positive Maßnahmen 74
Carsten Keller / Ingrid Tucci / Ariane Jossin
Antidiskriminierung und Positive Maßnahmen in Frankreich
Nach der Kolonialisierung und einer langen Immigrati-
onsgeschichte sind Diskriminierungen gegenüber Mig-
rantInnen, deren Nachkommen und auch den soge-
nannten „Übersee-Franzosen― erst Ende der 1990er
Jahre nachhaltig in die öffentliche Debatte Frankreichs
gekommen. Im Jahre 1998 wurde von dem Haut Con-
seil à l’Intégration (Hoher Rat für Integration) ein Gut-
achten vorgelegt, in dem Diskriminierungen zum ersten
Mal von staatlicher Seite als eindeutige Barriere einer
erfolgreichen Integration definiert wurden. Diese öffent-
liche Anerkennung der Diskriminierung zog die formale
Notwendigkeit nach sich, eben solche Diskriminierun-
gen mit staatlichen Mitteln zu bekämpfen.
Eine Schwierigkeit Frankreichs bei der Bekämpfung von
Diskriminierungen und bei der soziokulturellen Gleich-
stellung von Personen anderer Herkunft besteht aller-
dings darin, dass es verfassungsrechtlich untersagt ist,
politische Maßnahmen einzusetzen, die Menschen
aufgrund ihrer Herkunft, Ethnizität oder Religion adres-
sieren. Durch die „citoyenneté française― werden „parti-
kulare― Gemeinschaften – auf Grundlage der Herkunft,
Religion oder sozialen Klasse – transzendiert, um so
die französische Nation zu bilden (Schnapper, 1994).
Dadurch sind auch Positive Maßnahmen, die explizit
die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund
fördern, von öffentlicher Seite nicht legitim und möglich
(Weil, 2005).
Allerdings existieren im zentralstaatlich geprägten
Frankreich doch Maßnahmen, die indirekt, insbesonde-
re durch die Fokussierung bestimmter sozialstrukturel-
ler Gruppen und städtischer Quartiere, MigrantInnen-
Gruppen privilegieren. Außerdem wird eine Politik der
Antidiskriminierung, die neben der öffentlichen Debatte
durch zwei EU-Richtlinien aus dem Jahr 2000 ange-
schoben wurde, relativ engagiert vorangetrieben.1 Im
1 Anhaltspunkte dafür, dass die Politik der Antidiskriminierung in Frankreich engagierter als in Deutschland vorangetrieben wird, liefern die Länderberichte zu Deutschland (Atzamba, 2007) und Frankreich (Thomas-Hislaire, 2008), die den Schwerpunkt auf Monitoring legen. Vgl. auch die Länderbe-richte zu den Gesetzesgrundlagen und Maßnahmen, die das European Network of Legal Experts in the Non-discrimination Field online bereitstellt unter http://www.non-discrimination.net/en/law/NationalLegislation/country-reportsEN.jsp (Zugriff am 19.10.2010). Im Unterschied zu Frankreich existieren in Deutschland sozialpolitische Maß-nahmen, die sich explizit an Personen mit Migrationshin-
Folgenden wird zunächst auf die Politik der Antidiskri-
minierung und anschließend auf Maßnahmen einge-
gangen, die sich als indirekte Positive Maßnahmen
(positive Diskriminierung) gegenüber MigrantInnen-
Gruppen interpretieren lassen. Bei diesen Maßnahmen
wird der Schwerpunkt auf die Bildungsförderungs- und
die Stadt- und Quartierspolitik gelegt.
Politik der Antidiskriminierung und Chancen-
gleichheit seit Ende der 1990er Jahre
Die öffentliche Anerkennung der Diskriminierung Ende
der 1990er Jahre hat zwar dazu geführt, dass verschie-
dene kleinere Maßnahmen implementiert wurden.2
Jedoch wurde erst 2004 im Zuge der Umsetzung der
beiden EU-Richtlinien in nationales Recht eine zentrale
Instanz der Diskriminierungsüberwachung und -
Sanktionierung geschaffen: die Haute Autorité de Lutte
contre les Discriminations et pour l'Egalité (HALDE,
Hohe Autorität zur Bekämpfung von Diskriminierungen
und für die Gleichheit) (Latraverse, 2008). Die HALDE
bekämpft Diskriminierungen aufgrund von Merkmalen
wie Herkunft, Behinderung, Alter, Geschlecht, sexueller
Orientierung, Weltanschauung oder Aussehen wesent-
lich durch die Prüfung und juristische Begleitung von
eingereichten Klagen, die mit Beweislast für die Ange-
klagten prozessiert werden.
Ein wachsendes Netzwerk an HALDE-„Verbindungs-
leuten― in Regionen, Organisationen und Unternehmen
soll für die Möglichkeit einer Klage durch Betroffene und
allgemein im Hinblick auf diskriminierende Praktiken
sensibilisieren. Im Falle einer Ahndung werden die
Akteure der Diskriminierung mit Entschädigungsleistun-
gen und Geldstrafen belegt. Beispielsweise musste im
Jahr 2008 ein Unternehmen knapp 100.000 Euro an
eine Frau an Entschädigung zahlen, da diese für eine
äquivalente Stelle weniger verdiente als ihre männli-
chen Kollegen. Der deutlich größte Anteil an Klagen
bezieht sich seit Gründung der HALDE auf den Bereich
der Beschäftigung, mit etwa der Hälfte der eingehenden
tergrund wenden und die in den letzten Jahren ausgebaut wurden.
2 Eine größere Maßnahme war eine Änderung der Verfassung im Jahre 2003, die den Übersee-Territorien die Möglichkeit gibt, ihre Bevölkerung im Hinblick auf Beschäftigung und wirtschaftliche Aktivitäten gegenüber „Metropol-Franzosen― zu bevorzugen (Calvès 2004).
75 DOSSIER Positive Maßnahmen
Klagen. Es folgen mit jeweils ca. zehn Prozent die Be-
reiche öffentliche sowie private Dienste und Güter, wie
z.B. die Versorgung mit Infrastruktur oder das Mieten
eines PKWs.
Auch mit der von Jahr zu Jahr steigenden Anzahl an
Klagen, die mit wachsender Erfolgsquote prozessiert
werden, bleibt das Kriterium der Herkunft das häufigste
angezeigte Diskriminierungsmerkmal, gefolgt von Dis-
kriminierungsklagen aufgrund einer Behinderung. So
bezogen sich im Jahr 2006 von 4058 eingereichten
Klagen 35 Prozent auf das Kriterium der Herkunft und
19 Prozent auf das der Behinderung, im Jahr 2009
waren das bei 10545 Klagen respektive 29 und 19
Prozent.3
Neben dieser im Kern juristischen Bekämpfung von
Diskriminierungen, die flankiert wird durch politische
Beratung und Reformvorschläge, ist zweitens die För-
derung von Gleichheit ein Aufgabengebiet der HALDE.
Hierunter fallen nicht im engeren Sinn Positive Maß-
nahmen, sondern die Sensibilisierung der Öffentlichkeit
durch die Publikation von Berichten und Studien, die
Organisation von Fortbildungen etwa in Unternehmen
oder Schulen, sowie die Bekanntmachung von best
practices, worunter auch Positive Maßnahmen fallen.4
Im Anschluss an die Verabschiedung zweier Gesetze
für die Chancengleichheit von Behinderten im Jahr
2005 (vgl. EK, 2006) veranlasste die HALDE beispiels-
weise eine Untersuchung über die Integration von be-
hinderten Kindern in reguläre anstelle separierter
Schulklassen, um wiederum beratend auf das Geset-
zeswerk und dessen Umsetzung zurückzuwirken.5
Zu Fortbildungen zählen zum Beispiel Workshops mit
LehrerInnen zum unterschiedlichen Umgang mit Mäd-
chen und Jungen. Zur Aufdeckung von Diskriminierun-
gen an Schulen hatte die HALDE auch eine Untersu-
chung von Schulbüchern hinsichtlich der darin vorkom-
menden Stereotype initiiert.6 Ein weiteres Element der
HALDE zur Förderung der Gleichheit sind Diskriminie-
rungs-Tests. Diese prüfen Unternehmen, Organisatio-
nen oder Bildungseinrichtungen darauf hin, ob etwa bei
3 Vgl. zu den Angaben die Jahresberichte der HALDE, die online zur Verfügung stehen http://www.halde.fr/-Rapports-annuels-.html (Zugriff am 19.10.2010).
4 Siehe http://www.halde.fr/-Le-repertoire-.html (Zugriff am 19.10.2010).
5 Siehe http://www.halde.fr/Sondage-sur-la-scolarisation-des.html (Zugriff am 19.10.2010).
6 Siehe http://halde.fr/Etude-sur-les-stereotypes-dans-les,12608.html (Zugriff am 19.10.2010).
Einstellungsverfahren oder Mittelvergaben gerecht
verfahren wird.
Das am 31. März 2006 verabschiedete Gesetz für
Chancengleichheit stärkte die Kompetenzen der
HALDE, insbesondere indem es sie mit einer modera-
ten Sanktionsmacht ausstattete (Verhängung von Geld-
strafen bis zu 15.000 Euro) und die Diskriminierungs-
tests als ein stichprobenartig einsetzbares Verfahren
legalisierte.7 Das Gesetz stellt in Frankreich eine wich-
tige und aufschlussreiche Etappe beim Kampf für
Chancengleichheit dar. Es enthält mehrere antidiskrimi-
nierende und positive, zugleich aber auch sehr ambiva-
lent bewertete Maßnahmen wie z.B. der nach wochen-
langen Protesten zurückgenommene Ersteinstellungs-
vertrag (Contrat première embauche). Als besonders
innovativ erscheint die Einführung eines anonymen
Lebenslaufes bei Bewerbungen in Unternehmen ab 50
MitarbeiterInnen. Hier sollen die Angaben der Bewerbe-
rInnen zu ihrer Identität wie Name, Alter und Adresse
im Rekrutierungsprozess anonymisiert werden. Die
Umsetzung dieses Instruments stand allerdings unter
Vorbehalt und wurde schließlich vertagt. Nach einem
erneuten Anlauf ist es Ende 2009 schließlich in sieben
Departements Frankreichs von einer begrenzten Anzahl
freiwillig mitwirkender Unternehmen in eine Testphase
eingetreten, doch der Protest von Unternehmerseite
lässt eine verbindliche Umsetzung unsicher erschei-
nen.8 Mit dem Gesetz für Chancengleichheit wurde
auch eine neue Behörde geschaffen, die „Agentur für
Chancengleichheit und sozialen Zusammenhalt―
(ANCSEC), die die mit dem Gesetz verabschiedeten
und bereits bestehenden Maßnahmen koordinieren soll.
Die im Gesetz versammelten Maßnahmen zielen in
einer besonderen Weise auf Personengruppen, die u.a.
in den Unruhen im Herbst 2005 breitenwirksam auf sich
aufmerksam gemacht hatten: benachteiligte Jugendli-
che und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund.
7 Der Gesetzestext findet sich online unter http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do;jsessionid=EC56BC576B170652F8F5C1D471BAE0DA.tpdjo06v_2?cidTexte=JORFTEXT000000268539&categorieLien=id (Zugriff am 19.10.2010). Ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen des Gesetzes auf Deutsch findet sich unter: http://www.botschaft-frankreich.de/IMG/egalite_chance.pdf (Zugriff am 19.10.2010).
8 Vgl. hierzu folgende Zeitungsartikel: J.A. Heyer, M. Koch, D. Kuhr (2009): „ Anonymer Lebenslauf: Name, Alter, Ge-schlecht? Nicht nötig.― sueddeutsche.de, online unter : http://www.sueddeutsche.de/karriere/anonymer-lebenslauf-name-alter-geschlecht-nicht-noetig-1.138291 (Zugriff am 19.10.2010); R. Klingsieck (2010): „Halbherziges Ja zu ano-nymen Bewerbungen.― Neues Deutschland, online unter: http://www.neues-deutschland.de/artikel/177173.halbherziges-ja-zu-anonymen-bewerbungen.html (Zugriff am 19.10.2010).
DOSSIER Positive Maßnahmen 76
Positive Maßnahmen
Nach Calvès (2004) ist die französische Politik im Be-
reich der Positiven Maßnahmen durch drei Eigenschaf-
ten gekennzeichnet: erstens „ignoriert― sie die Gruppen,
zweitens stellt sie eher auf Maßnahmen der Sozialpoli-
tik ab, und drittens legt sie wenig Wert auf die Regeln
des Marktes.9 Da in Frankreich eine explizite Förderung
von MigrantInnen und deren Nachkommen oder auch
von „sichtbaren Minderheiten― von der Verfassung her
ausgeschlossen ist, nutzen Positive Maßnahmen För-
derinstrumente, die indirekt auf solche Gruppen zielen.
Die beiden ersten von Calvès genannten Eigenschaften
der französischen Politik im Hinblick auf positive Dis-
kriminierung finden sich in der Bildungsförderungs- und
in der Stadt- und Quartierspolitik (Politique de la ville)
wieder. Beide Politikbereiche sind eng miteinander
verbunden.
Stadt- und Quartierspolitik
Anknüpfend an erste Programme der Renovierung
problematischer Viertel aus den 70er Jahren, geht die
eigentliche Gründung der Quartierspolitik auf die ersten
Vorstadt-Unruhen Anfang der 1980er Jahre bei Lyon
zurück (Donzelot, 2006). In Reaktion auf die Unruhen
führte die gerade an die Macht gekommene Mitterrand-
Regierung 1981 ein Programm zur sozialen Entwick-
lung von „sensiblen― Quartieren ein und definierte die
sogenannten ZEP (zones d’éducation prioritaire). Für
diese Zonen mit besonderem Bildungsbedarf gelten
neben einer erhöhten sozialen Problembelastung wie
dem Arbeitslosenanteil auch ein überdurchschnittlicher
Anteil an SchülerInnen, deren Eltern ausländische
StaatsbürgerInnen bzw. nicht frankophon sind, als
Auswahlkriterien. Die ZEP-Schulen erhalten zusätzliche
staatliche Mittel (für Personal, Ausstattung etc.) und
verfügen über eine erhöhte Autonomie. Im Jahr 2004
waren fast 1,8 Millionen SchülerInnen in sogenannten
Schulen mit besonderem Bildungsbedarf (Toulemonde,
2004). Im Zuge der Entwicklung der sozialen Quartiers-
politik wurden 1996 weitere Förderterritorien formell
definiert. Auch bei ihnen gehört neben besonderen
Problembelastungen ein überdurchschnittlicher
MigrantInnenanteil zum Definitionskriterium: die soge-
nannten "zones urbaines sensibles" (ZUS) und die
9 In ihrem Vergleich zwischen der affirmative action, wie sie in den USA betrieben wird, und den positiven Maßnahmen „à la française― weist Calvès (2004) bezüglich des letzten Punktes daraufhin, dass durch das Festlegen von Quoten in Frank-reich – zum Beispiel im öffentlichen Dienst oder in den Me-dien – das meritokratische Prinzip nicht maßgebend ist. Es geht nach Calvès mit den Quoten nicht um die Gleichheit der Chancen, sondern um die Gleichheit des Ergebnisses.
"zones franches urbaines" (ZFU). Beide Zonen erhalten
besondere Mittelzuweisungen, erstere auf direktem
Weg primär für städtebauliche und soziale Projekte, die
"zones franches urbaines" auf indirektem Weg durch
Steuer- und Abgabenerleichterungen für dort investie-
rende Unternehmen.
An diese drei territorialen Förderkategorien, die ZEP,
ZUS und ZFU, knüpft das Gesetz für Chancengleichheit
an, und lässt so indirekt MigrantInnen und deren Nach-
kommen eine besondere Unterstützung zukommen.
- Erstens werden durch das Gesetz weitere ZFU
geschaffen, die Unternehmen in stark benachtei-
ligten Quartieren von Steuern und Abgaben be-
freien.
- Zweitens sollen Unternehmen für unbefristete
Beschäftigungsverhältnisse von Steuern und Ab-
gaben befreit werden, wenn sie diese an Jugend-
liche vergeben, die in den "zones urbaines sen-
sibles" wohnen, seit mindestens sechs Monaten
Arbeit suchen und ohne Abitur sind.
- Drittens rekurriert das Gesetz auf die prioritären
Bildungszonen, indem dort Vorbereitungsklassen
für die Elitehochschulen geschaffen werden sol-
len.
- Die Förderung der Bildung ist neben der Förde-
rung der Beschäftigung auch eine der Prioritäten
des so genannten „Plan Espoir Banlieues― (Plan
Hoffnung in den Vorstädten), der im Jahr 2008
verabschiedet wurde.10
Durch eine Maßnahme
wie z.B. das „Busing― sollen Kinder und Jugendl i-
che aus benachteiligten Gebieten in Schulen bes-
serer Wohngebiete mit Bussen gefahren werden.
Das „Busing― wurde Anfang der 1970er Jahre in
Charlotte, USA, eingeführt mit dem Ziel, weiße
und schwarze Kinder zusammenzubringen.
Zugang zu Elite-Hochschulen
Es war die Elite-Hochschule (Grande école) Sciences
Po, die im Jahr 2000 unter ihrem neuen Präsidenten ein
Programm initiierte, das für großes Aufsehen und teil-
weise auch Kritik sorgte. Angesichts ihres extrem ge-
10
Vgl. zu den jüngeren Maßnahmen der Bildungsförderung im Rahmen der Stadtpolitik die Webseite http://www.ville.gouv.fr/?-Education,111000026- (Zugriff am 19.10.2010). Ein im Jahr 2007 eingeführtes, sämtliche Maßnahmen im Rahmen der Stadtpolitik bündelndes In-strument sind die „Verträge für sozialen Zusammenhalt (CUCS) (vgl. http://sig.ville.gouv.fr/page/45 (Zugriff am 19.10.2010).
77 DOSSIER Positive Maßnahmen
ringen Anteils an Studierenden aus unteren sozialen
Schichten, verpflichtete sich Sciences Po, jährlich eine
bestimmte Anzahl an Studierenden aus Gymnasien „in
ZEP― aufzunehmen. Um die kulturelle Distanz und ein-
en Informationsmangel über die Möglichkeit, durch Vor-
bereitungsklassen und Aufnahmeprüfungen (concours)
an eine Grande école zu gelangen, zu vermindern, sind
Besuchs- und Austauschtage für GymnasiastInnen aus
diesen benachteiligten Quartieren Bestandteil des Pro-
gramms. Genauer besuchen Studierende der Sciences
Po die Gymnasien und führen im Rahmen ihres Studi-
ums kleinere Projekte durch, während die SchülerInnen
die Möglichkeit bekommen, an den Kursen der Elite-
Hochschule probeweise teilzunehmen. Einmal im Jahr
wird ein aufwendiges Selektionsverfahren für potentielle
KandidatInnen an den kooperierenden Gymnasien der
ZEP gestartet, das gleichwohl von den regulären Auf-
nahmeprüfungen abweicht. Der Selektionsprozess
fängt im Grunde vor dem Erreichen des Abiturs an
(Toulemonde, 2004), und die ausgewählten Kandida-
tInnen erhalten ein Stipendium und die Möglichkeit, von
einem Tutor oder einer Turorin an der Sciences Po
betreut zu werden.
Das symbolträchtige Programm hat, wie unter anderem
die regelmäßigen Studien des der Sciences Po ange-
gliederten Institutes CEVIPOF zeigen, an der sozialen
Zusammensetzung der Studierendenschaft dieser
Grande école so gut wie nichts verändert.11
Dennoch
hat es breite Debatten und auch die Kritik provoziert,
dass hier der französische Gleichheitsgrundsatz durch
eine positive Maßnahme verletzt werde. Das Kriterium
der ethnisch-kulturellen Herkunft spielt jedoch keine
explizite Rolle bei der Auswahl der StudentInnen.
Diese Maßnahme der Sciences Po ist keine Maßnahme
der affirmative action, wie sie im US-amerikanischen
Raum bekannt ist, jedoch erreicht sie indirekt und impli-
zit zwangsläufig junge Menschen, die zu den ethni-
schen Minderheiten gehören, insbesondere junge Men-
schen maghrebinischer und subsaharischer Herkunft
(Sabbagh, 2002): Etwa Zwei Drittel der jungen Men-
schen, die aufgenommen werden, haben mindestens
ein im Ausland geborenes Elternteil (Sciences Po,
2009). Die Ausstrahlungseffekte in die Politik wurden
bereits erwähnt, und es scheint, dass die "Förderung
der Eliten" innerhalb der benachteiligten sozialen Mili-
eus ein obligatorischer Bestandteil von Programmen
zur Chancengleichheit geworden ist, denn sie wurde
auch in den 2008 verabschiedeten "Plan Banlieue"
11
Vgl. die Studie von Vincent Tiberj und Cécile Riou (2002).
aufgenommen. Eine weitere Elitehochschule, die Ecole
Supérieure des Sciences Economiques et Commer-
ciales (ESSEC), hat im Jahr 2002 ebenfalls ein Pro-
gramm zur tutoriellen Begleitung von GymnasiastInnen
aus benachteiligten Quartieren gestartet. Dieses sieht
allerdings keine jährlichen Aufnahmequoten, sondern
ausschließlich ein dreijähriges Tutoriat der Gymnasias-
tInnen vor, das durch Studierende der Grande école
freiwillig durchgeführt wird. Auch die IngenieurInnen-
Elite-Hochschule Politechnique hat vor kurzem ein
Programm gestartet, das AbiturientInnen aus benach-
teiligten sozialen Milieus für die Aufnahme eines Hoch-
schulstudiums im Rahmen eines dreiwöchigen Prakti-
kums vorbereitet.
Im Dezember 2009 löste die Ankündigung der Ministe-
rin für Bildung und Forschung, Valérie Pécresse, eine
Quote von 30 Prozent an boursiers für die Grandes
écoles einzuführen, eine lebhafte Debatte aus. Bei den
boursiers handelt es sich um Studierende (und Schüle-
rInnen), die angesichts geringer Einkommen der Eltern
durch staatliche Stipendien in ihrer Bildungslaufbahn
unterstützt werden. Der Vorschlag von Pécresse stieß
bei der Conférence des Grandes Écoles (CGE), dem
Interessensverband der französischen Elitehochschu-
len, auf deutliche Ablehnung. Mit dem Argument, dass
die Einführung solcher Quoten dem Prinzip des Wett-
bewerbs (concours) widersprechen und das Niveau der
Schulen dadurch leiden würde, empfahl die CGE an-
stelle dessen den Weg einer individuellen Frühförde-
rung durch Tutoriate nach dem Modell der ESSEC. Der
Ministerin zufolge sollte es sich bei den 30 Prozent
jedoch nicht um eine Quote, sondern eine Zielvorgabe
handeln, die voraussichtlich von einem Teil der Gran-
des écoles ohnehin bald erreicht werde. So wurde
bereits das im Jahr 2008 vom Ministerium formulierte
Ziel, unter den SchülerInnen der Vorbereitungsklassen
(classes préparatoires) für die Grandes écoles einen
Anteil von 30 Prozent boursiers zu schaffen, noch im
selben Jahr durch eine Reform des Stipendienwesens
erreicht, die die Zahl der StipendiatInnen deutlich ver-
größert hatte. Entsprechend kann von einem steigen-
den Anteil von boursiers an den Grandes écoles in den
nächsten Jahren ausgegangen werden. Im Jahr 2009
betrug dieser Anteil durchschnittlich 23 Prozent, wies
zugleich jedoch eine große Spannweite zwischen den
verschiedenen Elitehochschulen auf.12
12
Vgl. zu dem Thema die Artikel in Le Monde und Figaro: http://www.lemonde.fr/societe/article/2010/01/04/les-grandes-ecoles-opposees-aux-quotas-de-boursiers_1287198_3224.html; http://www.lefigaro.fr/formation/2010/01/04/01015-
DOSSIER Positive Maßnahmen 78
Schluss
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich
die beschriebenen positiven Maßnahmen der Palette an
territorialen Förderkategorien aus der sozialen Stadt-
und Quartierspolitik bedienen, wobei anzumerken ist,
dass auch Beschäftigungs- und Qualifizierungspro-
gramme für benachteiligte Jugendliche und junge Er-
wachsene eine Tradition in Frankreich haben, die in
den letzten zwei Dekaden teilweise inflationär bedient
wurden (Paugam, 2000). In Frankreich wird immer
wieder darüber diskutiert, ob, wie in den USA, Positive
Maßnahmen eingeführt werden sollen, die sich speziell
an MigrantInnen, deren Nachkommen oder „Übersee-
Franzosen― richten.13
Die Mittelzuwendung an die
zones d’éducation prioritaires und an weitere städtische
Förderzonen sowie die Selbstverpflichtung der Elite-
Universität Sciences Po, jährlich eine bestimmte Anzahl
unter den besten SchülerInnen aus benachteiligten
Quartieren aufzunehmen, lassen sich wie gezeigt an-
satzweise als solche Maßnahmen begreifen. Jedoch
wird die ethnisch-kulturelle Herkunft nicht als explizites
Zuteilungskriterium verwendet, denn dies würde das
fundamentale französische Prinzip der Gleichheit vor
dem Gesetz, ohne Unterschiede aufgrund der Herkunft,
Ethnizität oder Religion, in Frage stellen. Dieses Argu-
ment wird auch angeführt, wenn es um die Frage der
ethnischen Statistik geht. Schon Mitte der 1990 Jahre
entflammte diese Debatte mit der Veröffentlichung einer
Studie von Michèle Tribalat (1995). Nachdem erst im
Jahr 2007 der französische Verfassungsrat die Un-
rechtmäßigkeit ethnischer Kategorienbildung und Sta-
tistik bekräftigt hatte, debattieren WissenschaftlerInnen,
JournalistInnen und PolitikerInnen über die Bedeutung
ethnischer Kategorien für eine bessere Evaluation und
Bekämpfung von Diskriminierungen und über deren Ge-
fahren einer Stigmatisierung und Realitätsverzerrung.
20100104ARTFIG00586-les-grandes-ecoles-refusent-les-quotas-de-boursiers-.php
13 Eine hitzige Debatte zu Positiven Maßnahmen in Frankreich gab es auch bezüglich des im Jahr 2000 verabschiedeten Gesetzes zur Parität zwischen Frauen und Männern bei po-litischen Wahlen. Das Gesetz sieht gleiche Anteile von Frauen und Männern auf den Wahllisten vor, wobei im Falle des Abweichens Sanktionen in Form von Geldstrafen ver-hängt werden. Kritiker des Gesetzes sahen den Gleich-heitsgrundsatz der Verfassung verletzt. Die 2006 gesetzlich vorgeschlagene Einführung einer Quote zum Anteil von Frauen in Aufsichtsräten von großen Unternehmen wurde vom Verfassungsrat tatsächlich abgelehnt. Jedoch ist nach mehreren Anläufen eine Verfassungsänderung zum Gleich-heitsgrundsatz durchgesetzt worden, so dass mit Beginn 2010 ein Gesetz vom Parlament verabschiedet wurde, das stufenweise eine Quote von 20 und später 40 Prozent Frau-en in Aufsichtsräten vorsieht. Allerdings muss das Gesetz vor seinem Inkrafttreten erneut die Hürde des Verfassungs-rats nehmen.
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Carsten Keller ist Forscher am Centre Marc Bloch in
Berlin. Zur Zeit vertritt er die Professur für ethnische Heterogenität an der Universität Duisburg Essen. Ariane Jossin ist Postdoktorandin am Centre Marc
Bloch, Berlin. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind u.a. trans-nationale soziale Bewegungen, vergleichende Sozial-wissenschaften und Migrationssoziologie. Ingrid Tucci ist Soziologin und arbeitet in der Abteilung
des Sozioökonomischen Panels (SOEP) am DIW Ber-lin. Sie forscht zu den Themen Migration, Integration ethnischer Minderheiten, soziale Ungleichheit und Gen-der.
DOSSIER Positive Maßnahmen 80
Michael Werz / Julie Margetta Morgan
Affirmative Action in the United States
Diversity is the litmus test for a modern society. The
degree to which ethnic and racial differences are em-
braced and seen as strengths rather than weaknesses
discloses the democratic substance in any given coun-
try. The United States has struggled with the issues of
race and diversity since its earliest days. With the elec-
tion of Barack Obama this conflict has not come to a
close, but his unexpected electoral success is an indi-
cator that in the United States, descent is not synony-
mous with destiny any more. Such advances are impor-
tant tests for contemporary societies and their competi-
tiveness in the 21st century. The capacity to recognize
diversity as something positive and bring it to the fore-
front in education, politics, and business is a crucial
asset for modern civilizations.
Diversity is an omnipresent and contemporary issue in
the United States. Few former colonial nations have
abolished slavery within their own borders; the U.S. is
one of those few and ultimately worked to abolish le-
gally-sanctioned racial and ethnic discrimination. It is
important to remember that only fifty-three years ago
the U.S. President had to send paratroopers to a little
town in Arkansas to make sure that nine black children
were able to go to school. Seven of them attended the
inauguration of Barack Obama as 44th president of the
United States in January 2009. However, concerns
about losing ground to segregation and other racial or
ethnic injustices are very much alive today. When
Barack Obama delivered his iconic speech on race
relations, referring to the Constitution‘s call to ―form a
more perfect union,‖ his universalist pledge did not pass
unheard.
The notion that Americans ―may not look the same and
we may not have come from the same place, but we all
want to move in the same direction‖ touched upon con-
temporary experiences shared by many. Within two
months, his speech was downloaded more than 4.5
million times on YouTube, and a Gallup poll revealed
that more than 85 percent of all Americans had heard
about his speech. These historic experiences distin-
guish the United States. Although the United States
should not be seen as the ideal model, its history of
racial conflict and affirmative action can serve as a
valuable archive of political experiences.
In recent years, many member states in the European
Union have initiated intense policy debates about ―posi-
tive action measures‖, followed by significant expansion
of legislation at the European level. However, very few
practical procedures have been implemented through
national legislation so far. Where positive measures are
undertaken, it is done primarily on the basis of non-
binding equality policies, or through the mission state-
ments of individual organizations and corporations. The
most comprehensive study, a 2009 report by the Euro-
pean Commission on ―International perspectives on
positive action measures‖ (Archibong et al.) states that
legislation has been the main driver, but there are many
barriers to the successful introduction of these meas-
ures. Obstacles include limited human and financial
resources, the lack of systematic monitoring, and the
need to develop better evaluation tools. Furthermore,
Europe has no legal definition of ―positive measures,‖
resulting in inconsistent interpretations of the term
among European policymakers.
Diversity and Civil Rights - A Unique American
History
In comparison to the European experience, the debate
about equal opportunity and affirmative action began a
lot earlier in the United States and was led with great
intensity. At the height of the political protest move-
ments, the U.S. government undertook one of the most
critical steps toward acknowledging diversity by passing
the Civil Rights Act of 1964, which prohibited discrimi-
nation in public and private employment and in institu-
tions receiving federal financial aid. The judicial system
played its part, ruling on the desegregation of schools.
Although measures to thwart discrimination on the basis
of race and gender brought about fundamental changes
in American society, a more difficult conversation began
to emerge about the difference between equal rights
under the law and equality of opportunity. Men and
women who were subjected to discrimination had been
denied opportunities in both work and education that
could not be remedied simply by prohibiting segrega-
tion. In acknowledgement of the need to redistribute
opportunity to those who had been historically disad-
vantaged, affirmative action programs were instituted to
increase academic and professional opportunities for
minorities and women.
81 DOSSIER Positive Maßnahmen
The common goal was the diversification of schools,
universities, federal agencies, and the institutions gov-
erned by them. The mandates were wide-reaching and
gave authority to individual departments to implement
minority hiring programs.
Although the courts played the most crucial role in pro-
tecting the rights of minorities, they were not the only
guardians of equal opportunity legislation. The execu-
tive branch, by virtue of its executive prerogative, also
actively pursued diversity policy. A legendary Executive
Order issued by President Lyndon B. Johnson in 1965
required organizations that accepted federal funds to
implement ―affirmative action‖ and thus increased em-
ployment opportunities for minorities and women. Ever
since, organizations receiving federal contracts have to
formulate a written affirmative action plan, including
goals, timetables, and progress statements for achiev-
ing the full recruitment and utilization of minorities. The
goal of diversity for government hiring is summarized in
Executive Order 11478, as issued by Republican Presi-
dent Richard Nixon in August 1969. Section 1 states:
It is the policy of the Government of the United
States to provide equal opportunity in Federal
employment for all persons (…) and to promote
the full realization of equal employment through
a continuing affirmative program in each execu-
tive department and agency. This policy of equal
opportunity applies to and must be an integral
part of every aspect of personnel policy and
practice in the employment, development, ad-
vancement, and treatment of civilian employees
of the Federal Government.
Section 2 further directs:
It is the responsibility of each department and
agency head, to the maximum extent possible,
to provide sufficient resources to administer
such a program in a positive and effective man-
ner; assure that recruitment activities reach all
sources of job candidates; utilize to the fullest
extent the present skills of each employee; pro-
vide the maximum feasible opportunity to em-
ployees to enhance their skills so they may per-
form at their highest potential and advance in
accordance with their abilities; (…) assure par-
ticipation at the local level with other employers,
schools, and public or private groups in coopera-
tive efforts to improve community conditions
which affect employability; and provide for a sys-
tem with the department or agency for periodi-
cally evaluating the effectiveness with which the
policy of this Order is being carried out.
(E.O.11478, Sections 1 and 2)
These measures, which were never voted upon by U.S.
policymakers, have dramatically impacted American
society. They have changed the face of businesses and
the federal government, but the debate about the le-
gitimacy of these practices has continued ever since.
Although affirmative action has been particularly suc-
cessful in higher education, this is also where it has
been the most controversial.
Affirmative Action in Higher Education
The movement toward affirmative action in higher edu-
cation evolved out of a desire to address effects of past
discrimination and segregation on the achievement of
minority students and to increase diversity in higher
education. The key argument was that a more diverse
student body promotes democratic values, cross-racial
tolerance and understanding, as well as the preparation
of leaders who are equipped to compete in a global
marketplace. In the wake of the global student move-
ments and the protest against the Vietnam War during
the late 1960s, colleges began instituting admissions
policies that gave preference to minority students over
other applicants. Depending upon the circumstances,
these policies ranged from an unsophisticated ―quota‖
system for racial and ethnic minorities to more nuanced
admissions policies that consider race only one among
a variety of factors identified in a more broadly defined
concept of diversity. From their inception, affirmative
action policies in higher education have been contro-
versial: Even though the ultimate goal of diversity may
be agreeable to most Americans, the methods of
achieving it generated both constitutional questions and
concerns about the consequences of race-based pref-
erences for minority students.
Constitutional challenges to affirmative action began
almost immediately, resulting in the 1978 Supreme
Court decision of Regents of University of California v.
Bakke, in which a white applicant to University of Cali-
fornia at Davis Medical School was denied admission
two years in a row. Allan Bakke sued the University,
claiming that he was rejected as a result of a policy that
reserved up to sixteen slots in each incoming class of
students to minority applicants. In a divided opinion, the
Supreme Court concluded that an admissions program
that involves a racial quota and preferences racial di-
DOSSIER Positive Maßnahmen 82
versity over all other admissions qualifications is a viola-
tion of the Constitution‘s Equal Protection Clause. How-
ever, the Court indicated that a more nuanced admis-
sions program aimed at increasing the educational
benefits that flow from diversity may be permissible:
―…the State has a substantial interest that legitimately
may be served by a properly devised admissions pro-
gram involving the competitive consideration of race
and ethnic origin.‖ (Bakke, 439 U.S. 265, 320 (1978).
Such a program was the subject of the 2003 case Grut-
ter v. Bollinger, in which a group of law students who
were denied admission to the University of Michigan
Law School claimed that its admission policy violated
the Equal Protection Clause. The Law School‘s admis-
sion policy considered diversity as part of an individual-
ized review of each applicant‘s qualifications; diversity
received ―substantial weight,‖ but was not limited to
solely racial or ethnic diversity. The Supreme Court
upheld this admissions policy, stating that the Law
School was pursuing a compelling interest in the educa-
tional benefits of diversity through a program that en-
sures an individual review of each applicant without
making ethnicity or race the sole determining factor of
admission or rejection.
Affirmative action policies in U.S. higher education
admissions began from a simple desire to increase
racial diversity and equality of opportunity, but the
methods used have been far from simple. One reason
for this is the constitutional barrier outlined by the Su-
preme Court‘s formalistic interpretation of the U.S.
Constitution‘s guarantee of equal protection under the
law, which resulted in limiting the public university‘s
ability to address diversity directly, by stating that race
may not be the sole deciding factor in an admissions
decision. In comparison, Canada‘s constitution includes
the same guarantee of equality, but it allows for pro-
grams that ameliorate disadvantages. As Canadian
justice Frank Iacobucci stated in Lovelace v. Ontario,
Canadian law views affirmative action as ―an expres-
sion of equality rather than an exception to it.‖
Another reason for the limited reach of affirmative ac-
tion in public higher education, evident in the ballot
initiatives in states like California and Michigan, is a
public ambivalence toward the notion of racial prefer-
ences. The public response may be due to misconcep-
tions about affirmative action that paint the policies as
vehicles to admit under-qualified minority applicants
and deny qualified Caucasian applicants. It may also be
motivated by an increasing desire to see American
society as colorblind and meritocratic, and to view the
effects of past discrimination against minorities as sim-
ply social conditions for whom no one is to blame.
Although the Supreme Court decision in the case Grut-
ter v. Bollinger opened the door for the use of race in
university admissions, it also constrained institutions‘
abilities to increase diversity. The kind of individualized,
holistic review of applicants, in which grades and test
scores are important, but ―soft‖ factors like diversity,
talent, and potential to contribute to learning are also
considered is not possible at larger institutions that
must review more than ten thousand applications each
fall. Rather than using racial or ethnic preferences in
admissions, some postsecondary institutions have
taken a broader look at programs to increase diversity,
including targeted recruitment of minority students and
partnering programs with local high schools.
Another obstacle to promoting racial diversity in higher
education has been statewide ballot initiatives or other
laws that outlaw the use of racial or ethnic preferences.
In reaction to the national debate over affirmative action
and public legal disputes like Bakke and Grutter, a
small number of states have instituted ballot initiatives
to outlaw the use of racial preferences in areas such as
public university admissions, government contracting,
and hiring public employees. California initiated this
trend in 1996 with the California Civil Rights Initiative
(Proposition 209), and states such as Michigan, Ne-
braska, and Washington followed suit over the past two
decades. Many of these initiatives can be traced to the
efforts of Ward Connerly, founder of the American Civil
Rights Institute. Connerly engages in a state-by-state
battle against racial preferences, and the result has
been a distinct drop in the number of minority students
enrolled at public universities in those states. To com-
bat the effects of these bans and anticipate further
restriction on the use of affirmative action, institutions
increasingly use socioeconomic status or other meas-
ures of educational opportunity as a proxy for race.
Whatever the reason, as affirmative action efforts in
public universities and colleges have been stymied or
limited, higher education institutions are not likely to
meet Justice O‘Connor‘s expectation expressed in
Grutter that within twenty-five years (now, eighteen
years), racial preferences will no longer be necessary to
achieve diversity. Researchers have suggested that
colleges could increase diversity and steer clear of
constitutional challenges by looking more deeply at the
roots of the lack of diversity in American higher educa-
tion. One suggestion is to look at the extent to which
83 DOSSIER Positive Maßnahmen
socioeconomic status and race overlap; socioeconomic
factors could be used as a proxy for race in admissions.
Another is to consider the fact that patterns of raising
selectivity and requiring better test scores from appli-
cants has significantly hampered their ability to recruit a
diverse student body. Still, recent research suggests
that though socioeconomic factors could help increase
diversity, they simply are not a substitute for race.
Affirmative Action in the Diplomatic Service
Another interesting field is the U.S. Diplomatic Service,
run by the U.S. Department of State. Long dominated
by white men from New England, in recent years the
State Department has been run by diverse Secretaries
of State that have not shied away from making their
opinions on the issue public. Only three days after be-
ing appointed, Colin Powell said that ―America overseas
ought to look more like America at home.‖ The State
Department uses a number of strategies to comply with
this demand: active recruitment efforts include the Dip-
lomat in Residence Program, which sends employees
to minority colleges to act as employment recruiters.
These diplomats visit typically black, hispanic, asian,
and women-only universities to teach, consult with, and
advise college students on careers within the State
Department. Due to the presence of minority-oriented
universities within the United States, the possibility of
having such a program may be uniquely American;
however, it is important to note the degree to which the
Department of State is willing to reach out to a diverse
student population. In addition, the Department also
sends employees to major state colleges like the Uni-
versity of California in Los Angeles. This might be a
viable model in Europe, which would allow institutions
to target larger universities with a diverse array of stu-
dents but without a particular governmental or foreign
policy focus.
Other successful recruitment programs that target mi-
norities and are run outside traditional hiring practices
include fellowships, internships, and apprenticeships.
The Department also encourages minorities to organize
into groups, with the goal of increasing minority repre-
sentation. Proactive recruitment efforts serve as sup-
plements to the regular Foreign Service hiring process.
These efforts are backed by the Foreign Service Act of
1980 under which the State Department currently oper-
ates, and which replaced the initial Foreign Service Acts
of 1924 and 1946. The document states:
The objective of this Act is to strengthen and im-
prove the Foreign Service of the United States
by – (2) fostering the development and vigorous
implementation of policies and procedures, in-
cluding affirmative action programs, which will
facilitate and encourage (A) entry into and ad-
vancement in the Foreign Service by persons
from all segments of American Society, and (B)
equal opportunity and fair and equitable treat-
ment for all without regard to political affiliation,
race, color, religion, national origin, sex, marital
status, age, or handicapping condition. (Section
101 (b) (2))
Federal affirmative action mandates are wide-reaching
and give authority to the heads of executive institutions,
such as the Secretary of State, to pursue a broad-
based approach to minority hiring, including supplemen-
tal training and recruitment efforts. The goal to integrate
minorities in all economic and social spheres is thus
being achieved at the government level by nondiscrimi-
nation litigation, and through affirmative action pro-
grams that actively encourage minority hiring and train-
ing. Both of these principles are embraced by the De-
partment of State and the Foreign Service in their offi-
cial policies.
In addition, the Foreign Service encourages a diverse
and representative employee base as a crucial part of
its operating mission and charter. The formal prose,
however, is also backed by accountability to Congress:
The Secretary of State must submit to the chairman of
the Committee on Foreign Relations, the speaker of the
House, and the Equal Employment Opportunity Com-
mission, a report on the State Department‘s affirmative
action and minority recruitment programs, to be deliv-
ered once a year. In the past 30 years, federal agencies
have implemented numerous programs to encourage
minority hiring, often against their own institutional cul-
tures. In doing so, they have changed norms, to the
extent that it is possible for the Secretary of State to be,
as she is now, a woman, or as with the last two, African
American.
Diversity as Institutional Self Interest
Former Executive Director Mark Chichester of the Insti-
tute for International Public Policy describes that af-
firmative action is diminishing at the same time that a
culturally diverse environment is developing. He argues
that ―institutional self-interest is moving away from the
individual perspective of affirmative action and individ-
DOSSIER Positive Maßnahmen 84
ual opportunity,‖ and toward the development of a U.S.
policy of ―cultural competence,‖ which goes beyond
racial and ethnic diversity. It embraces a ―broader con-
ception of diversity of experience and perspective that
allows individuals to communicate and function effec-
tively across cultures‖ (IIPP, 25). The U.S. tradition of
affirmative action and its criticism have not only pro-
duced a high level of public awareness. They have also
created a fairly broad consensus that ―institutional di-
versity‖ is needed and beneficial in several ways. With a
more diverse workforce, institutions can harvest social
and cultural skills that are present in modern society in
a more systematic way, broadening their vision through
a multitude of perspectives and experiences and ready-
ing themselves for the challenges of the twenty-first
century.
But there is a more fundamental dimension as well.
Societies at large can learn from the immigrant or mi-
nority communities. Acceptance of diversity is part of
contemporary enlightened self-interest, a realization
that greater diversity touches the core interest of mod-
ern institutions: cultural competencies, language skills,
and different visions of the world. It took a long time to
get to this point, and now the United States is readying
itself for the next step: Due to demographic shifts and
continuing immigration, the country may be a ―commu-
nity of minorities‖ as soon as 2040—where no single
ethnic group can claim majority status.
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Michael Werz is currently a Senior Fellow at the Center for American Progress (CAP). Julie Margetta Morgan
is a Policy Analyst at CAP.
85 DOSSIER Positive Maßnahmen
Instrumente & Strategien
In den Rechtskommentaren zum AGG und insbesonde-
re der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) wird näher definiert, was unter Positiven Maß-
nahmen verstanden werden soll und unter welchen
Bedingungen sie rechtskonform und damit zulässig
sind: Positive Maßnahmen sind geeignete, angemes-
sene und verhältnismäßige Aktivitäten, die die Verhin-
derung oder den Ausgleich von Benachteiligungen der
im AGG geschützten Personen und Gruppen zum Ziel
haben. Insbesondere im Rahmen des Gender Main-
streaming ist bereits eine breite Palette rechtlich zuläs-
siger Positiver Maßnahmen eingesetzt und evaluiert
worden. Diese reichen von „weichen― Maßnahmen wie
Anwerbungs- und Informationskampagnen bis hin zu
„harten― Maßnahmen wie der Quotenregelung. Diese
Maßnahmen haben sich von Kontext zu Kontext als
unterschiedlich effektiv erwiesen und sind in der öffent-
lichen Diskussion verschieden positiv oder negativ
besetzt worden.
Positive Maßnahmen zugunsten der im AGG geschütz-
ten Gruppen können unterschiedliche Arten von Aktivi-
täten und Instrumente umfassen: Sie können zielgrup-
penorientiert sein und so z.B. die gezielte Ansprache
von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in
Stellenangeboten oder betriebliche Fördermaßnahmen
für ältere ArbeitnehmerInnen beinhalten. Sie können
zielgruppenübergreifend sein, wie z.B. Work-Life-
Balance-Programme oder umfassendes Diversity Ma-
nagement als horizontale Handlungsoption Positiver
Maßnahmen. Und sie können auf den Abbau (potenti-
ell) diskriminierender Strukturen abzielen, wie z.B. die
Überprüfung sämtlicher Richtlinien und Personalpro-
zesse in einem Antidiskriminierungs- oder Diversity-
Check. Die Beiträge in diesem Abschnitt tragen dieser
Vielfalt Positiver Maßnahmen Rechnung und diskutie-
ren unterschiedliche Instrumente, Einsatzbereiche und
Zielgruppen.
- Katrin Wladasch argumentiert, dass Positive
Maßnahmen nicht nur in der Arbeitswelt sinnvoll
und notwendig sind, wo sie bisher schwerpunkt-
mäßig eingesetzt wurden, sondern vor allem auch
zur Förderung der politischen Partizipation von
MigrantInnen und ihrer stärkeren Repräsentation in
den Medien eingesetzt werden sollten.
- Michaela Dälken beschreibt Betriebsvereinbarun-
gen als effektive Positive Maßnahme und zugleich
relevanten sozialpartnerschaftlichen Ansatz und
betont die Bedeutung von Organisations- und Per-
sonalentwicklung sowie Weiterbildung.
- Peter Döge stellt den Diversity-Check als Instru-
ment zur Planung und Durchführung von Positiven
Maßnahmen vor, mit dem Organisationen beste-
hende Benachteiligungen ermitteln, Ziele und Stra-
tegien formulieren und die erwirkten Veränderun-
gen bewerten können.
- Nevim Çil vergleicht, inwiefern in der Arbeitswelt
Quoten geeignete Positive Maßnahmen darstellen,
um zum einen die Unterrepräsentanz von Frauen
in Führungspositionen zu bekämpfen und zum an-
deren Chancengleichheit für MigrantInnen zu er-
öffnen.
- Die Frage, ob die deutliche Unterrepräsentanz von
MigrantInnen in den öffentlichen Verwaltungen mit-
tels einer Quote abgebaut werden sollte, diskutiert
Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Ge-
meinde Deutschlands, und benennt eine Reihe von
Maßnahmen, deren konsequente Umsetzung eine
„harte― Maßnahme wie die Quote möglicherweise
obsolet machen könnte.
DOSSIER Positive Maßnahmen 86
Katrin Wladasch
Chancengleichheit für alle – Einsatzmöglichkeiten von positiven Maßnahmen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene
Dass Diskriminierung nicht mehr ganz zeitgemäß ist,
hat sich mittlerweile herumgesprochen. In den letzten
10 Jahren hat sich das Selbstverständnis vieler Wirt-
schaftstreibender, dass sie sich in Ausübung ihrer vor
allem im deutschsprachigen Raum hochgehaltenen
Privatautonomie doch wohl aussuchen könnten, wen
sie einstellen oder in ihre Lokale einlassen möchten,
durchaus geändert. Mittlerweile wird es nicht mehr nur
als Kavaliersdelikt angesehen, wenn diese Freiheit der
Auswahl mit Diskriminierung verwechselt wird.
Darüber hinaus setzt sich auch zunehmend die Er-
kenntnis durch, dass eine Suche nach den besten Köp-
fen ebenso ein Umdenken erfordert wie die zunehmen-
de Diversifizierung von KundInnengruppen. Rekrutie-
rungsverfahren werden analysiert und adaptiert, gläser-
nen Decken wird nachgespürt, verdeckten Qualifikatio-
nen wird nachgegangen, Produkte für „neue―
KundInnengruppen werden maßgeschneidert. Kurz, die
Wirtschaft versucht verstärkt, Barrieren und Benachtei-
ligungen für bestimmte Gruppen zu reduzieren, weil die
Erkenntnis durchgesickert ist, dass es gar nicht so
wenige sind, die nicht dem „Normbild― des typischen
Beschäftigten bzw. der typischen Kundin entsprechen
und dass es für den Geschäftserfolg nicht unerheblich
ist, den Blick zu weiten und diese vielen „anderen― in
der Gesellschaft verstärkt zu berücksichtigen.
Das heißt aber noch lange nicht, dass alles „gut― ist im
Sinne einer chancengleichen Beteiligung von Men-
schen mit unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeiten
an der Gesellschaft. Denn da geht es um mehr als um
den Arbeitsmarkt und um den Zugang zu Gütern und
Dienstleistungen, da geht es auch um Partizipation an
politischen Entscheidungsprozessen, um Beteiligung an
medialer Berichterstattung, und damit um Beteiligung
an der Gestaltung öffentlicher Meinung und erlebter
Wirklichkeit, um Zugang zu qualitativ hochwertiger
Bildung und zu gleichwertiger Versorgung mit Gesund-
heitsdienstleistungen und Wohnraum.
Benachteiligte bzw. gesellschaftlich marginalisierte
Gruppen sind nämlich nicht nur mit Hürden auf dem
Arbeitsmarkt konfrontiert, sie haben im Regelfall auch
weniger Möglichkeiten zur Verfügung, Politik und öffent-
liche Meinung mit zu gestalten. Dies kann daran liegen,
dass beispielsweise Menschen mit Behinderungen
Wahlzettel nicht lesen oder nicht ins Wahllokal kommen
können, MigrantInnen nicht über die deutsche Staats-
bürgerInnenschaft und damit über kein Wahlrecht in
Deutschland verfügen oder daran, dass der Zugang zu
relevanten Informationen für sozial benachteiligte oder
bildungsschwächere Gruppen schwieriger ist. Vor allem
aber stellen Minderheiten Gruppen dar, die als Nichtan-
gehörige der Mehrheitsgesellschaft weniger gehört
werden als andere.
Da sich auch und gerade auf gesamtgesellschaftlicher
Ebene wenig „von selbst― ändert, ein Verharren in ge-
wohnten Strukturen hier sogar noch mehr verankert ist
als in der durch ökonomische Interessen viel stärker
geprägten Welt der Wirtschaft, kann der Einsatz von
spezifischen Fördermaßnahmen erforderlich sein, um
einen Wandel zu starten.
Förderung politischer Partizipation
Es gibt zunehmend Initiativen etablierter politischer
Parteien, die gezielt Menschen mit Migrationshinter-
grund, aber auch Menschen mit Behinderungen anwer-
ben, um gesellschaftlicher Vielfalt zu entsprechen bzw.
potentielle WählerInnen anzusprechen. Österreich hat
in Linz eine erste schwarze Gemeinderätin, Deutsch-
land in Niedersachsen eine erste muslimische Ministe-
rin, Berlin einen schwulen Bürgermeister. Eine große
Anzahl an VertreterInnen mit Minderheitenhintergrund
ist in der Politik allerdings nicht auszumachen. Ein
großer Andrang in die Politik ist aber ebenfalls nicht
auszumachen. Fast alle Parteien haben Behinderten-,
Integrations- und/oder MinderheitensprecherInnen und
meist sind diese FunktionärInnen auch Angehörige
einer Minderheitengruppe. Dabei hört aber die Reprä-
sentanz auch schon auf, denn die Zuständigkeiten der
ernannten Personen beschränken sich im Regelfall
dann auch auf Themen der Integration, womit keines-
falls gewährleistet ist, dass Themen der Chancengleich-
heit als Mainstream in alle Politikbereiche einfließen.
Vor allem MigrantInnen sind in der politischen Land-
schaft verhältnismäßig unsichtbar, obwohl sie in allen
Gesellschaften und damit politischen Systemen eine
große Gruppe darstellen. In Österreich macht der Anteil
87 DOSSIER Positive Maßnahmen
an Personen mit nicht österreichischer Herkunft fast ein
Drittel der Gesamtbevölkerung aus, was sich bei den
Abgeordneten im Nationalrat nicht widerspiegelt. Zu
einem großen Teil liegt das auch daran, dass Parteien
aus einem immer gleich bleibenden Reservoir an
Nachwuchskräften schöpfen und dass für einen Auf-
stieg in einer politischen Partei im Regelfall ein
Verhaftetsein in Netzwerken erforderlich ist.
Diesem Umstand versucht ein MentorInnenprojekt in
Österreich entgegenzuwirken. Ziel des Mentoringpro-
jektes „MIMPOL – ImmigrantInnen machen Politik― ist
es, die politische Partizipation dieser großen Gruppe zu
erhöhen, ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten zu erwei-
tern und damit auch einen wesentlichen Beitrag zu
mehr Inklusion zu leisten. MIMPOL richtet sich an Im-
migrantInnen, die Lust auf politische Mitgestaltung
haben (Mentees), PolitikerInnen mit Immigrationshin-
tergrund und PolitikerInnen, die die politische Mitbe-
stimmung von ImmigrantInnen fördern wollen (Mento-
rInnen). MIMPOL möchte damit eine Partei- und Com-
munity-übergreifende Plattform zur Förderung der poli-
tischen Partizipation von ImmigrantInnen schaffen.
Das Projekt hat in bisher zwei Durchgängen zahlreiche
MentorInnenpartnerschaften geschaffen und diesen
Prozess darüber hinaus mit gezielten Vorträgen, die
einen Überblick über die politische Landschaft in Öster-
reich schaffen sollten, unterstützt, sowie mit Ausflügen
in politische Institutionen, z.B. politische Akademien der
Parteien, Bezirksrat, Gemeinderat und Parlament, um
ImmigrantInnen näher an das politische Geschehen
heranzubringen und ebenso eine Reflexion über die
eigenen politischen Handlungskompetenzen und Spiel-
räume anzuregen.
Erwähnenswert sind auch die unterschiedlichen Model-
le zur Förderung politischer Mitbestimmung auf kom-
munaler Ebene. Sehr oft scheitern diese Beiräte oder
Ausschüsse aber daran, dass die Bedingungen der
Partizipation ebenso wie die Auswahlkriterien für Mit-
glieder dieser Gremien von MehrheitspolitikerInnen
und/oder ExpertInnen ohne Involvierung von Zielgrup-
penangehörigen erstellt werden. Die Beteiligung bleibt
gering, und die Politik reagiert mit einem Rückzug, in
der Überzeugung, ein Angebot gemacht zu haben, das
von der Zielgruppe mangels Interesses nicht wahrge-
nommen wurde.
In Wien wurde im Juni 2010 eine Partizipationskonfe-
renz veranstaltet, deren Ziel es war, unter Beteiligung
von Angehörigen migrantischer Minderheiten ein Kon-
zept für politische Partizipation zu erarbeiten. Dem
vorangegangen war das Projekt der Wiener Integrati-
onskonferenz, die als Beratungsorgan für die Wiener
Stadtregierung in Fragen der Integration fungieren
sollte und Mitentscheidungsbefugnisse bei Förderungen
hatte. Ein Streichen der Fördermittel für die Wiener
Integrationskonferenz führte zu ihrem de-facto Ende im
Jahr 2009. Auch zu Zeiten ihres aktiven Bestehens gab
es jedoch einige offene Fragen bezüglich ihrer tatsäch-
lichen Relevanz.
Entscheidende Fragen für die Qualität eines Partizipati-
onsmechanismus, der tatsächlich als positive Maßnah-
me qualifiziert werden könnte, wären:
- Wer wählt aus, wer teilnahmeberechtigt ist?
- Wer entscheidet, welche Themen zur Mitent-
scheidung vorgelegt werden?
- Beschränken sich Mitentscheidungsbefugnisse
auf so genannte „Integrationsthemen― oder wer-
den sie auf alle Politikbereiche ausgeweitet?
- Welche Relevanz haben Entscheidungen des
Partizipationsgremiums formal und real?
- Ist die Institution ein taugliches Mittel, um beste-
hende Partizipationsbarrieren abzubauen?
Mit der Partizipationskonferenz soll nunmehr ein neues
Instrument geschaffen werden, das zumindest von den
zu fördernden Gruppen selbst „designt― werden soll.
Einhundertvierzig VertreterInnen von Selbstorganisatio-
nen von MigrantInnen diskutierten unter anderem zu
Fragen des Selbstverständnisses von Partizipation,
über unterschiedliche Modelle der Partizipation
(MigrantInnenbeiräte, Integrationsausschüsse, etc.)
bzw. zur Erfolgsmessung.
Wichtig erscheint es dabei festzuhalten, dass es kein
Modell für politische Partizipation geben kann, dass auf
jeden nationalen und kommunalen Kontext anwendbar
ist, sondern dass es wohl einer Maßschneiderung unter
Einbeziehung der jeweiligen ZielgruppenvertreterInnen
bedarf, um tatsächliche Mitbestimmung zu gewährleis-
ten. Denn nur wenn die Menschen das Gefühl haben,
dass ihr Einsatz für politische Aktivitäten Sinn macht
und Veränderungspotentiale mit sich bringt, werden sie
sich aktiv beteiligen. Wenn dieses Gefühl nicht vermit-
telt werden kann, weil ein Mitbestimmungsmodell von
oben herab installiert wird, braucht es nicht zu verwun-
dern, wenn die Beteiligung zu wünschen übrig lässt.
DOSSIER Positive Maßnahmen 88
Mediale Partizipation
Medien gehören zu den wichtigsten AkteurInnen einer
politischen Landschaft. Die Art und Weise, wie Bericht
erstattet wird, über wen bzw. über welche Gruppen und
wer eine Stimme bekommt, hat großen Einfluss auf
gesellschaftliche Abläufe, auf das Bild unterschiedlicher
Gruppen in der Gesellschaft. Es macht einen Unter-
schied in der kollektiven Wahrnehmung, wenn in Krimi-
nalfällen mit Zusätzen wie „gebürtiger…― operiert wird,
und welche Statistiken wie verwendet werden, um Mig-
rantInnen entweder als SozialschmarotzerInnen oder
als wesentliches Element der Beitrags- und Steuerzah-
lerInnengemeinschaft erscheinen zu lassen. Medien
schaffen Realitäten und haben diesbezüglich große
Gestaltungsmacht. Und auch in den Medien ist der
Anteil von MigrantInnen relativ gering, das liegt an
mangelnden Seilschaften, an (vermuteten) Sprachdefi-
ziten, an engen Erwartungshaltungen bezüglich der
erforderlichen Ausbildungshintergründe etc. liegt.
Für autochthone, als Minderheiten anerkannte Volks-
gruppen gibt es in Österreich das gesetzlich anerkannte
Recht auf Partizipation und Medienberichterstattung. In
der Realität sind diese Rechte allerdings nicht so um-
gesetzt, dass eine sichtbare Repräsentation in der
öffentlichen Wahrnehmung verwirklicht wäre. Andere
Minderheiten haben nicht einmal diese gesetzliche
Basis zur Verfügung. Eine Förderung von Partizipation
und Repräsentation ist aber ein wesentliches Instru-
ment, um die Marginalisierung und Stereotypisierung
unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen erfolgreich
zu bekämpfen.
In Ungarn wurde ausgehend davon, dass Roma in den
ungarischen Mainstreammedien lediglich Gegenstand
negativer Berichterstattung waren und überhaupt keine
Angehörigen der Minderheit der Roma beim öffentli-
chen ungarischen Fernsehen beschäftigt waren, eine
Initiative gestartet, die es fünf jungen Roma und
Romnia ermöglicht, Praktika im öffentlich-rechtlichen
Fernsehen zu absolvieren. Ziel der Initiative ist es, dass
JournalistInnen mit Roma-Hintergrund Eingang in die
Mainstreamberichterstattung erhalten und dazu beitra-
gen können, den Blickwinkel der ungarischen Gesell-
schaft auf ihre Volksgruppe zu verändern. Entschei-
dend dabei ist, dass im Zuge des Praktikums alle Abtei-
lungen durchlaufen werden und die PraktikantInnen
explizit weder auf Minderheitenprogramme festgelegt
noch zur Konzipierung solcher herangezogen werden.
Eine österreichische Initiative versucht, JournalistInnen
mit Migrationshintergrund den Weg in die österreichi-
sche Medienlandschaft zu erleichtern. In Kooperation
mit einer Tageszeitung versucht M-Media, Redakteu-
rInnen aus den migrantischen Communities in Öster-
reich aktiv anzusprechen und zu einer redaktionellen
Tätigkeit in einem Mainstream-Medium mit großer
Reichweite zu motivieren. Auch in diesem Fall besteht
ein wichtiges Element der Initiative darin, dass die Be-
richterstattung nicht auf Themen der Migration und
Integration beschränkt ist, sondern dass die Artikel über
alle Themenbereiche verstreut sind.
Auch hier scheint es also zu den Erfolgsfaktoren zu
gehören, basierend auf der Erkenntnis eines Beteili-
gungsdefizits an der öffentlichen Meinungsbildung
aktive Maßnahmen zu setzen, die mit Angehörigen der
Zielgruppen erarbeitet werden und die sich nicht auf
Bereiche beschränken, die von der Mehrheitsgesell-
schaft als relevant für die Zielgruppen empfunden wer-
den.
Legitimität Positiver Maßnahmen
Bei allem guten Willen, der den beschriebenen Maß-
nahmen zu Grunde liegt: Ist es eigentlich legitim, aus-
gewählten Gruppen ganz besonderes Gehör zu schen-
ken im Rahmen der politischen Willensbildung, bzw.
aktiv dafür Sorge zu tragen, dass ihr Zugang zu Medien
gewährleistet ist? Ist das fair anderen gegenüber, die
darauf beschränkt sind, sich darauf zu verlassen, dass
ihre gewählten VolksvertreterInnen in ihrem Sinne Poli-
tik machen? Auch beim Einsatz von Positiven Maß-
nahmen auf gesellschaftlicher Ebene sollten Fragen der
Tauglichkeit bzw. Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht
außer Acht gelassen werden, um legitimiert werden zu
können. Rein rechtlich ist der Einsatz von Fördermaß-
nahmen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene unproble-
matisch. Die EU-rechtlichen Vorgaben machen zwar
klar, dass Diskriminierungen generell unerwünscht und
auf Ebene der Mitgliedstaaten zu bekämpfen sind, aber
ein ausdrückliches Verbot für die erwähnten Bereiche
enthalten sie nicht, daher bedarf es auch keiner Prü-
fung, ob bevorzugende Behandlungen den Kriterien
einer Ausnahmeregelung entsprechen. Dennoch sollten
die Vorgaben einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Ein-
gang in eine Maßnahmenentwicklung finden, um der
Gefahr zu entgehen, als ungerechtfertigte Sonderbe-
handlung eingestuft und von der Mehrheitsbevölkerung
abgelehnt zu werden.
89 DOSSIER Positive Maßnahmen
Dafür sind folgende Fragen relevant:
- Liegt eine de-facto Ungleichheit vor?
- Wurden klare Ziele festgelegt und entsprechen
diese den Kriterien für Positive Maßnahmen (Be-
seitigung von Benachteiligungen und/oder Ge-
währleistung von Chancengleichheit)
- Ist/sind die Maßnahme/n verhältnismäßig (taug-
lich, angemessen und notwendig) für die Zieler-
reichung?
- Sind die Einsatzkriterien objektiv nachvollziehbar
und transparent?
Wichtig ist daher festzuhalten, dass es bei Positiven
Maßnahmen, in welchem Bereich auch immer, nie
darum gehen sollte, Extrawürste für bestimmte, als
marginalisiert abgestempelte Gruppen zu kreieren,
sondern darum, bestehende Barrieren, seien sie durch
strukturelle Chancenungleichheiten oder durch Denk-
muster in den Köpfen verankert, abzubauen, sie zu
umschiffen und den Zielgruppen damit ähnliche Start-
positionen wie Nichtmarginalisierten zu ermöglichen.
Was die Einzelnen dann daraus machen, muss ihre
Sache bleiben.
Literatur
Wladasch, Katrin, Liegl, Barbara (2009): Positive
Maßnahmen. Ein Handbuch zur praxistauglichen
Umsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von
strukturellen Diskriminierungen und zur Herstellung
von mehr Chancengleichheit. Wien: Ludwig Boltz-
mann Institut für Menschenrechte. Online unter:
http://bim.lbg.ac.at/files/sites/bim/PositiveMassnah
menDownload.pdf (Zugriff am 19.10.2010).
Katrin Wladasch ist Juristin, Politologin und Men-
schenrechtsexpertin mit den Schwerpunkten Anti-Diskriminierung, Diversity und Chancengleichheitspoli-tik. Sie ist Mitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte sowie Lektorin an der Uni Wien.
DOSSIER Positive Maßnahmen 90
Michaela Dälken
Betriebsvereinbarungen als Positive Maßnahmen zur Gleichstellung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Arbeitswelt
„Positive Maßnahmen zur Gleichstellung von Menschen
mit Migrationshintergrund in der Arbeitswelt―. Oder kurz:
PMzGvMmMidAw. Verständlicher wird der Titel durch
das moderne Abkürzen nicht gerade, dafür klingt er
nach Unterhaltung. Vielleicht können wir ja in Kürze
beobachten, wie unter dem Motto „Best-Integrated
Migrant― ein/e vorbildlich integrierte/r MigrantIn im Fern-
sehen gesucht wird. Wobei die Wahrscheinlichkeit, auf
zahlreiche BewerberInnen zu stoßen, nicht gering sein
dürfte. Nicht, weil Preise und Ruhm winken, sondern
weil sich tatsächlich viele Menschen mit Migrationshin-
tergrund in Deutschland gut integriert fühlen1:
Im internationalen Vergleich ist ‚die Integration‗
in Deutschland keineswegs ‚gescheitert‗. Sie ist
vielmehr in vielen empirisch fassbaren Berei-
chen durchaus zufriedenstellend oder sogar gut
gelungen. Zudem stehen beide Seiten der Ein-
wanderungsgesellschaft den Anforderungen von
Zuwanderung und Integration pragmatisch ge-
genüber (SVR Einwanderungsgesellschaft 2010,
S. 17).
Die Arbeitswelt ist danach „zentrale Integrationsschiene
und Grundlage für ein selbst bestimmtes Leben― (Ebd,
S. 18). Doch es geht nicht allein um existenzielle Absi-
cherung, die mit vergüteter Arbeit geschaffen wird. Die
Arbeitswelt bietet eine Vielzahl an sozialen Kontakten:
intern mit KollegInnen, Vorgesetzten und MitarbeiterIn-
nen, aber auch extern: KundInnen, AuftraggeberInnen,
oder LieferantInnen. Zudem schafft die Tätigkeit im
Idealfall sowohl Zufriedenheit als auch einen Beitrag zur
Gesellschaft.
Allerdings ist diese Integrationswirkung der Arbeitswelt
kein Alleinläufer, und sie bedeutet im Umkehrschluss
nicht, dass uneingeschränkte Chancengleichheit2
1 Integration ist Aufgabe sowohl der aufnehmenden Gesell-schaft als auch der zuwandernden Personen. Wenn also hier etwas polemisch von „best integrated migrant― gesprochen wird, soll dies auch als Kritik an einer Auffassung von Integra-tion verstanden werden, die lediglich Defizite und Aufgaben bei Menschen mit Migrationshintergrund sieht und die Rolle der Mehrheitsgesellschaft außer Acht lässt.
2 Chancengleichheit soll hier einen Idealzustand darstellen, in dem Menschen mit Migrationshintergrund die gleichen Mög-lichkeiten und Chancen offen stehen wie Menschen ohne diesen Hintergrund. Es gibt dann keine Ungleichheiten (etwa
herrscht. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie strukturelle
und individuelle Diskriminierungen Chancengleichheit
verhindern. Die International Labour Organization (ILO)
stellte fest, dass junge BewerberInnen mit Migrations-
hintergrund sich fünf Mal so oft bewerben müssen bis
sie erfolgreich sind, wie Menschen ohne Migrationshin-
tergrund (vgl. ILO 2010). Zu einem ähnlichen Schluss
kam eine vor kurzem veröffentlichte Studie, nach der
Menschen mit ausländisch klingendem Namen bei
Bewerbungen benachteiligt werden (Kaas/Manger,
2010).
In vielen Betrieben werden Positive Maßnahmen3 ent-
wickelt, um diesen Ungleichbehandlungen entgegen zu
wirken. Einige Unternehmen erarbeiten Diversity-Kon-
zepte4, in anderen werden Einzelmaßnahmen wie inter-
kulturelle Trainings oder Informationsveranstaltungen
durchgeführt. Eine weitere Möglichkeit ist die Entwick-
lung einer Betriebsvereinbarung für Chancengleichheit,
die im Folgenden näher beschrieben werden soll.
Betriebsvereinbarung als Positive Maßnahme
Betriebsvereinbarungen sind verbindliche Verträge
zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnenver-
tretung, in denen Rechte und Pflichten festgelegt wer-
den. Diese richten sich jeweils an die ArbeitgeberInnen
sowie die gesamten Belegschaften. Sie sind also kei-
neswegs eine reine Willensbekundung, sondern legen
für ArbeitgeberIn und Arbeitnehmende verbindliche
Regeln und Wege fest. Das Unternehmen ist verpflich-
tet, bei Verstößen gegen die vereinbarten Grundsätze
vorzugehen, gleichzeitig ist die Belegschaft an die Vor-
durch rechtliche Einschränkungen oder persönliche Un-gleichbehandlungen). Um Chancengleichheit zu erreichen, müssen Benachteiligungen durch Positive Maßnahmen aus-geglichen werden.
3 Unter Positiven Maßnahmen werden hier Aktivitäten verstan-den, die Diskriminierung verhindern oder reduzieren und langfristig Chancengleichheit herbeiführen sollen.
4 Das aus den USA stammende Diversity-Management-Kon-zept wurde hier in Deutschland zunächst in erster Linie als ein ArbeitgeberInnen-Konzept aufgenommen und entwickelt sich langsam in Richtung eines sozialpartnerschaftlich ange-legten Managing-Diversity-Ansatzes, was zu begrüßen ist. (Siehe hierzu http://migration-boell.de/web/diversity/48_23-99.asp) Denn nur wenn Belegschaft und ArbeitgeberInnen gemeinsam Diversity ernst nehmen und zusammen Schritte erarbeiten, ist eine Änderung der Situation zu erwarten.
91 DOSSIER Positive Maßnahmen
gaben gebunden. Eine Betriebsvereinbarung dient der
Konkretisierung von bestehenden Tarifverträgen und
gesetzlichen Regelungen. Sie kann aber auch, wenn
dort Aspekte nicht geregelt sind, schöpferisch genutzt
werden. Betroffene können sich auf die Vereinbarung
berufen und Unterstützung einfordern. Damit gehen Be-
triebsvereinbarungen sehr viel weiter als beispielsweise
die Charta der Vielfalt oder die Formulierung von Di-
versity-Grundsätzen für ein Unternehmen. Sie könnten
aber auch konkretisierendes Ergebnis von diesen sein.
Betriebs- und Dienstvereinbarungen zur Chancen-
gleichheit stehen in der Tradition eines auf Gleichbe-
rechtigung beruhenden Ansatzes. Bereits 1955, bei der
ersten Anwerbung von Arbeitnehmenden aus dem
Ausland, verständigten sich ArbeitgeberInnen- und
ArbeitnehmerInnenvertretungen darauf, die arbeits- und
sozialrechtliche Gleichstellung deutscher und ausländi-
scher Beschäftigter festzulegen. Im Jahre 1972 wurde
das aktive und passive Wahlrecht für Beschäftigte mit
ausländischer Staatsangehörigkeit im Betriebsverfas-
sungsgesetz festgeschrieben und 1974 im Personal-
vertretungsgesetzes.
Im aktuellen Betriebsverfassungsgesetz sind die Auf-
gaben des Betriebsrates in diesem Zusammenhang
sehr deutlich formuliert:
§ 75 Grundsätze für die Behandlung der Be-
triebsangehörigen
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber
zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Perso-
nen nach den Grundsätzen von Recht und Bil-
ligkeit behandelt werden, insbesondere, dass je-
de unterschiedliche Behandlung von Personen
wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität,
Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen
Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres
Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unter-
bleibt. Sie haben darauf zu achten, dass Arbeit-
nehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter
Altersstufen benachteiligt werden. (….)
§ 80: Der Betriebsrat hat folgende allgemeine
Aufgaben:
(…) die Integration ausländischer Arbeitnehmer
im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen
und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern
sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Ras-
sismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu
beantragen.
Im eigenen Einflussbereich vorgehen
Als Ausgangspunkt für viele Betriebs- und Dienstver-
einbarungen dient die sogenannte Florenzer Erklärung
zwischen europäischen ArbeitgeberInnen- und Arbeit-
nehmerInnenverbänden. Der Europäische Gewerk-
schaftsbund (EGB), der Europäische Industrie- und
ArbeitgeberInnenverband (UNIC) und das Europäische
Zentrum von Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung
(CEEP) legten in der „Gemeinsamen Erklärung über die
Verhütung von Rassendiskriminierung und Fremden-
feindlichkeit sowie Förderung von Gleichbehandlung
am Arbeitsplatz―5 fest:
Die Sozialpartner erkennen sowohl die Komple-
xität des Phänomens als auch die Tragweite
seiner Auswirkungen an. Mit der Annahme die-
ser Erklärung unterstreichen sie offen, klar und
öffentlich, dass sie sich verpflichten, eine aktive
Rolle bei den vereinten Bemühungen um Verhü-
tung der Rassendiskriminierung6 zu überneh-
men und in ihrem eigenen Einflussbereich, näm-
lich dem Arbeitsplatz, gemeinsam dagegen vor-
zugehen.
Diese Erklärung bildet bis heute eine Grundlage der
sozialpartnerschaftlichen Migrationspolitik.
Seit Anfang der 1990er Jahre wurden Betriebsvereinba-
rungen für partnerschaftliches Verhalten und gegen
Diskriminierung geschaffen. Hintergrund waren unter
anderem rechtsextreme Angriffe gegen die Wohnbevöl-
kerung in Deutschland. Mölln, Solingen und Rostock
sind bis heute Schlagworte der damaligen rassisti-
schen Anfeindungen und Attacken in der Bevölkerung.
5 Verabschiedet vom Gipfel des Sozialen Dialogs (UNICE, EGB; CEEP) am 21. Oktober 1995 in Florenz. Zitiert nach: Module für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung (Schriftenreihe Migration und Arbeitswelt, Nr. 60), hg.v. DGB Bildungswerk, Düsseldorf 2008.
6 Verstanden wird „Rassendiskriminierung― in der Erklärung als „jede Andersbehandlung, Ausgrenzung, Benachteiligung oder Bevorzugung wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Rasse, Religion, ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit oder Hautfarbe eines Menschen mit der Folge, dass die Gleichbehandlung bei der Einstellung oder bei der Arbeit zunichte gemacht oder beeinträchtigt wird. Dazu gehört die unmittelbare Diskriminierung, d. h. die Benachteiligung eines Menschen wegen seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Rasse, Religion, ethnischen oder nationalen Herkunft oder Hautfarbe. Dazu gehört aber auch die mittelbare Diskriminie-rung, das sind unberechtigte Praktiken, die zwar für alle gel-ten, sich aber auf diese Personen besonders negativ auswir-ken.― Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang, dass von „tatsächlicher oder vermeintlicher Rasse gesprochen wird. Hier sollte klargestellt werden, dass es um Diskriminierungen aufgrund zugeschriebener „Rasse― geht und nicht der Begriff der ‚Rasse‗ festgeschrieben werden. Vgl. zur Verwendung des Begriffs ‚Rasse‗ und Alternativen: Hendrik Cremer (2010)
DOSSIER Positive Maßnahmen 92
Daneben existierten innerbetriebliche Überlegungen:
Ein Kleinbetrieb in Frankfurt/Oder beispielsweise hatte
bei der Entwicklung seiner Vereinbarung die Verhinde-
rung von Belästigung der polnischen KundInnenschaft
im Blick, für einen Stahlbetrieb in Eisenhüttenstadt war
die Wirkung rechtsextremer Handlungen von Beschäf-
tigten außerhalb des Betriebes auf das Betriebsklima
ausschlaggebend, und ein Großklinikum sah seine
multikulturelle KundInnenschaft im Mittelpunkt.
So weit gestreut wie die Gründe sind auch die Inhalte,
die in den Vereinbarungen beschrieben werden. Wäh-
rend einige Vereinbarungen von einem Antidiskriminie-
rungsansatz ausgehen, formulieren andere die Förde-
rung des „partnerschaftlichen Verhaltens― als Ziel. So
heißt es in der Vereinbarung der Fraport AG:
Vor dem Hintergrund der Zunahme fremden-
feindlicher und rechtsextremistischer Gewalt in
der Bundesrepublik und der Notwendigkeit, die-
se zu bekämpfen, sind alle gesellschaftlichen
Gruppen gefordert, Beiträge zu leisten für ein
demokratisches, an den Grundsätzen von Hu-
manität und Menschenwürde orientiertes Mitei-
nander, um so einem Klima von Hass und Ge-
walt bereits im Ansatz zu begegnen. Zwischen
den vertragschließenden Parteien besteht daher
Einvernehmen, auch innerbetrieblich Initiativen
zu ergreifen, um diesen Zielen näher zu kom-
men, Diskriminierungen jeglicher Art zu verhin-
dern und ein partnerschaftliches Klima am Ar-
beitsplatz zu fördern bzw. aufrecht zu erhalten.7
Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg
In einigen Betriebsvereinbarungen wird aufgeführt, dass
partnerschaftliches Verhalten zum Unternehmensziel
beiträgt. So führt die Betriebsvereinbarung der
Volkswagen AG aus: „Eine Unternehmenskultur, die
sich durch ein partnerschaftliches Verhalten am Ar-
beitsplatz auszeichnet, bildet die Basis für ein positives
innerbetriebliches Arbeitsklima und ist damit eine wich-
tige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg eines
Unternehmens.―8
Viele Vereinbarungen schreiben ein Beschwerdemana-
gement bei konkreten Diskriminierungserfahrungen vor.
So werden in der Vereinbarung des Universitätsklini-
7 http://www.migration-online.de/practice._aWQ9ODM_.html
8 http://www.migration-online.de/practice._aWQ9OTY_.html.
kum Ulm Zuständigkeiten und AnsprechpartnerInnen
benannt und einzuhaltende Wege festgelegt:
Die verantwortlichen Stellen haben die Aufgabe,
die Betroffenen unverzüglich, spätestens inner-
halb einer Woche nach Kenntnis des Vorfalls, in
einem vertraulichen Gespräch zu beraten und zu
klären, ob sich der Verdacht (…) bestätigt. Hier-
zu ist in getrennten oder gemeinsamen Gesprä-
chen mit den aktiv und passiv Beteiligten der
Sachverhalt so weitgehend wie möglich aufzu-
klären.9
Dazu haben einige Betriebe Beschwerdestellen einge-
richtet. Die Arbeit in einer dieser Beschwerdestellen
beschreibt ein Vertreter des Betriebsrates und gleich-
zeitiges Mitglied der betrieblichen Beratungsstelle bei
der Ford AG wie folgt:
Wir sitzen nicht als Gremium zusammen, son-
dern die Mitglieder der Beratungsstelle stehen
zunächst als Einzelpersonen und individuelle
Ansprechpartner beratend zur Seite. Kommt die
gewählte Vertrauensperson zu keinem erfolgrei-
chen Ergebnis, werden im Gremium ‚Beratungs-
stelle‗ gemeinsam nächste Schritte erwogen:
Soll die Geschäftsleitung offiziell informiert wer-
den, um disziplinarische Maßnahmen einzulei-
ten? Aber dazu ist es bis jetzt noch nicht ge-
kommen. Bisher konnte jedes einzelne Mitglied
immer eine Regelung finden.
(zitiert nach Kecskes/Dälken/Monz 2006, S. 29)
Bei direkten Benachteiligungen oder rassistischen An-
griffen handelt es sich um eher offensichtliche Formen
der Diskriminierung. Sehr viel schwerer zu erkennen
und zu bekämpfen sind dagegen indirekte und auch
strukturelle Diskriminierungen. Ihnen wird in Betriebs-
und Dienstvereinbarungen durch Positive Maßnahmen
Rechnung getragen. Grundlage aller Positiven Maß-
nahmen für Chancengleichheit sollte eine Datenerhe-
bung sein, mit der Ungleichbehandlungen offen gelegt
werden können. Dazu gehören beispielsweise Über-
sichten, wie viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Mig-
rationshintergrund haben und in welchen Positionen sie
tätig sind. Auch Daten zur Weiterbildungsbeteiligung
sind hilfreich. Nur so kann festgestellt werden, ob Kol-
legInnen die gleichen Chancen haben, und anschlie-
ßend ermittelt werden, welche Gegenmaßnahmen er-
griffen werden sollten. In vielen Betriebsvereinbarungen
9 http://www.migration-online.de/practice._aWQ9MTc1_.html
93 DOSSIER Positive Maßnahmen
wird daher ein Monitoring festgeschrieben, bei dem die
Ausgangssituation und laufende Kontrolle eingeschlos-
sen sind. Oftmals wird zudem vereinbart, diese Analyse
der Belegschaft bekannt zu machen: „Die Analyse von
Ist-Situation, Verbesserungsvorschlägen und Ergebnis-
sen von Maßnahmen zur Chancengleichheit werden
(sic.) der Belegschaft bekannt gegeben (z.B. in Be-
triebsversammlungen und Veröffentlichungen des Un-
ternehmens)― (Akin, Dälken, Monz 2004, S. 46).
Organisations- und Personalentwicklung
nutzen
Ansatzpunkte für positive Aktivitäten bieten Organisati-
ons- und Personalentwicklung inklusive Fort- und
Weiterbildungsstrategien. Zur Organisationsentwick-
lung10
gehören beispielsweise Überlegungen, welche
Auswirkungen die Einführung von neuen Produktions-
systemen auf die Belegschaft und insbesondere auf
Menschen mit Migrationshintergrund haben könnte.11
Beispielhaft kann dies etwa bei Aktivitäten des Betriebs-
rates in einer großen Werft in Kiel gesehen werden.
Dort wurde ein neues Qualitätsmanagementsystem
eingeführt, in dessen Folge von Schweißern im Unter-
seebereich schriftliche Prüfungen ihrer Kenntnisse
verlangt wurden, da hier besonders hohe Anforderun-
gen an die Produkte gestellt werden. Schweißnähte
müssen beispielsweise mit einer besonderen Technik
angelegt werden, damit sie den unter Wasser herr-
schenden Druckverhältnissen standhalten, was beson-
dere Geschicklichkeit und Kenntnisse erfordert.
Deswegen zählt der Unterseebereich zu den bevorzug-
ten Arbeitsbereichen, denn die Bezahlung spiegelt die
an die Beschäftigten gestellten Anforderungen wieder.
Viele der in diesem Bereich Beschäftigten waren aus
der Türkei eingewandert und erlernten im Betrieb die
notwendigen Kenntnisse. Die nun geforderte schriftliche
Prüfung stellte sie jedoch vor ein fast unüberwindbares
Hindernis, da sie nicht über die entsprechende Fach-
sprache verfügten. Der Betriebsrat konnte hier berufs-
bezogene Deutschkurse anregen, die es den Beschäf-
tigten ermöglichten, die geänderten Anforderungen zu
erfüllen.12
Im Rahmen der Personalentwicklung können Aus-
schreibungen und Einstellungskriterien in den Blick
10
Dazu beispielsweise IQ Consult 2009.
11 Dazu beispielsweise die von der IG Metall herausgegebene Zeitschrift IG Migration, Ausgabe Juli 2010.
12 Siehe die von der IG Metall herausgegebene Zeitschrift IG Migration, Ausgabe November 2009, S. 9-11.
genommen werden. „Wer sich in der beruflichen Welt
bestätigt fühlt, will auch seine Umwelt mitgestalten.
Arbeitswelt ist der zentrale Punkt für Integration, und
Arbeitswelt fängt mit einer erfolgreichen Ausbildung an―,
so Francescantonio Garippo, Betriebsrat bei der
Volkswagen AG (IG Migration, 13, Juli 2010). In der
Regel fällt Jugendlichen mit Migrationshintergrund der
Berufseinstieg jedoch besonders schwer. Im Berufsbil-
dungsbericht 2010 des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung heißt es dazu (S. 39):
Im Jahr 2008 lag die Ausbildungsbeteiligungs-
quote junger Ausländer mit 32,2 Prozent deutlich
unter der der deutschen jungen Menschen mit
68,2 Prozent. Dies ist jedoch nicht auf mangeln-
des Interesse der Jugendlichen zurückzuführen.
Nach den Ergebnissen der BIBB-
Übergangsstudie haben Jugendliche mit Migra-
tionshintergrund nach der allgemeinbildenden
Schulzeit ein ebenso hohes Interesse an einer
Berufsausbildung wie deutsche Jugendliche.
Liegt keine Studienberechtigung vor, sind ihre
Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten,
jedoch wesentlich geringer. Insgesamt gestalten
sich die Übergangsprozesse in Ausbildung für
Jugendliche mit Migrationshintergrund schwieri-
ger und langwieriger. Überdurchschnittlich häu-
fig bleiben Jugendliche ausländischer Herkunft
ohne Berufsabschluss.
Feste Quoten würden dagegen zu kurz greifen, da die
Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund in
ihrer Zusammensetzung zu unterschiedlich ist, ob nun
im Hinblick auf Diskriminierungserfahrungen, Ausbil-
dungen oder rechtlichen Status, um nur einiges aufzu-
führen.13
Sinn machen hier eher positive Aufforderun-
gen, wie sie beispielsweise bei der Polizei in Nordrhein-
Westfalen genutzt werden. Hier werden in den Aus-
schreibungen insbesondere Menschen mit Migrations-
hintergrund zur Bewerbung aufgefordert. Hilfreich sind
auch Sensibilisierungstrainings für Personalverantwort-
liche und anonymisierte Bewerbungen.
13
Seit der Anwerbung hat sich die Zuwanderung stark verän-dert. In den 1970er Jahren kam die Mehrzahl der Zuwan-dernden aus fünf Herkunftsländern, heute verteilen sich 75 Prozent der ZuwandererInnen auf 80 Herkunftsgruppen. Dazu kommen unterschiedliche Generationen von Zuwan-dernden, verschiedene Auswanderungsgründe und rechtli-che Unterschiede, die bei AsylbewerberInnen beispielswei-se den Zugang zum Arbeitsmarkt einschränken, sowie un-terschiedliche Migrationsbiographien und -pfade usw.
DOSSIER Positive Maßnahmen 94
Schlüsselposition Weiterbildung
Weiterbildung nimmt eine immer stärkere Schlüsselpo-
sition zur langfristigen Beschäftigungssicherung ein.
Durch den Strukturwandel sinkt der Bedarf an an- und
ungelernten Kräften in Zukunft vermutlich weiter, wäh-
rend qualifizierte Kräfte nachgefragt werden. Dies wird
sich insbesondere auf die Beschäftigungsmöglichkeiten
von Menschen mit Migrationshintergrund auswirken, da
sie insgesamt gesehen über eine schwächere Qualifika-
tionsstruktur verfügen.14
Auf der anderen Seite werden
sich Betriebe in Kürze aufgrund des demographischen
Wandels einem starken FacharbeiterInnenmangel ge-
genübersehen. Dennoch sinkt die Zahl der betrieblichen
Weiterbildungen,15
denn Weiterbildung wird als indivi-
duelle Aufgabe der MitarbeiterInnen gesehen, und es
fehlen oftmals systematische und vorausschauende
Qualifizierungsstrategien in den Betrieben.
Weiterbildungen können in eine Betriebsvereinbarung
für Chancengleichheit eingebunden werden. Allerdings
scheint es sinnvoller, hier bestehende Betriebsverein-
barungen zur Weiterbildung zu überprüfen und ein
Instrumentarium zu schaffen, das die Belange zur In-
tegration von Beschäftigten mit Migrationshintergrund
einbezieht und berücksichtigt. Zudem gibt es in einigen
Bereichen Tarifverträge zur Qualifizierung, auf die zu-
rück gegriffen werden kann.
Es sollte nicht vergessen werden, dass Integration eine
Querschnittsaufgabe ist und eine Betriebsvereinbarung
für Chancengleichheit ein möglicher Ansatzpunkt, Posi-
tive Maßnahmen für Gleichbehandlung im Betrieb
durchzusetzen. BetriebsrätInnen stehen zudem auf-
grund der Mitbestimmungspflicht zahlreiche weitere
Möglichkeiten zur Verfügung, um Chancengleichheit
durchzusetzen. Dazu gehört das Anhörungs- und Erör-
14
Jugendliche mit Migrationshintergrund verlassen die Schule häufiger ohne Abschluss als Jugendliche ohne Migrations-hintergrund. Dazu kommt laut Autorengruppe Bildungsbe-richterstattung (2010) folgendes: „Trotz leichter Verbesse-rungen beim Zugang zur Berufsausbildung ist die Situation für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss weiterhin prekär, für ausländische Jugendliche mehr noch als für deutsche. Von den deutschen Ausbildungsinteressenten ohne Hauptschulabschluss münden 2008 drei Viertel ins Übergangssystem ein, von denen mit Hauptschulabschluss die Hälfte (48 Prozent, bei den ausländischen Jugendlichen sind es 88 Prozent und 67 Prozent)―(S. 9.).
15 Dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge ist in der Wirtschaftskrise der Anteil der weiterbil-denden Betriebe gesunken. Mit 45 Prozent liegt der Anteil der Betriebe, die ihren Beschäftigten regelmäßig Weiterbil-dungen anbieten, im Jahr 2009 vier Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert. Im Zeitraum von 1999 bis 2008 war der Wert von 39 Prozent auf 49 Prozent angestiegen. IAB-FORUM, 1/2010, Schwerpunktthema.
terungsrecht der Arbeitnehmenden sowie die Unterrich-
tungs- und Erörterungspflicht der Arbeitgebenden in be-
stimmten Fällen. Letztendlich ist auch eine Betriebsver-
einbarung nur ein beschriebenes Stück Papier. Wo sie
nicht gelebt wird, ändert sich nichts. Doch Beispiele aus
den Betrieben zeigen bereits vorhandene Ansätze.
Noch gibt es keine Chancengleichheit in der Arbeits-
welt, doch ArbeitnehmerInnenvertretungen und Ge-
werkschaften arbeiten daran, diese Aufgabe umzuset-
zen.
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Michaela Dälken ist Leiterin des Kompetenzzentrums
Europa im Geschäftsbereich Migration & Qualifizierung beim DGB Bildungswerk BUND.
DOSSIER Positive Maßnahmen 96
Peter Döge
Der Diversity-Check – Vielfalt als Baustein zukunftsfähiger Organisationen
In § 1 fordert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
(AGG), „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse
oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Ge-
schlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer
Behinderung, des Alters oder sexuellen Identität zu
verhindern bzw. zu beseitigen.― § 5 AGG erlaubt dabei
zur Behebung bestehender Benachteiligungen für be-
stimmte Gruppen Positive Maßnahmen zu entwickeln,
wobei § 17 AGG die Tarifparteien, Arbeitgeber, Arbeit-
nehmer und deren Vertretungen auffordert, an der
Umsetzung der Ziele des AGG aktiv mitzuarbeiten –
alle organisationalen Prozesse darauf zu prüfen, ob sie
zur Benachteiligung aus einem der genannten Gründe
führen.
Nicht nur am bisweilen mangelnden Willen - nach einer
Studie von SINUS im Auftrag der Antidiskriminierungs-
stelle des Bundes (ADS) können nur 15 Prozent der
deutschen Bevölkerung „ ... als harter Kern der Gleich-
behandlungsbefürworter gelten― (SINUS 2009: 9) –
scheitert eine proaktive Beschäftigung mit dem Thema
Anti-Diskriminierung in Betrieben und Behörden, son-
dern auch aufgrund unangemessener Methoden und
vor allem auch aufgrund mangelnder begrifflicher und
konzeptioneller Klarheit. Vor diesem Hintergrund wurde
auf der Basis der zahlreichen Erfahrungen in der Be-
gleitung von Anti-Diskriminierungs-, Diversity Manage-
ment und Gender-Mainstreaming-Prozessen am Insti-
tuts für anwendungsorientierte Innovations- und Zu-
kunftsforschung e.V. (IAIZ) das Instrument des
Diversity-Checks entwickelt, das zwei Vorgehenswei-
sen unterscheidet: den Ex-Post- und den Ex-Ante-
Check. (Döge 2008: 67ff.)
Der Ex-Post-Diversity-Check
Ziel dieses Verfahrens ist es, bestehende Benachteili-
gungen in unterschiedlichen Handlungsbereichen von
Organisationen zu erkennen und gegebenenfalls für
bestimmte Gruppen gezielte Positive Maßnahmen zu
entwickeln. Der Ex-Post-Diversity-Check analysiert den
in einer Organisation bestehenden Zugang von Men-
schen mit unterschiedlichen Merkmalen zu Ressourcen
(z. B. Zeit, Geld, Raum), Informationen und Positionen
sowie die Inanspruchnahme von Angeboten innerhalb
einer Organisation oder die Inanspruchnahme der von
einer Organisation entwickelten Angebote. Der Ex-post-
Diversity-Check besteht aus folgenden Schritten: 1.
Diversity-Analyse, 2. Ziel- bzw. Referenzgruppenanaly-
se und 3. WARUM-Frage und Handlungsoptionen.
1. Diversity-Analyse
Am Beginn der Entwicklung von Anti-Diskrimi-
nierungsstrategien steht immer eine Bestandsaufnahme
der aktuellen Situation in der Organisation bzw. in aus-
gewählten Bereichen und Handlungsfeldern. Um die
Komplexität der Situation adäquat abzubilden, sollten
die in § 1 des AGG genannten Merkmale in einer Matrix
gekreuzt und entsprechend aufgenommen werden:
Diversity-Analyseraster
Je nach Kontext werden diese Merkmale noch entspre-
chend ausdifferenziert werden müssen - etwa das Alter
nach Altersgruppen oder die Behinderung nach spezifi-
schen Behinderungsformen. Allerdings gestattet das
Ergebnis der Diversity-Analyse per se noch keine ein-
deutigen Rückschlüsse auf (nicht-intendierte) direkte
oder indirekte Benachteiligungen. Dazu ist in einem
weiteren Schritt unbedingt die Durchführung einer Ziel- /
Referenzgruppen-Analyse erforderlich.
2. Ziel- bzw. Referenzgruppenanalyse
Die genaue Bestimmung der Ziel- / Referenzgruppe(n)
der jeweils analysierten Angebote, Maßnahmen und
Prozesse ist ein entscheidender Bestandteil jedes
Diversity-Checks, da sie einen präzisen Soll-Ist-
Vergleich ermöglicht. Dabei ist die Auswahl der Refe-
renzgruppe von großer Bedeutung für die Interpretation
der Befunde: Soll etwa die Besetzung von Führungspo-
sitionen in einer Organisation die Zusammensetzung
der Belegschaft widerspiegeln oder soll die Zusammen-
setzung der Führungspositionen die Gruppe der Perso-
97 DOSSIER Positive Maßnahmen
nen widerspiegeln, die potenziell Führungspositionen in
der betreffenden Organisation in Anspruch nehmen
können? Wie setzen sich diese Gruppen jeweils zu-
sammen?
Um die Ergebnisse der Zielgruppen- / Referenzgrup-
penanalyse mit den Ergebnissen der Diversity-Analyse
vergleichen zu können, sollte hier dasselbe Analyseras-
ter verwendet werden. So könnte gezeigt werden, dass
etwa in der geringen Inanspruchnahme von SeniorIn-
nenbildung an Bildungseinrichtungen durch Männer ab
einer gewissen Alterstufe keine geschlechtsspezifische
Benachteiligung vorliegt - denn die geschlechtsspezifi-
sche Zusammensetzung der Gruppe alter Menschen ist
immer frauenlastig.
3. WARUM-Frage und Handlungsoptionen
Vor dem Hintergrund des Vergleichs der Ergebnisse
der Bestandsaufnahme mit der Ziel-/ Referenzgruppe
muss nun die Frage beantwortet werden, ob Benachtei-
ligungen existieren und wodurch die beobachteten
Verzerrungen in der Nutzung von Angeboten bzw. der
Besetzung von Positionen entstanden sind. Als Hilfsmit-
tel zur Beantwortung dieser Frage können an dieser
Stelle Ergebnisse entsprechender wissenschaftlicher
Studien und Untersuchungen herangezogen werden.
Vorstellbar ist aber auch die Durchführung von Befra-
gungen und Interviews oder Workshops bzw. Round-
Table-Gesprächen mit ausgewählten Personen aus der
unterrepräsentierten Kultur- bzw. Merkmalsgruppe. Auf
Basis der Beantwortung der WARUM-Frage können
nun gezielte Positive Maßnahmen entwickelt werden.
Der Ex-Ante-Diversity-Check
Ziel des Handelns jeder Organisation sollte es sein,
dass die Berücksichtigung einer produktiven und be-
nachteiligungsfreien Gestaltung von Vielfalt bei der
Entwicklung neuer Angebote und Maßnahmen bereits
ex ante erfolgt. Hierzu ist am IAIZ folgendes Verfahren
entwickelt worden, das auf den Bausteinen der Ex-
Post-Analyse aufbaut und diese geringfügig modifiziert.
1. Inhalt der geplanten Maßnahme beschreiben
Was soll mit der geplanten Maßnahme geregelt
werden?
Geht es um die Verteilung von bzw. den Zugang zu
Ressourcen (Geld, Raum, Zeit), Informationen, Po-
sitionen?
Wer ist in die Umsetzung der Maßnahme einge-
schlossen?
2. Zielgruppe bestimmen
Wer ist die Zielgruppe der geplanten Maßnahme?
Welche Personen- / Merkmalsgruppe ist von der
Maßnahme betroffen?
Wie setzt sich die Zielgruppe zusammen?
3. Diversity-Analyse der Zielgruppe durchführen
Wie stellen sich Inanspruchnahme, Verteilung und
Zugang im Hinblick auf die von der geplanten Maß-
nahme betroffenen Ressourcen (Geld, Zeit, Raum,
Informationen) zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der
Zielgruppe dar?
4. Veränderungen in der Zielgruppe abschätzen
Wie und worin wird sich die Inanspruchnah-
me/Verteilung bzw. der Zugang zu den von der ge-
planten Maßnahme betroffenen Ressourcen (Geld,
Zeit, Raum, Informationen, Positionen) durch die
neue Maßnahme ändern?
5. Veränderungen bewerten
Ergeben sich Benachteiligungen im Zugang zu
Ressourcen?
6. Geplante Maßnahme bei Bedarf modifizieren
Wie muss die geplante Maßnahme verändert wer-
den, um diese Benachteiligungen abzubauen?
Welche Kulturmuster sind von Bedeutung?
Im Rahmen eines Diversity-Trainings mit ArchitektInnen
wurde dieses Verfahren am Beispiel der Planung von
Ferienhäusern für Schulklassen angewendet. Der Bau
der Ferienhäuser soll den SchülerInnen unterschiedli-
cher Altersstufen die Möglichkeit bieten, Freizeit für
eine bestimmte Dauer stadtfern im Klassenverband zu
verbringen – Inhalt der Maßnahme/des Projekts bildet
also der Zugang zu Zeit und Raum. In die Durchführung
des Projekts waren das zuständige Schulamt sowie ein
ausführendes Architekten-Büro einbezogen. Die Ziel-
gruppe der Maßnahme bilden geschlechtsheterogene
Gruppen von SchülerInnen aus Großstädten, in denen
zu einem beachtlichen Anteil Kinder mit Migrationshin-
tergrund vertreten sind.
DOSSIER Positive Maßnahmen 98
Den damit verbundenen unterschiedlichen Bedürfnisla-
gen sollten die Ferienhäuser in ihrer materiellen Ausge-
staltung gerecht werden, um keine Diskrepanzen zwi-
schen der Zusammensetzung der Zielgruppen und der
Gruppe der Nutzenden entstehen zu lassen. Als be-
sonders bedeutsame Kulturmuster erwiesen sich das
Geschlechterverhältnis (Freizeitbedürfnisse von Jungen
und Mädchen), Religion / Weltanschauung (Freizeitbe-
dürfnisse von Mädchen / Jungen mit Migrationshinter-
grund) sowie die soziale Herkunft (Einkommenssituati-
on der Eltern). Vor diesem Hintergrund wurde deutlich,
dass etwa der Raumzuschnitt den kulturell unterschied-
lichen Bedürfnissen nach Intimität oder die Bewirtschaf-
tung der Anlage den unterschiedlichen (u.a. religiös
begründeten) Essensgewohnheiten der SchülerInnen
gerecht werden müsste. Um auch SchülerInnen aus
sozial schwachen Familien einen Zugang zu den Feri-
enhäusern zu gewährleisten und entsprechend die
Betriebskosten der Anlage niedrig zu halten, könnte
schon beim Bau der Anlage auf eine preisbewusste
Auswahl von Baustoffen geachtet werden.
Jenseits von Anti-Diskriminierung – Die multi-
kulturelle Organisation
Die Anwendung des Ex-Ante-Checks in allen Hand-
lungsbereichen einer Organisation stellt sozusagen das
Fernziel der Umsetzung von Managing-Diversity-
Strategien dar, es ist das zentrale Merkmal der multikul-
turellen Organisation (Cox 1994). Managing Diversity
wendet hier den Auftrag der Anti-Diskriminierung ins
Positive, wobei es jeweils vom individuellen Lebens-
muster eines Menschen ausgeht, das nicht nur durch
die im AGG genannten Merkmale bestimmt wird.
Hinzu kommen beispielsweise individuelle Zeitkulturen,
die etwa durch die Anzahl der zu pflegenden Familien-
mitglieder oder durch individuelle chronobiologische
Veranlagungen bestimmt werden. Hinzu kommt bei-
spielsweise auch die individuelle Körpergröße, die
nachweislich zu Einkommensdifferenzen beiträgt (Pau-
lus 2004) sowie individuelle Unterschiede im Kommuni-
kationsverhalten, das durch die soziale Herkunft be-
stimmt wird. So werden Führungspositionen im Top-
Management in Deutschland nicht nur fast ausschließ-
lich mit Männern, sondern vor allem mit solchen Män-
nern besetzt, die über einen großbürgerlichen Habitus
mit einer entsprechenden Kommunikationskultur verfü-
gen (Hartmann 2002).
Eine multikulturelle Organisation ist sich bewusst, dass
es eine anthropologische Konstante darstellt, Unter-
schiede gegeneinander zu werten und entlang dem
Paar Fremd - Normal zu verorten. Die Hierarchisierung
von Differenz stellt eine Kulturuniversalie dar (Antweiler
2007). Auch jede Organisation verfügt demzufolge über
eine explizit und vor allem implizit formulierte „Normali-
tätskultur―, die sich insbesondere in Leistungs- und Kar-
rieremustern ausdrückt und dabei definiert, ob es „nor-
mal― ist, dass Männer in Elternzeit gehen oder ob die-
ses Verhalten mit formalen bzw. informellen Sanktionen
belegt ist. Eine multikulturelle Organisation ist sich ihrer
Normalitätskultur bewusst und in der Lage, die damit
verbundenen formalen und informellen Regelwerke
kontinuierlich auf ihre Produktivität hin zu reflektieren.
Auch hierbei spielt das Instrument des Diversity-Checks
eine bedeutende Rolle, müsste jedoch um weitere
Merkmals-Dimensionen ergänzt werden - etwa Fami-
lienstand, Zahl der zu pflegenden Familienmitglieder,
soziale Herkunft. Auch persönlichkeitspsychologische
Merkmale könnten Eingang in den Diversity-Check
finden: Findet sich zum Beispiel in einem Bereich einer
Organisation eine bestimmte Ballung von Persönlich-
keitseigenschaften, ist dies so erwünscht und produktiv
(Fehr 2006).
Mit jeder Normalitätskultur ist eine spezifische Wirklich-
keitsdeutung - eine Weltanschauung - verbunden. Jede
Normalitätskultur bildet damit auch einen Filter gegen-
über vermeintlich „normalen― Gedanken und einen Filter
für Informationen, die in einer Organisation an Einfluss
gewinnen können. Dies hat zur Folge, dass Denkräume
etwa in Prozessen der Strategiebildung unnötigerweise
eingeschränkt werden. Beredtes Beispiel ist das Unter-
nehmen General Motors, das viel zu lange davon über-
zeugt war, dass Benzin immer billig sein wird, keine
anderen Informationen zur Kenntnis nahm, dachte,
dass große Autos große Profite bringen und zum
Schluss fast in Konkurs gehen musste.
Unter Bezugnahme auf Peter Senge kann davon aus-
gegangen werden, dass Reflexionsfähigkeit im Hinblick
auf die „normalen― Denkmuster eine Organisation zu
einer zukunftsfähigen Organisation macht (Senge
1996). Eine multikulturelle Organisation ist demnach
immer auch eine lernende Organisation. Gemeinsames
Lernen wiederum ist nur möglich, wenn die Beziehun-
gen zwischen Menschen diskriminierungsfrei gestaltet
werden und überhaupt eine Vielfalt von unterschiedli-
chen Denkmustern vorhanden ist. In der Herstellung
dieser Heterogenität von Kultur- und Denkmustern
könnten gezielte Positive Maßnahmen ihren Sinn ha-
ben. Anti-Diskriminierungspolitik und Diversity Mana-
99 DOSSIER Positive Maßnahmen
gement werden so zu einem wesentlichen Baustein für
Zukunftsfähigkeit schlechthin.
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Dr. Peter Döge ist Mitglied des geschäftsführenden
Vorstands des Instituts für anwendungsorientierte Inno-vations- und Zukunftsforschung e.V. (IAIZ). Er lehrt und publiziert über interdisziplinäre Politiktheorie und Poli-tikanalyse, Politische Ethik, Chancengleichheits- und Anti-Diskriminierungs-Politik.
DOSSIER Positive Maßnahmen 100
Nevim Çil
Quotenregelungen als Instrument der Gleichbehandlung? Gemeinsam-keiten und Differenzen zwischen Frauen- und MigrantInnenquoten
Die Frage nach der Teilhabe und Beteiligung von ver-
schiedenen Gruppen an gesellschaftlichen Strukturen
wird gegenwärtig eng verknüpft mit dem Instrument der
Quoten diskutiert. Zuletzt bestimmte die Diskussion um
die Besetzung von Führungspositionen mit Frauen die
Schlagzeilen.1 Die Diskussion um Quoten ist geprägt
von Ambivalenzen. Einerseits wird ihnen die Schlag-
kraft zugesprochen, Ungleichheiten abzufedern, ande-
rerseits jedoch haftet ihnen der Beigeschmack einer
Bevormundung an. Diese Ambivalenz ist nicht leicht
aufzubrechen. Die Teilhabe von gesellschaftlich unter-
privilegierten Bevölkerungsgruppen und ihre Einbin-
dung in das bestehende Gefüge sind zentrale Themen,
die mit der Frage nach Quoten verbunden sind. Quoten
sind zwar nicht prädestiniert für die Lösung von gesell-
schaftlichen Ungleichgewichten, sie weisen jedoch auf
Probleme hin. Inwiefern Quoten ein adäquates Instru-
ment darstellen, um gesellschaftliche Schieflagen aus-
zugleichen, und in welchen Zeitgeist dieses Instrument
eingebunden ist, soll Gegenstand der folgenden Aus-
führungen sein.
Die Forderung nach Frauenquoten
Die aktuell diskutierte Erhöhung des Frauenanteils in
Führungspositionen lässt aufhorchen. Die Diskussion
um Frauenquoten verdeutlicht hier einerseits, dass
auch im Zeitalter der hochgradig entwickelten Gesell-
schaften nicht von einer Geschlechtergerechtigkeit
ausgegangen werden kann. Gleichzeitig entsteht aber
auch Unverständnis. Denn Frauen sind keine gesell-
schaftliche Gruppe, sondern machen die Hälfte der
Menschheit aus. Ihnen wird jedoch die Eigenschaft
einer Randerscheinung zugesprochen. Das Ungleich-
gewicht an dieser Stelle geht auf das Kriterium des
(biologischen und sozialen) Geschlechts zurück. Nach
wie vor sind es primär Frauen, die bei Familiennach-
wuchs aus dem Erwerbsleben ausscheiden und/oder
als Teilzeitkräfte beschäftigt sind.2 Die Frage nach der
1 Die EU-Kommissarin Viviane Reding betont, dass sich Posi-tive Maßnahmen nur dann durchsetzen und implementieren lassen, wenn sie von einer breiten Mehrheit als vernünftig, wohl begründet und notwendig anerkannt werden.
2 Das Statistische Bundesamt stellt fest, dass im Jahre 2008 5 Prozent der erwerbstätigen Väter in Teilzeit tätig waren. Im gleichen Jahr waren gleichaltrige Mütter mit 73 Prozent we-sentlich häufiger in Teilzeit beschäftigt. Siehe „Männer und
Geschlechtergerechtigkeit ist keineswegs neu, auch
nicht die Diskussion um Quotenregelungen für Frauen.
Die Sichtbarkeit von Frauen in der Arbeitswelt und der
Kampf um „Männerdomänen― können auf eine lange
Tradition zurückblicken.
Die Quotenregelung für Frauen ist insbesondere ein
Instrument der 1980er Jahre, das Ungleichgewichte vor
allem in der Arbeitswelt austarieren soll. Eine Frauen-
quote wird deshalb für notwendig erachtet, da Frauen,
gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, in öffentlichen
Stellen und Gremien deutlich unterrepräsentiert sind.
Durch diese Unterrepräsentanz werden Interessen von
Frauen nur bis zu einem bestimmten Maße – und dies
ist sehr gering – in Entscheidungsprozessen berück-
sichtigt. Zudem wird befürchtet, dass sich die Schiefla-
ge zwischen den Geschlechtern nur schwer von sich
aus auflösen wird, da Frauen derzeit auch oft deutlich
unterqualifizierte Berufe ausüben und sich damit die
Tradition der Ungleichheit sich weiter fortsetzt.
Hier erscheinen Quotenregelungen als ein geeignetes
Instrument, die Nachteile auszugleichen, die sich für
Frauen ergeben. KritikerInnen wenden ein, dass Frauen
dann eine bestimmte Stelle nicht aufgrund ihrer Qualifi-
kation, sondern aufgrund ihres Geschlechts bekommen.
Nicht selten wird dann abfällig von einer „Quotenfrau―
gesprochen. Es wird hier jedoch unterschlagen, dass
allein das Geschlecht ein sehr notdürftiges Argument
sein dürfte, um eine Stelle mit einer Frau zu besetzen.
Natürlich steht die Qualifikation an erster Stelle. Denn
die Quotenregelung beinhaltet Vorgaben, die die Ent-
scheidungsprozesse maßgeblich regeln sollen. In die-
sem Fall wird die Person bevorzugt, die die gleichen
Qualifikationen vorweisen kann, jedoch (gesellschaft-
lich) benachteiligt ist.
Quoten für Menschen mit Migrations-
hintergrund
Die Forderung nach Quotenregelungen für Menschen
mit Migrationshintergrund wird ebenfalls eng verbunden
mit den gesellschaftlichen Umständen. Auch hier geht
Frauen in verschiedenen Lebensphasen.― Statistisches Bun-desamt. Wiesbaden 2010, S.32.
101 DOSSIER Positive Maßnahmen
es um die Sichtbarkeit von ungleichen Verhältnissen
und um die Tatsache, dass sich ohne Positive Maß-
nahmen die Schieflage zwischen Mehrheitsgesellschaft
und Menschen mit Migrationshintergrund wahrschein-
lich nicht von alleine austarieren wird. In dieser Hinsicht
bedarf es – so die BefürworterInnen – eines staatlich
gesteuerten Instruments, um diese Ungleichheit abzu-
federn. Die Bundesregierung betont allerdings, dass
keine Quotenregelungen eingeführt werden. Vielmehr
soll es zum guten Ton dazugehören, Menschen mit
Migrationshintergrund einzustellen.3 Einige diesbezügli-
che Vorstöße haben die Bundesregierung und die Län-
der4 bereits getätigt. Die Charta der Vielfalt ist ein Bei-
spiel hierfür, wie die Unternehmen zum Aufbau und zur
Pflege der Vielfalt am Arbeitsplatz aufgerufen werden.5
Als ein weiterer Vorstoß zur Etablierung von Positiven
Maßnahmen ist das erst kürzlich von der Antidiskrimi-
nierungsstelle des Bundes initiierte Projekt zum ano-
nymisierten Bewerbungsverfahren zu nennen.6
Der Umgang mit, oder gar die Auflösung von Ungleich-
heit stellt in der Tat ein essentielles Problem von post-
modernen Staaten dar, in denen immer mehr Ungleiche
zusammenkommen und nach ihrem gesellschaftlichen
Platz suchen.7 So wird die Frage nach dem Verbinden-
3 Siehe beispielsweise den Artikel in der WELT Online von Miriam Hollstein (2010): „Mehr Migranten im öffentlichen Dienst – aber wie?― Online unter: http://www.welt.de/politik/deutschland/article5845807/Mehr-Migranten-im-oeffentlichen-Dienst-aber-wie.html (Zugriff am 19.10.2010).
4 Hamburg und Berlin sind als Bundesländer Vorreiter in der Steuerung. Hamburg hat bereits 2006 einen Zielwert formu-liert, um den Anteil junger Menschen mit Migrationshinter-grund in den Ausbildungsberufen bis 2011 auf 20 Prozent zu erhöhen. Siehe zu der Dachkampagne „Wir sind Hamburg! Bist Du dabei?― Online unter: http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/838974/ausbildung-verwaltung.html (Zugriff 19.10.2010). Berlin möchte mit dem „Gesetzesentwurf zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin― die interkulturelle Öff-nung der Verwaltung gesetzlich festschreiben. Online unter: http://www.berlin.de/lb/intmig/partizipations-und-integrationsgesetz-berlin_kurzfassung.html (Zugriff am 19.10. 2010).
5 Es muss hier betont werden, dass bei Zuwiderhandlungen gegen die Charta der Vielfalt keine Sanktionen verhängt wer-den. KritikerInnen behaupten, die Charta der Vielfalt sei des-halb ein stumpfes Schwert.
6 Weiterhin hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aktuell im Rahmen ihrer Expertisenreihe „Forschungslücken schließen― eine umfassende Studie zu „Positiven Maßnah-men― veröffentlicht, die eine Vielzahl praktischer Handlungs-empfehlungen und best practice-Beispiele enthält. Siehe Ale-xander Klose/Andreas Merx (2010): Positive Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile im Sinne des § 5 AGG. Online auf der Hompage der Antidiskri-minierungsstelle: www.antidiskriminierungsstelle.de
7 Steven Vertovec spricht sogar von super-diversen Gesell-schaften: Steven Vertovec (2006): The Emergence of Super-Diversity in Britain. Centre on Migration, Policy and Society (Compas). Working Paper No. 25, University of Oxford.
den zur elementaren Frage in diesen Gesellschaften.
Das Verbindende meint dabei die Basis, auf der ein
Zuspruch, wenn nicht sogar ein Bekenntnis zu den
Werten und Normen der Gesellschaft geschaffen wer-
den soll. Unabhängig von ethnischer und sozialer Her-
kunft, biologischem oder sozialem Geschlecht, soll ein
neues Wir aufgebaut werden, das sich nicht länger an
althergebrachten Umständen orientieren kann.
Diese Neuorientierung geht einher mit Begrifflichkeiten,
die das neue Gesicht und die Trendwende untermauern
sollen. „Chancengleichheit― ist solch ein Begriff. Er
macht auf der einen Seite auf Ungleichheiten aufmerk-
sam, auf der anderen Seite unterstreicht er den Mehr-
wert für die Gesellschaft, wenn der öffentliche Dienst,
aber auch der freie Markt sich in vielfältig zusammen-
gesetzter Belegschaft repräsentieren.
Der Fokus auf Ungleichheit verleiht Unterprivilegierten
und Ausgeschlossenen gesellschaftliche Sichtbarkeit.
Diese Sichtbarkeit darf nicht als selbstverständlich
erachtet werden. Sie hat eine Vorgeschichte: Ihr gehen
der Anspruch und der Bedarf an gesellschaftlicher
Gerechtigkeit voraus, teilweise um den sozialen Frieden
zu wahren, teilweise aber auch um internationales
Ansehen zu erlangen. Im Zeitgeist einer aufgeschlos-
senen Gesellschaft ist es zudem eher schädlich, Un-
gleichheiten im Schatten der Gesellschaft zu belassen.
Beachtet werden muss hier jedoch, welche Ungleich-
heiten kenntlich gemacht bzw. benannt werden und
welche in der Tradition der Nicht-Beachtung verloren
gehen. Auch Ungleichheiten müssen also in das Gefü-
ge einer post-modernen Gesellschaft hineinpassen, um
als solche Anerkennung zu finden.
Insofern spielt der Zeitgeist, in dem die Diskussion um
Quoten geführt wird, eine besondere Rolle, um das Pro-
jekt zum Erfolg zu bringen. Auffallend deutlich wird dies
an der Diskussion um Beteiligung von Menschen mit
Migrationshintergrund. Jahrzehnte lang passte es nicht
recht in das gesellschaftliche Bild, hier Chancengleich-
heit einzufordern. Erst jetzt scheint diese Option in das
Bewusstsein gerückt zu sein. Die Ergebnisse des Mik-
rozensus von 2005 spielten eine nicht zu unterschät-
zende Rolle bei dieser Trendwende.8 Seit 2005 weist
der Mikrozensus die stetig ansteigende Anzahl von
8 Der Mikrozensus hat in seinem Bericht von 2005 zum ersten Mal den Migrationshintergrund definiert. Die Bevölkerung wird nunmehr nicht ausschließlich nach der Staatsangehörig-keit, sondern auch nach der ethnischen Herkunft unterteilt. Siehe zum Mikrozensus den Online-Auftritt des Statistischen Bundesamtes Deutschland unter www.destatis.de
DOSSIER Positive Maßnahmen 102
Menschen mit Migrationshintergrund aus und belegt
damit die Vielfältigkeit der gegenwärtigen Gesellschaft.
Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend zur Vielfältig-
keit in der Zukunft nicht nur fortsetzen, sondern verstär-
ken wird. In diesem Sinne drängen einige gesellschaft-
liche Probleme in der Tat nach einer Lösung. Gegen-
wärtig sprechen wir von Größenordnungen, die nicht
mehr als eine Ausnahmeerscheinung oder ein temporä-
res Phänomen der Gesellschaft verstanden werden
können. Ganz im Gegenteil: Es ist davon auszugehen,
dass diese Vielfältigkeit das Gesicht der Gesellschaft
maßgeblich verändern wird. Diese Veränderung will
nun in das gegenwärtige Gefüge eingeordnet werden.
Damit geht es nicht nur darum, der gesellschaftlichen
Neuformierung Rechnung zu tragen. Denn die älter und
zugleich vielfältiger werdende Gesellschaft benötigt
neue Konzepte der Teilhabe, um den Lebensstandard
zu wahren. Gleichzeitig ist die Befürchtung groß, dass
ein großer Teil der Menschen (mit Migrationshinter-
grund) zu einer ernsthaften sozialen Bedrohung werden
können, wenn ihnen auf Dauer der Zugang zu gesell-
schaftlichen Ressourcen verwehrt bleibt. In diesem
Sinne ist die Diskussion um Quoten für Menschen mit
Migrationshintergrund nicht nur als ein Zugeständnis an
die demografischen Entwicklungen zu verstehen, son-
dern sie fungiert vorsorglich auch als ein Instrument,
um den sozialen Frieden zu wahren.
Ähnlichkeiten und Differenzen: Forderung
oder Selbstausschluss?
Die Ähnlichkeit der Debatten um Quotenregelungen für
Frauen und MigrantInnen ist erstaunlich. Beide Debat-
ten orientieren sich an der Sichtbarkeit von Ungleich-
gewichten. In beiden Debatten geht es primär nicht
darum, das gesellschaftliche Gefüge neu zu definieren,
sondern darum, einen Vorteil für Personen innerhalb
der gesellschaftlichen Schieflage zu schaffen, die auf-
grund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft diskrimi-
niert werden. Ähnlich ist auch der Erfahrungswert, auf
dem eine Gleichheit zwischen betroffenen Personen
geschaffen wird. Für Frauen stellt das Geschlecht eine
gemeinsame Erfahrung dar, auf dessen Grundlage sie
Diskriminierung erfahren. Menschen mit Migrationshin-
tergrund machen eine ähnliche Erfahrung. Sie stellen
keine homogene Gruppe dar, werden aber von „außen―
vereinheitlicht. Die Vereinheitlichung führt zu Stigmati-
sierungen, Vorurteilen und Ausschluss.
Festzustellen ist aber auch eine immanent wichtige Dif-
ferenz zwischen den Diskussionen um Quotenregelun-
gen für Frauen und Regelungen für Menschen mit Mig-
rationshintergrund. Bezeichnend für die Quotenrege-
lung für Frauen ist, dass sie überwiegend von Frauen
eingefordert und vorangetrieben wurde. Sie ist ein Ver-
dienst von Frauen, also von „Betroffenen― selbst, die
auf gestörte Balancen zwischen Frauen und Männern in
der Arbeitswelt, im öffentlichen und wirtschaftlichen Le-
ben aufmerksam machten. Anders jedoch die Diskussi-
on um Quotenregelungen für Menschen mit Migrations-
hintergrund: Sie ist nicht mit einer Forderung verbun-
den. Viel zu selten schalten sich Menschen mit Migrati-
onshintergrund in die Debatte ein, um diesen Prozess
mitzubestimmen. In diesem Fall ist die Diskussion um
eine Quotenregelung als ein Resultat einer Migrations-
politik zu verstehen, die von staatlicher Seite betrieben
wird. Der Umsetzung von Quotenregelungen geht also
keine Forderung nach Gleichstellung oder gar eine Be-
wegung voraus – abgesehen von den Forderungen ei-
niger Verbände und MigrantInnenselbstorganisationen.
Dieser Unterschied zwischen beiden Quotenregelungen
ist irritierend groß. Die Gleichstellung von Menschen mit
Migrationshintergrund wird nicht von den „Betroffenen―
selbst aktiv eingefordert. Vielmehr werden die Vor- und
Nachteile von politischen Parteien und Gesetzgebern
diskutiert. Diese Diskrepanz lässt sich mit gegenwärti-
gen Migrationsstudien nicht erklären. Möglich sind
folgende Erklärungen: Die Quotenregelung für Men-
schen mit Migrationshintergrund bezieht sich, wie bei
der Regelung für Frauen auch, auf die Arbeitswelt. In
der so genannten Bestenauslese kommen ausschließ-
lich qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund in
Betracht, wenn es um die Besetzung von Stellen geht.
Das Kriterium der ethnischen Herkunft ist also, wie
beim Geschlecht auch, lediglich ein zusätzliches. Dies
kann nicht oft genug betont werden.
Es ist möglich, dass sich qualifizierte Menschen eher
der Vorstellung hingeben, insbesondere nach ihrer Lei-
stung und weniger nach ihrer Herkunft beurteilt zu wer-
den. In diesem Kontext erscheint die ethnische Herkunft
fast wie eine „private Angelegenheit―. Schließlich wollen
diese Menschen nicht durch ihre Herkunft sondern ihre
Leistung auffallen. Diese „private Angelegenheit― er-
schwert den Bezug auf die Herkunft im öffentlichen Le-
ben (Arbeitswelt)- es erscheint wie ein Paradox. Mög-
lich ist auch, dass genau aus diesem Grund die Ab-
wanderung von besser bis hoch qualifizierten Akademi-
kerInnen in das Herkunftsland der Elterngeneration
stetig zunimmt. Neueste Studien belegen eine Abwan-
derung und führen sie auf die Diskriminierung auf dem
103 DOSSIER Positive Maßnahmen
Arbeitsmarkt zurück.9 Sie erklären aber nicht, warum
sich betroffene Gruppierungen nicht für ihre Rechte
einsetzen. Den „Betroffenen― muss deutlich werden,
dass die Herkunft schon längst ein öffentliches Thema
geworden ist.
Hervorzuheben ist, dass die Herkunft selten als ein pri-
vates Thema angenommen wurde. Diskriminierung und
Ausgrenzung gehören zu den unübersehbarsten Zei-
chen für ihre 'Öffentlichkeit', die nun aktuell mit Quoten-
regelungen abgefedert werden soll. Es gäbe auch kei
9 Der Migrationsbericht (2008) stellt fest, dass unter Akademi-kerInnen und Studierenden türkischer Herkunft eine deutliche Abwanderungstendenz festzustellen sei. Als Grund hierfür werden Diskriminierungserfahrungen und das fehlende Aner-kennungsgefühl genannt. Das Forschungsinstitut „futureorg― hatte eine nichtrepräsentative Umfrage unter dieser Zielgrup-pe durchgeführt und die Abwanderung von qualifizierten Aka-demikerInnen türkischer Herkunft angemahnt. Siehe hierzu: Migrationsbericht des Bundesamtes für Flüchtlinge und Mig-ration im Auftrag der Bundesregierung (Migrationsbericht 2008), S. 166f. Siehe zu der Studie des Forschungsinstituts „futureorg― Kamuran Sezer/Nilgün Dağlar: „Türkische Aka-demiker und Studenten in Deutschland. Wie sie leben. Was sie denken. Was sie wollen. Die Identifikation der TASD mit Deutschland – Abwanderungsphänomen der TASD beschrei-ben und verstehen― Online unter http://tasd.futureorg.de/index.php?page=publikationen Zugriff 19.10.2010).
nen Grund über Quotenregelungen zu diskutieren,
wenn Herkunft als eine Privatsache angenommen wer-
den würde. Womöglich fehlt vielen Menschen mit Mig-
rationshintergrund der Mut zu rufen, „Herkunft ist poli-
tisch!―
Dr. Nevim Çil arbeitet und forscht zu den Schwerpunk-
ten: Migration, Diversity und Antidiskriminierung, Gene-rationenverhältnis und Zugehörigkeiten im Spiegel von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Sie promo-vierte am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freie Universität Berlin.
DOSSIER Positive Maßnahmen 104
Kenan Kolat
Quote für MigrantInnen - kein Tabuthema
Der Vorstoß der Integrationsbeauftragten der Bundes-
regierung, Prof. Dr. Maria Böhmer, im Januar dieses
Jahres „mehr Migranten im öffentlichen Dienst zu be-
schäftigen― hat zu Recht eine Welle von Diskussionen
entfacht. Frau Böhmer begründete ihren Vorstoß damit,
dass jeder fünfte Mensch in Deutschland einen Migrati-
onshintergrund hat. Dies sollte sich auch im öffentlichen
Dienst widerspiegeln. Zwanzig Prozent der Beschäftig-
ten sollten künftig aus Familien von Eingewanderten
kommen – vor allem LehrerInnen und ErzieherInnen.
Dieser Vorstoß von Frau Böhmer wurde von vielen als
eine Forderung nach einer Quote für MigrantInnen
verstanden. Das Resultat ist eine rege Diskussion zu
der Thematik, und das ist gut so. Jedoch nahm Frau
Böhmer ihre Aussage hinsichtlich einer Quote umge-
hend zurück. Die Argumente der KritikerInnen einer
Quotenregelung für MigrantInnen sind im Wesentlichen
folgende:
- Die Erfahrungen mit der Quote aufgrund des
Geschlechts sind negativ. „Quote― ist und bleibt
ein Reizwort. Lange Jahre galt sie als Allheilmit-
tel, um Benachteiligungen von Minderheiten (wo-
bei Frauen keine Minderheit waren und sind) in
Beruf und Bildung zu beheben. Unterdessen
mehrten sich die kritischen Stimmen vieler Frau-
en, denn sie wollten nicht mit Sondermaßnahmen
„behandelt― werden. Quotiert zu sein hätte einen
Makel, frau war nicht wegen ihrer Leistungen,
sondern aufgrund des Geschlechts auserkoren
worden.
- Die Quote sei das völlig falsche Instrument, da
das einzig entscheidende Kriterium Können, also
Leistung sein müsse.
- Quote sei ein rechtlicher Automatismus, der zu
Missbrauch führe. Mehr Einwandernde in Behör-
den seien nur in Ballungsräumen nötig, auf dem
Land sei der MigrantInnenanteil hierfür zu niedrig,
so der Innenexperte der Unionsfraktion im Bun-
destag, Hans-Peter Uhl.
- Das Ziel, mehr Einwandernde in den Staatsdienst
einzustellen, sei zwar richtig, eine Quote dafür
aber ungeeignet. Sinnvoll sei ein aktives Perso-
nalmanagement der Behörden, das mehr Men-
schen aus Einwanderndenfamilien in den öffentli-
chen Dienst hole, so der SPD-Fraktionsvize und
Innenexperte Olaf Scholz in der Süddeutschen
Zeitung.
Dem Gedanken, dass die Quote für MigrantInnen nur
ein letzter Ausweg sein sollte, kann ich folgen. Die
Frage stellt sich nur, wie und wann der letzte Ausweg
ausfindig gemacht werden kann. Zu diesem Zweck
bedarf es einer Analyse der Lage. Wie ist denn die
Situation der MigrantInnen auf dem Arbeits- und Aus-
bildungsmarkt? Hierzu liefern verschiedene Studien
eine Reihe von aufschlussreichen Daten und Fakten,
von denen hier näher auf die OECD-Studie 2008 und
die BIBB-Studie 2009 eingegangen werden soll.
OECD-Studie 2008
Die OECD kommt in ihrem Beschäftigungsausblick
2008 zu folgendem Ergebnis1:
Ebenso liegt in Deutschland bei jungen Men-
schen mit Migrationshintergrund (20 bis 29-
jährigen, Migranten 2. Generation) die Beschäf-
tigungsquote um etwa 15 Prozentpunkte niedri-
ger als bei der vergleichbaren Gruppe ohne Mig-
rationshintergrund. Dies ist nur knapp zur Hälfte
durch Unterschiede im Bildungsniveau zu erklä-
ren. Ein weiterer bedeutenderer Faktor dürfte die
Diskriminierung am Arbeitsmarkt sein.
Selbst MigrantInnenkinder, die ihre komplette Ausbil-
dung in Deutschland absolviert haben, hätten geringere
Jobchancen als BewerberInnen ohne Migrationshinter-
grund mit dem gleichen Bildungsniveau. Menschen mit
ausländisch klingenden Namen müssten drei bis vier-
mal so viele Bewerbungen wie „Deutsche― schreiben,
bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen
werden.
Selbst mit Universitätsabschluss sind die Chancen der
Kinder von Einwandernden, eine Beschäftigung zu
bekommen, zum Teil erheblich geringer. Bildungs- und
Sprachdefizite können somit nur einen Teil der niedri-
1 http://www.oecd.org/dataoecd/9/49/40933023.pdf (Zugriff am 07.12.2010).
105 DOSSIER Positive Maßnahmen
gen Beschäftigung erklären. Der niedrigere Bildungs-
hintergrund kann somit auch ein bequemer Vorwand
sein, um diskriminierende Einstellungen zu verdecken.
BIBB-Studie 2009
In der öffentlichen Diskussion wie auch im wissen-
schaftlichen Diskurs wurden lange Zeit häufig Defizite
bei den Jugendlichen selbst, wie unzureichende Kom-
petenzen oder mangelnde Schulabschlüsse, unzurei-
chende Informationen oder unangemessene Suchstra-
tegien bzw. ein geringes Interesse an einer Ausbildung
als Ursachen für den geringeren Zugang zu einer Be-
rufsausbildung genannt. Dieses widerlegen die vorlie-
genden Ergebnisse der Studie des Bundesinstituts für
Berufsbildung Übergänge in eine berufliche Ausbildung
– Geringere Chancen für junge Menschen mit Migrati-
onshintergrund von Ursula Beicht und. Mona Granato2.
Sie fordern damit zu einem grundlegenden Perspektiv-
wechsel auf: Zentral ist, von den Ressourcen der Ju-
gendlichen mit Migrationshintergrund auszugehen und
diese in das Blickfeld zu rücken. Die Ergebnisse der
Studie zusammengefasst:
- Jugendliche mit Migrationshintergrund haben
nach Beendigung der allgemeinbildenden
Schule ein ebenso hohes Interesse an einer
Berufsausbildung wie „einheimische― Jugendli-
che.
- Bei den angewandten Strategien der Ausbil-
dungsplatzsuche gibt es gleichfalls keine we-
sentlichen Unterschiede zwischen beiden
Gruppen.
- Dennoch sind die Chancen der Jugendlichen
mit Migrationshintergrund – selbst mit gleichen
schulischen Voraussetzungen – wesentlich ge-
ringer.
- Erheblich häufiger durchlaufen Schulabgänge-
rInnen aus MigrantInnenfamilien daher schwie-
rige und langwierige Übergangsprozesse bei
der Suche nach einer beruflichen Ausbildung.
- Die Chance, einen Ausbildungsplatz zu finden,
ist bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund
geringer: Mit Hauptschulabschluss liegt der An-
teil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
bei 42 Prozent (im Vergleich zu 62 Prozent oh-
ne Migrationshintergrund); mit mittlerem Schul-
abschluss liegt der Anteil bei Jugendlichen mit
2 Online unter: http://www.bibb.de/de/52287.htm (Zugriff am 07.12.2010).
Migrationshintergrund bei 55 Prozent (und bei
74 Prozent ohne Migrationshintergrund).
- Die geringeren Einmündungschancen von Ju-
gendlichen mit Migrationshintergrund lassen
sich somit keineswegs mit Schulnoten erklären.
Aus den genannten Studien und darüber hinaus auch
aus vielen anderen Studien wird ersichtlich, dass die
MigrantInnen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
benachteiligt und diskriminiert werden. Das Ausmaß der
Benachteiligungen ist enorm. Die deutsche Gesellschaft
ist eine Arbeitsgesellschaft. Die Menschen definieren
sich ausgehend von ihrer Rolle und Stellung im Arbeits-
leben. Vom Erwerbsleben ausgeschlossen zu sein,
bedeutet zugleich den Ausschluss aus dem gesell-
schaftlichen Leben. Ohne die erfolgreiche Integration
der MigrantInnen in den Arbeitsmarkt, kann eine gesell-
schaftliche Teilhabe nicht gelingen.
Schon im Jahre 2007 hatte die Türkische Gemeinde in
Deutschland http://www.tgd.de/ erklärt, dass eine
Selbstverpflichtung der Unternehmen, vermehrt Ju-
gendliche mit Migrationshintergrund auszubilden, zu
begrüßen wäre. Aber die Appelle der politischen Ent-
scheidungsträgerInnen an Unternehmen können nur
dann als glaubwürdig empfunden werden, wenn der
Staat selbst Jugendliche mit Migrationshintergrund
ausbildet und mit gutem Beispiel voranschreitet. Hier
hat der Staat noch enormen Nachholbedarf.
Ob der Zeitpunkt einer Quotenregelung gekommen ist,
sollte diskutiert werden. Natürlich gibt es auch andere
gute Ansätze, die sich bewährt haben, wie z.B. die
politische Zielsetzung des Berliner Senats3 oder das
20-Prozent-Ziel des Hamburger Bürgermeisters Ole von
Beust, den Anteil der MigrantInnen im öffentlichen
Dienst analog zu ihrem Anteil an der Bevölkerung zu
erhöhen4.
Aus diesen unterschiedlichen Gründen bedarf es neuer
Vorschläge für Positive Maßnahmen im Rahmen einer
Diversity-Strategie, die wie folgt aussehen können:
(1) Zielgrößen in den öffentlichen Verwaltungen de-
finieren, mit dem Zweck, den Anteil der Menschen
3
Siehe die Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Integra-tion, Arbeit und Soziales vom 16.06.2010, online unter: http://www.berlin.de/lb/intmig/presse/archiv/20100616.1000.299567.html (Zugriff am 07.12.2010).
4 Siehe den Online-Bericht unter http://www.hamburg.de/zu-wanderung/2270834/aktionsplan-integration.html (Zugriff am 07.12.2010).
DOSSIER Positive Maßnahmen 106
mit Migrationshintergrund in den öffentlichen Ver-
waltungen entsprechend ihrem Anteil an der Bevöl-
kerung zu erhöhen,
(2) Monitoring und jährliches Reporting zur Zielver-
folgung einführen,
(3) Menschen mit Migrationshintergrund bei Stel-
lenausschreibungen gezielt ansprechen;
migrantische Medien beim Personalmarketing ver-
stärkt nutzen,
(4) Kampagne(n) zu Vorbildern durchführen, beste-
hende unterstützen,
(5) Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompeten-
zen u.a. als Ressource bei Einstellungen einführen,
(6) Interkulturelle Kompetenzerweiterung in den Be-
trieben, Managing-Diversity-Prozesse fördern, spe-
zifische Förderprogramme entwickeln und umset-
zen,
(7) Anreize für Unternehmen schaffen, damit sie
Auszubildende mit Migrationshintergrund einstellen,
(8) Mentoringprogramme einrichten, um potentielle
BewerberInnen mit den ArbeitgeberInnen zusam-
menzubringen (Netzwerk-Defizite abbauen),
(9) Instrumente zur selbstkritischen Überprüfung
von Diskriminierungen bei Bewerbungsverfahren
und Beförderungen entwickeln, individuelle und
„statistische Diskriminierungen― bekämpfen,
(10) Ziele im SGB II ergänzen, um bestehende
Nachteile aufgrund der Herkunft, Hautfarbe etc. zu
überwinden,
(11) Ein Gesetz zur Verbesserung der Bedingun-
gen für die Anerkennung der im Ausland erworbe-
nen Qualifikationen schaffen.
Falls all das zu keinem Erfolg bei der Herstellung von
Chancengerechtigkeit führen sollte, müssen wir über
Quoten ernsthaft diskutieren.
Kenan Kolat ist Bundesvorsitzender der Türkischen
Gemeinde in Deutschland (TGD)
107 DOSSIER Positive Maßnahmen
Praxis & Projekte
Bereits lange vor dem Inkrafttreten des AGG haben
zahlreiche Unternehmen, Organisationen und öffentli-
che Einrichtungen und Verwaltungen gezielte Förder-
maßnahmen zum Abbau von Diskriminierungen und zur
Verbesserung der Repräsentation verschiedener ge-
sellschaftlicher Gruppen erfolgreich umgesetzt. Im
Rahmen eines umfassenden Diversity Management
werden ebenfalls viele Maßnahmen durchgeführt, die
durchaus in diesen Kontext gehören (auch wenn sie oft
noch nicht so bezeichnet werden).
Lange Zeit standen dabei Maßnahmen zur Gleichstel-
lung von Frauen und Männern sowie der Verbesserung
der beruflichen Situationen von Menschen mit Behinde-
rung im Fokus. In den vergangenen Jahren wurden –
nicht zuletzt vor dem Hintergrund des deutlichen demo-
graphischen Wandels auch verschiedene Positive
Maßnahmen zur Verbesserung der gesellschaftlichen
Chancen von Menschen mit Migrationshintergrund oder
für ältere ArbeitnehmerInnen ergriffen.
Wie rechtlich unproblematische und erfolgreiche Positi-
ve Maßnahmen gestaltet sein können, lässt sich an den
in diesem Abschnitt vorgestellten Beispielen aus Unter-
nehmen, Organisationen und öffentlichen Einrichtungen
und Verwaltungen erkennen. Die hier versammelten
Praxisbeispiele zeigen, dass in Verbindung mit der
notwendigen Unterstützung durch Führungskräfte,
einem entsprechenden (politischen) Willen zur nachhal-
tigen und umfassenden Umsetzung und der Bereitstel-
lung der erforderlichen personalen, finanziellen, zeitli-
chen und institutionellen Ressourcen Positive Maß-
nahmen einen entscheidenden Beitrag zur Weiterent-
wicklung von Organisationen auf ihrem Weg zu einer
offenen, inklusiven und Diversität wertschätzenden
multikulturellen Organisation leisten können.
- Zahlreiche deutsche Kommunen setzen vielfältige
Positive Maßnahmen zur Verbesserung der Be-
schäftigung von Menschen mit Migrationshinter-
grund in der kommunalen Verwaltung um. Huber-
tus Schröer und Franziska Szoldatits stellen die
für ihre Vorreiterrolle bundesweit viel beachtete
Interkulturellen Öffnung der Stadt München vor.
- Die Berliner Kampagne „Berlin braucht dich―, mit
der durch gezielte Strategien Jugendliche mit Mig-
rationshintergrund zur Bewerbung für eine Ausbil-
dung in öffentlichen Behörden und Betrieben moti-
viert werden, stellen Dragica Horvat und Agnese
Papadia vor.
- Sun-ju Choi und Militiadis Oulios zeigen für den
Bereich der Massenmedien auf, dass unterschied-
liche Positive Maßnahmen wie Nachwuchsförde-
rung und Mentoring dazu beitragen können, die
Akzeptanz und Repräsentation einer multiethni-
schen Gesellschaft voranzutreiben.
- Mentoring-Programme sind insbesondere im Be-
reich der Gleichstellung von Frauen und Männern
eine seit Langem bewährte Positive Maßnahme.
Ana-Violeta Sacaliuc beschreibt das Erfolgsmo-
dell des Frankfurter Berami-Mentoring-Projekts für
qualifizierte Migrantinnen und erläutert den Unter-
schied zwischen einer zielgruppen- und adressa-
tenorientierten Positiven Maßnahme.
DOSSIER Positive Maßnahmen 108
Hubertus Schröer / Franziska Szoldatits
Interkulturelle Öffnung des Personalmanagements: Das Beispiel der Landeshauptstadt München
Kommunale Integrationspolitik mit langer
Tradition
Die kommunale Integrationspolitik der Landeshaupt-
stadt München steht in einer bemerkenswerten Traditi-
on. Als eine der ersten Großstädte der Bundesrepublik
hat sie bereits zu Beginn der 1970er Jahre erkannt,
welche Herausforderungen sich aus der Anwerbung
von ausländischen Arbeitskräften und dem zunehmen-
den Familiennachzug für die Kommunen ergeben wer-
den. Das damalige Referat (Dezernat) für Stadtentwick-
lungsplanung hat schon 1972 eine gründliche „Prob-
lemstudie― vorgelegt: „Kommunalpolitische Aspekte des
wachsenden ausländischen Bevölkerungsanteils in
München―. Darin werden die Ursachen der Ausländer-
beschäftigung aufgezeigt, die unterschiedlichen Inte-
ressenlagen deutlich gemacht sowie die Entwicklungs-
linien und sozialpolitischen Folgen für Kommunen ana-
lysiert und entsprechende Konsequenzen und Maß-
nahmen vorgeschlagen. Darauf aufbauend wurde 1974
ein detailliertes Vollzugs- und Initiativprogramm, das
„Münchner Ausländerprogramm― verabschiedet. Im
gleichen Jahr wurde auch das damals besondere
Münchner Modell eines Ausländerbeirats beschlossen
und so eine Beteiligungsmöglichkeit und Interessenver-
tretung der ausländischen ArbeitnehmerInnen geschaf-
fen.
Konzeptionelle Entwicklungen in den 90er Jahren
In den 1990er Jahren wurden erneut Bestandsaufnah-
men und Maßnahmenkataloge vorgelegt, etwa 1997 die
Studie „Lebenssituation ausländischer Bürgerinnen und
Bürger―. Die gesamtstädtischen Integrationsvorstellun-
gen der Landeshauptstadt wurden in ihrer Stadtentwick-
lungsplanung - der „Perspektive München― - seit 1998
festgelegt. Das waren aber Ziele, die eher auf der pro-
grammatischen Ebene lagen, also „Leitlinien― für die
weitere Konkretisierung und Umsetzung in den jeweili-
gen Fachbereichen. Ein konsistentes Integrationskon-
zept mit Vorstellungen und Zielen für eine Integrations-
politik im 21. Jahrhundert gab es lange Jahre nicht.
So blieb Raum für Eigeninitiative und Innovation in den
einzelnen Fachreferaten (Dezernaten), den vor allem
das Sozialreferat nutzte. Das Stadtjugendamt hat Mitte
der 1990er Jahre damit begonnen, interkulturelle Quali-
fizierungsmaßnahmen für die MitarbeiterInnenschaft zu
entwickeln und systematisch den Ansatz der interkultu-
rellen Orientierung und Öffnung zu etablieren (vgl.
Handschuck/Schröer 1997, 2002). Beispielhaft war die
Entstehungsgeschichte des Fortbildungsprogramms
„Interkulturelle Verständigung― (vgl. Handschuck/Klawe
2004), das Ansätze aus der Wirtschaft für die kommu-
nale und Soziale Arbeit adaptiert hat, das beteiligungs-
orientiert mit den Betroffenen erarbeitet und ausprobiert
wurde und das inzwischen mit seiner „Philosophie― die
Fortbildungsgrundsätze der Stadt bestimmt. Die Fortbil-
dungsangebote wurden sehr bald für den gesamten
Sozialbereich geöffnet.
Ähnlich haben die Erfahrungen und Erfolge interkultu-
reller Öffnungsprozesse des Jugendamtes anregend
auf die gesamte Sozialverwaltung gewirkt mit dem
Ergebnis, dass seit Ende der 1990er Jahre gemeinsam
interkulturelle Zielsetzungen für alle Ämter der Sozial-
verwaltung verfolgt werden. Die interkulturelle Orientie-
rung und Öffnung galt für alle Arbeitsbereiche und Ebe-
nen von den Kinderkrippen über die sozialen Dienste
bis zur Altenhilfe sowie für Beschäftigte an der Basis
wie für die Führungsebene. Das Fortbildungsprogramm
ist inzwischen für alle MitarbeiterInnen verbindlich und
wird bis etwa 2012 alle rund 1.900 Beschäftigten der
dezentralen Sozialbürgerhäuser einschließlich der
MitarbeiterInnen der Arbeitsgemeinschaft für Beschäfti-
gung (ARGE) erreicht haben. Das zunehmende inter-
kulturelle Profil des Sozialreferates hatte 2003 dann
auch die Ansiedlung der stadtweit verantwortlichen
„Stelle für interkulturelle Arbeit― im Sozialreferat zur
Folge. Seither ist das Sozialreferat stadtweit federfüh-
rend für Integrationspolitik und interkulturelle Öffnungs-
prozesse.
Die Entwicklung eines interkulturellen
Integrationskonzepts
Die wichtigste Aufgabe der Stelle war es zunächst, die
integrationspolitische Lücke zu schließen, die Kommu-
nalpolitik und Kommunalverwaltung hatten entstehen
lassen: die Erarbeitung eines aktuellen Integrationskon-
zeptes. Nach einem gemeinsamen Prozess mit allen
109 DOSSIER Positive Maßnahmen
städtischen Fachreferaten und nach einer intensiven
Öffentlichkeitsbeteiligung ist 2008 das „Interkulturelle
Integrationskonzept der Landeshauptstadt München―
(Landeshauptstadt München 2008) vom Stadtrat ein-
stimmig beschlossen worden. Damit liegt ein verbindli-
cher Rahmen mit einer klaren Zielsetzung, mit gemein-
samen Visionen und Grundsätzen, einer einheitlichen
Definition von Integration, mit Beteiligungs- und Koordi-
nationsstrukturen sowie mit eindeutigen Umsetzungs-
aufträgen vor (vgl. Sorg/ Szoldatits 2009). Die Ressour-
cen für die Umsetzung wurden auf sechs zentrale
Handlungsfelder gebündelt. Exemplarisch zeigen „Leit-
projekte―, wie das Integrationskonzept umgesetzt wer-
den kann. Zentrales Leitprojekt ist die „Interkulturelle
Orientierung und Öffnung der Stadtverwaltung und der
städtischen Einrichtungen―.
Interkulturelle Öffnung und interkulturelle Orientierung
Unter interkultureller Orientierung wird eine sozialpoliti-
sche Strategie verstanden, die Fragen der Anerken-
nung, der sozialen Gerechtigkeit, der Gleichstellung,
der Inklusion in die Teilsysteme der Gesellschaft, der
gesellschaftlichen Integration sowie der Teilhabe an
Entscheidungsprozessen aufgreift. Interkulturelle Orien-
tierung bedeutet eine sozialpolitische Haltung von Insti-
tutionen und Personen, die anerkennt, dass in jeder
Gesellschaft unterschiedliche Gruppen mit unterschied-
lichen Interessen leben. Das Verhältnis zwischen
Mehrheit und Minderheit ist dabei immer auch als
Machtverhältnis zu reflektieren. Neben diesen sozialpo-
litischen Grundsätzen, die die Veränderung von Institu-
tionen in der Einwanderungsgesellschaft erfordern, gibt
es auch ganz praktische, für jede Institution gewinn-
bringende Erwägungen: zum Beispiel die Kompetenzen
neuer MitarbeiterInnengruppen für die Neuausrichtung
von Organisationen zu nutzen, für neue KundInnen-
oder NutzerInnengruppen attraktiv zu sein oder dem
Fachkräftemangel entgegen zu wirken.
Interkulturelle Öffnung meint die Umsetzung der inter-
kulturellen Orientierung und zielt darauf ab, bestehende
Strukturen kritisch zu analysieren, auf Ausgrenzungs-
mechanismen hin zu untersuchen und daraus Ziele
sowie konkrete Maßnahmen abzuleiten. Sie ist
Querschnittspolitik, das heißt, sie ist auf allen Hier-
archieebenen und in allen Arbeitsfeldern umzusetzen.
Die Steuerungsverantwortung in Organisationen bein-
haltet zu prüfen, ob alle Maßnahmen, Projekte und
Einrichtungen Vielfalt berücksichtigen. Methodisch ist
interkulturelle Öffnung durch Qualitäts- und Organisati-
onsentwicklung umzusetzen. In München hat sich die
Verzahnung mit dem Modell der Neuen Steuerung
bewährt. Teil der Gesamtstrategie ist die interkulturelle
Qualifizierung von Fach- und Verwaltungskräften.
Die Umsetzung des interkulturellen Integrations-konzepts
Die Umsetzung des interkulturellen Integrationskonzep-
tes wurde als top-down-Prozess angelegt, da ohne die
Unterstützung der Referatsspitzen keine nachhaltige
Veränderung möglich ist. Hierfür wurde den Referaten
ein einheitliches Vorgehen vorgeschlagen, das jedoch
an die Voraussetzungen in jedem Referat angepasst
werden konnte. Zunächst hat die Stelle für interkulturel-
le Arbeit das Integrationskonzept in den Führungsgre-
mien fast aller Referate präsentiert. Daran schloss sich
ein Strategieworkshop an, der von der Stelle für inter-
kulturelle Arbeit moderiert wurde und an dem alle Abtei-
lungsleitungen teilgenommen haben. In diesen Work-
shops wurde zunächst eine Bestandsaufnahme durch-
geführt, da davon auszugehen war, dass in jedem Re-
ferat bereits erste Ansätze, teilweise auch bewährte
Strategien vorhanden waren. Anschließend wurden die
wichtigsten Handlungsbereiche identifiziert und ein
Umsetzungsfahrplan mit Zielen und Maßnahmen er-
stellt. Die Stelle für interkulturelle Arbeit berät, unter-
stützt und kooperiert bei den vereinbarten Maßnahmen
und gibt - soweit möglich - finanzielle Unterstützung.
Sie ist für die Steuerung des Gesamtprozesses verant-
wortlich. Die Verantwortung für die Umsetzung des
Integrationskonzepts liegt bei den Referaten.
Neben den Strategieworkshops haben sich im weiteren
Verlauf Jahresgespräche zwischen der jeweiligen Refe-
ratsspitze und der Stelle für interkulturelle Arbeit, in
denen jährlich Ziele und Maßnahmen besprochen wer-
den, sowie eine eintägige interkulturelle Fortbildung mit
allen Amtsleitungen bewährt. Es ist vorgesehen, diese
beiden zusätzlichen Umsetzungsbausteine zukünftig in
allen Referaten einzuführen und bei der Vorlage des
ersten Integrationsberichtes Anfang 2011 vom Stadtrat
für alle verbindlich beschließen zu lassen.
Das Personalmanagement hat Auswirkungen auf die
gesamte Stadtverwaltung, daher wird auf die interkultu-
relle Öffnung dieses Bereichs in München besonderer
Wert gelegt. Prozesse der interkulturellen Öffnung
haben schon lange vor Inkrafttreten des AGG begon-
nen. Das AGG hat mit seinen Diskriminierungsverboten
und der Möglichkeit „Positiver Maßnahmen― nach § 5
AGG vielen dieser Bemühungen erstmals ansatzweise
DOSSIER Positive Maßnahmen 110
eine rechtliche Grundlage gegeben. Wenn im Folgen-
den die interkulturelle Öffnung des Münchner Perso-
nalmanagements als Gesamtkonzeption beschrieben
wird, wird zugleich deutlich, wie sehr die einzelnen
Maßnahmen geeignet sind, bestehende Benachteili-
gungen insbesondere junger Menschen mit Migrations-
hintergrund auszugleichen und künftig zu verhindern.
Es werden bereits umgesetzte sowie geplante Maß-
nahmen im Personalmanagement vorgestellt.
Interkulturelles Personalmanagement
Personalmarketing
Die Stadt München nutzt alle Möglichkeiten modernen
Marketings, um sich als attraktive, von Vielfalt geprägte
Arbeitgeberin darzustellen. Es soll vermittelt werden,
dass Vielfalt als Bereicherung verstanden wird und
BewerberInnen aus allen gesellschaftlichen Gruppen
erwünscht sind. Dies drückt sich sowohl in der Sprache
als auch in den ausgewählten Bildern aus, welche die
Verschiedenheit der für die Stadt München arbeitenden
Menschen aufgreifen ohne dabei klischeehaft zu wir-
ken. Die Grundlage bildet die „Arbeitgebermarke―, die
das Personal- und Organisationsreferat 2009 einführte.
Sie ist ein Marketinginstrument, das dabei helfen soll,
die Stadt München als interessante Arbeitgeberin dar-
zustellen, von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt
positiv abzuheben und damit als „Marke― zu etablieren.
BewerberInnen können sich online in einer Präsentation
über fünf zentrale Aspekte bzw. Werte, welche die
Tätigkeit bei der Stadt München auszeichnen, informie-
ren. Ein Aspekt davon ist „Vielfalt―. Es wird die von
Vielfalt, Offenheit, Respekt und Anerkennung geprägte
Unternehmenskultur der Stadt präsentiert und Chan-
cengleichheit von Frauen und Männern, unabhängig
von ihrer sexuellen Identität, von Alter, Behinderung,
Hautfarbe, Religion sowie kultureller und sozialer Her-
kunft als besonderes Anliegen dargestellt.
Der hier beschriebene Gedanke spiegelt sich in allen
Personalmarketinginstrumenten der Stadt München
wider, sei es bei der Gewinnung von ErzieherInnen
oder IT-Fachkräften, sei es bei der Anwerbung von
Nachwuchskräften.
Personalgewinnung
Gewinnung von Nachwuchskräften mit
Migrationshintergrund
Mit dem städtischen Integrationskonzept wurde auch
das Leitprojekt „Ausbildung bei der Landeshauptstadt
München - Interkulturelle Kompetenz erwünscht― verab-
schiedet. Mit diesem Projekt sollen zum einen mehr
Jugendliche mit Migrationshintergrund als Nachwuchs-
kräfte gewonnen, zum anderen soll die interkulturelle
Kompetenz aller Nachwuchskräfte gefördert werden.
Drei zentrale Bausteine wurden seither umgesetzt, die
im Folgenden näher beschrieben werden:
- ein für Nachwuchskräfte verändertes Auswahlver-
fahren,
- ein neues Ausbildungsmarketing sowie
- die Fortbildung „Vielfalt macht´s möglich―.
Verändertes Auswahlverfahren: Die Stadt München
bietet jährlich mindestens 270 neue Ausbildungsplätze
an; 780 Nachwuchskräfte befinden sich ständig in Aus-
bildung. Bereits 2006 hat die Ausbildungsabteilung des
Personal- und Organisationsreferats ein neues Aus-
wahlverfahren für Nachwuchskräfte eingeführt und
damit einem veränderten Anforderungsprofil für städti-
sche Beschäftigte mit stärkerer Kunden- und Dienstleis-
tungsorientierung Rechnung getragen. Das neue Ver-
fahren wurde gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-
Universität entwickelt. Getestet werden fachliche, me-
thodische, soziale und persönliche Kompetenzen. Letz-
tere haben im Vergleich zum früheren Auswahlverfah-
ren eine weitaus größere Bedeutung, wodurch nicht
mehr allein die Zeugnisnoten entscheidend sind. Mehr-
sprachige BewerberInnen können zusätzliche Punkte
gewinnen. Das Auswahlverfahren umfasst eine Selbst-
beschreibung, eine Gruppendiskussion sowie ein struk-
turiertes Einzelinterview und beinhaltet u.a. ein Fallbei-
spiel, das auf die interkulturelle Kompetenz der Interes-
senten abzielt. Für jede/n BewerberIn wird ein persönli-
ches Profil erstellt, aus dem die Eignung für den von
ihr/ihm angestrebten Ausbildungsberuf hervorgeht.
Neues Ausbildungsmarketing: Das Ausbildungsmarke-
ting möchte die Botschaft „Vielfalt erwünscht― vermit-
teln. Dies wird vor allem durch die Bildersprache erzielt.
Zudem sollen ansprechende Slogans wie z.B. „Du ar-
beitest nicht für jeden? Dann arbeite doch für alle― oder
„Du willst nicht nur für Geld arbeiten? Sondern auch für
Menschen?― Jugendliche für eine Tätigkeit bei der Stadt
interessieren. Mehrere Initiativen wurden gestartet, um
insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund zu
gewinnen. So z.B. die Werbekampagne „Die Welt lernt
bei der Stadt― für das Berufsinformationszentrum der
Arbeitsagentur München, die später durch das neue
Ausbildungsmarketing abgelöst wurde, sowie mehrere
111 DOSSIER Positive Maßnahmen
Interviews mit dem Personal- und Organisationsreferen-
ten in der türkischen Zeitschrift „Sultans Magazin―. Der
Münchner Ausländerbeirat fungiert als Multiplikator und
macht bei Mitgliedern und Vereinen Werbung für die
Ausbildung bei der Stadt. Bei öffentlichen Veranstaltun-
gen oder in Schulen, wo sich die Ausbildungsabteilung
präsentiert, sind nach Möglichkeit immer auch Nach-
wuchskräfte mit Migrationshintergrund vertreten.
Fortbildung „Vielfalt macht´s möglich―: Die Fortbildungs-
reihe „Vielfalt macht´s möglich― wurde speziell für alle
Nachwuchskräfte der Stadt München entwickelt und
umfasst in drei bis vier Projekttagen, die über die ge-
samte Ausbildungszeit verteilt sind, die Module „Ach-
tung(+)Toleranz― sowie „Interkulturelle Verständigung―.
Ziele sind das Bewusstwerden des eigenen kulturellen
Hintergrunds, das Erfahren von Grenzen und das Aus-
halten von Widersprüchlichkeiten sowie das Feststellen
von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Neben klas-
sischen Seminarmethoden finden Gespräche mit Mitar-
beiterInnen der Ausländerbehörde, Besuche von Asyl-
bewerberInnenunterkünften sowie Führungen in einer
Moschee, der Synagoge oder den interkulturellen Gär-
ten statt.
Neue Bachelor-Studiengänge
Nicht-EU-Staatsangehörige haben seit Kurzem die
Möglichkeit, über zwei neu geschaffene Bachelor-
Studiengänge den Zugang zum Gehobenen Dienst zu
bekommen. Dies war ihnen vorher verwehrt, da dieser
bisher nur über die Beamtenlaufbahn und somit nur für
EU-Staatsangehörige möglich war. In Kooperation mit
der Fachhochschule für angewandtes Management in
Erding wurde 2008 der duale Studiengang Betriebswirt-
schaft mit Schwerpunkt Public Management eingerich-
tet. Studierende, die den Zugang erhalten, absolvieren
in Anlehnung an das duale Ausbildungssystem ein
Hochschulstudium und arbeiten gleichzeitig in wech-
selnden Aufgabenbereichen bei der Stadt München.
Die Kosten für den Studiengang sowie für das Gehalt
werden von der Stadt München übernommen. Ähnli-
ches gilt für den Studiengang Informatik an der Hoch-
schule für angewandte Wissenschaften in München.
Wirkung der durchgeführten Maßnahmen
Die beschriebenen Maßnahmen zeigen Wirkung. Bei
allen Nachwuchskräften wird zu Beginn der Ausbildung
anonym und freiwillig der Migrationshintergrund erho-
ben. Der Anteil der Nachwuchskräfte mit Migrationshin-
tergrund konnte seit 2006 von 11,6 Prozent auf 16,2
Prozent in 2009 gesteigert werden. In 2007 lag der
Anteil bereits bei 17,9 Prozent. In einzelnen Ausbil-
dungsberufen liegt er weit höher: bei den Auszubilden-
den zur/zum Verwaltungsfachangestellten in 2009 bei
25 Prozent (2008: 40 Prozent), bei den Kaufleuten für
Bürokommunikation sogar bei 34,5 Prozent (2008:
31,58 Prozent). Bis 2005 wurden die Zahlen nur nach
ausländischer Staatsangehörigkeit erhoben. Damals lag
der Anteil der ausländischen Jugendlichen bei 1,9 Pro-
zent bzw. bei 6,4 Prozent ohne Beamtenlaufbahnen.
Die Zahlen zeigen zum einen, dass gezielte Maßnah-
men zur Anwerbung neuer MitarbeiterInnengruppen
Erfolge mit sich bringen. Zum anderen machen sie
deutlich, dass der eingeschlagene Weg weiter fortzu-
setzen ist, um noch mehr Nachwuchskräfte mit Migrati-
onshintergrund zu gewinnen.
Gewinnung von Beschäftigten mit Migrationshintergrund
Die positiven Erfahrungen bei den Nachwuchskräften
sollen in den nächsten Jahren auf alle Beschäftigten
übertragen werden. Dass dies dringend notwendig ist,
zeigt ein Blick auf die Zahlen. Der Stadt München lie-
gen - außer bei den Nachwuchskräften - nur Zahlen
nach ausländischer Staatsangehörigkeit vor. Der Migra-
tionshintergrund kann nur auf freiwilliger und anonymer
Basis erhoben werden. Eine vollständige Erfassung
aller MitarbeiterInnen wäre mit sehr viel Aufwand ver-
bunden und wurde bisher nicht in Angriff genommen.
Hierfür müsste ein Verfahren entwickelt werden, das
alle 30.000 Beschäftigten erreicht und ihnen verständ-
lich macht, warum diese Angaben erhoben werden, um
Vorbehalte z.B. hinsichtlich Stigmatisierung abzubauen.
Nur ein möglichst hoher Rücklauf würde zu verlässli-
chen Ergebnissen führen. Hochrechnungen wären bei
zu geringem Rücklauf nicht möglich.
Im Jahre 2009 arbeiteten in der Münchner Stadtverwal-
tung insgesamt 9,9 Prozent MitarbeiterInnen mit aus-
ländischer Staatsangehörigkeit. Eine Differenzierung
nach BeamtInnen und Tarifbeschäftigten verändert den
Eindruck erheblich. Bei den Tarifbeschäftigten liegt der
Anteil bei 17,2 Prozent Mitarbeitenden mit ausländi-
scher Staatsangehörigkeit. Im Bereich der BeamtInnen
ist ihr Anteil mit 0,4 Prozent verschwindend gering, was
daran liegt, dass aus rechtlichen Gründen grundsätzlich
nur Deutsche und EU-BürgerInnen verbeamtet werden
können. Dennoch könnte der Anteil der EU-
Staatsangehörigen in dieser Gruppe höher sein. Es ist
davon auszugehen, dass die Zahlen nach Migrations-
DOSSIER Positive Maßnahmen 112
hintergrund in beiden Bereichen (Tarif und BeamtInnen)
höher liegen. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen
fällt auf, dass ausländische Beschäftigte überwiegend
in gering qualifizierten Bereichen tätig sind. In München
- aber auch in allen anderen Verwaltungen deutscher
Großstädte - besteht also ein hoher Handlungsbedarf.
Ausgewählte Maßnahmen zur besseren Gewinnung von Beschäftigten mit Migrations-hintergrund
Stärkere Gewichtung der interkulturellen Kompe-tenz in der Personalgewinnung und -entwicklung
Um mehr Beschäftigte mit Migrationshintergrund zu
gewinnen und die interkulturelle Kompetenz aller Be-
schäftigten insbesondere bei Führungskräften zu erhö-
hen, hat der Münchner Stadtrat 2009 verschiedene
Maßnahmen beschlossen, die das Personal- und Orga-
nisationsreferat und die Stelle für interkulturelle Arbeit
u.a. mit dem Projekt „Interkulturelle Kompetenz― umset-
zen werden. Interkulturelle Kompetenz und Mehrspra-
chigkeit werden in Stellenausschreibungen zukünftig,
wo für die Arbeit notwendig, verstärkt gefordert werden.
Voraussetzung hierfür ist die Möglichkeit, diese Kompe-
tenz bei der Personalauswahl einschätzen bzw. erfas-
sen zu können.
Hierfür hat die Stelle für interkulturelle Arbeit eine wis-
senschaftliche Ausschreibung vorbereitet, um gemein-
sam mit ExpertInnen aus dem Bereich der interkulturel-
len Kommunikation sowie der Personalauswahl und
-entwicklung geeignete Instrumente und Verfahren für
die Erfassung interkultureller Kompetenz in den Berei-
chen Personalauswahl, Dienstliche Beurteilung und
Assessment Center (Potenzialförderseminare) zu ent-
wickeln. Zunächst wird es darum gehen, sich auf eine
für die Stadt München geeignete Definition von interkul-
tureller Kompetenz zu einigen. Hierbei steht nicht die
z.B. in Wirtschaftsunternehmen bei Auslandsentsen-
dung erforderliche Kompetenz für ein bestimmtes Ziel-
land im Vordergrund. Es geht um einen kompetenten
Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt in einer durch
Zuwanderung geprägten Stadt (in München leben 35,7
Prozent Menschen mit Migrationshintergrund). Im Pro-
jekt sollen Interviews mit städtischen Dienstkräften und
Führungskräften aus ausgewählten Arbeitsbereichen
der Stadt München durchgeführt werden.
Ziel ist es dabei heraus zu filtern, welche interkulturellen
Herausforderungen in den städtischen Referaten in
bestimmten Tätigkeitsbereichen bestehen und was
interkulturelle Kompetenz in diesen Arbeitsfeldern aus-
macht. Die Auswertung der Interviews bietet die Basis
für die weitere Erarbeitung geeigneter Instrumente und
Methoden. Für die Personalauswahl sollen Fragen
entwickelt werden, mit Hilfe derer in Bewerbungsge-
sprächen die interkulturelle Kompetenz der Interviewten
bewertet werden kann. Ein „Bewertungsraster― wird den
für Personalauswahl Zuständigen im Sinne eines Er-
wartungshorizontes für gute Antworten dabei helfen, die
Aussagen der BewerberInnen einzuschätzen. In einem
Leitfaden zur Einschätzung interkultureller Kompetenz
bei der Stellenbesetzung soll auch auf wichtige Aspekte
bei der Bewertung von Bewerbungsunterlagen und der
weiteren Auswahl von BewerberInnen mit Migrations-
hintergrund eingegangen werden.
Durchführung von Potenzialförderseminaren
MitarbeiterInnen der Stadt München, die sich für eine
Führungsaufgabe interessieren, haben bei der Stadt
München die Möglichkeit, an einem „Potenzialförder-
seminar― teilzunehmen, das in Form eines Assessment
Centers stattfindet. Auch hier wird in Zukunft interkultu-
relle Kompetenz erfasst werden. Hierfür werden Fra-
gen, Übungen und Aufgaben inklusive Bewertungsbö-
gen entwickelt, mit denen die interkulturelle Kompetenz
der TeilnehmerInnen beurteilt werden kann. Das Projekt
„Interkulturelle Kompetenz― mit den Bausteinen Perso-
nalauswahl, Dienstliche Beurteilung (siehe Personal-
entwicklung - Dienstliche Beurteilung) und Assessment
Center wird voraussichtlich im Mai 2011 abgeschlossen
sein.
Antidiskriminierungszusatz bei Stellen-ausschreibungen
In ihren Stellenausschreibungen verwendet die Lan-
deshauptstadt München seit 1999 folgenden „Antidis-
kriminierungszusatz―: „Die Landeshauptstadt München
fördert aktiv die Gleichstellung aller Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter. Wir begrüßen deshalb Bewerbungen
von Frauen und Männern, unabhängig von deren kultu-
reller und sozialer Herkunft, Alter, Religion, Weltan-
schauung, Behinderung oder sexueller Identität.
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber wer-
den bei gleicher Eignung unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls bevorzugt.― Damit wird ein
Signal gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz gegeben.
Es drückt aus, dass Bewerbungen aus allen gesell-
schaftlichen Gruppen willkommen sind und fördert die
Attraktivität der Stadt München als potentielle Arbeitge-
berin. Über diesen Zusatz bei den Stellenausschrei-
bungen hinaus hat die Stadt München 2005 eine Anti-
113 DOSSIER Positive Maßnahmen
diskriminierungsvereinbarung abgeschlossen, die für
alle städtischen Beschäftigten gilt und in der u.a. Kon-
sequenzen für den Fall einer Diskriminierung benannt
werden.
Personalentwicklung
Dienstliche Beurteilung
Nicht nur bei der Besetzung neuer Stellen wird zukünf-
tig interkulturelle Kompetenz gefordert und beurteilt.
Auch in der alle vier Jahre stattfindenden Dienstlichen
Beurteilung wird von den Führungskräften neben weite-
ren Kompetenzen wie z.B. Teamfähigkeit oder Gender-
kompetenz, zukünftig interkulturelle Kompetenz bewer-
tet werden. Damit Führungskräfte diese Kompetenz
beobachten und einschätzen können, wird eine „Beur-
teilungshilfe― erstellt werden, die sowohl auf die Bewer-
tung interkultureller Kompetenz bei allen Beschäftigten
als auch auf die Beurteilung von Beschäftigten mit
Migrationshintergrund eingehen wird. Dies ist ein weite-
rer Baustein des bereits beschriebenen Projekts „Inter-
kulturelle Kompetenz―.
Fort- und Weiterbildung
Interkulturelle Fortbildungen stellen eine wesentliche
Maßnahme im Rahmen der Umsetzung des Münchner
Integrationskonzepts dar. Sie werden vom Pädagogi-
schen Institut, vom Personal- und Organisationsreferat
und von der Stelle für interkulturelle Arbeit durchgeführt.
Hierbei ist es wichtig, stadtweit nach demselben Kon-
zept mit einheitlichen Standards vorzugehen. Um dies
zu erreichen, sind von der Stelle für interkulturelle Ar-
beit gemeinsam mit dem Personal- und Organisations-
referat „Qualitätsstandards für interkulturelle Fortbildun-
gen― erarbeitet und im Arbeitsgremium Integration ver-
abschiedet worden, in dem VertreterInnen fast aller
städtischen Referate sitzen. In diesen Standards sind
die wichtigsten Inhalte dieser Fortbildungen festgelegt.
Teilnehmende sollen in den Trainings, die sich am be-
reits erwähnten Konzept „Interkulturelle Verständigung―
orientieren, für den Umgang mit gesellschaftlicher Viel-
falt sensibilisiert werden, die eigene Sozialisation bzw.
Rolle als städtische/r MitarbeiterIn und unbewusste
Ausgrenzungsmechanismen reflektieren sowie interkul-
turelles Wissen aufbauen. In den Standards wird neben
den Inhalten auf wichtige Schritte bei der Konzepterstel-
lung und Vorbereitung von interkulturellen Fortbildun-
gen eingegangen, und es werden Voraussetzungen be-
nannt, die geeignete TrainerInnen mitbringen müssen.
Strategieprojekt Bildungsplanung
Das Personal- und Organisationsreferat hat 2009 das
„Strategieprojekt Bildungsplanung― durchgeführt. Ziel
des Projekts war es, vorausschauend Fortbildungsbe-
darfe zu planen und an den Herausforderungen einer
modernen Stadtverwaltung auszurichten. Als ein wichti-
ger Fortbildungsbereich wurden interkulturelle Fortbil-
dungen benannt und Arbeitsbereiche identifiziert, in de-
nen fehlende interkulturelle Kompetenz zu schlechterer
Arbeitsqualität führt wie zum Beispiel in der Ausländer-
behörde oder in der Bezirkssozialarbeit. Im Sinne von
Good-Practice-Beispielen wurden interkulturelle Fortbil-
dungskonzepte für bestimmte Arbeitsbereiche wie z.B.
Kundenorientierung in der Friedhofsverwaltung oder
Konfliktmanagement in der Ausländerbehörde erstellt.
Interkulturelle Fortbildungen
Aus dem oben beschriebenen Projekt „Interkulturelle
Kompetenz― wird neuer Fortbildungsbedarf entstehen.
Denn wie sollen BeobachterInnen in Assessment Cen-
tern, für Personalauswahl und -entwicklung Zuständige
oder Führungskräfte interkulturelle Kompetenz bewer-
ten können, ohne selbst interkulturell kompetent zu
sein? Der Besuch einer interkulturellen Fortbildung
kann hierzu beitragen.
Die Stelle für interkulturelle Arbeit hat einen Pool an
geeigneten interkulturellen TrainerInnen zusammen
gestellt, der Ende 2010 in einem gemeinsamen Markt-
erkundungsverfahren mit dem Personal- und Organisa-
tionsreferat ausgebaut werden wird. Im bereits vorhan-
denen TrainerInnenpool sind auch vier städtische Be-
schäftigte des Sozialreferats. Ihnen wurde eine einein-
halbjährige, berufsbegleitende Weiterbildung zur/zum
interkulturellen TrainerIn bezahlt. Die Vorteile liegen auf
der Hand: interne FortbildnerInnen kennen die Arbeits-
bereiche ihrer Teilnehmenden besser als externe und
sind zudem kostengünstiger, auch wenn zunächst in
deren Ausbildung investiert werden muss. Diese Über-
legungen haben dazu geführt, vier weitere Mitarbeite-
rInnen ausbilden zu lassen.
Nicht nur Beschäftigte mit direktem KundInnenkontakt
oder konzeptionell Verantwortliche, sondern auch Füh-
rungskräfte sollten an interkulturellen Fortbildungen
teilnehmen, u.a. um zu erfahren, welches Wissen und
welche Kompetenzen darin vermittelt werden, um dann
die Durchführung der Trainings im eigenen Arbeitsbe-
reich zu unterstützen. Die Spitzenführungskräfte des
Direktoriums (einer Querschnittsbehörde vergleichbar
einem Hauptamt), des Personal- und Organisationsre-
DOSSIER Positive Maßnahmen 114
ferats sowie des Sozialreferats sind in München mit
gutem Beispiel voran gegangen. Weitere Referate wie
zum Beispiel das Kreisverwaltungsreferat (Innenbehör-
de) werden in den nächsten Jahren folgen.
Auch bei den interkulturellen Fortbildungen werden
Fortschritte anhand von Zahlen gemessen. Von 2005
bis 2009 sind 3.104 Personen meist in zweitägigen
Fortbildungen geschult worden, davon 267 Führungs-
kräfte, was in etwa ihrem Anteil an allen Beschäftigten
entspricht.
Nachqualifizierung
Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Ab-
schlüssen ist seit einiger Zeit bundesweit ein stark
diskutiertes Thema in der Integrationsdebatte. Schät-
zungen der Universität Oldenburg zufolge leben in
Deutschland ca. 500.000 zugewanderte AkademikerIn-
nen, deren Abschluss nicht anerkannt wurde. Es kün-
digt sich ein bundesweites Gesetz zur Anerkennung
von ausländischen Abschlüssen an, denn die Wege zur
Anerkennung sind derzeit kompliziert, für Außenste-
hende undurchsichtig und aufwendig. Vorhandene
Potenziale und Kompetenzen hier lebender Menschen
gehen dadurch verloren.
Die Stadt München ist sich dieser Problematik bewusst.
Auch wenn die Spielräume sehr klein sind, wird ver-
sucht, Wege zu finden, die dabei helfen, Menschen mit
ausländischer, nicht anerkannter Qualifikation eine
bessere Beschäftigungsperspektive zu geben. Der
Bereich der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen
ist ein Beispiel hierfür. Durch die Einführung des Baye-
rischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes wurde
eine erheblich flexiblere Anerkennung von ausländi-
schen Berufs- und Studienabschlüssen möglich, die
sich auch die Stadt München zunutze macht. Zusätzlich
bietet sie Interessierten einen einjährigen, kostenlosen
Lehrgang an, der auf die Externenprüfung an der Fach-
akademie vorbereitet. BewerberInnen, deren Berufsab-
schluss nicht anerkannt ist, werden über diese Möglich-
keit der Nachqualifizierung informiert. Dieser Weg wird
tatsächlich beschritten, was auch durch Schnupperwo-
chenenden zur Personalgewinnung in Kindertagesein-
richtungen, die das Personal- und Organisationsreferat
seit 2009 anbietet, befördert wird.
In Arbeitsbereichen, in denen Beschäftigte unterhalb
ihres Qualifikationsniveaus arbeiten, jedoch Entwick-
lungsmöglichkeiten bestehen, werden über betriebsin-
terne Programme Qualifizierungsmaßnahmen durchge-
führt. Dies betrifft vor allem gewerblich-technische Be-
reiche im Baureferat und dem Abfallwirtschaftsbetrieb.
Fazit: Erfolgsfaktoren
Die zahlreichen Maßnahmen des interkulturellen Per-
sonalmanagements der Stadt München wurden bei den
von der Bundesregierung deutschlandweit ausgelobten
Wettbewerben „Vielfalt in der Ausbildung― und „Vielfalt
am Arbeitsplatz― im Rahmen der Kampagne „Vielfalt als
Chance― von Staatsministerin Prof. Böhmer mit Platz 1
und Platz 2 in der Kategorie öffentliche Verwaltung
prämiert.
Interkulturelle Orientierung und Öffnung sind politisch
zu weithin anerkannten Paradigmen geworden. Über
Ziele und Instrumente scheint Einigkeit zu bestehen, so
dass häufig eine Bestimmung der Begriffe und eine
Reflexion des Vorgehens bei der Umsetzung nicht mehr
ausreichend erfolgen. Interkulturelle Öffnung stellt aber
eine komplexe und integrierte Strategie dar, die dann
erfolgreich ist, wenn sie dafür grundlegende Erfolgsfak-
toren berücksichtigt. Das sind nach den Münchner
Erfahrungen im Wesentlichen die folgenden:
- Interkulturelle Orientierung und Öffnung müssen
als kommunale Veränderungsprozesse politisch
gewollt sein und sollten von einer breiten politi-
schen Mehrheit in den parlamentarischen Gremien
mitgetragen werden.
- Interkulturelle Öffnung ist ein strategischer Ansatz
im Rahmen eines integrationspolitischen Gesamt-
konzeptes, das als Organisations-, Personal- und
Qualitätsentwicklungsprozess zu verstehen ist und
wofür es ausreichend Zeit, Wissen und finanzielle
Ressourcen braucht.
- Interkulturell orientierte Organisationsentwicklung
ist die wesentliche Grundlage von interkulturellen
Öffnungsprozessen. Die Umsetzung liegt in der
Verantwortung der Leitung und kann nicht von au-
ßen erfolgen. Der Veränderungsprozess muss als
gemeinsamer Lernprozess einer Institution organi-
siert werden, um nachhaltige Wirkungen zu erzie-
len.
- Interkulturelle Orientierung und Öffnung ist Quer-
schnittpolitik und betrifft alle Bereiche und Ebenen
einer Organisation. Sie ist Führungsaufgabe „top
down―, kann aber nur mit der Mitarbeiterschaft
„bottom up― realisiert werden.
- Interkulturell orientierte Personalentwicklung ist ein
unabdingbares, aber nicht hinreichendes Element
von interkultureller Öffnung. Sie verfolgt die Ziele,
115 DOSSIER Positive Maßnahmen
Menschen mit Migrationshintergrund als Beschäf-
tigte zu gewinnen sowie alle MitarbeiterInnen
interkulturell zu qualifizieren. Interkulturelle Trai-
nings, die festen Standards entsprechen müssen,
sind dafür ein anerkanntes Lernformat.
- Interkulturelle Öffnung bedarf einer zentralen insti-
tutionellen Absicherung in der Organisation (z.B.
einer Stelle für interkulturelle Arbeit) und ist erfolg-
reich in vernetzten Strukturen (wie institutionali-
sierten Gremien), die die Koordination der Prozes-
se nach innen und nach außen gewährleisten.
Gleichzeitig muss die Verantwortung für die Um-
setzung dezentral in den einzelnen Referaten (De-
zernaten) liegen.
- Interkulturelle Öffnung ist als partizipativer Prozess
zu gestalten. Das gilt nach innen in die Organisati-
on hinein im Blick auf die MitarbeiterInnen und
nach außen für die Beteiligung von Menschen mit
Migrationshintergrund und ihrer Organisationen.
Interkulturelle Orientierung und Öffnung stellen – ver-
gleichbar mit Diversity Management – in einem weiten
Verständnis ein Gesamtkonzept zur Anerkennung und
Förderung von Vielfalt dar (vgl. Franke/Merx 2007:
238), mit dem Ziel der Gleichbehandlung u.a. durch
positive Maßnahmen und durch den Abbau diskriminie-
render Strukturen. Der Ansatz bietet damit einen strate-
gischen Anknüpfungspunkt an § 5 AGG, was bisher
noch zu wenig genutzt wird.
Perspektiven: Offene Fragen
In München sind vor dem Hintergrund einer langjähri-
gen Entwicklung interkulturelle Orientierung und Öff-
nung als Haltung und Umsetzungsstrategie für die
gesamte Stadtverwaltung verbindlich. Tatsächlich wer-
den sie in vielen Bereichen aktiv realisiert, und gerade
das Personalmanagement hat sich zum Teil vorbildlich
und anerkannt interkulturell geöffnet. Dennoch bleiben
viele Herausforderungen bestehen. Diese Aufgaben
sollen im Folgenden wenigstens angesprochen und als
offene Fragen formuliert werden. Antworten müssen in
der Zukunft noch gefunden werden.
Attraktivität als Arbeitgeberin
Obwohl es zunehmend qualifizierte junge Menschen mit
Migrationshintergrund gibt, die für kommunale Verwal-
tungen interessante MitarbeiterInnen wären, finden
noch zu wenige den Weg in die öffentliche Verwaltung.
Was kann getan werden, um die Kommune als Arbeit-
geberin attraktiv zu machen? Wie können Personal-
auswahlverfahren so gestaltet werden, dass mehr Be-
werberInnen mit Migrationshintergrund gewonnen wer-
den und was muss veranlasst werden, um diese dann
als Beschäftigte zu halten?
Aufstiegsförderung
Auch wenn erfreulicherweise die Mitarbeiterschaft mit
Migrationshintergrund in Kommunen jenseits von un-
qualifizierten Tätigkeiten allmählich steigt, zeigt sich
doch, dass es bisher nur wenige geschafft haben, in
das mittlere oder gar höhere Management aufzustei-
gen. Was muss unternommen werden, um Aufstiegs-
chancen und damit auch die Attraktivität der Kommune
als Arbeitgeberin zu erhöhen?
PatInnen- und MentorInnenprogramme sowie Netzwerke
Im Rahmen von Frauenförderung oder als Aspekt von
Gender Mainstreaming sind Mentorinnenprogramme
erfolgreich. In der Bildungsförderung werden gute Er-
fahrungen mit Patenschaften gemacht, insbesondere
mit PatInnen, deren eigener Migrationshintergrund
Beispielscharakter hat. Bei der Umsetzung von
Diversity Management werden neben vielen anderen
Maßnahmen selbst organisierte Interessens- und
Unterstützungsgruppen in Form von Netzwerken z.B.
von Frauen in Führungspositionen gegründet und damit
gute Erfahrungen gemacht. Wie können solche positi-
ven Erfahrungen auf die Gewinnung, Förderung und
Begleitung von Menschen mit Migrationsuntergrund in
der Verwaltung übertragen werden?
Multikulturelle Teams
Teamentwicklung ist in jeder Konstellation eine Heraus-
forderung für Personalführung. Für die Führung multi-
kultureller Teams gilt das in besonderem Maße. Inter-
kulturelle Teamentwicklung und Coaching für Füh-
rungskräfte multikultureller Teams sind wichtige Aufga-
ben, für die es in der Verwaltung noch wenige Erfah-
rungen gibt. Was kann getan werden zur Förderung der
Teamzusammenarbeit und Unterstützung von Füh-
rungskräften?
Literatur
Franke, Bernhard/Merx, Andreas (2007): Positive
Maßnahmen – Handlungsmöglichkeiten nach § 5
AGG. In: Arbeit und Recht, Heft 7-8, 235-239.
Handschuck, Sabine/Klawe, Willy (2004): Interkul-
turelle Verständigung der Sozialen Arbeit. Ein Er-
DOSSIER Positive Maßnahmen 116
fahrungs-, Lern- und Übungsprogramm zum Erwerb
interkultureller Kompetenz. Weinheim und München
Handschuck, Sabine/Schröer, Hubertus (1997):
Interkulturelle Kompetenz und Jugendhilfe. In: Mig-
ration und Soziale Arbeit, Heft 3-4, 42-46.
Handschuck, Sabine/Schröer, Hubertus (2002):
Interkulturelle Orientierung und Öffnung von Orga-
nisationen. Strategische Ansätze und Beispiele der
Umsetzung. In: neue praxis, Heft 2, 511-521.
Landeshauptstadt München, Personal- und Organi-
sationsreferat (2005): Vereinbarung für Chancen-
gleichheit und gegen Diskriminierung in der Ar-
beitswelt. Online unter:
http://www.muenchen.de/cms/prod1/mde/_de/rubrik
en/Rathaus/60_por/14_broschueren/antidiskriminier
ungsvereinbarung2.pdf (Zugriff am 08.12.2010).
Landeshauptstadt München, Personal- und Organi-
sationsreferat (2009): Arbeitgebermarke, unter:
„Landeshauptstadt München als Arbeitgeberin―.
Online unter:
http://www.muenchen.de/cms/prod2/mde/_de/rubrik
en/Rathaus/60_por/AMarke_180808_s.pdf (Zugriff
am 08.12.2010).
Landeshauptstadt München, Sozialreferat/Stelle für
Interkulturelle Arbeit (2008): Interkulturelles Integra-
tionskonzept. Grundsätze und Strukturen der Integ-
rationspolitik der Landeshauptstadt München. Mün-
chen.
Sorg, Uschi/Szoldatits, Franziska (2009): Umset-
zung des Interkulturellen Integrationskonzeptes der
Landeshauptstadt München. In: Migration und So-
ziale Arbeit, Heft 3-4, 179-182.
Dr. Hubertus Schröer war viele Jahre bei der Landes-
hauptstadt München für Fragen der Migration, Integrati-on und interkulturellen Arbeit engagiert und zuletzt Leiter des Stadtjugendamtes München. Er ist jetzt Ge-schäftsführer im Institut Interkulturelle Qualitätsentwick-lung München. Franziska Szoldatits ist Mitarbeiterin der Stelle für
interkulturelle Arbeit der Landeshauptstadt München und dort u.a. Ansprechpartnerin für die interkulturelle Öffnung des Personalmanagements sowie für interkul-turelle Fortbildungen. Sie arbeitet als Referentin für interkulturelle Öffnung, u.a. mit Hubertus Schröer.
117 DOSSIER Positive Maßnahmen
Dragica Horvat / Agnese Papadia
Chancengleichheit im Öffentlichen Dienst: Keine Utopie mehr? Die Kampagne „Berlin braucht dich!―
Die 2006 vom Berliner Integrationsbeauftragten ins
Leben gerufene Kampagne „Berlin braucht dich!― sen-
det zwei integrationspolitische Signale an die Öffent-
lichkeit: Erstens wird die interkulturelle Öffnung des
Öffentlichen Dienstes für einen großen Bevölkerungsteil
– die EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund - als
notwendig und zeitgemäß propagiert, womit ein klares
Bekenntnis zu ihnen erfolgt. Zweitens trägt die Kam-
pagne zur beruflichen Integration von Jugendlichen mit
Migrationshintergrund bei; diese möchte das Land
Berlin für eine Ausbildung gewinnen und ihnen damit
bessere berufliche Chancen eröffnen.
Insofern handelt es sich bei der Kampagne auch um
eine sogenannte „Positive Maßnahme― nach § 5 des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Der
Paragraf erlaubt eine unterschiedliche Behandlung,
wenn dadurch bestehende Nachteile, die z.B. aufgrund
ethnischer Herkunft bestehen, ausgeglichen oder ver-
hindert werden sollen. Da das Vorhaben nicht an den
Defiziten sondern Potenzialen der Jugendlichen an-
setzt, erfahren sie eine kollektive Wertschätzung in der
Öffentlichkeit, was einen großen Motivationsschub
auslösen kann. Das ist sicherlich einer der Gründe,
warum sich die Zahl der Auszubildenden mit Migrati-
onshintergrund im Öffentlichen Dienst seit dem Start
der Kampagne 2006 bis 2009 verdoppelt hat.
Warum „Berlin braucht dich!―?
Der neueste Bildungsbericht der Bundesregierung1
bestätigt erneut, dass der Bildungserfolg in Deutschland
immer noch von der sozialen Herkunft abhängig ist. Die
Statistik zeigt zweierlei: Im Jahr 2008 schlossen von
den männlichen Jugendlichen mit deutschem Pass 77,9
Prozent einen Ausbildungsvertrag ab; bei denen mit
ausländischem Pass waren es dagegen nur 35,4 Pro-
zent. Auch bei den ausländischen Frauen war der Anteil
mit 28,9 Prozent nur halb so hoch wie bei den deut-
schen (58 Prozent) Frauen.2
1 http://www.bildungsbericht.de/daten2010/bb_2010.pdf (Zugriff am 07.12.2010).
2 Vgl. den Artikel Schlechte Chancen für Migranten der Süd-deuschen Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/karriere/bildungsbericht-schlechtere-chancen-fuer-junge-migranten-1.961199 (Zugriff am 07.12.2010).
Dem Bericht zufolge führen offensichtlich selbst gute
formale Voraussetzungen von BewerberInnen mit Mig-
rationshintergrund nicht in gleichem Maße in an-
spruchsvolle Ausbildungsgänge wie bei gleichqualifi-
zierten BewerberInnen ohne Migrationshintergrund.
Unter jungen Menschen mit Migrationshintergrund
zwischen 18 und 21 Jahren befanden sich 2006 36,4
Prozent der Männer und 47,6 Prozent der Frauen we-
der in einer Ausbildung, noch hatten sie eine Ausbil-
dung abgeschlossen. Bei Deutschen ohne Migrations-
hintergrund waren nur 26 Prozent der Frauen und 12
Prozent der Männer in der gleichen Lage (BAMF 2009).
Zum anderen ist festzustellen, dass die ethnische Her-
kunft die Berufswahl stark beeinflusst. Jugendliche mit
Migrationshintergrund konzentrieren sich auf wenige,
gering qualifizierte Ausbildungsberufe. Hier sind die
Frauen am stärksten eingeengt: 51 Prozent der jungen
Frauen mit Migrationshintergrund konzentrieren sich auf
lediglich vier Ausbildungsberufe, während das nur für
30 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund gilt.
(Granato 2004)
Die geringe Ausbildungsquote von Jugendlichen mit
Migrationshintergrund besteht nicht nur in der Privat-
wirtschaft, sondern in einem viel größeren Maße auch
im Öffentlichen Dienst, vor allem in der Verwaltung. Da
hier die Politik die Beschäftigung steuern kann, ist sie in
gleicher Weise gefordert wie ermächtigt, Chancen-
gleichheit in öffentlichen Unternehmen herzustellen. Zu
Beginn der Berliner Kampagne betrug der Anteil Aus-
zubildender mit Migrationshintergrund im Öffentlichen
Dienst nur 8,6 Prozent, während sich der Anteil junger
MigrantInnen an der Bevölkerung inzwischen 40 Pro-
zent annähert. Dazu kommt bei Jugendlichen die all-
gemeine Tendenz hinzu, die Berufsausbildung als keine
attraktive Zukunftsperspektive zu sehen. Und bei Ju-
gendlichen mit Migrationshintergrund ist diese Tendenz
von der demotivierenden Annahme und zum Teil auch
von der Erfahrung gestärkt, dass sie nur geringe Chan-
cen haben, einen qualifizierten Ausbildungsplatz zu
finden.
DOSSIER Positive Maßnahmen 118
„Berlin braucht dich!― als integrations-
politisches Leitprojekt
Mit der Kampagne „Berlin braucht dich!― hat die Integra-
tionspolitik offensiv die Verantwortung und die Vorreiter-
innenrolle für die Förderung der Ausbildung von Ju-
gendlichen mit Migrationshintergrund im öffentlichen
Bereich übernommen. Damit soll der strukturellen Dis-
kriminierung, die im Bildungssystem besteht und sich
auf die Chancen der MigrantInnen auf dem Ausbil-
dungsmarkt auswirkt, begegnet werden.
Die Öffentlichen Behörden und Betriebe richten ihre
Aufmerksamkeit vor allem auf leistungsstarke Schüle-
rInnen. Allerdings wenden sich diese - ob mit oder ohne
Migrationshintergrund - verstärkt weiteren schulischen
Bildungswegen zu und entscheiden sich gegen die
duale Ausbildung. Deshalb ist die Stoßrichtung von
„Berlin braucht dich!― auch vor dem Hintergrund eines
drohenden Nachwuchsmangels in Ausbildungsberufen
im Öffentlichen Dienst zu betrachten. Die demografi-
sche Entwicklung und Fragen der vorausschauenden
Fachkräfte- und Standortpolitik erfordern neue integra-
tionspolitische Akzente. Die Verschiebung des integra-
tionspolitischen Akzents vom sozialpolitischen Blickwin-
kel hin zu einer strukturell verankerten Integrationspoli-
tik erfordert eine kooperative Beleuchtung der Standort-
und der Bildungspolitik sowie der Fachkräftepolitik unter
dem Blickwinkel Integration/Migration. (Kruse 2010) Mit
der Entwicklung von Konzepten zu mittel- und länger-
fristiger Fachkräftesicherung begibt sich die Integrati-
onspolitik aus dem sozial- und ordnungspolitischen
Winkel heraus in den Fokus Zukunftsgestaltung und –
fähigkeit der Stadt.
Bild: Pinar, 22 Jahre, in Berlin geboren, türkische Eltern, deutsche Staatsangehörigkeit, Polizeimeisteranwärterin: „Ich fühle mich nicht als Migrantin, sondern als Deutsch-Türkin―.
Die Kampagne „Berlin braucht dich!― startete 2006,
doch wurde bald deutlich, dass die beachtlichen Erfolge
vorwiegend auf einem sogenannten „Creaming-Effekt―
basierten. Die Kampagne „schöpfte nur diejenigen ab―,
die sich bereits mit dem Thema Ausbildung befasst
hatten. Daraus erkannte man, dass eine Kampagne
allein keine strukturellen Veränderungen bewirken
kann. Integrationspolitisch ist aber eine breite und
nachhaltige Öffnung der dualen Ausbildung im Öffentli-
chen Dienst für Jugendliche mit Migrationshintergrund
intendiert. Hier galt es umzusteuern, um aus der Res-
source „Jugendliche mit Migrationshintergrund― Fach-
kräfte akquirieren zu können. Diese Jugendlichen wer-
den allerdings nur dann erfolgreich eingebunden, wenn
die Attraktivität von Berufsausbildung wächst und die
Berufsorientierung unter qualitativen Aspekten sowie
interkulturell sensibel gestaltet wird. Die Berufsausbil-
dung wird für leistungsstarke Jugendliche mit Migrati-
onshintergrund nur dann zu einer ernsthaften Option,
wenn sie sich als attraktiv erweist, ihre berufliche Ver-
wertung effektiv ist, und durch sie Aufstiegschancen
ermöglicht werden.
Aus der Kampagne „Berlin braucht dich!― ist mittlerweile
ein zentrales integrationspolitisches Vorhaben im Über-
gang Schule-Berufsausbildung entstanden. Dabei hat
das Berufliche Qualifizierungsnetzwerk für Migrantinnen
und Migranten (BQN) Berlin3 als Intermediär im Auftrag
des Berliner Integrations- und Migrationsbeauftragten
die konzeptionelle Federführung übernommen. Um
Nachhaltigkeit und Qualität zu sichern, wurde ein Kon-
sortium als Kompetenzzentrum aufgebaut. Hierbei
handelt es sich um ein breit gespanntes Netzwerk, in
dem integrationspolitisch gewichtige Entscheidungsträ-
gerInnen und ExpertInnen für die Ausbildung im Öffent-
lichen Dienst und in den Landesbetrieben sowie für den
berufsvorbereitenden Unterricht vereint sind. Durch die
Konsortialarbeit entsteht eine verbindliche und fruchtba-
re Zusammenarbeit, wodurch die gestaltende Rolle der
Integrationspolitik und ihr Fokus auf Kooperation her-
vorgehoben werden.
Wie agiert das Konsortium?
Mit umfassender Unterstützung von BQN Berlin und
unter wissenschaftlicher Anleitung entwickeln, planen
und erproben Schulen und Betriebe des Konsortiums in
Planungsworkshops innovative und attraktive Instru-
mente der Berufsorientierung für SchülerInnen mit
3 Siehe die Homepage unter http://www.bqn-berlin.de (Zugriff am 07.12.2010).
119 DOSSIER Positive Maßnahmen
Migrationshintergrund verschiedener Klassenstufen. In
den Workshops verständigen sich Schulen und Betrie-
be zunächst über gegenseitige Erwartungen und Er-
folgsfaktoren einer interkulturell sensiblen Erkundung
der Arbeitswelt. Auf dieser Grundlage entwickeln sie
Konzepte für die Neugestaltung von Betriebskontakten
von der siebten bis zu der zehnten Klasse:
- betrieblicher Erstkontakt in der 7. Klasse;
- einwöchiges Schnupperpraktikum in der 8. Klas-
se;
- dreiwöchiges Betriebspraktikum in der 9. Klasse;
- Bewerbungstraining in der 10. Klasse.
Die schul- und betriebsübergreifende Zusammenarbeit
in den Planungsworkshops eröffnet neue Dimensionen
der Kontaktmöglichkeiten zwischen Schulen und der
Arbeitswelt: Erstens kann sich die Kooperation zwi-
schen Schulen und Betrieben auf die solide und nach-
haltige Basis des Konsortiums stützen. Zweitens erwei-
tert sich dadurch das Berufsspektrum für SchülerInnen
mit Migrationshintergrund. Die Berufswahlentscheidung
der SchülerInnen wird bewusster und kompetenter.
Drittens erhalten die Betriebe den Kontakt zu einem
großen Pool an künftigen Nachwuchskräften, das sie
bis jetzt nicht im Fokus hatten.
Die Kampagne „Berlin braucht dich!― – inzwischen zu
einem integrationspolitischen Leitprojekt angewachsen
- trägt zur strukturellen Verbesserung und Optimierung
des Übergangssystems zwischen Schule und Berufs-
ausbildung bei.
Bild: Cemhan, 29, in Istanbul geboren, deutsche Staatsan-gehörigkeit, bis Anfang 2008 Auszubildender im Bürgeramt Reinickendorf als Fachangestellter für Bürokommunikation: „Deutschland ist mein Bezugsland―.
Eine zentrale Rolle für den Erfolg von „Berlin braucht
dich!― spielt neben der Kooperation im Konsortium die
gezielte Verbreitung der Botschaft in der Fachöffent-
lichkeit, den Schulen, den Betriebe und den
Migrantencommunities. Die Tatsache, dass sich die
öffentlichen Arbeitgeber als Träger von „Berlin braucht
dich!― immer stärker mit dieser Botschaft identifizieren,
markiert das Umdenken im integrationspolitischen Dis-
kurs in der Öffentlichkeit. Zum ersten Mal wurden in
einer Arbeitgeberkampagne Potenziale und Kompeten-
zen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den
Vordergrund gestellt. Dadurch wird der in der Öffent-
lichkeit sowie bei vielen privaten und öffentlichen Ar-
beitgebern weit verbreiteten Meinung entgegengewirkt,
die Benachteiligung Jugendlicher mit Migrationshinter-
grund begründe sich aus ihren Sprach- und Integrati-
onsdefiziten und sei nicht strukturell bedingt.
Ein wichtiges Mittel zur Kommunikation und für die
Verbreitung von „Berlin braucht dich!― ist die Website
des Projekts, http://www.berlin-braucht-dich.de, die
Informationen für die unterschiedlichen Zielgruppen
SchülerInnen, LehrerInnen und öffentliche Arbeitgeber
enthält und somit für den Wissenstransfer genutzt wird.
Bei der Informationsweitergabe wird auf Vorbilder Be-
zug genommen. Erfolgreiche Auszubildende mit Migra-
tionshintergrund werden als BotschafterInnen von „Ber-
lin braucht dich!― mit Fotos, Videos und Zitaten einge-
setzt. Die Zielgruppe der Jugendlichen wird außerdem
immer stärker über soziale Netzwerke und informelle
Kanäle erreicht.
Die Kampagne wirkt
Neben der großen Anerkennung in der Öffentlichkeit
und Politik kann die Kampagne auch auf Ergebnisse
verweisen, die direkt der besseren Integration Jugendli-
cher mit Migrationshintergrund dienen. Die Zahl der
Schulen, die im Konsortium mitarbeiten, ist von 10 auf
35 gestiegen. Immer mehr Betriebe mit Landesbeteili-
gung unterstützen das Ziel von „Berlin braucht dich!―.
Mit den nunmehr insgesamt 5.000 Ausbildungsplätzen
in über 100 Ausbildungs- und Studienberufen wird
Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein breites
Spektrum an attraktiven Ausbildungsmöglichkeiten
eröffnet. Als Ergebnis der ersten vier Jahre hat sich der
Anteil Auszubildender mit Migrationshintergrund bei den
neuen Ausbildungsverträgen im Öffentlichen Dienst
mehr als verdoppelt und lag 2009 bei 19,5 Prozent. Der
Erfolg belegt die Richtigkeit der Strategie von „Berlin
braucht dich!―, doch der Weg zu einem gleichberechtig-
ten Zugang zu qualifizierter Ausbildung für MigrantIn-
nen und Nicht-MigrantInnen ist noch lang.
DOSSIER Positive Maßnahmen 120
Ausblick
Das Vorhaben „Berlin braucht dich!― wird bis 2013 kon-
tinuierlich weiterentwickelt. Ziel ist es, bis zum Jahr
2013 den Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund
in der Ausbildung im Öffentlichen Dienst und bei den
Landesbetrieben auf 25 Prozent zu erhöhen. Diese
„Positive Maßnahme― begegnet so einerseits dem dro-
henden Fachkräftemangel und erweist sich anderer-
seits als ein wichtiges Instrument zum Abbau strukturel-
ler Diskriminierungen. Sie lenkt den Blick auch auf
ökonomische Chancen, die sich bieten, wenn man
bisher unterrepräsentierte Gruppen in den Arbeitsmarkt
integriert.
Im Jahr 2010 liegt der Schwerpunkt der Aktionen auf
dem Aufbau der Konsortialstrukturen als Grundlage zur
Erarbeitung und Erprobung von zielgruppengerechten
Modellen der Arbeitswelterkundung in 12 Berufsfeldern
von der 7. bis 10. Klasse. Im weiteren Verlauf sollen die
erfolgreichen Modelle auf alle Schulen und Betriebe des
Konsortiums transferiert und verbreitet werden.
„Berlin braucht dich!― ist ein innovatives Vorhaben, das
völlig neue Formen von Integrationspraxis entwickelt.
Da mit der Modellentwicklung in einzelnen Schulen und
Betrieben allein die Nachhaltigkeit nicht gesichert ist,
kommt dem Transfer eine besondere Bedeutung zu.
Die neuen Ansätze müssen ihr Problemlösungspoten-
zial durch Weiterentwicklung und Verbreitung auf weite-
re Schulen und Betriebe entfalten. Die Nachhaltigkeit
der entwickelten Innovationen wird sich ohne konzepti-
onelle Gestaltung von gezielten Transferaktivitäten
nicht einstellen. Auf der Tagesordnung steht somit die
Entwicklung von Strategien und Methoden zur Übertra-
gung erfolgreich entwickelter Instrumente der Arbeits-
welterkundung in die Routinepraxis. Hierzu ist es erfor-
derlich, Strategien zur Übertragung der Modelle auf
Schulen und Betriebe zu entwickeln, die bislang in den
Planungsworkshops nicht beteiligt waren. Diese Vorge-
hensweise setzt eine kritische Auseinandersetzung
sowohl mit herkömmlichen als auch neuen Konzepten
und deren Weiterentwicklungsperspektiven in Gang.
Der integrationspolitische Erfolg von „Berlin braucht
dich!― wird sich 2013 ganz konkret an der verstärkten
Ausbildungsbeteiligung der Jugendlichen mit Migrati-
onshintergrund messen lassen müssen. Nicht messen
lassen wird sich hingegen die Auswirkung der Kampag-
ne auf das Bild von MigrantInnen in der Öffentlichkeit -
ein positiver Effekt der Fokussierung auf die Potenziale
der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, der bereits
jetzt sichtbar wird.
Literatur
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
(2009): Berufliche und akademische Ausbildung
von Migranten in Deutschland. Working Paper 22
der Forschungsgruppe des Bundesamtes.
Granato, Mona (2004): Feminisierung der Migration
– Chancengleichheit für (junge) Frauen mit Migrati-
onshintergrund in Ausbildung und Beruf. Bonn:
BIBB.
Kruse, Wilfried (2010): Recherche zu Optionen für
ungeförderte Berufsausbildung außerhalb des Öf-
fentlichen Dienstes für MigrantInnen. Dortmund.
Dragica Horvat und Agnese Papadia sind Mitarbeite-
rInnen von BQN Berlin, einem integrationspolitisches Projekt zur strukturellen Verbesserung der Situation junger MigrantInnen im Übergang Schule-Beruf, das Ansätze und Initiativen zur wirksamen Umsetzung der Berliner Integrationspolitik entwickelt.
121 DOSSIER Positive Maßnahmen
Sun-ju Choi / Miltiadis Oulios
Positive Maßnahmen – wie erreicht man Gleichstellung im Medienbetrieb?
In einer vielfältigen Gesellschaft wie Deutschland ist
Repräsentation im Sinne von Darstellung und Vertre-
tung ein wichtiges und wirkungsmächtiges Feld. Die
Vielfalt der Einwanderungsgesellschaft findet sich aber
häufig verzerrt in der Berichterstattung und kaum in den
Redaktionsräumen wieder. Jede/r fünfte EinwohnerIn
im Land besitzt einen sogenannten Migrationshinter-
grund, aber nur 2,5 Prozent der JournalistInnen in
Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Die nu-
merische Unterrepräsentanz der MigrantInnen in den
Medienberufen ist ein Indiz für strukturelle Benachteili-
gung.
Es besteht akuter Handlungsbedarf für die Einsetzung
Positiver Maßnahmen, also für Handlungen, die auf die
Verhinderung oder den Ausgleich von Nachteilen –
unter anderem aufgrund der ethnischen Herkunft -
abzielen. Es gibt erst in den vergangenen Jahren ver-
einzelte Initiativen, die auf die Erhöhung des Anteils von
Medienschaffenden mit Einwanderungsgeschichte ab-
zielen. Meistens verfolgen sie dieses Ziel indirekt, in-
dem sich diese Bemühungen auf dem Feld der Nach-
wuchsrekrutierung und Ausbildung abspielen. Im Fol-
genden wird ein kurzer Überblick über die Art solcher
positiven Maßnahmen gegeben und aufgezeigt, wie
Gleichstellung im Medienbetrieb in Bezug auf Einwan-
dernde und ihre Nachkommen gestaltet werden kann.
Dreht sich der Wind?
Eine der ersten Initiativen trug den Titel "Mehr Farbe in
die Medien". Das Adolf Grimme-Institut bot von 1996
bis 1998 ein Volontariatsausbildungsprogramm speziell
für junge Migrantinnen an, die zu Radio- und Fernseh-
journalistInnen ausgebildet wurden. Das Programm
zielte darauf ab, mehr multikulturelle Kompetenz und
Kreativität in die Rundfunklandschaft zu bringen. Seit
2007 hat es in mehreren Medienunternehmen weiter-
führende Ansätze gegeben. Solche Maßnahmen sind
dann wirkungsvoll, wenn sie Teil der Unternehmenspoli-
tik werden. Bei einigen Medien beginnt dies schon beim
Bewerbungsverfahren. So versieht der WDR mittlerwei-
le Stellenausschreibungen mit dem Zusatz: „Der WDR
fördert kulturelle Vielfalt in seinem Unternehmen, daher
begrüßen wir Bewerber (sic.) von Mitarbeiter(n/innen)
ausländischer Herkunft.― Die Axel-Springer-Akademie
betont das Beherrschen einer Fremdsprache und die
interkulturelle Kompetenz als Zugangsvoraussetzungen
zur Volontärsausbildung. Um Vorbehalte zu vermeiden,
anonymisiert die RTL-JournalistInnenschule eingehen-
de Bewerbungsmappen: Diese werden mit einer Num-
mer versehen, während das Foto und der Name ver-
deckt werden.
Förderprogramme als Nachwuchsschmieden
Um die Einstellungspraxis aber konkret zu ändern,
beschreiten Medien-Unternehmen zwei Wege. Erstens
sollen interne Zielvereinbarungen, die von Schulungen
flankiert werden, die EntscheidungsträgerInnen dafür
sensibilisieren, auch verstärkt JournalistInnen mit Mig-
rationshintergrund einzustellen, ohne dass es dafür
eine feste Quote gibt. In diesem Sinne hat zum Beispiel
der Bayerische Rundfunk im Frühjahr 2010 eine
Castingfirma in München beauftragt, für eine neue
Kindersendung einen jungen Moderator und Redakteur
mit türkischem Migrationshintergrund zu suchen, der
nicht älter als 28 Jahre ist. Eingestellt wurde im ersten
Anlauf allerdings niemand. Das Problem war, dass sich
mehr Frauen beworben hatten und einige männliche
Interessenten älter als 28 Jahre waren.
Im Jahre 2006 kündigten die Intendanten von ZDF und
WDR an, mehr Zuwandernde vor die Kamera zu holen.
Zu den festen KommentatorInnen in den ARD-
Tagesthemen gehören mittlerweile auch die Journalis-
tInnen Birand Bingül und Isabell Shayani. In den Lokal-
programmen des WDR-Fernsehens wurden die Journa-
listinnen Asli Sevindim und Lissy Ishag als Moderato-
rinnen eingestellt. Mit Dunja Hajali (heute-journal, Mor-
genmagazin), Pierre Geisensetter (Leute heute) und
Tarik El-Kabbani (Wetter) hat das ZDF nicht-weiße
ModeratorInnen neu etabliert. Zudem wurden neue
Sendungen geschaffen, in denen MigrantInnen Prota-
gonistInnen sind, wie etwa das muslimische "Forum am
Freitag" auf ZDF.info mit einem afghanisch- und einem
iranisch-stämmigen Journalisten sowie die Comedy-
Sendung „Die Süper-Tiger-Show― auf ZDFneo mit Ce-
mal Atakan.
Der Verband Privater Rundfunk- und Telemedien
(VPRT) hat die „Charta der Vielfalt― (www.vielfalt-als-
chance.de) unterschrieben. Von Mitte 2008 bis zum
DOSSIER Positive Maßnahmen 122
Frühjahr 2009 liefen daraufhin TV- und Hörfunkspots
bei privaten Fernsehkanälen und Privatradiosendern,
die für „Vielfalt― im Berufsleben warben. Insgesamt
wurden 14.000 Mal vier Spots ausgestrahlt, in denen
MigrantInnen als UnternehmerIn, Hebamme, PolizistIn
und BäckerIn portraitiert wurden. Diese Awareness-
Kampagne wurde von Daimler, der Deutschen BP, der
Deutschen Bank und der Deutschen Telekom im De-
zember 2006 in Deutschland initiiert. Unterstützung
erfährt die Initiative von der Beauftragten der Bundes-
regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,
Prof. Dr. Maria Böhmer.
Desweiteren haben sich im Februar 2010 vierzig Mit-
glieder der Allianz Deutscher Produzenten – Film &
Fernsehen dieser "Charta der Vielfalt" angeschlossen.
Die Botschaft lautet: Vielfalt wird in der Filmbranche
gelebt - sowohl vor als auch hinter der Kamera. Be-
nachteiligte Gruppen wie MigrantInnen und ältere Ar-
beitnehmerInnen sollen dabei gezielt gefördert werden.
Doch bislang blieb die Unterzeichnung folgenlos, und
Pläne für konkrete Umsetzungsmaßnahmen gibt es
noch keine.
Einladungen an die „Generation Praktikum―
Fördermaßnahmen zeichnen sich auch dadurch aus,
dass Medien versuchen, Einwandernde oder Kinder
von Einwandernden gezielt als Nachwuchskräfte zu
gewinnen – der Fokus liegt also auf der Ausbildung.
Hier suchen manche Sendeanstalten den Kontakt zu
MigrantInnenverbänden. Der SWR fordert Personen mit
Migrationshintergrund zur Bewerbung auf und arbeitet
in Einzelprojekten etwa mit dem Forum der Kulturen
Stuttgart, dem Deutsch-Türkischen-Forum Stuttgart
oder der Pop-Akademie zusammen. Je nach Jahrgang
besitzen daher zwischen 10 und 40 Prozent der Auszu-
bildenden des SWR einen Migrationshintergrund.
Der RBB kooperiert seit September 2009 mit dem Bil-
dungsWerk Kreuzberg (BWK) als Partner der
„Bikulturellen Crossmedialen Fortbildung für Migranten―.
Im Jahre 2010 absolvieren drei junge MigrantInnen ein
sechsmonatiges Praktikum im Sender – im Rahmen
einer 15-monatigen journalistischen Qualifizierung.
Praktikumskooperationen hat der RBB auch mit ande-
ren Organisationen abgeschlossen, wie zum Beispiel
Reporter ohne Grenzen oder dem Deutsch-Russischen
Forum e. V., so dass jährlich bis zu 20 ausländische
NachwuchsjournalistInnen mehrere Wochen lang die
redaktionelle Arbeit kennen lernen können.
Auf die Kooperation von Stiftungen und Medien setzt
auch die Berliner „tageszeitung―. Seit September 2007
bietet sie mit der Heinrich-Böll-Stiftung Stipendien für
JournalistikstudentInnen mit Migrationshintergrund
inklusive einem ein-jährigen Volontariat an. An dem
Projekt „Medienvielfalt anders: Junge Migrantinnen und
Migranten in den Journalismus (http://migration-
boell.de/web/diversity/48_1240.asp) beteiligt sich auch
die Deutsche Welle. Im ersten Jahr des Stiftungs-
Programms wurden elf StipendiatInnen unterstützt - bis
2011 sollen es 40 sein.
Darüber hinaus stellen zeitlich befristete Workshops
eine Möglichkeit dar, gezielt MigrantInnen anzuspre-
chen und ihnen den Einstieg in den Journalismus zu
ermöglichen. Der Berliner Tagesspiegel etwa unter-
stützte ein SchülerInnenzeitungsprojekt für die Para-
lympics, bei dem offensichtlich aufgrund der internatio-
nal ausgerichteten Thematik SchülerInnen mit Migrati-
onshintergrund zur Mitarbeit gewonnen werden konn-
ten.
Motivation und Anreize schaffen
RTL hat 2008 den Com.mit-Award ins Leben gerufen,
bei dem SchülerInnen Drehbuch-Ideen zum Thema
Integration einreichen und dann mit Hilfe von Profis
realisieren können. Beim ersten Award wurden im An-
schluss zwölf TeilnehmerInnen zu einem „Kompaktkurs
Fernsehjournalismus― eingeladen. Den Preis gewann
ein Kurzfilm, den ein iranisch-stämmiger Schüler aus
Aachen konzipiert hatte. Im Jahre 2010 belegte eine
19-jährige Deutsch-Bengalin den ersten Platz. Der
Medienpreis habe dazu geführt, dass mehr Praktikan-
tInnen mit Migrationshintergrund den Weg in die Redak-
tion finden, so RTL.
Denselben Weg geht auch der WDR mit der Talent-
werkstatt „grenzenlos―, die sich gezielt an junge Leute
mit Migrationshintergrund richtet. Seit 2006 findet diese
jedes Jahr statt. Die TeilnehmerInnen hospitieren vier
Wochen lang in verschiedenen WDR-Redaktionen,
nehmen an Seminaren teil und produzieren eigene
Beiträge. Einige AbsolventInnen konnten sich danach
auch erfolgreich für ein Volontariat bewerben oder eine
freie Mitarbeit beginnen.
Im Herbst 2007 startete der WDR zudem die Initiative
„Raus aus den Nischen―, in dem Wissen, dass
migrantische JournalistInnen oft auf AusländerInnen-
themen begrenzt werden. Auf die Anzeige bewarben
sich 383 Medienschaffende mit Migrationshintergrund,
123 DOSSIER Positive Maßnahmen
von denen 58 eine Einweisungshospitanz in verschie-
denen Redaktionen von Mainstreamprogrammen ma-
chen konnten. Wie nachhaltig diese JournalistInnen
dann aber dort tätig sein können, ist nicht bekannt.
Einige BewerberInnen, die sich im Rahmen des „Raus
aus den Nischen―-Programms erfolgreich qualifiziert
hatten, berichten sogar im Nachhinein, dass sie gebe-
ten wurden, für „Cosmo TV―, das Migrationsmagazin
des WDR, Beiträge zu liefern, also förmlich wieder in
die Migrationsnische hinein gebeten wurden. Ob das
Medien-Stipendienprogramm für junge MigrantInnen
der Heinrich-Böll-Stiftung mit mehreren Kooperations-
partnerInnen und die im Jahre 2009 gestartete
„Bikulturelle, Crossmediale Weiterbildung für Migranten―
des BWK1 größere Erfolge verzeichnen können wer-
den, bleibt noch abzuwarten.
Stereotype umgehen
Die deutschen Mainstream-Medien weisen nicht nur im
Nachrichten- und Informationssektor, sondern auch im
fiktiven TV-Bereich erhebliche Defizite im Hinblick auf
mediale Integration auf. Eine der Ursachen dafür ist die
weitgehend monoethnisch-deutsche Medienproduktion,
d. h. der gravierende Mangel an ethnischer Diversität
unter den MediengestalterInnen und -entscheiderInnen.
Die zunehmende Sichtbarkeit von SchauspielerInnen
und ModeratorInnen nicht-deutscher Herkunft in der
Unterhaltungssektion ist zwar ein wichtiges und begrü-
ßenswertes Signal, sollte aber nicht darüber hinweg-
täuschen, dass Menschen mit solchem Hintergrund
nicht an den Stellen mitwirken, an denen Entscheidun-
gen über Sendeinhalte und Programmplanungen gefällt
werden.
Bis auf wenige Ausnahmen wie „Türkisch für Anfänger―
und „Nachtschicht― werden migrantische Schauspiele-
rInnen nach wie vor stereotyp gecastet: russische Ma-
fia, Latin-Lover, afrikanischer Drogendealer, türkischer
Dieb oder schöne Exotin. Darüber hinaus benötigen sie
eine Legitimation für ihre Präsenz; es scheint noch
immer schwierig, sie als Teil des deutschen Alltags zu
zeigen, ohne dass begründet werden muss, woher sie
kommen und warum sie da sind.
Die erhöhte Präsenz der MigrantInnen im fiktiven Film-
bereich führt also nicht zwangsläufig zur Veränderung
tradierter Sehgewohnheiten der Mehrheitsgesellschaft.
Um das Rollen- und Figurenangebot für migrantische
1 http://www.bwk-berlin.de/weiterbildung/journalisten/journalisten.html
SchauspielerInnen systematisch zu erweitern, müssen
DrehbuchautorInnen, RegisseurInnen, ProduzentInnen
und RedakteurInnen zusammenarbeiten, die erhöhte
Sensibilität für relevante Themen der Migrationsrealität
in die Filmproduktion einbringen. Die Mitwirkung der
MigrantInnen sollte sich daher nicht nur auf ihre Sicht-
barkeit vor der Kamera beschränken, sondern auch auf
Produktionsstäbe, Programmplanungsstäbe, Führungs-
etagen und Aufsichtsgremien ausweiten - sowohl im
dokumentarischen als auch im fiktiven Bereich.
MentorIn werden
Vor diesem Hintergrund bemühen sich die "Neuen
Deutschen Medienmacher"2 ein bundesweiter Zusam-
menschluss von Medienschaffenden mit unterschiedli-
chen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und
Wurzeln, den Anteil medien- und filmschaffender Mig-
rantInnen nachhaltig zu erhöhen. Neben der Unterstüt-
zung der JournalistInnenausbildung von jungen Migran-
tInnen hat der Verein ein MentorInnenprogramm initi-
iert, das seinen Schwerpunkt auf die Förderung von
JournalistInnen nichtdeutscher Herkunft legt. Neben der
beruflichen Hilfestellung soll das MentorInnenprogramm
dazu dienen, Kontakte zu knüpfen und soziale Kompe-
tenzen zu stärken.
Denn wie die Journalistin Mercedes Pascual-Iglesias
argumentiert, suchen arrivierte MedienarbeiterInnen bei
der Rekrutierung neuer KollegInnen stets nach ihres-
gleichen. Ähnlichkeiten in Sozialisation, Bildung und
Klassenzugehörigkeit sind im Zweifelsfalle wichtiger als
die ethnische Herkunft. So werde weiterhin ein tradier-
tes, homogenes Arbeitsumfeld geschaffen und erhalten,
so ihr Fazit. Wie die PISA-Studien nachgewiesen ha-
ben, werden besonders Kinder aus migrantischen und
sozial schwachen Familien im selektiven deutschen
Bildungssystem benachteiligt. Auch ist der Anteil von
Kindern aus MigrantInnenfamilien in der höheren Bil-
dungsschicht deutlich geringer, was sich aus der An-
werbungsgeschichte Deutschlands ableiten lässt.
Mediale Integration muss daher den Kreis der
„Klonbildung― durchbrechen, damit die zunehmende
Vielfalt in der deutschen Einwanderungsgesellschaft
tatsächlich in die Redaktionsräume einziehen kann.
Umso wichtiger ist die Unterstützung von erfahrenen
KollegInnen, die migrantischen AspirantInnen über ge-
legentliche professionelle Tipps hinaus zur Seite stehen
2 http://www.neuemedienmacher.de
DOSSIER Positive Maßnahmen 124
und beim Aufbau von Netzwerken und persönlichen
Kontakten weiterhelfen.
Strukturelle Diskriminierungen gibt es aber nicht nur bei
großen Sendebetrieben, sondern auch in den kleinen
und mittelgroßen Betrieben der für die Sender zuarbei-
tenden Produktionsfirmen. Wie eine Studie der Univer-
sität Konstanz im Auftrag des Instituts zur Zukunft der
Arbeit (IZA) ergeben hat (Kaas, Manger 2010), senkt
ein nicht-deutscher Name die Wahrscheinlichkeit um 24
Prozent, von einem mittelgroßen Unternehmen zum
Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Interes-
santerweise erhöht sich die Chance der Stellenbewer-
berInnen auf ein Bewerbungsgespräch durch Beifügung
von Empfehlungsschreiben ehemaliger ArbeitgeberIn-
nen und erreicht fast denselben Umfang wie die der
MitstreiterInnen mit deutschem Namen.
Genau an diesem neuralgischen Punkt setzt das
MentorInnenprogramm der Neuen Deutschen Medien-
macher an und versucht als Bindeglied zwischen mi-
grantischen JournalistInnen und Medienbetrieben zu
vermitteln. In Zeiten wachsender Konkurrenz und knap-
per Arbeitsplätze können persönliche Kontakte über
Ein- und Ausschluss im Berufsalltag entscheiden.
Quoten schaffen?
All die skizzierten Maßnahmen können als „weiche―
Positive Maßnahmen bezeichnet werden, deren Erfolg
nicht 100-prozentig garantiert werden kann. Eine „harte―
positive Maßnahme wäre die Einführung einer Quote,
die ähnlich der Frauenquote zur Einhaltung von ethni-
scher Diversität bei Neueinstellungen und Beförderun-
gen verpflichtet. Sowohl Print- als auch elektronische
Medien in Deutschland lehnen diese Vorgehensweise
ab.
Auf der Tagung „Mehr Farben in den Medien―, zu der
die Neuen Deutschen Medienmacher in Zusammenar-
beit mit der Heinrich-Böll-Stiftung im Juni 2009 eingela-
den hatten3, wandte sich auch Kai Gniffke, Chefredak-
teur der ARD-Tagesschau, entschieden gegen eine
Quotenreglung. Qualität setze sich stets durch, für gute
Leute sei immer Platz. Selektion nach Herkunft hinge-
gen sei kontraproduktiv und stelle keine Garantie dar,
dass mediale Vielfalt sichergestellt werde.
Tatsächlich gibt es bei einer ethnisch-nationalen Quo-
tierung gute Argumente, die dafür und dagegen spre-
3 http://migration-boell.de/web/diversity/48_2159.asp
chen. Dafür spricht beispielsweise, dass die Quotierung
strukturelle und institutionelle Benachteiligung ausglei-
chen kann, die Repräsentation der Heterogenität der
Einwanderungsgesellschaft sicherstellt und die Potenti-
ale der MigrantInnen besser einsetzbar macht. Dage-
gen spricht, dass die Klassifizierung von Menschen
nach konstruierten Unterschieden wie national-
ethnischer Herkunft die essentialistische nationale Iden-
tität unterstreicht, die sie zu bekämpfen sucht. Darüber
hinaus bringt sie „QuotenmigrantInnen― hervor, denen
die berufliche Qualifikation leicht abgesprochen wird.
Dennoch: Der Anteil von JournalistInnen nicht-
deutscher Herkunft wird wahrscheinlich nicht steigen,
so lange die politische Kultur die Gleichstellung und
Förderung von Minderheitengruppen als gesellschaftli-
che Notwendigkeit nicht anerkennt, um ausreichende
Sensibilität für diversitätsrelavante Themen zu entwi-
ckeln. Dass Kompetenzen allein nicht ausreichen, um in
der Berufswelt unter- bzw. weiterzukommen, haben
zahlreiche Studien und Untersuchungen deutlich ge-
macht (s.o.). Kai Gniffke von der Tagesschau zeigte
sich hingegen offen gegenüber dem MentorInnenpro-
gramm der Neuen Deutschen Medienmacher und er-
klärte sich bereit, eine Mentee zu übernehmen, die er
während ihrer Ausbildungsphase begleiten und unter-
stützen wird. Auch Gerald Gisecke, Kulturredakteur bei
Aspekte (ZDF) und Günther Piening, Integrationsbeauf-
tragter des Berliner Senats, setzen sich aktiv für das
MentorInnenprogramm ein, was einen wichtigen Sig-
nalcharakter besitzt.
Schluss
Die Schaffung einer pluralen Gesellschaft, die ihren
unterschiedlichen Angehörigen entsprechende mediale
Gesichter, Stimmen und Plattformen verleiht und alt-
hergebrachte Handlungsmuster durchbricht, steht uns
allen als große gesamtgesellschaftliche Aufgabe bevor.
Um eine langfristige Veränderung der Beschäftigten-
struktur in der Medienlandschaft im Hinblick auf chan-
cengerechten Zugang für und höhere Repräsentation
von MigrantInnen zu erreichen, scheint es unerlässlich,
Positive Maßnahmen wie spezifische Ausbildungsan-
gebote, bevorzugte Einstellung oder aktive Motivierung
zur Bewerbung für MigrantInnen zu fördern. Für eine
tatsächliche mediale Diversität, die den mannigfaltigen
Lebensrealitäten einer multiethnischen Gesellschaft
gerecht wird, muss freilich die ganze Bevölkerung in die
öffentliche Kommunikation einbezogen werden.
125 DOSSIER Positive Maßnahmen
Literatur
Geißler, Rainer, Pöttker, Horst (Hg.) (2009): Mas-
senmedien und die Integration ethnischer Minder-
heiten in Deutschland. Band 2: Forschungsbe-
funde. Bielefeld.
Kaas, Leo, Manger, Christian (2010): ―Ethnic Dis-
crimination in Germany‘s Labour Market: A Field
Experiment.‖ IZA Discussion Paper No. 4741. Onli-
ne unter: http://ftp.iza.org/dp4741.pdf (Zugriff am
19.10.2010).
Ouilos, Miltiadis (2005): Weshalb gibt es so wenig
Journalisten mit Einwanderungshintergrund in
deutschen Massenmedien? Eine explorative Stu-
die. In: Rainer Geißler / Horst, Pöttker (Hrsg.):
Massenmedien und die Integration ethnischer Min-
derheiten in Deutschland, Problemaufriss, For-
schungsstand, Bibliographie. Bielefeld.
Pascual-Iglesias, Mercedes (2006): Migranten-
Journalisten in Deutschland - Eine explorative Un-
tersuchung über Chancen und Hindernisse im
deutschen Journalismus. Diplomarbeit am Institut
für Journalistik, Technische Universität Dortmund.
ter Wal, Jessika (Hg.) (2002): Racism and Cultural
Diversity in the Mass Media. An Overview of Re-
search and Examples of Good Practice in the EU
Member States, 1995–2000, on behalf of the Euro-
pean Monitoring Centre on Racism and Xenopho-
bia, Vienna (EUMC), Vienna, 2002. Online unter:
http://fra.europa.eu/fraWebsite/home/home_en.htm
(Zugriff am 19.10.2010).
Sun-ju Choi arbeitet als freie Drehbuchautorin und
Kuratorin und lebt in Berlin. Miltiadis Oulios arbeitet als freier Journalist für Print
und Hörfunk und lebt in Düsseldorf.
DOSSIER Positive Maßnahmen 126
Ana-Violeta Sacaliuc
Vielfalt zählt – Adressatenorientierte Positive Maßnahmen am Beispiel des Mentoring-Programms BERAMI
Im Zusammenhang mit dem immer öfter prognostizier-
ten Fachkräftemangel und dem demografischen Wan-
del in Deutschland, wie auch in der gesamten EU, er-
scheint ein besseres Diversity Management in Betrie-
ben und Kommunen als zukunftsfähige Alternative zur
aktuellen Migrationspolitik der EU. Der Europäische
Pakt zu Einwanderung und Asyl1 sieht die Schaffung
legaler Zuwanderungsmöglichkeiten nach Europa vor.
Dies soll den Mitgliedsstaaten ermöglichen, ihren Be-
darf an Arbeitskräften zu decken, ohne dabei ihre struk-
turelle Kapazität zur Aufnahme und Integration von
ImmigrantInnen zu überschreiten. Grundlage des Pak-
tes sind die Blue Card-Initiative sowie ein Aktionsplan
zur legalen Migration. Die Mitgliedsstaaten sollen dem-
zufolge eine mit der Wirtschaft verknüpfte Zuwande-
rungspolitik entwickeln und dadurch für hochqualifizierte
MigrantInnen attraktiver werden.
Um in die privilegierte Kategorie der (Hoch-) Qualifizier-
ten zu kommen, müssen die AdressatInnen bestimmte
Kriterien erfüllen, darunter den Nachweis eines akade-
mischen Abschlusses oder langjährige Berufserfahrung
in einem Bereich. Dabei erfüllen schon viele durch
Familienzusammenführung, Asyl oder Arbeitsmigration
im Lande lebenden (hoch)qualifizierten MigrantInnen
diese Kriterien, werden aber vom Arbeitsmarkt oft auf-
grund struktureller Diskriminierungen ausgeschlossen.
Es kann sich hierbei um institutionelle bzw. staatliche
Diskriminierungen handeln oder um Diskriminierungen,
die von Einzelpersonen und/oder sozialen Gruppen
ausgehen. Für die Gesellschaft bedeutet dies eine
Verschwendung von Humankapital (Englmann 2007:
Brain waste, Sacaliuc 2007), die durch gezielte Förde-
rung und Sensibilisierung leicht verhindert werden
kann.
Diversity Management und Integration
Diversity Management bedeutet – gemäß der Definition
der Europäischen Kommission – „zu verstehen, wie
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Menschen
zum Wohle der Individuen, Organisationen und der
Gesellschaft als Ganzes eingesetzt werden können.―
1.http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/08/st13/st13440.en08.pdf
Der öffentliche Diskurs in Deutschland plädiert für Viel-
falt und den positiven Umgang mit dieser, ohne jedoch
den gesellschaftlichen Mehrwert zu berücksichtigen. Es
ist jedoch in der Tat notwendig, zunächst die kulturellen
Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen anzuer-
kennen und diese in der Praxis zu berücksichtigen,
auch weil Menschen in einem Umfeld der akzeptierten
kulturellen Vielfalt ihr volles Potenzial nutzen und damit
im Weiteren zur Steigerung der Kreativität und Produk-
tivität in ihrem Arbeitsumfeld wesentlich beitragen kön-
nen (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
2007).
Das Grundprinzip beim Umgang mit der Vielfalt liegt vor
allem darin, Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz zu
verbessern. Dabei spielen der Zugang zu Arbeitsplät-
zen, der berufliche Aufstieg von (hoch)qualifizierten
MigrantInnen sowie die Förderung von Chancengleich-
heit, Antidiskriminierungsmaßnahmen und der positive
Umgang mit Diversität im Integrationsprozess eine
entscheidende Rolle (vgl. Europäische Kommission
2007). In der Praxis werden auf allen sozialen Ebenen
bereits unterschiedlichste „Diversitätsstrategien― oder
„Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsstrategien―
eingesetzt.
Anti-Diskriminierung (AD) und Gleichstellung
Aus rechtlicher Sicht wird Diskriminierung gemäß § 1
AGG und § 3 AGG allgemein als Benachteiligung einer
Person oder einer Gruppe aufgrund von Geschlecht,
Alter, Behinderung, ethnischer Herkunft, „Rasse―, Reli-
gion oder Weltanschauung oder der sexuellen Identität
definiert. Die EU-rechtliche Grundlage zur Bekämpfung
von Diskriminierung aufgrund der genannten Merkmale
ist Artikel 13 des Vertrages von Amsterdam (1997). Im
Rahmen der EU stellt er die rechtliche Grundlage für
die Richtlinie 2000/43/EG, zur Anwendung des Gleich-
behandlungsgrundsatzes „ohne Unterschied der „Ras-
se― oder der ethnischen Herkunft― und für die Richtlinie
2000/78/EG zur Gleichbehandlung im Bereich „Be-
schäftigung und Beruf― dar, die bis 2003 in die nationa-
len Rechtssysteme umgesetzt werden mussten.
Deutschland hat – ungeachtet seiner langen Migrati-
onsgeschichte – erst 2006 das Allgemeine Gleichbe-
handlungsgesetz (AGG) verabschiedet, welches das
127 DOSSIER Positive Maßnahmen
Problem der Diskriminierung aufgrund der ethnischen
Herkunft und der weiteren in § 1 AGG geschützten und
eben genannten Merkmale angeht. Damit wurde ein
öffentlicher Diskurs über die Notwendigkeit angestoßen,
sich die Vorteile einer ethnisch heterogenen Bevölke-
rung bewusst zu machen und diese zunehmend effektiv
zu fördern.
Gemäß dem formalen Gleichstellungsansatz der EU
liegt Diskriminierung bei einer Ungleichbehandlung in
einer vergleichbaren Situation vor. Eine „reaktive― AD-
Politik soll durch Verhinderung von rechtswidrigen Dis-
kriminierungen die Gleichbehandlung aller Individuen in
vergleichbaren Situationen gewährleisten. Sie soll zu-
dem strukturelle Barrieren, denen Minderheiten z.B. bei
der Besetzung von Stellen ausgesetzt sind, vorbeugen.
Eine Gleichstellungspolitik oder „aktive und proaktive"
AD-Politik geht dagegen über die bloße Abwehr von
Diskriminierungen hinaus und versucht, durch gezielte
Maßnahmen strukturelle Barrieren abzubauen. Solchen
„Positiven Maßnahmen― (gemäß der EU-
Rechtsterminologie „positive action―) liegt die Auffas-
sung zugrunde, dass Benachteiligte situationsabhängig
unterschiedlich behandelt werden müssen, um einen
Ausgleich für die verschiedenartigen Bedürfnisse zu
schaffen und somit wirkliche Chancengleichheit für alle
zu sichern.
Positive Maßnahmen zielen auf das Herbeiführen „tat-
sächlicher Gleichstellung― ab, das über die rein „formale
Gleichstellung― hinausgeht. Dies erscheint notwendig,
da z.B. die meisten (hoch)qualifizierten MigrantInnen
zwar formal die gleichen gesetzlichen Rechte in Bezug
auf Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung haben, sie
sind aber noch immer auf dem Arbeitsmarkt deutlich
unterrepräsentiert bzw. „nicht gleichgestellt―. Es sind
nach wie vor die Strukturen der Gesellschaft, die Indivi-
duen unterschiedliche Rechte und Pflichte zuweisen.
Der § 5 des AGG erklärt eine unterschiedliche Behand-
lung für zulässig, „wenn durch geeignete und angemes-
sene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines
genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen wer-
den sollen―. Solche Positiven Maßnahmen umfassen
beispielsweise ein gezieltes Werben um BewerberInnen
aus unterrepräsentierten Gruppen bei Stellenangebo-
ten. Der Ansatz Positiver Maßnahmen unterscheidet
sich allerdings von sog. Positiver Diskriminierung, bei
der Individuen einer unterrepräsentierten Gruppe bei
der Auswahl vor anderen ebenso (oder besser) qualifi-
zierten BewerberInnen, ohne vorherige Prüfung der
sachlichen Angemessenheit der Maßnahme, automa-
tisch bevorzugt werden. Solche Maßnahmen sind in der
EU nicht rechtmäßig.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Positive Maßnahme
wäre, auf die Gruppe der (hoch)qualifizierten MigrantIn-
nen zugeschnittene Maßnahmen für ihre Integration in
den Arbeitsmarkt zu entwickeln. Damit würde eine
soziale Gruppe unterschiedlich behandelt, um ihrem
Integrationsbedarf und ihren spezifischen Bedürfnissen
entgegen zu kommen und eine reale Chancengleichheit
auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Zielgruppen- und adressatenorientierte
Positive Maßnahmen
Erkennt man die Heterogenität der MigrantInnen und
ihrer verschiedenen Bedürfnisse an, ist es im Rahmen
der gegenwärtigen Intergrationspolitik nicht mehr mög-
lich, über MigrantInnen als Gruppen mit einheitlichem
Integrationsbedarf zu sprechen. Allein die Problematik
der qualifizierten MigrantInnen ist sehr komplex und
nicht pauschalisierbar. Beispielsweise gibt es unter-
schiedliche Ausgangssituationen in Bezug auf den Grad
der Aneignung deutscher bzw. fachbezogener Sprach-
kenntnisse oder die Anerkennung ausländischer Ab-
schlüsse. Integration in den Arbeitsmarkt hängt aber
auch von der Transferierbarkeit der im Herkunftsland
erworbenen Qualifikationen und den von Bourdieu
(1983) als „Kapitalformen― bezeichneten Kenntnissen
und Vorgehensweisen ab: Neben dem institutionalisier-
ten Kapital (Diplome und Zertifikate) muss auch das
inkorporierte kulturelle Kapital (Denk- und Handlungs-
schemata, Sprache, Werteorientierung, Kommunikati-
on- und Sozialkompetenzen) in die lokale Arbeitsmarkt-
kultur integriert, das heißt seitens der ArbeitgenerInnen
anerkannt und akzeptiert werden.
Nicht zuletzt spielen in dieser Frage Aspekte der Sozial-
und Arbeitsmarktpolitik für die Erkennung und Bekämp-
fung von strukturellen Barrieren eine wesentliche Rolle.
In Deutschland stellt sich die Politik erst seit wenigen
Jahren der Tatsache, dass Integrationsdefizite auch auf
Mängel der Rahmenbedingungen zurückzuführen sind.
So hat sich z.B. der allgemeine Integrationskurs, den
die Verordnung über die Durchführung von Integrati-
onskursen für Ausländer und Spätaussiedler von 2005
festschreibt, schnell als positive, für die Arbeitsmarktin-
tegration dieser Gruppe aber nicht ausreichende Maß-
nahme erwiesen. Prompt kam seitens der Praxis und
der Wissenschaft die Aufforderung zur Durchführung
von zielgruppenorientierten Maßnahmen wie Brücken-
DOSSIER Positive Maßnahmen 128
maßnahmen sowie Anpassungs- und Nachqualifizie-
rungsangeboten für qualifizierte MigrantInnen.
Längst sind ForscherInnen, MigrationsberaterInnen und
BildungsträgerInnen zu der Erkenntnis gelangt, dass
bedarfsgerechte und zielgruppenorientierte Maßnah-
men für die Integration von (hoch)qualifizierten Migran-
tInnen notwendig und erfolgversprechend sind (Dimpl
2010). Bildungsträger waren nämlich in ihrer Bera-
tungspraxis nicht selten mit der widersprüchlichen Situ-
ation konfrontiert, qualifizierte MigrantInnen in unpas-
sende Kurse eingliedern zu müssen, weil sie formell als
nicht qualifiziert eingestuft wurden oder weil von ver-
schiedenen Behörden auf die Spezifizität der Situation
von qualifizierten MigrantInnen nicht richtig eingegan-
gen wurde.
Für qualifizierte MigrantInnen bedeutet das konkret,
dass viele in inadäquaten, meist untergeordneten Sta-
tuspositionen in der Arbeitswelt zu finden sind. Manche
schaffen es mit der Zeit, diesem Status zu entkommen,
viele bleiben jedoch in einer Dequalifizierungsspirale
(Frings 2005: 84) gefangen. Aus diesem Zustand her-
aus können viele Betroffene ihre rasch veralternden
Fachkenntnisse in den erlernten Berufen, trotz eventuell
inzwischen erworbener formaler Anerkennung der ur-
sprünglichen Qualifikation, oft nicht mehr auf den neu-
esten Stand bringen. Die Entwertung der eigenen Qua-
lifikation wird als Beschädigung der Identität und als
Quelle von Minderwertigkeitsgefühlen erlebt. Diese
Erkenntnis hat dazu geführt, dass der Fokus von Maß-
nahmen sich mittlerweile stärker auf die individuellen
Erfahrungen, Interessen und Möglichkeiten von teil-
nehmenden MigrantInnen (Adressatenorientierung),
also auf ihre Diversität richtet (Dimpl 2010).
Beispiele adressatenorientierter Maßnahmen
aus Frankfurt
Das Frauenreferat der Stadt Frankfurt am Main initiierte
im Jahre 2005 das bis heute deutschlandweit einmalige
Projekt Einsteigen, Umsteigen, Aufsteigen. Mentoring
für Migrantinnen in Frankfurt am Main. Es ist ein Ange-
bot von persönlichen Vorkehrungsmaßnahmen, in dem
versucht wird, persönliche Leistungen mit Gruppen-
überlegungen zu kombinieren, um dem oben geschil-
derten Missstand entgegen zu wirken. Die Maßnahme
ist eine zeitlich befristete Einzelfallbegleitung qualifizier-
ter Migrantinnen durch eine/n MentorIn, die/der densel-
ben Beruf wie die jeweilige Mentee ausübt. Die inzwi-
schen anerkannten Erfolge des Projekts haben zu en-
gen Kooperationen mit verschiedenen AkteurInnen der
Wirtschaft, Zivilgesellschaft und öffentlichen Verwal-
tung, z.B. mit der Abteilung Corporate Social
Responsibility (CSR) der Deutschen Bank, Fraport oder
der Hertie-Stiftung, geführt.
Das Projekt wird von beramí berufliche Integration e.V.
durchgeführt. Es wird angestrebt, die Teilnehmerinnen
durch Kenntnisse über die deutsche Unternehmenskul-
tur sowie die Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls und
Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten zu unterstützen,
damit sie in qualifikationsadäquate Beschäftigungsver-
hältnisse gelangen. Zu den Zielen des Projekts gehört
also die adäquate Integration in den Arbeitsmarkt über
das Mentoring-Instrument, aber auch die Vernetzung
der Teilnehmerinnen mit AkteurInnen aus dem Feld ih-
rer Qualifikation sowie die Vermittlung von Wissen und
Kenntnissen, z.B. der deutschen Sprache oder von Prä-
sentationstechniken. Die Laufzeit der Mentoring-Bez-
iehung beträgt ein Jahr. Sowohl für die MentorInnen als
auch für die Mentees finden spezielle Trainings statt.
Die MentorInnen sind Frauen und Männer (mit und
ohne Migrationshintergrund) aus allen beruflichen
Branchen, die über langjährige Berufserfahrung verfü-
gen und bereit sind, ihr berufliches Know-how und
Netzwerk in die Mentoring-Beziehung mit einzubringen.
Sie sind dafür aufgeschlossen, Migrantinnen bei der
Verbesserung ihrer beruflichen Situation zu unterstüt-
zen. Im Jahre 2008 wurde das Projekt mit dem Preis
„Ort der Ideen― ausgezeichnet.
Summative (ergebnisorientierte) Evaluation
des Projekts von 2005-2009
Der Jahresbericht 2009 zeigt die erreichten Erfolge. An
den vier Gruppen aus den Jahren 2005 bis 2009 nah-
men insgesamt 62 Tandems teil. Folgende Daten über
die MentorInnen und Mentees sowie deren Erfolgsquo-
te geben einen Eindruck von dem Projekt:
MentorInnen
Von den 62 MentorInnen besaßen 18 einen Migrations-
hintergrund und drei waren Männer.
Die Branchen der MentorInnen bzw. Mentees waren:
- die freie Wirtschaft (Bank, Wirtschaftsunter-
nehmen),
- Naturwissenschaft und Technik,
- Selbständige (Rechtsanwältin, Beraterin),
- Geisteswissenschaften (Journalistin, Dozentin),
- der sozialer Bereich,
- Behörde, Amt.
129 DOSSIER Positive Maßnahmen
Mentees
Die 62 Mentees waren Frauen aus 32 Herkunftsländern
im Alter zwischen 20 und 50 Jahren, davon 50 Prozent
30 bis 40-Jährige.
Die Mentees hatten folgende Bildungsabschlüsse:
- 49 besaßen eine Hochschulabschluss,
- 9 besaßen ein Abitur,
- 4 besaßen einen mittleren Bildungsabschluss.
Erfolgsquote
- 83 Prozent der Mentees haben ihre beruflichen
Ziele erreicht,
- 50 Prozent der Arbeitssuchenden haben eine
Qualifikationsleistung Arbeit gefunden,
- 14 Prozent haben den Prozess abgebrochen.
Formative (prozessorientierte) Evaluation
Eine Analyse von narrativ-biographischen Interviews
mit Mentees, im Jahre 2007 durchgeführt im Rahmen
der wissenschaftlichen Evaluation des Projektes, hat
vor allem auf positiv erlebte Steigerungsprozesse hin-
gewiesen. Dies brachte beipielsweise eine Mentee so
zum Ausdruck: „Jetzt weiß ich wieder, dass ich mehr
kann als nur schlechtes Deutsch…―. Unter den vielen
Bereichen, in denen sich die Mentees sowohl psychisch
als auch sozial bestärkt fühlten, wurden vor allem die
Anerkennung als qualifizierte Individuen, die erfahrene
Legitimität ihrer Wünsche nach einer adäquaten Arbeit,
die Anerkennung als gleichberechtigte Frauen sowie
die Überwindung des Traumas des sozialen Abstiegs
genannt. Die „face to face―-Arbeitsstruktur zwischen
MentorIn und Mentee, die durch das Mentoring-Projekt
ermöglicht wurde, ließ die MentorInnen oft zu Identifika-
tionspersonen für die Mentees werden. Die Treffen der
Teilnehmerinnen ermöglichten Gruppenbildung, Kom-
munikation, Solidarität und gegenseitige Unterstützung.
Dies und der Zugang zu wertvollen fachspezifischen
und sozialen Netzwerken leistete einen wesentlichen
Beitrag zur Anpassung des einsozialisierten kulturellen
Kapitals und führte somit zu Integrationserfolgen.
Mentoring als Instrument für die Integration von
(hoch)qualifizierten Migrantinnen hat sich als Positive
Maßnahme erfolgreich erwiesen, auch weil es nicht nur
eine zielgruppen- sondern gleichermaßen eine
adressatenorientierte Positive Maßnahme ist. Auf insti-
tutioneller Ebene trägt die Maßnahme auch zur gesell-
schaftlichen Entwicklung unter dem Aspekt von
Diversity bei, weil die Sensibilisierung der Öffentlichkeit
für die Problematik der qualifizierten MigrantInnen zu
den Hauptzielen des Projektes zählt. Dies erfolgt z.B.
durch die ansteckende Kraft guter Beispiele in Unter-
nehmen, wo Mentees ihre Praktika absolvieren oder in
denen MentorInnen gewonnen werden. Jedoch muss
die Frage, ob Mentoring die Lösung für alle Probleme
dieser Gruppe sein kann, negativ beantwortet werden,
eben weil es keine allgemeine zielgruppen- sondern
eine adressatenorientierte Maßnahme ist. Dementspre-
chend ist der Erfolg sehr von der Persönlichkeit der
TeilnehmerInnen in dem jeweiligen konkreten Kontext
abhängig.
Mentoring in der in Frankfurt eingesetzten Form ist aus
dem Kontext der Frauenförderung entstanden und
kommt dementsprechend den psychosozialen Bedürf-
nissen der qualifizierten Migrantinnen entgegen. Die
Integrationspraxis von Frauen und Männern deutet aber
auch darauf hin, dass zudem Positive Maßnahmen, die
an den psychosozialen Bedürfnissen der Männer mit
Migrationshintergrund adäquat orientiert sind, für eine
reale Gleichbehandlung von Menschen mit Migrations-
hintergrund unerlässlich sind. Jungen- und Männerför-
derung ist ein Aspekt, der lange vernachlässigt, in der
letzten Zeit aber immer mehr thematisiert wird. Es be-
darf paradoxerweise der Separierung, um das Ziel der
Gendergleichstellung nicht aus dem Auge zu verlieren.
Während die Sensibilität für die Genderthematik mitt-
lerweile in allen Kreisen der Gesellschaft angekommen
ist, wird die Thematik der Zugehörigkeit und Teilhabe
von Menschen mit Migrationshintergrund – Frauen und
Männern – immer noch als Besonderheit behandelt.
Fazit: Vielfalt soll nicht nur wahrgenommen, sondern
auch akzeptiert werden, um entsprechende Positive
Maßnahmen weiter zu entwickeln und sie zum Wohle
der einzelnen Individuen und der Gesellschaft in die
Praxis umzusetzen.
Literatur
Bourdieu, Pierre (1983): „Ökonomisches Kapital,
kulturelles Kapital, soziales Kapital.― In Reinhard
Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten (Soziale
Welt, Sonderband 2). Göttingen: Schwartz. 183-
198.
Dimpl, Ulrike, Monika Bethscheider, Udo Ohm,
Vogt Wolfgang (2010): Weiterbildungsbegleitende
Hilfen als zentraler Bestandteil
DOSSIER Positive Maßnahmen 130
adressatenorientierter beruflicher Weiterbildung.
Zur Relevanz von Deutsch als Zweitsprache und
Bildungssprache in der beruflichen Weiterbildung,
Positionspapier, Amt für multikulturelle Angelegen-
heiten der Stadt Frankfurt am Main.
Europäische Kommission (2007): Dritter Jahresbe-
richt über Migration und Integration KOM(2007)512.
Online unter: http://eur-
lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:
2007:0512:FIN:DE:PDF (Zugriff am 02.12.2010).
Frings, Dorothee (2005): Arbeitsmarktreformen und
Zuwanderungsrecht - Auswirkungen für Migrantin-
nen und Migranten. Migration und Arbeit Rhein-
Main (M.A.R.E.). Online unter: http://www.ggua-
projekt.de/fileadmin/downloads/arbeitsmarkt/Frings-
Expertise.pdf (Zugriff am 02.12.2010).
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesagentur für Arbeit (2007): IAB-Kurzbericht
12.
Sacaliuc, Ana-Violeta (2008): „Mentoring: Integrati-
onsinstrument für qualifizierte Migrantinnen.― In:
Uwe Hunger, Can M. Aybek, Andreas Ette und Ines
Michalowski (Hg.): Migrations- und Integrationspro-
zesse in Europa, Vergemeinschaftung oder natio-
nalstaatliche Lösungswege? Wiesbaden: VS-
Verlag. 253-264.
Ana Violeta Sacaliuc hat Soziologie und Politikwissen-
schaften in Rumänien studiert und ihren Master of Eu-ropean Studies in Bonn absolviert. Sie hat Erfahrung im Menschenrechtsschutz und in der Forschung zu The-men wie Migration, Integration und Gender.
MID-DOSSIERS Die MID-Dossiers erscheinen als Online-Dossiers, zu finden unter
http://www.migration-boell.de/web/sonstige/747.htm
Die mit * gekennzeichneten Dossiers können auch als pdf heruntergeladen werden.
MIGRATION
DOSSIER Mobility and Inclusion – Managing Labour Migration in Europe
DOSSIER Border Politics - Migration in the Mediterranean *
DOSSIER Migration & Entwicklung*
DOSSIER European Governance of Migration*
DOSSIER Leben in der Illegalität *
DOSSIER Europa 2007: Chancengleichheit für alle!
INTEGRATION
DOSSIER Bis in die dritte Generation? Lebensrealitäten junger Migrantinnen*
DOSSIER Herkunft als Schicksal? Hürdenlauf zur Inklusion
DOSSIER Migration & Gesundheit *
DOSSIER Migrationsliteratur - Eine neue deutsche Literatur?*
DOSSIER Starke Jugend - Lebenswelten junger MigrantInnen
DOSSIER Religiöse Vielfalt & Integration *
DOSSIER Schule mit Migrationshintergrund*
DOSSIER Der Nationale Integrationsplan auf dem Prüfstand
DOSSIER Muslimische Vielfalt in Deutschland
DOSSIER Wirtschaftliche Potenziale von Migration & Integration
DOSSIER HipHop zwischen Mainstream und Jugendprotest
DOSSIER Multikulturalismus: Vision oder Illusion?
DOSSIER Fußball & Integration *
DIVERSITY
DOSSIER Positive Maßnahmen – Von Antidiskriminierung zu Diversity
DOSSIER Rassismus & Diskriminierung in Deutschland
DOSSIER Ethnic Monitoring - Datenerhebung über oder mit Minderheiten?*
DOSSIER Politics of Diversity *
DOSSIER Medien und Diversity*
DOSSIER Managing Diversity - Alle Chancen genutzt?
DOSSIER Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
DOSSIER Schwarze Community in Deutschland
Stand November 2010