Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3...

136
Positive Maßnahmen Von Antidiskriminierung zu Diversity DOSSIER

Transcript of Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3...

Page 1: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

Positive Maßnahmen Von Antidiskriminierung zu Diversity DOSSIER

Page 2: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

Impressum

Herausgeberin

Heinrich-Böll-Stiftung

Schumannstraße 8

10117 Berlin

www.boell.de

Das Dossier wurde zuerst veröffentlicht auf www.migration-boell.de im August 2010.

Direktlink: http://www.migration-boell.de/web/diversity/48_2596.asp

ViiSdP: Olga Drossou, Heinrich Böll Stiftung

Dossier-Redaktion: Andreas Merx, Olga Drossou

Andreas Merx ist Politologe und Organisationsberater mit den Arbeitsschwerpunkten Antidiskriminierung/AGG, Diversity

Politics/Politiken der Vielfalt und Integration/Interkulturalität. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Schlussredaktion: Heike Jensen

Titelbild: Cristina de Santana, Acryl auf Leinwand (2006)

Das Dossier steht unter einer Creative Commons Lizenz. Sie dürfen das Werk verbreiten, verviel-fältigen oder öffentlich zugänglich machen unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung – Sie müssen den Namen des Autors/der Autorin nennen.

Keine kommerzielle Nutzung - Dieses Werk darf nicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden.

Keine Bearbeitung — Dieses Werk bzw. dieser Inhalt darf nicht bearbeitet, abgewandelt oder in anderer Wei-se verändert werden.

Abweichungen von diesen Bedingungen bedürfen der Genehmigung der Herausgeberin. Kontakt: [email protected] Lesen Sie den ausführlichen Lizenzvertrag unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

This project has been funded with support from the European Commission. This publication

reflects the views only of the author, and the Commission cannot be held responsible for any

use which may be made of the information contained therein.

Page 3: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

Positive Maßnahmen Von Antidiskriminierung zu Diversity DOSSIER

Heinrich Böll Stiftung

August 2010

Page 4: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

Inhalt

Vorwort 1

Über das Dossier 2

Grundlagen & Ziele 3

SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung

SUSANNE BAER 11 Chancen und Risiken Positiver Maßnahmen: Grundprobleme des Antidiskriminierungsrechts

ALEXANDER KLOSE 21 Mehr Verbindlichkeit wagen – Positive Pflichten zu Positiven Maßnahmen

ANDREAS MERX 28 Positive Maßnahmen in der Praxis – 10 Fragen und Antworten zur Umsetzung Positiver Maßnahmen 28

Internationale Perspektiven 39

VIVIANE REDING 40 Positive action measures in the context of integration, migration and cultural diversity: Building a consensus on the basis of reasoned policies

UDUAK ARCHIBONG / FAHMIDA ASHRAF 44 Positive Action in the UK

CHRISTOPHER MCCRUDDEN / RAYA MUTTARAK / HEATHER HAMILL / ANTHONY HEATH 61 Affirmative Action without Quotas in Northern Ireland 61

PAUL LAPPALAINEN / YAMAM AL-ZUBAIDI / PAULA JONSSON 66 Active measures in Sweden – in theory and in practice

CARSTEN KELLER / INGRID TUCCI / ARIANE JOSSIN 74 Antidiskriminierung und Positive Maßnahmen in Frankreich

MICHAEL WERZ / JULIE MARGETTA MORGAN 80 Affirmative Action in the United States

Instrumente & Strategien 85

KATRIN WLADASCH 86 Chancengleichheit für alle – Einsatzmöglichkeiten von positiven Maßnahmen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene

MICHAELA DÄLKEN 90 Betriebsvereinbarungen als Positive Maßnahmen zur Gleichstellung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Arbeitswelt 90

PETER DÖGE 96 Der Diversity-Check – Vielfalt als Baustein zukunftsfähiger Organisationen

NEVIM ÇIL 100 Quotenregelungen als Instrument der Gleichbehandlung? Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Frauen- und MigrantInnenquoten

KENAN KOLAT 104 Quote für MigrantInnen - kein Tabuthema

Page 5: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

Praxis & Projekte 107

HUBERTUS SCHRÖER / FRANZISKA SZOLDATITS 108 Interkulturelle Öffnung des Personalmanagements: Das Beispiel der Landeshauptstadt München

DRAGICA HORVAT / AGNESE PAPADIA 117 Chancengleichheit im Öffentlichen Dienst: Keine Utopie mehr? Die Kampagne „Berlin braucht dich!―

SUN-JU CHOI / MILTIADIS OULIOS 121 Positive Maßnahmen – wie erreicht man Gleichstellung im Medienbetrieb?

ANA-VIOLETA SACALIUC 126 Vielfalt zählt – Adressatenorientierte Positive Maßnahmen am Beispiel des Mentoring-Programms BERAMI

Page 6: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

1 DOSSIER Positive Maßnahmen

Vorwort

Die Förderung von Chancengleichheit und der Abbau

von Diskriminierungen haben in der Europäischen Uni-

on zu Recht einen hohen Stellenwert. Dahinter steckt

die Erkenntnis, dass Diskriminierungen und strukturelle

Barrieren in allen gesellschaftlichen Bereichen - vor

allem am Arbeitsmarkt und in der Bildung - nicht nur die

Menschenwürde verletzen: sie behindern den gesell-

schaftlichen Aufstieg ganzer gesellschaftlicher Grup-

pen, verstärken die soziale Ungleichheit und lassen

dringend benötigte Potentiale brachliegen.

Um dem in Deutschland entgegenzuwirken, sind ge-

setzliche Regelungen erforderlich, die das existierende

Antidiskriminierungsrecht und sein Kernstück, das All-

gemeine Gleichbehandlungsgesetz, weiter entwickeln.

Darüber hinaus muss eine Reihe von Gesetzen - vom

Steuer- bis zum Arbeits- und Familienrecht - nachge-

bessert werden, die aktuell sowohl die Gleichstellung

der Geschlechter blockieren, als auch andere Gruppen

mittelbar oder unmittelbar benachteiligen.

Mehr und bessere Gesetze allein reichen aber nicht

aus, um die teilweise über Generationen hinweg ge-

wachsene und tief verankerte Abwertung und Diskrimi-

nierung gesellschaftlicher Gruppen zu überwinden. Es

sind vielmehr aktive Maßnahmen zur Förderung von

Chancengerechtigkeit erforderlich. Positive Maßnah-

men zum Abbau von Barrieren gehören neben der

Öffentlichkeitsarbeit zu den effektivsten Mitteln, mehr

Gleichheit bei den Chancen von Menschen unabhängig

von ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Religion oder

Weltanschauung, einer etwaigen Behinderung, ihrer

ethnischen Herkunft oder Hautfarbe, ihrer sexuellen

Orientierung oder einer anderen Gruppenzugehörigkeit

oder sozialen Benachteiligung herzustellen. Um dem

Ziel einer aufstiegsoffenen Gesellschaft näher zu kom-

men sind die freien Entfaltung des Potenzials, der Ta-

lente, Leistungsbereitschaft und Eigeninitiative jedes

Menschen zu fördern. Die Gesellschaft darf nicht länger

akzeptieren, dass die ethnische oder soziale Herkunft

von jungen Menschen über deren Zukunftschancen

entscheiden.

Die vorliegende Publikation steht im Kontext des Pro-

gramms „Soziale Teilhabe und faire Aufstiegschancen―,

in dessen Rahmen die Heinrich-Böll-Stiftung nach We-

gen in eine aufstiegsoffene, dynamische und gerechte

Gesellschaft sucht. Die Beiträge reflektieren unter an-

derem Erfahrungen aus anderen Ländern, die der Bun-

desrepublik auf dem Gebiet der aktiven Antidiskriminie-

rungspolitik voraus sind. Sie zeigen eindrucksvoll, wie

erfolgreich Positive Maßnahmen zur Gleichstellung sehr

unterschiedlicher Gruppen in öffentlichen Verwaltungen

und Institutionen ebenso wie in Unternehmen oder in

den Medien beitragen können - wenn sie die nötige

Akzeptanz erfahren und mit Augenmaß eingesetzt

werden.

Diese Publikation ist Zeugnis eines europaweiten Dia-

logs, der die Durchsetzung grundlegender europäischer

Werte wie die Gleichwertigkeit aller Menschen und

Chancengerechtigkeit in unseren Gesellschaften zum

Ziel hat. Sie bietet die Möglichkeit, von den Erfahrungen

anderer Länder zu lernen, im europäischen Vergleich

die eigenen sozialen und politischen Rahmenbedingun-

gen zu erkennen und befördert den Gedanken, dass wir

den Weg „von der Antidiskriminierung zu Diversity―

weitergehen müssen.

Ralf Fücks

Vorstand Heinrich Böll Stiftung

Page 7: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 2

Über das Dossier

Wie bricht man diskriminierende Strukturen und Einstel-

lungen auf, deren Folge die Abwertung und Benachtei-

ligung ganzer gesellschaftlicher Gruppen ist? In

Deutschland liegen zu dieser Problematik vor allem

Erfahrungen aus der Frauengleichstellungspolitik vor.

Sie zeigen, dass trotz vieler Fortschritte in Richtung

Geschlechtergerechtigkeit beharrliche strukturelle und

kognitive Barrieren verhindern, dass umfassende Erfol-

ge erzielt werden. Klar ist daher, dass ein aktives und

konsequentes Handeln sowie langfristiges Engagement

von allen Teilen der Gesellschaft gefordert sind. Aber

welche konkreten Maßnahmen sollen ergriffen werden?

Sind gesetzliche Quoten die Lösung, wie sie beispiels-

weise derzeit für Frauen in Leitungspositionen großer

Unternehmen oder zur Verbesserung der Repräsentati-

on von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentli-

chen Dienst diskutiert werden? Der Widerstand in

Deutschland gegen solche Quoten ist erheblich. Außer-

dem hat sich gezeigt, dass weder rechtliche Verbote

und Appelle, noch freiwillige aber unverbindliche Ver-

einbarungen allein ausgereicht haben, um den notwe-

nigen Einstellungswandel einzuleiten.

Sehen wir uns also jenseits von Deutschland nach

Lösungswegen um. Die Erfahrungen vieler Länder mit

einer aktiven Antidiskriminierungstradition zeigen, dass

das Zusammenwirken von gesetzlichen Vorschriften mit

„Positiven Maßnahmen― am ehesten zum Abbau von

Diskriminierungen geführt hat. EU hat dieser Erkenntnis

in ihren Antidiskriminierungsrichtlinien Rechnung getra-

gen. Sie sehen vor, dass „zur Gewährleistung der vol-

len Gleichstellung― Positive Maßnahmen zulässig seien,

mit denen Benachteiligungen und ungleiche Chancen-

verteilung zwischen Bevölkerungsgruppen „ausgegli-

chen oder verhindert werden können―. Die Bevölke-

rungsgruppen, um die es dabei geht, unterscheiden

sich in Bezug auf die Merkmale Geschlecht, ethnische

Herkunft, zugeschriebene „Rasse―, Religion, Weltan-

schauung, Alter, Behinderung oder sexuelle Identität. In

Deutschland wurde entsprechend in § 5 des Allgemei-

nen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erstmalig ex-

plizit die Möglichkeit verankert, Positive Maßnahmen -

als Ausnahme von dem zuvor formulierten Diskriminie-

rungsverbot - zugunsten von Menschen, die zu den

geschützten Gruppen gehören, einzuführen.

Doch weder der europäische noch der deutsche Ge-

setzgeber haben diese Maßnahmen näher definiert

oder die Situationen benannt, in denen solche ergriffen

werden sollten oder gar müssten. Die Gesetzgeber

haben damit die Ausgestaltung dieses Instruments der

Wirtschaft und der Gesellschaft überlassen und deren

Überprüfung den europäischen und deutschen Gerich-

ten, die die legalen Spielräume Positiver Maßnahmen

von Fall zu Fall ausloten. Diese rechtliche Offenheit

wird hierzulande jedoch noch zu wenig als Chance

begriffen und genutzt. Nicht nur die privaten, sondern

auch die wegen ihrer Vorbildfunktion wichtigen staatli-

chen Akteure in Bund, Ländern und Kommunen zeigen

wenig Bereitschaft, Positive Maßnahmen auf den unter-

schiedlichsten Ebenen zu ergreifen, um beispielsweise

der Benachteiligung von MigrantInnen auf dem (öffentli-

chen) Arbeits- und Wohnungsmarkt, im Bildungs- und

Gesundheitswesen oder in Institutionen des öffentlichen

und politischen Lebens entgegenzusteuern. Die Kosten

für diese Untätigkeit tragen tagtäglich zu allererst die

Betroffenen selbst. Darüber hinaus wird jedoch auch

der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt durch an-

haltende Diskriminierung geschwächt. Hinzu kommen

die Herausforderungen der Globalisierung und des

demografischen Wandels, die Deutschland nur dann

meistern kann, wenn es sich zu einem international

attraktiven „Land der Möglichkeiten― entwickelt, das

EinwanderInnen sowie allen hier lebenden Menschen

gleiche Chancen garantiert und ihnen soziale Auf-

stiegschancen einräumt.

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind daher gefor-

dert, Chancengleichheit für alle Bevölkerungsgruppen

und in allen Organisationen und gesellschaftlichen

Bereichen stärker als bisher herzustellen. Hierfür bieten

Positive Maßnahmen als Kernelemente einer aktiven

Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik effekti-

ve Handlungsmöglichkeiten. Dieses Dossier bietet

einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen und

politischen Rahmenbedingungen Positiver Maßnahmen

und zeigt Möglichkeiten - aber auch Fallstricke - bei

ihrer Umsetzung auf. Mit vielen Beispielen aus dem In-

und Ausland will es anregen, auch hierzulande bewähr-

te Handlungsansätze und Aktionen zu implementieren

sowie mit neuen Ideen zu experimentieren.

Olga Drossou Heinrich-Böll-Stiftung

Andreas Merx Dossier-Redakteur

Page 8: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

3 DOSSIER Positive Maßnahmen

Grundlagen & Ziele

In der Europäischen Union wurden Positive Maßnah-

men zunächst zugunsten von Frauen in der Arbeitswelt

zugelassen. Implementiert wurden sie in den Mitglieds-

ländern einschließlich Deutschland mit einer Vielzahl

unterschiedlicher Instrumente, oft im Rahmen von Gen-

der Mainstreaming-Programmen. Es folgten Positive

Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Integra-

tion von Menschen mit Behinderungen. Erst mit den

vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien aus den Jahren

2000-2004 wurden Positive Maßnahmen zugunsten

aller geschützten Gruppen ermöglicht.

In Deutschland wurden diese Gruppen im Allgemeinen

Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 gemäß der

Merkmale Geschlecht, ethnische Herkunft, zugeschrie-

bene „Rasse―, Religion, Weltanschauung, Alter, Behin-

derung oder sexuelle Identität benannt. Dabei folgt das

AGG in weiten Teilen einem eher reaktiven und indivi-

dualrechtlichen Regelungsmodell, um Benachteiligun-

gen zu verhindern oder zu beseitigen: Es geht davon

aus, dass die Geschädigten im Anschluss an eine erlit-

tene Diskriminierung selbst die Sanktionierung über-

nehmen, indem sie Ansprüche erheben und ggf. vor

Gericht durchsetzen. Es ist allerdings fraglich, ob dieser

individualrechtliche Ansatz ausreicht, um mehr tatsäch-

liche Gleichstellung zu erzielen. Positive Maßnahmen

hat der deutsche Gesetzgeber zwar aus den EU-

Gleichbehandlungsrichtlinien übernommen, allerdings

in § 5 AGG lediglich als unverbindliche Handlungsopti-

on verankert. Damit erfüllt das AGG zwar die europäi-

sche Mindestanforderung, konkretisiert sie jedoch nicht

und entwickelt sie auch nicht weiter.

Die Beiträge in diesem Abschnitt beleuchten die rechtli-

chen und politischen Grundlagen Positiver Maßnahmen

sowie Chancen und Risiken bei ihrer Implementierung:

- Sibylle Raasch führt in juristische Grundlagen,

historische Entwicklungslinien, Potenziale und

Grenzen Positiver Maßnahmen im internationalen,

europarechtlichen und nationalen Kontext ein und

diskutiert das spezifische Umsetzungspotential von

§ 5 AGG in Deutschland.

- Susanne Baer erörtert, wie politisch und praktisch

mit Positiven Maßnahmen umgegangen werden

sollte und plädiert für differenzierte, breiter gefä-

cherte Gleichstellungsmaßnahmen, die die Fall-

stricke der Fixierung auf Gruppen und Merkmale

vermeiden.

- Alexander Klose verweist auf die Grenzen von

unverbindlichen Selbstverpflichtungen für Positive

Maßnahmen und plädiert für die Einführung ver-

bindlicher Zielvereinbarungen für alle AGG-

geschützten Gruppen, die auf Förderpflichten auf-

bauen und mit Hilfe von Plänen und Programmen

konkretisiert und überprüft werden können.

- Andreas Merx beantwortet zentrale Fragen zu

Definition und Zielen, Instrumenten und Vorteilen

sowie Erfolgsfaktoren und Hindernissen Positiver

Maßnahmen, die für ihre Konzeption und Umset-

zung relevant sind.

Page 9: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 4

Sibylle Raasch

Positive Maßnahmen – Eine Einführung

Was Positive Maßnahmen sind, ist nirgends durch

Normen verbindlich definiert. Auch die neuen EU-

Antidiskriminierungsrichtlinien aus den Jahren 2000 bis

2004 sowie ihre Umsetzung im deutschen Allgemeinen

Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus dem Jahr 2006

liefern keine Legaldefinition. Die Rechtsprechung des

Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (EuGH)

und des deutschen Bundesverfassungsgerichts

(BVerfG) überprüfen allerdings schon seit Jahren ein-

zelne Positive Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit

dem Recht der Europäischen Union (EU) bzw. dem

Grundgesetz. Sie haben bei dieser Gelegenheit

verallgemeinerbare Maßstäbe für ihre zulässige Ziel-

setzung und Anwendung entwickelt. Der Begriff selbst

ist eine Übersetzung von „positive action―. Er meint,

dass über bloße Nichtdiskriminierung hinaus auch aktiv,

also positiv, Maßnahmen ergriffen werden sollen, um

Diskriminierung und ihren Folgen entgegenzuwirken.

Die Idee zu positive action stammt aus den USA, wo

jedoch meist von „affirmative action― gesprochen wird.

In Europa hat sich eher „positive action― durchgesetzt,

ohne dass damit jedoch inhaltlich andere Akzente ge-

setzt würden. Bei US-amerikanischer affirmative action

stand anfangs der Kampf gegen Rassismus und die

gesellschaftliche Benachteiligung afrikanisch stämmiger

Minoritäten im Vordergrund, während Frauenbenachtei-

ligung erst im zweiten Schritt mit einbezogen wurde. In

der Europäischen Union (EU) ging es anfangs um die

Verbesserung der gesellschaftlichen Position von Frau-

en, also einer Bevölkerungsmehrheit. Der Kampf gegen

Rassismus und seine Folgen trat erst später hinzu.

Diskriminierungsverbote und Positive

Maßnahmen: eine notwendige, aber

schwierige Verbindung

Ziel jeder umfassenden Antidiskriminierungspolitik ist

es, mehr Gerechtigkeit und Egalität herzustellen, wo

bislang in Anknüpfung an bestimmte für das Individuum

unveränderliche Merkmale gesellschaftlich benachteiligt

wurde. Dieses Mehr an sozialer Gleichheit muss jedoch

erreicht werden, ohne die Unterschiedlichkeit von Indi-

viduen einfach einzuebnen. Denn zur unveräußerlichen

und unantastbaren Menschenwürde gehört es gerade,

dass individuelle Verschiedenheit zu respektieren ist

und nicht in platter Angleichung an die Mehrheits-Kultur

einfach zum Verschwinden gebracht wird. Es geht nicht

um Gleichmacherei, sondern um Chancengleichheit für

Ungleiche.

Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit

Nichtdiskriminierung allein reicht jedoch nicht, eine

gesellschaftlich über Generationen hinweg gewachsene

und in den Strukturen von Gesellschaft und Psyche der

Gesellschaftsmitglieder tief verankerte Abwertung und

Zurücksetzung ganzer gesellschaftlicher Gruppen auf-

zuheben. Chancengleichheit stellt sich nicht quasi na-

turwüchsig her, wenn durch das Recht bloß Diskriminie-

rung im Einzelfall unterbunden wird. Es bedarf einer

aktiven Umgestaltung der bisherigen Strukturen, in

denen diese Gruppenbenachteiligung eingeschrieben

ist, damit Individuen aus bisher benachteiligten Grup-

pen in der Zukunft tatsächlich gleiche Handlungs-,

Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten bekommen.

Das Diskriminierungsverbot verlangt aber lediglich ein

bloßes Nicht-Tun.

Positive Maßnahmen hingegen sind ein aktives Tun,

um Strukturen in der Gesellschaft, in einzelnen Organi-

sationen und in den Köpfen der Menschen umzugestal-

ten. Nur durch ein Zusammenwirken von Diskriminie-

rungsverboten und Positiven Maßnahmen kann der zur

Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit unerlässli-

che soziale Wandel tatsächlich bewirkt werden.

Zum Verhältnis zwischen Diskriminierungsverboten und

Positiven Maßnahmen stellen sich juristisch jedoch

zwei Grundfragen. Wann schlägt erstens eine Positive

Maßnahme zugunsten bislang Benachteiligter ihrerseits

in eine Diskriminierung von bislang Begünstigten um?

Juristisch spricht man hier von einem Fall der umge-

kehrten Diskriminierung (reverse discrimination). Am

Beispiel der Frauenquoten hat sich der Gerichtshof der

Europäischen Gemeinschaft (EuGH) mit dieser Kollisi-

on schon breit auseinandergesetzt und Quoten grund-

sätzlich zugelassen.

Diskriminierung durch Unterlassen?

Doch wann ist zweitens die Situation bislang Benachtei-

ligter so schlecht, dass bereits das Unterlassen von

Positiven Maßnahmen als Diskriminierung durch Unter-

lassen zu werten ist? Juristisch handelt es sich hier um

Page 10: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

5 DOSSIER Positive Maßnahmen

einen Fall der Verletzung von Schutzpflichten im Sinne

eines Untermaßverbots. Bislang wird beim Untermaß-

verbot im deutschen Recht nur an staatliche Hand-

lungspflichten gedacht, wie sie das Bundesverfas-

sungsgericht (BVerfG) erstmals im Zusammenhang mit

dem Schutz des ungeborenen Lebens vor einem

Schwangerschaftsabbruch entwickelt hat.1 Ausgangs-

punkt sind hier jeweils einzelne Grundrechte, die vom

Ansatz her eigentlich nur als Abwehrrechte gegen

staatliche Eingriffe konzipiert sind. Genügt der bloße

staatliche Nichteingriff aber nicht, den Grundrechts-

schutz in der Realität durchzusetzen, kann die wertset-

zende Bedeutung eines Grundrechts im Extremfall auch

aktives staatliches Handeln verlangen2.

Schutzpflichten zugunsten gesellschaftlich Benachteilig-

ter könnten in Weiterentwicklung dieses Gedankens

künftig auch bei privaten Unternehmen angedacht wer-

den, insofern diese es sind, die allein über die zur Be-

seitigung bestehender Benachteiligung notwendigen

Ressourcen verfügen, insbesondere Arbeitsplätze. Im

Behindertenschutz jedenfalls klingt dieser Gedanke im

Fall der Verpflichtung der ArbeitgeberInnen zu ange-

messenen Vorkehrungen entsprechend Art. 5 RL

2000/78/EG bereits an: Unterlässt ein/e ArbeitgeberIn

zumutbare angemessene Vorkehrungen zugunsten

einer oder eines konkreten behinderten Beschäftigten,

so dass im Einzelfall eine bestimmte Tätigkeit nicht

ausgeübt werden kann, wertet die Richtlinie dieses eher

als Diskriminierung denn als bloße Unterlassung einer

Positiven Maßnahme.3 Klarer wäre es allerdings, wenn

der europäische und/oder der deutsche Gesetzgeber

explizit nicht nur das Schutzgut, die Beseitigung beste-

hender gesellschaftlicher Benachteiligung und ihrer

Folgen, sondern auch positive Handlungspflichten für

diejenigen privaten AkteurInnen formulieren würde, die

für eine solche Beseitigung aktiv werden müssten.

1 Rechtsprechungsnachweise zum Schutzpflichtkonzept siehe Raasch, Sibylle in: Rust, Ursula; Falke, Josef (Hrsg.): Allge-meines Gleichbehandlungsgesetz, Berlin 2007, § 5 Rn. 25 Fn. 45.

2 Zum Schutz des ungeborenen Lebens verlangte das BVerfG anfangs eine Strafnorm, später eine Beratung Schwangerer zugunsten des werdenden Lebens, also eine Positive Maß-nahme, zu deren Flankierung zudem noch weitere Verbesse-rungen der Situation von Müttern/Eltern und Kindern postu-liert wurden.

3 Vgl. Schiek, Dagmar: Gleichbehandlungsrichtlinien der EU – Umsetzung im deutschen Arbeitsrecht, in: NZA 2004, S. 873 ff., S. 875; ebenso für Diskriminierung durch „Andersartigkeit― beim Unterlassen angemessener Vorkehrungen: For-schungskonsortium University of Bradford u.a.: Internationale

Sichtweisen zu positiven Maßnahmen, Europäische Kom-mission (Hrsg.), Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften 2009, S. 32 f.

Frauenförderung, Gleichstellungspolitik,

Diversity Management in Deutschland

Einzelne behinderte Menschen werden in Deutschland

schon seit langem nicht nur geschützt, sondern auch

gefördert. Zugunsten von Frauen als Gruppe und ge-

sellschaftliche Mehrheit setzten Positive Maßnahmen

Ende der 70er Jahre ein. Begrifflich sprach man an-

fangs von „Frauenförderung―. Dieser Begriff legte in

patriarchaler Bevormundung jedoch immer nahe, Frau-

en hätten im Vergleich zu Männern persönliche Defizite,

welche die Frauen selber aufgerufen seien abzustellen.

Inhaltlich ging es anfangs dem entsprechend auch um

konkrete Aus- und Weiterbildungsprogramme wie

„Frauen in Männerberufe― oder „Frauen in Führungspo-

sitionen―.

Gleichstellungspolitik im öffentlichen Dienst

Unter Berufung auf die Vorbildfunktion des öffentlichen

Dienstes wurden in Landesverwaltungen und Universi-

täten bald auch längerfristig angelegte Frauenförder-

programme implementiert. Dabei wurde zur neutraleren

Formulierung „Gleichstellungspolitik― übergegangen.

Den Frauenförderrichtlinien für den öffentlichen Dienst

Hamburgs und Bremens 1984 folgten in Nordrhein-

Westfalen und dem Saarland 1989 erste Frauenförde-

rungsgesetze und 1990/91 in Berlin, Bremen und Ham-

burg die ersten Gleichstellungsgesetze für den öffentli-

chen Dienst.4 Seit den 90er Jahren verfügen der Bund

und alle Bundesländer über Frauenförder- oder Gleich-

stellungsgesetze für ihren öffentlichen Dienst. Die Um-

setzung der Gleichstellung von Frauen wird durch

Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte in Bund, Län-

dern und Gemeinden flankiert.

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Am 27.4.1994 wurde dem Gleichberechtigungssatz des

Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ein weiterer Satz 2

angefügt: „Der Staat fördert die tatsächliche Gleichbe-

rechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die

Beseitigung bestehender Nachteile hin.― Damit wurde

die schon zuvor bestehende Rechtsprechung des Bun-

desverfassungsgerichts (BVerfG) zur Zulässigkeit Posi-

tiver Maßnahmen im Grundgesetz festgeschrieben.5

Das BVerfG sieht die Grenze für Positive Maßnahmen

vor allem dort, wo diese in Wahrheit gar nicht der

4 Einzelheiten siehe Raasch, Sibylle: Frauenquoten und Män-nerrechte, Baden-Baden 1991, S. 85 ff.

5 Ausführlicher Raasch, Sibylle, in: Rust, Ursula; Falke, Josef: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Berlin 2007, § 5 Rn. 25.

Page 11: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 6

Durchsetzung von Chancengleichheit für die Zukunft

dienen, sondern tradierte Geschlechterrollen und damit

verbundene Vorurteile, aber auch Privilegien aus der

Vergangenheit in die Zukunft fortschreiben wollen. Es

hat deswegen Hausarbeitstage nur für Frauen6 und die

Freistellung von Arbeiterinnen von der Nachtarbeit für

verfassungswidrig erklärt.7 Zur Frauenquote hat es sich

bislang nicht geäußert, obwohl ihm zeitweise entspre-

chende Fragen vorlagen, die sich dann aber durch

bloßen Zeitablauf (und anderweitige Beförderung der

sich diskriminiert fühlenden Männer) wieder erledigten.

Positive Maßnahmen in der Privatwirtschaft

In der Privatwirtschaft hingegen ist es bei einzelnen

Positiven Maßnahmen geblieben. Nur selten und zu-

meist nur in Großunternehmen wird Gleichstellungspoli-

tik systematisch und mit langfristiger Orientierung be-

trieben. Ein umfassendes Gleichstellungsgesetz für die

Privatwirtschaft8 scheiterte 2001 mit der wenig verbind-

lichen Vereinbarung zwischen der Bundesregierung

und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft

zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und

Männern in der Privatwirtschaft. Damals sicherte die

Bundesregierung der Wirtschaft zu, neue Gesetze im

Gleichstellungsbereich nur dann einzuführen, wenn

dazu eine Verpflichtung aus EU-Recht bestünde, so-

lange die Absichtserklärung der Wirtschaftsverbände zu

Nichtdiskriminierung und Positiven Maßnahmen Wir-

kung zeige. Die dafür bislang vorgelegten Bilanzen

Chancengleichheit aus den Jahren 2003, 2006 und

2008 zeigen aber, dass die Vereinbarung nicht wirkt

und im Bereich der Wirtschaft keine neue Dynamik an-

gestoßen hat. Vor allem fehlen statistisch nachweisbare

Verbesserungen für Frauen im Erwerbsbereich. Andere

Merkmale als Geschlecht sind in diese Vereinbarung

zur Förderung der Chancengleichheit nicht einbezogen.

Die Beschränkung von Positiven Maßnahmen auf die

Merkmale Geschlecht und Behinderung in Unterneh-

men und Verwaltungen könnte für die Zukunft durch

eine neue Strategie aufgebrochen werden. Diversity

Management (DiM) ist eine Managementstrategie, die

neben Geschlecht auch andere Merkmale positiv ein-

beziehen will, um mehr Vielfalt im Unternehmen zu

ermöglichen. Auch DiM kommt aus den USA. DiM zielt

auf einen grundlegenden Wandel der Organisationskul-

6 Vgl. BVerfGE 52/369, 376 (Hausarbeitstag).

7 Vgl. BVerfGE 85/76, 210 (Nachtarbeit).

8 Entwurf siehe Pfarr, Heide (Hrsg): Ein Gesetz zur Gleichstel-lung der Geschlechter in der Privatwirtschaft, Düsseldorf 2001.

tur ab: Die bislang in den Betrieben vorherrschende

Orientierung an einer Mehrheitskultur, geprägt vor allem

durch die Merkmale männlich, weiß, jung, ohne ge-

sundheitliche Einschränkungen und heterosexuell, soll

abgelöst werden durch eine Kultur der Vielfalt, welche

die bislang ausgeschlossenen Merkmale positiv inte-

griert. Die neuen Handlungsmaximen lauten: Regeln

und Standards, die für alle passen, und Respekt vor der

Andersartigkeit.9

Als Grenze für DiM gilt jedoch, was schon für die vorhe-

rigen Positiven Maßnahmen auf freiwilliger Basis galt:

DiM muss sich aus Sicht eines Unternehmens auf ab-

sehbare Zeit rechnen. Vielfalt in der Belegschaft ist kein

ethisch-altruistisches Konzept, sondern eine Personal-

entwicklungsstrategie, die hofft, Engpässe auf dem

Arbeitsmarkt zu umgehen, die Arbeitsleistung im Be-

trieb zu erhöhen, mehr Kreativität für das Unternehmen

freizusetzen und damit das Unternehmensergebnis in

Form von Produkten oder Dienstleistungen zu verbes-

sern und den Gewinn des Unternehmens zu steigern.

Außerhalb der Gewinnzone lässt demnach auch DiM

keine Positiven Maßnahmen der Unternehmen zuguns-

ten von bisher benachteiligten Beschäftigtengruppen

erwarten. Das Recht und der Gesetzgeber sind dem-

nach trotz DiM weiter gefordert, damit Chancengleich-

heit für alle Bevölkerungsgruppen und in allen Organi-

sationen auch im privaten Sektor systematischer als

bisher sichergestellt werden kann.

Die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU

Ein Verbot von Geschlechtsdiskriminierung im Entgelt-

bereich wurde bereits bei der Gründung der Europäi-

schen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 im Art. 119 EWG

als Primärrecht verankert. Verschiedene Antidiskrimi-

nierungsrichtlinien folgten ab 1975 und bauten das

Verbot sekundärrechtlich schrittweise zu einem umfas-

senden Verbot von Geschlechtsdiskriminierung im

Erwerbsbereich aus. Die Richtlinie (RL) 76/207/EWG

aus dem Jahr 1976 sah bereits in Art. 2 Abs. 4 1976

eine Ausnahmemöglichkeit zugunsten Positiver Maß-

nahmen vor.

Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde 1999 über Art.

13 EG-V, inzwischen Art. 10 AEUV, der Diskriminie-

rungsschutz über Geschlecht hinaus auf die Merkmale

(zugeschriebene) „Rasse―, ethnische Herkunft, Religi-

on/Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle

9 Einzelheiten siehe Krell, Gertraude: Diversity Management, in: dieselbe (Hrsg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik, 5. Aufl. Wiesbaden 2008 S. 63 ff.

Page 12: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

7 DOSSIER Positive Maßnahmen

Ausrichtung ausgedehnt. Zugleich wurde die bisherige

Beschränkung der EU-Antidiskriminierungspolitik auf

den Bereich von Beschäftigung und Beruf aufgegeben

und somit das allgemeine Vertragsrecht bei Gütern und

Dienstleistungen mit einbezogen.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde 2009 auch das

bisher noch unverbindliche allgemeine Diskriminie-

rungsverbot des Art. 21 EU-Grundrechte-Charta ver-

bindliches Gemeinschaftsrecht. Damit sind zusätzlich

zur Diskriminierung in Anknüpfung an die Merkmale aus

Art. 13 EG-V jetzt auch Diskriminierungen wegen der

Sprache, der politischen oder sonstigen Anschauungen,

der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des

Vermögens sowie der Geburt verboten. Durch die Vor-

anstellung von „insbesondere― wird deutlich, dass es

sich hier nur um eine beispielhafte Auflistung besonders

diskriminierungsgefährdeter Merkmale handeln soll,

also noch weitere Merkmale hinzukommen können.

Auch die gesondert vom allgemeinen Diskriminierungs-

verbot in Art. 23 Satz 1 EU-Grundrechte-Charta gere-

gelte Gleichheit von Männern und Frauen wurde ver-

bindliches Gemeinschaftsrecht. Sie ist nunmehr „in

allen Bereichen― sicherzustellen.

Positive Maßnahmen nach primärem Gemeinschaftsrecht

Ebenfalls 1999 wurde dem bisherigen Verbot von Ent-

geltdiskriminierung in Art. 119 EWG, inzwischen Art.

141 Abs. 1 und 2 EG-V und heute Art. 157 Abs. 1 und 2

AEUV, ein neuer Abs. 3 EG-V angefügt, der die Gleich-

stellung der Geschlechter im Erwerbsbereich als Rats-

kompetenz festlegte. Es folgte ein neuer Art. 141 Abs. 4

EG-V, welcher, wie schon zuvor die RL 76/203/EWG,

Positive Maßnahmen als Option ausdrücklich zuließ:

Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der

vollen Gleichstellung von Männern und Frauen

im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Glei-

chbehandlung die Mitgliedsstaaten nicht daran,

zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterre-

präsentierten Geschlechts oder zur Verhinde-

rung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen

in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergün-

stigungen beizubehalten oder zu beschließen.

Mit Maßnahmen „zur Erleichterung der Berufstätigkeit―

wurde Art. 141 Abs. 4 EG-V etwas weiter formuliert als

der vorherige Art. 2 Abs. 4 der RL 76/204/EWG, ohne

dass in der Rechtsprechung des EuGH bislang jedoch

deswegen eine gravierende Veränderung erkennbar

geworden wäre. Art. 2 Abs. 4 der RL 76/204/EWG

jedenfalls soll als Ausnahme vom individuellen Recht

auf Nichtdiskriminierung nach Ansicht des EuGH eng

auszulegen sein.10

Nach dem Vertrag von Lissabon 2009 befinden sich die

Regelungen zu Entgeltgleichheit, Geschlechtsdiskrimi-

nierung im Erwerbsbereich und Positiven Maßnahmen

nunmehr wortgleich in Art. 157 AEUV. Parallel wurde

auch die Gestattung Positiver Maßnahmen beim Merk-

mal Geschlecht aus Art. 23 Satz 2 EU-Grundrechte-

Charta in den Kanon des verbindlichen Gemeinschafts-

rechts überführt: „Der Grundsatz der Gleichheit steht

der Beibehaltung oder der Einführung spezifischer

Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Ge-

schlecht nicht entgegen.―

Positive Maßnahmen zugunsten anderer Merkmale als

Geschlecht bleiben nach dem primären Gemeinschafts-

recht weiterhin ungeregelt. Lediglich für den Rat der EU

wurde 1999 in Art. 13 Abs. 2 EG-V, jetzt Art. 10 AEUV,

eine Kompetenz geschaffen, gemeinschaftliche För-

dermaßnahmen zur Unterstützung der in den Mitglieds-

staaten zur Zielverwirklichung nach Abs. 1 getroffenen

Maßnahmen einstimmig zu beschließen.

Positive Maßnahmen nach den EU-Antidiskrimi-nierungsrichtlinien

Auf der Basis von Art. 13 EG-V (inzwischen Art. 10

AEUV) folgten ab 2000 drei neue Antidiskriminierungs-

richtlinien. Die RL 2000/43/EG (Antirassismusrichtlinie)

weitete den Diskriminierungsschutz auf (zugeschriebe-

ne) „Rasse― und ethnische Herkunft aus. Über den

Erwerbsbereich hinaus wurden hier auch der Sozial-

schutz, Bildung sowie Güter und Dienstleistungen, die

der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich

Wohnraum in den Diskriminierungsschutz einbezogen.

Damit wurden erstmals auch breite Bereiche des allge-

meinen Vertragsrechts erfasst. Die RL 2000/78/EG

(Richtlinie Beschäftigung und Beruf) bezog die Merkma-

le Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter und

sexuelle Ausrichtung in den Diskriminierungsschutz bei

Beschäftigung und Beruf mit ein.

Die Ausweitung in den Bereich des allgemeinen Ver-

tragsrechts aus der Antirassismusrichtlinie fehlt hier

jedoch. Die RL 2002/73/EG (Gender-Richtlinie) brachte

den Diskriminierungsschutz für das Merkmal Ge-

schlecht im Erwerbsbereich aus der RL 76/207/EWG

10

Vgl. EuGH Slg 1995 I-3051 Rn. 21 (Kalanke).

Page 13: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 8

auf den Stand der beiden Antidiskriminierungsrichtlinien

aus dem Jahr 2000. Und die RL 2004/113/EG weitete

den Diskriminierungsschutz für Geschlecht wie zuvor

schon in der Antirassismusrichtlinie auf das allgemeine

Vertragsrecht aus, ohne jedoch genauso weit zu gehen.

Vor Geschlechtsdiskriminierung geschützt werden soll

hier nur beim Angebot von Gütern und Dienstleistun-

gen, die der Öffentlichkeit ohne Ansehen der Person

zur Verfügung stehen.

EU-Richtlinien sind allerdings nur hinsichtlich der darin

vorgegebenen Ziele für die Mitgliedsstaaten verbindlich.

Die Mittel zur Zielerreichung kann sich jeder Mitglieds-

staat aussuchen. Sie müssen allerdings hinsichtlich der

verbindlichen Ziele effektiv sein. Sind sie es nicht oder

wurde eine Umsetzung innerhalb der vorgegebenen

Frist versäumt, stellt sich die europarechtlich kompli-

zierte Frage, ob eine Richtlinie ausnahmsweise doch

direkt angewandt werden kann.

Während die Gender-Richtlinie einfach auf Art. 141

Abs. 4 EG-V verweist, sehen die anderen drei Richtli-

nien für ihren jeweiligen Anwendungsbereich mit ähnli-

chen, allerdings nicht völlig identischen Formulierungen

vor, dass als Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot

Positive Maßnahmen gestattet sind. Es dürfen „zur

Gewährleistung der vollen Gleichstellung― Maßnahmen

beibehalten oder eingeführt werden, mit denen Benach-

teiligungen aufgrund des jeweiligen Merkmals „verhin-

dert oder ausgeglichen werden―.

Die Quotenrechtsprechung des EuGH

Da der EuGH auch in der Folgezeit nur über Positive

Maßnahmen zum Merkmal Geschlecht im Bereich des

Arbeitslebens entschieden hat, ist noch unklar, ob der

Raum für Positive Maßnahmen in den anderen drei

Richtlinien eingeschränkter als beim Merkmal Ge-

schlecht im Arbeitsleben interpretiert werden wird oder

ob der EuGH die Zulässigkeit Positiver Maßnahmen für

alle Merkmale einheitlich bestimmen wird.

Beim Merkmal Geschlecht dürfen Positive Maßnahmen

nach der Quoten-Rechtsprechung des EuGH Frauen

jedenfalls keinen „absoluten― Vorrang einräumen. Im

Einzelnen verlangt der EuGH: Frauen müssen im quo-

tierten Bereich u.a. auch wegen Geschlechtsdiskrimi-

nierung unterrepräsentiert sein. Die Frau und konkurrie-

rende Männer müssen über eine gleichwertige Qualifi-

kation für die Position verfügen. Auch die individuelle

Lage des Mannes muss berücksichtigt werden. Wenn

soziale Gesichtspunkte zu seinen Gunsten überwiegen,

muss er trotz Frauenunterrepräsentanz, Qualifikations-

patt und Quotierung ausgewählt werden.11

Dabei dürfen

die zusätzlichen Kriterien zur Beurteilung der persönli-

chen Lage eines Mannes jedoch nicht ihrerseits wieder

geschlechtsdiskriminierend wirken.12

Flexible Ergebnis-

quoten in Gleichstellungsplänen sind hingegen unein-

geschränkt zulässig, ebenso unter bestimmten Umstän-

den 50-Prozent-Quoten ohne Qualifikationsvorbehalt im

Ausbildungsbereich sowie Besetzungsvorgaben für

Gremien.13

Auch wurden vom EuGH schon Frauenquo-

ten bei nur fast gleichwertiger Qualifikation erwogen.14

Zusammenfassend kann man sagen, Positive Maß-

nahmen müssen gezielt und konkret an ein ansonsten

gegen Ungleichbehandlung geschütztes Merkmal an-

knüpfen und eine Situation der Benachteiligung oder

deren Folgen korrigieren wollen. Dabei ist nicht erfor-

derlich, dass die konkret von der Positiven Maßnahme

begünstigte Person zuvor auch persönlich benachteiligt

wurde, wenn nur die begünstigte Gruppe in diesem Be-

reich zuvor Nachteile erlitten hat oder noch erleidet und

diese Nachteile durch die Positive Maßnahme künftig

verhindert oder in ihren Folgen ausgeglichen werden

sollen. Die Maßnahme darf nicht pauschal die Träge-

rInnen bestimmter Merkmale ohne Ansehen der übrigen

beteiligten Personen besser stellen und sie muss in

Beziehung auf die Benachteiligung, die ausgeglichen

werden soll, und die Folgen für die bislang begünstigten

MerkmalsträgerInnen verhältnismäßig sein.15

Positive Maßnahmen nach § 5 AGG

Der deutsche Gesetzgeber hätte bei der Umsetzung

der Vorgaben zu Positiven Maßnahmen aus den vier

EU-Antidiskriminierungsrichtlinien über diese hinausge-

hen oder völlig neue Wege beschreiten können. Denn

EU-Richtlinien sind nach Art. 288 AEUV nur hinsichtlich

ihrer Ziele verbindlich, überlassen dem nationalen Ge-

setzgeber jedoch die Wahl der Form und der Mittel. Zu-

dem formulieren alle vier Antidiskriminierungsrichtlinien

nur Mindeststandards. Vorschriften, die im Hinblick auf

die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes güns-

tiger sind, dürfen eingeführt oder beibehalten werden.

11

Vgl. EuGH Slg 1995 I-3051 (Kalanke) und Slg 1997 I-6363 (Marschall).

12 Vgl. EuGH Slg 1997 I-6363 Rn. 35 (Marschall).

13 Vgl. EuGH Slg. 2000 I-1875 Rn. 50 f. (Badeck).

14 Vgl. EuGH Slg 2000 I-5539 Rn. 62 (Abrahamsson).

15 Nachweise in Rechtsprechung und Literatur siehe Raasch, Sibylle in: Rust, Ursula; Falke, Josef: Allgemeines Gleichbe-handlungsgesetz, Berlin 2007, § 5 Rn. 20 f., 68 f.

Page 14: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

9 DOSSIER Positive Maßnahmen

Tatsächlich hat der deutsche Gesetzgeber die Positiven

Maßnahmen für Deutschland über § 5 Allgemeines

Gleichbehandlungsgesetz (AGG) jedoch weder näher

konturiert noch rechtsverbindlicher gestaltet. Auch nach

§ 5 AGG bleibt es bei einer allgemeinen Option auf

Positive Maßnahmen in Ausnahme von den zuvor for-

mulierten Gleichbehandlungsgeboten. Besondere Ty-

pen von Positiven Maßnahmen werden nicht

präferenziert, besondere Situationen, in denen auf

jeden Fall Positive Maßnahmen zu ergreifen wären,

werden nicht bezeichnet.

Wer darf welche Positiven Maßnahmen ergreifen?

In § 5 AGG sind keine konkreten AkteurInnen für solche

Maßnahmen bezeichnet: Positive Maßnahmen „sind

zulässig―. Daraus ist zu schließen, dass alle Personen

und Organisationen, die im Gesetz den Diskriminie-

rungsverboten unterliegen, ihrerseits auch Positive

Maßnahmen ergreifen dürfen. Eine weitere konkretisie-

rende Ermächtigung durch den Gesetzgeber ist nicht

erforderlich.

Interessant ist auch, dass durch diese weite Formulie-

rung des § 5 AGG nicht zugeordnet wird, welche Akteu-

rInnen welche Nachteile durch Positive Maßnahmen

ausgleichen dürfen. Es muss lediglich klar sein, welcher

Benachteiligung durch die jeweilige Positive Maßnahme

gegengesteuert werden soll. Das Allgemeinwohlinter-

esse an der Gleichstellung bisher diskriminierter Gesell-

schaftsgruppen kann von allen AkteurInnen und Orga-

nisationen durch eigene Positive Maßnahmen zuguns-

ten aller oder einzelner der im AGG geschützten Merk-

male konkretisiert und wahrgenommen werden. Ein Be-

zug der ArbeitgeberInnen zu Problemen im eigenen Be-

trieb oder Unternehmen oder ein besonderes betriebli-

ches Interesse an Gleichstellung ist nicht erforderlich.16

Diese Offenheit des § 5 AGG kollidiert weder mit EU-

Recht noch mit deutschem Verfassungsrecht. Insbe-

sondere den Anforderungen der Grundrechtswesent-

lichkeit, wonach Eingriffe in Grundrechte immer durch

den Gesetzgeber selber legitimiert werden müssen,

wurde durch § 5 AGG selbst ja nachgekommen.17

Sie

bietet Kreativität und Engagement einerseits den größt-

möglichen Raum, belässt allerdings andererseits auch

alle Aktivitäten im völligen Belieben der AkteurInnen.

16

Vgl. Bauer, Jobst-Hubertus; Göpfert, Burkard; Krieger, Stef-fen: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl. Mün-chen 2008, § 5 Rn. 7.

17 Ebenso Hinrichs, Oda, in: Däubler, Wolfgang; Bertzbach, Martin: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl. Ba-den-Baden 2008, § 5 Rn. 16 f.

Der Gedanke, wer selbst diskriminiert habe, solle durch

Positive Maßnahmen anschließend Wiedergutmachung

leisten, wie er im US-amerikanischen Recht in Zusam-

menhang mit einer Verurteilung zu affirmative action

entwickelt wurde,18

ist dem deutschen Recht somit

fremd. Das hat auch zur Folge, dass nicht gleich als

vorherige(r) DiskriminiererIn stigmatisiert werden kann,

wer Positive Maßnahmen ergreift. Damit ist die Offen-

heit des § 5 AGG Anwendungsstärke und -schwäche

zugleich.

Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit

Was die Zulässigkeitsvoraussetzungen angeht, lehnt

sich § 5 AGG stark an die Vorgaben aus den drei EU-

Antidiskriminierungsrichtlinien für die neu geschützten

Merkmale und Bereiche an. Er ist damit enger gefasst

als Art. 157 Abs. 4 AEUV für das Merkmal Geschlecht

im Arbeitsleben. Denn lediglich „bestehende Nachteile―

dürfen durch Positive Maßnahmen nach § 5 AGG „ver-

hindert oder ausgeglichen― werden, während nach §

157 Abs. 4 AEUV auch allgemeiner bloß „zur Erleichte-

rung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Ge-

schlechts― Positive Maßnahmen ergriffen werden könn-

ten und Art. 23 Satz 2 EU-Grundrechte-Charta jede

spezifische Vergünstigung für das unterrepräsentierte

Geschlecht gestattet. Die Diskriminierungsprävention ist

allerdings nach der schriftlichen Gesetzesbegründung19

mit eingeschlossen.

Die Verknüpfung zwischen Benachteiligung und Ge-

gensteuerung durch Positive Maßnahmen bleibt nach

deutschem Recht jedenfalls für alle geschützten Merk-

male gleich eng. Das AGG ebnet durch seine einheitli-

che Fassung für alle Merkmale Unterschiede ein, die

bei Positiven Maßnahmen nach EU-Recht zwischen

den verschiedenen Merkmalen bestehen könnten.

Schließlich müssen die gewählten positiven Maßnah-

men „geeignet und angemessen― sein. Damit werden

Verhältnismäßigkeitskalküle übernommen, wie sie der

EuGH und die deutschen Gerichte im Fall Positiver

Maßnahmen schon seit langem entwickelt haben, wie

sie aber in Art. 157 Abs. 4 AEUV sowie den EU-

Antidiskriminierungsrichtlinien selber nicht ausdrücklich

formuliert sind.

18

Ausführlich von Wahl, Angelika: Gleichstellungsregime, Opladen 1999, S. 128 ff.

19 Vgl. BT-Drs 16/1780 S. 35.

Page 15: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 10

Auswirkungen des § 5 AGG auf die Unternehmenspraxis

In der Praxis hat die neue Option auf Positive Maß-

nahmen in § 5 AGG bislang keinen Kreativitätsschub

ausgelöst. Eine Unternehmensbefragung im Hamburger

Raum20

zeigte, dass die meisten Unternehmen sich

bestehender Benachteiligungen in ihrem Bereich einer-

seits zwar bewusst sind, ohne sie jedoch andererseits

als Diskriminierung im Sinne des AGG einzustufen.

Eine kleine Minderheit allerdings erkannte schon, dass

sie diskriminierte und gegen das AGG verstieß, hielt

das Gesetz aber für so anwendungsschwach, dass ein

Umsteuern für nicht erforderlich gehalten wurde.

In der großen Mehrzahl der Unternehmen gab es dem

entsprechend auch keine Positiven Maßnahmen. So-

weit dennoch vorhanden bezogen sich die Positiven

Maßnahmen vor allem auf Familienfreundlichkeit, nur

selten gezielt auf das Merkmal Geschlecht und nur

ganz vereinzelt auf andere Merkmale. Extra im Hinblick

auf die neuen Möglichkeiten des § 5 AGG eingeführt

wurde nichts. Teilweise werden Positive Maßnahmen,

insbesondere Frauenquoten, weiterhin explizit abge-

lehnt oder gar als Diskriminierung eingestuft. Diversity

Management wurde lediglich in zwei Großunternehmen

vage erwähnt.

20

Vgl. Raasch, Sibylle; Rastetter, Daniela: Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis, Projektbericht Universität Hamburg, März 2009, S. 24 ff.; Dieselben: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Gesetzliche Regelungen und Umsetzung im Betrieb, in: Badura, Bernhard u.a. (Hrsg.): Fehlzeitenreport 2010. Vielfalt managen: Gesund-heit fördern – Potentiale nutzen, Berlin, Heidelberg 2010 S. 11 ff., S. 19.

Fazit

Positive Maßnahmen werden in Deutschland also seit

2006 zwar durch § 5 AGG zugunsten verschiedener

gesellschaftlicher Gruppen explizit gesetzlich ermög-

licht. In der Praxis deutscher Unternehmen spielen sie

über bloße Familienfreundlichkeit hinaus jedoch ge-

genwärtig noch keine große Rolle. Und für die anderen

Merkmale neben Geschlecht und Behinderung fehlt es

bislang auch erkennbar an Ideen, wie überhaupt ange-

setzt werden könnte. Andererseits hat das Allgemeine

Gleichbehandlungsgesetz aber auch nicht zum Abbau

bestehenden freiwilligen Engagements beigetragen, wie

Kritiker des Gesetzes anfangs unkten.

Sibylle Raasch ist Professorin für Öffentliches Recht

und Legal Gender Studies an der Universität Hamburg in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakul-tät. Aktuelle Forschungsgebiete: Gleichstellungspolitik im Erwerbsleben, Zeitpolitik.

Page 16: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

11 DOSSIER Positive Maßnahmen

Susanne Baer

Chancen und Risiken Positiver Maßnahmen: Grundprobleme des Antidiskriminierungsrechts

In § 5 des AGG ist von „Positiven Maßnahmen― die

Rede.1 Das ist ein rechtspolitischer Fortschritt. Der

Gesetzgeber bekennt sich zu der Notwendigkeit, struk-

turelle Ungleichheiten auch aktiv ausgleichen zu müs-

sen, um tatsächlich Chancengleichheit zu erzielen.

Zudem spricht der Gesetzgeber nicht von „umgekehrter

Diskriminierung― (wie einige Gegner von Fördermaß-

nahmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur) oder

von „Bevorzugung― (wie, neben Benachteiligung, in Art.

3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes). Vielmehr stellt das

AGG in § 1 klar, dass „Diskriminierung― ein Verhalten

ist, das benachteiligend wirkt. Damit wird Diskriminie-

rung klar von „Differenzierung― unterschieden: Diskrimi-

nierung benachteiligt die Einen und privilegiert die An-

deren, während Differenzierung auch Nachteile beseiti-

gen kann, ohne dass dies in gesellschaftlich ungleichen

Verhältnissen einer Bevorzugung gleich käme. Der

Fortschritt, der in § 5 AGG liegt, ist jedoch nur ein Teil

einer längeren Geschichte. Die Regelungen und die

politische Debatte um Fördermaßnahmen werfen kom-

plizierte Fragen auf und bergen erhebliche Herausfor-

derungen.

In diesem Beitrag2 geht es darum, was juristisch, also

im engeren Sinne und insbesondere nach dem AGG,

unter Positiven Maßnahmen zu verstehen ist3, aber

auch darum, wie politisch und praktisch sinnvoll damit

1 Die weiteren Regeln zu zulässigen Unterschieden im AGG ermöglichen zwar Positive Maßnahmen, können aber die allgemeine Regel des § 5 AGG auch wieder einschränken. Das Verhältnis zwischen den jeweiligen Vorschriften ist bis-lang nicht überzeugend geklärt. Wenn § 5 AGG besagt, dass andere Regeln unberührt bleiben, kann das eben auch be-deuten, Fördermaßnahmen nur für zulässig zu halten, wenn sie auch den weiteren Anforderungen des Gesetzes genü-gen. Zum Gesetz auch Baer, Diskriminierung beenden - Tole-ranz fördern. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, in: Die Renaissance der Rechtspolitik. Zehn Jahre Politik für den sozialen Rechtsstaat (Brigitte Zypries, Hg., München 2008), S. 135-140.

2 Dieser Beitrag geht auf einen Vortrag der Autorin zum 6. Ge-burtstag des Antidiskriminierungsnetzwerkes Berlin (ADNB) im Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) 2009 zu-rück. Er ist der Arbeit der in diesem Netzwerk Engagierten gewidmet.

3 Neben dem AGG spielen die Verfassung – das Grundgesetz, GG - und die Regeln des „Völkerrechts― oder internationalen Rechts eine wichtige Rolle (dazu unten). Neben dem AGG gelten allerdings auch zahlreiche Gesetze in Bund und Län-dern zu einzelnen Diskriminierungsgründen, insbesondere Behinderung und Geschlecht.

umgegangen werden sollte. Ausgangspunkt sind die

rechtlichen Rahmenbedingungen für gleichstellungsori-

entierte Praxis und Thema sind die Probleme, die Her-

ausforderungen, die Ambivalenzen, die uns mit Blick

auf Positive Maßnahmen bewegen müssen. Ich stelle

die Frage, wie sinnvoll es ist, sich in der bisher gängi-

gen Weise auf Positive Maßnahmen zu konzentrieren,

und plädiere dafür, über differenzierte Gleichstellungs-

maßnahmen breiter gefächert zu diskutieren. Dabei

wende ich mich gegen jede Form von „Gruppismus―,

auch wenn sie gut gemeint sein mag, weil Politik für

Gruppen essentialisiert und das Problem wiederholt,

das wir eigentlich lösen wollen. Alternativ scheint es

wichtiger, eine postkategoriale Politik gegen Diskrimi-

nierung zu entwickeln.

Der rechtliche Ausgangspunkt: jedenfalls för-

dern dürfen, vielleicht auch müssen

Die Rede von den „Positiven Maßnahmen― kommt –

rechtspolitisch und dogmatisch betrachtet - aus dem

Europarecht, mit Blick auf „affirmative action― auch aus

den USA. Ausgangspunkt der Diskussionen in Deutsch-

land ist § 5 AGG, der in Umsetzung europäischer Richt-

linien gegen Diskriminierung und auch im Einklang mit

ihnen4 ausdrücklich Positive Maßnahmen nennt. Das

dient, so § 1 AGG, der Umsetzung des Zieles des AGG,

„Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder we-

gen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der

Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des

Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder

zu beseitigen.― Eine Positive Maßnahme ist nach § 5

AGG also keine benachteiligende, sondern „eine unter-

schiedliche Behandlung―, „wenn durch geeignete und

angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile we-

gen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder

ausgeglichen werden sollen―.5 Das klingt sehr schön.

Aber es wirft eben auch Fragen auf.

4

Artikel 5 der Richtlinie 2000/43/EG, Artikel 7 Abs. 1 der Richt-linie 2000/78/EG und Artikel 2 Abs. 8 der Richtlinie 76/207/EWG.

5 In der Begründung zum Gesetzentwurf lässt der Gesetzge-ber „Maßnahmen zur Behebung bestehender Nachteile ebenso zu wie präventive Maßnahmen zur Vermeidung künf-tiger Nachteile―. Es ist also weniger an ausgleichende Ge-rechtigkeit i.S.v. Kompensation für vergangene Benachteili-gung gedacht, sondern eher an Chancengerechtigkeit, die

Page 17: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 12

Rechtlich stellt sich zunächst die Frage, ob Positive

Maßnahmen nur ergriffen werden dürfen oder ob sie

auch ergriffen werden müssen – vom Staat, vom Ar-

beitgeber, von Dienstleistenden etc. Das AGG zwingt

hier ausdrücklich zu nichts, es lässt nur zu. Allerdings

gibt es einige weitere juristische Regeln, aus denen

sich erhöhter rechtlicher Druck ableiten lässt, auch

tatsächlich etwas zu tun. So verpflichten das Grundge-

setz und einige Landesverfassungen jedenfalls den

Bund und die Länder ausdrücklich dazu, Gleichstellung

zu fördern. Im Grundgesetz normiert Art. 3 Abs. 2 Satz

2 GG für den Staat seit 1994, aktiv zumindest auf die

Gleichstellung von Männern und Frauen hinzuwirken.

Es ist allerdings durchaus ernüchternd, dass eine ge-

schlechtsbezogene Fördervorschrift für die Privatwirt-

schaft einschließlich der Aufsichtsräte oder Vorstände

großer Unternehmen bislang fehlt. Die Politik setzt auf

„freiwillige Vereinbarungen―, die in der Sache bislang

kaum Fortschritte erzielen. Daneben suggeriert Art. 3

Abs. 3 S. 2 GG, dass aktiv gegen Diskriminierungen

aufgrund von Behinderungen vorgegangen werden soll,

was die UN-Konvention gegen Diskriminierung auf-

grund von Behinderungen von 2006, die seit 2009 ver-

bindlich gilt, verstärkt.

In aller Regel gibt es jedoch keinen durchsetzbaren

Handlungszwang, sondern Handlungsaufträge. So er-

öffnet auch internationales Recht - die Konventionen

gegen Rassismus (CERD), für Rechte der Frauen (CE-

DAW), der Kinder (CRC) oder bezüglich Behinderungen

(CRDP) - ebenso wie die EU gerade bei Positiven Maß-

nahmen für Staaten lediglich Spielräume. Menschen-

rechtsverträge fordern allerdings Rechenschaft und

enthalten Selbstverpflichtungen, auf die sich durchaus –

politisch und anlässlich der Berichterstattungsverfahren

vor den Ausschüssen der Vereinten Nationen – Bezug

nehmen lässt. Im Bereich Behinderung tut der Gesetz-

geber auch Einiges, nicht zuletzt auf Druck einer star-

ken Lobby. Das Bundesverfassungsgericht hat schließ-

lich aus dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3

S. 1 GG schon vor 1994 auch herausgelesen, dass der

Staat durchaus zugunsten der Gleichstellung wirken

darf6. Doch wie soll das konkret aussehen, wo jetzt § 5

AGG Positive Maßnahmen erlaubt?

Hürden aus dem Weg räumen und das Aufstellen weiterer Barrieren verhindern soll.

6 Wichtige Entscheidungen des BVerfG behandelten die Wit-wenrente und dann das Nachtarbeitsverbot gegen Frauen; ausführlich dazu Ute Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung (2. Aufl. (mit Nachtrag) Baden-Baden 1996). Für Anregungen zu dieser Argumentation danke ich Nora Markard.

Ein Problem: Gruppismus

Die Regeln zu Positiven Maßnahmen sind erfreulich,

aber auch aus einer gleichstellungsorientierten Per-

spektive heraus problematisch. In der Begründung zum

Gesetzesentwurf der Bundesregierung heißt es, man

wolle „gezielte Maßnahmen zur Förderung bisher be-

nachteiligter Gruppen nicht nur durch den Gesetzgeber

(wie etwa im Gesetz zur Gleichstellung behinderter

Menschen und im Gesetz zur Gleichstellung von Frau-

en und Männern), sondern auch durch Arbeitgeber,

Tarifvertrags- und Betriebspartner sowie seitens der

Parteien eines privatrechtlichen Vertrags― ermöglichen.

Hier wird also anerkannt, dass aktive Politik benötigt

wird, um Gleichstellung zu erreichen, nicht nur passive

Verbote. Aber im Detail irritiert es, dass der Gesetzge-

ber auf „Gruppen― Bezug nimmt. Wer soll das sein?

Die Rede von „benachteiligten Gruppen― ist sehr geläu-

fig. Die Politik orientiert sich dann an Zielgruppen, Men-

schen fühlen sich einer Gruppe zugehörig und Debatten

beziehen sich auf Gruppen: „die Frauen―, „die Migran-

ten―, „die Behinderten―, usw. Individuell mag es auch

wichtig sein, sich irgendwo sozial zu Hause zu fühlen,

ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, ge-

meinsam auch politisch zu handeln. Die Gruppe scheint

jedoch auch zentral, wenn Diskriminierung als Phobie

beschrieben wird: Homophobie, Ausländerfeindlichkeit

und Fremdenangst. Dann werden Ungleichheiten psy-

chologisiert, anstatt jedenfalls auch Strukturen ernst zu

nehmen. Zudem konzentriert sich eine solche Sicht auf

TäterInnen. So schreibt auch die Bundesregierung in

der Begründung zum AGG, Ziel sei ein „möglichst lü-

ckenloser Schutz vor ethnisch motivierter Benachteili-

gung―. Es geht aber in erster Linie nicht um Motive der

Benachteiligenden, sondern um Nachteile Diskriminier-

ter. Gleichstellungsrecht darf sich nach der insofern

überzeugenden europäischen Rechtsprechung deshalb

auch gerade nicht an Motiven oder Beweggründen

orientieren, also auch keinen Vorsatz verlangen, um

Diskriminierung ahnden zu können. Die Rede von „Mo-

tivation― verweist ebenso wie die Diskussion um hate

crimes, also um eine Strafverschärfung wegen diskrimi-

nierender „Gesinnung―, auf eine tief verwurzelte und

höchst problematische Gewohnheit, Diskriminierung als

ausnahmsweise problematisches Denken und als Aus-

druck einer kollektiven Psyche in Reaktion auf konstru-

ierte Kollektive zu sehen.

In Diskussionen um Positive Maßnahmen ist es eben-

falls ganz üblich, von Gruppen zu sprechen, die als

Benachteiligte jetzt endlich gefördert werden sollen. Es

Page 18: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

13 DOSSIER Positive Maßnahmen

ist jedoch auch hier falsch, weil es politisch und juris-

tisch gefährlich ist, sich auf Gruppen zu beziehen. Noch

schärfer formuliert: Der Bezug auf Gruppen und Grup-

penrechte ist keine Lösung, sondern ein zentrales Prob-

lem von Recht gegen Diskriminierung: rechtlicher

Gruppismus. Warum?

Gruppenrechte essentialisieren Differenz und Ungleich-

heiten. Wer Menschen in Gruppen einteilt, reduziert sie

auf ein Merkmal oder eine Eigenschaft, die eine Gruppe

definieren, homogenisiert also Menschen, die Einiges,

aber nie alles gemeinsam haben. Wer sich an Gruppen

orientiert, tendiert dazu, kollektive Identitätskonzepte

als Identitätspolitiken zu verfestigen. Das begünstigt

elitäre Repräsentationspolitiken, denn in Gruppen spre-

chen dann leaders für andere, mit denen nicht selbst

gesprochen werden muss. Und genau das ist ein zent-

raler Faktor nationalistischer Politiken, die Rogers Bru-

baker7 in seiner Kritik des politischen Gruppismus ana-

lysiert hat; es ist auch ein wesentlicher Aspekt multikul-

tureller Politik, die Anne Phillipps in ihrem Plädoyer für

„Multikulturalismus ohne Kultur―8 kritisiert. Ein Beispiel

für die Probleme gruppistischer Politiken ist die von der

Bundesregierung initiierte Islamkonferenz, in der von

Anfang an umstritten ist, wer da für wen sprechen darf.

Ein weiteres Beispiel ist aber auch dem AGG selbst

eigen, da es für bestimmte Gruppen, nämlich für Religi-

onsgemeinschaften, kollektive Privilegien sichert, die

diesen selbst wieder ermöglichen, andere zu diskrimi-

nieren.9 Dieses Problem, mit dem Bezug auf Gruppen

auch elitäre Fürsprache für diese zu fördern und die

Individuen in den Gruppen zu ignorieren, ist ein Prob-

lem aller Minderheitenrechte. Hier taucht ein rechtlicher

Gruppismus auf, ein legal groupism, der meines Erach-

tens die Ziele von Gleichstellungsrecht konterkariert.

7 Rogers Brubaker, Ethnizität ohne Gruppen, Hamburg 2007.

8 Anne Phillips, Multiculturalism without Culture, Woodstock 2007.

9 Hinsichtlich des Glaubens erlaubt das AGG Differenzierun-gen bei Maßnahmen der Religionsgemeinschaften, wenn dies „eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt―, und zwar für „eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses … im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit― (§ 9 Abs. 1) oder aber, wenn Loyalität im Sinne des Selbst-verständnisses verlangt wird (§ 9 Abs.2). Hier dürfen Religi-onsgemeinschaften – aber nur diese, nicht Weltanschau-ungsgemeinschaften – die eigenen Leute fördern. Es ist um-stritten, inwieweit sie aber auch andere ausgrenzen dürfen, also diejenigen, die den Glauben teilen, aber hinsichtlich ei-nes anderen Merkmals nicht passen, also schwule Männer in der katholischen Kirche oder Frauen in religiösen Positionen zahlreicher Glaubensgemeinschaften. Viele gehen davon aus, dass Religion hier alle anderen Toleranzgebote über-spiele. Ich halte das für höchst problematisch. Auch hier wirkt sich das Problem des Gruppismus aus, denn die Rechte des Kollektivs dienen dazu, die Rechte des (gläubigen) Indivi-duums, selbstbestimmt zu leben, zu verletzen.

Dieser Gruppismus widerspricht auch der Tradition der

Grund- und Menschenrechte. Den Menschenrechten

und auch den deutschen Grundrechten einschließlich

des Rechts auf Gleichheit in Art. 3 GG liegt kein Kollek-

tivismus, sondern ein normativer Individualismus zu-

grunde. Mehr noch: Die Grund- und Menschenrechte

richten sich historisch gerade gegen Politiken, in denen

Individuen verfolgt und ausgegrenzt worden sind, weil

sie einer Gruppe zugerechnet wurden, die als minder-

wertig galt. Der Antisemitismus lebt davon ebenso wie

jeder andere Rassismus. Auch Sexismus lässt sich so

verstehen: „Die Frauen― werden diskriminiert, indem sie

auf eine bestimmte Variante von Weiblichkeit reduziert

werden, und Menschen werden benachteiligt, wenn und

soweit eine bestimmte Norm des Sexuellen für alle gilt,

derzufolge dann die eine Gruppe heterosexuell normge-

treu lebt und die andere Gruppe homosexuell abweicht.

Das meint eine Kritik an „Heteronormativität―, die sich

mit „queeren― Interventionen in Geschlechtertheorien

entwickelt hat. Grund- und Menschenrechte waren und

sind zudem gerade ein „Nie wieder― zum Holocaust, zur

Sklaverei und deren Varianten im Kolonialismus, zu

jeder Form von Rassismus, auch zur sexuellen Diskri-

minierung. Grund- und Menschenrechte lassen sich

also insgesamt ebenso wie das Antidiskriminierungs-

recht als Normen verstehen, mit denen kritisiert wird,

wenn Menschen ihre Individualität abgesprochen wird,

indem sie auf Gruppen reduziert werden.

Das Problem des Gruppismus verschwindet nun auch

nicht, wenn er gut gemeint ist. Vielmehr ist Gruppismus

sogar problematisch, wenn eine Gruppe in guter Ab-

sicht konstruiert und gefördert wird. Wer Fördermaß-

nahmen als Gruppenrechte konstruiert, beteiligt sich auf

gewisse Weise auch daran, Identitäten aufzuzwingen.

Das ist als Dilemma der Differenz10

beschrieben wor-

den. Es bedeutet jedoch nicht, dass Förderung un-

denkbar wäre. Es bedeutet schon gar nicht, dass nach

langjähriger Diskriminierung z.B. durch Segregation,

also Trennung in unterschiedliche Lebensbereiche,

nicht dringend auch Maßnahmen gefragt sind. Dann

geht es jedoch nicht darum, Menschen zu „integrieren―,

sondern eher darum, Menschen partizipieren zu lassen.

Es geht nicht darum, der Gruppe zu sagen, was gut für

10

Vgl. grds. Baer, Dilemmata im Recht und Gleichheit als Hierarchisierungsverbot - Der Abschied von Thelma und Louise, Kriminologisches Journal (4)1996, S. 242. Zu den Debatten um Quoten in einigen westdeutschen Frauenpro-jekten in den 1980er Jahren Dagmar Schultz, Whiteness – ein persönliches Zeugnis, in: Mythen, Maske, Subjekte (Eg-gers, Kilomba, Piesche, Arndt, Hrsg., Münster 2005), S. 525. Zur weiterhin einschlägigen Diskussion um Gleichheit und Differenz Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzwei-se, Sulzbach / Taunus 1995.

Page 19: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 14

sie ist, sondern es muss darum gehen, Einzelnen zu

ermöglichen, zu entscheiden, was gut für sie ist. Prob-

lematisch ist es also, wenn ein zentrales Problem wie-

derholt wird, um es zu lösen; produktiv wird es, wenn

ein Problem benannt, aber nicht normiert wird, um es

zu beseitigen. Gibt es also auch, wie ich sie nennen

würde, postkategoriale Gleichstellungsmaßnahmen,

also Politiken und Argumente, die insbesondere den

rechtlichen Gruppismus hinter sich lassen?

Ein weiteres Problem: Symmetrie

Bevor wir uns dieser Möglichkeit zuwenden, müssen wir

einige weitere Probleme der gängigen Deutungen von

Positiven Maßnahmen lösen. Ein Problem liegt in einer

symmetrischen Weltsicht, die wie der Gruppismus sehr

geläufig ist. Danach sind Menschen grundsätzlich

gleichberechtigt und nur ausnahmsweise diskriminiert;

die Symmetrie ist also die Regel, die Asymmetrie die

Ausnahme. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll bei

der Interpretation von § 5 AGG daher ein objektiver

Maßstab gelten und es soll eine „Abwägung mit

Rechtspositionen der von ihnen negativ Betroffenen―

stattfinden. Stehen also die Positionen der Diskriminier-

ten ganz symmetrisch neben denen der Privilegierten?

Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Europäischen

Gerichtshofes (EuGH) heißt es, dass ein „absoluter

Vorrang der zu fördernden Gruppe― nicht zulässig ist11

.

Hat das irgendwer gefordert – oder sind das eher Fan-

tasien und Unterstellungen, die hier prägen?

In der Sache gibt die europäische Rechtsprechung vor,

in jedem Einzelfall einer Fördermaßnahme darauf zu

achten, dass niemand ungerecht behandelt wird, und

zwar auch nicht der- oder diejenige, der/die angesichts

einer Fördermaßnahme zugunsten Benachteiligter zu-

rückstehen muss.12

Von „absolut― kann also keine Rede

sein. Zum AGG heißt es in der Begründung weiter, „aus

sonstigen Gründen erlaubte Bevorzugungen― seien

11

EuGH Rs. C-450/93 vom 17. Oktober 1995 – Kalanke. Auf die Entscheidungen in den Fällen Marschall und Badeck wird meist nicht verwiesen, die in der Sache interessanter sind; danach sind Fördermaßnahmen zulässig, solange die Einzelfallgerechtigkeit gewahrt ist; im Rahmen von be-reichsspezifischen Plänen sind feste Quoten zulässig, wenn der Staat sie für Ausbildungsplätze vorsieht, auf die er kein Monopol hat.

12 Der EuGH betont in der Rechtsprechung zu Positiven Maß-nahmen, dass dabei auch durch die Hintertür – bei der Be-trachtung der Einzelfallgerechtigkeit – keine diskriminieren-den Argumente benutzt werden dürfen. So ist es unzulässig, einen Mann entgegen einer Vorgabe der Frauenförderung einzustellen, nur weil er Alleinernährer ist, weil dieses Krite-rium mittelbar ungleiche Geschlechterverhältnisse zemen-tiert und sich zu Lasten von Frauen auswirkt, also selbst diskriminiert.

„durch die Vorschrift nicht berührt―, wie z.B. der Vater-

schaftsurlaub. Es kann durchaus irritieren, warum in

Deutschland gerade dieses Beispiel genannt wird. Wem

müssen hier welche Ängste genommen werden? Män-

nern, die meinen, zu kurz zu kommen? Handelt es sich

nicht gerade bei den Regeln zur Elternzeit um Versu-

che, rechtlich gegen Diskriminierung, nämlich gegen

Stereotype und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

vorzugehen? Hier wird jedenfalls suggeriert, dass auch

weithin Privilegierte – hier: Männer - von Maßnahmen

gegen Diskriminierung mit profitieren werden.

Zudem spricht die Begründung zum AGG von „Bevor-

zugung―. Damit fällt der Begründungstext in eine Rheto-

rik zurück, die durch das AGG mit seinem § 1 überwun-

den werden sollte, der sich doch gerade ausdrücklich

gegen Benachteiligungen wendet. Hier handelt es sich

ebenfalls um einen Rückfall in die symmetrische und

politisch konservative Vorstellung, Gleichstellungsrecht

sei Recht gegen unsachliche Unterschiede – mal für die

Einen, mal für die Anderen. Es ist eine blinde, eine

unhistorische Vorstellung – als ginge es bei Sexismus

mal um Frauen, mal um Männer, bei Rassismus mal

um Schwarze, mal um Weiße usw. – und nicht etwa um

tradierte, verfestigte, in Strukturen manifeste Benachtei-

ligungen, die nicht automatisch oder immer, aber im

sogar empirisch nachweisbaren Regelfall „die Anderen―

treffen, also hierzulande: Frauen, MigrantInnen, Nicht-

christlich Gläubige, Alte und Kinder, Behinderte etc.

Eine symmetrische – oder formale – Vorstellung von

Gleichstellungsrecht geht davon aus, dass eigentlich

alle gleiche Chancen haben, einige nur ausnahmsweise

benachteiligt und einige dann ebenso ausnahmsweise

bevorzugt werden sollten.

Eine solche Sichtweise entspricht schlicht nicht der

gesellschaftlichen Realität, die von zahlreichen Mustern

der Ungleichheit durchzogen ist. Sie ignoriert den Kern

von Diskriminierung – die ungleiche Verteilung von

Chancen, Ressourcen und Anerkennung, die eben

nicht willkürlich oder gar zufällig, sondern historisch

gewachsen tief in gesellschaftliche Strukturen einge-

schrieben ist. Sie sichern Privilegien der Normalität. Es

handelt sich also um eine symmetrische Illusion.

Diese Illusion hat auch mehrere problematische Folgen.

Sie führt dazu, dass Positive Maßnahmen auch für

diejenigen diskutiert werden, die hinsichtlich der Merk-

male, die eigentlich Benachteiligung indizieren, eher

profitieren, also eben auf der Seite der Privilegien ste-

hen. Dann erscheint entgegen aller Befunde zu sozia-

len Ungleichheiten plausibel, dass Menschen gefördert

Page 20: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

15 DOSSIER Positive Maßnahmen

werden, die eine Merkmalsdividende erhalten, die also

von einer strukturellen Ungleichheit eher profitieren.

Connell hat das mit Blick auf Männer als „patriarchale

Dividende― beschrieben13

. Deren Auszahlung lässt sich

beobachten, wenn Männer gefördert werden sollen,

obwohl sie regelmäßig in der Erwerbsarbeit auch we-

gen des Geschlechts mehr Zugang, mehr Verdienst,

mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung haben als

die meisten Frauen, oder wenn Frauenförderung aus-

schließlich Menschen zugute kommt, die der Mittel-

oder Oberschicht angehören, heterosexuell in einer

Normpartnerschaft leben, nicht behindert sind usw. In

Deutschland gibt es solche Diskussionen über Förder-

maßnahmen für GrundschullehrerInnen. Diese sind

nicht völlig deplatziert. Wichtig wäre es jedoch, über die

Abwertung von Berufen zu sprechen, in denen bislang

überwiegend Frauen tätig sind, und über die Abwertung

der Tätigkeiten, die den Dingen nahe sind, die kulturell

Frauen zugewiesen werden, also Fürsorge und frühe

Erziehung. Desgleichen lohnt sich eine Debatte über

Vorstellungen, pädagogisch Abschied von „männlichen

Vorbildern― alten Zuschnitts oder von sexistischer Diffe-

renzierung zwischen Mädchen und Jungen zu nehmen.

In Deutschland sind pauschalere Forderungen, „Deut-

sche― oder „Weiße― zu fördern, lange nur bei Rechtsra-

dikalen formuliert worden. Doch gibt es durchaus be-

reits Verhältnisse, wo Positive Maßnahmen denen

dienen sollen, die in einer Gesellschaft, die sich im

Anschluss an Rommelspacher14

als Weiße Dominanz-

kultur beschreiben lässt, durchweg profitieren. Ein Bei-

spiel sind die Hochschulen in Kalifornien in den USA;

ein anderes Beispiel deutet sich in der deutschen De-

batte um die Ausgrenzung deutscher Kinder auf groß-

städtischen Schulhöfen an. Zudem gibt es ein Beispiel

für solche Politiken auch im AGG. Dort folgt das AGG

selbst der symmetrischen Illusion. Nach § 19 Abs. 3

AGG darf „im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung

sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener

Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftli-

cher, sozialer und kultureller Verhältnisse― bei der Ver-

mietung von Wohnungen aufgrund von „Rasse― oder

Ethnizität differenziert werden. Gemeint sind Entwick-

lungen, in denen Wohngebiete „kippen―, sich also die

demografischen Verhältnisse so ändern, dass die

Wohnqualität massiv abgewertet wird. Das AGG kon-

struiert Maßnahmen gegen dieses „Kippen― implizit als

13

Robert Connell, Der gemachte Mann, Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1999.

14 Birgit Rommelspacher, Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht, Berlin 1995.

Positive Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt. Kon-

kret handelt es sich aber regelmäßig um Ausgrenzung

der „Anderen― aus Weißen und für bestimmte soziale

Schichten gedachten Räumen. Auch hier zeigt sich:

Wer Unterschiede sät, kann Diskriminierung ernten.15

Gesellschaften sind nicht symmetrisch, sondern durch

Strukturen und individuelle Erfahrungen der Ungleich-

heit geprägt. Wer Regeln symmetrisch fasst, konstruiert

Wirklichkeit aus der Sicht derer, die privilegiert sind,

deren Leben nicht auch durch Diskriminierung geprägt

ist. Dann werden Unterschiede behauptet, wo Benach-

teiligung vorliegt, oder, nach Catharine MacKinnon: Das

fixiert symmetrische Differenz und bekämpft nicht

asymmetrische Dominanz.16

Es werden – im Anschluss

an Guayatri Spivak17

- Erfahrungen der Subalterne

ausgeblendet. Es wird Differenz oder auch Diversität

gesagt, wo über Rassismus, Sexismus etc. gesprochen

werden sollte. Die symmetrische Illusion verhindert es

nicht zuletzt, auch schmerzliche Gespräche zu führen,

aber sie tut damit, vereinfacht formuliert, nur Einigen

weniger weh.

Noch ein Problem: Subtilisierung

Schließlich gibt es noch ein weiteres Problem der „Quo-

ten―. Positive Maßnahmen wecken Hoffnungen, die sich

ohne weiteres nicht erfüllen können. Vielmehr zeigen

die Erfahrungen mit den seit Jahrzehnten etablierten

Regeln gegen Sexismus jedenfalls im Öffentlichen

Dienst, dass Förderregeln auch dazu führen, Diskrimi-

nierung besser zu verstecken, Benachteiligung also

subtiler werden zu lassen. Das lässt sich als

Subtilisierung bezeichnen: Wenn eine Förderregel gilt,

wird nach unauffälligeren Dingen als zuvor gesucht, um

weiter zu machen wie bisher. Da, wo es bislang in

Deutschland rechtlich zwingend qualifikationsabhängige

Quoten gibt, werden dann eben ungleiche Qualifikatio-

nen festgestellt, um die Quote nie zur Anwendung zu

15

Problematisch ist auch die Möglichkeit zur „Unterscheidung― bei familien- und erbrechtlichen Schuldverhältnissen (§ 19 Abs. 4), die regelmäßig Privilegierte fördern wird. So ist eine private Erbentscheidung zugunsten merkmalsbestimmter Menschen ebenso erlaubt wie bei zivilrechtlichen Schuld-verhältnissen, „bei denen ein besonderes Nähe- oder Ver-trauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen be-gründet wird―, insbesondere bei Vermietung auf demselben Grundstück und bei Vermietungen von weniger als 50 Woh-nungen (§ 19 Abs. 5), um die Privatsphäre zu schützen.

16 Catharine A. MacKinnon, Gleichheit der Geschlechter - Über Differenz und Dominanz, in Erna Appelt / Gerda Neyer: Fe-ministische Politikwissenschaft, Wien 1994, S. 7-71.

17 Gayatri Spivak, Can the subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, (Übers. v. Alexander Joskowicz, Stefan Nowotny, mit einer Einleitung von Hito Steyerl), Wien 2007.

Page 21: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 16

bringen. Oder es werden in Bewerbungsverfahren ge-

rade diejenigen nicht in die engere Wahl gezogen, die

tatsächlich konkurrieren und dann von Positiven Maß-

nahmen profitieren würden, um der Vorgabe insgesamt

auszuweichen. Oder es werden Positionen ad

personam besetzt, also insgesamt ohne Verfahren, um

erst gar keine Diskussion führen zu müssen. Dann

verschiebt eine Quote die Vorurteile und eben auch die

handfesten Benachteiligungen, anstatt ihnen entgegen

zu treten.

Sinnvoller ist es, genau zu diskutieren, was wo zu wel-

chem Zweck genau „Qualifikation― bedeutet. Die Berli-

ner Polizei hat – so Polizeipräsident Glietsch auf der

Veranstaltung des Antidiskriminierungsnetzwerkes

Berlin (ADNB) des Türkischen Bundes in Berlin-

Brandenburg (TBB) 2009 - u.a. ihre Assessments um-

gestellt, also überprüft, inwiefern Auswahlkriterien mit-

telbar dazu führen, MigrantIinnen aus der Polizei aus-

zugrenzen. Dazu gehört folgende Formulierung zu

Stellenausschreibungen: „Die Berliner Polizei, die als

Hauptstadtpolizei bei ihrer Aufgabenerfüllung den viel-

fältigen Anforderungen einer multikulturellen Metropole

Rechnung zu tragen hat, ist besonders an Bewerbern

interessiert, die über - möglichst muttersprachliche -

Fremdsprachenkenntnisse verfügen, insbesondere

Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Italie-

nisch, Kroatisch, Polnisch, Russisch, Serbisch, Spa-

nisch, Tschechisch, Türkisch oder Vietnamesisch.― Das

fördert zumindest im Ansatz Vielfalt ohne Gruppismus,

ohne Symmetrie, ohne Subtilisierung.

Essentialismus

Mit dem Bezug auf scheinbar klar bestimmbare Grup-

pen wird also eine Minderheit, eine Subalterne, werden

die Anderen als solche konstruiert und zementiert. Ein

Merkmal, eine Eigenschaft und eine Erfahrung werden

zu einem bestimmenden Aspekt kollektiver Identität.

Das ist eben unproblematisch, wenn sich Menschen zu

Zeiten selbst für eine geteilte Identität und Zugehörig-

keit entscheiden, weil dies dann immer wieder auch

verändert werden kann. Nichts spricht dagegen, sich

heute „als Frau― oder „als Mann― oder „als Christin― oder

„als Muslim― oder „als Behinderte― oder auch „als Wohl-

habende― etc. zu fühlen, zu geben und zu engagieren.

Es ist aber etwas ganz anderes, darauf staatlich, juris-

tisch festgelegt zu werden.

Wer Menschen bezogen auf bestimmte Merkmale för-

dert, festigt genau diese Merkmale auch als Stigma.

Eine „Frauenquote― ist deshalb ebenso problematisch

wie eine ethnische Quote, z.B. eine „Schwarzenquote―,

wie sie 2009 auf der Fashion-Week in Sao Paulo in

Brasilien für die Auswahl von Models in der Modebran-

che vorgeschlagen worden ist. Dies gilt nicht, weil es

sich um Positive Maßnahmen handelt, sondern weil und

soweit diese Maßnahmen Gruppen fixieren. Beide sind

gleichstellungsorientiert gemeint, wirken sich aber so

auch gleichstellungsfeindlich aus. Sie naturalisieren ein

Merkmal – Frau, schwarz – und bestätigen Alltagsste-

reotype („die brauchen das, weil sie es sonst nicht

schaffen―). Sie reduzieren Menschen auf ein Merkmal,

privilegieren das politisch und ignorieren andere Aspek-

te von Individualität. Wer Eine/n fördert, lässt auch

Andere außen vor. Es geht ja regelmäßig nicht darum,

schlicht Chancen zu eröffnen, sondern es geht um

konkrete Verteilungsentscheidungen mit begrenzten

Mitteln: Positive Maßnahmen für eine Stelle, einen

Ausbildungsplatz, ein Mandat. Solche „Quoten―, die

sich so an „Merkmalen― orientieren, müssen dann auch

Vorrangregeln haben: erst die Frauen, dann die Behin-

derten, dann der Migrationshintergrund? So spielen

Normen Menschen gegeneinander aus. Kurz: Wer

Differenzierung sät, wird auch Diskriminierung ernten,

und wer eine Differenzierung setzt, wird hierarchisierte

Ungleichheiten18

erzeugen.

Auch dieses Problem lässt sich an einer Regelung aus

dem AGG illustrieren: § 20. Dort werden hinsichtlich der

Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen

Identität oder des Geschlechts Unterschiede am Markt

zugelassen, wenn dafür ein sachlicher Grund vorliegt (§

20 Abs. 1). Als solche Gründe anerkennt das AGG

insbesondere die Vermeidung von Gefahren oder

Schäden, den Schutz der Intimsphäre oder der persön-

lichen Sicherheit, die erwähnte Selbstbestimmung von

Religionsgemeinschaften, sowie (Abs. 2) bestimmte

versicherungsmathematische Kalkulationen.

Ausdrücklich nennt der Gesetzgeber aber auch Maß-

nahmen, mit denen „besondere Vorteile gewährt― wer-

den, wenn „ein Interesse an der Durchsetzung der

Gleichbehandlung fehlt― (Nr. 3). Hier geht es also um

Fördermaßnahmen. Jedoch: die in § 1 AGG gelisteten

„Merkmale― „Rasse― und Ethnizität werden nicht ge-

nannt. Der Gesetzgeber hat an „Preisnachlässe oder

andere Sonderkonditionen bei der Anbahnung, Durch-

führung oder Beendigung von Massengeschäften―

gedacht, die niemanden benachteiligen. Was soll das

18

Dazu Baer, Ungleichheit der Gleichheiten? Zur Hierarchisie-rung von Diskriminierungsverboten, in: Universalität – Schutzmechanismen – Diskriminierungsverbote (Hg. v. Eckart Klein/Christoph Menke, Potsdam 2008), S. 421-450.

Page 22: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

17 DOSSIER Positive Maßnahmen

sein? Ermäßigungen für alte oder junge Menschen bei

Eintrittspreisen? Benachteiligen diese tatsächlich nie-

manden, weil die Gesamtkalkulation stimmen muss?

Das AGG geht jedenfalls davon aus, dass solche Maß-

nahmen zulässig sind. Eine positive - und vielleicht

auch öffentlichkeitswirksame - Aktion, Benachteiligte

umsonst in die Theater zu lassen, ins Kino oder ins

Schwimmbad, wäre also rechtmäßig. Aber wäre es

nicht auch höchst problematisch, dann damit zu wer-

ben, dass endlich „Schwule, Schwarze und Behinderte,

Frauen und Lesben― usw. willkommen sind?

Jenseits des Dilemmas der Differenz?

Eine symmetrische und essentialisierende Vorstellung

von Positiven Maßnahmen birgt also insgesamt Prob-

leme. Es sind Probleme für jede Arbeit gegen Diskrimi-

nierung, aber es stellt sich ein spezifisches Problem im

Recht: das Dilemma der Differenz, das im rechtlichen

Gruppismus besonders ausgeprägt ist. Auch wer es gut

meint, nutzt ein Stigma. Wie also lässt sich „postkatego-

rial― gegen Diskriminierung arbeiten?

Wir müssen immer wieder diskutieren, was es bedeutet,

wenn das ADNB des TBB den Schwerpunkt auf „Arbeit

mit und für Menschen nicht-deutscher Herkunft und

People Of Colour― legt. Was genau wird da markiert, mit

welchen auch unbeabsichtigten Wirkungen? Klar ist,

dass Rassismus, also Merkmale wie Herkunft oder

Hautfarbe, ebenso wie andere Markierungen von Un-

gleichheiten nie isoliert von Geschlecht und sexueller

Identität, von Alter und Befähigung, von Glauben und

Weltanschauung und was sich sonst noch hierarchisie-

rend auswirkt, zu verstehen ist. Diskriminierung ist

immer mehrdimensional. Daher ist es sinnvoll, nicht von

MigrantIinnen, sondern von Menschen oder „people―

mit Migrationserfahrungen zu sprechen. Aber ist das

genug? Und wann ist die Orientierung auf „Nicht-

deutsch― angemessen? Was suggeriert die Kombinati-

on „Nicht-deutsch― und Colour? Wir müssen uns immer

wieder mit dem Zusammenwirken und der Mehrdimen-

sionalität, mit der Hierarchie der Ungleichheiten ebenso

wie mit der Angemessenheit der sprachlichen Bezeich-

nungen befassen, um Diskriminierung und die Arbeit

gegen Ungleichheiten mehrfach - intersektional, inter-

dependent – zu begreifen und gestalten zu können.

Hier liegen - zumindest für mein Nachdenken über

Positive Maßnahmen - die derzeit größten Probleme.

Es ist weder klar noch einfach, wie sich ohne erneute

Stigmatisierung und Essentialisierung und eingedenk

der Mehrdimensionalität, also eben „postkategorial―

juristisch eindeutig benennen ließe, auf wen sich Positi-

ve Maßnahmen konkret beziehen sollen. Das AGG

arbeitet mit „Merkmalen― wie „Rasse―19

und „Ethnizität―.

Das ADNB arbeitet für People of Colour und Menschen

mit Migrationshintergrund oder Nicht-Deutsche. Wird so

keine Gruppe markiert, sondern eine Wahrscheinlich-

keit benannt, benachteiligt zu werden? Konkrete Erfah-

rungen sind das eben nicht, denn diese sind nicht kol-

lektiv identisch. In der politischen Arbeit mag daher die

Markierung von Benachteiligungswahrscheinlichkeiten -

oft „Strukturen― genannt – wichtig sein. Für Regeln und

Maßnahmen trägt das aber eher nicht.

Was folgt daraus für die Arbeit gegen Diskriminierung?

Wie gelingt es, Menschen „positiv― zu adressieren,

ohne das Negative damit immer wieder festzuschrei-

ben? Wie wichtig sind da die Kontexte, muss sich also

eine Positive Maßnahme in Berlin auf andere Merkmale

beziehen als in, z.B., München? Muss sie sich in Schu-

len auf andere Menschen beziehen als im Lebensmittel-

Einzelhandel, eine Maßnahme in der Politik auf andere

Merkmale abstellen als eine Maßnahme im Sport?

Jede Regelung, die Positive Maßnahmen auf Merkmale

bezieht, wird die Zielgruppe oft zu weit und manchmal

zu eng fassen. Dann werden von der Maßnahme oft

diejenigen erfasst, die es auch ohne sie schaffen wür-

19

Das wird als Problem gesehen. Im Entwurf der Bundesre-gierung BT-Drs. 15/… S. 28 heißt es: „Die Verwendung des Begriffs der „Rasse― ist nicht unproblematisch―, unter Hin-weis auf Göksu, Rassendiskriminierung beim Vertragsab-schluss als Persönlichkeitsverletzung, Fribourg 2003, S. 8 ff. Doch wolle man, wieder im Einklang mit der EU, mit „Rasse― den sprachlichen Anknüpfungspunkt zu „Rassismus― „und die hiermit verbundene Signalwirkung – nämlich die konse-quente Bekämpfung rassistischer Tendenzen― – nutzen. In Übereinstimmung mit Erwägungsgrund 6 der RL 2000/43/EG weist der Gesetzgeber Theorien zurück, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschli-cher Rassen zu belegen: „Die Verwendung des Begriffs „Rasse― in der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG bedeutet keinesfalls eine Akzeptanz solcher Vorstellungen. Zur Klar-stellung wurde daher – auch in Anlehnung an den Wortlaut des Artikels 13 des EG-Vertrags – die Formulierung „aus Gründen der Rasse― und nicht die in Artikel 3 Abs. 3 GG verwandte Wendung „wegen seiner Rasse― gewählt. Sie soll deutlich machen, dass nicht das Gesetz das Vorhandensein verschiedener menschlicher „Rassen― voraussetzt, sondern dass derjenige, der sich rassistisch verhält, eben dies an-nimmt.― Dasselbe gelte für das Merkmal der „ethnischen Herkunft―. Es sei in einem weiten Sinne zu verstehen, EG-rechtlich auszulegen und umfasse auch Kriterien, wie sie das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) vom 7. März 1966 (BGBl. 1969 II S. 961) nennt: Benachteiligungen auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, des nationalen Ursprungs oder des Volkstums (im Sinne des ethnischen Ursprungs). Dies gilt auch dann, wenn scheinbar auf die Staatsangehörigkeit oder Religion abgestellt wird, in der Sa-che aber die ethnische Zugehörigkeit gemeint ist.

Page 23: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 18

den. Frauenförderung hat die Tendenz, gerade die

Frauen zu fördern, die ansonsten eher privilegiert sind.

Männerförderung lässt schwule oder behinderte Män-

ner tendenziell außen vor. Und die Förderung von Men-

schen muslimischen Glaubens privilegiert tendenziell

Männer und zeigt einen konservativen Drall. Merkmals-

bezogene Positive Maßnahmen normieren, zementie-

ren, essentialisieren und aktivieren Stereotype, und das

in institutionell vermachteten Zusammenhängen.

Wie sollen wir also nennen, was auch juristisch wahr-

genommen, kompetent adressiert und was bekämpft

werden soll? Warum nicht Recht - und damit auch

Maßnahmen - gegen Rassismus, und damit, allgemei-

ner: postkategoriales Antidiskriminierungsrecht? Warum

nicht Recht gegen Sexismus, und damit Recht für all

die Männer und Frauen und Intersexuellen, die von

einer rigiden Zweigeschlechtlichkeit nachteilig betroffen

sind? Warum nicht Recht gegen jede Orientierung am

biochronologischen Alter, damit also für alle, die gern

nach genaueren Kriterien als dem Geburtsjahrgang

beurteilt werden? Das AGG erlaubt derzeit eine unter-

schiedliche Behandlung hinsichtlich des Alters, wenn

eine Maßnahme „objektiv und angemessen und durch

ein legitimes Ziel gerechtfertigt― sowie „angemessen

und erforderlich― ist (§ 10). Danach dürfen Arbeitgebe-

rInnen also Menschen eines bestimmten Alters fördern,

um die Personalstruktur zu diversifizieren. Das ist eine

Positive Maßnahme. Aber ist es überhaupt je sinnvoll,

an ein biografisches Lebensalter anzuknüpfen? Sollten

wir uns nicht eher an Fähigkeiten und Einschränkungen

orientieren? Es ist mehr als fraglich, ob normierte Un-

terschiede jemals „positiv― wirken können. Gibt es eine

Maßnahme zu Geschlecht, die nicht sexistisch wirkt, zu

sexueller Orientierung, die nicht im heteronormativen

Muster steht, zu „Rasse―, die nicht Rassismus ist? Ich

bezweifle das.

Konsequenzen? Breiter diskutieren!

Juristisch signalisiert also sogar die an sich erfreuliche

Möglichkeit, aktiv gegen Diskriminierung vorzugehen,

die § 5 AGG mit den Positiven Maßnahmen regelt,

einige Schwierigkeiten. Der deutsche Gesetzgeber sagt

deutlich, dass Positive Maßnahmen grundsätzlich zu-

lässig sind, und europarechtlich ist klar, dass sie zuläs-

sig sind, wenn sie niemanden automatisch fördern, den

Einzelfall ausreichend beachten und verhältnismäßig

ausfallen.20

Dasselbe statuiert mit Blick auf rassistisch

20

Die rechtlichen Vorgaben sind für die Frauenförderung mittlerweile sehr differenziert und auf alle anderen „Merkma-le― übertragbar. Sie ergeben sich aus der Rechtsprechung

markierte Menschen auch Art. 2 Abs. 2 der Antirassis-

mus-Konvention der Vereinten Nationen (CERD), die

Deutschland seit langem ratifiziert hat. Das AGG er-

laubt Fördermaßnahmen, jedenfalls unter bestimmten

Bedingungen und auch für rassistisch Benachteiligte.

Die Ambivalenz bleibt, solange es mit „Merkmalen―

arbeitet, gruppistisches Denken begünstigt und „Unter-

scheidungen― zulässt, also einer symmetrischen Illusion

folgt. Die Diskussion um Positive Maßnahmen muss

sich daher sehr intensiv mit der Frage befassen, für

wen genau da was genau getan werden soll.

Insbesondere bietet es sich an, Positive Maßnahmen

nicht mehr so eng zu fassen wie bisher. „Positive―

Maßnahmen sind doch eigentlich all jene, die darauf

zielen, zur Gleichstellung und Vielfalt ohne Ausgren-

zung beizutragen. Sie sind „positiv―, weil und wenn sie

einen Beitrag zum übergeordneten Ziel darstellen,

Diskriminierung zu beenden. Die deutsche, bis zur

Klärung auf europäischer Ebene sehr kontroverse und

öffentlich fast nur hinsichtlich der geschlechtsbezoge-

nen Ungleichheit geführte Debatte wurde demgegen-

über weithin auf eine ganz bestimmte Positive Maß-

nahme verkürzt, auf „die― Frauenförderung. Diese wur-

de dann in meist feindseliger Absicht auch noch auf

eine scheinbar formalmathematische Formel gebracht,

die tendenziell immer ungerechte, mechanistisch klin-

gende „Quote―. Bei Positiven Maßnahmen geht es

jedoch um weit mehr.

Radikaler gesagt: Es ist meines Erachtens unsinnig,

Positive Maßnahmen eng zu fassen und von anderen –

von welchen eigentlich: negativen Maßnahmen? - ab-

zugrenzen. Ob ich Diskriminierung verbiete oder einen

Menschen direkt fördere – entscheidend ist, bei wem,

wann und wo eine Maßnahme ansetzt, wenn denn

beides der Gleichstellung dient. Sinnvoll ist es dann

wohl, zeitlich zu differenzieren: Nachträgliche Maßnah-

men - Beschwerden und Klagen, Schadensersatz für

Verletzungen, Unterlassensanordnungen für die Zu-

kunft – sind anders zu beurteilen als vorgängige Maß-

nahmen - präventive Aufklärung usw. Produktiv scheint

mir auch zu fragen, wo, bei wem und wie genau Maß-

nahmen ansetzen. Hier wäre die Orientierung an drei

Typen denkbar:

- Maßnahmen zur Ermächtigung Benachteiligter

(Empowerment),

des EuGH und finden im gesamten Gleichstellungsrecht Anwendung. Informationen finden sich u.a. bei www.stop-discrimination.info/1231.0.html.

Page 24: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

19 DOSSIER Positive Maßnahmen

- Maßnahmen zur Gestaltung von Entscheidungen

(anti-bias, Antidiskriminierung i.e.S.), und

- Maßnahmen zur Gestaltung von Verhältnissen

(Pluralismus).

Empowerment

Ein erster Typ sind Maßnahmen zur Ermächtigung, das

Empowerment. Dies ist aus guten Gründen z.B. ein

Prinzip der Arbeit des ADNB im TBB. Es zielt darauf,

Menschen, die diskriminiert werden, also Benachteili-

gungen erfahren, zu stärken. Dazu gehört die „Förde-

rung― - aber eben die ermächtigende, nicht die paterna-

listische - z.B. eben des ADNB mit öffentlichen Geldern.

Das sind auch Maßnahmen zur Stärkung von Netzwer-

ken oder Vereinigungen. Und dazu gehören Bildungs-

und Qualifizierungsmaßnahmen. Sie setzen in erster

Linie direkt bei Benachteiligten an. Es können aber

auch Maßnahmen sein, die Privilegierte dazu bringen,

sich mit Diskriminierung auseinander zu setzen, um zu

verstehen, wie Benachteiligte ermächtigt werden kön-

nen und wollen.

Ermächtigungsmaßnahmen sind im Bereich der Er-

werbsarbeit ebenso sinnvoll wie in der Sozial- oder

Bildungspolitik, der Familien- oder Gesundheitspolitik,

der Infrastruktur- und Regionalpolitik – um nicht mehr

über Andere, sondern miteinander zu sprechen - let the

subaltern speak -, um Wirklichkeiten nicht als symmet-

rische, sondern auch als ungleiche Verhältnisse begrei-

fen zu können. Es handelt sich insofern um eine Quer-

schnittsaufgabe demokratischer Politik im aktivierenden

Gewährleistungsstaat.

Gestaltung von Entscheidungen

Der zweite Typ sind Maßnahmen zur Gestaltung von

Entscheidungen, also anti-bias, Antidiskriminierung im

engeren Sinne. Sie wenden sich direkt an Menschen

mit Entscheidungsmacht, um diese dazu zu bringen,

gerecht zu be/urteilen. Das zielt auf alle Menschen, die

Macht haben und (auch) so privilegiert sind. Entschei-

dungsbezogene Maßnahmen sind Verbote diskriminie-

render Entscheidungen mit Sanktionen (z.B. bei Aus-

wahl, Einstellung, Beförderung, aber auch Benotung

usw.), Trainings für Personalauswahl oder -beurteilung,

Aus- und Fortbildung für Lehrende, strategische und

fachliche Kompetenzentwicklung für Politik und Verwal-

tung usw.

Solche Maßnahmen sind für die Erwerbsarbeit wichtig -

Ausbildung, Einstellung, Beförderung, Kündigungs-

schutz -, was sich auch mit der Häufung dieses Lebens-

bereichs im Beschwerdebild des ADNB deckt. Aber

Entscheidungen werden auch in der Politik, im Ehren-

amt, in der Bildung usw. gefällt. Auch hier sind Maß-

nahmen gegen Vorurteile eine Querschnittsaufgabe.

Gestaltung von Verhältnissen

Der dritte Typ sind Maßnahmen zur Gestaltung von

Verhältnissen – andere würden sagen: „Strukturen― -

mit dem Ziel der Pluralität. Offiziell heißt das Ziel

„Gleichstellung― oder „Integration― oder „Diversität― bzw.

„Vielfalt― – aber Pluralität betont als Begriff nicht be-

stimmte Unterschiede, sondern verweist auf unzählige

Lebensentwürfe. Solche Maßnahmen zielen darauf,

bestimmte Ergebnisse abzusichern, also die Resultate

der Entscheidungen. Sie adressieren wieder Menschen

mit Entscheidungsmacht (und deshalb sind viele dieser

Versuche bislang nur sehr bedingt wirksam), wie die

Entscheidungsvorgaben, bei gleicher Qualifikation (oder

im öffentlichen Dienst: bei gleicher Eignung, Befähigung

und fachlicher Leistung) im Zweifel zugunsten der Un-

terrepräsentierten (eigentlich: Benachteiligter) zu ent-

scheiden und nicht mehr wie bislang im Zweifel zuguns-

ten der Passung ins Privileg (das ist „die Quote―).

Solche Gestaltungsmaßnahmen sind in der Erwerbsar-

beit wichtig und bekannt - deutlich für Schwerbehinder-

te, weiter kontrovers für Frauen, laut gefordert für Män-

ner, diskutiert für rassistisch benachteiligte Menschen,

Migrantinnen und auch Migranten, so und anders Be-

nachteiligte. Dann müssen sie qualifikationsabhängig

gestaltet werden. Solche Vorgaben können sich aber

auch auf Repräsentation oder Ressourcen beziehen.

Dann kommt es nicht immer auf Qualifikationen an.

Diese „Quoten― oder Vorgaben zu „Parität― richten sich

an Organisationen, z.B. im Rahmen der Vergabe öffent-

licher Gelder21

oder durch die Pflicht, Beschwerdestel-

len einzurichten. Weiter können sie Orte eröffnen, z.B.

durch die Überlassung von Räumen an Menschen, die

bislang dort keinen Ort haben. Weitere Beispiele sind

Quotierungen z.B. von Ausbildungsplätzen oder Vorga-

ben zur Zusammensetzung von Gremien und

Kandidaturlisten.

21

Vgl. dazu das im Auftrag der LADS Berlin im Jahr 2008 erstellte Gutachten von Susanne Baer und Ipek Ölcüm Dis-kriminierungsschutz im Rahmen der Öffentlichen Auftrags-vergabe. Online unter: http://www.berlin.de/imperia-/md/content/lb_ads/lads_gutachten_vergabe.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Page 25: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 20

Die Herausforderung: Passendes wählen

Die Herausforderung guter Antidiskriminierungspolitik

liegt darin, sich aus der Palette unterschiedlicher Positi-

ver Maßnahmen gegen Diskriminierung das Passende

heraus zu suchen. Dazu müssen wir wissen, was ge-

nau warum passt, und um das zu beurteilen, müssen

wir wissen, was wie wirkt, welche Vorteile mit sich

bringt und welche Nachteile erzeugt. Genau da lauern

auch die Probleme, die ich zu benennen versucht habe:

Fördermaßnahmen sind weithin und meist doppelge-

sichtig. Sie verfestigen im Zuge eines problematischen

Gruppismus oft, was individuell sehr unterschiedlich

erlebt wird. Sie sind mit dem Dilemma der Differenz

konfrontiert, mit dem symmetrischen Bezug auf Unter-

schiede, die doch eigentlich nicht mehr entscheidend

sein sollen, weil sie Benachteiligung bzw. Privilegierung

bedeuten. Recht ist eine wichtige Ressource, um gegen

Diskriminierung vorzugehen. Aber in den Foren des

Rechts und an den Orten juristischen Entscheidens –

also in Verwaltungen und anderen Trägern von Ho-

heitsgewalt und in Gerichten, aber auch in den vorgela-

gerten Stufen der Beratung und Verhandlungen – müs-

sen wir immer wieder klären, warum aus der Palette der

Positiven Maßnahmen was genau zulässig und auch

richtig sein soll.

Wir können und sollten nicht naiv fordern, was sich

dann kontraproduktiv auswirkt. Eine Hierarchie der

Ungleichheiten ist nicht akzeptabel. Wir müssen inten-

siv diskutieren, wozu Akteure gezwungen sein sollten,

oft weit jenseits von Quotierungsdiskussionen. Das

AGG zwingt bereits zum vorurteilsfreien, nicht diskrimi-

nierenden Handeln, es ermöglicht eine Ermächtigungs-

politik und es lässt unter bestimmten Bedingungen auch

Entscheidungs- und Zielvorgaben zu.22

22

Das gilt in der Erwerbsarbeit insofern ein Merkmal „wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufli-che Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.― (§ 8) Damit lassen sich Zielvorgaben sachlich rechtfertigen, also z.B. das multikultu-relle Team des ADNB für eben diese Arbeit. Nicht zulässig sind jedoch tätigskeitsunabhängige Vorgaben zur Chancen-gerechtigkeit in allen Lebensbereichen, also eine allgemeine Förderklausel nur um des Merkmals willen.

Genügt das für gute Maßnahmen gegen Rassismus,

die Benachteiligte ermächtigen, Entscheidungen verän-

dern, Verhältnisse gestalten? Wir suchen wirksame und

nicht durch die Hintertür wieder ausgrenzende Regeln

für Menschen gegen Diskriminierung. Der Gesetzgeber

könnte - im Bund und in den Ländern – noch deutlicher

und sollte auch schlauer werden. Die Fortentwicklung

des Rechts der Europäischen Union wird seitens der

deutschen Bundesregierung derzeit blockiert, weil man

ja schon sehr viel getan habe und Barrierefreiheit für

die Wirtschaft zu viel koste; hier muss also rechtspoli-

tisch interveniert werden.23

Solche Debatten werden mit

entscheiden, was dann auch rechtlich zu erreichen ist.

Susanne Baer ist Professorin für Öffentliches Recht

und Geschlechterstudien an der Humboldt Universität zu Berlin und Global Law Faculty an der University of Michigan Law School, USA. Sie arbeitet seit Jahren zu Antidiskriminierungsrecht, kritischer Rechtsforschung und vergleichendem Konstitutionalismus. Im November 2010 wurde sie zur Bundesverfassungsrichterin ernannt ..

23

Die Fortentwicklung läge in einer Harmonisierung des Schutzes hinsichtlich aller Merkmale für alle Anwendungs-bereiche, ungeachtet der Religion oder der Weltanschau-ung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Aus-richtung, KOM (2008), S. 426 endgültig, v. 2. Juli 2008.

Page 26: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

21 DOSSIER Positive Maßnahmen

Alexander Klose

Mehr Verbindlichkeit wagen – Positive Pflichten zu Positiven Maßnahmen

Das individuell-reaktive Regelungsmodell

Das am 18. August 2006 in Kraft getretene Allgemeine

Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verfolgt ein ehrgeizi-

ges Ziel. Nach § 1 AGG zielt das Gesetz darauf ab,

Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse― oder we-

gen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der

Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des

Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder

zu beseitigen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich der

Gesetzgeber in weiten Teilen für ein individuell-

reaktives Regelungsmodell entschieden. Reaktives

Recht antwortet auf Rechtsverstöße im Einzelfall, in-

dem individuelle Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der

Handlungspflichten geschaffen werden. So stehen den

Betroffenen bei Verletzung der in § 7 und § 19 AGG

statuierten Diskriminierungsverbote insbesondere Ent-

schädigungs- und Schadensersatzansprüche zu (§§ 15,

21 AGG).

Der Gesetzgeber geht also zum einen davon aus, dass

die Geschädigten im Anschluss an eine erlittene Dis-

kriminierung selbst die in den europäischen Richtlinien

vorgeschriebene Sanktionierung übernehmen, indem

sie Ansprüche erheben und ggf. vor den Gerichten

durchsetzen. Zum anderen vertraut er darauf, dass dies

bei den Sanktionierten (und denen, die befürchten

sanktioniert zu werden) dazu führt, dass sie diskriminie-

rendes Verhalten (in Zukunft) unterlassen.

Zweifel an der Wirksamkeit des AGG

Ob sich diese Annahmen des Gesetzgebers bewahrhei-

tet haben, ist bisher wissenschaftlich nicht hinreichend

untersucht. Gegen eine häufige Inanspruchnahme des

Gesetzes durch diskriminierte Personen spricht die

geringe Zahl der Gerichtsentscheidungen, in denen

Diskriminierungsfälle verhandelt werden. Dass dies

nicht auf eine hohe Befolgungsrate zurückzuführen ist,

lassen Diskriminierungserfahrungen vermuten, von

denen AnwältInnen, Antidiskriminierungsverbände und -

stellen, aber auch die Medien und Betroffene selbst

berichten.1 Stattdessen dürfte das geringe Ausmaß, in

1 Eine Umfrage im Rahmen des Forschungsprojekts „Realität der Diskriminierung in Deutschland – Vermutungen und Fak-ten― bei den erstinstanzlichen Arbeits-, Verwaltungs- und So-zialgerichten in sechs ausgewählten Bundesländern kam zu

dem Gerichte insbesondere im Bereich des Zivilrechts-

verkehrs, d.h. beim Zugang und der Versorgung mit

Gütern und Dienstleistungen,2 mit Diskriminierungskla-

gen befasst werden, auf die seltene Mobilisierung des

AGG zurückzuführen sein. So kam eine europaweite

Untersuchung zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt

82 Prozent der Personen, die Diskriminierungen erfah-

ren hatten, den letzten Vorfall (in einem Zeitraum von

12 Monaten) nicht bei irgendeiner Stelle meldeten.3

Die rechtssoziologische Forschung hat einiges über die

Faktoren in Erfahrung gebracht, von denen es abhängt,

ob ein Gesetz befolgt und in Anspruch genommen wird.

Dazu zählen insbesondere die Informiertheit über das

Gesetz, die erwarteten Vor- und Nachteile bei (Nicht-)

Befolgung bzw. (Nicht-) Inanspruchnahme und der

Grad der normativen Abweichung von den Zielen des

Gesetzes.4

Informiertheit

Während für die Befolgung des AGG die Kenntnisse

der darin enthaltenen Ge- und Verbote genügen, setzt

die Inanspruchnahme darüber hinaus Wissen und Fer-

tigkeiten voraus, die den „Zugang zum Recht― eröffnen.

Das AGG ist einer Mehrheit in der Bevölkerung unbe-

kannt (34 Prozent haben vom AGG schon einmal ge-

dem Ergebnis, dass seit Inkrafttreten des Gesetzes bis Ende 2009 1.113 Fälle mit Verbindung zum Gleichbehandlungs-recht verhandelt wurden. Dem stehen im gleichen Zeitraum knapp 500 in der JURIS-Datenbank veröffentlichte Entschei-dungen gegenüber. Die Ergebnisse des an der FU Berlin im Rahmen des PROGRESS-Programms der Europäischen Union durchgeführten Projekts werden demnächst bei Nomos veröffentlicht. Siehe: http://www.diskriminierung-in-deutschland.de/informationen_ueber_das_forschungsprojekt-/index.html (Zugriff am 17. 11.2010).

2 Ausführlich zu dieser Rechtsprechung: Franke, Das zivil-rechtliche Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleich-behandlungsgesetzes (AGG) in der Rechtsprechung, Neue Justiz 2010, S. 233-240.

3 European Union Agency for Fundamental Rights (Hrsg.), European Union Minorities and Discrimination Survey, De-zember 2009, in der Zusammenfassung S. 51ff.. Online un-ter: http://fra.europa.eu/fraWebsite/eu-midis/eumidis_main-_results_report_en.htm (Zugriff am 17,11.2010).

4 Ausführlich: Klose, Wie wirkt Antidiskriminierungsrecht?, in: Cottier/Estermann/Wrase (Hrsg.), Wie wirkt Recht? Baden-Baden: 2010, S. 331-351.

Page 27: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 22

hört, 15 Prozent sind sich nicht sicher).5 Auf die im

Rahmen des Eurobarometer gestellte Frage: „Kennen

Sie Ihre Rechte für den Fall, dass Sie Opfer von Dis-

kriminierung oder Belästigung sind?― antworteten in

Deutschland nur 26 Prozent mit „Ja― (dagegen 61 Pro-

zent in Finnland und 41 Prozent in Schweden und

Großbritannien).

Noch weniger weit verbreitet sind – zumindest unter in

Deutschland lebenden TürkInnen und Menschen aus

Ex-Jugoslawien – Kenntnisse von Organisationen, die

Hilfe für Diskriminierungsopfer anbieten (Kenntnisse

bejahen 25 Prozent der TürkInnen und 20 Prozent der

Ex-JugoslawInnen).6

Positive und negative Sanktionen

Ansprüche auf Ersatz des materiellen und immateriellen

Schadens sind zugleich Anreiz für die Inanspruchnah-

me und – aus Sicht des Anspruchsgegners – die Befol-

gung des Gesetzes. Trotz der Vorgaben des Europa-

rechts, wonach die Sanktionen „wirksam, verhältnismä-

ßig und abschreckend― sein müssen, zeigen sich insbe-

sondere deutsche Arbeitsgerichte, von denen ein Groß-

teil der AGG-Verfahren bearbeitet wird, traditionell

zurückhaltend bei Entschädigungszahlungen für Per-

sönlichkeitsverletzungen. Doch selbst die vor diesem

Hintergrund spektakulären 20.000,- Euro Entschädi-

gung, verbunden mit einem zeitlich unbegrenzten

Schadensersatz in Höhe der entgangenen Verdienstdif-

ferenz, die das Landesarbeitsgericht Berlin-

Brandenburg einer Frau zusprach, die wegen ihres

Geschlechts von der GEMA beim beruflichen Aufstieg

benachteiligt worden war,7 dürften bei größeren Unter-

nehmen nicht ausreichend sein, um eine abschrecken-

de Wirkung zu erzielen.8

5

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.), Diskriminie-rung im Alltag. Wahrnehmung von Diskriminierung und Anti-diskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft, Baden-Baden: 2008, S. 40. Online unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionADS/PDF-Anlagen/2009-04-02-schriftenreihe-band4,property=pdf,bereich=ads,sprache=de,rwb=true.pdf (Zugrifft am 17.11.2010).

6 European Union Agency for Fundamental Rights (Hrsg.), European Union Minorities and Discrimination Survey, S. 200 f., 224. Online unter: http://fra.europa.eu/fraWebsite/eu-midis/eumidis_main_results_report_en.htm (Zugriff am 17.11.2010).

7 Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg v. 26. November 11.2008, ArbuR 2009, S. 134 f.. Das Urteil wurde inzwischen aus beweisrechtlichen Gründen vom Bundesarbeitsgericht aufgehoben, Urteil v. 22. Juli 2010, Az.: 8 AZR 1012/08.

8 So nach rechtsökonomischer Analyse des Urteils, Frenzel, Zeitschrift für europäisches Sozia- und Arbeitsrecht 2010, S. 62, 67, der den zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Scha-densersatz zwar für eine Überkompensation des Schadens

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grad der erwar-

teten Sanktionierung neben der Schwere der Sanktion

auch von deren Wahrscheinlichkeit abhängt, die im Fall

von Diskriminierungen äußerst gering ist. Sie bleiben

dort, wo andere „Gründe― (die Stelle sei bereits besetzt,

die Wohnung schon vergeben) vorgeschoben werden,

selbst den Betroffenen häufig verborgen, erfolgen (wohl

auch Dank des AGG) selten(er) öffentlich und lassen

sich daher vor Gericht trotz der Beweiserleichterung in

§ 22 AGG nur schwer nachweisen.

Normative Abweichung

Konkurrierende Normorientierungen führen zu Akzep-

tanzproblemen in der Bevölkerung und können sowohl

die Befolgung als auch die Inanspruchnahme des Ge-

setzes negativ beeinflussen. Auch wenn die hinter dem

AGG stehenden Absichten und Werte („Gerechtigkeit

gegen jedermann―; „Gleiche Chancen für alle―) abstrakt

von den meisten der im Rahmen der bereits zitierten

Sinus-Studie Befragten geteilt werden, stimmten 40

Prozent der Aussage zu: „Antidiskriminierungspolitik

halte ich für überflüssig.― Nur 15 Prozent waren „über-

haupt nicht― dieser Auffassung. Als in der Gesellschaft

benachteiligt gelten in erster Linie die „sozial Schwa-

chen―. Auf das AGG bezogen sind nur für Menschen

mit Behinderung und Ältere mehr Befragte der Mei-

nung, für sie sollte „mehr― und nicht „weniger― bzw.

„nichts― getan werden. Am Ende dieser „Bilanz der

Schutzwürdigkeit― stehen „Homosexuelle―, „Transsexu-

elle― und „Männer―.9

Die bisherigen Ausführungen verweisen auf die Gren-

zen individuell-reaktiver Rechtsdurchsetzung, die mit

den bisherigen Bemühungen zur Umsetzung des AGG

sicherlich noch nicht erreicht sind. Sie ist unentbehrlich,

wenn es darum geht, im Einzelfall Abwehrrechte gegen

Diskriminierungen zu schaffen und Streitfälle einer

gerechten Lösung zuzuführen.10

Soweit das Gesetz

der Betroffenen hält, im Hinblick auf den Abschreckungseffekt bei größeren Unternehmen aber eine deutlich höhere Ent-schädigung fordert. Auf „Kostenkalküle zwischen den erhöh-ten Kosten, wenn man alles entsprechend des AGG einrich-tet, und den Kosten potentieller Prozesse, falls man dieses nicht tut― ist auch Raasch in der von ihr durchgeführten Be-fragung Hamburger Unternehmen gestoßen: Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis, 2009, S. 7. Online unter: http://www.migration-boell.de/downloads/diversity/AGG_Pro-jektbericht_09-02-18.pdf (besucht am 17.11.2010).

9 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.), Diskriminie-rung im Alltag. Wahrnehmung von Diskriminierung und Anti-diskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft, Baden-Baden: 2008, S. 16, 20, 98.

10 Mahlmann in Rudolf/Mahlmann (Hrsg.), Gleichbehandlungs-recht, Baden-Baden: 2007, S. 51.

Page 28: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

23 DOSSIER Positive Maßnahmen

über den individuellen Schutz hinaus eine sozial gestal-

tende Wirkung entfalten und ausweislich seiner Be-

gründung eine „Kultur der Vielfalt und gegen Diskrimi-

nierung in Deutschland― schaffen soll,11

sind jedoch

weitergehende Maßnahmen erforderlich.

Kollektiv-proaktive Regelungen

Als proaktiv können Regelungen bezeichnet werden,

die über die Sanktionierung von Rechtsverstößen hin-

ausgehen und unabhängig von individuellen Klagen

positive Verpflichtungen zur Verwirklichung von Gleich-

heit schaffen.12

Proaktives Recht reagiert damit nicht

auf Einzelfälle, sondern zielt auf die Veränderung kol-

lektiver Prozesse z.B. durch die Umgestaltung diskrimi-

nierender Strukturen in einem Unternehmen. Adressa-

tInnen dieses Gleichbehandlungsrechts der „vierten

Generation―13

sind daher nicht Diskriminierende und

Diskriminierte sondern Personen, die aufgrund ihrer

institutionellen Stellung in der Lage sind, solche Struk-

turen zu beeinflussen.

International

Bekannte Beispiele für proaktives Antidiskriminierungs-

recht sind die Fair Employment and Treatment Order

1998 (FETO) in Nordirland, die equality duties in Groß-

britannien, das System der Aktionspläne und aktiven

Maßnahmen in Schweden und das federal contractor

programme in den USA. Diese Regelungen stimmen

darin überein, dass neben bestehende Diskriminie-

rungsverbote Vorschriften treten, die sowohl die staatli-

chen Stellen als auch private ArbeitgeberInnen dazu

veranlassen sollen, selbst Maßnahmen zur Verhinde-

rung von Diskriminierung und zur Förderung von

Gleichbehandlung zu ergreifen. Die Befolgung dieser

Pflichten wird von staatlichen Stellen regelmäßig (bzw.

in den USA im Rahmen des Vergabeverfahrens) an-

11

BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 30.

12 Schiek/Busch, Proaktiver Schutz (rassistischer) Diskriminie-rung im Arbeitsrecht – lernen von Südafrika?, Arbeitspapier 85 der Hans Böckler Stiftung, 2004, S. 11 f..

13 Nach dieser Zählung gilt als Ausgangspunkt der Rechtsent-wicklung die Aufnahme von Gleichheitsgarantien und Dis-kriminierungsverboten in die nationalen Verfassungen bzw. in das Primärrecht. Es folgt einfachgesetzliche und sekun-därrechtliche Vorschriften, bei denen die Gedanken der (formalen) Gleichbehandlung und der Rechtsdurchsetzung im Vordergrund stehen. Als Recht der dritten Generation werden Positive Maßnahmen bezeichnet, mit denen der Er-kenntnis Rechnung getragen wird, dass unterschiedliche Behandlung zur Herstellung von Gleichheit erforderlich sein kann. Die vierte Generation bilden schließlich positive Pflichten, die auf institutionelle und strukturelle Diskriminie-rungen reagieren und einem Mainstreaming-Ansatz folgen.

hand der ergriffenen Maßnahmen und der erzielten

Ergebnisse überprüft.

So sind in Schweden private ArbeitgeberInnen mit mehr

als 25 Beschäftigten zur Förderung gleicher Rechte für

Männer und Frauen verpflichtet. Dies umfasst nicht nur

die Herstellung gleicher Beschäftigungs- und Entgelt-

bedingungen, sondern verpflichtet ein Unternehmen,

bei dem sich ein geschlechtsspezifisches Ungleichge-

wicht innerhalb der Belegschaft zeigt, auch dazu, sich

um die Einstellung von BewerberInnen des unterreprä-

sentierten Geschlechts zu bemühen. In regelmäßigen

Abständen sind Statistiken über geschlechtsspezifische

Lohnunterschiede, Aktionspläne und anschließende

Berichte mit Vorschlägen zu konkreten Gleichstel-

lungsmaßnahmen vorzulegen. Eine „Ombudsperson für

Gleichstellung― wacht über die Einhaltung dieser Pflich-

ten und hat im Fall der Nichtbefolgung die Befugnis zur

Verhängung von Strafzahlungen.14

Über eine Auswei-

tung des Konzepts, das 1999 bereits auf ethnische

Minderheiten übertragen wurde, auf weitere Merkmale

wird derzeit in Schweden diskutiert.15

In Nordirland sind öffentliche und private ArbeitgeberIn-

nen mit mehr als zehn Beschäftigten verpflichtet, re-

gelmäßig Erhebungen über die religiöse Zusammen-

setzung ihrer Belegschaft durchzuführen. Zeigt sich

dabei, dass KatholikInnen und ProtestantInnen nicht

gleichmäßig repräsentiert sind, muss die Personal- und

insbesondere Einstellungspolitik überprüft und ggf.

verändert werden. Zu diesem Zweck kann die nordiri-

sche Gleichstellungskommission (notfalls auch

zwangsweise) Vereinbarungen mit den ArbeitgeberIn-

nen treffen, in denen neben konkreten Maßnahmen

auch Zielvorgaben formuliert werden können.16

Die im Vereinigten Königreich bestehenden sog. „posi-

tiven Pflichten― richten sich an eine Vielzahl öffentlicher

Behörden und Einrichtungen, die öffentliche Funktionen

wahrnehmen. Gegenstand dieser Pflichten ist es, das

eigene Verwaltungshandeln nicht nur auf Diskriminie-

rungen, sondern auch auf Möglichkeiten zur Förderung

von Chancengleichheit hin zu überprüfen. Größere

14

Klose/Merx, Positive Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile im Sinne des § 5 AGG, Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2010, S. 31. Online unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionADS/PDF-Anlagen/20100913-expertise-positive-ma_C3_9Fnahmen,property=pdf,bereich=ads,sprache=de,rwb=true.pdf (Zugriff am 17.11.2010).

15 Vgl. dazu den Beitrag von Paul Lippaleinen in diesem Dos-sier.

16 Vgl. dazu den Beitrag von McCrudden et. al. in diesem Dossier.

Page 29: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 24

Behörden haben darüber hinaus sog. Equality Schemes

zu erstellen, aus denen sich die geplanten Maßnahmen

ergeben müssen. Durch den am 1. Oktober 2010 in

Kraft getretenen Equality Act werden die drei bestehen-

den duties zu einer einheitlichen Public sector equality

duty zusammengefasst, die über die bisher erfassten

Merkmale „Rasse―, Behinderung und Geschlecht auch

Alter, Transsexualiät und sexuelle Orientierung sowie

Religion und Weltanschauung einschließt.17

Soweit wissenschaftliche Untersuchungen zu den ge-

nannten Maßnahmen vorliegen, weisen diese darauf

hin, dass die Verpflichtungen nicht nur befolgt, sondern

auch das damit bezweckte Ziel, Diskriminierung zu

verhindern und Gleichbehandlung zu fördern, erreicht

wird. Das Beispiel Nordirland zeigt dabei, dass freiwilli-

ge Vereinbarungen, die von ArbeitgeberInnen mit einer

Behörde abgeschlossen wurden, die zugleich auch

Befugnisse zur zwangsweisen Durchsetzung besitzt,

die stärksten Wirkungen entfalten.

In Deutschland

Auch im AGG finden sich einzelne Vorschriften mit

einem kollektiv-proaktiven Charakter. Zum einen in § 12

Abs. 1 und 2 AGG, die ArbeitgeberInnen verpflichten,

„auch vorbeugende Maßnahmen― zum Schutz vor Dis-

kriminierungen zu ergreifen, wozu auch Schulungen der

Beschäftigten gehören sollen.18

„Um unerwünschten

Benachteiligungen im Beruf entgegenzuwirken,― sei es

nach Auffassung des Gesetzgebers „Erfolg verspre-

chender, deren Eintritt durch präventive Maßnahmen zu

vermeiden, als erst nach deren Eintritt den Benachtei-

ligten auf Ausgleichsansprüche zu verweisen.―19

Zum anderen finden sich solche Vorschriften in der

Aufgabenbeschreibung der Antidiskriminierungsstelle

des Bundes in § 27 AGG. Nach dessen Absatz 3 soll

die Stelle u.a. öffentlichkeitswirksam über Rechte der

Betroffenen und deren Durchsetzungsmöglichkeiten

aufklären und Maßnahmen zur Verhinderung von Dis-

kriminierungen ergreifen. Hier betont der Gesetzgeber

erneut, dass der „Zweck der Bekämpfung von Diskrimi-

17

Die einzelnen equality duties sind bisher in sec. 71 Race Relation Act 1976, sec. 49A Disability Discrimination Act 1995 und sec. 76A Sex Discrimination Act 1975 geregelt. Zu positive duties ausführlich: Uduak Archibong in diesem Dos-sier.

18 Zur Rechtslage ausführlich: Schmidt, Organisationspflichten von Arbeitgebenden, Expertise im Auftrag der Antidiskrimi-nierungsstelle des Bundes, 2010. Online unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/ADS/root,did=141178.html (Zugriff am 17.11.2010).

19 BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 37.

nierungen […] am nachhaltigsten durch deren Präventi-

on gefördert― werde, und schlägt als konkrete Maß-

nahmen das Angebot und die Durchführung einschlägi-

ger Fortbildungen durch die Stelle in Betrieben vor.20

Was die Durchführung von Schulungen nach § 12 Abs.

2 AGG betrifft, liegen widersprüchliche Angaben vor.

Während die – in methodischer Hinsicht kritikwürdige –

Studie von Hoffjan/Bramann zu dem Ergebnis kommt,

dass mehr als 85 Prozent der befragten Unternehmen

(positionsabhängig) Schulungen durchgeführt haben

(oder dies zumindest vor hatten), weisen andere Befra-

gungen darauf hin, dass der Anteil dieser Gruppe an

der Gesamtheit der Unternehmen mit 18 Prozent bis 28

Prozent deutlich geringer ist.21

Auch die (präventive)

Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet

ein heterogenes Bild. Hatte sich die ehemalige Leiterin

Martina Köppen vor allem darauf konzentriert, einen –

schließlich nicht zustande gekommenen – „Pakt mit der

Wirtschaft― zu schließen,22

ist die Stelle in den vergan-

genen Monaten mit Plakatkampagnen, medialen Ver-

lautbarungen, einer Initiative zu anonymen Bewer-

bungsverfahren und verschiedenen Forschungsvorha-

ben in der (Fach-) Öffentlichkeit deutlich sichtbarer

geworden.

Schließlich soll nicht übersehen werden, dass auch die

Diskriminierungsverbote – allerdings nur im Rahmen

eines individuell-reaktiven Verfahrens – kollektiv-

proaktive Wirkungen entfalten können. Dies gilt vor

allem für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, da

es (auch) auf die Veränderung vermeintlich neutraler,

aber tatsächlich diskriminierender Vorschriften, Kriterien

und Verfahren zielt. Aber auch die nach wie vor nicht in

deutsches Recht umgesetzte Verpflichtung aus Art. 5

RL 2000/78/EG, angemessene Vorkehrungen für Men-

schen mit Behinderung zu treffen, kann zur Anbringung

einer Rampe oder eines Fahrstuhls führen, die dann

über den Einzelfall hinaus Diskriminierungen verhin-

dern. Entsprechendes gilt, wenn die Durchsetzung des

Verbots unmittelbarer Diskriminierungen zur Änderung

generell-abstrakter Regelungen führt, die wie z.B. § 622

20

BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 30, 51.

21 Priddat/Wilms, Nutzen und Kosten des Allgemeinen Gleich-behandlungsgesetzes, Baden-Baden: 2008, S. 96 m.w.N..

22 Zur Schwerpunktsetzung und Arbeitsweise der Antidiskrimi-nierungsstelle in den ersten zwei Jahren ihres Bestehens vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen v. 27. April 2009 (BT-Drs. 16/12779), zur Öffentlichkeitsarbeit insbesondere die Fra-gen 15 und 16.

Page 30: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

25 DOSSIER Positive Maßnahmen

BGB in unzulässiger Weise an das Lebensalter anknüp-

fen.23

Obwohl der deutsche Gesetzgeber also erkannt hat,

dass individuell-reaktives Recht nicht ausreicht, um

Diskriminierungen wirksam zu bekämpfen, hat er mit

den genannten Vorschriften im AGG kein kollektiv-

proaktives Regelungsregime geschaffen, das mit den

oben genannten Beispielen aus anderen Rechtsord-

nungen vergleichbar wäre.

Positive Maßnahmen nach § 5 AGG

Einer gesonderten Betrachtung sollen schließlich die in

§ 5 AGG geregelten Positiven Maßnahmen unterzogen

werden. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung

zulässig, wenn durch geeignete und angemessene

Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1

AGG genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen

werden sollen. Wille des Gesetzgebers war es, Maß-

nahmen zur Behebung bestehender Nachteile ebenso

wie präventive Maßnahmen zur Vermeidung künftiger

Nachteile nicht nur durch den Gesetzgeber, sondern

auch durch ArbeitgeberInnen, Tarifvertrags- und Be-

triebspartnerInnen sowie seitens der Parteien eines

privatrechtlichen Vertrags zuzulassen.24

Dieser Rechtslage entsprechend kommen empirische

Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die „Options-

regelung― in § 5 AGG auf die Durchführung Positiver

Maßnahmen durch private ArbeitgeberInnen faktisch

keinen Einfluss hatte. Es wurden kaum neue Maßnah-

men ergriffen; immerhin wurden auch keine bestehen-

den Maßnahmen wegen des AGG abgeschafft.25

Die

(wenigen) Fördermaßnahmen, von denen – in aller

Regel nicht im Kontext von § 5 AGG – berichtet wird,

betreffen in erster Linie Frauen, Menschen mit Behinde-

rung und im Zuge der demographischen Entwicklung

zunehmend Ältere. Horizontale Diversity-Ansätze finden

sich fast ausschließlich in internationalen Großunter-

nehmen.26

Von der Möglichkeit, selbst Positive Maßnahmen zu

ergreifen, hat der Bundesgesetzgeber bereits vor In-

krafttreten des AGG mit den Gesetzen zur Gleichstel-

23

EuGH v. 19. Januar 2010, Rs. C-555/07 (Kücükdeveci), NJW 2010, S. 427 ff..

24 BT-Drucksache 16/1780 v. 8. Juni 2006, S. 34.

25 Raasch, Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis, 2009, S. 27 f..

26 Klose/Merx, Positive Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile im Sinne des § 5 AGG, Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2010.

lung von Männern und Frauen sowie von Menschen mit

und ohne Behinderung im Bereich des öffentlichen

Dienstes Gebrauch gemacht. Eine weitergehende Ver-

pflichtung privater ArbeitgeberInnen besteht bisher nur

zugunsten Schwerbehinderter.

Verbindliche rechtliche Grundlagen zur

Gleichstellung behinderter Menschen

In dem am 1. Mai 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur

Gleichstellung behinderter Menschen (BBG) finden sich

verschiedene über den Einzelfall hinausgehende Ver-

pflichtungen, die sich in erster Linie an die Träger öf-

fentlicher Gewalt, d.h. insbesondere die Bundesverwal-

tung, richten. Dazu gehört die Herstellung von

Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr, die

Verwendung barrierefreier Informationstechnik und die

entsprechende Gestaltung von Formularen und Vordru-

cken (§§ 8, 10, 11 BBG).

Nach § 5 BBG sollen zur Herstellung der

Barrierefreiheit darüber hinaus Zielvereinbarungen

zwischen anerkannten Behindertenverbänden und

Unternehmen oder Unternehmensverbänden getroffen

werden. Diese sollen insbesondere Mindestbedingun-

gen darüber enthalten, wie Lebensbereiche in Zukunft

zu verändern sind, um dem Anspruch behinderter Men-

schen auf Zugang und Nutzung zu genügen, sowie

einen Zeitpunkt oder Zeitplan, bis zu dem diese Bedin-

gungen erfüllt werden. Zwar können die anerkannten

Verbände die Aufnahme von Verhandlungen, nicht

jedoch den Abschluss einer solchen Vereinbarung

verlangen. Seit 2002 wurden daher insgesamt 29 Ziel-

vereinbarungen abgeschlossen, von denen jedoch fast

zwei Drittel auf die Eisenbahnen sowie die Unterneh-

men Edeka und Globus zurückgehen.27

Um die bisher

„sehr zögerliche― Inanspruchnahme des Instruments zu

verbessern, hat die Bundesregierung inzwischen einen

Mustervertragstext entwickelt.28

Das neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (Rehabilitati-

on und Teilhabe behinderter Menschen, SGB IX) ent-

hält eine ganze Reihe verbindlicher Förderungspflichten

für schwerbehinderte Menschen. Kollektiv-proaktiv wirkt

dabei vor allem die für öffentliche und private Arbeitge-

berInnen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen geltende

27

Das „Zielvereinbarungsregister― ist einsehbar unter: http://www.bmas.de/portal/19564/2007__09__21__zielvereinbarungsregister.html (Zugriff am 17.11.2010).

28 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen v. 27. Mai 2008 (BT-Drs. 16/9283), zur Zielvereinbarung die Fragen 30 ff..

Page 31: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 26

Pflicht, davon mindestens 5 Prozent mit schwerbehin-

derten Menschen zu besetzen (§ 71 SGB IX), die je-

doch durch eine Ausgleichsabgabe „ersetzt― werden

kann. Ein weiteres Instrument ist die Integrationsver-

einbarung, die nach § 83 SGB IX zwischen Arbeitgebe-

rIn und Schwerbehindertenvertretung zu treffen ist und

die z. B. Regelungen zu einer anzustrebenden Beschäf-

tigungsquote, einschließlich eines angemessenen An-

teils schwerbehinderter Frauen enthalten kann. Auch

hier besteht ein Anspruch – in diesem Fall der Schwer-

behindertenvertretung – Verhandlungen mit den Arbeit-

geberInnen aufzunehmen.

Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Schwerbe-

hinderung ist von 2001 bis 2006 kontinuierlich gestie-

gen (von 3,8 Prozent auf 4,3 Prozent); 2007 lag sie bei

4,2 Prozent. Zu berücksichtigen ist bei dieser positiven

Entwicklung jedoch, dass sie vor allem von den öffentli-

chen ArbeitgeberInnen, bei denen die Quote von 5,1

Prozent auf 6,0 Prozent im Jahr 2007 stieg (im Bund

sogar auf 8,6 Prozent) sowie von Großunternehmen

getragen wird, während ArbeitgeberInnen mit bis zu 40

MitarbeiterInnen lediglich eine Quote von 2,6 Prozent

erreichten (private Wirtschaft insgesamt: 3,7 Prozent).

Mehr als 30 Prozent der verpflichteten privaten Unter-

nehmen beschäftigen überhaupt keine schwerbehinder-

ten Menschen.29

Pro-aktive Instrumente im Bundesgleich-

stellungsgesetz

Das am 5. Dezember 2001 in Kraft getretene Gesetz

zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der

Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes

(BGleiG) enthält mit der Verpflichtung zur Umsetzung

von Gender Mainstreaming und zur Aufstellung von

Gleichstellungsplänen zwei kollektiv-proaktive Instru-

mente par excellence. Ergänzt durch § 2 der Gemein-

samen Geschäftsordnung der Bundesministerien

(GGO), wonach die Gleichstellung von Frauen und

Männern als durchgängiges Leitprinzip bei allen politi-

schen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen

der Bundesministerien gefördert werden soll, ist es Ziel

des § 2 BGleiG, eine gleichstellungsorientierte Sicht-

weise zum selbstverständlichen Bestandteil des Ar-

beitsalltags der Bundesverwaltung werden zu lassen.30

29

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (Hrsg.), Jahresbericht 2008/2009, S. 10 f.. Online unter: http://www.integrationsaemter.de/files-/11/JB_BIH2009.pdf (besucht am 17. November 2010).

30 Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bun-desgleichstellungsgesetz, Berichtszeitraum: 1. Juli 2001 bis 30. Juni 2004, BT-Drs. 16/3776 v. 7. Dezember 2006.

Die in § 11 BGleiG geregelten Gleichstellungspläne

sind Instrumente der Personalplanung und –entwick-

lung, die alle zwei Jahre aktualisiert bzw. neu erstellt

werden und für deren Umsetzung alle Funktionsträge-

rInnen mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben ver-

antwortlich sind. Neben einer Beschreibung der Situati-

on der weiblichen im Vergleich zu den männlichen

Beschäftigten hat der Plan eine Auswertung der bishe-

rigen Fördermaßnahmen und ggf. Gründe zu enthalten,

warum Zielvorgaben nicht erreicht worden sind. In je-

dem Plan sind zur Erhöhung des Frauenanteils in den

einzelnen Bereichen personelle und organisatorische

Maßnahmen (z.B. die Flexibilisierung der Arbeitszeitre-

gelung oder die Einrichtung von Telearbeitsplätzen) im

Rahmen konkreter, zeitlich gestaffelter Zielvorgaben zu

entwickeln.

Die Erfolge sind noch immer bescheiden, wie der erste

Erfahrungsbericht und Auswertungen des Bundesminis-

teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(BMFSF) belegen: Von 2000 bis 2005 hat sich der

Anteil der Abteilungsleiterinnen von 9 Prozent auf 15

Prozent erhöht, der der Unterabteilungsleiterinnen von

8,6 Prozent auf 14,7 Prozent und der der Referatsleite-

rinnen von 13,5 Prozent auf 20 Prozent. Eine positive

Wirkung der Instrumente des BGleiG liegt zumindest

nahe, wenn man die Zahlen mit Untersuchungen aus

der Privatwirtschaft vergleicht. Danach ist der Anteil der

weiblichen Topmanagerinnen von 7,5 Prozent Anfang

2007 auf 5,5 Prozent Anfang 2008 zurückgegangen.

Die Vorstandsmitglieder der 100 größten deutschen

Unternehmen waren 2007 mit einer einzigen Ausnahme

männlich, bei den „Top 200 Unternehmen― betrug der

Frauenanteil „gut 1 Prozent―.31

Mehr Verbindlichkeit wagen!

Die Analyse hat gezeigt, dass kollektiv-proaktive Maß-

nahmen im AGG vereinzelt und systematisch nur im

Behinderten- und Frauengleichstellungsrecht zur An-

wendung kommen. Dass sie dort – in unterschiedlichem

Umfang – die erwünschten Wirkungen zeigen, ent-

spricht den Erfahrungen anderer Länder. Als Erfolg

versprechend haben sich dabei Konzepte erwiesen, die

auf Förderpflichten aufbauen, die dann mit Hilfe von

Plänen und Programmen konkretisiert werden. Mit Hilfe

welcher Instrumente die darin regelmäßig neu verein-

31

3. Bilanz Chancengleichheit: Europa im Überblick, 2008, S. 27 f. online unter: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ-/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/3.-bilanz-chancengleich-heit-europa-im-blick,property=pdf,bereich=bmfsfj,spra-che=de,rwb=true.pdf (Zugriff am 17.11.2010).

Page 32: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

27 DOSSIER Positive Maßnahmen

barten Gleichstellungsziele dann konkret erreicht wer-

den, wird unter Einbeziehung aller Beteiligten sachnah

„vor Ort― entschieden. Eine einleitende Bestandsauf-

nahme und eine systematische Evaluation stehen am

Anfang und am Ende eines jeden Zyklus. Grundsätzlich

entspricht dies den oben erläuterten Frauenförder- bzw.

Gleichstellungsplänen, sollte dem horizontalen Ansatz

des AGG folgend nun aber (wie z.B. im Vereinigten

Königreich) um die anderen in § 1 AGG genannten

Merkmale und um effektive Durchsetzungsinstrumente

(z.B. Sanktionen bei Verfehlung der Zielvorgaben)

erweitert werden. Entsprechendes gilt für die Erweite-

rung des Gender- zu einem Diversity-Mainstreaming32

.

Das Beispiel Schweden zeigt darüber hinaus, dass

vergleichbare Pflichten nicht nur im öffentlichen Be-

reich, sondern auch für private Unternehmen eingeführt

werden können, ohne dass damit übermäßige Belas-

tungen für private ArbeitgeberInnen verbunden sein

müssen. Sie könnten in Deutschland im Wege von

Betriebsvereinbarungen zwischen ArbeitgeberIn und

Betriebsrat verbindlich gemacht werden33

Gegenstand

einer solchen Zielvereinbarung sollte neben der Ent-

wicklung der Personalstruktur auch das Dienstleis-

tungsangebot der jeweiligen Behörde bzw. des Unter-

nehmens sein. Bei Konflikten zwischen ArbeitgeberIn

und Betriebsrat wäre die Antidiskriminierungsstelle des

Bundes aufgerufen, als Schlichterin und Mediatorin tätig

zu werden. Zur Durchsetzung dieser Verpflichtung ist

daran zu denken, die Vergabe öffentlicher Aufträge und

Subventionen vom Abschluss (und der Einhaltung)

einer solchen Vereinbarung abhängig zu machen.34

Eine solche Regelung könnte auf § 17 Abs. 1 AGG auf-

bauen, der Tarifvertragsparteien, ArbeitgeberInnen und

Beschäftigte bisher nur unverbindlich auffordert, im

32

Zu Diversity Management als horizontaler Handlungsoption nach § 5 AGG vgl. Franke/Merx, Positive Maßnahmen – Handlungsmöglichkeiten nach § 5 AGG, Arbeit und Recht 2007, S. 235-239.

33 Vgl. den Beitrag von Michaela Dälken in diesem Dossier.

34 Zur Zulässigkeit von „Diskriminierungsschutz im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe― vgl. das gleichnamige Gutachten von Baer/Ölcüm im Auftrag der Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung, 2008.

Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten

an der Verwirklichung von Gleichbehandlung mitzuwir-

ken. Damit würde der Gesetzgeber nicht nur mit der in

Art. 26 RL 2006/54/EG enthaltenen Verpflichtung der

Mitgliedstaaten Ernst machen, ArbeitgeberInnen zu er-

suchen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um allen

Formen der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts

vorzubeugen35

, sondern entspräche auch der zu Art. 3

Abs. 2 GG vertretenen Auffassung, dass das AGG dem

umfassenden Verfassungsauftrag zur tatsächlichen

Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der

Gesellschaft in der bestehenden Form nicht gerecht

wird. Insbesondere im Arbeitsleben seien bloße Diskri-

minierungsgebote nicht ausreichend und müssten z.B.

durch die Verpflichtung der Tarifvertragsparteien da-

rauf, Ergebnisse in der tatsächlichen Gleichstellung von

Frauen vorzuweisen, ergänzt werden.36

Angesichts der

sich auch auf europäischer Ebene abzeichnenden Ein-

ebnung der Hierarchien des Gleichbehandlungsrechts,

sollte dies auch für die anderen in § 1 AGG genannten

Merkmale gelten.

Regelungen wie § 5 AGG, die die Durchführung positi-

ver Maßnahmen lediglich erlauben, reichen dagegen

allein nicht aus, um nachhaltige Aktivitäten zum Abbau

struktureller Diskriminierung und zur Verwirklichung von

mehr Gleichstellung auszulösen.

Alexander Klose ist wissenschaftlicher Geschäftsfüh-

rer des Instituts für interdiszilplinäre Rechtsforschung / Law & Society Institute (LSI Berlin) der Humboldt-Universität zu Berlin, Inhaber des Büros für Recht und Wissenschaft sowie Lehrbeauftragter für Gender- und Diversity-Kompetenz an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Antidiskrimi-nierungsrecht und die Rechtssoziologie.

35

Vgl. auch (in schwächerer Form) Art. 11 RL 2000/43/EG, Art. 13 RL 2000/78/EG, Art. 8b RL 76/207/EWG.

36 Roetteken, AGG, Heidelberg: 2007, § 1 Rn. 149. Zu einer Schutzpflicht des Gesetzgebers in diesem Sinne vgl. Raasch in Rust/Falke, AGG, Berlin: 2007, § 5 Rn. 25, 45 sowie in diesem Dossier.

Page 33: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 28

Andreas Merx

Positive Maßnahmen in der Praxis – 10 Fragen und Antworten zur Umsetzung Positiver Maßnahmen

1. Was sind Positive Maßnahmen?

Ganz allgemein lassen sich Positive Maßnahmen als

gezielte Fördermaßnahmen umschreiben, mit denen

strukturelle Barrieren abgebaut und gezielt Diversity

gefördert werden können. Im Fokus Positiver Maßnah-

men stehen dabei die von den EU-

Gleichbehandlungsrichtlinien und dem AGG geschütz-

ten Personen und gesellschaftlichen Gruppen (die in §

1 AGG geschützten Diskriminierungsgründe sind: Alter,

Behinderung, ethnische Herkunft/zugeschriebene „Ras-

se―, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung und

sexuelle Identität), für die bestehende Nachteile „ver-

hindert oder ausgeglichen werden sollen―. Es findet sich

allerdings keine umfassendere Definition Positiver

Maßnahmen im Europäischen Gleichbehandlungsrecht

oder im AGG.

Die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/43/EG

(Antirassismusrichtlinie) enthält in Artikel 5 („Positive

Maßnahmen―) die entsprechende Formulierung zu

Positiven Maßnahmen:

Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die

Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung

der vollen Gleichstellung in der Praxis spezifi-

sche Maßnahmen, mit denen Benachteiligungen

aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft

verhindert oder ausgeglichen werden, beizube-

halten oder zu beschließen.

Eine nahezu gleich lautende Formulierung findet sich in

der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG (ar-

beitsrechtliche Rahmenrichtlinie) in Artikel 7 („Positive

und spezifische Maßnahmen―):

Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die

Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung

der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezi-

fische Maßnahmen beizubehalten oder einzu-

führen, mit denen Benachteiligungen wegen ei-

nes in Artikel 1 genannten Diskriminierungs-

grunds verhindert oder ausgeglichen werden.

In verschiedenen Urteilen des Europäischen Gerichts-

hofs (EuGH) zur Umsetzung von Positiven Maßnahmen

im Bereich der Gleichstellung von Frauen und Männern

in der Arbeitswelt1 wurde eine Minimaldefinition Positi-

ver Maßnahmen im Europäischen Rechtskontext entwi-

ckelt. Danach handelt es sich bei Positiven Maßnah-

men um Mittel, „die zwar ihrerseits diskriminierend

wirken können, tatsächlich aber in der sozialen Wirk-

lichkeit bestehende faktische Ungleichbehandlungen

beseitigen oder verringern sollen―.

Der deutsche Gesetzgeber hat die Formulierungen der

EU-Gleichbehandlungsrichtlinien sinngemäß übernom-

men und dabei zugleich eine Mindestanforderung an

die Zulässigkeit der Maßnahmen festgeschrieben. § 5

AGG „Positive Maßnahmen― lautet:

Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20

benannten Gründe ist eine unterschiedliche Be-

handlung auch zulässig, wenn durch geeignete

und angemessene Maßnahmen bestehende

Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grun-

des verhindert oder ausgeglichen werden sollen.

Eine Studie der Europäischen Kommission von 2009 zu

„Internationalen Sichtweisen zu positiven Maßnahmen―

(Archibong et al. 2009) hat eine etwas umfangreichere

Arbeitsdefinition Positiver Maßnahmen entwickelt. Sie

beschreibt Positive Maßnahmen als „angemessene

Aktivitäten, die implementiert werden, um in der Praxis

eine vollständige und effektive Chancengleichheit für

alle Mitglieder von Gruppen zu gewährleisten, die sozial

oder wirtschaftlich benachteiligt sind oder anderweitig

die Folgen vergangener oder gegenwärtiger Diskrimi-

nierung oder Benachteiligung zu erleiden haben.―

In der Arbeitswelt und insbesondere im Unternehmens-

kontext hat sich der Begriff der „Positiven Maßnahme―

noch wenig durchgesetzt. Die zahlreichen gezielten

Fördermaßnahmen, die im Rahmen der vielfältigen

Aktivitäten von Unternehmen, Organisationen und öf-

fentlichen Verwaltungen/Einrichtungen im Bereich Anti-

diskriminierung, Gleichstellung sowie zur Förderung der

personalen Vielfalt im Rahmen eines umfassenderen

1

Siehe z.B. die EuGH-Rechtsprechung zur Richtlinie 76/207/EWG; vgl. EuGH Slg. 2000 I-1875 Rn. 50 f. (Badeck) oder auch EuGH Slg. 1997 I-6363 (Marschall).

Page 34: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

29 DOSSIER Positive Maßnahmen

Diversity Managements umgesetzt werden und durch-

aus als „Positive Maßnahmen― bezeichnet werden

könnten, laufen meist noch nicht unter diesem Begriff.

Häufig werden die Maßnahmen im Unternehmenskon-

text eher „zielgruppenorientierte Fördermaßnahmen―

genannt.

Die zunehmende Thematisierung und Diskussion um

Positive Maßnahmen wird zukünftig sicherlich dazu

beitragen, ein breiteres Verständnis und eine Vielzahl

differenzierterer Definitionen Positiver Maßnahmen zu

entwickeln.

2. Welche strukturellen Barrieren können mit

Positiven Maßnahmen abgebaut werden?

Positive Maßnahmen sollen dazu beitragen, bestehen-

de Nachteile für Personen und Personengruppen auf-

grund vorhandener struktureller Diskriminierungen zu

verhindern oder auszugleichen. Eine Vielzahl internati-

onaler, europäischer und nationaler Studien, Analysen

und Statistiken weisen auf unterschiedliche in Deutsch-

land bestehende strukturelle Barrieren, Nachteile und

deutliche Unterrepräsentationen für verschiedene ge-

sellschaftliche Gruppen hin. Im folgenden dazu eine

Auswahl aus den jeweiligen Merkmalsdimensionen des

AGG.

Bereich (Lebens)Alter

- Ältere ArbeitnehmerInnen über 55 Jahre sind in

Deutschland häufig von Arbeitslosigkeit und

Altersdiskriminierung betroffen. Zwar hat sich die

Erwerbstätigenquote der ArbeitnehmerInnen

zwischen 55 und 64 Jahren in den vergangenen

Jahren mit derzeit 51,5 Prozent wieder etwas

verbessert (2005 lag sie nur bei 44,9 Prozent), sie

ist allerdings im Vergleich etwa zu Finnland (55

Prozent), dem Vereinigten Königreich (57,4

Prozent), Dänemark (58,6 Prozent) oder

Schweden (70 Prozent) weiterhin niedrig. (Eurostat

2008).

- Für jüngere Menschen wird der Berufseinstieg

immer schwieriger. Oft stehen am Anfang schlecht

oder unbezahlte monatelange Praktika

(„Generation Praktika―). Junge Menschen erhalten

besonders häufig auch nur befristete

Arbeitsverträge, deren Gesamtzahl mit insgesamt

2,7 Millionen unter allen Beschäftigten so hoch wie

noch nie zuvor ist. Mehr als 30 Prozent aller

jungen Menschen unter 25 Jahren in Deutschland

arbeitete 2008 in den unsichereren befristeten

Beschäftigungsverhältnissen („Generation

Probezeit―), die eine gute Lebensplanung deutlich

erschweren. (Grau/Statistisches Bundesamt 2010).

Bereich Menschen mit Behinderung

- In den letzten Jahren konnten durchaus

Fortschritte beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit

von Menschen mit Behinderung erzielt werden (die

Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung

lag 2008 bei 14,6 Prozent gegenüber 8,7 Prozent

bei allen Erwerbsfähigen). Insbesondere ältere

Menschen oder Frauen mit Behinderung sind

allerdings weiterhin sehr stark von Arbeitslosigkeit

betroffen, bei den Hartz IV-EmpfängerInnen kam

es zu einer Zunahme von knapp 3 Prozent.

(Deutscher Bundestag 2009)

- Die Beschäftigungsquote von Menschen mit

Schwerbehinderung ist in den vergangenen Jahren

insgesamt leicht gestiegen (von 2001: 3,8 Prozent

unter allen Beschäftigten auf 2007: 4,2 Prozent).

Insbesondere bei kleinen und mittleren Unterneh-

men der Privatwirtschaft ist sie allerdings weiterhin

mit 2,6 Prozent eher gering. Besser ist sie im

öffentlichen Dienst, mit einer Quote von mittler-

weile immerhin 6 Prozent. (Bundesarbeitsgemein-

schaft der Integrationsämter und Hauptfürsorge-

stellen 2009: 10 f.).

Bereich ethnische Herkunft

- Eine im Jahr 2009 veröffentlichte OECD-Studie zur

Arbeitsmarktintegration von jungen MigrantInnen

zeigte, dass Nachkommen von Einwanderern in

Deutschland deutlich schlechtere Chancen auf

dem Arbeitsmarkt als junge Menschen mit zumin-

dest einem im Inland geborenen Elternteil haben.

In Deutschland ist unter den 20- bis 29-Jährigen

mit Migrationshintergrund der Anteil der Gering-

qualifizierten ohne Abitur oder abgeschlossene

Berufsausbildung doppelt so hoch wie in der

gleichen Altersgruppe ohne Migrationshintergrund.

Dieser überdurchschnittliche Anteil lässt sich aber

nur zum Teil mit Qualifikations- und Sprachdefizi-

ten, die als insgesamt wichtigste Faktoren zu

betrachten sind, erklären. Die Analyse der OECD

verweist auch auf bestehende Vorurteilsstrukturen

als Begründung:

Der Abstand zu gleichqualifizierten Personen

ohne Migrationshintergrund ist hingegen bei

Hoch- und Fachhochschulabsolventen und

Absolventen höherer beruflicher Bildung ver-

Page 35: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 30

gleichsweise stark ausgeprägt. „Dieser Be-

fund überrascht, da beide Gruppen ihre Bil-

dungsabschlüsse in der Regel im Inland er-

worben haben. Eine Erklärung könnte sein,

dass in Deutschland und Österreich auf dem

Arbeitsmarkt die Erwartung vorherrscht, dass

Migranten und deren Nachkommen eher ge-

ring qualifiziert sind. Bildungserfolge von

Migranten und deren Nachkommen werden

entsprechend noch nicht ausreichen (sic.)

honoriert―, sagte OECD-Migrationsexperte

Thomas Liebig. So haben in Deutschland 90

Prozent der 20 bis 29-jährigen hochqualifi-

zierten Männer ohne Migrationshintergrund

einen Arbeitsplatz. Bei der vergleichbaren

Gruppe mit Migrationshintergrund sind es

dagegen nur 81 Prozent.― (Liebig, Widmaier

2009)

- Im Jahre 2008 kam die OECD in ihrem

Beschäftigungsausblick 2008 zu einem ähnlichen

Ergebnis und benannte den Faktor

„Diskriminierung― ganz offen (S. 3):

Ebenso liegt in Deutschland bei jungen Men-

schen mit Migrationshintergrund (20 bis 29-

jährigen, Migranten 2. Generation) die Be-

schäftigungsquote um etwa 15 Prozentpunk-

te niedriger als bei der vergleichbaren Grup-

pe ohne Migrationshintergrund. Dies ist nur

knapp zur Hälfte durch Unterschiede im Bil-

dungsniveau zu erklären. Ein weiterer be-

deutenderer Faktor dürfte die Diskriminie-

rung am Arbeitsmarkt sein.

- Der OECD-Experte für Migration und Arbeits-

marktintegration Liebig (2007) führte aus:

Zum Teil müssen Kinder von Zuwanderern

bei gleicher Qualifikation (in den entspre-

chenden Teststudien der Internationalen Ar-

beitsorganisation (ILO) deutete lediglich der

Name auf einen Migrationshintergrund hin)

drei bis viermal so viele Bewerbungen

schreiben wie Kinder von Nichtzuwanderern,

bis sie eine Einladung zu einem Bewer-

bungsgespräch erhalten. Der niedrigere Bil-

dungshintergrund kann somit auch ein be-

quemer Vorwand sein, um diskriminierende

Einstellungen zu verdecken.

- Eine zwischen 2007 und 2008 von der Universität

Konstanz im Auftrag des Forschungsinstituts zur

Zukunft der Arbeit (IZA) mit der sog. Testing-

Methode2

durchgeführte Studie, bei der rund 1.000

Bewerbungen für Praktikastellen von BewerberIn-

nen mit identischen Qualifikationen an Arbeitge-

berInnen verschickt wurden, ergab eine durch-

schnittliche Diskriminierungsrate von 14 Prozent

für die BewerberInnen mit türkischem Namen. Bei

kleineren Unternehmen lag die Rate sogar bei 24

Prozent. Ein weiteres interessantes Ergebnis der

Studie war, dass sich die Diskriminierungsrate bei

den BewerberInnen, die den Bewerbungsunterla-

gen eine von einem anderen deutschen Arbeit-

geber unterzeichnete Referenz beilegen konnten,

erheblich verringerte. Dies lässt auf weit verbrei-

tete gesellschaftliche Vorurteilsstrukturen gegen-

über „AusländerInnen― oder „TürkInnen― schließen,

die sich dann stark relativieren, wenn die Einzel-

person aus der anonymisierten und abgewerteten

Gruppe heraustreten kann. (Kaas/Manger 2010).

Bereich Geschlecht

- Elke Holst und Anita Wiemer (2010) fassten die

aktuelle Studie des Deutschen Instituts für

Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wie folgt

zusammen:

Vorstände und Aufsichtsräte großer Unter-

nehmen in Deutschland werden nach wie vor

von Männern dominiert mit erdrückender

Mehrheit. (...) Lediglich 2,5 Prozent aller Vor-

standsmitglieder der 200 größten Unterneh-

men (ohne Finanzsektor) sind gegenwärtig

Frauen. In den Aufsichtsräten nehmen Frau-

en ein Zehntel aller Sitze ein. Ähnlich sieht

die Lage in Vorständen und Aufsichtsräten

des Finanzsektors aus. In den 100 größten

Banken sind 2,6 Prozent, in den 62 größten

Versicherungen 2,8 Prozent aller Vor-

standsmitglieder Frauen. Der Frauenanteil in

den Aufsichtsräten liegt jedoch höher als bei

den Top-200-Unternehmen: 16,8 Prozent bei

den Banken und Sparkassen und 12,4 Pro-

zent bei den Versicherungen. Insgesamt sind

rund drei Viertel der Frauen mit Sitz in einem

Aufsichtsrat von ArbeitnehmerInnenvertre-

tungen entsandt und erhalten damit aufgrund

von Mitbestimmungsregelungen ihr Mandat.

Trotz einiger positiver Beispiele hat sich die

2 Zur Testing-Methode siehe auch Yiğit, Andrades Vazquez, Yazar 2010.

Page 36: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

31 DOSSIER Positive Maßnahmen

Situation in den Spitzengremien insgesamt in

den letzten Jahren kaum geändert.

- Auch finanziell sind Frauen in Deutschland durch

ein erhebliches Lohngefälle (gender pay gap) be-

nachteiligt. In Deutschland ist dieser Unterschied

seit vielen Jahren mit ca. 23 Prozent gegenüber

dem EU-Durchschnitt von 17 Prozent besonders

hoch, was ein deutliches Indiz für strukturelle

Benachteiligungen darstellt. Im europäischen Ver-

gleich der 27 EU-Mitgliedstaaten belegt Deutsch-

land hier inzwischen den viertletzten Platz.

(Eurostat o.D.)

Bereich Religion

- In einer europäischen Vergleichsstudie zur

Wahrnehmung der Diskriminierung von MuslimIn-

nen gab durchschnittlich jede/r dritte/r Muslim/a an,

in den letzten 12 Monaten eine Diskriminierung

erfahren zu haben, bei den deutschen Muslim/a

waren es 31 Prozent. Die Arbeitswelt war dabei

der am meisten genannte Bereich, auch Behörden

nahmen einen vorderen Rang ein. (Agentur der

Europäischen Union für Grundrechte 2009)

Bereich sexuelle Orientierung

- Obwohl in den letzten Jahren sicherlich viele

Fortschritte in der rechtlichen und

gesellschaftlichen Anerkennung von Menschen

verschiedener sexueller Orientierungen gemacht

wurden, ist deren Diskriminierung in vielen

Lebensbereichen noch immer vorhanden. Im

Eurobarometer der Europäischen Kommission

„Diskriminierung in der EU 2009― gaben 36 Prozent

der deutschen Befragten an, dass Diskriminierung

aufgrund der sexuellen Orientierung in

Deutschland verbreitet ist (EU-27: 47 Prozent).

(Europaische Kommission 2009)

3. Welche Ziele haben Positive Maßnahmen?

Folgende grundsätzliche Ziele werden mit Positiven

Maßnahmen verfolgt:

- Bestehende Nachteile, die bestimmte Personen

oder gesellschaftliche Gruppen gegenwärtig oder

in der Vergangenheit erlitten haben, zu beseitigen,

auszugleichen oder zukünftig zu verhindern;

- Strukturelle Diskriminierungen zu überwinden und

abzubauen und dadurch dem Ziel von echter

Chancengleichheit näher zu kommen;

- Ein mehr an tatsächlicher Gleichstellung durch die

gezielte und spezifische Förderung bisher

benachteiligter Gruppen zu erreichen;

- Verschiedenheit, Vielfalt und Partizipation in allen

Bereichen des sozialen, ökonomischen, kulturellen

und politischen Lebens zu fördern und die

deutlichen Unterrepräsentationen verschiedener

gesellschaftlicher Gruppen in zentralen Lebens-

bereichen (z.B. Arbeitswelt, Bildungsbereich,

Medien, Politik etc.) sowie Gremien und Positionen

(z.B. Frauen in Führungspositionen der

Privatwirtschaft) auszugleichen;

- Ein ergänzendes, konstruktives und proaktives

Instrument neben der eher „repressiv― und reaktiv

ausgerichteten Bekämpfung von Diskriminierungen

anzuwenden.3

4. Was sind Voraussetzungen zur Durch-

führung Positiver Maßnahmen?

Die Einführung Positiver Maßnahmen ist nach § 5 AGG

mit Blick auf die in § 1 AGG geschützten Diskriminie-

rungsmerkmale (Alter, Behinderung, ethnische Her-

kunft/zugeschriebene „Rasse―, Geschlecht, Religion

oder Weltanschauung und sexuelle Orientierung) unter

zwei Voraussetzungen möglich: Zweckbindung der

Maßnahme und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.

Erste Voraussetzung: Zweck der Maßnahme

Zum einen muss mit Positiven Maßnahmen der Zweck

verfolgt werden, bestehende oder zu befürchtende

Nachteile von Personen oder Personengruppen wegen

der in § 1 AGG genannten Merkmale zu verhindern

oder auszugleichen.

Unter „Nachteile― sind alle Umstände zu verstehen, die

dazu führen, dass Personen im Arbeitsleben oder beim

Abschluss zivilrechtlicher Verträge wegen eines der in §

1 AGG genannten Merkmale schlechtere Chancen als

andere Personen haben, bestimmte Positionen, Güter

oder Leistungen zu erlangen. Es kann sich dabei um

Nachteile tatsächlicher oder struktureller Art handeln.

Ein wesentliches Indiz zur Feststellung solcher Nachtei-

le ist die erhebliche numerische Unterrepräsentation

der betreffenden Personengruppe in bestimmten Berei-

3 Vgl. Wladasch, Liegl 2009, S. 7.

Page 37: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 32

chen im Verhältnis zu ihrem gesamtgesellschaftlichen

Anteil. Ein Beispiel hierfür ist z.B. die geringe Anzahl

von Frauen in Aufsichtsräten, Vorstandsetagen und

Führungspositionen in der Privatwirtschaft oder die

deutliche Unterrepräsentation von Menschen mit Migra-

tionshintergrund in den öffentlichen Verwaltungen. In

beiden Fällen ist von strukturellen Barrieren auszuge-

hen, die Hinweise auf bestehende Nachteile für diese

Personengruppen bei der Besetzung dieser Positionen

geben.

§ 5 AGG spricht zwar nur „von bestehenden Nachtei-

len―, nach der amtlichen Begründung sind aber auch

präventive Maßnahmen zur Vermeidung künftiger

Nachteile möglich. Bezugsgrößen für bestehende oder

zukünftige Nachteile können dabei sowohl der einzelne

Betrieb, eine betreffende Branche, aber auch eine be-

stimmte Region oder die gesamtgesellschaftlichen

Verhältnisse sein.

Zweite Voraussetzung: Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen

Als weitere Voraussetzung verlangt § 5 AGG, dass die

positive Maßnahme im Hinblick auf den Zweck der

Nachteilsverhinderung bzw. des Nachteilsausgleichs

verhältnismäßig, also „geeignet und angemessen― ist.

Geeignet sind Positive Maßnahmen, wenn objektiv die

Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch die Maßnahme

das bezweckte Ziel der Verhinderung oder des Aus-

gleichs der Nachteile auch erreicht wird, wobei an die

Wahrscheinlichkeit keine allzu hohen Anforderungen zu

stellen und nur offensichtlich ungeeignete Maßnahmen,

die am Ziel vorbeigehen würden, ausgeschlossen sind.

Die Maßnahme ist nur erforderlich, wenn das ange-

strebte Ziel nicht auf andere Weise durch ein milderes,

genauso zielführendes Mittel erreicht werden kann, das

sich weniger stark auf die Eingriffe in Rechte der Mit-

glieder von Gruppen, die nicht von den Maßnahmen

profitieren, auswirken würde.

Angemessen schließlich sind Positive Maßnahmen,

wenn sie unter Berücksichtigung des Ausmaßes der

bestehenden Nachteile die jeweils nicht begünstigten

Gruppen nicht überproportional belasten. Hierbei bedarf

es einer umfassenden Gesamtabwägung des Ausma-

ßes des bestehenden faktischen Nachteils und der

Effektivität der Maßnahme mit Eingriffen in die Rechte

Dritter, die nicht begünstigt werden.

5. Was sind Grenzen Positiver Maßnahmen?

Aus den beiden Voraussetzungen zur Durchführung

Positiver Maßnahmen sowie insbesondere aus der

Rechtsprechung des EuGH lassen sich die wichtigsten

Grenzen Positiver Maßnahmen benennen. Diese liegen

zunächst in einer Nichtbeachtung der oben ausgeführ-

ten Voraussetzungen. Des Weiteren müssen Positive

Maßnahmen objektive Beurteilungen des jeweiligen

Einzelfalls ermöglichen, sie müssen zeitlich limitiert und

immer wieder in Hinblick auf das weiterhin bestehende

oder zu befürchtende Ausmaß der Nachteile überprüft

werden.

Eine weitere wichtige Grenze Positiver Maßnahmen

sind sog. „positive Diskriminierungen―. Eine positive

Diskriminierung liegt dann vor, wenn Mitgliedern einer

bestimmten Gruppe (z.B. Frauen oder Menschen mit

Migrationshintergrund) im Verhältnis zu anderen (z.B.

Männern oder deutschen Staatsangehörigen) ein auto-

matischer und unbedingter Vorteil eingeräumt wird, der

ausschließlich in der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe

begründet ist. Eine Positive Maßnahme wäre bspw.

dann eine illegitime positive Diskriminierung, wenn

ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Qualifikatio-

nen und auf absoluten Vorrang Frauen mit Migrations-

hintergrund allen anderen Gruppen beim beruflichen

Aufstieg vorgezogen würden. Folgend der Recht-

sprechung des EuGH zu Quotenregelungen für Frauen

ist zwar der absolute Vorrang der zu fördernden Gruppe

der Frauen ausgeschlossen, aber Regelungen mit

Öffnungsklauseln zu Gunsten von männlichen Bewer-

bern sind als vereinbar mit europäischem Recht zu

betrachten. Diese rechtliche Zulässigkeit ist auch auf

andere Konstellationen mit anderen Personengruppen

europarechtskonform übertragbar und stellt keinen

Verstoß gegen das AGG dar.

6. Welche Instrumente Positiver Maßnahmen

können ergriffen werden?

Der Begriff der „Maßnahme― wurde vom deutschen

Gesetzgeber nicht näher bestimmt. Die gängigen

Rechtskommentare zum AGG sowie die Begründungen

der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien verdeutlichen

aber, dass der Begriff der „Maßnahme― weit zu verste-

hen ist und darunter alle geeigneten, angemessenen

und verhältnismäßigen Aktivitäten fallen, die eine Ver-

hinderung oder den Ausgleich von Benachteiligungen

für eine der im AGG geschützten gesellschaftlichen

Gruppen zum Ziel haben.

Page 38: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

33 DOSSIER Positive Maßnahmen

Es gibt von daher einen recht breiten Katalog rechtlich

zulässiger Positiver Maßnahmen, der sich nicht auf die

ebenso bekannten wie umstrittenen Quotenregelungen

reduzieren lässt. Positive Maßnahmen lassen sich

dabei hinsichtlich ihrer Eingriffstiefe (Grad des Anstre-

bens tatsächlicher Ergebnisgleichheit) und ihrer Aus-

wirkungen auf die Vorrechte bisher privilegierter Grup-

pen (z.B. weiße, deutsche, mittelalte, heterosexuelle

Männer) in „schwache― und „starke― bzw. „weiche― und

„harte― Maßnahmen unterteilen.

Das vielfältige Spektrum möglicher Positiver Maßnah-

men beinhaltet sowohl zielgruppenorientierte Aktivitäten

(z.B. die gezielte Ansprache von Frauen oder Men-

schen mit Migrationshintergrund in Stellenangeboten

oder betriebliche Fördermaßnahmen für ältere Arbeit-

nehmerInnen), wie zielgruppenübergreifende Maßnah-

men (z.B. Work-Life-Balance-Programme, umfassen-

des Diversity Management als horizontale Handlungs-

option Positiver Maßnahmen), als auch auf den Abbau

(potentiell) diskriminierender Strukturen abzielende

Instrumente (wie z.B. die Überprüfung sämtlicher Richt-

linien und Personalprozesse in einem Antidiskriminie-

rungs- oder Diversity-Check).

Die folgende Auswahl bekannter Instrumente aus der

Arbeitswelt beleuchtet die vielfältigen Möglichkeiten, mit

Positiven Maßnahmen eine gezielte Förderung perso-

naler Vielfalt umzusetzen:

- Anwerbungs- und Informationskampagnen

beispielsweise zur Erhöhung des Anteils von

MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund;

- Spezielle Rekrutierungsmethoden, um z.B. den

Anteil der MitarbeiterInnen über 55 Jahre zu

erhöhen;

- Gezielte Ansprache der Zielgruppen in öffentlichen

Stellenanzeigen, wie etwa „Bewerbungen von

Frauen/Menschen mit Migrationshintergrund sind

besonders erwünscht―;

- Durchführung eines Antidiskriminierungs- oder

Diversity-Checks zur Überprüfung aller Organisa-

tionsstrukturen, Richtlinien und Personalprozesse

auf ggf. vorhandene Diskriminierungspotentiale;

- Betriebsinterne Arbeitsvereinbarungen, z.B. zur

Verbesserung der Arbeitszeitflexibilität für ältere

MitarbeiterInnen (z.B. in Betriebsvereinbarungen)

oder spezifische Urlaubs- und Feiertagsregelungen

z.B. für MitarbeiterInnen mit muslimischer

Religionszugehörigkeit;

- Work-Life-Balance-Modelle z.B. zur Verbesserung

der Vereinbarkeit von Beruf und Familienpflichten

und damit von Aufstiegschancen von Frauen;

- Betriebsinterne Förderangebote wie etwa betriebs-

eigene Kinderbetreuungsplätze oder Telearbeits-

plätze zur Förderung der Beschäftigung weiblicher

MitarbeiterInnen;

- Gezielte, spezielle Fort- und Weiterbildungsange-

bote, z.B. für ältere MitarbeiterInnen, die zuvor bei

Weiterbildungsmaßnahmen ggf. weniger berück-

sichtigt wurden;

- Mentoring-Programme, z.B. für junge Frauen oder

Menschen mit Migrationshintergrund;

- PraktikantInnenprogramme, z.B. für Menschen mit

Behinderungen;

- Aufbau und Förderung von betrieblichen

Netzwerken wie z.B. schwul-lesbische „Rainbow-

Groups― oder Gruppen von Ingenieurinnen;

- Festlegung von gezielten Fördermaßnahmen für

die jeweilige Personengruppen oder zur Förderung

von Gleichbehandlung in Tarifverträgen, Betriebs-

vereinbarungen, Auswahlrichtlinien oder arbeits-

vertraglichen Regelungen;

- Qualifikationsabhängige Zielquoten, z.B. für

Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund

wie etwa die Selbstverpflichtung der Stadt

Hamburg, den Anteil der Jugendlichen mit

Migrationshintergrund in der Ausbildung der

kommunalen Verwaltung bis 2011 auf 20 Prozent

zu erhöhen;

- Umsetzung gesetzlicher Quoten, wie z.B. die

Verpflichtung privater und öffentlicher Arbeitge-

berInnen mit mind. 20 MitarbeiterInnen, mindest-

ens 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehin-

derten Menschen zu besetzen;

- Einrichtung von Gleichbehandlungsstellen, Benen-

nung von Diversity-Verantwortlichen oder Antidis-

kriminierungsbeauftragten, wie z.B. in den Diver-

sity-Abteilungen vieler Unternehmen oder Gleich-

stellungsbüros von Kommunen in Deutschland;

- Diversity-Trainings oder Antidiskriminierungs-

Trainings für Führungskräfte, Personalverantwort-

liche, betriebliche InteressenvertreterInnen und

MitarbeiterInnen;

- Diversity Management als horizontale Handlungs-

option einer Positiven Maßnahme.

Page 39: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 34

7. Was sind zentrale Erfolgsfaktoren einer

effektiven Umsetzung Positiver Maßnahmen?

Aus verschiedenen vergleichenden Analysen zur An-

wendung Positiver Maßnahmen in Ländern der Europä-

ischen Union sowie den bisherigen Erfahrungen mit

Gleichstellungsmaßnahmen in den verschiedenen

Diversity-Dimensionen (z.B. Gender Mainstreaming,

Interkulturelle Öffnung) lassen sich einige zentrale

Erfolgsfaktoren für eine effektive Umsetzung Positiver

Maßnahmen benennen:

- Deutliche Unterstützung bzw. politischer Wille der

Leitungsebenen zur nachhaltigen Umsetzung

Positiver Maßnahmen;

- Hohes Maß an (möglichst schriftlich fixierter und

öffentlicher) Selbstverpflichtung zur Umsetzung

Positiver Maßnahmen und sichtbare Übernahme

von Verantwortung für die Prozesse durch die

Leitungsebenen;

- Bereitstellung ausreichender finanzieller,

personeller, zeitlicher und institutioneller

Ressourcen;

- Verankerung im Leitbild der Organisation (z.B. im

Diversity-Leitbild, als Teil der Corporate Social

Responsibility oder von Good Governance-

Konzepten);

- Klar formulierte Diversity- oder Gleichbe-

handlungsrichtlinien;

- Klare organisatorische Verantwortlichkeiten, z.B. in

einem „Diversity-Kompetenz-Team― oder einer

„Steuerungsgruppe Gleichbehandlung― der

Personalabteilung;

- Umfassende Situationsanalyse durch Datenanaly-

se oder –erhebung, z.B. in einem Diversity-Check;

- Entwicklung eines langfristigen, transparenten und

umfassenden Gesamtkonzepts;

- Formulierung eines deutlichen Zielkatalogs mit

Auswahl eines geeigneten Mix aus zielgruppen-

orientierten, zielgruppenübergreifenden und auf

die Veränderung von Organisationsstrukturen

abzielenden Instrumenten;

- Strategische Ausrichtung und systematisches,

schrittweises Verständnis des Umsetzungspro-

zesses;

- Einbeziehung der Zielgruppen und der „Mehrheit―

der Belegschaft bei der Konzepterstellung,

Umsetzung und Auswertung der Maßnahmen;

- Einbezug des Betriebsrats, der Gleichstellungsbe-

auftragten und vorherige Konsultation der jeweils

wichtigsten stakeholder;

- Durchführung der Positiven Maßnahmen mit einer

übergreifenden Diversity-Perspektive, um erneute

stereotype Zuschreibungen (Stichwort „Quoten-

frau―) zu verhindern;

- Systematisches Monitoring, Controlling und Er-

folgsmessung: Sicherstellung und Überprüfung des

vereinbarten Zielkatalogs, Entwicklung bzw. Durch-

führung von Auswertungsverfahren, Evaluation;

- Proaktive, transparente und systematisch die

Umsetzung begleitende Öffentlichkeitsarbeit zu

Vorhaben, Begründungen und Nutzen der Maß-

nahmen sowie Kommunikation der gesellschafts-

politischen, sozialpolitischen und wirtschaftlichen

Ziele, Vorteile und Erfolge.

8. Was sind mögliche Hindernisse bei der

Umsetzung Positiver Maßnahmen?

Internationale, europäische und nationale Studien zur

Umsetzung und Wirkung von Positiven Maßnahmen

lassen auch einige zentrale Hindernisse für eine Erfolg

versprechende Gestaltung Positiver Maßnahmen er-

kennen. Als wichtigste Barrieren sind dabei zu nennen:

- Fehlende oder unzureichende finanzielle, zeitliche,

personale und institutionelle Ressourcen;

- Fehlende Unterstützung durch Führungsebene und

Leitungsebenen;

- Fehlende Daten und Schwierigkeiten der

Wirkungsmessung;

- Fehlendes Bewusstsein, mangelnde Akzeptanz,

Vorbehalte oder Widerstand der Mehrheit der

Belegschaft, die nicht Zielgruppen von Positiven

Maßnahmen sind;

- Unzureichende Einbeziehung der Zielgruppen, der

Mehrheit der Belegschaft und relevanter

AkteurInnen;

- Vorbehalte oder Ängste der Zielgruppen Positiver

Maßnahmen vor erneuter Stigmatisierung (z.B. als

„QuotenmigrantIn―);

- Fehlende strategische Ausrichtung und fehlende

Einbindung in Gesamtstrategie (z.B. durch nur

punktuelle, zeitlich begrenzte Projekte oder

unklare Zielformulierungen);

Page 40: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

35 DOSSIER Positive Maßnahmen

- Fehlende Informationen und Kenntnisse der

Möglichkeiten der Umsetzung Positiver Maß-

nahmen;

- Mangelhafte oder unklare Kommunikation des

Vorhabens, der Motivation und des Nutzens der

Maßnahmen;

- Fehlende gesellschaftliche Akzeptanz und

politische Unterstützung Positiver Maßnahmen.

9. Wie können Positive Maßnahmen effektiv

durchgeführt werden?

Es gibt natürlich nicht „die Umsetzung― von Positiven

Maßnahmen. Unternehmen, Organisationen und öffent-

liche Einrichtungen/Verwaltungen wählen ihren je eige-

nen Weg der Durchführung, in Abhängigkeit von ihren

Entscheidungsstrukturen, bestehenden strukturellen

Barrieren, vorhandener personaler Vielfalt, Betriebs-

größe, Umfeld sowie personalpolitischen Bedürfnissen

und Strategien. Dennoch lässt sich anhand eines Stu-

fenmodells ein „klassischer― Umsetzungsprozess als

Musterbeispiel darstellen. Als jeweilige Stufen lassen

sich stichwortartig benennen:

- Klare Selbstverpflichtung und Bekenntnis der

Führungsebene;

- Entwicklung eines Leitbilds;

- Bestandsaufnahme und Analyse der

Ausgangssituation;

- Zielformulierung;

- Analyse von Barrieren, Chancen und Risiken;

- Einbeziehung der Zielgruppen und wichtiger

AkteurInnen;

- Entwicklung eines langfristigen und umfassenden

Gesamtkonzepts;

- Auswahl geeigneter zielgruppenorientierter, ziel-

gruppenübergreifender und auf die Veränderung

von Organisationsstrukturen abzielender Instru-

mente;

- Umsetzung;

- Monitoring, Controlling und ggf. Modifikation:

- Erfolgsmessung und Evaluation;

- Kontinuierlich: Öffentlichkeitsarbeit und Kommuni-

kation.

10. Welche gesellschaftspolitischen und

wirtschaftlichen Chancen und Vorteile sind mit

Positiven Maßnahmen verbunden?

Aus verschiedenen internationalen, europäischen und

nationalen Studien und Unternehmensbefragungen zu

Positiven Maßnahmen und Maßnahmen zur Förderung

personaler Vielfalt lassen sich eine Vielzahl gesell-

schaftspolitischer und wirtschaftlicher Chancen und

Vorteile gezielter Fördermaßnahmen zusammenfassen.

Gesellschaftspolitische Chancen und Vorteile Positiver Maßnahmen

- Gezielter Abbau struktureller Barrieren und

Diskriminierungen;

- Erreichung von mehr Chancengleichheit, Gleich-

behandlung und tatsächlicher Gleichstellung;

- Proaktiver Beitrag zu einer effektiven Antidiskrimi-

nierungspolitik;

- Verbesserung der Repräsentation aller BürgerIn-

nen in den zentralen Lebensbereichen unserer

Gesellschaft. Somit werden die Demokratie und

der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundge-

setzes gestärkt;

- Effektives Instrument zum verbesserten Umgang

mit und zur Gestaltung von einer zunehmend

vielfältigen Gesellschaft;

- Gezielte Motivation und Empowerment der geför-

derten Personen und gesellschaftlichen Gruppen;

- Verbesserung der Übernahme gesellschaftlicher

und sozialer Verantwortung von Unternehmen, Or-

ganisationen und öffentlichen Einrichtungen/Ver-

waltungen;

- Verbesserung der wirtschaftlichen, kulturellen,

politischen, sozialen und identifikatorischen

Integration aller BürgerInnen;

- Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts

und des friedlichen Zusammenlebens von Men-

schen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und

Religion, verschiedenen Alters, Geschlechts,

sexueller Orientierung, und von Menschen mit und

ohne Behinderung etc. in einer internationalen und

vielfältigen BürgerInnengesellschaft;

- Verringerung der Risiken, Gefahren und Kosten

mangelhafter Integration in Form von gesellschaft-

lichen und sozialen Ausgrenzungstendenzen, Ex-

klusion & Segregation sowie durch dauerhaft be-

Page 41: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 36

stehende Diskriminierungen aufgeladene soziale

Konflikte;

- Proaktiver Beitrag zur Entwicklung einer Kultur der

Anerkennung und des Respekts gegenüber den

Lebensentwürfen von vielfältigen Menschen;

- Aktive Gestaltung des demographischen Wandels

und einer zukunftsfähigen Arbeitsmarktpolitik, da

es angesichts unbesetzter Ausbildungsplätze

sowie des zu erwartenden Fachkräftemangels

mittelfristig um eine verbesserte Ausschöpfung des

vorhandenen Arbeitskräftepotentials geht;

- Gezielte Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt

als wirtschaftliches und gesellschaftliches Zu-

kunftspotential einer weltoffenen Gesellschaft;

- Imagegewinn durch ein weltoffenes Klima und eine

kosmopolitische Kultur der Toleranz und Anerken-

nung gegenüber gesellschaftlicher Vielfalt.

Wirtschaftliche Chancen und Vorteile Positiver Maßnahmen

- Verbesserung der Personalgewinnung beim

„Wettbewerb um talentierte Köpfe―;

- Verbesserung der Personalbindung durch gezielte

Fördermaßnahmen;

- Verbesserter Umgang mit einem zunehmend von

Vielfalt geprägten Arbeitsmarkt und Umfeld

wirtschaftlichen Handelns;

- Verbesserung des Unternehmens- oder Organisa-

tionsimages in der Konkurrenz mit anderen Arbeit-

geberInnen (Image als ArbeitgeberIn, die/der Viel-

falt gezielt wertschätzt und aktiv gegen Diskrimi-

nierungen vorgeht);

- Verbesserte Nutzung der spezifischen Talente,

Ressourcen und Kompetenzen unterschiedlicher

ArbeitnehmerInnen;

- Verbesserte wirtschaftliche Ergebnisse durch mehr

personale Vielfalt: stärkere KundInnenzufrieden-

heit durch zielgruppengerechtere Produkte und

Leistungen, Erschließung neuer Märkte durch viel-

fältige MitarbeiterInnen sowie erhöhte Kreativität

und Innovationsfähigkeit in vielfältigen Teams;

- Kostenverringerung durch weniger Diskriminie-

rungen, Konfliktverringerung und Abbau von

Reibungsverlusten;

- Verbesserung der gezielten Förderung bisher we-

niger repräsentierter gesellschaftlicher Gruppen;

- Förderung von Antidiskriminierung, Chancen-

gleichheit, Gleichbehandlung und Vielfalt als

Unternehmenswerte. Positive Maßnahmen und

Diversity als wichtiger Bestandteil der corporate

social responsibility;

- Steigerung der Attraktivität des

Wirtschaftsstandortes Deutschland im globalen

Wettbewerb.

Die Studie „Internationale Sichtweisen zu positiven

Maßnahmen― im Auftrag der Europäischen Kommission

(Archibong et al. 2009) liefert im Rahmen einer umfas-

senden Befragung von 632 Unternehmen, Organisatio-

nen und öffentlichen Einrichtungen aus 30 europäi-

schen Ländern, Kanada, den USA und Südafrika weite-

re wertvolle Hinweise für die mit Positiven Maßnahmen

verbundenen Chancen und Vorteile. Als effektive Wir-

kungen von Positiven Maßnahmen wurden von den

befragten Unternehmen, Organisationen und öffentli-

chen Einrichtungen genannt:

- Schärfung des Bewusstseins für Gleichstellungs-

probleme in der Organisation: 80 Prozent

- Verbesserung des Organisationsimages: 78

Prozent

- Stärkung des Vertrauens der Beteiligten: 77

Prozent

- Bereitstellung von Netzwerkmöglichkeiten: 73

Prozent

- Bereitstellung von beruflichen Weiterbildungsmög-

lichkeiten: 73 Prozent

- Verbesserung der Repräsentation der Zielgruppe

in der Belegschaft: 69 Prozent

- Verbesserung der Servicequalität/KundInnenzufrie-

denheit: 64 Prozent

- Verbesserung der Arbeitsleistung der Belegschaft:

61 Prozent

- Steigerung der Effizienz: 55 Prozent

- Verbesserung der Personalbindung: 45 Prozent

- Verbesserung der finanziellen Ergebnisse: 32

Prozent

Literatur

Agentur der Europäischen Union für Grundrechte –

FRA (2009): Neuer Bericht der FRA zur Diskrimi-

Page 42: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

37 DOSSIER Positive Maßnahmen

nierung von Muslimen: Hohe Dunkelziffer bei Vor-

fällen und geringes Vertrauen in Behörden. FRA-

Presseaussendung vom 28. Mai. Wien/Madrid.

http://fra.europa.eu/fraWebsite/attachments/EU-

MIDIS-2-MR280509_DE.pdf (Zugriff am

19.10.2010).

Archibong, Uduak et al. (2009): International per-

spectives on positive action: A comparative analy-

sis in the European Union, Canada, the United

States and South Africa. Luxemburg: Europäische

Kommission. Online unter:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=618&lang

Id=en (Zugriff am 19.10.2010).

Bauer, Jobst-Hubertus; Göpfert, Burkard; Krieger,

Steffen (2008): Allgemeines Gleichbehandlungsge-

setz. Kommentar, 2. Aufl. 2008, München.

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter

und Hauptfürsorgestellen (Hrsg.) (2009): Jahresbe-

richt 2008/2009. Wiesbaden. Online unter:

http://www.integrationsaemter.de/files/602/JB_BIH2

009.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Cleff Le Divellec, Sylvia; Merx, Andreas; Pagels,

Nils (2010): Handbuch Positive Maßnahmen. Struk-

turelle Diskriminierungen abbauen, Diversity gezielt

fördern. Erstellt im Auftrag der Heinrich Böll Stif-

tung, im Erscheinen, Berlin.

Deutscher Bundestag (2009): Bericht der Bundes-

regierung über die Lage behinderter Menschen und

die Entwicklung ihrer Teilhabe. Drucksache

16/13829, Berlin, 2009. Online unter:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/138/161382

9.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Europäische Kommission (Hrsg.) (2009): Diskrimi-

nierung in der EU 2009. Ergebnisse für Deutsch-

land. In: Eurobarometer 71.2. Online unter:

http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs

_317_fact_de_de1.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Eurostat (2008): Pressemitteilung 104 vom 22. Juli

2008. Online unter: http://www.eds-

destatis.de/de/press/download/08_07/104-2008-07-

22.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Eurostat (o.D.): Lohnstrukturerhebung – 2002 und

ab 2006: Geschlechtsspezifisches Verdienstgefälle,

ohne Anpassungen. Online unter:

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/table.do?tab=t

able&init=1&plugin=1&language=de&pcode=tsiem0

40 (Zugriff am 19.10.2010).

Franke, Bernhard; Merx, Andreas (2007): Das All-

gemeine Gleichbehandlungsgesetz. Textausgabe

mit Einführung. Wiesbaden.

Franke, Bernhard; Merx, Andreas (2007): Positive

Maßnahmen – Handlungsmöglichkeiten nach § 5

AGG. In: Arbeit und Recht 7-8. Frankfurt am Main,

S. 235-239.

Grau, Andreas; Statistisches Bundesamt (2010):

Beitrag bei Destatis vom 16. März. Online unter:

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/de

statis/Internet/DE/Navigation/Publikationen/STATm

agazin/2010/Arbeitsmarkt2010__032,templateId=re

nderPrint.psml__nnn=true (Zugriff am 19.10.2010).

Holst, Elke; Wiemer, Anita (2010): Frauen in Spit-

zengremien großer Unternehmen weiterhin massiv

unterrepräsentiert. DIW-Wochenbericht Nr. 4: S. 2-

10. Online unter:

http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_

01.c.346400.de/10-4.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Kaas, Leo; Manger, Christian (2010): Ethnic Dis-

crimination in Germany‘s Labour Market: A Field

Experiment. IZA Discussion Paper 4741. Online un-

ter http://ftp.iza.org/dp4741.pdf (Zugriff am

19.10.2010).

Klose, Alexander; Merx, Andreas (2010): Positive

Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich

bestehender Nachteile im Sinne des § 5 AGG. Ex-

pertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle

des Bundes, Berlin.

Liebig, Thomas (2007): Migranten auf dem Ar-

beitsmarkt – Erfahrungen aus OECD-Ländern. On-

line http://migration-

boell.de/web/migration/46_1273.asp (Zugriff am

19.10.2010).

Merx, Andreas (2007): Positive Maßnahmen in der

Antidiskriminierungspraxis. Online unter

http://migration-boell.de/web/diversity/48_1201.asp

(Zugriff am 19.10.2010).

Merx, Andreas; Vassilopoulou, Joana (2007): Das

arbeitsrechtliche AGG und Diversity-Perspektiven.

In: Bruchhagen, Verena; Koall, Iris (Hrsg.):

Diversity Outlooks. Hamburg. S. 354-385.

OECD (Hrsg.) (2008): OECD Beschäftigungsaus-

blick 2008: Die deutsche Situation im Vergleich.

Online unter

http://www.oecd.org/dataoecd/9/49/40933023.pdf

(Zugriff am 19.10.2010).

Page 43: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 38

Wladasch, Katrin; Liegl, Barbara (2009): Positive

Maßnahmen. Ein Handbuch zur praxistauglichen

Umsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von

strukturellen Diskriminierungen und zur Herstellung

von mehr Chancengleichheit, Wien, 2009.

Yiğit, Nuran; Andrades Vazquez, Eva Maria; Yazar,

Serdar (2010): Versteckte Diskriminierung bewei-

sen! TESTING als Instrument der Antidiskriminie-

rungsarbeit. Online unter http://migration-

boell.de/web/diversity/48_2541.asp (Zugriff am

19.10.2010).

Andreas Merx ist Politik- und Organisationsberater und

Inhaber von Pro Diversity. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Antidiskriminierung/AGG, Diversity Management, Diversity Politics sowie integrationspolitische und inter-kulturelle Themen.

Page 44: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

39 DOSSIER Positive Maßnahmen

Internationale Perspektiven

Das Konzept der Positiven Maßnahmen hat seinen

Ursprung in den USA, wo es als affirmative action be-

kannt geworden ist. Es entstand als Reaktion auf die

Forderungen der US-amerikanischen BürgerInnen-

rechtsbewegung, die den Jahrhunderte währenden

Rassismus gegen die Schwarze Bevölkerung anpran-

gerte und bekämpfte. Später wurden mit affirmative

action weitergehende Ziele verfolgt, wie die Überwin-

dung der Benachteiligung von Frauen und nichtschwar-

zer ethnischer Minderheiten.

International sowie innerhalb der Länder der Europäi-

schen Union gibt es inzwischen sehr verschiedenartige

Erfahrungen mit Positiven Maßnahmen, die zum Teil

auf Unterschieden in dem zugrunde liegenden Ver-

ständnis, der genauen Ausrichtung und der Durchfüh-

rung basieren. Vor dem Hintergrund heterogener sozia-

ler und politischer Systeme, ebenso divergenter

Rechtssysteme und Rechtskulturen sowie gesellschaft-

licher und wirtschaftlicher Entwicklungen bilden die

Erfahrungen anderer Länder einen wertvollen Erfah-

rungsschatz, auf den in der Planung von Positiven

Maßnahmen hierzulande zurückgegriffen werden kann.

- Viviane Reding beschreibt den rechtlichen Rah-

men und die Unterstützung für Positive Maßnah-

men im Kontext der Europäischen Union. Sie zieht

eine positive Zwischenbilanz der Umsetzung in

den Mitgliedsländern und weist auf Bedingungen

hin, die für den Erfolg der Maßnahmen unerläss-

lich sind.

- Uduak Archibong und Fahmida Ashraf konzent-

rieren sich auf Großbritannien und erläutern den

dortigen juristischen Kontext für Positive Maßnah-

men sowie bisherige Ergebnisse in der Umsetzung

anhand ausgewählter Fallstudien. Im Annex zu

diesem Beitrag finden sich die Kernaussagen und

Handlungsempfehlungen der von Uduak Archibong

geleiteten, einflussreichen EU-Studie „Internationa-

le Sichtweisen zu Positiven Maßnahmen: Eine

vergleichende Analyse in der Europäischen Union,

in Kanada, in den USA und in Südafrika―

(„PAMECUS-Studie―).

- Christopher McCrudden und sein Team erläutern

Positive Maßnahmen innerhalb der nordirischen

Beschäftigungspolitik, die auf eine Gleichbehand-

lung von KatholikInnen und ProtestantInnen abzie-

len. Ihren diesbezüglichen Evaluationsergebnissen

zufolge, waren freiwillige verbindliche Vereinba-

rungen mit Unternehmen so erfolgreich, dass sie

sogar einen breiteren Trend in Richtung „fair

employment― auslösten.

- Paul Lappalainen, Yamam Al-Zubaidi und Paula

Jonsson führen in die schwedische Tradition Posi-

tiver Maßnahmen ein und nähern sich auf der Ba-

sis bisheriger Forschungsergebnisse der Frage an,

ob eher Sanktionen oder Anreizsysteme zu einer

tatsächlichen Implementierung dieser Maßnahmen

beitragen.

- Carsten Keller, Ingrid Tucci und Ariane Jossin

erläutern die Besonderheiten der französischen

Antidiskriminierungspolitik und beleuchten die Er-

folge und Defizite durchgeführter Maßnahmen in

der Stadt- und Quartiersentwicklung sowie im Hin-

blick auf den Zugang zu Elite-Hochschulen.

- Michael Werz und Julie Margetta Morgan analy-

sieren die langjährigen Erfahrungen, die in den

USA mit dem Konzept der affirmative action ge-

macht wurden. Sie berücksichtigen dabei beson-

ders die Bereiche des Hochschulwesens und des

Auslandsdienstes.

Page 45: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 40

Viviane Reding

Positive action measures in the context of integration, migration and cultural diversity: Building a consensus on the basis of reasoned policies

Over the years it has become clear that the challenges

associated with integration, migration and cultural di-

versity will not disappear on their own. Instead, we have

seen increasing reference to the need for positive ac-

tion measures to combat discrimination. But what ex-

actly are positive action measures? A recent study

undertaken for the European Commission in 2009 (Ar-

chibong et al.) found that there was wide-spread confu-

sion and inconsistency in the terminologies used to

describe positive measures across the EU, North Amer-

ica and South Africa. In order to establish greater clar-

ity, the study produced a new legal definition of positive

action measures as ―proportionate measures under-

taken with the purpose of achieving full and effective

equality in practice for members of groups that are

socially or economically disadvantaged, or otherwise

face the consequences of past or present discrimination

or disadvantage‖ (p. 24).

In order to ensure real and effective equality, these

measures will need to take into account the different

starting points in different countries – different contexts

will require different focuses, and some countries have

further to go than others. Nonetheless, positive action

measures do more than just apply non-discrimination

principles. They also aim to actively support and/or

compensate disadvantaged groups. In some cases it

may be necessary for specific groups to receive addi-

tional support and be treated more favourably for a spe-

cific purpose (Henrad 2007, p. 13). In the Netherlands

for example, researchers from ethnic minorities can

access a specific grant scheme (Archibong et al. 2009,

p. 57). In other countries, quota systems are frequently

used to support the employment of people with disabili-

ties. Positive action measures can be based on legisla-

tion, schemes or programmes – both public and private,

and at regional, national or supranational level.

EU legal framework: a long tradition

Within the European Union, the legal framework for

positive action in the Member States has been estab-

lished by a number of directives, as well as by related

case law from the European Court of Justice (ECJ). EU

law for many years only addressed positive action in

relation to sex discrimination (European Commission

2007a). It was in this context that the ECJ ruled that the

aim of positive action measures is ―to achieve substan-

tive, rather than formal, equality by reducing de facto

inequalities which may arise in society and, thus, in

accordance with Article 141(4) EC, to prevent or com-

pensate for disadvantages in the professional career of

persons belonging to the under-represented sex‖ (Case

C-407/98, Abrahamsson, paragraph 48).

As part of this reasoning the ECJ has developed a set

of criteria to assess the legality of positive action meas-

ures: They must be based on clear unambiguous crite-

ria, address specific career inequalities and help

women to conduct their life on a more equal footing with

men (De Vos 2007, p. 19). So, for instance, a law allow-

ing women to receive a pension at an earlier date than

men would not be considered to be a positive action

measure as it does not address the occupational diffi-

culties encountered by women during their careers

(Case Griesmar, C-366/99).

In 1997, the Amsterdam Treaty pushed the equality

agenda forward and provided a legal basis (Article 13 of

the EC Treaty, now Article 19 of the TFEU) at EU level

for adopting non-discrimination measures based on

grounds other than sex, namely racial or ethnic origin,

religion, belief, disability, age or sexual orientation. This

has given rise to several new directives which in turn

refer to positive action.

These legal provisions include Article 5 of the Racial

Equality Directive 2000/43/EC (European Council

2000a) and Article 7 of the Employment Framework

Directive 2000/78/EC (European Council 2000b). Fol-

lowing their adoption, Member States can (but are not

obliged to) adopt positive action measures to prevent or

compensate for disadvantages linked to discriminatory

treatment. EU legislation now allows for the possibility

of adopting positive action measures, although it does

not establish an obligation to adopt them.

Nevertheless, although it has not yet ruled on any posi-

tive action measures under these directives, it is ex-

Page 46: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

41 DOSSIER Positive Maßnahmen

pected that the ECJ will assess Member States' positive

action measures according to the principle of propor-

tionality. This requires that derogations from the princi-

ple of equality are appropriate and necessary in order to

achieve their aim and that the principle of equality be

reconciled, as far as possible, with the requirements of

the aim pursued (Case C-476/99, Lommers, paragraph

39). The need for a reasonable justification is therefore

included in those rules.

Positive action in practice

In January 2007, a Eurobarometer study (European

Commission 2007b) illustrated that the majority of

Europeans are in favour of adopting more measures to

provide equal opportunities for all. Indeed, 87 per cent

of survey respondents were in favour of measures

supporting people with disabilities and 84 per cent in

favour of measures for older people. Public support for

the use of positive action measures is a central element

in addressing the challenges faced by groups and

communities that have historically been disadvantaged

or discriminated against.

To date, Member States have developed a huge variety

of policies on positive action – some use "soft" meas-

ures like raising awareness of equality issues, while

others tackle the under-representation of certain groups

in more determined ways, with targeted recruitment

and/or the use of quotas. The Danish government, for

example, believes that public administration staff should

reflect the labour market in general – as such, 4 per

cent of staff should be immigrants from western coun-

tries or their descendants.

Similarly, in the UK, one hospital encourages people

from ethnic minority backgrounds to take up a range of

internships in order for them to gain confidence and

skills. The aim is for participants to remain employed

after the internships have ended. In Austria, the city of

Vienna's housing department has established a scheme

to address intercultural conflict among residents of the

city's public housing. The city now employs a group of

intercultural mediators who work in mixed teams to

provide support that is easy to access and acceptable

for as many people as possible.1

Furthermore, several Member States have implemented

new measures to help migrants and ethnic minority

1

More examples are available at the EC‘s Employment, Social Affairs and Equal Opportunity website http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=618&langId=en

groups to access employment. The European Commis-

sion High Level Advisory Group of experts on the social

integration of ethnic minorities identified no less than 14

barriers preventing the access of ethnic minorities to the

labour market (Süssmuth et al. 2007).

European Commission support for positive

action

Identical treatment may result in formal equality, but it is

not enough to bring about equality in practice. In its

2008 Communication on ―non-discrimination and equal

opportunities: a renewed commitment‖

(COM(2008)420), the European Commission recog-

nised the rapidly growing importance attributed to the

role of positive action in redressing the lack of equality

in societies.

The Commission has established permanent dialogue

with the Member States to broaden and deepen our

understanding of what positive action can do for Euro-

pean citizens, as well as to encourage its use, in par-

ticular in the areas of access to education, employment,

housing and health care. In October 2010 the Commis-

sion will be holding a seminar to exchange good prac-

tices on policies supporting access to and progress in

employment of people from ethnic minorities2.

Moreover, the Commission is continuously seeking to

improve knowledge of the concept of positive action, as

well as its practical implementation in Europe. The

Commission also actively monitors and compares ex-

periences with non-EU countries which have an estab-

lished tradition of positive action such as Canada, the

United States and South Africa. Indeed, a recent study

has shown a general agreement that positive action

contributes to tackling discrimination against particular

groups within society. There is however considerable

variation in the level of familiarity with and understand-

ing of the concept.

Effective positive action requires access to good quality

data – both in order to target measures accurately and

in order to politically justify positive action measures to

the electorate. However, this can be difficult for many

Member States which, for historical reasons, consider it

unacceptable to collect data on race, ethnicity, religion,

belief or sexual orientation. The Commission recog-

nises this dilemma and has published a European

2 Results will be published at the EC‘s Employment, Social Affairs and Equal Opportunity website http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=840&langId=en

Page 47: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 42

Handbook on equality data (Makkonen 2007a) and a

study on how to measure progress made in combating

discrimination and promoting equality (Makkonen

2007b) to encourage Member States to collect and

compile the necessary data without compromising indi-

vidual human rights or data protection rules.

In addition to working with national authorities to de-

velop policies on positive action, the Commission works

in close cooperation with enterprises. Business has a

key role to play in tackling discrimination in the labour

market and in promoting diversity in the workforce. Over

the past few years, the Commission has been actively

raising awareness among companies that recruiting a

diverse workforce is not simply about respecting anti-

discrimination rules; it is also about improving economic

performance. In 2010, the Commission launched a new

project under the 'Business Case for Diversity' agenda,

which aims to establish a platform for EU-level ex-

change between organisations promoting and imple-

menting national diversity charters. The Commission is

also conducting a feasibility study with businesses to

look at the potential development of a European diver-

sity award and diversity benchmark data.

Conclusion

The European Union is founded on the shared princi-

ples of liberty, democracy, respect for human rights and

fundamental freedoms. Common to all European socie-

ties is a fundamental recognition that every individual is

of equal worth and should have fair access to the op-

portunities of life. Discrimination undermines these

shared values. Positive action measures are an impor-

tant legal and policy tool to address situations of unfair-

ness and disadvantage.

Nonetheless, I recognise that, for positive action meas-

ures to work effectively and to be accepted by society

as a whole there must be consensus that the measures

and policies being put forward are reasonable, justifi-

able and necessary. In addition, it is essential to involve

the groups targeted by the measures in their design,

planning, implementation and evaluation – it is not

enough to implement policies for people, it must be

done with them. Effective measures will also require

that we overcome barriers to positive action, such as a

lack of awareness of its benefits and an inconsistent

use of the legal framework.

I know that some national authorities remain reticent in

implementing positive action measures. However, I also

know that most are very aware that, while identical

treatment of people may result in equality in a formal

sense, it is not enough to bring about real equality. And

ultimately that is what we are all striving for.

Literature

Archibong, Uduak et al. (2009): International per-

spectives on positive action measures: A compara-

tive analysis in the European Union, Canada, the

United States and South Africa. Luxembourg:

European Commission. Available at:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=423&lang

Id=en&pubId=180&type=2&furtherPubs=yes (ac-

cessed 19 October 2010).

De Vos, Marc (2007): Beyond formal Equality -

Positive Action under Directives 2000/43/EC and

2000/78/EC. Luxembourg: EC. Available at:

http://www.migpolgroup.com/public/docs/14.Themat

ic_report_BeyondFormalEquality_EN_06.07.pdf

(accessed 19 October 2010).

European Commission (2007a): Putting Equality

into Practice: ―What role for positive action? Lux-

embourg: European Commission. Available at:

http://biblio.ugent.be/input/download?func=downloa

dFile&fileOId=733550 (accessed 19 October 2010).

European Commission (2007b): ―Discrimination in

the European Union: Summary.‖ Special Euro-

barometer 263 (Wave 65.4). Available at:

http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs

_263_sum_en.pdf (accessed 19 October 2010).

European Council (2000a): ―Council Directive

2000/43/EC of 29 June 2000 implementing the

principle of equal treatment between persons irre-

spective of racial or ethnic origin.‖ Available at:

http://eur-

lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELE

X:32000L0043:en:HTML (accessed 19 October

2010).

European Council (2000b): ―Council Directive

2000/78/EC of 27 November 2000 establishing a

general framework for equal treatment in employ-

ment and occupation.‖ Available at:

http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?u

ri=CELEX:32000L0078:en:HTML (accessed 19 Oc-

tober 2010).

Henrad, Kristin (2007): Equal rights versus special

rights: Minority protection and the prohibition of dis-

crimination. Luxembourg: European Commission (

Page 48: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

43 DOSSIER Positive Maßnahmen

European Network of Legal Experts in Non-

Discrimination) Available at: http://www.migpol-

group.com/public/docs/124.EqualRightsVsSpecialR

ights_EN_06.07.pdf (accessed 19 October 2010).

Makkonen, Timo (2007a): European handbook on

equality data: Why and how to build to a national

knowledge base on equality and discrimination on

the grounds of racial and ethnic origin, religion and

belief, disability, age and sexual orientation. Lux-

embourg: European Commission. Available at:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?pager.offset=13

0&catId=738&langId=en&furtherPubs=no (ac-

cessed 19 October 2010).

Makkonen, Timo (2007b): Measuring Discrimina-

tion: Data Collection and EU Equality Law. Luxem-

bourg: European Commission. Available at:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=738&lang

Id=en&pubId=7&furtherPubs=yes (accessed 19 Oc-

tober 2010).

Süssmuth, Rita et al. (2007): ―Report of the High

Level Advisory Group of Experts on the Social Inte-

gration of Ethnic Minorities and their Full Participa-

tion in the Labour Market.‖ Available at:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=618&lang

Id=en (accessed 19 October 2010).

Dr. Viviane Reding is a Luxembourg politician, cur-

rently serving as European Commissioner for Justice, Fundamental Rights and Citizenship and Vice President of the Commission. Before starting a professional ca-reer as a journalist in Luxembourg, she obtained a doctorate in human sciences at the Sorbonne.

Page 49: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 44

Uduak Archibong / Fahmida Ashraf

Positive Action in the UK

Introduction

This paper provides an overview of the laws regulating

positive action in the UK. It also presents key findings

from a selection of research studies on positive action

in the UK conducted between 2003 and 2009 by the

Centre for Inclusion and Diversity at the University of

Bradford, and provides examples of positive action

drawn from these studies. In addition, key messages

and recommendations based on an international study

on positive action are provided as an annex.

Background

The projected life expectancy for workers who were 60

in the year 2000 is now 80 years (Griffiths, 1997). While

the numbers of retired people post 2010 are set to rise

dramatically, many will thus still have a life expectancy

of a good number of years ahead of them at that point.

To add to this, the UK has seen lower birth rates in the

last 20 years (Griffiths, 1997) and the average age of

first time mothers has also increased (National Statis-

tics, 2004/2005). Moreover, the UK is likely to see de-

creasing numbers of economically active people and an

increase in the average age at which people are enter-

ing into the workforce, yet it will simultaneously see a

rise in the number of retired people. These factors to-

gether present an economic challenge for the future as

the burden on pensions, health care and welfare rises,

and together they provide a compelling economic case

for diversity, as it will become increasingly important to

place all those who can work into employment.

In addition to the economic obligations, the business

case for diversity in UK workplaces has never been

clearer. Many authors (e.g. Cassell, 1997; D‘Netto and

Sohal, 1999; Woodhams and Danieli, 2000) have

shown that diversity is associated with competitive

advantage and business success in several ways.

Foremost, organisations that have ethical policies and

procedures and which actively manage diversity are

associated with an improved corporate image. This is

increasingly important in a world where competition and

markets are global, and where employees and custom-

ers alike are increasingly having more choice about

who they give their custom to and who they work for.

From an employee perspective, a heterogeneous or-

ganisation that celebrates diversity in its workforce has

been associated with a range of desirable effects, from

reduced staff turnover levels and increased workforce

motivation to enhanced team working and improved

business ideas (Cassell, 1997; Kochan et al., 2003). By

breaking down the boundaries created by past discrimi-

nation, organisations that celebrate the diversity of their

workforce are also better placed to attract and retain the

best personnel (Woodhams and Danieli, 2000). Further,

diversity has also been associated with increased or-

ganisational effectiveness in terms of improved decision

making and problem solving, enhanced creativity and

innovation and better quality management (Von Bergen,

Soper and Parnell, 2005; Perkins, 2006). It is also as-

sociated with helping to create a flexible workforce that

can aid the processes of restructuring and organisa-

tional change (Cassell, 1997).

From the consumer perspective, increased technology,

the internet and global migration have meant that or-

ganisations now serve global markets and must there-

fore appeal to a multi-national, diverse customer base

(Platt, 2005). D‘Netto and Sohal (1999) note that to-

day‘s organisations must serve a customer base com-

prising people who are different and who share different

attitudes, needs, desires, values and behaviours. So for

example in organisations like the National Health Ser-

vice (NHS), it is argued that where the workforce is

representative of the communities that they serve, this

will lead to care being delivered more effectively (Archi-

bong, 2002; Woodhams and Danieli, 2000). In fact,

equality and diversity strategies (DOH 2003) make a

clear business case for the NHS to harness the diver-

sity of its workforce. In other organisations, it is argued

that mirroring the composition of customers and clients

will provide an organisation with a desirable competitor

advantage as the workforce will be better placed to

understand its customers and will have an enhanced

ability to deal more sensitively with their needs, thereby

increasing customer satisfaction, and gaining and keep-

ing their trust (D‘Netto and Sohal, 1999; Von Bergen,

Soper and Parnell, 2005). In addition, organisations

with a diverse workforce are also associated with an

ability to attract ethical investors, which is particularly

important in the public sector (Cassell, 1997).

Clearly there remains a vibrant debate about the most

appropriate way to tackle inequality and diversity at

work (Edwards and McAllister, 2002; Bagshaw, 2004;

Page 50: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

45 DOSSIER Positive Maßnahmen

Stratigaki, 2005; Bajawa and Woodhall, 2006; Young,

Mountford and Skrla, 2006). Woodhams and Danieli

(2000) have explained how the current UK approach to

equality, at least in terms of legislation is to ensure that

people are treated equally or ―the same‖ (or no less

equally) in spite of their differences. In other words the

focus is on ensuring that circumstances do not arise in

which decisions are based on differences (assumed to

exist on the basis of socio/biological groupings) be-

tween people, as it is viewed that these circumstances

often allow unfair discrimination to result. Nevertheless,

Woodhams and Danieli (2000) argue that such policies

and practices are flawed because they regard differ-

ences as negative and attempt to formally gloss over

and ignore many of the fundamental group-based char-

acteristics that divide one group from another. They

have particularly noted the difficulties in placing people

with disabilities within such an agenda because of the

heterogeneity of this group. The above discussions

indicate a compelling reason for institutions to take

steps to ensure that their policies and practices are fair

and lawful from the outset and have strengthened the

need for transparent positive action measures for realis-

ing equality of opportunity in the workplace.

Legal perspective of positive action in the UK

Whilst legislative mandates which have been developed

over the last 40 years have helped to create and re-

spond to change in society and to promote civil rights

and equality, inequality and discrimination persist today

(Framework for a fairer future - The Equality Bill, 2008).

For example:

- The gender pay gap, though down from 17,4% in

1997, still means that a woman‘s full time pay is

on average 12,6% less per hour than a man‘s.

Women working part time are paid around 40%

less per hour;

- The rate of employment of disabled people has

risen from 38% ten years ago to 48% today, but if

you are disabled, you are still two and a half times

more likely to be out of work than a non-disabled

person;

- If you were from an ethnic minority, in 1997 you

were 17,9% less likely to find work than if you

were white. The difference is still 15.5%;

- 62% of over-fifties feel that they are turned down

for a job because they are considered too old,

compared with 5% of people in their thirties;

- 6 out of 10 lesbian and gay school children expe-

rience homophobic bullying and half of those con-

template killing themselves as a result.

There is widespread recognition that the problem of

discrimination will not disappear on its own and that

appropriate strategies are required in order to nurture a

workforce that comprises a variety of talents and re-

flects the diverse community being served (DOH, 2003;

AUT, 2004; Archibong, 2006b; Archibong and Burford,

2006). Indeed the current projections (Framework for a

Fairer Future - Equality Bill, 2008) show that if progress

is not stepped up:

- The pay gap between men and women will not

close until 2085;

- It will take almost 100 years for people from ethnic

minorities to get the same job prospects as white

people;

- Disabled people will probably never get the same

job prospects;

- It will take 20 years for women to achieve equal

representation in the Senior Civil Service; and

- It will take 80 years to elect a representative

House of Commons.

In the UK, positive action policy has been put in place to

redress disadvantage, eradicate discrimination and

guarantee equal opportunity for every member of soci-

ety. At present there is no legal definition of positive

action (Archibong et al. 2007), however key equal op-

portunities legislation allows employers to target spe-

cific groups (including women, disabled people and

ethnic groups) in legally acceptable ways (NHS Em-

ployers, 2005).

Legislation that establishes positive action measures in the UK

In relation to the law applying in Great Britain (England,

Wales and Scotland), positive action schemes are not

established by legislation, although there are obliga-

tions on public authorities to promote equality. The

situation is different in Northern Ireland.1 In 1989, the

law on religious discrimination was significantly revised

and it is now found in the Fair Employment and Treat-

ment (Northern Ireland) Order 1998 (FETO) (SI 3162

1

See also the article by Christopher McCrudden, Raya Mutta-rak, Heather Hamill and Anthony Heath in this volume.

Page 51: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 46

(NI 21). In general terms, there are several key ele-

ments to the legal framework:

- Employers with more than ten employees are

obliged to collect data on the religious composi-

tion of their workforce, as well as job applicants.

- At least once every three years, each employer

must review the religious composition of those

who are employed and determine whether ―mem-

bers of each community [i.e. Protestant and Cath-

olic] are enjoying fair participation in employment‖

(Art 55(1)).

- If there is not fair participation of both communi-

ties, the employer must determine ―the affirmative

action (if any) which would be reasonable and ap-

propriate‖ (Art 55(2)). The Equality Commission

can require employers to provide evidence of the

reviews that they have conducted. Ultimately, the

Commission can direct an employer to take affir-

mative action and set goals for the employer as

well as and timetables for changing the religious

composition of the firm. These directions are

legally enforceable.

In order to redress the substantial under-representation

of Catholics in policing, recruitment to the Police Ser-

vice for Northern Ireland (PSNI) is governed by a spe-

cial legislative arrangement. The Police (Northern Ire-

land) Act 2000 establishes a ―50:50‖ recruitment

scheme. Applicants to the PSNI are first sorted into

pools of qualified persons (i.e. those who have sufficient

qualifications to be considered for appointment). Two

pools are formed: one consists of Protestant applicants

(and any other non-Catholic applicants); the other con-

sists of Catholic applicants. For every person appointed

from the Protestant pool of applicants, one must also be

appointed from the Catholic pool (section 46(1)).

Legislation that establish obligations on public or private sector organisations to take positive action

There are no legal instruments in Great Britain which

oblige private sector organisations to take positive ac-

tion. With regard to public sector organisations, there

are a range of legal obligations which place public au-

thorities under a duty to promote equality. Whilst these

might not constitute positive action per se, they estab-

lish frameworks within which public authorities can be

expected to take positive action.

The first duty to promote equality was created in North-

ern Ireland. Section 75 of the Northern Ireland Act 1998

places public authorities under a duty to ―have due

regard to the need to promote equality of opportunity

(a) between persons of different religious belief,

political opinion, racial group, age, marital status,

sexual orientation;

(b) between men and women generally;

(c) between persons with a disability and those

without; and

(d) between persons with dependents and those

without.‖

Schedule 9 of the Act specifies that all public authorities

are required to prepare an ―equality scheme‖ setting out

the detailed arrangements for complying with the duty.

In Great Britain, the Race Relations (Amendment) Act

2000 introduced an amended section 71(1), which

states that a public authority:

shall, in carrying out its functions, have due regard

to the need

(a) to eliminate unlawful discrimination; and

(b) to promote equality of opportunity and

good relations between persons of different

racial groups.

The general duty in the Act was subsequently supple-

mented by a series of legally-enforceable specific duties

set out in the Race Relations Act 1976 (Statutory Du-

ties) Order 2001 (No. 3458). In summary, these create

obligations for public authorities to collect data relating

to the ethnic origin of their employees and, in relation to

education providers, students. Most public authorities

must also prepare a race equality scheme explaining

the organisation‘s procedures for taking race equality

into account in policy-making. The race equality duty

has now been complemented by further duties on dis-

ability and gender. The disability duty was created by

the Disability Discrimination Act 2005 and the gender

duty is included in the Equality Act 2006. Both follow a

broadly similar structure to the race equality duty, al-

though there are differences in their detailed require-

ments. The government has expressed its intention to

introduce a single equality duty covering also the

grounds of gender reassignment, age, disability and

sexual orientation (Government Equalities Office:

Framework for a fairer future – the Equality Bill‘ (cm

7431, 2008) p. 15). Below is a summary of the legal

analysis of the UK legislation which forms part of a

recent study on positive action measures in the Euro-

pean Union, Canada, United States and South Africa

(Archibong et al. 2009 b.).

Page 52: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

47 DOSSIER Positive Maßnahmen

Forms of positive action permitted, but not required, by legislation

Most of the British anti-discrimination legislation pro-

vides specific exceptions for two types of positive action

in relation to employment. Firstly, there are exceptions

for ‗outreach‘ measures (e.g. s. 37 Race Relations Act

1976). These are steps designed to encourage partici-

pation in the workforce from under-represented com-

munities, e.g. advertising a job in ethnic minority news-

papers. Secondly, there are exceptions for training

schemes. This allows employers and other bodies to

provide targeted training schemes for members of un-

der-represented groups, either for job-seekers or for

those already in employment. In addition, the Northern

Ireland legislation allows employers to adopt criteria in

redundancy selection which might indirectly discrimi-

nate against the over-represented religious community

(Art. 73 FETO). Employers in Northern Ireland can also

limit recruitment to persons who have been unemployed

for a specific period of time (this would indirectly dis-

criminate against Protestants because Catholics are

over-represented among the long-term unemployed)

(Art. 75 FETO).

In relation to positive action outside the employment

sphere, two provisions can be highlighted. Section 35 of

the Race Relations Act 1976 permits measures ―done in

affording persons of a particular racial group access to

facilities or services to meet the special needs of per-

sons of that group in regard to their education, training

or welfare …‖. This has been used for a wide variety of

schemes, such as nursing homes for particular racial

groups (Para 4.23, Department for Communities and

Local Government 2007). In addition, the Sex Discrimi-

nation (Election Candidates) Act 2002 permits, inter

alia, the use of women-only shortlists when political

parties select candidates for elections. It should be

noted that the Disability Discrimination Act 1995 forbids

discrimination against disabled persons, but there is no

corresponding prohibition of discrimination against non-

disabled persons. This means that no exceptions are

needed to justify positive action for disabled persons as

this cannot be challenged as unlawful discrimination

against non-disabled persons.

Forms of positive action prohibited by legislation

With the exception of disability, anti-discrimination legis-

lation applies in a symmetrical fashion. This means that

positive action measures designed to assist groups

vulnerable to discrimination (such as women, ethnic

minorities, religious minorities) may constitute unlawful

discrimination against members of the advantaged

group (e.g. men, the White British, Christians, etc).

Unless it is protected by the specific statutory excep-

tions described above, positive action is vulnerable to

legal challenge as direct or indirect discrimination. For

example, Lambeth v. Commission for Racial Equality

(1990 ICR 768) concerned a Council district where over

half of all tenants were Afro-Caribbean or Asian. In or-

der to make the housing service more sensitive to the

needs of minority ethnic communities, the Council re-

served certain posts for minorities. In relation to those

posts which did not involve substantial contact with the

public, this was held to constitute unlawful direct dis-

crimination.

The new Equality Act (2010) brings together nine sepa-

rate pieces of legislation into one single Act simplifying

the law and strengthening it in important ways to help

tackle discrimination and inequality. Implementation of

the majority of the Equality Act will begin on 1 October

2010. The Equality Act 2010 provides a new cross-

cutting legislative framework to protect the rights of

individuals and advance equality of opportunity for all;

to update, simplify and strengthen the previous legisla-

tion; and to deliver a simple, modern and accessible

framework of discrimination law which protects indi-

viduals from unfair treatment and promotes a fair and

more equal society. There is on-going debate on how

the Equality Act will extend positive action.

Positive action in the UK: Research evidence

This section presents findings from four studies con-

ducted by the Centre for Inclusion and Diversity, Uni-

versity of Bradford between 2003 and 2009.

Study 1

The three-year collaborative study ―Positive Action

Research in Education and Health (PAREH)‖ (Archi-

bong et al. 2006a) was undertaken between September

2003 and August 2006. It aimed to explore the under-

standing of Positive Action and assess its impact on

workforce diversity in the Higher Education, Further

Education and National Health Service (NHS) sectors. It

was jointly funded by the University of Bradford and the

European Social Fund. The scope of the study was

broad and addressed the following research questions:

What are the meanings and goals of positive action in

three specific contexts: Higher Education, Further Edu-

cation and National Health Service sectors? To what

extent does the reality of positive action match the

experiences, expectations and aspirations in the areas

Page 53: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 48

of race, gender and disability? A comparative case

study methodology was utilised with a combination of

various participatory methods – literature review, docu-

mentary analysis, concept analysis, interviews, focus

groups, conference and survey.

Key findings - Conceptual dimensions of positive action

A concept analysis framework was adopted in this study

to consider the usage of the notion of positive action

within both legislative and practical contexts. With a fo-

cus on the UK context, the approach involved identifica-

tion of conceptual characteristics in terms of borderline

cases, related cases, antecedents and consequences.

Whilst the overall equality and diversity agenda re-

ceives high profile media coverage and continues to be

well debated in academic circles, there is significantly

less conceptual analysis of the nature of the anti-

discriminatory tools that the public sector employer can

call upon, and this presents both practical and theoreti-

cal problems in their application. This is particularly the

case with positive action, which has been on the statute

books in the UK since the mid-1970s and is a means of

overcoming structural workforce-related disadvantage

for particular social groups. More than thirty years later,

with a public sector increasingly aware of positive ac-

tion‘s potential for overcoming inequality and enhancing

workforce diversity, considerable confusion remains

over its appropriate application in the workplace. In

NHS case studies, Iganski et al. (2001) found few posi-

tive action initiatives that were embedded in systematic

strategies, and arguments for such initiatives were

neither understood nor embraced. Bhavnani (1997) also

found that schemes are often developed in an ad hoc

and pragmatic way in which theory does not accom-

pany practice.

Certainly, whilst it has strong potential as an anti-

discrimination measure (Karim, 2004), positive action

remains a contested term (Nowak, 2004), with wrongful

interpretation by employers leading in some instances

to litigation (Karim, 2004; Nowak, 2004, Millar, 2006a).

In the recent consultation document on age discrimina-

tion, positive action proposals were criticised by the

National Association of Teachers in Further and Higher

Education (NATFHE), who said that the guidelines

were, ―Vague and insufficient‖ (DTI, 2006). Within the

workforce, poor communication of well-intended posi-

tive action measures have sometimes caused confusion

amongst intended beneficiaries and their peers (Arora

and Archibong, 2003); with such situations potentially

leading to stigmatisation of recipients and a negative

impact on overall staff morale. Moreover, such methods

are also limited because there is a lack of parity be-

tween legislative provisions for equality strands. Indeed

suggestions have been made for Black and Minority

Ethnic (BME) groups to be given the same priority as

gender equality, particularly in Public Administration

(PA) training and setting targets at higher structural

levels within universities (Carter, Fenton and Modood,

1999).

Positive action can be considered to have three signifi-

cant conceptual dimensions: the legislative, the practi-

cal and the political. Statutory equality bodies explain

the legislative concept, whilst managers within organi-

sations develop the concept of positive action and apply

it through workforce diversity measures. Nonetheless,

the perception of positive action is affected by its com-

munication through the media. It can seem directly

dependent on the context, and can be driven and

framed by the political agenda of the time. These fac-

tors can impact on the nature of positive action and the

initiatives that materialise in reality.

Other findings

Although the majority of organisations involved in this

research had detailed equality and diversity policies in

place, there were mixed interpretations of positive ac-

tion and confusion between general equal opportunities

practices and positive action. There were perceptions of

exclusion by the very people targeted by positive action,

particularly in relation to being ostracised and made to

feel uncomfortable when taking part. Senior manage-

ment were not involving under-represented groups in

the decision-making process in relation to positive ac-

tion, suggesting that positive action implementation is

more to do with compliance with legislation and less to

do with ―hearts and minds‖. Most positive action activi-

ties which were identified in this research were targeted

at women and black and minority ethnic groups. There

was limited evidence on programmes aimed at disabled

staff.

There was an over emphasis on positive action initia-

tives aimed at service users and less so for schemes

aimed at staff. Specific initiatives such as schemes for

supporting learning, training, mentoring, work shadow-

ing and forums for networking have been highlighted as

selective examples of positive action.

Page 54: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

49 DOSSIER Positive Maßnahmen

Participants have reported the visible benefits of posi-

tive action, particularly in relation to promoting a diverse

workforce, providing assistance to minority groups and

improving representation in the workforce. Although the

benefits of positive action are highlighted, particularly in

relation to improving representation of women and BME

people in organisations, more effort is required in get-

ting minority groups in senior posts within organisations.

Some designers of positive action initiatives felt that

they were doing well in terms of disability, and positive

action was therefore not necessary. However, evidence

from the study suggests that positive action is least

prioritised in organisations. Others, especially peers, felt

that such practices were unfair and that minority ethnic

people were being advantaged at the expense of the

majority.

Study 2

This study addressed ―Critical Success Factors in the

Implementation of Positive Action in the NHS UK‖ (Bax-

ter et al. 2008). Early desk top research by NHS Em-

ployers (2005) established that, although positive action

initiatives are common in the NHS, there is little coordi-

nation of these activities nationally. The main objectives

were to investigate and identify the types and range of

positive action activities, identify key success factors,

and showcase examples of successful positive action

schemes. A total of 20 organisations took part in the

study, providing over 70 examples of positive action for

consideration. The researchers visited each of these

organisations and conducted in-depth interviews to find

out more about the respective positive action schemes.

On completion of the interviews, the schemes were

analysed, and a focus group brought together all par-

ticipating organisations. Emerging findings were shared

and consensus gained on the key factors supporting

successful positive action.

Key findings

Participating organisations were asked to consider the

factors which, in their view, were key to achieving suc-

cess with positive action. There was a considerable

degree of consensus on these, and participants em-

phasised that all of them needed to be in place to

strengthen the chances of success.

Leadership

By far the most often cited ―success factors‖ were con-

nected with strong leadership. These included:

- a dedicated resource, in the form of a designated

individual, preferably with a sound knowledge of

equality and diversity issues, in a position to drive

through the required ―logistical‖ aspects of the

work but also able to overcome some of the less

tangible – cultural or political – issues which inevi-

tably arise;

- passion for the work and the objectives, i.e. un-

derstanding and enthusiasm, drive and persever-

ance;

- commitment from the top of the organisation, and

across the organisation, including managers,

clinical staff etc.;

- an emphasis on team working.

Strategic Management Approach

Many organisations pointed to the value of undertaking

positive action initiatives within a strong strategic

framework, which ensures that the option to try positive

action emerged from a sound, appropriately funded,

long-term strategy for the organisation. Examples in-

clude positive action as part of a long-term recruitment

and retention strategy or wider organisation develop-

ment programme.

Several examples of positive action in our survey were

developed as part of a local partnership scheme with

other stakeholder organisations such as other NHS

Trusts, the local Strategic Health Authority, the Local

Authority and Jobcentre Plus (a UK government agency

supporting people of working age from welfare into work

and helping employers to fill their vacancies). These

schemes not only support coordinated action across a

community but also often provide real resource savings,

as part of the work involved is delegated to other or-

ganisations or shared across several partners.

Sound planning and project management were regu-

larly cited as instrumental in achieving success. This

includes robust evaluation which demonstrates that the

positive action being implemented is having the re-

quired effect. Outcomes might include changing the

balance of ethnicity among staff in general, or increas-

ing the number of disabled applicants for certain posts.

Page 55: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 50

Communication

Communicating to the right people, in the right way at

the right time is a major success factor and should be

considered carefully. Three main aspects of this

emerge in relation to implementing positive action:

1. Communicating with target groups: knowing the

local community and why certain groups are being

targeted - and effectively marketing the organisa-

tion or specific initiative to them in ways which will

make an impact.

2. Communicating within the organisation: making it

clear what the positive action initiative is about and

what it is trying to achieve, managing expectations,

why it is not ―unfair‖ to other groups, when it is due

to end etc.

3. Sharing good practice: there is a great deal of good

work taking place; re-inventing the wheel is waste-

ful and time-consuming whereas networking and

mutual learning can offer shortcuts and earlier pay-

back.

Organisational Culture

Another, less tangible aspect of successful outcomes is

the culture of the organisation – ―the way we do things

round here‖. For example, the ability to ―think outside

the box‖, be flexible and adaptable, and even to take

calculated risks, is seen by several of those involved as

key drivers in determining what they did and how they

went about it.

Celebrating success is also seen as an important fea-

ture of achieving cultural change: fostering a sense of

achievement, improved morale and laying the founda-

tions for more successful action in the future.

Resources

Unsurprisingly, securing adequate resources is consid-

ered fundamental to success. However, many of the

other success factors can help to bolster the resources

available, such as: sharing good practice to save need-

less repetition of work, careful targeting and evaluation

to improve the value derived from each initiative, and

sound planning and project management to help to

ensure that resources are used effectively.

Study 3

The third study project is entitled ―Positive action meas-

ures in the European Union, Canada, United States and

South Africa‖ (PAMECUS) (Archibong et al. 2009c).

This section is an extract that will present the main

findings from the thematic analysis based upon the data

collected from 2 consensus workshops and interviews

involving 62 HR/ED professionals in the UK. In addition,

the research involved a documentary analysis of the

materials provided by workshop participants relating to

positive action policies and practices within their re-

spective organisations.2

Key findings

Whilst all interviewees perceived positive action to be

closely linked to the mission of their organisation, their

understanding varied significantly across sectors. There

was a general consensus that positive action was an

effective way to change organisational practices in

order to redress former injustice experienced by histori-

cally oppressed minority groups. Several interpretations

of positive action were offered. Positive action is viewed

as an effective and legitimate tool to bring about change

within organisations.

A number of reasons were identified as to why positive

action had been introduced within organisations. Public

sector interviewees consistently attributed the impetus

for implementing positive action within their organisa-

tions to legislation which ―makes organisations ... stand

up and seem to be committed‖.

The effectiveness of positive action as a tool to achieve

sustainable change was unquestioned but appeared to

be dependent upon a number of wider variables. Given

that positive action can be seen to have negative con-

notations, interviewees felt that organisations needed to

communicate clear messages about the aims behind

introducing such measures and how they would be

operationalised in practice. Embedding positive action

within the philosophy of an organisation with a genuine

understanding and acceptance of its importance

amongst all staff was considered to be key to success-

ful application of positive action measures. Equally, it

was felt that there needed to be a strong commitment

and willingness within the workforce to change the

existing organisational culture and strong leadership

and commitment to achieve change.

Organisations are generally satisfied with the progress

they have made through their implementation of posi-

2

As an annex to the conclusion, please find the key messages and the recommendations of this study.

Page 56: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

51 DOSSIER Positive Maßnahmen

tive action measures and could see the benefits. Many

organisations recognised the value of positive action as

a tool to help them create a workforce that would better

reflect and respond to the needs of local communities.

However, there were mixed results in terms of assess-

ing the impact of positive action strategies across or-

ganisations. It was apparent that not all organisations

felt confident about discussing the impact of their initia-

tives due to a lack of clarity about what their expecta-

tions had been from the outset in relation to their re-

spective project outcomes. Organisations have no way

of measuring whether positive action has achieved its

aims; consequently a more robust system of monitoring,

evaluation and impact assessment needs to be built

into positive action programmes from the outset.

There was widespread agreement that positive action

initiatives were more likely to get off the ground with

involvement from the target group itself. Some organi-

sations felt that sufficient effort had not been made to

mainstream equality internally.

Study 4

This study dealt with Corrective Action to redress the

ethnic imbalance in senior management: Experiences

of BME Leaders/Managers in the NHS (Ashraf and

Archibong 2009). The NHS has historically been under-

taking several initiatives to promote equality in employ-

ment as well as programmes to develop and promote

BME staff (NHS Executive, 1996). However, discrimina-

tion remains a feature of NHS employment practices

and may help to explain the lack of BME staff at senior

levels in the service (Esmail, 2007; Archibong and Darr,

2010). Despite having many initiatives BME staff are

under-represented in the NHS senior management

(National Nursing Leadership Programme, 2002, Esmail

2004, Archibong et al. 2006b) and at the top of each

organisation, the management is almost always white

(Carvel and Shifrin 2004). The literature review high-

lights the disproportionate numbers of BME staff at

middle and senior management levels within the NHS.

Iganski et al. (2001) and Bagihole (1999) found that

implementation of equal opportunities in NHS is slow

and there is a lack of equal opportunities-related mana-

gerial knowledge and strategies. There are basic statis-

tics on the number of BME staff employed by the NHS

but very little on their access to training courses, lead-

ership programmes and promotional opportunities (Es-

mail 2007; Esmail et al. 2005). Whilst recent attempts to

encourage the participation of influential senior manag-

ers, acting as role models for BME junior staff and

breaking down the old hierarchical relationships, is

crucial for the success of BME staff (Salman and Butler,

2004), evidence exists to show that factors such as the

lack of exposure to positive BME role models may have

militated against effective sustenance of representa-

tional diversity (Darr et al. 2008; Archibong et al. 2007).

Although several research studies have been carried

out on different initiatives/programmes offered at the

organisational level, limited work has been published on

the experiences of people who have participated in

those initiatives.

The aim of the study was to explore the experiences of

corrective action initiatives in redressing the ethnic

imbalance in NHS senior management. This study

explored the main NHS corrective action initiatives to

develop BME staff into management, the impact of

corrective action initiatives in terms of BME staff pro-

gression and retention and their experiences. A case

study approach involving in-depth face to face semi-

structured interviews and documentary analysis of

relevant policies was undertaken.

Key findings

The study revealed many ongoing corrective action

initiatives taking place in NHS organisations such as

Top Talent programme, the Breaking Through Pro-

gramme, BME Graduate Programme, Transformational

Leadership course, The Mary Seacole Awards and

Beacon programme. Other initiatives include manage-

ment and fast tracking schemes, BME staff forums,

BME support groups and networks schemes aimed at

recognising and cultivating leadership potential within

BME staff (National Nursing Leadership Programme,

2002).

Corrective action initiatives were seen as an opportunity

to learn and develop in a safe environment. Most par-

ticipants felt that corrective action changed their lives in

terms of achieving confidence, skills, networking and

gaining qualifications. These participants described

corrective action initiatives as milestones in their lives

that helped them to develop in their roles at work and

changed their thinking positively and how they worked

from prior to their participation in the corrective action

initiatives. Other participants felt that anyone can be-

come a manager but not necessarily be an effective

leader, and these initiatives taught them how to be an

effective leader or a good manager.

Page 57: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 52

The benefits of positive actions were visible as individ-

ual participants highlighted the changes experienced

after participation, both at the workplace and at the

personal level. These initiatives were seen by partici-

pants as an opportunity to develop and progress in their

professions. During participation in these initiatives peo-

ple learnt new skills and gained qualifications to com-

pete. Some participants were promoted at work from

managers to senior managers, and some were given

team leaders‘ roles as well as a pay rise. Those partici-

pants who took part in the Breaking Through Pro-

gramme were encouraged to apply for promotions or a

secondment post up to Director level. These initiatives

provided participants with learning opportunities includ-

ing presentation skills, communication skills, negotiation

skills and confidence to ask questions/raise any con-

cerns during meetings and one-to-one sessions. In

some cases participants were not directly promoted but

their roles and responsibilities were changed so that

some participants started representing their depart-

ments/teams to different boards and meetings. In some

organisations where individuals felt that they could not

move on with their careers in their own organisation,

participating in these initiatives gave them the confi-

dence to apply elsewhere and come back after a few

years to more senior posts in their own organisations.

Overall, the findings suggest that there are some good

examples of corrective action initiatives taking place in

the NHS organisations. Corrective action initiatives

were supported by the most senior staff working in the

NHS such as executives and directors. The ongoing

involvement in mentoring by the executives/directors

made huge differences for the participants in terms of

encouraging them to share their learning and applying

for better posts or secondments. Participants gained

skills and qualifications to compete at work. Many par-

ticipants were promoted at senior levels and others

moved out to work with the other NHS organisations for

better posts. Most participants reported that BME staff

networks helped them gain knowledge and information

about different training opportunities.

Although these initiatives made a visible difference in

terms of participants‘ learning and helping them move

on with their careers, it was also evident that it was not

the case for every participant. Some people struggled to

cope with the change that was taking place as a result

of The Agenda for Change. Under the current economic

climate, like at any other large organisations, NHS

employees were also facing difficulties in terms of their

contracts or job securities. Some participants experi-

enced lack of support from their colleagues and were

unable to share their learning with their colleagues.

Although there are many Directors and Chief Execu-

tives involved in mentoring it is often only a short term

commitment. To make mentoring more successful, an

ongoing commitment from the most senior staff is es-

sential. One-to-one sessions with mentors encouraged

BME managers to raise certain issues such as how

they were treated by their colleagues and line manag-

ers as well as working towards their career progression.

Ongoing support from senior management gives confi-

dence to participants and makes a real difference in

their development and job progression (McCarty et al.,

2005).

Examples of positive action measures in the

UK

Black Leadership Initiative

As part of a Further Education College‘s efforts to

achieve a more representative workforce in relation to

disability, gender and ethnicity, the Race Equality Ac-

tion Plan for the college identified an under-

representation of black staff at senior management

level within the organisation. A programme to provide

mentoring for black staff in the further education sector

was set up to help them advance in their career paths.

Some of the impetus for this initiative came from the

Network for Black Managers, which is an established

forum that challenges racial inequality within the further

education sector. Members of this network currently

meet regularly and make presentations to minority

ethnic staff based at the college. College restructuring

took place two years ago and involved working with the

Network for Black Managers to recruit more minority

ethnic staff as well as to make recommendations.

Creating a more representative workforce

This project was anchored in a voluntary organisation

which provides educational, care and employment

services for people with complex learning disabilities

and other disabilities. The Disability Discrimination Act

and related legislation triggered the need to boost the

number of disabled people in the workforce. Although

the organisation is not a public sector organisation and

therefore not beholding to its duties, it works with public

bodies such as the Learning and Skills Council that are

compliant with the legislation. There are also financial

incentives for the organisation to recruit more disabled

Page 58: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

53 DOSSIER Positive Maßnahmen

students onto courses as all these students have finan-

cial weighting attached to their disabilities.

Recruitment and selection procedures are in place to

encourage people with disabilities to apply for positions

within the organisation. There is a guarantee of an

interview, once the minimum requirements are met by

applicants. Comparisons are made by the Personnel

department on a regular basis with figures held by the

local authority to assess whether applications reflect the

proportion of disabled people in the local population.

Improving recruitment of people of Chinese and mixed ethnic backgrounds into the health service

This project is executed by a Primary Care Trust. The

Trust is committed to becoming an employer of choice

and embedding equality into all its policies. It undertook

a ‗data cleanse‘ exercise in relation to its workforce in

2007, which provided a breakdown of the workforce by

the different equality strands. The results of this exer-

cise provided the Trust with an evidence base from

which to set workforce targets. The Trust also intro-

duced a number of initiatives to improve the representa-

tion of underrepresented groups into the workforce,

including specific ethnic groups.

In order to attract more applicants of Chinese and

mixed ethnic backgrounds, job vacancies were emailed

to 300 community organisations and also distributed

through the organisation‘s weekly bulletin. The national

website ―Ethnic Britain‖ (http://www.ethnicbritain.co.uk/)

was also used to advertise 80 posts. In addition guid-

ance for potential applicants on how to access NHS

jobs was translated into different languages. Workforce

targets are reported on at the end of the year and those

targets that are outstanding are rolled onto the following

year‘s targets. It was highlighted that the online process

of filling in application forms for NHS jobs was far from

straightforward.

Promoting Global Citizenship and Lifelong Learning

Located within a voluntary sector organisation, the

initiative was developed in response to a need ex-

pressed by members of the African community, particu-

larly young people and women, to learn more about

their own history and identity. The purpose was to raise

community awareness about social (in)equality, includ-

ing subjugation and marginalisation faced by African

people.

The organisation runs programmes to help teach about

the history of Africa as part of a continuum of struggle

dating back to the era of chattel slavery. The organisa-

tion also teaches skills for overcoming day-to-day chal-

lenges, emphasises indigenous self-knowledge sys-

tems and encourages people to unify around a belief in

common, human dignity. The success of the initiative is

evaluated with reference to the satisfaction of commu-

nity members with the initiative, measured by feedback

from individuals, audio interviews and suggestion box

type forms.

Widening Opportunity for Women (WOW): Maintaining the WOW factor

In 1999, the percentage of women in senior posts in a

health organisation was 28%. One hundred women

were surveyed to help develop the content of the pro-

gramme. W.O.W. consists of a series of workshops

which can either be done in sequence or selectively.

The workshops originally included issues such as mak-

ing a difference; assertiveness skills; positive thinking;

and time out for working parents. New workshops in-

clude finding the balance; making more of a difference;

and mentoring/coaching if required. The outcomes of

the project include 325 women who have attended

W.O.W. training since 2000 and almost 40% senior

posts are now occupied by women. Furthermore in

2004, 54.5 per cent of appointments were earned by

women. The programme was described by an external

audit as ―An excellent example of the use of training as

a positive action tool.‖

Positive Assets: Mental health service user employment service

People who use mental health services are sometimes

disadvantaged when they apply for jobs and may suffer

discrimination. In order to challenge this discrimination,

the Trust has developed Positive Assets to encourage

and support individuals who have used mental health

services to apply for posts within the Trust. Support is

available from the Trust in a number of ways including:

- Ensuring the recruitment process values the skills

and experiences gained by service users.

- Advertising job vacancies directly to service us-

ers, user groups and mental health workers.

- Working with applicants to identify strengths and

skills.

- Helping with the completion of forms and inter-

view preparation.

Page 59: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 54

- Supplying practical information – finance, child-

care, training etc.

- Providing ongoing practical support once in post.

Women in Science, Engineering and Technology Initiative (WiSETI)

The University‘s WiSETI had its origins in 1993 when

the University joined the Opportunity 2000 Campaign.

In 1998 some of the University‘s culture change goals

were targeted at SET with specific initiatives to address

the under-representation of women in SET. WiSETI

was created in 1999 with support from Personnel and

funding from the Vice-Chancellor to raise expectations

and to meet the challenge of those raised hopes and

aspirations. Its remit is:

- to improve the numbers of women studying SET

at the university;

- to improve the recruitment, retention and promo-

tion rates of women in SET appointments and

- to raise the profile and enhance the self-

confidence of women in SET through a range of

initiatives.

WiSETI addresses:

- access - recruitment and admissions;

- participation - retention of women graduate stu-

dents and post-docs;

- progression - the career progress of women post-

docs into permanent posts and their retention if

they choose to have children or have to undertake

other caring responsibilities;

- performance - whether women are required to

outperform men in order to win research funding

or appointments.

WiSETI has played a key role in highlighting the issue

of the under-representation of women in SET. It suc-

cessfully introduced dialogue between the different

agencies in the university (where undergraduates are

admitted by Colleges) concerned with outreach to

school students. It is mainstreamed into and funded

from the University's HR Strategy, with additional finan-

cial support from the Colleges and the University's

learning and teaching strategy. An annual WiSETI lec-

ture by a high profile woman scientist is part of the

outreach to girls and women who may be interested in

science.

Conclusion

Positive action in the UK is generally viewed as an

effective and legitimate tool to bring about change

within organisations. The legislative mandate is a key

driver for compliance with the utilisation of positive

action in the public sector. Many organisations have

recognised the value of positive action as a tool to help

them create a workforce that would better reflect and

respond to the needs of local communities.

Strong leadership and commitment is required for posi-

tive action initiatives to be effective. Organisations are

generally satisfied with the progress they have made

through their implementation of positive action meas-

ures and could see the benefits. However, organisa-

tions have no way of measuring whether positive action

has achieved its aims; consequently a more robust

system of monitoring, evaluation and impact assess-

ment needs to be built into positive action programmes

from the outset.

Uduak Archibong is Professor of Diversity at the Uni-

versity of Bradford, UK, where she directs the Centre for Inclusion and Diversity and provides strategic over-sight for equality and diversity across the institution. She leads a global team of researchers to undertake numerous large-scale research projects on representa-tional diversity and inclusive workplaces including the recently completed European Commission funded col-laborative research study on Positive Action Measures in the European Union, Canada, United States and South Africa (PAMECUS). Fahmida Ashraf is Research Officer at the Centre for

Inclusion and Diversity at the University of Bradford. Her research interests include workforce diversity, eth-nicity, race, gender, disability issues and research methods.

Page 60: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

55 DOSSIER Positive Maßnahmen

ANNEX:

Key messages of the PAMECUS-Study1

The key messages of this study address the context of

equality and diversity, the definition and understanding

of positive action, the drivers for positive action, the

barriers to positive action, support for positive action,

outcomes and impacts, and positive action in practice.

Context of equality and diversity

- Positive action is generally undertaken within the

framework of written equality policies, mission

statements and annual reports, which reflect a

commitment to equality.

- Monitoring and specific target setting relating to

equality and diversity are widespread, with gender

being the most widely monitored and sexual ori-

entation the least monitored ground.

- Lack of disaggregated data in key sectoral fields

means effective positive programmes cannot be

comprehensively developed and implemented.

- Attracting diverse communities into the organisa-

tion may not necessarily mean a change of cul-

ture and attitude towards positive action.

Definition and understanding of positive action

- There is confusion and inconsistency in the termi-

nologies used to describe positive measures

across the study countries.

- There is a lack of common understanding in

Europe, within countries and across sectors on

the meaning of positive action.

- A clarification of the nature and purpose of posi-

tive action measures can promote a better under-

standing of the actual nature of the measures and

in turn generate a more positive attitude and per-

ception of the utility of positive action.

- The historical and political context of the respec-

tive countries, influences the formulation and ad-

aptation of positive action.

Drivers for positive action

- Legislation remains the main driver for positive

action. Other key drivers include altruistic rea-

sons, moral-ethical consideration, business rea-

sons, demographic changes, corporate social re-

1 The full study was published by Archibong et al. (2009a).

sponsibility, organisational policy and grassroots

efforts.

- Negative factors are seen to drive positive action

in some instances where organisations set up

programmes for political and financial gains with

little genuine interest in the essence of positive

action.

Barriers to positive action

- Lack of resources – human, financial and time -

are the most frequently cited barriers to positive

action, particularly in the European countries.

Lack of senior management buy-in, continued

support and commitment remain major impedi-

ments to successful and sustained positive action.

- Legal frameworks on positive action lag far behind

social policy, and conflicting data protection ar-

rangements in some countries create serious bar-

riers to implementing positive action.

- There are difficulties in ensuring that the legisla-

tive framework is consistently applied in practice.

Furthermore, there are differences among coun-

tries in implementing sanctions against organisa-

tions who do not implement positive action or

achieve equitable practice.

- Lack of awareness of the benefits of positive

action measures within the workforce and in the

wider society, and the role of the media in prob-

lematising these measures and rendering out-

comes as tokenistic, are seen as major barriers to

the acceptability of positive action.

Support for positive action

- Support of the wider society is essential for the

success of position action programmes. Strong

individual commitment, support from colleagues,

leadership and senior management buy-in are

necessary to sustain positive action activities.

- There are differences between all sectors in their

enthusiasm and implementation of positive ac-

tions. There is evidence of commitment of some

public sector organisations to push the bounda-

ries of policy, to develop a much broader applica-

tion of positive action.

- Positive action programmes are most successful

with the inclusion of meaningful involvement of

the target groups in design, planning, implementa-

tion and evaluation

Page 61: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 56

Outcomes and impacts

- There is lack of systematic monitoring of the ef-

fectiveness of positive action in terms of outputs

and outcomes. Organisations are struggling to

develop robust evidence, and tend to rely on ‗soft‘

measures to assess the impact of positive action.

- Whilst on the whole, positive action measures are

seen to be effective in raising awareness of equal-

ity issues in organisations, having real impact on

minority groups, and improving an organisation‘s

image and reputation, their potential contribution

to business success is less well recognised and is

not always deemed to translate into better finan-

cial results.

- Positive Action initiatives are largely time limited

and not seen as long term measures. Generally,

the groups that benefit most from positive action

initiatives are minority ethnic groups and women,

and the least likely to be beneficiaries are LGBT

and disabled people.

Positive action in practice

- Examples of practice in organisations confirm

confusion about the scope of positive action

measures and the overlap with other complemen-

tary measures such as equality and diversity

monitoring and impact assessment.

- There is an incredibly diverse range of activities

that go under the heading of positive action. Many

countries focus on specific groups, perhaps at the

expense of others, which might be a reflection of

the particular context or ‗politics‘ of that country.

- In practice, positive action measures tend to focus

more on training and improving employment op-

portunities rather than service delivery.

- The introduction of positive action within organisa-

tions can produce some negative consequences

or backlashes such as negative stereotypes,

stigmatisation, lack of proper oversight, dishonest

behaviour and malpractice.

Recommendations of the PAMECUS-Study

The following recommendations address research, law

and policy development, and practice at European and

national levels as well as the organisational level.

Research on positive action

- Research should be undertaken in an attempt to

map the current situation of "disadvantage" with

regard to the different fields in which positive ac-

tion can be applied, e.g. employment, education,

housing, health care, etc. relating to these differ-

ent grounds. This research should be carried out

at the national level, as it can also be expected

that the situation with regard to different equality

grounds or grounds will also vary across the

Member States. These national mapping studies

should provide the basis for any further policy re-

view focusing on where (which fields and

grounds) to allow positive action, and what (pub-

lic) resources to direct towards particular forms of

positive action.

- There needs to be research to assist courts which

are called upon to establish whether a prior situa-

tion of disadvantage justifies the use of a particu-

lar positive action measure. The research should

assist courts to identify the relevant questions or

issues which should be resolved, and could result

in a series of model questions (which could be

adapted on a case by case basis) which the court

would need to address. This research should be

carried out on a European basis. The model ques-

tions could then provide a basic EC law frame-

work for assessing "disadvantage", but could also

be added to in light of further national law re-

quirements. An approach analogous to ‗cost-

benefit analysis‘ based on some measure of jus-

tice might be developed.

- Given that an organisation‘s equality and diversity

objectives can be hampered by a lack of under-

standing of the rationale for positive action (and

the need to continue to make the case for and

measure the impact of positive action), undertak-

ing research around the economic advantages of

positive action may prove beneficial.

- A comprehensive intervention study is necessary

to develop a coherent model/theory for measuring

success which would guide the type of positive

action measures implemented.

- In fact, there is so little evaluation of ‗good prac-

tice‘ in positive action, that development of a

model for identification, evaluation and dissemina-

tion of ‗best practice‘ would be advantageous.

- In light of the centrality of monitoring in promoting

sustained positive action measures, organisations

Page 62: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

57 DOSSIER Positive Maßnahmen

need to gather disaggregated data in key sectoral

fields on all grounds of discrimination. This may

not appear to be a radical or innovative sugges-

tion, but in the light of the poverty of practice, we

feel that while listed last in this catalogue of ac-

tions, it is of primary importance and would for the

majority of organisations and agencies, be inno-

vative in practice.

Law and policy development

- In order to foster a shared understanding of what

is meant by positive action within the European

Union, the European Commission should promote

dialogue with civil society organisations and the

social partners.

- Based on such dialogue, EU-level guidance on

the meaning of positive action should be devel-

oped. This could be in the form of a non-binding

legislative instrument, such as a Commission

Recommendation or a Council Resolution. Alter-

native mechanisms could include a Joint Declara-

tion by the social partners.

- In the introduction and revision of EC anti-

discrimination legislation, it should be ensured

that public, private or voluntary organisations who

wish to engage in positive action are entitled to do

so.

- Member States should revise national legislation

where this prohibits or restricts the opportunity for

public, private or voluntary organisations to take

positive action.

- In order to evaluate the need for, and effective-

ness of, positive action, data collection is re-

quired. Whilst respecting data protection legisla-

tion, Member States should ensure that organisa-

tions may engage in data collection where this is

designed to facilitate and analyse positive action

measures.

- The EU institutions and Member States are rec-

ommended to introduce legal duties to implement

positive action measures where necessary to

achieve full equality in practice.

Practice at European and national levels

- Create a European-level framework of under-

standing of positive action measures and define

specific indicators of success in the implementa-

tion of these measures. The EC needs best-

practice networks to support member states in

dealing with uncertainties and ensure parallel

translation and application of the EU approach to

positive action. These networks should operate at

national and cross-sector levels to enable the

sharing of ideas, approaches and activities, and

encourage organisations to move from intention to

action. This may help to move the focus from

rhetoric to outcomes.

- Governments should undertake to educate the

general public through ‗social marketing‘ about

positive action, in order to address widespread

misunderstandings that appear to exist, and to fa-

cilitate the linking up of various stakeholders al-

ready engaged in such measures. Widespread

awareness raising campaigns of both the need for

positive action measures for disadvantaged

groups and the benefits of such measures for

wider society will promote a wider acceptance and

positive attitudes towards positive action.

- Develop clear strategies for identifying and man-

aging the negative consequences of positive ac-

tion (or its misuse and abuse). The role of the me-

dia and other robust communication approaches

should be considered. Establish educational fo-

rums and networks to promote understanding and

dialogue in relation to positive action.

- Government bodies at all levels should actively be

encouraged to implement positive action pro-

grammes for disadvantaged groups in order to set

an example for the rest of society in overall atti-

tude and approach to such measures. Minimum

operating standards for positive action application

should be set by the EC with appropriate ar-

rangements for reporting successes and chal-

lenges on an EC-wide basis. This might be un-

derpinned by selective punitive or enforcement

action against bodies failing to meet existing

minimum targets for compliance with equality and

human rights duties.

- Make available adequate financing through na-

tional government or EU funds to support complex

programmes required to ensure effective imple-

mentation and evaluation of positive action. Such

programmes might include those that promote in-

tersectional and intersectoral approaches to non-

discrimination.

- Develop tools to assist organizations to establish

baseline data to facilitate positive action imple-

Page 63: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 58

mentation and design robust strategies to support

the evaluation of the effectiveness of measures

taken. Adoption of an EU and a national action

plan that identifies systems that need to be in

place to ensure efficient and robust monitoring.

Impact assessment tools may be deployed for this

purpose.

Practice at the Organisational level

- Positive action needs to be mainstreamed as part

of a broader normative change and supported by

institutions with proper mentoring and training. In-

crease internal and external acceptability of posi-

tive action by raising awareness of the nature and

benefits of positive action. A programme of edu-

cation and training including seminars and events

to increase knowledge and practice of positive ac-

tion, its benefits and its role within diversity

strategies.

- Address positive action as an integral part of a

wider organisational corporate mission, workforce

planning and service development, working

closely with the relevant governmental bodies. In-

tegrate positive action within talent management,

succession planning frameworks and wider em-

ployment and service development practices. This

may require cross-departmental working in order

to ensure a more co-ordinated approach.

- Adopt a more coherent and collaborative ap-

proach to the introduction of positive action be-

tween organisations. This collaboration will not

only help to increase the acceptability of the pro-

grammes but may also help convince managers

of the likely benefits of positive action, not least if

other organisations are competitors. A strategy

found effective in the USA is to encourage organi-

zations to compete for recognition in equality and

diversity (‗justice‘) fields: if bodies are competing

to excel in positive action, this creates healthy

competition. Awards might be created and pub-

licly presented to encourage this.

- Ensure involvement of members of minority

groups in the development and evaluation of posi-

tive action measures. Individuals who have bene-

fited from various positive action initiatives should

be encouraged to work within the extension of

such programmes, in order to increase represen-

tation amongst positive action implementers.

References

Archibong, U. (2002): Frameworks for anti-

discriminatory strategies in the health service. In

D.R. Tomlinson and W. Trew (eds): Equalising op-

portunities, minimising oppression London:

Routledge.

Archibong, U. (2006). Capitalise on Diversity (Edito-

rial). Multicultural Nursing 1(4): 3.

Archibong, U./Giga, S./Ashraf, F./Bucktrout,

A./Jackson, H./Baxter, C./Johnson, M. (2006a):

Positive Action Research in Education and Health.

Bradford: University of Bradford.

Archibong, U./Bucktrout, A./Giga, S./Ashraf,

F./Baxter, C./Johnson M. (2006b): A Concept

Analysis of Positive Action in Health and Education.

Diversity in Health and Social Care 3 (4) (2006):

223-243.

Archibong, U./Darr, A. (2010): The involvement of

BME staff in NHS Disciplinary Proceedings. Brad-

ford: University of Bradford.

Archibong, U./Giga, S./Ashraf, F./Bucktrout,

A./Jackson, H./Baxter, C./Johnson, M. (2007): Rep-

resentational Diversity: The Experience and Inter-

pretation of Positive Action. International Journal of

Diversity in Organisations, Communities and Na-

tions.

Archibong, U./Bucktrout, A./Giga, S./Ashraf,

F./Baxter, C./Johnson,M (2007): A Positive Action

Research in Education and Health Project report.

University of Bradford for European Social Fund.

Archibong, U./Burford, B. (2006): Embedding Cul-

tural Understanding in Leadership and Manage-

ment. International Journal of Diversity in Organisa-

tions, Communities and Nations 6(3): 1-8.

Archibong, U./Eferakorho, J./Darr, A/Scally,

A./Atkin, K/Baxter, C./Johnson, M R D/Bell, M/

Waddington, L./Wladasch, K./Bedard, T./Oluyinka,

A./Sahrps, P./Bradshaw, P. (2009a): International

perspectives on positive action measures: A com-

parative analysis in the European Union, Canada,

the United States and South Africa. European

Commission. Available at:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=423&lang

Id=en&pubId=180&type=2&furtherPubs=yes (ac-

cessed 23/11/2010).

Page 64: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

59 DOSSIER Positive Maßnahmen

Archibong, U./Eferakorho, J./Darr, A/Scally,

A./Atkin, K/Baxter, C./Johnson, M R D/Bell, M/

Waddington, L./Wladasch, K./Bedard, T./Oluyinka,

A./Sahrps, P./Bradshaw, P. (2009b) Positive action

measures in the European Union, Canada, United

States & South Africa: Country Reports.

PAMECUS Series Volume 3. Available at:

http://www.brad.ac.uk/T4-

health/new_site/pamecus/files/PAMECUS%20Volu

me%203%20-%20Country%20Reports.pdf (ac-

cessed 23/11/2010).

Archibong, U./Eferakorho, J./Darr, A/Scally,

A./Atkin, K/Baxter, C./Johnson, M R D/Bell, M/

Waddington, L./Wladasch, K./Bedard, T./Oluyinka,

A./Sahrps, P./Bradshaw, P. (2009c): Perceptions of

the Impact of Positive Action in EU and non-EU

Countries. International Journal of Diversity in Or-

ganisations, Communities and Nations 9(5): 111-

124.

Arora, R./Archibong, U. (2003): Equality Advisory

Report University of Sussex.

Ashraf, A./Archibong, U. (2009): Journeying to-

wards Leadership: Personal Accounts of Experi-

ences of Corrective Action by Managers in NHS

Organisations. International Journal of Diversity in

Organisations, Communities and Nations 9 (3):

171-180.

AUT (2004): The unequal academy: UK academic

staff 1995-96 to 2002-03. London: Association of

University Teachers.

Bagilhole, B./Stephens, M. (1999): Management

responses to equal opportunities for ethnic minority

women within an NHS Hospital Trust. Journal of

Social Policy 28 (2): 235-248.

Bagshaw, M. (2004): Is diversity divisive? A positive

action approach. Industrial and Commercial Train-

ing 36 (4): 153-157.

Bajawa, A./Woodhall, J. (2006): Equal opportunity

and diversity management meet downsizing. A

case study in the UK airline industry. Employee Re-

lations 28 (1): 46-61.

Baxter, C./Archibong, U./Giga, S./Kular, R. (2008):

Critical Success Factors in the Implementation of

Positive Action in the NHS UK. The International

Journal of Diversity in Organisations, Communities

and Nations 8 (2): 19-30.

Bhavnani, R. (1997): Personal development and

women‘s training: transforming the agenda. Women

in Management Review 12 (4): 140-149.

Carvel, J./Shifrin, T. (2004): Wasted talent. Society

Guardian (23/06/04). Available at:

http://www.guardian.co.uk/society/2004/jun/23/nhss

taff.health (accessed 23/11/2010).

Carter, J./Fenton, S./Modood, T. (1999): Ethnicity

and employment in Higher Education. London: Pol-

icy Studies Institute. Available at:

http://www.psi.org.uk/publications/ETHNIC/ethhefin

d.htm (accessed 23/11/2010).

Cassell, C. (1997): The business case for equal

opportunities: The implications for women in man-

agement, Women in Management Review 12 (1):

11-16.

Darr, A./Atkin, K./Johnson, M./Archibong, U. (2008):

Recruitment of South Asian people into the nursing

profession: a knowledge review. Journal of Re-

search in Nursing 13 (2): 151–160.

D‘Netto B./Sohal S (1999): Human resource prac-

tices and workforce diversity: empirical assess-

ment. International Journal of Manpower 20 (8):

530-547.

Department for Communities and Local Govern-

ment (2007): Discrimination Law Review. A Frame-

work for Fairness: Proposals for a Single Equality

Bill for Great Britain. London: Department for

Communities and Local Government.

DOH (2003): Equalities and Diversity in the NHS -

Progress and Priorities. London: Department of

Health.

Department of Trade and Industry (2004): Fairness

for all: A new Commission for equality and human

rights. London.

Edwards; J./McAllister, L. (2002): One step forward,

two steps back? Women in the two main political

parties in Wales. Parliamentary Affairs 55 (1): 154.

Equality Act (2010). Available at:

http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2010/15/pdfs/u

kpga_20100015_en.pdf (accessed 23/11/2010).

Esmail, A. (2004): A problem shared. Society

Guardian (12/02/2004). Available at:

http://www.guardian.co.uk/society/2004/feb/12/ment

alhealth.raceintheuk1 (accessed 23/11/2010).

Page 65: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 60

Esmail, A. (2007): Asian Doctors in the NHS: Ser-

vice and Betrayal. British Journal of General Prac-

tice 57 (543): 827-834.

Esmail, A./Kalra, V./Abel, P. (2005): A critical re-

view of leadership interventions aimed at people

from black and minority ethnic groups. London: The

Health Foundation. Available at:

http://www.aneezesmail.co.uk/PDF%20files/Health

FoundReport.pdf (accessed 23/11/2010).

Government Equalities Office (2008): Framework

for a Fairer Future: The Equality Bill. Available at:

http://www.equalities.gov.uk/pdf/FrameworkforaFair

erFuture.pdf (accessed 23/11/2010).

Griffiths, A. (1997): Ageing, health and productivity:

a challenge for the new millennium. Work and

Stress 11 (3): 197-214.

Iganski, P./Mason, D./Humphreys, A./Watkins, M.

(2001): Equal Opportunities and Positive Action in

the British National Health Service: some lessons

from the recruitment of minority ethnic groups to

nursing and midwifery. Ethnic and Racial Studies

24 (2): 294-317.

Karim, R. (2004): Take care when being positive.

London: Commission for Racial Equality.

Kochan, T./Bezrukova, K./Ely, R./Jackson, S./Joshi,

A./Jehn, K./Leonard, J./Levine, D./ Thomas, D.

(2003): The effects of diversity on business per-

formance: report of the diversity research network.

Human Resource Management 42 (1) 3-21.

Millar, M. (2006): CRE ignores own advice and lets

police off hook. Personnel Today 27/6/06, p. 3.

McCarty, C/Hukai, D./McCarty, E. (2005): Building

diversity in the pipeline to corporate leadership.

Journal of Management Development 24 (2): 155-

168.

NHS Leadership Centre (2002): Getting on against

the odds: How black and ethnic minority nurses can

progress into leadership - A resource guide for

health and social care professionals.

National Statistics (2004/05): Households and

Families.

NHS Employers (2005): Positive Action in the NHS.

London: NHS Employers.

NHS (1996): Executives Annual Report. London:

HMSO.

Nowak, T. (2004): Positive Action in the European

Union, Second Pan-European Conference Standing

Group on EU Politics Bologna, 24 - 26 June 2004.

Available at: www.jhubc.it/ecpr-

bologna/docs/211.pdf (accessed 23/11/2010).

Perkins, G. (2006): Unlock the potential of peer

learning. China Staff 12 (6): 34-35.

Platt, L. (2005): Migration and social mobility: the

life chances of Britain's minority ethnic communi-

ties. Available at:

http://www.jrf.org.uk/sites/files/jrf/1861348223.pdf

(accessed 23/11/2010).

Salman, S./Butler, P. (2004): Race against time.

Society Guardian (17/03/2004). Available at:

http://www.guardian.co.uk/society/2004/mar/17/gua

rdiansocietysupplement.politics1 (accessed

23/11/2010).

Stratigaki, M. (2005): Gender mainstreaming vs.

positive action – an ongoing conflict in EU gender

equality policy. European Journal of Women‘s Stud-

ies 12 (2): 165-186.

Von Bergen, C. W./Soper, B./Parnell, J. (2005):

Workforce diversity and organisational perform-

ance. Equal Opportunities International 24 (3/4): 1-

16.

Woodhams, C./Danieli, A. (2000): Disability and di-

versity – a difference too far? Personnel Review 29

(3): 402-417.

Young, M. D./Mountford, M./Skrla, L. (2006): Infus-

ing gender and diversity issues into educational

leadership programs: Transformational learning and

resistance. Journal of Educational Administration

44 (3): 264-277.

Page 66: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

61 DOSSIER Positive Maßnahmen

Christopher McCrudden / Raya Muttarak / Heather Hamill / Anthony Heath

Affirmative Action without Quotas in Northern Ireland

New research has shown that Northern Ireland‘s inno-

vative affirmative action programme has resulted in

improvements in fair employment, both for Catholics

and Protestants.1 Historically, Catholics and Protestants

in Northern Ireland were typically highly segregated

from each other in employment, with Catholics being

concentrated in particular sectors of the labour market,

and in particular firms, and suffering unemployment

rates two to three times as high as those of Protestants.

But for the last twenty years, Northern Ireland‘s pro-

gramme of affirmative action has used detailed monitor-

ing for firms‘ composition plus agreed action plans,

where necessary, to ensure for both groups "fair par-

ticipation" in employment, avoiding the setting of quo-

tas.

The legislation requires employers to carry out regular

reviews of their workforce composition to determine

whether there is fair employment, and to undertake

remedial action where required. These reviews enable

the Commission responsible for enforcement of the

legislation (from 1990 to 2000, the Fair Employment

Commission; from 2000, the Equality Commission) to

identify those employers whose workforce is insuffi-

ciently representative and to initiate agreements with

them for improvement.

The Nuffield Foundation funded an in-depth study over

the past two years into the extent to which any changes

to workforce composition can be attributed to the fair

employment policies. The interdisciplinary team of re-

searchers from Oxford University found not only a direct

association between the agreements and positive

change, but that there appeared to be "spill-over" ef-

fects on employers overall, with a general move to-

wards fair employment.

In this article, we provide a non-technical account of this

research and some preliminary "headline" results, to-

gether with a brief analysis of some policy implications.

More detailed discussion, together with an account of

research methods and data analysis will be published

subsequently.

1 A previous version of this article appeared in The Equal Rights Review, Vol. Four (2009), pp. 7-14.

Background

Northern Ireland has, since 1989, had a remarkable and

innovative programme of affirmative action that aims to

use legal enforcement measures to ensure that both

communities in Northern Ireland - Catholics and Protes-

tants - enjoy "fair participation" in employment. The

Northern Ireland approach is radically different from the

approach to inequality of opportunity in the rest of the

UK and is also somewhat different from the much bet-

ter-known American affirmative action programmes.

The success (or otherwise) of the Northern Ireland

approach may well have important implications for other

jurisdictions such as the EU that are considering how to

tackle issues of fair employment (for example in the

context of ethnic inequalities in the labour market).

The Northern Irish Approach to Fair

Employment

The affirmative action programme was established by

the Fair Employment (Northern Ireland) Act 1989,

amending and substantially replacing the previous 1976

fair employment legislation which essentially prohibited

discrimination but which did not require any significant

positive action to promote fair employment. This legisla-

tion was subsequently modified by the Fair Employment

and Treatment (Northern Ireland) Order 1998 (FETO).

The Northern Ireland legislation imposes on all regu-

lated employers, both public and private, a duty to carry

out regular reviews of the composition of their workforce

in order to determine whether there is fair participation

of both communities, and to undertake remedial action

where fair participation has not been achieved. The

principal legal enforcement agency wasinitially the Fair

Employment Commission (FEC), and from 2000 the

Equality Commission for Northern Ireland (ECNI). Its

major tool available under the legislation was its right to

select regulated employers for investigation and, where

deemed necessary, to establish agreements to improve

the representation of the under-represented group.

While the majority of agreements have been estab-

lished to remedy Catholic under-representation, there

have also been a number designed to remedy Protes-

tant under-representation in specific regulated employ-

ers.

Page 67: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 62

These affirmative action agreements typically included

process requirements and substantive requirements.

They involved:

- Changes in the way in which regulated employers

conducted their personnel functions, particularly

by formalising advertising, hiring, promotion, dis-

missal, and equal opportunities training;

- Specified affirmative action measures deemed

most appropriate for regulated employers, such

as the use of targeted advertising to the under-

represented group, and statements in advertise-

ments particularly welcoming applications from

the under-represented group;

- The adoption of specified numerical goals by

regulated employers in order to reduce under-

representation, together with timetables by which

these numerical targets would be achieved.

No reverse discrimination or quotas were permitted or

could be required by the FEC/ECNI. A major exception

to this approach involves affirmative action in the police

force where a form of quota system has been in opera-

tion since the implementation of the Patten Report of

1999.

There are two main sorts of agreement, namely legally

enforceable agreements and voluntary agreements

negotiated with Commission staff. In practice, the great

majority of the agreements (around two-thirds) have

been voluntary ones. The Commission moved towards

legally binding agreements when it was unable to se-

cure a satisfactory voluntary agreement. Ultimately

these legally binding agreements are backed up by

sanctions although in practice the Commission has

primarily employed persuasion rather than enforcement.

In summary, the most notable features of the Northern

Ireland legislation and approach to affirmative action

are:

- Its symmetrical character – the legislation applies

both to Catholic and to Protestant under-

representation;

- A concern with outcomes and not solely with

process (although issues of process are by no

means ignored);

- The annual monitoring of regulated employers‘

composition and the publication of their results,

identifying individual regulated employers by

name;

- A definition of fair participation that takes account

of the availability of suitably-qualified personnel in

the relevant geographical area;

- The use of legally binding and voluntary agree-

ments depending on the judgement of the Com-

mission as to which is more likely to be successful

to achieve compliance and redress under-

representation;

- The limited measures that employers were permit-

ted to take in order to redress under-

representation in comparison with other countries

such as the USA or India and their affirmative ac-

tion measures.

The MacBride Principles

Another politically important reason for employers to

engage in affirmative action in Northern Ireland was

provided by the campaign to establish the MacBride

Principles. This was a campaign by US-based activists,

largely from the Irish-American community, together

with some human rights groups, to put pressure on the

British government to act more decisively on fair em-

ployment in Northern Ireland. One of the main aims of

the campaign was to put pressure on American corpo-

rations with subsidiaries in Northern Ireland to adopt a

set of anti-discrimination principles called the MacBride

Principles. These were named after and sponsored by

Sean MacBride, a controversial Irish statesman who

had been chief of staff of the IRA during the 1930s,

Minister of Foreign Affairs in the Irish Republic, founder

of Amnesty International, and recipient of the Nobel

Peace Prize in 1974.

The MacBride Principles were launched in 1984.

American companies with subsidiaries in Northern

Ireland were invited to commit themselves to a series of

non-discrimination and affirmative action principles in

their operations in Northern Ireland. These principles

had much in common with the content of the agree-

ments described above that were reached with the

FEC/ECNI. They included, inter alia:

- Increasing the representation of individuals from

under-represented religious groups in the work

force, including managerial, supervisory, adminis-

trative, clerical and technical jobs;

Page 68: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

63 DOSSIER Positive Maßnahmen

- Publicly advertising all job openings and undertak-

ing special recruitment efforts to attract applicants

from under-represented religious groups;

- Abolishing job reservations, apprenticeship re-

strictions and differential employment criteria,

which discriminate on the basis of religion or eth-

nic origin;

- Appointing a senior management staff member to

oversee the company‘s affirmative action efforts

and the setting up of timetables to carry out af-

firmative action principles.

In addition to the above, each signatory to the MacBride

Principles was required to report annually to an inde-

pendent monitoring agency on its progress in the im-

plementation of these Principles. This was specified in

the 1986 amplified version of the Principles. Companies

were invited to indicate their acceptance of the Princi-

ples by ―signing‖ them. The model chosen was that

previously adopted in the Sullivan Principles relating to

South Africa although, unlike in South Africa, there was

no substantial move to force divestment from compa-

nies that were unwilling to sign the Principles. The

MacBride Principles had no legal force in Northern

Ireland, but there was the risk of economic sanctions

from US state or non-governmental activity. For exam-

ple, some US jurisdictions (such as New York City)

legislated that firms with operations in Northern Ireland

could lose state or city contract bids if their Northern

Ireland subsidiaries were not implementing the

MacBride Principles.

The body monitoring the operation of the MacBride

Principles in the United States was the Investor Re-

search Responsibility Centre (IRRC). A comparison of

their effectiveness with that of the FEC/ECNI agree-

ments should be instructive. On the one hand, the risk

of economic sanctions in the case of MacBride might be

expected to strengthen their effects. However, this risk

might have been expected to decline over time as the

―troubles‖ began to recede: Particularly following the

Belfast/Good Friday Agreement of 1998, pressure from

activists accordingly might have been reduced. On the

other hand, the greater institutional authority and legal

power of the FEC/ECNI to check on implementation of

the agreements might be expected to increase their

long-term effectiveness.

Lawsuits

A third source of pressure for regulated employers to

engage in fair employment practices is provided by

court cases alleging discrimination and brought against

regulated employers by individual complainants, analo-

gous to lawsuits in the United States. From 1998 these

have been heard in the Fair Employment Tribunal

(FET), which hears complaints of discrimination on the

basis of religion or political opinion. The FET has the

power, if it finds in favour of the complainant, to make a

financial award, with no upper limit specified.

Our Research Objectives

Our research had five main objectives:

- To assess whether agreements concluded be-

tween employers and the Commissions had been

successful in improving the extent to which regu-

lated employers moved towards fair employment

(both in occupational and employment terms), and

to assess whether the legally enforceable or the

voluntary agreements were more effective;

- To investigate whether other influences on firms,

such as individual cases taken to the Fair Em-

ployment Tribunal and the MacBride Principles,

increased progress towards fair employment in

individual firms;

- To evaluate the overall success of the affirmative

action programme set up in the fair employment

legislation;

- To understand the principal mechanisms which

facilitated progress towards fair employment;

- To draw policy recommendations.

Key Findings

The study identified four key findings:

1. Agreements were positively associated with im-

provements in fair employment, both those de-

signed to improve Catholic representation and

those designed to improve Protestant representa-

tion. Voluntary agreements proved to be more ef-

fective than the legally-enforceable Article 13

agreements;

2. Agreements were effective both in boosting em-

ployment and increasing shares in manage-

rial/professional occupations – i.e. the gains were

not restricted to workers in low skill occupations;

Page 69: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 64

3. There was no sign that either Fair Employment

tribunal cases or the MacBride Principles had last-

ing impacts on individual regulated employers;

4. Improvements in fair employment were not re-

stricted to regulated employers that had agree-

ments. Instead, there appeared to be "spill-over" ef-

fects on non-agreement firms such that there was a

general move towards fair employment, with a clear

decline in "extreme" firms at both ends of the spec-

trum.

The Effects of Affirmative Action Agreements

in More Detail

Turning, first, to the various measures of Commission

enforcement activity, we find significant effects both for

voluntary Catholic agreements (on the growth of Catho-

lic employment) and for voluntary Protestant agree-

ments (on the growth of Protestant employment). In

contrast, the effects of legally enforceable agreements

are not significant. Moreover, in the case of Catholic

agreements, the magnitude of the coefficient for the

legally enforceable agreements is clearly smaller than

that for the voluntary agreements.

The most striking positive finding is that voluntary

Commission agreements have been more effective than

the legally enforceable ones. This finding applies both

to Catholic and to Protestant agreements, to agree-

ments concluded under the Fair Employment Commis-

sion and under its successor the Equality Commission,

and to the effects of agreements both on overall em-

ployment in the firm and on the share of professional

and managerial employees. It thus seems to be a very

robust result.

We also found significant and positive effects both on

the share of Catholic employees in regulated employers

where there were less than 36 per cent Catholics, and

on the share of Protestant employees where there were

less than 41 % Protestant employees. This can proba-

bly be attributed to "spill-over" effects, with a declining

number of non-agreeing firms being located in the two

tails of the distribution (Figure 1). As Figure 1 shows,

the distribution of regulated employers shifted from a

bimodal one in 1990 to a unimodal one in 2005 with

fewer firms located in the two tails of the distribution.

Figure 1: Distribution of regulated employers by percent-ages Catholics: 1990-2005 (non-agreement regulated employers) Source: Monitoring return data, 1990 – 2005.

Apart from these positive results, we have found little

evidence for direct effects of individual Fair Employment

Tribunal activity and not a great deal of evidence for the

effect of legally enforceable Commission agreements,

or for MacBride agreements.

If this analysis is correct, then reforms of the kind

sought by the Commission in their agreements, requir-

ing wider advertising and outreach, can potentially play

a bigger role than reforms designed to eliminate dis-

crimination at the point of application. So even if the

financial incentives of tribunal cases (the costs of de-

fending them as well as the financial penalties imposed)

lead regulated employers to reform their selection pro-

cedures (in itself an untested assumption), this may not

in itself make a great deal of difference to the degree of

under-representation in the firm.

This is not in any way intended to deny the importance

of direct discrimination in hiring, promotion or firing,

although unfortunately no field experiments of discrimi-

nation of the sort that have been carried out on racial

discrimination have been attempted in Northern Ireland.

Rather our point is that additional processes, some of

which might be regarded as constituting indirect dis-

crimination or deriving from prior beliefs about likely

discrimination (such as the "chill factor"), may well be

even more widespread but may also be more suscepti-

ble to policy intervention. But if this argument for ex-

plaining differences in the effectiveness of tribunal and

agreement activity is correct, how might we explain the

differences in the effectiveness of voluntary and legally

enforceable agreements, or between Commission and

MacBride agreements, all of which aim to tackle re-

cruitment practices?

Page 70: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

65 DOSSIER Positive Maßnahmen

Our qualitative research suggests that leadership from

the top of an organisation is crucial in the effective

implementation of reforms. Actual implementation of

reforms is bound to involve a degree of discretion on

the part of lower-level employees: formal procedures,

even if tightly specified, can never rule out discretion,

and how that discretion is exercised may well depend

upon the extent to which junior employees perceive that

their seniors value the objectives. Voluntary agree-

ments, where senior staff of the firm concerned (with

whom agreements are typically negotiated) have been

persuaded of the legitimacy of the exercise, may thus

be more wholeheartedly implemented than legally en-

forceable agreements where the leadership of the firm

had to be compelled to accept the intervention. This still

leaves open the question of why the MacBride agree-

ments were less successful than the voluntary agree-

ments negotiated by the Commission. One possibility

might be the different basis for targeting firms for

MacBride agreements. As American subsidiaries they

may already have had in place more professionalised

and civil-rights oriented personnel functions.

Finally, it is important to recognise that our failure to find

direct evidence of positive effects of legally-enforceable

or of MacBride agreements on fair employment within

individual regulated employers does not in any way

imply that such agreements were without value. Here,

our earlier distinction between direct effects and spill-

over effects becomes highly relevant. The fact that the

Commission had the power to impose legally-

enforceable agreements, and that it was willing to exer-

cise that power on occasion, might well have made its

task of securing voluntary agreements considerably

easier. It might also have signalled to other, non-agree-

ment, regulated employers that the Commission "meant

business". The signalling effect of these agreements on

other regulated employers might well have been impor-

tant for the overall success of the programme.

Policy Implications

The Northern Ireland experience shows that progress

can be made towards fair employment without resorting

to quotas that would probably be politically unaccept-

able in the rest of the UK or in Europe. A fundamental

aspect of the Northern Ireland programme is the moni-

toring of employees, the targeting by the Commission of

employers where progress is not being made, and the

use of agreed programmes and timetables to achieve

progress towards fair employment. The key mecha-

nisms that "delivered" these favourable outcomes ap-

peared to be:

- The professionalisation of Human Resources

within regulated employers. In particular, the ap-

pointment of a designated employee to ensure

compliance with FEC/ECNI guidelines;

- Formal advertising and recruitment methods

rather than by word of mouth;

- Targeted advertising of vacancies to encourage

applications from the under-represented group;

- The introduction of criteria-based redundancy

policies.

These measures do not appear to have involved major

administrative burdens on firms and have proven to be

politically acceptable.

Christopher McCrudden is Professor of Human Rights Law at the Faculty of Law, University of Oxford. Raya Muttarak is a post-doctoral researcher in the Depart-

ment of Political and Social Sciences, European Uni-versity Institute. Heather Hamill is a University Lecturer

in Sociology and Fellow of St Cross College, University of Oxford. Anthony Heath is Professor of Sociology in

the Department of Sociology, University of Oxford.

Page 71: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 66

Paul Lappalainen / Yamam Al-Zubaidi / Paula Jonsson

Active measures in Sweden – in theory and in practice

The history in Sweden of the civil laws against discrimi-

nation is central to the use of active measures. A short

overview is presented. Then, after an introduction to the

provisions on active measures under the current 2009

Discrimination Act, we have provided an overview of

some experiences concerning the monitoring of those

provisions as well as the provisions that existed in ear-

lier laws. This is followed by some reflections on sanc-

tions and incentives. We then discuss some areas

which can be related to the issue of active measures.

The paper ends with some final comments on active

measures. Two limitations concerning this paper should

be noted. We will not be discussing active measures in

regard to schools or higher education. Also, the views

presented solely represent the personal views of the

authors.

Initially, concerning active measures we would like to

point out some of our basic ideas about the develop-

ment of active measures and their relevance in relation

to individual complaints. Establishing an individual right

of redress in regards to discrimination was a positive

step towards a society without discrimination. However,

such laws are reactive and place the burden of social

change on the hope that individuals subjected to dis-

crimination will carry the burden of bringing complaints

that redress their situation and hopefully contribute to

the establishment of equality as a norm.

Fairly early in this development it was realized by some

actors, e.g. discriminated groups and policymakers, that

complementary measures were needed. This led to the

idea of active measures that would in one way or an-

other promote equality and prevent discrimination.

Instead of being reactive and relying on persons that

are in vulnerable positions, the focus is instead on pro-

active measures that put pressure on those with the

power to discriminate and/or the power to prevent dis-

crimination. In summary, individual complaints will lead

to societal change in a slow manner while active meas-

ures of various types are intended to push the process

faster on a broader scale.

At the same time, since active measures in working life

are focused on employers, it is important to ensure that

sanctions and/or incentives are in place that will seri-

ously encourage employers to actually implement them

– both in theory and in practice. As indicated in the text,

the theory and requirements are in place, but thus far

the results have been limited. Presumably this is be-

cause the sanctions/incentives have been insufficient.

Legislative history in brief

Active measures in a stricter sense are to be found in

the 2009 Discrimination Act and some of the laws re-

placed by this new Act. Prior to 2009, Sweden had

basically seven civil laws banning discrimination. In

1980 Sweden adopted the Equal Opportunities Act

concerning gender. This law banned gender discrimina-

tion in working life. It also included some provisions on

active measures that were strengthened over the years.

In 1994 Sweden banned ethnic discrimination in work-

ing life. This act was revised and strengthened in 1999

and included some provisions concerning active meas-

ures. In 1999 two other laws were adopted banning

discrimination in working life due to sexual orientation

and disability. These latter two acts contained no spe-

cific provisions on active measures. In 2001 the Equal

Treatment of Students at Universities Act was adopted,

in 2003 the Discrimination Act basically banning dis-

crimination in the provision of goods and services and

in 2006 the Act on the prohibition of discrimination and

other degrading treatment of children and pupils. These

last three laws essentially covered gender, ethnicity,

religion, disability and sexual orientation.

Up until 2009 there were four supervisory bodies re-

lated to the various grounds; the Equal Opportunities

Ombudsman concerning gender (1980), the Ombuds-

man against ethnic discrimination (1986), the Disability

Ombudsman (1994) and the Ombudsman against dis-

crimination due to sexual orientation (1999). In 2009,

the four discrimination ombudsmen were merged into

the Swedish Equality Ombudsman (http://do.se/en/),

and the laws were merged into the comprehensive

Discrimination Act, which went into effect that year.

Active measures according to the

Discrimination Act

A new Discrimination Act entered into force on 1 Janu-

ary 2009 as a result of a government inquiry set up in

Page 72: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

67 DOSSIER Positive Maßnahmen

2002. The inquiry had proposed a leveling up of the

active measures in the old laws to cover the ―old‖

grounds of disability and sexual orientation and the new

grounds of age and transgender identity. The govern-

ment instead simply merged the rules concerning active

measures into the new law. It was stated that the effec-

tiveness of the provisions on active measures had not

been sufficiently evaluated.

The new law thus retained the differences between the

various grounds concerning active measures and these

provisions remained almost the same as in the previous

acts. This means they only comprise the grounds of

sex, ethnicity, religion or other belief, and the differ-

ences between active measures regarding sex as op-

posed to ethnicity and religion or other belief remain.

This also meant that the previous hierarchy of grounds

was to a large extent retained – with sex at the top

followed by ethnicity and religion and then all the other

grounds.

Basically it can be said that employers must have gen-

der equality plans and gender pay gap analyses. Fur-

thermore, within the limits of EU law, positive treatment

in working life is allowed in regard to the underrepre-

sented sex. Concerning ethnicity and religion or other

belief, employers must undertake active measures to

promote equality with regard to these grounds. How-

ever, positive treatment is not allowed. Thus, in general,

according to the Act all employers have a duty to under-

take active measures to bring about equal rights and

opportunities in the workplace regardless of sex, ethnic-

ity and religion or other belief. This should be done in

cooperation with the employees who are usually repre-

sented by their trade unions.

According to Chapter 3 § 3 of the Act this work shall be

goal-oriented. This section comprises sex, ethnicity,

religion or other belief. There are separate provisions

stating that all employers with 25 employees or more

shall set up a gender equality plan. There has been a

discussion about whether goal-oriented means that

employers have to set up written action plans that also

cover ethnicity, religion or other belief. The Equality

Ombudsman has stated that there is no obligation to

collect all related information in a specific written plan

though it seems that it would be difficult to carry out a

goal oriented work without such documentation. At least

for now, the Ombudsman recommends that employers

include all of these grounds in an equality plan.

The obligation concerns the following areas:

Working conditions

- Ensure that the working conditions are suitable for

all employees (sex, ethnicity, religion or other be-

lief);

- Enable both female and male employees to com-

bine employment and parenthood (sex, ethnicity,

religion or other belief);

- Prevent and hinder any employee being subjected

to harassment or reprisals (sex, ethnicity, religion

or other belief).

Recruitment

- Ensure that people have the opportunity to apply

for vacant positions (sex, ethnicity, religion or oth-

er belief);

- Promote an equal distribution of women and men

in different types of work and employee catego-

ries (sex);

- Make special efforts to achieve an equal distribu-

tion between men and women in all employee

categories (sex).

Matters of pay (sex)

- Every three years survey and analyze

- provisions and practices regarding pay and

other terms of employment;

- pay differences between women and men per-

forming work that is to be regarded as equal or

of equal value.

- Every three years draw up an action plan for

equal pay (obligatory if there are 25 or more em-

ployees) including the result of the survey and

analysis, indication of pay adjustments and other

measures and a cost estimate and timetable

(soonest possible and within three years at the

latest). A report on and evaluation of the above is

to be included in the following action plan.

- Provide trade unions with the information neces-

sary to ensure their ability to cooperate properly in

the survey and analysis as well as with the action

plan.

Page 73: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 68

Gender equality plan (sex – though in practice, please note the analysis concerning all the rele-vant grounds and goal oriented work)

- Every three years draw up a gender equality plan

(obligatory if there are 25 or more employees).

The Act consists of two parts, one part containing provi-

sions on prohibitions against discrimination and repris-

als, the other containing provisions on active measures.

Though the second part could be thought of as the part

relating to the promotion of equal rights and opportuni-

ties, the preparatory work clearly states that the two

parts are closely linked together and the aim of both

parts is equal rights and opportunities in practice. It is

stated that the prohibitions, in addition to being the tool

for achieving individual rights, are intended to promote

non-discrimination through changing behavior, attitudes

and public opinion. Nevertheless it is stated that prohibi-

tions are not enough to realize equal rights and oppor-

tunities within a foreseeable future. Active measures

are therefore to be seen as a means for promoting equ-

ality for larger groups of people in a more direct way.

Failure to comply with the provisions on active meas-

ures is subject to a financial penalty that can be issued

by the Board against discrimination as the result of a

complaint filed by the Equality Ombudsman. For various

reasons this type of procedure and sanctions have

been insufficient to provide employers with a serious

incentive to develop good practices when it comes to

active measures. In our opinion, various improvements

are needed as well as other complementary tools in

order to achieve the implementation of more effective

active measures.

Some of the tools needed for such supervision are

regulated in Chapter 4, § 3 of the Discrimination Act:

A natural or legal person who is subject to the

prohibitions of discrimination and reprisals, the

obligation to investigate and take measures

against harassment or the provisions on active

measures in this Act is obliged, at the request of

the Equality Ombudsman,

1. to provide information about circumstances in

their activities that are of importance for the super-

vision exercised by the Ombudsman,

2. to provide information about qualifications when

the Ombudsman is assisting in a request from an

individual under Chapter 2, Section 4 or 8,

3. to give the Ombudsman access to workplaces

and other premises where the activities are con-

ducted for the purpose of investigations that may

be of importance to the supervision exercised by

the Ombudsman, and

4. to attend discussions with the Ombudsman.

More strategic use needs to be made of these tools.

They also need to be seen in the context of related

tools. Anti-discrimination clauses in public contracts are

one such tool. At least these seem to have stimulated

the pro-active private sector work in the United States.

Placing a higher equality duty on the public sector is

another such tool. Gender and other forms of equality

―mainstreaming‖ are not uncommon in Sweden. Devel-

oping active measures containing sanctions/incentives

that would help make these efforts become more effec-

tive should be possible.

Monitoring compliance with active measures

provisions

With the 1980 Equal Opportunities Act concerning gen-

der discrimination in working life, Sweden got its first

ever provisions on active measures. The provisions

concerned working life only and were relatively weak.

Firstly, the Act did not include any requirements on

written documentation of the pro-active work. Secondly,

the provisions were made optional. In other words the

provisions were subsidiary to collective bargaining

agreements. Consequently and for a little more than a

decade, the right to oversight of gender equality plans

was rarely exercised, mainly due to the idea that not

much could be achieved through monitoring.

In 1992, further supervisory powers were given to the

Equal Opportunities Ombudsman through the amended

version of the same Act, which - this time - included

requirements on written gender equality plans. Even

though the requirements to have written action plans

were optional in that they could be replaced by a collec-

tive bargaining agreement, the mere existence of those

requirements made monitoring more interesting and

thereby less rare. The results of the supervisions exer-

cised during about two years brought to light the poor

quality of the written action plans. Only a handful of the

350 written action plans examined, which concerned

the period of 1993-1995, proved to be fully satisfactory.1

However, in 1994 the Act was strengthened once again.

Written action plans came to stay. Avoiding the re-

1 JämOs Testamente – a short report on monitoring carried out by the Equal Opportunities Ombudsman (gender) during 29 years (2008). Unpublished report (in Swedish only).

Page 74: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

69 DOSSIER Positive Maßnahmen

quirement of written documentation of the pro-active

work through collective bargaining agreements was no

longer possible. Several new provisions were intro-

duced including a provision on goal-oriented active

measures and the requirement of a yearly evaluation of

the action plan. A provision on pay gap surveys was

introduced in that same year as well. Nevertheless, it

was not until 2001 when the notion of ―work of equal

value‖ was introduced that gender pay issues became a

target for monitoring in a serious way.

In 2005 the Equal Opportunities Ombudsman commis-

sioned a survey from Statistics Sweden (the national

statistical agency) that, among other things, asked

about the extent to which employers (businesses and

government agencies) had a current gender equality

plan for 2004/2005 as required by law. According to the

survey almost 80 per cent of government agencies had

a plan, while only 30 per cent of the businesses had a

plan. While about 80 per cent of businesses with 200 or

more employees had a plan, 57 per cent of businesses

with 50-199 employees had plan and only 25 per cent

with 10 to 49 employees had a plan. Even though the

percentages in both the public and private sectors had

improved since the previous survey in 1999, the figures

still showed a substantial deviation from the require-

ments of the law.2

In 1999 active measures provisions concerning ethnic

origin, religion and belief were introduced with the new

Act on measures against ethnic discrimination in work-

ing life. The provisions were mandatory and could not

be avoided through collective bargaining agreements,

which was probably a result of the passivity of social

partners during the previous decade.3

A study made by TNS Sifo in 2002 showed that about

40 per cent of employers surveyed had a written plan

on active measures concerning ethnicity and religion.

The supervisory agency at the time (the Ombudsman

against Ethnic Discrimination) ran a 4-months informa-

tion campaign just after that study aiming at improving

employers‘ understanding of the provisions on active

measures. However, the first monitoring efforts under-

taken after the campaign showed that only 10 per cent

2 JämO. Jämställdhetplanen: Hur fungerar jämställdhetsarbe-tet i praktiken? (Gender Equality Plans: How does gender equality work function in practice?) 2005 p. 18. Available at: http://www.jamombud.se/docs/scbrapport_05.pdf (accessed 19/10/2010).

3 See for instance the preparatory works: Proposition 1990/91:113, A new Equal Opportunities Act, p. 61.

of the employers had written plans on active measures

that were satisfactory.4

Both ethnic origin and religious affiliation are classified

as sensitive data in Sweden, which made some imple-

mentation aspects of the provisions less obvious from a

practical point of view compared to sex/gender issues.

However, that did not explain the 10 per cent compli-

ance rate. For instance, general data concerning birth

place, and birth place of parents, are fairly easy to ac-

cess through Statistics Sweden. Compiling such infor-

mation and processing it with the necessary safeguards

is not illegal.5 Nevertheless, employers seemed to be

very reluctant about processing information on ethnic

origin or religious affiliation. Our conclusion is that the

uncertainty regarding sensitive data has been used as

an excuse to avoid undertaking active measures re-

garding ethnicity and religion or other belief. When it

comes to a similarly vague provision on active meas-

ures regarding gender, these are carried out at about

the same low rate even though statistical measure-

ments are not considered to be ―sensitive‖.

Supervision or monitoring of ethnicity- and religion-

oriented active measures, from a historical point of

view, has followed the same patterns as in the case of

gender. In both cases, different approaches have been

adopted through the years, concentrating on certain

geographical regions, certain industries or simply moni-

toring only certain provisions. Again, in both cases,

there is more to this continuous change of strategies

than just the ambition of finding more effective methods.

It is very much about what has been described as the

poor quality of active measures plans regardless of

ground. It is also about the difficulties that supervisory

agencies were encountering in taking the issue to the

next level. Generally speaking, there is a built-in para-

dox in the way the active measures provisions are con-

structed and enforced.

On one hand, the provisions are vaguely formulated.

There is very little help, if any at all, in the legal texts

and in the preparatory works that would make a con-

4 Monitoring by the Ombudsman against Ethnic Discrimination (2008). Unpublished report (in Swedish only).

5 The safeguards are prescribed by the Swedish Data Inspec-tion Board. Safeguards for processing sensitive information do not seem to be a new or problematic area. For further information, see the study for the Council of Europe by Pa-trick Simon (2007): ―Ethnic‖ statistics and data protection in the Council of Europe countries - Study Report. Available at: http://www.libertysecurity.org/article1746.html (accessed 19/10/2010).

Page 75: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 70

sensus possible on what measures are to be regarded

as a minimum. For instance, there is the requirement of

ensuring ―that the working conditions are suitable for all

employees‖ regardless of sex, ethnicity, religion or other

belief‖. The law is constructed with the Swedish tradi-

tions of collective bargaining agreements in mind. In

other words, the provisions are vague because the

employer is expected to find the right measures in co-

operation with the trade unions involved. At the same

time, detailed provisions could prove to be too rigid for

the purpose.

On the other hand, when the supervisory agency (DO –

the Swedish Equality Ombudsman) is not satisfied with

the pro-active work of a certain employer, the DO has to

take the case to the Board against Discrimination,

where it is expected to explain in detail which exact

measures it wants the Board to order the employer to

undertake. In other words, there is some sort of catch

22 logic in the way the active measures provisions are

constructed. The requirements in the law are vague,

while at the same time the Ombudsman, in asserting a

violation of the provisions, must explain in detail which

measures should be undertaken.

When the gender pay gap provisions were broadened

to include the notion of ―work of equal value‖ it was ne-

cessary to break down that notion into various parts in

order to make the provision useful at all. The legal text

then included four criteria for assessing ―work of equal

value‖: knowledge, skills, responsibility and effort. This

detailed information, no matter how vague it may seem

at first glance, made the monitoring more interesting.

―The One Million Inspection‖ – a monitoring project

aiming at inspecting pay gap issues for one million

employees on the Swedish labor market, showed that

when the provisions are more detailed, it is easier to

monitor the pay gap and bring about changes. After the

project was finished, pay adjustments worth about 72

million SEK (approx. 7 million Euros) were made. The

pay analysis method prescribed by law since 2001 led

the social partners to concentrate more on clearly de-

fined pay criteria. The monitoring efforts that were un-

dertaken got the market moving.6

6 JämO. Miljongranskningen: Resultat av etapp 2 och slutrap-port (2008) (The one million inspection – the results of phase 2 and final report). Available at: http://www.jamombud.se/-docs/miljongranskningen_etapp2_nov2008.pdf (accessed 19/10/2010).

One conclusion drawn by some in the field from the

Swedish model of active measures provisions is that

detailed provisions – when possible – are necessary.

With vague provisions, the law and the monitoring seem

to function mainly as awareness raising tools. The risk

here is that the focus is put on measures that are easy

to formulate or analyze with statistics, and not neces-

sarily real change indicating greater equality. It is also

highly likely that the sanctions and incentives related to

monitoring of active measures have relied too heavily

on the good will of employers and unions, rather than

on sanctions which promote a more serious use of

active measures in working life.

Sanctions and incentives – what leads to

change?

What incentives are there for an organization to pro-

mote equal rights and opportunities? To comply with the

Discrimination Act? To achieve policy objectives?

Maybe to achieve higher profitability? Political correct-

ness? Streamlining? To meet demands in the annual

report? Or perhaps moral, democratic or social rea-

sons? Are there different motivators for the private

sector as opposed to the public sector? The reasons

that motivate an organization to promote equality will

have an effect on how the issue of equality is ap-

proached and dealt with. Our experience is that organi-

zations often say that compliance with the law or fulfil-

ment of the government‘s policy is their reason for pro-

moting equality. Within the public sector the democratic

argument is gaining ground, i.e. government authorities

are increasingly realizing that they cannot fulfil their

duty to provide public services to all citizens equally

without considering non-discrimination in all activities. In

this sense it will be interesting to follow up the policy

adopted by the County Administrative Boards men-

tioned below.

Nevertheless some are of the opinion that gender

mainstreaming is something different from mainstream-

ing of non-discrimination on all grounds, mainly due to

the fact that gender mainstreaming has its starting point

in the governmental gender policy. However, we believe

that isolating gender mainstreaming instead has to do

with ideological and/or historical reasons. These rea-

sons basically reflect the hierarchy of discrimination

grounds that has been established in Sweden – with

gender at the top. As far as we are concerned, separat-

ing the grounds in this way will not lead to substantive

equality on any of the grounds - including gender. A

focus on gender alone usually misses the fact that

Page 76: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

71 DOSSIER Positive Maßnahmen

women (and men) are the targets of discrimination

related to other factors such as ethnicity, disability and

sexual orientation, as well as the intersectionality of

these grounds.

Similarly, separating legal provisions concerning active

measures from other equality promotion measures does

not serve the ultimate goal of achieving substantive

equality. The law by itself is not necessarily effective in

promoting change. Change is dependent on the context

or the factors involved. The law needs to be considered

as one of several factors that can lead to social change

in terms of greater equality. A common problem seems

to be that many relevant actors look at legislation as

being something separate from everyday life and poli-

cies. If policy initiatives and government or-

ders/assignments within the area of human rights,

mainstreaming, etc. were directly linked with the Dis-

crimination Act and its purpose, it might become more

obvious that effective promotion of equal rights and

opportunities will lead to diversity.

The point is that in the end it does not matter what the

incentives are (legislation, policy objectives, main-

streaming) when it comes to the long term goal - equal

rights and opportunities for all. The starting points may

differ, but in the long term the processes will converge

into a focus on core issues related to equality if the

organization is serious in its efforts.

At the end of the day we have to remember that it is the

acts of individual human beings that have to be influ-

enced and stimulated - both in their role as being possi-

ble discriminators and in their position as possible tar-

gets of discrimination.

Still, linking the provisions on non-discrimination and

active measures, gender mainstreaming, mainstream-

ing on other grounds, work environment regulations,

human rights, democracy, antidiscrimination clauses in

public contracts etc. and dealing with all discrimination

grounds as part of a whole will probably push the proc-

ess towards equal rights and opportunities in a much

more effective way.

Thus far much of the focus in Sweden has been related

to specific grounds, which in turn has often promoted an

environment where discriminated groups are encour-

aged to compete with each other for the favours that

may or may not be provided by policymakers. This at

least seems to be what occurred in the relatively con-

fusing and uneven development of the laws against

discrimination in Sweden. A more comprehensive ap-

proach over the years would probably have led to

greater combined pressure from different interests

concerning compliance with the legal provisions related

to active measures.

Some related areas

Though the legal provisions on active measures might

not by themselves have led to clear improvements

concerning the promotion of equality in working life,

they could have had an effect in combination with other

measures in a larger context. According to a study on

active measures in legislation and collective bargaining

agreements carried out by Lena Svenaeus (formerly the

Equal Opportunities Ombudsman), one conclusion is

that legislation has been a useful tool for pushing the

equality process further.7

Historically, the Swedish social partners (employers and

unions) have opposed legislation on discrimination and

are of the opinion that those questions are better dealt

with within the existing system of collective bargaining.

Contrary to the opinion of the social partners, the study

shows that the most frequent clauses concerning active

measures found in collective agreements involve the

areas specified in the Discrimination Act.

Naturally, one can ask what the point of such agree-

ments is, if the issue has already been determined by

the law. The advantage is that incorporation of the

issues into an agreement can mean that the union

takes greater ownership of the issue – in other words

the union becomes more involved in monitoring compli-

ance. The union then has its own interest in the active

measures. Above all, sanctions are more tangible given

the occurrence of a breach of such an agreement. An-

other aspect is that the trade unions might generally

push the equality question more diligently if the issue is

included in their own system to a larger extent. In addi-

tion, the terms in an agreement can go further than the

minimum prescribed by law. There is a general opinion

that the social partners do not regard the anti-

discrimination laws to be a central issue within labour

law. Thus trade unions have not been very active in the

monitoring of active measures. At the same time, to the

extent that the social partners involve these issues in

the collective bargaining process, this can be seen as a

form of mainstreaming equality into the labour market.

7 Svenaeus, L.: A legal study on active measures for equal rights and opportunities in law and collective bargaining. Un-published report, in Swedish only (2008).

Page 77: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 72

As a parallel outside the labour market, gender main-

streaming in the public sector is an area in which suc-

cessive Swedish governments have invested political

capital as well as financial resources. Even though

mainstreaming has a focus on an organization‘s activi-

ties other than its role as an employer, it can be an

effective method for equality promotion on a broad

basis within the organization. Equality in the role of

carrying out of activities/delivery of services naturally

has a connection to an organization‘s role as an em-

ployer, and vice versa.

Concerning the public sector it is obvious that there has

been a substantial increase in the number of women in

middle management and higher. This is presumably the

result of a combination of various factors such as politi-

cal leadership, demographics and the law. It is also

possible that the decreased prestige of public sector

employment has played a role. At the same time, no

studies indicate that positive treatment as defined by

law has been a significant factor. The private sector in

Sweden has not been affected in the same way. One

indication here is that comparatively speaking Canada,

in the private sector, has more women in positions of

middle management and higher.

Apart from gender mainstreaming, various government

initiatives have been taken to promote ethnic diversity.

One required all government agencies to develop a

diversity plan. Another required some government

agencies to develop anti-discrimination strategies con-

cerning ethnicity, religion, disability and sexual orienta-

tion. The order concerning diversity plans was issued in

1999. This applied to all government agencies. Several

years later it turned out that many agencies had not

understood that they were required to have a diversity

plan at all. And many of those that did, were unsure

about what such plans were to cover. However, these

same agencies often referred to these plans when they

were subjected to monitoring of their compliance with

the law concerning active measures related to ethnic

and religious equality. These types of plans seldom had

any relation to the legal requirements that applied.

The ineffectiveness of the government‘s order concern-

ing ethnic diversity plans was summarized in a 2005

government inquiry entitled The Blue and Yellow Glass

House: Structural Discrimination in Sweden.8 This in-

8 Det blågula glashuset: strukturell diskriminering I Sverige (SOU 2005:56) (The Blue and Yellow Glass House: Structural Discrimination in Sweden. English summary pp. 41-60) http://www.sweden.gov.se/sb/d/108/a/46188). Also see Paul

quiry also proposed the issuance of a government regu-

lation requiring equality promotion plans in all govern-

ment agencies. These were to cover all grounds and

the scope was to include all of their functions, i.e. their

roles as employers as well as service providers, rule-

makers and public contractors. However, this proposal

was not adopted. It instead resulted in orders requiring

a number of key government agencies to develop and

implement anti-discrimination strategies covering eth-

nicity, religion or other belief, disability and sexual orien-

tation.

Although the results have thus far been unclear, an

interesting good practice currently under development

is the joint action plan to promote equal rights and op-

portunities recently adopted by all of the County Admin-

istrative Boards in Sweden. The plan includes all

grounds of discrimination specified in the Discrimination

Act, and as compared to gender mainstreaming the

plan has an integrated employer and service provider

perspective. The overall result is a plan that includes

active measures related to the role of employer as

prescribed by law as well as measures related to the

role of service provider. This is the result of the gov-

ernment‘s order, even though the order was not formu-

lated in this ―all-inclusive‖ manner.

Another related measure is the regulation requiring the

use of anti-discrimination clauses in all of the larger

public contracts for services of the 30 largest govern-

ment agencies.9 If these clauses indicate that compa-

nies risk losing their contracts if they violate the anti-

discrimination clause, it is likely that the companies will

act proactively to ensure at least minimal compliance

with the law‘s requirements concerning active meas-

ures. This may be important given the apparent failure

of many to comply with the requirements concerning

gender equality plans and other active measures men-

tioned above.

There are various questions yet to be answered. What

kinds of clauses have been included? What are the

sanctions in relation to the contracting agency if it fails

to include such clauses, includes meaningless clauses

or fails to follow-up implementation in any meaningful

manner?

Lappalainen and Marcus Lundgren: Diskriminering dröjer kvar DEL II (2007) - (Discrimination remains Part II).

9 Förordning (2006:260): om antidiskrimineringsvillkor i upphandlingskontrakt. Available at: http://62.119.73.146/templates/page_1787.aspx

Page 78: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

73 DOSSIER Positive Maßnahmen

Final comments

Discrimination has to do with the use of power in soci-

ety. It has to do with the unequal treatment of persons

due to irrelevant factors such as sex, ethnicity, religion,

disability or sexual orientation. Those who discriminate

are not necessarily aware of their own prejudices. Natu-

rally, everyone has prejudices, particularly underlying

prejudices which may have little to do with a conscious

ideology. They are nevertheless a product of their par-

ticular society‘s prejudices, history, sexism, racism, self-

image and denial. These factors form the structure in a

society and in particular influence those with power in

society. Power is the key issue related to discrimination.

Employers and landlords may have the same underly-

ing prejudices as the people that are applying for jobs

or housing, but the difference is that the former have

the power to deny or grant jobs or housing based on

their open or underlying prejudices.

It is also important to note that discrimination leads to

both unfavourable as well as favourable treatment of

men and women, the more and less abled, heterosexu-

als and homosexuals, ―immigrants‖ and ―Swedes‖.

Some people are discriminated against, some receive

positive treatment. This means that privileges are pro-

vided to persons who represent the norms in society –

quite often in terms of sex, ethnicity, religion, sexual

orientation and functional level. To change this some-

thing other is often needed than education and a reli-

ance on the good will of those with power in society.

In the introduction we talked about the need for active

measures to promote a faster breakdown of these pat-

terns. Policymakers, civil servants, employers, employ-

ees and in particular discriminated groups need to con-

sider more effectively the sanctions and incentives that

are needed to change these patterns. One basic idea is

that if discrimination costs enough, or the risks are high

enough, a potential discriminator can change his or her

behaviour. Thus, in Sweden, within the framework of

the law we need to determine if the sanctions in the law

can be strengthened so that provisions on active meas-

ures are more detailed, if active measures could be

increased to correspond to all prohibitions in the Act, or

if the Board against Discrimination can be given a more

effective role or if the Equality Ombudsman should

instead be given broader powers to issue fines as a

result of non-compliance.

We also need to understand that the private sector in

particular is affected by costs and/or potential cost risks.

Presumably a major reason that Canadian and US

companies show more concern for diversity compared

to their European counterparts, is that discrimination

and the failure to take active measures carry with them

significant cost risks. Since these risks can affect prof-

its, the interest of the leadership in companies is

stronger. Quite possibly, this makes it easier for man-

agement to understand and implement the ―business‖

case for diversity.

Sweden needs to more thoroughly examine and evalu-

ate related measures that are intended to contribute to

the promotion of equality. Those actors who are inter-

ested in actual implementation need to examine the

introduction of sanctions/incentives into mainstreaming

of various types. Equality promotion is often claimed to

be a public sector priority, yet a failure to act is seldom

sanctioned. For example, if the heads of agencies were

put on notice that their ability to counteract discrimina-

tion and promote equality will be one factor in their

salary development and/or retention of their jobs, this

will presumably lead to more effective leadership in

implementation of equality policies. Beginning at the top

in this manner would ensure that the hierarchy is put on

notice concerning the importance of equality within the

agency. All too often, responsibility for the implementa-

tion of well-meaning policies is put in the hands of mid-

level civil servants who have little or no influence unless

the head of the agency is supporting the efforts. We

need to ensure that the stairs will be cleaned from the

top.

Paul Lappalainen is the Head of Equality Promotion

with the Swedish Equality Ombudsman and was head of the government inquiry entitled The Blue and Yellow Glass House: Structural Discrimination in Sweden (SOU 2005:56). Yamam Al-Zubaidi and Paula Jons-son, also with the Ombudsman, have many years ex-

perience working with active measures.

Page 79: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 74

Carsten Keller / Ingrid Tucci / Ariane Jossin

Antidiskriminierung und Positive Maßnahmen in Frankreich

Nach der Kolonialisierung und einer langen Immigrati-

onsgeschichte sind Diskriminierungen gegenüber Mig-

rantInnen, deren Nachkommen und auch den soge-

nannten „Übersee-Franzosen― erst Ende der 1990er

Jahre nachhaltig in die öffentliche Debatte Frankreichs

gekommen. Im Jahre 1998 wurde von dem Haut Con-

seil à l’Intégration (Hoher Rat für Integration) ein Gut-

achten vorgelegt, in dem Diskriminierungen zum ersten

Mal von staatlicher Seite als eindeutige Barriere einer

erfolgreichen Integration definiert wurden. Diese öffent-

liche Anerkennung der Diskriminierung zog die formale

Notwendigkeit nach sich, eben solche Diskriminierun-

gen mit staatlichen Mitteln zu bekämpfen.

Eine Schwierigkeit Frankreichs bei der Bekämpfung von

Diskriminierungen und bei der soziokulturellen Gleich-

stellung von Personen anderer Herkunft besteht aller-

dings darin, dass es verfassungsrechtlich untersagt ist,

politische Maßnahmen einzusetzen, die Menschen

aufgrund ihrer Herkunft, Ethnizität oder Religion adres-

sieren. Durch die „citoyenneté française― werden „parti-

kulare― Gemeinschaften – auf Grundlage der Herkunft,

Religion oder sozialen Klasse – transzendiert, um so

die französische Nation zu bilden (Schnapper, 1994).

Dadurch sind auch Positive Maßnahmen, die explizit

die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund

fördern, von öffentlicher Seite nicht legitim und möglich

(Weil, 2005).

Allerdings existieren im zentralstaatlich geprägten

Frankreich doch Maßnahmen, die indirekt, insbesonde-

re durch die Fokussierung bestimmter sozialstrukturel-

ler Gruppen und städtischer Quartiere, MigrantInnen-

Gruppen privilegieren. Außerdem wird eine Politik der

Antidiskriminierung, die neben der öffentlichen Debatte

durch zwei EU-Richtlinien aus dem Jahr 2000 ange-

schoben wurde, relativ engagiert vorangetrieben.1 Im

1 Anhaltspunkte dafür, dass die Politik der Antidiskriminierung in Frankreich engagierter als in Deutschland vorangetrieben wird, liefern die Länderberichte zu Deutschland (Atzamba, 2007) und Frankreich (Thomas-Hislaire, 2008), die den Schwerpunkt auf Monitoring legen. Vgl. auch die Länderbe-richte zu den Gesetzesgrundlagen und Maßnahmen, die das European Network of Legal Experts in the Non-discrimination Field online bereitstellt unter http://www.non-discrimination.net/en/law/NationalLegislation/country-reportsEN.jsp (Zugriff am 19.10.2010). Im Unterschied zu Frankreich existieren in Deutschland sozialpolitische Maß-nahmen, die sich explizit an Personen mit Migrationshin-

Folgenden wird zunächst auf die Politik der Antidiskri-

minierung und anschließend auf Maßnahmen einge-

gangen, die sich als indirekte Positive Maßnahmen

(positive Diskriminierung) gegenüber MigrantInnen-

Gruppen interpretieren lassen. Bei diesen Maßnahmen

wird der Schwerpunkt auf die Bildungsförderungs- und

die Stadt- und Quartierspolitik gelegt.

Politik der Antidiskriminierung und Chancen-

gleichheit seit Ende der 1990er Jahre

Die öffentliche Anerkennung der Diskriminierung Ende

der 1990er Jahre hat zwar dazu geführt, dass verschie-

dene kleinere Maßnahmen implementiert wurden.2

Jedoch wurde erst 2004 im Zuge der Umsetzung der

beiden EU-Richtlinien in nationales Recht eine zentrale

Instanz der Diskriminierungsüberwachung und -

Sanktionierung geschaffen: die Haute Autorité de Lutte

contre les Discriminations et pour l'Egalité (HALDE,

Hohe Autorität zur Bekämpfung von Diskriminierungen

und für die Gleichheit) (Latraverse, 2008). Die HALDE

bekämpft Diskriminierungen aufgrund von Merkmalen

wie Herkunft, Behinderung, Alter, Geschlecht, sexueller

Orientierung, Weltanschauung oder Aussehen wesent-

lich durch die Prüfung und juristische Begleitung von

eingereichten Klagen, die mit Beweislast für die Ange-

klagten prozessiert werden.

Ein wachsendes Netzwerk an HALDE-„Verbindungs-

leuten― in Regionen, Organisationen und Unternehmen

soll für die Möglichkeit einer Klage durch Betroffene und

allgemein im Hinblick auf diskriminierende Praktiken

sensibilisieren. Im Falle einer Ahndung werden die

Akteure der Diskriminierung mit Entschädigungsleistun-

gen und Geldstrafen belegt. Beispielsweise musste im

Jahr 2008 ein Unternehmen knapp 100.000 Euro an

eine Frau an Entschädigung zahlen, da diese für eine

äquivalente Stelle weniger verdiente als ihre männli-

chen Kollegen. Der deutlich größte Anteil an Klagen

bezieht sich seit Gründung der HALDE auf den Bereich

der Beschäftigung, mit etwa der Hälfte der eingehenden

tergrund wenden und die in den letzten Jahren ausgebaut wurden.

2 Eine größere Maßnahme war eine Änderung der Verfassung im Jahre 2003, die den Übersee-Territorien die Möglichkeit gibt, ihre Bevölkerung im Hinblick auf Beschäftigung und wirtschaftliche Aktivitäten gegenüber „Metropol-Franzosen― zu bevorzugen (Calvès 2004).

Page 80: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

75 DOSSIER Positive Maßnahmen

Klagen. Es folgen mit jeweils ca. zehn Prozent die Be-

reiche öffentliche sowie private Dienste und Güter, wie

z.B. die Versorgung mit Infrastruktur oder das Mieten

eines PKWs.

Auch mit der von Jahr zu Jahr steigenden Anzahl an

Klagen, die mit wachsender Erfolgsquote prozessiert

werden, bleibt das Kriterium der Herkunft das häufigste

angezeigte Diskriminierungsmerkmal, gefolgt von Dis-

kriminierungsklagen aufgrund einer Behinderung. So

bezogen sich im Jahr 2006 von 4058 eingereichten

Klagen 35 Prozent auf das Kriterium der Herkunft und

19 Prozent auf das der Behinderung, im Jahr 2009

waren das bei 10545 Klagen respektive 29 und 19

Prozent.3

Neben dieser im Kern juristischen Bekämpfung von

Diskriminierungen, die flankiert wird durch politische

Beratung und Reformvorschläge, ist zweitens die För-

derung von Gleichheit ein Aufgabengebiet der HALDE.

Hierunter fallen nicht im engeren Sinn Positive Maß-

nahmen, sondern die Sensibilisierung der Öffentlichkeit

durch die Publikation von Berichten und Studien, die

Organisation von Fortbildungen etwa in Unternehmen

oder Schulen, sowie die Bekanntmachung von best

practices, worunter auch Positive Maßnahmen fallen.4

Im Anschluss an die Verabschiedung zweier Gesetze

für die Chancengleichheit von Behinderten im Jahr

2005 (vgl. EK, 2006) veranlasste die HALDE beispiels-

weise eine Untersuchung über die Integration von be-

hinderten Kindern in reguläre anstelle separierter

Schulklassen, um wiederum beratend auf das Geset-

zeswerk und dessen Umsetzung zurückzuwirken.5

Zu Fortbildungen zählen zum Beispiel Workshops mit

LehrerInnen zum unterschiedlichen Umgang mit Mäd-

chen und Jungen. Zur Aufdeckung von Diskriminierun-

gen an Schulen hatte die HALDE auch eine Untersu-

chung von Schulbüchern hinsichtlich der darin vorkom-

menden Stereotype initiiert.6 Ein weiteres Element der

HALDE zur Förderung der Gleichheit sind Diskriminie-

rungs-Tests. Diese prüfen Unternehmen, Organisatio-

nen oder Bildungseinrichtungen darauf hin, ob etwa bei

3 Vgl. zu den Angaben die Jahresberichte der HALDE, die online zur Verfügung stehen http://www.halde.fr/-Rapports-annuels-.html (Zugriff am 19.10.2010).

4 Siehe http://www.halde.fr/-Le-repertoire-.html (Zugriff am 19.10.2010).

5 Siehe http://www.halde.fr/Sondage-sur-la-scolarisation-des.html (Zugriff am 19.10.2010).

6 Siehe http://halde.fr/Etude-sur-les-stereotypes-dans-les,12608.html (Zugriff am 19.10.2010).

Einstellungsverfahren oder Mittelvergaben gerecht

verfahren wird.

Das am 31. März 2006 verabschiedete Gesetz für

Chancengleichheit stärkte die Kompetenzen der

HALDE, insbesondere indem es sie mit einer modera-

ten Sanktionsmacht ausstattete (Verhängung von Geld-

strafen bis zu 15.000 Euro) und die Diskriminierungs-

tests als ein stichprobenartig einsetzbares Verfahren

legalisierte.7 Das Gesetz stellt in Frankreich eine wich-

tige und aufschlussreiche Etappe beim Kampf für

Chancengleichheit dar. Es enthält mehrere antidiskrimi-

nierende und positive, zugleich aber auch sehr ambiva-

lent bewertete Maßnahmen wie z.B. der nach wochen-

langen Protesten zurückgenommene Ersteinstellungs-

vertrag (Contrat première embauche). Als besonders

innovativ erscheint die Einführung eines anonymen

Lebenslaufes bei Bewerbungen in Unternehmen ab 50

MitarbeiterInnen. Hier sollen die Angaben der Bewerbe-

rInnen zu ihrer Identität wie Name, Alter und Adresse

im Rekrutierungsprozess anonymisiert werden. Die

Umsetzung dieses Instruments stand allerdings unter

Vorbehalt und wurde schließlich vertagt. Nach einem

erneuten Anlauf ist es Ende 2009 schließlich in sieben

Departements Frankreichs von einer begrenzten Anzahl

freiwillig mitwirkender Unternehmen in eine Testphase

eingetreten, doch der Protest von Unternehmerseite

lässt eine verbindliche Umsetzung unsicher erschei-

nen.8 Mit dem Gesetz für Chancengleichheit wurde

auch eine neue Behörde geschaffen, die „Agentur für

Chancengleichheit und sozialen Zusammenhalt―

(ANCSEC), die die mit dem Gesetz verabschiedeten

und bereits bestehenden Maßnahmen koordinieren soll.

Die im Gesetz versammelten Maßnahmen zielen in

einer besonderen Weise auf Personengruppen, die u.a.

in den Unruhen im Herbst 2005 breitenwirksam auf sich

aufmerksam gemacht hatten: benachteiligte Jugendli-

che und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund.

7 Der Gesetzestext findet sich online unter http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do;jsessionid=EC56BC576B170652F8F5C1D471BAE0DA.tpdjo06v_2?cidTexte=JORFTEXT000000268539&categorieLien=id (Zugriff am 19.10.2010). Ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen des Gesetzes auf Deutsch findet sich unter: http://www.botschaft-frankreich.de/IMG/egalite_chance.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

8 Vgl. hierzu folgende Zeitungsartikel: J.A. Heyer, M. Koch, D. Kuhr (2009): „ Anonymer Lebenslauf: Name, Alter, Ge-schlecht? Nicht nötig.― sueddeutsche.de, online unter : http://www.sueddeutsche.de/karriere/anonymer-lebenslauf-name-alter-geschlecht-nicht-noetig-1.138291 (Zugriff am 19.10.2010); R. Klingsieck (2010): „Halbherziges Ja zu ano-nymen Bewerbungen.― Neues Deutschland, online unter: http://www.neues-deutschland.de/artikel/177173.halbherziges-ja-zu-anonymen-bewerbungen.html (Zugriff am 19.10.2010).

Page 81: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 76

Positive Maßnahmen

Nach Calvès (2004) ist die französische Politik im Be-

reich der Positiven Maßnahmen durch drei Eigenschaf-

ten gekennzeichnet: erstens „ignoriert― sie die Gruppen,

zweitens stellt sie eher auf Maßnahmen der Sozialpoli-

tik ab, und drittens legt sie wenig Wert auf die Regeln

des Marktes.9 Da in Frankreich eine explizite Förderung

von MigrantInnen und deren Nachkommen oder auch

von „sichtbaren Minderheiten― von der Verfassung her

ausgeschlossen ist, nutzen Positive Maßnahmen För-

derinstrumente, die indirekt auf solche Gruppen zielen.

Die beiden ersten von Calvès genannten Eigenschaften

der französischen Politik im Hinblick auf positive Dis-

kriminierung finden sich in der Bildungsförderungs- und

in der Stadt- und Quartierspolitik (Politique de la ville)

wieder. Beide Politikbereiche sind eng miteinander

verbunden.

Stadt- und Quartierspolitik

Anknüpfend an erste Programme der Renovierung

problematischer Viertel aus den 70er Jahren, geht die

eigentliche Gründung der Quartierspolitik auf die ersten

Vorstadt-Unruhen Anfang der 1980er Jahre bei Lyon

zurück (Donzelot, 2006). In Reaktion auf die Unruhen

führte die gerade an die Macht gekommene Mitterrand-

Regierung 1981 ein Programm zur sozialen Entwick-

lung von „sensiblen― Quartieren ein und definierte die

sogenannten ZEP (zones d’éducation prioritaire). Für

diese Zonen mit besonderem Bildungsbedarf gelten

neben einer erhöhten sozialen Problembelastung wie

dem Arbeitslosenanteil auch ein überdurchschnittlicher

Anteil an SchülerInnen, deren Eltern ausländische

StaatsbürgerInnen bzw. nicht frankophon sind, als

Auswahlkriterien. Die ZEP-Schulen erhalten zusätzliche

staatliche Mittel (für Personal, Ausstattung etc.) und

verfügen über eine erhöhte Autonomie. Im Jahr 2004

waren fast 1,8 Millionen SchülerInnen in sogenannten

Schulen mit besonderem Bildungsbedarf (Toulemonde,

2004). Im Zuge der Entwicklung der sozialen Quartiers-

politik wurden 1996 weitere Förderterritorien formell

definiert. Auch bei ihnen gehört neben besonderen

Problembelastungen ein überdurchschnittlicher

MigrantInnenanteil zum Definitionskriterium: die soge-

nannten "zones urbaines sensibles" (ZUS) und die

9 In ihrem Vergleich zwischen der affirmative action, wie sie in den USA betrieben wird, und den positiven Maßnahmen „à la française― weist Calvès (2004) bezüglich des letzten Punktes daraufhin, dass durch das Festlegen von Quoten in Frank-reich – zum Beispiel im öffentlichen Dienst oder in den Me-dien – das meritokratische Prinzip nicht maßgebend ist. Es geht nach Calvès mit den Quoten nicht um die Gleichheit der Chancen, sondern um die Gleichheit des Ergebnisses.

"zones franches urbaines" (ZFU). Beide Zonen erhalten

besondere Mittelzuweisungen, erstere auf direktem

Weg primär für städtebauliche und soziale Projekte, die

"zones franches urbaines" auf indirektem Weg durch

Steuer- und Abgabenerleichterungen für dort investie-

rende Unternehmen.

An diese drei territorialen Förderkategorien, die ZEP,

ZUS und ZFU, knüpft das Gesetz für Chancengleichheit

an, und lässt so indirekt MigrantInnen und deren Nach-

kommen eine besondere Unterstützung zukommen.

- Erstens werden durch das Gesetz weitere ZFU

geschaffen, die Unternehmen in stark benachtei-

ligten Quartieren von Steuern und Abgaben be-

freien.

- Zweitens sollen Unternehmen für unbefristete

Beschäftigungsverhältnisse von Steuern und Ab-

gaben befreit werden, wenn sie diese an Jugend-

liche vergeben, die in den "zones urbaines sen-

sibles" wohnen, seit mindestens sechs Monaten

Arbeit suchen und ohne Abitur sind.

- Drittens rekurriert das Gesetz auf die prioritären

Bildungszonen, indem dort Vorbereitungsklassen

für die Elitehochschulen geschaffen werden sol-

len.

- Die Förderung der Bildung ist neben der Förde-

rung der Beschäftigung auch eine der Prioritäten

des so genannten „Plan Espoir Banlieues― (Plan

Hoffnung in den Vorstädten), der im Jahr 2008

verabschiedet wurde.10

Durch eine Maßnahme

wie z.B. das „Busing― sollen Kinder und Jugendl i-

che aus benachteiligten Gebieten in Schulen bes-

serer Wohngebiete mit Bussen gefahren werden.

Das „Busing― wurde Anfang der 1970er Jahre in

Charlotte, USA, eingeführt mit dem Ziel, weiße

und schwarze Kinder zusammenzubringen.

Zugang zu Elite-Hochschulen

Es war die Elite-Hochschule (Grande école) Sciences

Po, die im Jahr 2000 unter ihrem neuen Präsidenten ein

Programm initiierte, das für großes Aufsehen und teil-

weise auch Kritik sorgte. Angesichts ihres extrem ge-

10

Vgl. zu den jüngeren Maßnahmen der Bildungsförderung im Rahmen der Stadtpolitik die Webseite http://www.ville.gouv.fr/?-Education,111000026- (Zugriff am 19.10.2010). Ein im Jahr 2007 eingeführtes, sämtliche Maßnahmen im Rahmen der Stadtpolitik bündelndes In-strument sind die „Verträge für sozialen Zusammenhalt (CUCS) (vgl. http://sig.ville.gouv.fr/page/45 (Zugriff am 19.10.2010).

Page 82: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

77 DOSSIER Positive Maßnahmen

ringen Anteils an Studierenden aus unteren sozialen

Schichten, verpflichtete sich Sciences Po, jährlich eine

bestimmte Anzahl an Studierenden aus Gymnasien „in

ZEP― aufzunehmen. Um die kulturelle Distanz und ein-

en Informationsmangel über die Möglichkeit, durch Vor-

bereitungsklassen und Aufnahmeprüfungen (concours)

an eine Grande école zu gelangen, zu vermindern, sind

Besuchs- und Austauschtage für GymnasiastInnen aus

diesen benachteiligten Quartieren Bestandteil des Pro-

gramms. Genauer besuchen Studierende der Sciences

Po die Gymnasien und führen im Rahmen ihres Studi-

ums kleinere Projekte durch, während die SchülerInnen

die Möglichkeit bekommen, an den Kursen der Elite-

Hochschule probeweise teilzunehmen. Einmal im Jahr

wird ein aufwendiges Selektionsverfahren für potentielle

KandidatInnen an den kooperierenden Gymnasien der

ZEP gestartet, das gleichwohl von den regulären Auf-

nahmeprüfungen abweicht. Der Selektionsprozess

fängt im Grunde vor dem Erreichen des Abiturs an

(Toulemonde, 2004), und die ausgewählten Kandida-

tInnen erhalten ein Stipendium und die Möglichkeit, von

einem Tutor oder einer Turorin an der Sciences Po

betreut zu werden.

Das symbolträchtige Programm hat, wie unter anderem

die regelmäßigen Studien des der Sciences Po ange-

gliederten Institutes CEVIPOF zeigen, an der sozialen

Zusammensetzung der Studierendenschaft dieser

Grande école so gut wie nichts verändert.11

Dennoch

hat es breite Debatten und auch die Kritik provoziert,

dass hier der französische Gleichheitsgrundsatz durch

eine positive Maßnahme verletzt werde. Das Kriterium

der ethnisch-kulturellen Herkunft spielt jedoch keine

explizite Rolle bei der Auswahl der StudentInnen.

Diese Maßnahme der Sciences Po ist keine Maßnahme

der affirmative action, wie sie im US-amerikanischen

Raum bekannt ist, jedoch erreicht sie indirekt und impli-

zit zwangsläufig junge Menschen, die zu den ethni-

schen Minderheiten gehören, insbesondere junge Men-

schen maghrebinischer und subsaharischer Herkunft

(Sabbagh, 2002): Etwa Zwei Drittel der jungen Men-

schen, die aufgenommen werden, haben mindestens

ein im Ausland geborenes Elternteil (Sciences Po,

2009). Die Ausstrahlungseffekte in die Politik wurden

bereits erwähnt, und es scheint, dass die "Förderung

der Eliten" innerhalb der benachteiligten sozialen Mili-

eus ein obligatorischer Bestandteil von Programmen

zur Chancengleichheit geworden ist, denn sie wurde

auch in den 2008 verabschiedeten "Plan Banlieue"

11

Vgl. die Studie von Vincent Tiberj und Cécile Riou (2002).

aufgenommen. Eine weitere Elitehochschule, die Ecole

Supérieure des Sciences Economiques et Commer-

ciales (ESSEC), hat im Jahr 2002 ebenfalls ein Pro-

gramm zur tutoriellen Begleitung von GymnasiastInnen

aus benachteiligten Quartieren gestartet. Dieses sieht

allerdings keine jährlichen Aufnahmequoten, sondern

ausschließlich ein dreijähriges Tutoriat der Gymnasias-

tInnen vor, das durch Studierende der Grande école

freiwillig durchgeführt wird. Auch die IngenieurInnen-

Elite-Hochschule Politechnique hat vor kurzem ein

Programm gestartet, das AbiturientInnen aus benach-

teiligten sozialen Milieus für die Aufnahme eines Hoch-

schulstudiums im Rahmen eines dreiwöchigen Prakti-

kums vorbereitet.

Im Dezember 2009 löste die Ankündigung der Ministe-

rin für Bildung und Forschung, Valérie Pécresse, eine

Quote von 30 Prozent an boursiers für die Grandes

écoles einzuführen, eine lebhafte Debatte aus. Bei den

boursiers handelt es sich um Studierende (und Schüle-

rInnen), die angesichts geringer Einkommen der Eltern

durch staatliche Stipendien in ihrer Bildungslaufbahn

unterstützt werden. Der Vorschlag von Pécresse stieß

bei der Conférence des Grandes Écoles (CGE), dem

Interessensverband der französischen Elitehochschu-

len, auf deutliche Ablehnung. Mit dem Argument, dass

die Einführung solcher Quoten dem Prinzip des Wett-

bewerbs (concours) widersprechen und das Niveau der

Schulen dadurch leiden würde, empfahl die CGE an-

stelle dessen den Weg einer individuellen Frühförde-

rung durch Tutoriate nach dem Modell der ESSEC. Der

Ministerin zufolge sollte es sich bei den 30 Prozent

jedoch nicht um eine Quote, sondern eine Zielvorgabe

handeln, die voraussichtlich von einem Teil der Gran-

des écoles ohnehin bald erreicht werde. So wurde

bereits das im Jahr 2008 vom Ministerium formulierte

Ziel, unter den SchülerInnen der Vorbereitungsklassen

(classes préparatoires) für die Grandes écoles einen

Anteil von 30 Prozent boursiers zu schaffen, noch im

selben Jahr durch eine Reform des Stipendienwesens

erreicht, die die Zahl der StipendiatInnen deutlich ver-

größert hatte. Entsprechend kann von einem steigen-

den Anteil von boursiers an den Grandes écoles in den

nächsten Jahren ausgegangen werden. Im Jahr 2009

betrug dieser Anteil durchschnittlich 23 Prozent, wies

zugleich jedoch eine große Spannweite zwischen den

verschiedenen Elitehochschulen auf.12

12

Vgl. zu dem Thema die Artikel in Le Monde und Figaro: http://www.lemonde.fr/societe/article/2010/01/04/les-grandes-ecoles-opposees-aux-quotas-de-boursiers_1287198_3224.html; http://www.lefigaro.fr/formation/2010/01/04/01015-

Page 83: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 78

Schluss

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich

die beschriebenen positiven Maßnahmen der Palette an

territorialen Förderkategorien aus der sozialen Stadt-

und Quartierspolitik bedienen, wobei anzumerken ist,

dass auch Beschäftigungs- und Qualifizierungspro-

gramme für benachteiligte Jugendliche und junge Er-

wachsene eine Tradition in Frankreich haben, die in

den letzten zwei Dekaden teilweise inflationär bedient

wurden (Paugam, 2000). In Frankreich wird immer

wieder darüber diskutiert, ob, wie in den USA, Positive

Maßnahmen eingeführt werden sollen, die sich speziell

an MigrantInnen, deren Nachkommen oder „Übersee-

Franzosen― richten.13

Die Mittelzuwendung an die

zones d’éducation prioritaires und an weitere städtische

Förderzonen sowie die Selbstverpflichtung der Elite-

Universität Sciences Po, jährlich eine bestimmte Anzahl

unter den besten SchülerInnen aus benachteiligten

Quartieren aufzunehmen, lassen sich wie gezeigt an-

satzweise als solche Maßnahmen begreifen. Jedoch

wird die ethnisch-kulturelle Herkunft nicht als explizites

Zuteilungskriterium verwendet, denn dies würde das

fundamentale französische Prinzip der Gleichheit vor

dem Gesetz, ohne Unterschiede aufgrund der Herkunft,

Ethnizität oder Religion, in Frage stellen. Dieses Argu-

ment wird auch angeführt, wenn es um die Frage der

ethnischen Statistik geht. Schon Mitte der 1990 Jahre

entflammte diese Debatte mit der Veröffentlichung einer

Studie von Michèle Tribalat (1995). Nachdem erst im

Jahr 2007 der französische Verfassungsrat die Un-

rechtmäßigkeit ethnischer Kategorienbildung und Sta-

tistik bekräftigt hatte, debattieren WissenschaftlerInnen,

JournalistInnen und PolitikerInnen über die Bedeutung

ethnischer Kategorien für eine bessere Evaluation und

Bekämpfung von Diskriminierungen und über deren Ge-

fahren einer Stigmatisierung und Realitätsverzerrung.

20100104ARTFIG00586-les-grandes-ecoles-refusent-les-quotas-de-boursiers-.php

13 Eine hitzige Debatte zu Positiven Maßnahmen in Frankreich gab es auch bezüglich des im Jahr 2000 verabschiedeten Gesetzes zur Parität zwischen Frauen und Männern bei po-litischen Wahlen. Das Gesetz sieht gleiche Anteile von Frauen und Männern auf den Wahllisten vor, wobei im Falle des Abweichens Sanktionen in Form von Geldstrafen ver-hängt werden. Kritiker des Gesetzes sahen den Gleich-heitsgrundsatz der Verfassung verletzt. Die 2006 gesetzlich vorgeschlagene Einführung einer Quote zum Anteil von Frauen in Aufsichtsräten von großen Unternehmen wurde vom Verfassungsrat tatsächlich abgelehnt. Jedoch ist nach mehreren Anläufen eine Verfassungsänderung zum Gleich-heitsgrundsatz durchgesetzt worden, so dass mit Beginn 2010 ein Gesetz vom Parlament verabschiedet wurde, das stufenweise eine Quote von 20 und später 40 Prozent Frau-en in Aufsichtsräten vorsieht. Allerdings muss das Gesetz vor seinem Inkrafttreten erneut die Hürde des Verfassungs-rats nehmen.

Literatur

Atzamba, Henning (2007): La lutte contre la dis-

crimination et la promotion de l‘égalité: comment

mesurer les avancées réalisées? Rapport pays Al-

lemagne, Etude conduite par BPI. Online unter:

http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=2642

&langId=fr (Zugriff am 19.10.2010).

Calvès, Gwénaële (2004): les politiques françaises

de discrimination positive: trois spécificités. Pou-

voirs n°111, S. 29-40.

Donzelot, Jaques (2006): Quand la ville se défait,

Seuil, Paris.

EK (Europäische Kommission) (2006): Gleichbe-

handlung und Antidiskriminierung. Jahresbericht

2006, Luxemburg. Online unter:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=649&lang

Id=de (Zugriff am 19.10.2010).

HALDE (2005-2009): Rapport annuel 2005-2009,

http://www.halde.fr/-Rapports-annuels-.html (Zugriff

am 19.10.2010).

Latraverse, Sophie (2008) Report on Measures to

Combat Discrimination. Country Report France.

Online unter: http://www.non-

discrimina-

tion.net/en/law/NationalLegislation/country-

reportsEN.jsp (Zugriff am 19.10.2010).

Paugam, Serge (2000): Le salarié de la précarité.

Les nouvelles formes de l‘intégration professionne l-

le, PUF, Paris.

Revue Française de Sociologie (2008): L‘usage des

catégories ethniques en sociologie, 49(1), Jan-

vier/Mars 2008.

Sabbagh, Daniel (2002): Affirmative action at Sci-

ences Po. French Politics, Culture and Society

20(3), S. 52-65.

Schnapper, Dominique (1994): La communauté des

citoyens. Sur l‘idée moderne de la nation, Galli-

mard, Paris.

Sciences Po (2009): Objectif: Egalité des chances.

Online unter: http://www.sciences-

po.fr/upload/Espace_presse/Dossiers_thematiques/

bilan_CEP.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Tiberj, Vincent, Riou, Cécile (2002): Biais sociaux

et procédure de recrutement, l‘exemple de

l‘examen d‘entrée à Sciences Po, 1ère année –

Page 84: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

79 DOSSIER Positive Maßnahmen

Septembre 2002: Conclusions d‘enquête. Online

unter: http://www.sciences-po.fr/presse/sciences-

po_infos/doc/bcycl.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Thomas-Hislaire, Dominique (2008): La lutte contre

la discrimination et la promotion de l‘égalité: com-

ment mesurer les avancées réalisées? Rapport

pays France, Etude conduite par BPI. Online unter:

http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=2641

&langId=fr (Zugriff am 19.10.2010).

Toulemonde, Bernard (2004): La discrimination

positive dan l‘éducation : des ZEP à Sciences Po.

Pouvoirs n° 111, S. 87-99.

Tribalat, Michèle (1995): Faire France. Une en-

quête sur les immigrés et leurs enfants, La Décou-

verte, Paris.

Weil, Patrick (2005): La République et sa diversité.

Immigration, intégration, discriminations, Seuil, Par-

is.

Carsten Keller ist Forscher am Centre Marc Bloch in

Berlin. Zur Zeit vertritt er die Professur für ethnische Heterogenität an der Universität Duisburg Essen. Ariane Jossin ist Postdoktorandin am Centre Marc

Bloch, Berlin. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind u.a. trans-nationale soziale Bewegungen, vergleichende Sozial-wissenschaften und Migrationssoziologie. Ingrid Tucci ist Soziologin und arbeitet in der Abteilung

des Sozioökonomischen Panels (SOEP) am DIW Ber-lin. Sie forscht zu den Themen Migration, Integration ethnischer Minderheiten, soziale Ungleichheit und Gen-der.

Page 85: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 80

Michael Werz / Julie Margetta Morgan

Affirmative Action in the United States

Diversity is the litmus test for a modern society. The

degree to which ethnic and racial differences are em-

braced and seen as strengths rather than weaknesses

discloses the democratic substance in any given coun-

try. The United States has struggled with the issues of

race and diversity since its earliest days. With the elec-

tion of Barack Obama this conflict has not come to a

close, but his unexpected electoral success is an indi-

cator that in the United States, descent is not synony-

mous with destiny any more. Such advances are impor-

tant tests for contemporary societies and their competi-

tiveness in the 21st century. The capacity to recognize

diversity as something positive and bring it to the fore-

front in education, politics, and business is a crucial

asset for modern civilizations.

Diversity is an omnipresent and contemporary issue in

the United States. Few former colonial nations have

abolished slavery within their own borders; the U.S. is

one of those few and ultimately worked to abolish le-

gally-sanctioned racial and ethnic discrimination. It is

important to remember that only fifty-three years ago

the U.S. President had to send paratroopers to a little

town in Arkansas to make sure that nine black children

were able to go to school. Seven of them attended the

inauguration of Barack Obama as 44th president of the

United States in January 2009. However, concerns

about losing ground to segregation and other racial or

ethnic injustices are very much alive today. When

Barack Obama delivered his iconic speech on race

relations, referring to the Constitution‘s call to ―form a

more perfect union,‖ his universalist pledge did not pass

unheard.

The notion that Americans ―may not look the same and

we may not have come from the same place, but we all

want to move in the same direction‖ touched upon con-

temporary experiences shared by many. Within two

months, his speech was downloaded more than 4.5

million times on YouTube, and a Gallup poll revealed

that more than 85 percent of all Americans had heard

about his speech. These historic experiences distin-

guish the United States. Although the United States

should not be seen as the ideal model, its history of

racial conflict and affirmative action can serve as a

valuable archive of political experiences.

In recent years, many member states in the European

Union have initiated intense policy debates about ―posi-

tive action measures‖, followed by significant expansion

of legislation at the European level. However, very few

practical procedures have been implemented through

national legislation so far. Where positive measures are

undertaken, it is done primarily on the basis of non-

binding equality policies, or through the mission state-

ments of individual organizations and corporations. The

most comprehensive study, a 2009 report by the Euro-

pean Commission on ―International perspectives on

positive action measures‖ (Archibong et al.) states that

legislation has been the main driver, but there are many

barriers to the successful introduction of these meas-

ures. Obstacles include limited human and financial

resources, the lack of systematic monitoring, and the

need to develop better evaluation tools. Furthermore,

Europe has no legal definition of ―positive measures,‖

resulting in inconsistent interpretations of the term

among European policymakers.

Diversity and Civil Rights - A Unique American

History

In comparison to the European experience, the debate

about equal opportunity and affirmative action began a

lot earlier in the United States and was led with great

intensity. At the height of the political protest move-

ments, the U.S. government undertook one of the most

critical steps toward acknowledging diversity by passing

the Civil Rights Act of 1964, which prohibited discrimi-

nation in public and private employment and in institu-

tions receiving federal financial aid. The judicial system

played its part, ruling on the desegregation of schools.

Although measures to thwart discrimination on the basis

of race and gender brought about fundamental changes

in American society, a more difficult conversation began

to emerge about the difference between equal rights

under the law and equality of opportunity. Men and

women who were subjected to discrimination had been

denied opportunities in both work and education that

could not be remedied simply by prohibiting segrega-

tion. In acknowledgement of the need to redistribute

opportunity to those who had been historically disad-

vantaged, affirmative action programs were instituted to

increase academic and professional opportunities for

minorities and women.

Page 86: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

81 DOSSIER Positive Maßnahmen

The common goal was the diversification of schools,

universities, federal agencies, and the institutions gov-

erned by them. The mandates were wide-reaching and

gave authority to individual departments to implement

minority hiring programs.

Although the courts played the most crucial role in pro-

tecting the rights of minorities, they were not the only

guardians of equal opportunity legislation. The execu-

tive branch, by virtue of its executive prerogative, also

actively pursued diversity policy. A legendary Executive

Order issued by President Lyndon B. Johnson in 1965

required organizations that accepted federal funds to

implement ―affirmative action‖ and thus increased em-

ployment opportunities for minorities and women. Ever

since, organizations receiving federal contracts have to

formulate a written affirmative action plan, including

goals, timetables, and progress statements for achiev-

ing the full recruitment and utilization of minorities. The

goal of diversity for government hiring is summarized in

Executive Order 11478, as issued by Republican Presi-

dent Richard Nixon in August 1969. Section 1 states:

It is the policy of the Government of the United

States to provide equal opportunity in Federal

employment for all persons (…) and to promote

the full realization of equal employment through

a continuing affirmative program in each execu-

tive department and agency. This policy of equal

opportunity applies to and must be an integral

part of every aspect of personnel policy and

practice in the employment, development, ad-

vancement, and treatment of civilian employees

of the Federal Government.

Section 2 further directs:

It is the responsibility of each department and

agency head, to the maximum extent possible,

to provide sufficient resources to administer

such a program in a positive and effective man-

ner; assure that recruitment activities reach all

sources of job candidates; utilize to the fullest

extent the present skills of each employee; pro-

vide the maximum feasible opportunity to em-

ployees to enhance their skills so they may per-

form at their highest potential and advance in

accordance with their abilities; (…) assure par-

ticipation at the local level with other employers,

schools, and public or private groups in coopera-

tive efforts to improve community conditions

which affect employability; and provide for a sys-

tem with the department or agency for periodi-

cally evaluating the effectiveness with which the

policy of this Order is being carried out.

(E.O.11478, Sections 1 and 2)

These measures, which were never voted upon by U.S.

policymakers, have dramatically impacted American

society. They have changed the face of businesses and

the federal government, but the debate about the le-

gitimacy of these practices has continued ever since.

Although affirmative action has been particularly suc-

cessful in higher education, this is also where it has

been the most controversial.

Affirmative Action in Higher Education

The movement toward affirmative action in higher edu-

cation evolved out of a desire to address effects of past

discrimination and segregation on the achievement of

minority students and to increase diversity in higher

education. The key argument was that a more diverse

student body promotes democratic values, cross-racial

tolerance and understanding, as well as the preparation

of leaders who are equipped to compete in a global

marketplace. In the wake of the global student move-

ments and the protest against the Vietnam War during

the late 1960s, colleges began instituting admissions

policies that gave preference to minority students over

other applicants. Depending upon the circumstances,

these policies ranged from an unsophisticated ―quota‖

system for racial and ethnic minorities to more nuanced

admissions policies that consider race only one among

a variety of factors identified in a more broadly defined

concept of diversity. From their inception, affirmative

action policies in higher education have been contro-

versial: Even though the ultimate goal of diversity may

be agreeable to most Americans, the methods of

achieving it generated both constitutional questions and

concerns about the consequences of race-based pref-

erences for minority students.

Constitutional challenges to affirmative action began

almost immediately, resulting in the 1978 Supreme

Court decision of Regents of University of California v.

Bakke, in which a white applicant to University of Cali-

fornia at Davis Medical School was denied admission

two years in a row. Allan Bakke sued the University,

claiming that he was rejected as a result of a policy that

reserved up to sixteen slots in each incoming class of

students to minority applicants. In a divided opinion, the

Supreme Court concluded that an admissions program

that involves a racial quota and preferences racial di-

Page 87: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 82

versity over all other admissions qualifications is a viola-

tion of the Constitution‘s Equal Protection Clause. How-

ever, the Court indicated that a more nuanced admis-

sions program aimed at increasing the educational

benefits that flow from diversity may be permissible:

―…the State has a substantial interest that legitimately

may be served by a properly devised admissions pro-

gram involving the competitive consideration of race

and ethnic origin.‖ (Bakke, 439 U.S. 265, 320 (1978).

Such a program was the subject of the 2003 case Grut-

ter v. Bollinger, in which a group of law students who

were denied admission to the University of Michigan

Law School claimed that its admission policy violated

the Equal Protection Clause. The Law School‘s admis-

sion policy considered diversity as part of an individual-

ized review of each applicant‘s qualifications; diversity

received ―substantial weight,‖ but was not limited to

solely racial or ethnic diversity. The Supreme Court

upheld this admissions policy, stating that the Law

School was pursuing a compelling interest in the educa-

tional benefits of diversity through a program that en-

sures an individual review of each applicant without

making ethnicity or race the sole determining factor of

admission or rejection.

Affirmative action policies in U.S. higher education

admissions began from a simple desire to increase

racial diversity and equality of opportunity, but the

methods used have been far from simple. One reason

for this is the constitutional barrier outlined by the Su-

preme Court‘s formalistic interpretation of the U.S.

Constitution‘s guarantee of equal protection under the

law, which resulted in limiting the public university‘s

ability to address diversity directly, by stating that race

may not be the sole deciding factor in an admissions

decision. In comparison, Canada‘s constitution includes

the same guarantee of equality, but it allows for pro-

grams that ameliorate disadvantages. As Canadian

justice Frank Iacobucci stated in Lovelace v. Ontario,

Canadian law views affirmative action as ―an expres-

sion of equality rather than an exception to it.‖

Another reason for the limited reach of affirmative ac-

tion in public higher education, evident in the ballot

initiatives in states like California and Michigan, is a

public ambivalence toward the notion of racial prefer-

ences. The public response may be due to misconcep-

tions about affirmative action that paint the policies as

vehicles to admit under-qualified minority applicants

and deny qualified Caucasian applicants. It may also be

motivated by an increasing desire to see American

society as colorblind and meritocratic, and to view the

effects of past discrimination against minorities as sim-

ply social conditions for whom no one is to blame.

Although the Supreme Court decision in the case Grut-

ter v. Bollinger opened the door for the use of race in

university admissions, it also constrained institutions‘

abilities to increase diversity. The kind of individualized,

holistic review of applicants, in which grades and test

scores are important, but ―soft‖ factors like diversity,

talent, and potential to contribute to learning are also

considered is not possible at larger institutions that

must review more than ten thousand applications each

fall. Rather than using racial or ethnic preferences in

admissions, some postsecondary institutions have

taken a broader look at programs to increase diversity,

including targeted recruitment of minority students and

partnering programs with local high schools.

Another obstacle to promoting racial diversity in higher

education has been statewide ballot initiatives or other

laws that outlaw the use of racial or ethnic preferences.

In reaction to the national debate over affirmative action

and public legal disputes like Bakke and Grutter, a

small number of states have instituted ballot initiatives

to outlaw the use of racial preferences in areas such as

public university admissions, government contracting,

and hiring public employees. California initiated this

trend in 1996 with the California Civil Rights Initiative

(Proposition 209), and states such as Michigan, Ne-

braska, and Washington followed suit over the past two

decades. Many of these initiatives can be traced to the

efforts of Ward Connerly, founder of the American Civil

Rights Institute. Connerly engages in a state-by-state

battle against racial preferences, and the result has

been a distinct drop in the number of minority students

enrolled at public universities in those states. To com-

bat the effects of these bans and anticipate further

restriction on the use of affirmative action, institutions

increasingly use socioeconomic status or other meas-

ures of educational opportunity as a proxy for race.

Whatever the reason, as affirmative action efforts in

public universities and colleges have been stymied or

limited, higher education institutions are not likely to

meet Justice O‘Connor‘s expectation expressed in

Grutter that within twenty-five years (now, eighteen

years), racial preferences will no longer be necessary to

achieve diversity. Researchers have suggested that

colleges could increase diversity and steer clear of

constitutional challenges by looking more deeply at the

roots of the lack of diversity in American higher educa-

tion. One suggestion is to look at the extent to which

Page 88: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

83 DOSSIER Positive Maßnahmen

socioeconomic status and race overlap; socioeconomic

factors could be used as a proxy for race in admissions.

Another is to consider the fact that patterns of raising

selectivity and requiring better test scores from appli-

cants has significantly hampered their ability to recruit a

diverse student body. Still, recent research suggests

that though socioeconomic factors could help increase

diversity, they simply are not a substitute for race.

Affirmative Action in the Diplomatic Service

Another interesting field is the U.S. Diplomatic Service,

run by the U.S. Department of State. Long dominated

by white men from New England, in recent years the

State Department has been run by diverse Secretaries

of State that have not shied away from making their

opinions on the issue public. Only three days after be-

ing appointed, Colin Powell said that ―America overseas

ought to look more like America at home.‖ The State

Department uses a number of strategies to comply with

this demand: active recruitment efforts include the Dip-

lomat in Residence Program, which sends employees

to minority colleges to act as employment recruiters.

These diplomats visit typically black, hispanic, asian,

and women-only universities to teach, consult with, and

advise college students on careers within the State

Department. Due to the presence of minority-oriented

universities within the United States, the possibility of

having such a program may be uniquely American;

however, it is important to note the degree to which the

Department of State is willing to reach out to a diverse

student population. In addition, the Department also

sends employees to major state colleges like the Uni-

versity of California in Los Angeles. This might be a

viable model in Europe, which would allow institutions

to target larger universities with a diverse array of stu-

dents but without a particular governmental or foreign

policy focus.

Other successful recruitment programs that target mi-

norities and are run outside traditional hiring practices

include fellowships, internships, and apprenticeships.

The Department also encourages minorities to organize

into groups, with the goal of increasing minority repre-

sentation. Proactive recruitment efforts serve as sup-

plements to the regular Foreign Service hiring process.

These efforts are backed by the Foreign Service Act of

1980 under which the State Department currently oper-

ates, and which replaced the initial Foreign Service Acts

of 1924 and 1946. The document states:

The objective of this Act is to strengthen and im-

prove the Foreign Service of the United States

by – (2) fostering the development and vigorous

implementation of policies and procedures, in-

cluding affirmative action programs, which will

facilitate and encourage (A) entry into and ad-

vancement in the Foreign Service by persons

from all segments of American Society, and (B)

equal opportunity and fair and equitable treat-

ment for all without regard to political affiliation,

race, color, religion, national origin, sex, marital

status, age, or handicapping condition. (Section

101 (b) (2))

Federal affirmative action mandates are wide-reaching

and give authority to the heads of executive institutions,

such as the Secretary of State, to pursue a broad-

based approach to minority hiring, including supplemen-

tal training and recruitment efforts. The goal to integrate

minorities in all economic and social spheres is thus

being achieved at the government level by nondiscrimi-

nation litigation, and through affirmative action pro-

grams that actively encourage minority hiring and train-

ing. Both of these principles are embraced by the De-

partment of State and the Foreign Service in their offi-

cial policies.

In addition, the Foreign Service encourages a diverse

and representative employee base as a crucial part of

its operating mission and charter. The formal prose,

however, is also backed by accountability to Congress:

The Secretary of State must submit to the chairman of

the Committee on Foreign Relations, the speaker of the

House, and the Equal Employment Opportunity Com-

mission, a report on the State Department‘s affirmative

action and minority recruitment programs, to be deliv-

ered once a year. In the past 30 years, federal agencies

have implemented numerous programs to encourage

minority hiring, often against their own institutional cul-

tures. In doing so, they have changed norms, to the

extent that it is possible for the Secretary of State to be,

as she is now, a woman, or as with the last two, African

American.

Diversity as Institutional Self Interest

Former Executive Director Mark Chichester of the Insti-

tute for International Public Policy describes that af-

firmative action is diminishing at the same time that a

culturally diverse environment is developing. He argues

that ―institutional self-interest is moving away from the

individual perspective of affirmative action and individ-

Page 89: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 84

ual opportunity,‖ and toward the development of a U.S.

policy of ―cultural competence,‖ which goes beyond

racial and ethnic diversity. It embraces a ―broader con-

ception of diversity of experience and perspective that

allows individuals to communicate and function effec-

tively across cultures‖ (IIPP, 25). The U.S. tradition of

affirmative action and its criticism have not only pro-

duced a high level of public awareness. They have also

created a fairly broad consensus that ―institutional di-

versity‖ is needed and beneficial in several ways. With a

more diverse workforce, institutions can harvest social

and cultural skills that are present in modern society in

a more systematic way, broadening their vision through

a multitude of perspectives and experiences and ready-

ing themselves for the challenges of the twenty-first

century.

But there is a more fundamental dimension as well.

Societies at large can learn from the immigrant or mi-

nority communities. Acceptance of diversity is part of

contemporary enlightened self-interest, a realization

that greater diversity touches the core interest of mod-

ern institutions: cultural competencies, language skills,

and different visions of the world. It took a long time to

get to this point, and now the United States is readying

itself for the next step: Due to demographic shifts and

continuing immigration, the country may be a ―commu-

nity of minorities‖ as soon as 2040—where no single

ethnic group can claim majority status.

Literature

Archibong, Uduak et al. (2009): International per-

spectives on positive action measures: A compara-

tive analysis in the European Union, Canada, the

United States and South Africa. Luxembourg:

European Commission. Available at:

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=423&lan-

gId=en&pubId=180&type=2&furtherPubs=yes (ac-

cessed 19 October 2010).

Chichester, Mark (2004, April): Cultural competen-

ce and diversity. Conference report of the Institute

for International Public Policy, Washington, DC.

Michael Werz is currently a Senior Fellow at the Center for American Progress (CAP). Julie Margetta Morgan

is a Policy Analyst at CAP.

Page 90: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

85 DOSSIER Positive Maßnahmen

Instrumente & Strategien

In den Rechtskommentaren zum AGG und insbesonde-

re der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

(EuGH) wird näher definiert, was unter Positiven Maß-

nahmen verstanden werden soll und unter welchen

Bedingungen sie rechtskonform und damit zulässig

sind: Positive Maßnahmen sind geeignete, angemes-

sene und verhältnismäßige Aktivitäten, die die Verhin-

derung oder den Ausgleich von Benachteiligungen der

im AGG geschützten Personen und Gruppen zum Ziel

haben. Insbesondere im Rahmen des Gender Main-

streaming ist bereits eine breite Palette rechtlich zuläs-

siger Positiver Maßnahmen eingesetzt und evaluiert

worden. Diese reichen von „weichen― Maßnahmen wie

Anwerbungs- und Informationskampagnen bis hin zu

„harten― Maßnahmen wie der Quotenregelung. Diese

Maßnahmen haben sich von Kontext zu Kontext als

unterschiedlich effektiv erwiesen und sind in der öffent-

lichen Diskussion verschieden positiv oder negativ

besetzt worden.

Positive Maßnahmen zugunsten der im AGG geschütz-

ten Gruppen können unterschiedliche Arten von Aktivi-

täten und Instrumente umfassen: Sie können zielgrup-

penorientiert sein und so z.B. die gezielte Ansprache

von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in

Stellenangeboten oder betriebliche Fördermaßnahmen

für ältere ArbeitnehmerInnen beinhalten. Sie können

zielgruppenübergreifend sein, wie z.B. Work-Life-

Balance-Programme oder umfassendes Diversity Ma-

nagement als horizontale Handlungsoption Positiver

Maßnahmen. Und sie können auf den Abbau (potenti-

ell) diskriminierender Strukturen abzielen, wie z.B. die

Überprüfung sämtlicher Richtlinien und Personalpro-

zesse in einem Antidiskriminierungs- oder Diversity-

Check. Die Beiträge in diesem Abschnitt tragen dieser

Vielfalt Positiver Maßnahmen Rechnung und diskutie-

ren unterschiedliche Instrumente, Einsatzbereiche und

Zielgruppen.

- Katrin Wladasch argumentiert, dass Positive

Maßnahmen nicht nur in der Arbeitswelt sinnvoll

und notwendig sind, wo sie bisher schwerpunkt-

mäßig eingesetzt wurden, sondern vor allem auch

zur Förderung der politischen Partizipation von

MigrantInnen und ihrer stärkeren Repräsentation in

den Medien eingesetzt werden sollten.

- Michaela Dälken beschreibt Betriebsvereinbarun-

gen als effektive Positive Maßnahme und zugleich

relevanten sozialpartnerschaftlichen Ansatz und

betont die Bedeutung von Organisations- und Per-

sonalentwicklung sowie Weiterbildung.

- Peter Döge stellt den Diversity-Check als Instru-

ment zur Planung und Durchführung von Positiven

Maßnahmen vor, mit dem Organisationen beste-

hende Benachteiligungen ermitteln, Ziele und Stra-

tegien formulieren und die erwirkten Veränderun-

gen bewerten können.

- Nevim Çil vergleicht, inwiefern in der Arbeitswelt

Quoten geeignete Positive Maßnahmen darstellen,

um zum einen die Unterrepräsentanz von Frauen

in Führungspositionen zu bekämpfen und zum an-

deren Chancengleichheit für MigrantInnen zu er-

öffnen.

- Die Frage, ob die deutliche Unterrepräsentanz von

MigrantInnen in den öffentlichen Verwaltungen mit-

tels einer Quote abgebaut werden sollte, diskutiert

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Ge-

meinde Deutschlands, und benennt eine Reihe von

Maßnahmen, deren konsequente Umsetzung eine

„harte― Maßnahme wie die Quote möglicherweise

obsolet machen könnte.

Page 91: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 86

Katrin Wladasch

Chancengleichheit für alle – Einsatzmöglichkeiten von positiven Maßnahmen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene

Dass Diskriminierung nicht mehr ganz zeitgemäß ist,

hat sich mittlerweile herumgesprochen. In den letzten

10 Jahren hat sich das Selbstverständnis vieler Wirt-

schaftstreibender, dass sie sich in Ausübung ihrer vor

allem im deutschsprachigen Raum hochgehaltenen

Privatautonomie doch wohl aussuchen könnten, wen

sie einstellen oder in ihre Lokale einlassen möchten,

durchaus geändert. Mittlerweile wird es nicht mehr nur

als Kavaliersdelikt angesehen, wenn diese Freiheit der

Auswahl mit Diskriminierung verwechselt wird.

Darüber hinaus setzt sich auch zunehmend die Er-

kenntnis durch, dass eine Suche nach den besten Köp-

fen ebenso ein Umdenken erfordert wie die zunehmen-

de Diversifizierung von KundInnengruppen. Rekrutie-

rungsverfahren werden analysiert und adaptiert, gläser-

nen Decken wird nachgespürt, verdeckten Qualifikatio-

nen wird nachgegangen, Produkte für „neue―

KundInnengruppen werden maßgeschneidert. Kurz, die

Wirtschaft versucht verstärkt, Barrieren und Benachtei-

ligungen für bestimmte Gruppen zu reduzieren, weil die

Erkenntnis durchgesickert ist, dass es gar nicht so

wenige sind, die nicht dem „Normbild― des typischen

Beschäftigten bzw. der typischen Kundin entsprechen

und dass es für den Geschäftserfolg nicht unerheblich

ist, den Blick zu weiten und diese vielen „anderen― in

der Gesellschaft verstärkt zu berücksichtigen.

Das heißt aber noch lange nicht, dass alles „gut― ist im

Sinne einer chancengleichen Beteiligung von Men-

schen mit unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeiten

an der Gesellschaft. Denn da geht es um mehr als um

den Arbeitsmarkt und um den Zugang zu Gütern und

Dienstleistungen, da geht es auch um Partizipation an

politischen Entscheidungsprozessen, um Beteiligung an

medialer Berichterstattung, und damit um Beteiligung

an der Gestaltung öffentlicher Meinung und erlebter

Wirklichkeit, um Zugang zu qualitativ hochwertiger

Bildung und zu gleichwertiger Versorgung mit Gesund-

heitsdienstleistungen und Wohnraum.

Benachteiligte bzw. gesellschaftlich marginalisierte

Gruppen sind nämlich nicht nur mit Hürden auf dem

Arbeitsmarkt konfrontiert, sie haben im Regelfall auch

weniger Möglichkeiten zur Verfügung, Politik und öffent-

liche Meinung mit zu gestalten. Dies kann daran liegen,

dass beispielsweise Menschen mit Behinderungen

Wahlzettel nicht lesen oder nicht ins Wahllokal kommen

können, MigrantInnen nicht über die deutsche Staats-

bürgerInnenschaft und damit über kein Wahlrecht in

Deutschland verfügen oder daran, dass der Zugang zu

relevanten Informationen für sozial benachteiligte oder

bildungsschwächere Gruppen schwieriger ist. Vor allem

aber stellen Minderheiten Gruppen dar, die als Nichtan-

gehörige der Mehrheitsgesellschaft weniger gehört

werden als andere.

Da sich auch und gerade auf gesamtgesellschaftlicher

Ebene wenig „von selbst― ändert, ein Verharren in ge-

wohnten Strukturen hier sogar noch mehr verankert ist

als in der durch ökonomische Interessen viel stärker

geprägten Welt der Wirtschaft, kann der Einsatz von

spezifischen Fördermaßnahmen erforderlich sein, um

einen Wandel zu starten.

Förderung politischer Partizipation

Es gibt zunehmend Initiativen etablierter politischer

Parteien, die gezielt Menschen mit Migrationshinter-

grund, aber auch Menschen mit Behinderungen anwer-

ben, um gesellschaftlicher Vielfalt zu entsprechen bzw.

potentielle WählerInnen anzusprechen. Österreich hat

in Linz eine erste schwarze Gemeinderätin, Deutsch-

land in Niedersachsen eine erste muslimische Ministe-

rin, Berlin einen schwulen Bürgermeister. Eine große

Anzahl an VertreterInnen mit Minderheitenhintergrund

ist in der Politik allerdings nicht auszumachen. Ein

großer Andrang in die Politik ist aber ebenfalls nicht

auszumachen. Fast alle Parteien haben Behinderten-,

Integrations- und/oder MinderheitensprecherInnen und

meist sind diese FunktionärInnen auch Angehörige

einer Minderheitengruppe. Dabei hört aber die Reprä-

sentanz auch schon auf, denn die Zuständigkeiten der

ernannten Personen beschränken sich im Regelfall

dann auch auf Themen der Integration, womit keines-

falls gewährleistet ist, dass Themen der Chancengleich-

heit als Mainstream in alle Politikbereiche einfließen.

Vor allem MigrantInnen sind in der politischen Land-

schaft verhältnismäßig unsichtbar, obwohl sie in allen

Gesellschaften und damit politischen Systemen eine

große Gruppe darstellen. In Österreich macht der Anteil

Page 92: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

87 DOSSIER Positive Maßnahmen

an Personen mit nicht österreichischer Herkunft fast ein

Drittel der Gesamtbevölkerung aus, was sich bei den

Abgeordneten im Nationalrat nicht widerspiegelt. Zu

einem großen Teil liegt das auch daran, dass Parteien

aus einem immer gleich bleibenden Reservoir an

Nachwuchskräften schöpfen und dass für einen Auf-

stieg in einer politischen Partei im Regelfall ein

Verhaftetsein in Netzwerken erforderlich ist.

Diesem Umstand versucht ein MentorInnenprojekt in

Österreich entgegenzuwirken. Ziel des Mentoringpro-

jektes „MIMPOL – ImmigrantInnen machen Politik― ist

es, die politische Partizipation dieser großen Gruppe zu

erhöhen, ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten zu erwei-

tern und damit auch einen wesentlichen Beitrag zu

mehr Inklusion zu leisten. MIMPOL richtet sich an Im-

migrantInnen, die Lust auf politische Mitgestaltung

haben (Mentees), PolitikerInnen mit Immigrationshin-

tergrund und PolitikerInnen, die die politische Mitbe-

stimmung von ImmigrantInnen fördern wollen (Mento-

rInnen). MIMPOL möchte damit eine Partei- und Com-

munity-übergreifende Plattform zur Förderung der poli-

tischen Partizipation von ImmigrantInnen schaffen.

Das Projekt hat in bisher zwei Durchgängen zahlreiche

MentorInnenpartnerschaften geschaffen und diesen

Prozess darüber hinaus mit gezielten Vorträgen, die

einen Überblick über die politische Landschaft in Öster-

reich schaffen sollten, unterstützt, sowie mit Ausflügen

in politische Institutionen, z.B. politische Akademien der

Parteien, Bezirksrat, Gemeinderat und Parlament, um

ImmigrantInnen näher an das politische Geschehen

heranzubringen und ebenso eine Reflexion über die

eigenen politischen Handlungskompetenzen und Spiel-

räume anzuregen.

Erwähnenswert sind auch die unterschiedlichen Model-

le zur Förderung politischer Mitbestimmung auf kom-

munaler Ebene. Sehr oft scheitern diese Beiräte oder

Ausschüsse aber daran, dass die Bedingungen der

Partizipation ebenso wie die Auswahlkriterien für Mit-

glieder dieser Gremien von MehrheitspolitikerInnen

und/oder ExpertInnen ohne Involvierung von Zielgrup-

penangehörigen erstellt werden. Die Beteiligung bleibt

gering, und die Politik reagiert mit einem Rückzug, in

der Überzeugung, ein Angebot gemacht zu haben, das

von der Zielgruppe mangels Interesses nicht wahrge-

nommen wurde.

In Wien wurde im Juni 2010 eine Partizipationskonfe-

renz veranstaltet, deren Ziel es war, unter Beteiligung

von Angehörigen migrantischer Minderheiten ein Kon-

zept für politische Partizipation zu erarbeiten. Dem

vorangegangen war das Projekt der Wiener Integrati-

onskonferenz, die als Beratungsorgan für die Wiener

Stadtregierung in Fragen der Integration fungieren

sollte und Mitentscheidungsbefugnisse bei Förderungen

hatte. Ein Streichen der Fördermittel für die Wiener

Integrationskonferenz führte zu ihrem de-facto Ende im

Jahr 2009. Auch zu Zeiten ihres aktiven Bestehens gab

es jedoch einige offene Fragen bezüglich ihrer tatsäch-

lichen Relevanz.

Entscheidende Fragen für die Qualität eines Partizipati-

onsmechanismus, der tatsächlich als positive Maßnah-

me qualifiziert werden könnte, wären:

- Wer wählt aus, wer teilnahmeberechtigt ist?

- Wer entscheidet, welche Themen zur Mitent-

scheidung vorgelegt werden?

- Beschränken sich Mitentscheidungsbefugnisse

auf so genannte „Integrationsthemen― oder wer-

den sie auf alle Politikbereiche ausgeweitet?

- Welche Relevanz haben Entscheidungen des

Partizipationsgremiums formal und real?

- Ist die Institution ein taugliches Mittel, um beste-

hende Partizipationsbarrieren abzubauen?

Mit der Partizipationskonferenz soll nunmehr ein neues

Instrument geschaffen werden, das zumindest von den

zu fördernden Gruppen selbst „designt― werden soll.

Einhundertvierzig VertreterInnen von Selbstorganisatio-

nen von MigrantInnen diskutierten unter anderem zu

Fragen des Selbstverständnisses von Partizipation,

über unterschiedliche Modelle der Partizipation

(MigrantInnenbeiräte, Integrationsausschüsse, etc.)

bzw. zur Erfolgsmessung.

Wichtig erscheint es dabei festzuhalten, dass es kein

Modell für politische Partizipation geben kann, dass auf

jeden nationalen und kommunalen Kontext anwendbar

ist, sondern dass es wohl einer Maßschneiderung unter

Einbeziehung der jeweiligen ZielgruppenvertreterInnen

bedarf, um tatsächliche Mitbestimmung zu gewährleis-

ten. Denn nur wenn die Menschen das Gefühl haben,

dass ihr Einsatz für politische Aktivitäten Sinn macht

und Veränderungspotentiale mit sich bringt, werden sie

sich aktiv beteiligen. Wenn dieses Gefühl nicht vermit-

telt werden kann, weil ein Mitbestimmungsmodell von

oben herab installiert wird, braucht es nicht zu verwun-

dern, wenn die Beteiligung zu wünschen übrig lässt.

Page 93: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 88

Mediale Partizipation

Medien gehören zu den wichtigsten AkteurInnen einer

politischen Landschaft. Die Art und Weise, wie Bericht

erstattet wird, über wen bzw. über welche Gruppen und

wer eine Stimme bekommt, hat großen Einfluss auf

gesellschaftliche Abläufe, auf das Bild unterschiedlicher

Gruppen in der Gesellschaft. Es macht einen Unter-

schied in der kollektiven Wahrnehmung, wenn in Krimi-

nalfällen mit Zusätzen wie „gebürtiger…― operiert wird,

und welche Statistiken wie verwendet werden, um Mig-

rantInnen entweder als SozialschmarotzerInnen oder

als wesentliches Element der Beitrags- und Steuerzah-

lerInnengemeinschaft erscheinen zu lassen. Medien

schaffen Realitäten und haben diesbezüglich große

Gestaltungsmacht. Und auch in den Medien ist der

Anteil von MigrantInnen relativ gering, das liegt an

mangelnden Seilschaften, an (vermuteten) Sprachdefi-

ziten, an engen Erwartungshaltungen bezüglich der

erforderlichen Ausbildungshintergründe etc. liegt.

Für autochthone, als Minderheiten anerkannte Volks-

gruppen gibt es in Österreich das gesetzlich anerkannte

Recht auf Partizipation und Medienberichterstattung. In

der Realität sind diese Rechte allerdings nicht so um-

gesetzt, dass eine sichtbare Repräsentation in der

öffentlichen Wahrnehmung verwirklicht wäre. Andere

Minderheiten haben nicht einmal diese gesetzliche

Basis zur Verfügung. Eine Förderung von Partizipation

und Repräsentation ist aber ein wesentliches Instru-

ment, um die Marginalisierung und Stereotypisierung

unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen erfolgreich

zu bekämpfen.

In Ungarn wurde ausgehend davon, dass Roma in den

ungarischen Mainstreammedien lediglich Gegenstand

negativer Berichterstattung waren und überhaupt keine

Angehörigen der Minderheit der Roma beim öffentli-

chen ungarischen Fernsehen beschäftigt waren, eine

Initiative gestartet, die es fünf jungen Roma und

Romnia ermöglicht, Praktika im öffentlich-rechtlichen

Fernsehen zu absolvieren. Ziel der Initiative ist es, dass

JournalistInnen mit Roma-Hintergrund Eingang in die

Mainstreamberichterstattung erhalten und dazu beitra-

gen können, den Blickwinkel der ungarischen Gesell-

schaft auf ihre Volksgruppe zu verändern. Entschei-

dend dabei ist, dass im Zuge des Praktikums alle Abtei-

lungen durchlaufen werden und die PraktikantInnen

explizit weder auf Minderheitenprogramme festgelegt

noch zur Konzipierung solcher herangezogen werden.

Eine österreichische Initiative versucht, JournalistInnen

mit Migrationshintergrund den Weg in die österreichi-

sche Medienlandschaft zu erleichtern. In Kooperation

mit einer Tageszeitung versucht M-Media, Redakteu-

rInnen aus den migrantischen Communities in Öster-

reich aktiv anzusprechen und zu einer redaktionellen

Tätigkeit in einem Mainstream-Medium mit großer

Reichweite zu motivieren. Auch in diesem Fall besteht

ein wichtiges Element der Initiative darin, dass die Be-

richterstattung nicht auf Themen der Migration und

Integration beschränkt ist, sondern dass die Artikel über

alle Themenbereiche verstreut sind.

Auch hier scheint es also zu den Erfolgsfaktoren zu

gehören, basierend auf der Erkenntnis eines Beteili-

gungsdefizits an der öffentlichen Meinungsbildung

aktive Maßnahmen zu setzen, die mit Angehörigen der

Zielgruppen erarbeitet werden und die sich nicht auf

Bereiche beschränken, die von der Mehrheitsgesell-

schaft als relevant für die Zielgruppen empfunden wer-

den.

Legitimität Positiver Maßnahmen

Bei allem guten Willen, der den beschriebenen Maß-

nahmen zu Grunde liegt: Ist es eigentlich legitim, aus-

gewählten Gruppen ganz besonderes Gehör zu schen-

ken im Rahmen der politischen Willensbildung, bzw.

aktiv dafür Sorge zu tragen, dass ihr Zugang zu Medien

gewährleistet ist? Ist das fair anderen gegenüber, die

darauf beschränkt sind, sich darauf zu verlassen, dass

ihre gewählten VolksvertreterInnen in ihrem Sinne Poli-

tik machen? Auch beim Einsatz von Positiven Maß-

nahmen auf gesellschaftlicher Ebene sollten Fragen der

Tauglichkeit bzw. Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht

außer Acht gelassen werden, um legitimiert werden zu

können. Rein rechtlich ist der Einsatz von Fördermaß-

nahmen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene unproble-

matisch. Die EU-rechtlichen Vorgaben machen zwar

klar, dass Diskriminierungen generell unerwünscht und

auf Ebene der Mitgliedstaaten zu bekämpfen sind, aber

ein ausdrückliches Verbot für die erwähnten Bereiche

enthalten sie nicht, daher bedarf es auch keiner Prü-

fung, ob bevorzugende Behandlungen den Kriterien

einer Ausnahmeregelung entsprechen. Dennoch sollten

die Vorgaben einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Ein-

gang in eine Maßnahmenentwicklung finden, um der

Gefahr zu entgehen, als ungerechtfertigte Sonderbe-

handlung eingestuft und von der Mehrheitsbevölkerung

abgelehnt zu werden.

Page 94: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

89 DOSSIER Positive Maßnahmen

Dafür sind folgende Fragen relevant:

- Liegt eine de-facto Ungleichheit vor?

- Wurden klare Ziele festgelegt und entsprechen

diese den Kriterien für Positive Maßnahmen (Be-

seitigung von Benachteiligungen und/oder Ge-

währleistung von Chancengleichheit)

- Ist/sind die Maßnahme/n verhältnismäßig (taug-

lich, angemessen und notwendig) für die Zieler-

reichung?

- Sind die Einsatzkriterien objektiv nachvollziehbar

und transparent?

Wichtig ist daher festzuhalten, dass es bei Positiven

Maßnahmen, in welchem Bereich auch immer, nie

darum gehen sollte, Extrawürste für bestimmte, als

marginalisiert abgestempelte Gruppen zu kreieren,

sondern darum, bestehende Barrieren, seien sie durch

strukturelle Chancenungleichheiten oder durch Denk-

muster in den Köpfen verankert, abzubauen, sie zu

umschiffen und den Zielgruppen damit ähnliche Start-

positionen wie Nichtmarginalisierten zu ermöglichen.

Was die Einzelnen dann daraus machen, muss ihre

Sache bleiben.

Literatur

Wladasch, Katrin, Liegl, Barbara (2009): Positive

Maßnahmen. Ein Handbuch zur praxistauglichen

Umsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von

strukturellen Diskriminierungen und zur Herstellung

von mehr Chancengleichheit. Wien: Ludwig Boltz-

mann Institut für Menschenrechte. Online unter:

http://bim.lbg.ac.at/files/sites/bim/PositiveMassnah

menDownload.pdf (Zugriff am 19.10.2010).

Katrin Wladasch ist Juristin, Politologin und Men-

schenrechtsexpertin mit den Schwerpunkten Anti-Diskriminierung, Diversity und Chancengleichheitspoli-tik. Sie ist Mitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte sowie Lektorin an der Uni Wien.

Page 95: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 90

Michaela Dälken

Betriebsvereinbarungen als Positive Maßnahmen zur Gleichstellung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Arbeitswelt

„Positive Maßnahmen zur Gleichstellung von Menschen

mit Migrationshintergrund in der Arbeitswelt―. Oder kurz:

PMzGvMmMidAw. Verständlicher wird der Titel durch

das moderne Abkürzen nicht gerade, dafür klingt er

nach Unterhaltung. Vielleicht können wir ja in Kürze

beobachten, wie unter dem Motto „Best-Integrated

Migrant― ein/e vorbildlich integrierte/r MigrantIn im Fern-

sehen gesucht wird. Wobei die Wahrscheinlichkeit, auf

zahlreiche BewerberInnen zu stoßen, nicht gering sein

dürfte. Nicht, weil Preise und Ruhm winken, sondern

weil sich tatsächlich viele Menschen mit Migrationshin-

tergrund in Deutschland gut integriert fühlen1:

Im internationalen Vergleich ist ‚die Integration‗

in Deutschland keineswegs ‚gescheitert‗. Sie ist

vielmehr in vielen empirisch fassbaren Berei-

chen durchaus zufriedenstellend oder sogar gut

gelungen. Zudem stehen beide Seiten der Ein-

wanderungsgesellschaft den Anforderungen von

Zuwanderung und Integration pragmatisch ge-

genüber (SVR Einwanderungsgesellschaft 2010,

S. 17).

Die Arbeitswelt ist danach „zentrale Integrationsschiene

und Grundlage für ein selbst bestimmtes Leben― (Ebd,

S. 18). Doch es geht nicht allein um existenzielle Absi-

cherung, die mit vergüteter Arbeit geschaffen wird. Die

Arbeitswelt bietet eine Vielzahl an sozialen Kontakten:

intern mit KollegInnen, Vorgesetzten und MitarbeiterIn-

nen, aber auch extern: KundInnen, AuftraggeberInnen,

oder LieferantInnen. Zudem schafft die Tätigkeit im

Idealfall sowohl Zufriedenheit als auch einen Beitrag zur

Gesellschaft.

Allerdings ist diese Integrationswirkung der Arbeitswelt

kein Alleinläufer, und sie bedeutet im Umkehrschluss

nicht, dass uneingeschränkte Chancengleichheit2

1 Integration ist Aufgabe sowohl der aufnehmenden Gesell-schaft als auch der zuwandernden Personen. Wenn also hier etwas polemisch von „best integrated migrant― gesprochen wird, soll dies auch als Kritik an einer Auffassung von Integra-tion verstanden werden, die lediglich Defizite und Aufgaben bei Menschen mit Migrationshintergrund sieht und die Rolle der Mehrheitsgesellschaft außer Acht lässt.

2 Chancengleichheit soll hier einen Idealzustand darstellen, in dem Menschen mit Migrationshintergrund die gleichen Mög-lichkeiten und Chancen offen stehen wie Menschen ohne diesen Hintergrund. Es gibt dann keine Ungleichheiten (etwa

herrscht. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie strukturelle

und individuelle Diskriminierungen Chancengleichheit

verhindern. Die International Labour Organization (ILO)

stellte fest, dass junge BewerberInnen mit Migrations-

hintergrund sich fünf Mal so oft bewerben müssen bis

sie erfolgreich sind, wie Menschen ohne Migrationshin-

tergrund (vgl. ILO 2010). Zu einem ähnlichen Schluss

kam eine vor kurzem veröffentlichte Studie, nach der

Menschen mit ausländisch klingendem Namen bei

Bewerbungen benachteiligt werden (Kaas/Manger,

2010).

In vielen Betrieben werden Positive Maßnahmen3 ent-

wickelt, um diesen Ungleichbehandlungen entgegen zu

wirken. Einige Unternehmen erarbeiten Diversity-Kon-

zepte4, in anderen werden Einzelmaßnahmen wie inter-

kulturelle Trainings oder Informationsveranstaltungen

durchgeführt. Eine weitere Möglichkeit ist die Entwick-

lung einer Betriebsvereinbarung für Chancengleichheit,

die im Folgenden näher beschrieben werden soll.

Betriebsvereinbarung als Positive Maßnahme

Betriebsvereinbarungen sind verbindliche Verträge

zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnenver-

tretung, in denen Rechte und Pflichten festgelegt wer-

den. Diese richten sich jeweils an die ArbeitgeberInnen

sowie die gesamten Belegschaften. Sie sind also kei-

neswegs eine reine Willensbekundung, sondern legen

für ArbeitgeberIn und Arbeitnehmende verbindliche

Regeln und Wege fest. Das Unternehmen ist verpflich-

tet, bei Verstößen gegen die vereinbarten Grundsätze

vorzugehen, gleichzeitig ist die Belegschaft an die Vor-

durch rechtliche Einschränkungen oder persönliche Un-gleichbehandlungen). Um Chancengleichheit zu erreichen, müssen Benachteiligungen durch Positive Maßnahmen aus-geglichen werden.

3 Unter Positiven Maßnahmen werden hier Aktivitäten verstan-den, die Diskriminierung verhindern oder reduzieren und langfristig Chancengleichheit herbeiführen sollen.

4 Das aus den USA stammende Diversity-Management-Kon-zept wurde hier in Deutschland zunächst in erster Linie als ein ArbeitgeberInnen-Konzept aufgenommen und entwickelt sich langsam in Richtung eines sozialpartnerschaftlich ange-legten Managing-Diversity-Ansatzes, was zu begrüßen ist. (Siehe hierzu http://migration-boell.de/web/diversity/48_23-99.asp) Denn nur wenn Belegschaft und ArbeitgeberInnen gemeinsam Diversity ernst nehmen und zusammen Schritte erarbeiten, ist eine Änderung der Situation zu erwarten.

Page 96: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

91 DOSSIER Positive Maßnahmen

gaben gebunden. Eine Betriebsvereinbarung dient der

Konkretisierung von bestehenden Tarifverträgen und

gesetzlichen Regelungen. Sie kann aber auch, wenn

dort Aspekte nicht geregelt sind, schöpferisch genutzt

werden. Betroffene können sich auf die Vereinbarung

berufen und Unterstützung einfordern. Damit gehen Be-

triebsvereinbarungen sehr viel weiter als beispielsweise

die Charta der Vielfalt oder die Formulierung von Di-

versity-Grundsätzen für ein Unternehmen. Sie könnten

aber auch konkretisierendes Ergebnis von diesen sein.

Betriebs- und Dienstvereinbarungen zur Chancen-

gleichheit stehen in der Tradition eines auf Gleichbe-

rechtigung beruhenden Ansatzes. Bereits 1955, bei der

ersten Anwerbung von Arbeitnehmenden aus dem

Ausland, verständigten sich ArbeitgeberInnen- und

ArbeitnehmerInnenvertretungen darauf, die arbeits- und

sozialrechtliche Gleichstellung deutscher und ausländi-

scher Beschäftigter festzulegen. Im Jahre 1972 wurde

das aktive und passive Wahlrecht für Beschäftigte mit

ausländischer Staatsangehörigkeit im Betriebsverfas-

sungsgesetz festgeschrieben und 1974 im Personal-

vertretungsgesetzes.

Im aktuellen Betriebsverfassungsgesetz sind die Auf-

gaben des Betriebsrates in diesem Zusammenhang

sehr deutlich formuliert:

§ 75 Grundsätze für die Behandlung der Be-

triebsangehörigen

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber

zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Perso-

nen nach den Grundsätzen von Recht und Bil-

ligkeit behandelt werden, insbesondere, dass je-

de unterschiedliche Behandlung von Personen

wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität,

Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen

Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres

Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unter-

bleibt. Sie haben darauf zu achten, dass Arbeit-

nehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter

Altersstufen benachteiligt werden. (….)

§ 80: Der Betriebsrat hat folgende allgemeine

Aufgaben:

(…) die Integration ausländischer Arbeitnehmer

im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen

und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern

sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Ras-

sismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu

beantragen.

Im eigenen Einflussbereich vorgehen

Als Ausgangspunkt für viele Betriebs- und Dienstver-

einbarungen dient die sogenannte Florenzer Erklärung

zwischen europäischen ArbeitgeberInnen- und Arbeit-

nehmerInnenverbänden. Der Europäische Gewerk-

schaftsbund (EGB), der Europäische Industrie- und

ArbeitgeberInnenverband (UNIC) und das Europäische

Zentrum von Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung

(CEEP) legten in der „Gemeinsamen Erklärung über die

Verhütung von Rassendiskriminierung und Fremden-

feindlichkeit sowie Förderung von Gleichbehandlung

am Arbeitsplatz―5 fest:

Die Sozialpartner erkennen sowohl die Komple-

xität des Phänomens als auch die Tragweite

seiner Auswirkungen an. Mit der Annahme die-

ser Erklärung unterstreichen sie offen, klar und

öffentlich, dass sie sich verpflichten, eine aktive

Rolle bei den vereinten Bemühungen um Verhü-

tung der Rassendiskriminierung6 zu überneh-

men und in ihrem eigenen Einflussbereich, näm-

lich dem Arbeitsplatz, gemeinsam dagegen vor-

zugehen.

Diese Erklärung bildet bis heute eine Grundlage der

sozialpartnerschaftlichen Migrationspolitik.

Seit Anfang der 1990er Jahre wurden Betriebsvereinba-

rungen für partnerschaftliches Verhalten und gegen

Diskriminierung geschaffen. Hintergrund waren unter

anderem rechtsextreme Angriffe gegen die Wohnbevöl-

kerung in Deutschland. Mölln, Solingen und Rostock

sind bis heute Schlagworte der damaligen rassisti-

schen Anfeindungen und Attacken in der Bevölkerung.

5 Verabschiedet vom Gipfel des Sozialen Dialogs (UNICE, EGB; CEEP) am 21. Oktober 1995 in Florenz. Zitiert nach: Module für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung (Schriftenreihe Migration und Arbeitswelt, Nr. 60), hg.v. DGB Bildungswerk, Düsseldorf 2008.

6 Verstanden wird „Rassendiskriminierung― in der Erklärung als „jede Andersbehandlung, Ausgrenzung, Benachteiligung oder Bevorzugung wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Rasse, Religion, ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit oder Hautfarbe eines Menschen mit der Folge, dass die Gleichbehandlung bei der Einstellung oder bei der Arbeit zunichte gemacht oder beeinträchtigt wird. Dazu gehört die unmittelbare Diskriminierung, d. h. die Benachteiligung eines Menschen wegen seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Rasse, Religion, ethnischen oder nationalen Herkunft oder Hautfarbe. Dazu gehört aber auch die mittelbare Diskriminie-rung, das sind unberechtigte Praktiken, die zwar für alle gel-ten, sich aber auf diese Personen besonders negativ auswir-ken.― Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang, dass von „tatsächlicher oder vermeintlicher Rasse gesprochen wird. Hier sollte klargestellt werden, dass es um Diskriminierungen aufgrund zugeschriebener „Rasse― geht und nicht der Begriff der ‚Rasse‗ festgeschrieben werden. Vgl. zur Verwendung des Begriffs ‚Rasse‗ und Alternativen: Hendrik Cremer (2010)

Page 97: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 92

Daneben existierten innerbetriebliche Überlegungen:

Ein Kleinbetrieb in Frankfurt/Oder beispielsweise hatte

bei der Entwicklung seiner Vereinbarung die Verhinde-

rung von Belästigung der polnischen KundInnenschaft

im Blick, für einen Stahlbetrieb in Eisenhüttenstadt war

die Wirkung rechtsextremer Handlungen von Beschäf-

tigten außerhalb des Betriebes auf das Betriebsklima

ausschlaggebend, und ein Großklinikum sah seine

multikulturelle KundInnenschaft im Mittelpunkt.

So weit gestreut wie die Gründe sind auch die Inhalte,

die in den Vereinbarungen beschrieben werden. Wäh-

rend einige Vereinbarungen von einem Antidiskriminie-

rungsansatz ausgehen, formulieren andere die Förde-

rung des „partnerschaftlichen Verhaltens― als Ziel. So

heißt es in der Vereinbarung der Fraport AG:

Vor dem Hintergrund der Zunahme fremden-

feindlicher und rechtsextremistischer Gewalt in

der Bundesrepublik und der Notwendigkeit, die-

se zu bekämpfen, sind alle gesellschaftlichen

Gruppen gefordert, Beiträge zu leisten für ein

demokratisches, an den Grundsätzen von Hu-

manität und Menschenwürde orientiertes Mitei-

nander, um so einem Klima von Hass und Ge-

walt bereits im Ansatz zu begegnen. Zwischen

den vertragschließenden Parteien besteht daher

Einvernehmen, auch innerbetrieblich Initiativen

zu ergreifen, um diesen Zielen näher zu kom-

men, Diskriminierungen jeglicher Art zu verhin-

dern und ein partnerschaftliches Klima am Ar-

beitsplatz zu fördern bzw. aufrecht zu erhalten.7

Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg

In einigen Betriebsvereinbarungen wird aufgeführt, dass

partnerschaftliches Verhalten zum Unternehmensziel

beiträgt. So führt die Betriebsvereinbarung der

Volkswagen AG aus: „Eine Unternehmenskultur, die

sich durch ein partnerschaftliches Verhalten am Ar-

beitsplatz auszeichnet, bildet die Basis für ein positives

innerbetriebliches Arbeitsklima und ist damit eine wich-

tige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg eines

Unternehmens.―8

Viele Vereinbarungen schreiben ein Beschwerdemana-

gement bei konkreten Diskriminierungserfahrungen vor.

So werden in der Vereinbarung des Universitätsklini-

7 http://www.migration-online.de/practice._aWQ9ODM_.html

8 http://www.migration-online.de/practice._aWQ9OTY_.html.

kum Ulm Zuständigkeiten und AnsprechpartnerInnen

benannt und einzuhaltende Wege festgelegt:

Die verantwortlichen Stellen haben die Aufgabe,

die Betroffenen unverzüglich, spätestens inner-

halb einer Woche nach Kenntnis des Vorfalls, in

einem vertraulichen Gespräch zu beraten und zu

klären, ob sich der Verdacht (…) bestätigt. Hier-

zu ist in getrennten oder gemeinsamen Gesprä-

chen mit den aktiv und passiv Beteiligten der

Sachverhalt so weitgehend wie möglich aufzu-

klären.9

Dazu haben einige Betriebe Beschwerdestellen einge-

richtet. Die Arbeit in einer dieser Beschwerdestellen

beschreibt ein Vertreter des Betriebsrates und gleich-

zeitiges Mitglied der betrieblichen Beratungsstelle bei

der Ford AG wie folgt:

Wir sitzen nicht als Gremium zusammen, son-

dern die Mitglieder der Beratungsstelle stehen

zunächst als Einzelpersonen und individuelle

Ansprechpartner beratend zur Seite. Kommt die

gewählte Vertrauensperson zu keinem erfolgrei-

chen Ergebnis, werden im Gremium ‚Beratungs-

stelle‗ gemeinsam nächste Schritte erwogen:

Soll die Geschäftsleitung offiziell informiert wer-

den, um disziplinarische Maßnahmen einzulei-

ten? Aber dazu ist es bis jetzt noch nicht ge-

kommen. Bisher konnte jedes einzelne Mitglied

immer eine Regelung finden.

(zitiert nach Kecskes/Dälken/Monz 2006, S. 29)

Bei direkten Benachteiligungen oder rassistischen An-

griffen handelt es sich um eher offensichtliche Formen

der Diskriminierung. Sehr viel schwerer zu erkennen

und zu bekämpfen sind dagegen indirekte und auch

strukturelle Diskriminierungen. Ihnen wird in Betriebs-

und Dienstvereinbarungen durch Positive Maßnahmen

Rechnung getragen. Grundlage aller Positiven Maß-

nahmen für Chancengleichheit sollte eine Datenerhe-

bung sein, mit der Ungleichbehandlungen offen gelegt

werden können. Dazu gehören beispielsweise Über-

sichten, wie viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Mig-

rationshintergrund haben und in welchen Positionen sie

tätig sind. Auch Daten zur Weiterbildungsbeteiligung

sind hilfreich. Nur so kann festgestellt werden, ob Kol-

legInnen die gleichen Chancen haben, und anschlie-

ßend ermittelt werden, welche Gegenmaßnahmen er-

griffen werden sollten. In vielen Betriebsvereinbarungen

9 http://www.migration-online.de/practice._aWQ9MTc1_.html

Page 98: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

93 DOSSIER Positive Maßnahmen

wird daher ein Monitoring festgeschrieben, bei dem die

Ausgangssituation und laufende Kontrolle eingeschlos-

sen sind. Oftmals wird zudem vereinbart, diese Analyse

der Belegschaft bekannt zu machen: „Die Analyse von

Ist-Situation, Verbesserungsvorschlägen und Ergebnis-

sen von Maßnahmen zur Chancengleichheit werden

(sic.) der Belegschaft bekannt gegeben (z.B. in Be-

triebsversammlungen und Veröffentlichungen des Un-

ternehmens)― (Akin, Dälken, Monz 2004, S. 46).

Organisations- und Personalentwicklung

nutzen

Ansatzpunkte für positive Aktivitäten bieten Organisati-

ons- und Personalentwicklung inklusive Fort- und

Weiterbildungsstrategien. Zur Organisationsentwick-

lung10

gehören beispielsweise Überlegungen, welche

Auswirkungen die Einführung von neuen Produktions-

systemen auf die Belegschaft und insbesondere auf

Menschen mit Migrationshintergrund haben könnte.11

Beispielhaft kann dies etwa bei Aktivitäten des Betriebs-

rates in einer großen Werft in Kiel gesehen werden.

Dort wurde ein neues Qualitätsmanagementsystem

eingeführt, in dessen Folge von Schweißern im Unter-

seebereich schriftliche Prüfungen ihrer Kenntnisse

verlangt wurden, da hier besonders hohe Anforderun-

gen an die Produkte gestellt werden. Schweißnähte

müssen beispielsweise mit einer besonderen Technik

angelegt werden, damit sie den unter Wasser herr-

schenden Druckverhältnissen standhalten, was beson-

dere Geschicklichkeit und Kenntnisse erfordert.

Deswegen zählt der Unterseebereich zu den bevorzug-

ten Arbeitsbereichen, denn die Bezahlung spiegelt die

an die Beschäftigten gestellten Anforderungen wieder.

Viele der in diesem Bereich Beschäftigten waren aus

der Türkei eingewandert und erlernten im Betrieb die

notwendigen Kenntnisse. Die nun geforderte schriftliche

Prüfung stellte sie jedoch vor ein fast unüberwindbares

Hindernis, da sie nicht über die entsprechende Fach-

sprache verfügten. Der Betriebsrat konnte hier berufs-

bezogene Deutschkurse anregen, die es den Beschäf-

tigten ermöglichten, die geänderten Anforderungen zu

erfüllen.12

Im Rahmen der Personalentwicklung können Aus-

schreibungen und Einstellungskriterien in den Blick

10

Dazu beispielsweise IQ Consult 2009.

11 Dazu beispielsweise die von der IG Metall herausgegebene Zeitschrift IG Migration, Ausgabe Juli 2010.

12 Siehe die von der IG Metall herausgegebene Zeitschrift IG Migration, Ausgabe November 2009, S. 9-11.

genommen werden. „Wer sich in der beruflichen Welt

bestätigt fühlt, will auch seine Umwelt mitgestalten.

Arbeitswelt ist der zentrale Punkt für Integration, und

Arbeitswelt fängt mit einer erfolgreichen Ausbildung an―,

so Francescantonio Garippo, Betriebsrat bei der

Volkswagen AG (IG Migration, 13, Juli 2010). In der

Regel fällt Jugendlichen mit Migrationshintergrund der

Berufseinstieg jedoch besonders schwer. Im Berufsbil-

dungsbericht 2010 des Bundesministeriums für Bildung

und Forschung heißt es dazu (S. 39):

Im Jahr 2008 lag die Ausbildungsbeteiligungs-

quote junger Ausländer mit 32,2 Prozent deutlich

unter der der deutschen jungen Menschen mit

68,2 Prozent. Dies ist jedoch nicht auf mangeln-

des Interesse der Jugendlichen zurückzuführen.

Nach den Ergebnissen der BIBB-

Übergangsstudie haben Jugendliche mit Migra-

tionshintergrund nach der allgemeinbildenden

Schulzeit ein ebenso hohes Interesse an einer

Berufsausbildung wie deutsche Jugendliche.

Liegt keine Studienberechtigung vor, sind ihre

Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten,

jedoch wesentlich geringer. Insgesamt gestalten

sich die Übergangsprozesse in Ausbildung für

Jugendliche mit Migrationshintergrund schwieri-

ger und langwieriger. Überdurchschnittlich häu-

fig bleiben Jugendliche ausländischer Herkunft

ohne Berufsabschluss.

Feste Quoten würden dagegen zu kurz greifen, da die

Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund in

ihrer Zusammensetzung zu unterschiedlich ist, ob nun

im Hinblick auf Diskriminierungserfahrungen, Ausbil-

dungen oder rechtlichen Status, um nur einiges aufzu-

führen.13

Sinn machen hier eher positive Aufforderun-

gen, wie sie beispielsweise bei der Polizei in Nordrhein-

Westfalen genutzt werden. Hier werden in den Aus-

schreibungen insbesondere Menschen mit Migrations-

hintergrund zur Bewerbung aufgefordert. Hilfreich sind

auch Sensibilisierungstrainings für Personalverantwort-

liche und anonymisierte Bewerbungen.

13

Seit der Anwerbung hat sich die Zuwanderung stark verän-dert. In den 1970er Jahren kam die Mehrzahl der Zuwan-dernden aus fünf Herkunftsländern, heute verteilen sich 75 Prozent der ZuwandererInnen auf 80 Herkunftsgruppen. Dazu kommen unterschiedliche Generationen von Zuwan-dernden, verschiedene Auswanderungsgründe und rechtli-che Unterschiede, die bei AsylbewerberInnen beispielswei-se den Zugang zum Arbeitsmarkt einschränken, sowie un-terschiedliche Migrationsbiographien und -pfade usw.

Page 99: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 94

Schlüsselposition Weiterbildung

Weiterbildung nimmt eine immer stärkere Schlüsselpo-

sition zur langfristigen Beschäftigungssicherung ein.

Durch den Strukturwandel sinkt der Bedarf an an- und

ungelernten Kräften in Zukunft vermutlich weiter, wäh-

rend qualifizierte Kräfte nachgefragt werden. Dies wird

sich insbesondere auf die Beschäftigungsmöglichkeiten

von Menschen mit Migrationshintergrund auswirken, da

sie insgesamt gesehen über eine schwächere Qualifika-

tionsstruktur verfügen.14

Auf der anderen Seite werden

sich Betriebe in Kürze aufgrund des demographischen

Wandels einem starken FacharbeiterInnenmangel ge-

genübersehen. Dennoch sinkt die Zahl der betrieblichen

Weiterbildungen,15

denn Weiterbildung wird als indivi-

duelle Aufgabe der MitarbeiterInnen gesehen, und es

fehlen oftmals systematische und vorausschauende

Qualifizierungsstrategien in den Betrieben.

Weiterbildungen können in eine Betriebsvereinbarung

für Chancengleichheit eingebunden werden. Allerdings

scheint es sinnvoller, hier bestehende Betriebsverein-

barungen zur Weiterbildung zu überprüfen und ein

Instrumentarium zu schaffen, das die Belange zur In-

tegration von Beschäftigten mit Migrationshintergrund

einbezieht und berücksichtigt. Zudem gibt es in einigen

Bereichen Tarifverträge zur Qualifizierung, auf die zu-

rück gegriffen werden kann.

Es sollte nicht vergessen werden, dass Integration eine

Querschnittsaufgabe ist und eine Betriebsvereinbarung

für Chancengleichheit ein möglicher Ansatzpunkt, Posi-

tive Maßnahmen für Gleichbehandlung im Betrieb

durchzusetzen. BetriebsrätInnen stehen zudem auf-

grund der Mitbestimmungspflicht zahlreiche weitere

Möglichkeiten zur Verfügung, um Chancengleichheit

durchzusetzen. Dazu gehört das Anhörungs- und Erör-

14

Jugendliche mit Migrationshintergrund verlassen die Schule häufiger ohne Abschluss als Jugendliche ohne Migrations-hintergrund. Dazu kommt laut Autorengruppe Bildungsbe-richterstattung (2010) folgendes: „Trotz leichter Verbesse-rungen beim Zugang zur Berufsausbildung ist die Situation für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss weiterhin prekär, für ausländische Jugendliche mehr noch als für deutsche. Von den deutschen Ausbildungsinteressenten ohne Hauptschulabschluss münden 2008 drei Viertel ins Übergangssystem ein, von denen mit Hauptschulabschluss die Hälfte (48 Prozent, bei den ausländischen Jugendlichen sind es 88 Prozent und 67 Prozent)―(S. 9.).

15 Dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge ist in der Wirtschaftskrise der Anteil der weiterbil-denden Betriebe gesunken. Mit 45 Prozent liegt der Anteil der Betriebe, die ihren Beschäftigten regelmäßig Weiterbil-dungen anbieten, im Jahr 2009 vier Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert. Im Zeitraum von 1999 bis 2008 war der Wert von 39 Prozent auf 49 Prozent angestiegen. IAB-FORUM, 1/2010, Schwerpunktthema.

terungsrecht der Arbeitnehmenden sowie die Unterrich-

tungs- und Erörterungspflicht der Arbeitgebenden in be-

stimmten Fällen. Letztendlich ist auch eine Betriebsver-

einbarung nur ein beschriebenes Stück Papier. Wo sie

nicht gelebt wird, ändert sich nichts. Doch Beispiele aus

den Betrieben zeigen bereits vorhandene Ansätze.

Noch gibt es keine Chancengleichheit in der Arbeits-

welt, doch ArbeitnehmerInnenvertretungen und Ge-

werkschaften arbeiten daran, diese Aufgabe umzuset-

zen.

Literatur und Links

Akin, Semiha, Dälken, Michaela, Monz, Leo (2004):

Integration von Beschäftigten ausländischer Her-

kunft. Analyse und Handlungsempfehlungen. Reihe

Betriebs- und Dienstvereinbarungen der Hans

Böckler-Stiftung. Frankfurt am Main.

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hg.)

(2010): Bildung in Deutschland 2010: Ein

indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu

Perspektiven des Bildungswesens im demografi-

schen Wandel. Im Auftrag der Ständigen Konferenz

der Kultusminister der Länder in der Bundesrepub-

lik Deutschland und des Bundesministeriums für

Bildung und Forschung. Bielefeld. Online unter:

http://www.bildungsbericht.de/index.html?seite=840

0 (Zugriff am 19.10.2010).

Bundesministeriums für Bildung und Forschung

(2010): Berufsbildungsbericht 2010. Bonn, Berlin.

Online unter:

http://www.bmbf.de/de/berufsbildungsbericht.php

(Zugriff am 19.10.2010).

Cremer, Hendrik (2010): Ein Grundgesetz ohne

"Rasse": Vorschlag für eine Änderung von Artikel 3

Grundgesetz. Policy Paper No. 16. Berlin: Institut

für Menschenrechte.

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bildungswerk

Bund: Schriftenreihe Migration & Arbeitswelt: Aus-

gabe Kommunikation und Motivation: Menschen mit

Migrationshintergrund aktiv einbeziehen (Nr. 65,

2008). Online unter http://www.migration-

online.de/publikation._aWQ9NDYzNA_.html (Zugriff

am 19.10.2010).

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bildungswerk

Bund: Zeitschrift Forum Migration. Online unter

http://www.migration-online.de/publikation_all._c-

GFnZS5wdWJsPTEmcGlkPTIxJmlkPTQ0NDY_.ht

ml

Page 100: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

95 DOSSIER Positive Maßnahmen

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bildungswerk

(2008): Module für Chancengleichheit und gegen

Diskriminierung (Schriftenreihe Migration & Ar-

beitswelt, Nr. 60). Online unter:

http://www.migration-

online.de/data/publikationen_datei_1231927165.pdf

(Zugriff am 23.11.2010).

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bildungswerk

(2008): Strategien gegen Diskriminierung entwi-

ckeln, Module für die Bildungsarbeit – Weiterbil-

dung für Betriebs- und Personalräte (Schriftenreihe

Migration & Arbeitswelt, Nr. 61). Online unter.

http://www.migration-

online.de/data/publikationen_datei_1279266849.pdf

(Zugriff am 23.11.2010).

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bildungswerk

(2007): Gleichbehandlung in der Praxis Teil 1 "All-

gemeines Gleichbehandlungsgesetz - Überblick

über die Neureglung mit praktischen Erläuterungen"

(Schriftenreihe Migration & Arbeitswelt, Nr. 49). On-

line unter: http://www.migration-

online.de/data/publikationen_datei_1200910506.pdf

(Zugriff am 23.11.2010).

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bildungswerk

(2007): Gleichbehandlung in der Praxis Teil 2:

Gleichbehandlung von Migrantinnen und Migranten

im Arbeitsleben - Praktische und rechtliche Tipps

für Arbeitnehmervertretungen, (Schriftenreihe Mig-

ration & Arbeitswelt, Nr. 50). Online unter:

http://www.migration-on-

line.de/data/publikationen_datei_1207136002.pdf

(Zugriff am 23.11.2010).

Hans-Böckler-Stiftung: Sammlung von Betriebsver-

einbarungen für Chancengleichheit, online unter

http://www.boeckler.de/82064_94453.html

Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie

(IG BCE): Zeitschrift Dialog, Info für Ausländische

Arbeitnehmer, online unter

http://www.igbce.de/portal/site/igbce/auslaendische

_arbeitnehmer/

Industriegewerkschaft Metall (IG Metall): Zeitschrift

IGMigration, online unter

http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xs

l/igmigration-gesellschaft-politik-und-betriebe-

862.htm

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

(2010): „Berufliche Weiterbildung― (IAB-FORUM Nr.

1). Online unter:

http://www.iab.de/de/publikationen/forum.aspx (Zu-

griff am 23.11.2010).

International Labour Organization (ILO) (2010): In-

ternational labour migration: A rights-based ap-

proach. Genf.

IQ Consult (2009): Berücksichtigung kultureller Viel-

falt in der Organisationsentwicklung: Zukunft durch

Cultural Mainstreaming gestalten. Düsseldorf 2009.

Kaas, Leo, Manger, Christian (2010): Ethnic

Discrimination in Germany‘s Labour Market: A Field

Experiment (IZA Discussion Paper 4741), hg. v.

Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit. Online

unter: http://ftp.iza.org/dp4741.pdf (Zugriff am

23.11.2010).

Kecskes, Robert (2006): Integration und partner-

schaftliches Verhalten. Reihe: Betriebs- und

Dienstvereinbarungen der Hans Böckler-Stiftung.

Frankfurt am Main.

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integ-

ration und Migration (2010): Einwanderungsgesell-

schaft 2010. Jahresgutachten 2010 mit Integrati-

onsbarometer. Berlin. Online unter: http://www.svr-

migration.de/wp-con-

tent/uploads/2010/05/einwanderungsgesellschaft_2

010.pdf (Zugriff am 23.11.2010).

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di): Mig-

ration (Beilagen zur ver.di-Mitglieder-Zeitschrift

PUBLIK). Online unter

https://migration.verdi.de/material

Michaela Dälken ist Leiterin des Kompetenzzentrums

Europa im Geschäftsbereich Migration & Qualifizierung beim DGB Bildungswerk BUND.

Page 101: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 96

Peter Döge

Der Diversity-Check – Vielfalt als Baustein zukunftsfähiger Organisationen

In § 1 fordert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz

(AGG), „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse

oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Ge-

schlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer

Behinderung, des Alters oder sexuellen Identität zu

verhindern bzw. zu beseitigen.― § 5 AGG erlaubt dabei

zur Behebung bestehender Benachteiligungen für be-

stimmte Gruppen Positive Maßnahmen zu entwickeln,

wobei § 17 AGG die Tarifparteien, Arbeitgeber, Arbeit-

nehmer und deren Vertretungen auffordert, an der

Umsetzung der Ziele des AGG aktiv mitzuarbeiten –

alle organisationalen Prozesse darauf zu prüfen, ob sie

zur Benachteiligung aus einem der genannten Gründe

führen.

Nicht nur am bisweilen mangelnden Willen - nach einer

Studie von SINUS im Auftrag der Antidiskriminierungs-

stelle des Bundes (ADS) können nur 15 Prozent der

deutschen Bevölkerung „ ... als harter Kern der Gleich-

behandlungsbefürworter gelten― (SINUS 2009: 9) –

scheitert eine proaktive Beschäftigung mit dem Thema

Anti-Diskriminierung in Betrieben und Behörden, son-

dern auch aufgrund unangemessener Methoden und

vor allem auch aufgrund mangelnder begrifflicher und

konzeptioneller Klarheit. Vor diesem Hintergrund wurde

auf der Basis der zahlreichen Erfahrungen in der Be-

gleitung von Anti-Diskriminierungs-, Diversity Manage-

ment und Gender-Mainstreaming-Prozessen am Insti-

tuts für anwendungsorientierte Innovations- und Zu-

kunftsforschung e.V. (IAIZ) das Instrument des

Diversity-Checks entwickelt, das zwei Vorgehenswei-

sen unterscheidet: den Ex-Post- und den Ex-Ante-

Check. (Döge 2008: 67ff.)

Der Ex-Post-Diversity-Check

Ziel dieses Verfahrens ist es, bestehende Benachteili-

gungen in unterschiedlichen Handlungsbereichen von

Organisationen zu erkennen und gegebenenfalls für

bestimmte Gruppen gezielte Positive Maßnahmen zu

entwickeln. Der Ex-Post-Diversity-Check analysiert den

in einer Organisation bestehenden Zugang von Men-

schen mit unterschiedlichen Merkmalen zu Ressourcen

(z. B. Zeit, Geld, Raum), Informationen und Positionen

sowie die Inanspruchnahme von Angeboten innerhalb

einer Organisation oder die Inanspruchnahme der von

einer Organisation entwickelten Angebote. Der Ex-post-

Diversity-Check besteht aus folgenden Schritten: 1.

Diversity-Analyse, 2. Ziel- bzw. Referenzgruppenanaly-

se und 3. WARUM-Frage und Handlungsoptionen.

1. Diversity-Analyse

Am Beginn der Entwicklung von Anti-Diskrimi-

nierungsstrategien steht immer eine Bestandsaufnahme

der aktuellen Situation in der Organisation bzw. in aus-

gewählten Bereichen und Handlungsfeldern. Um die

Komplexität der Situation adäquat abzubilden, sollten

die in § 1 des AGG genannten Merkmale in einer Matrix

gekreuzt und entsprechend aufgenommen werden:

Diversity-Analyseraster

Je nach Kontext werden diese Merkmale noch entspre-

chend ausdifferenziert werden müssen - etwa das Alter

nach Altersgruppen oder die Behinderung nach spezifi-

schen Behinderungsformen. Allerdings gestattet das

Ergebnis der Diversity-Analyse per se noch keine ein-

deutigen Rückschlüsse auf (nicht-intendierte) direkte

oder indirekte Benachteiligungen. Dazu ist in einem

weiteren Schritt unbedingt die Durchführung einer Ziel- /

Referenzgruppen-Analyse erforderlich.

2. Ziel- bzw. Referenzgruppenanalyse

Die genaue Bestimmung der Ziel- / Referenzgruppe(n)

der jeweils analysierten Angebote, Maßnahmen und

Prozesse ist ein entscheidender Bestandteil jedes

Diversity-Checks, da sie einen präzisen Soll-Ist-

Vergleich ermöglicht. Dabei ist die Auswahl der Refe-

renzgruppe von großer Bedeutung für die Interpretation

der Befunde: Soll etwa die Besetzung von Führungspo-

sitionen in einer Organisation die Zusammensetzung

der Belegschaft widerspiegeln oder soll die Zusammen-

setzung der Führungspositionen die Gruppe der Perso-

Page 102: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

97 DOSSIER Positive Maßnahmen

nen widerspiegeln, die potenziell Führungspositionen in

der betreffenden Organisation in Anspruch nehmen

können? Wie setzen sich diese Gruppen jeweils zu-

sammen?

Um die Ergebnisse der Zielgruppen- / Referenzgrup-

penanalyse mit den Ergebnissen der Diversity-Analyse

vergleichen zu können, sollte hier dasselbe Analyseras-

ter verwendet werden. So könnte gezeigt werden, dass

etwa in der geringen Inanspruchnahme von SeniorIn-

nenbildung an Bildungseinrichtungen durch Männer ab

einer gewissen Alterstufe keine geschlechtsspezifische

Benachteiligung vorliegt - denn die geschlechtsspezifi-

sche Zusammensetzung der Gruppe alter Menschen ist

immer frauenlastig.

3. WARUM-Frage und Handlungsoptionen

Vor dem Hintergrund des Vergleichs der Ergebnisse

der Bestandsaufnahme mit der Ziel-/ Referenzgruppe

muss nun die Frage beantwortet werden, ob Benachtei-

ligungen existieren und wodurch die beobachteten

Verzerrungen in der Nutzung von Angeboten bzw. der

Besetzung von Positionen entstanden sind. Als Hilfsmit-

tel zur Beantwortung dieser Frage können an dieser

Stelle Ergebnisse entsprechender wissenschaftlicher

Studien und Untersuchungen herangezogen werden.

Vorstellbar ist aber auch die Durchführung von Befra-

gungen und Interviews oder Workshops bzw. Round-

Table-Gesprächen mit ausgewählten Personen aus der

unterrepräsentierten Kultur- bzw. Merkmalsgruppe. Auf

Basis der Beantwortung der WARUM-Frage können

nun gezielte Positive Maßnahmen entwickelt werden.

Der Ex-Ante-Diversity-Check

Ziel des Handelns jeder Organisation sollte es sein,

dass die Berücksichtigung einer produktiven und be-

nachteiligungsfreien Gestaltung von Vielfalt bei der

Entwicklung neuer Angebote und Maßnahmen bereits

ex ante erfolgt. Hierzu ist am IAIZ folgendes Verfahren

entwickelt worden, das auf den Bausteinen der Ex-

Post-Analyse aufbaut und diese geringfügig modifiziert.

1. Inhalt der geplanten Maßnahme beschreiben

Was soll mit der geplanten Maßnahme geregelt

werden?

Geht es um die Verteilung von bzw. den Zugang zu

Ressourcen (Geld, Raum, Zeit), Informationen, Po-

sitionen?

Wer ist in die Umsetzung der Maßnahme einge-

schlossen?

2. Zielgruppe bestimmen

Wer ist die Zielgruppe der geplanten Maßnahme?

Welche Personen- / Merkmalsgruppe ist von der

Maßnahme betroffen?

Wie setzt sich die Zielgruppe zusammen?

3. Diversity-Analyse der Zielgruppe durchführen

Wie stellen sich Inanspruchnahme, Verteilung und

Zugang im Hinblick auf die von der geplanten Maß-

nahme betroffenen Ressourcen (Geld, Zeit, Raum,

Informationen) zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der

Zielgruppe dar?

4. Veränderungen in der Zielgruppe abschätzen

Wie und worin wird sich die Inanspruchnah-

me/Verteilung bzw. der Zugang zu den von der ge-

planten Maßnahme betroffenen Ressourcen (Geld,

Zeit, Raum, Informationen, Positionen) durch die

neue Maßnahme ändern?

5. Veränderungen bewerten

Ergeben sich Benachteiligungen im Zugang zu

Ressourcen?

6. Geplante Maßnahme bei Bedarf modifizieren

Wie muss die geplante Maßnahme verändert wer-

den, um diese Benachteiligungen abzubauen?

Welche Kulturmuster sind von Bedeutung?

Im Rahmen eines Diversity-Trainings mit ArchitektInnen

wurde dieses Verfahren am Beispiel der Planung von

Ferienhäusern für Schulklassen angewendet. Der Bau

der Ferienhäuser soll den SchülerInnen unterschiedli-

cher Altersstufen die Möglichkeit bieten, Freizeit für

eine bestimmte Dauer stadtfern im Klassenverband zu

verbringen – Inhalt der Maßnahme/des Projekts bildet

also der Zugang zu Zeit und Raum. In die Durchführung

des Projekts waren das zuständige Schulamt sowie ein

ausführendes Architekten-Büro einbezogen. Die Ziel-

gruppe der Maßnahme bilden geschlechtsheterogene

Gruppen von SchülerInnen aus Großstädten, in denen

zu einem beachtlichen Anteil Kinder mit Migrationshin-

tergrund vertreten sind.

Page 103: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 98

Den damit verbundenen unterschiedlichen Bedürfnisla-

gen sollten die Ferienhäuser in ihrer materiellen Ausge-

staltung gerecht werden, um keine Diskrepanzen zwi-

schen der Zusammensetzung der Zielgruppen und der

Gruppe der Nutzenden entstehen zu lassen. Als be-

sonders bedeutsame Kulturmuster erwiesen sich das

Geschlechterverhältnis (Freizeitbedürfnisse von Jungen

und Mädchen), Religion / Weltanschauung (Freizeitbe-

dürfnisse von Mädchen / Jungen mit Migrationshinter-

grund) sowie die soziale Herkunft (Einkommenssituati-

on der Eltern). Vor diesem Hintergrund wurde deutlich,

dass etwa der Raumzuschnitt den kulturell unterschied-

lichen Bedürfnissen nach Intimität oder die Bewirtschaf-

tung der Anlage den unterschiedlichen (u.a. religiös

begründeten) Essensgewohnheiten der SchülerInnen

gerecht werden müsste. Um auch SchülerInnen aus

sozial schwachen Familien einen Zugang zu den Feri-

enhäusern zu gewährleisten und entsprechend die

Betriebskosten der Anlage niedrig zu halten, könnte

schon beim Bau der Anlage auf eine preisbewusste

Auswahl von Baustoffen geachtet werden.

Jenseits von Anti-Diskriminierung – Die multi-

kulturelle Organisation

Die Anwendung des Ex-Ante-Checks in allen Hand-

lungsbereichen einer Organisation stellt sozusagen das

Fernziel der Umsetzung von Managing-Diversity-

Strategien dar, es ist das zentrale Merkmal der multikul-

turellen Organisation (Cox 1994). Managing Diversity

wendet hier den Auftrag der Anti-Diskriminierung ins

Positive, wobei es jeweils vom individuellen Lebens-

muster eines Menschen ausgeht, das nicht nur durch

die im AGG genannten Merkmale bestimmt wird.

Hinzu kommen beispielsweise individuelle Zeitkulturen,

die etwa durch die Anzahl der zu pflegenden Familien-

mitglieder oder durch individuelle chronobiologische

Veranlagungen bestimmt werden. Hinzu kommt bei-

spielsweise auch die individuelle Körpergröße, die

nachweislich zu Einkommensdifferenzen beiträgt (Pau-

lus 2004) sowie individuelle Unterschiede im Kommuni-

kationsverhalten, das durch die soziale Herkunft be-

stimmt wird. So werden Führungspositionen im Top-

Management in Deutschland nicht nur fast ausschließ-

lich mit Männern, sondern vor allem mit solchen Män-

nern besetzt, die über einen großbürgerlichen Habitus

mit einer entsprechenden Kommunikationskultur verfü-

gen (Hartmann 2002).

Eine multikulturelle Organisation ist sich bewusst, dass

es eine anthropologische Konstante darstellt, Unter-

schiede gegeneinander zu werten und entlang dem

Paar Fremd - Normal zu verorten. Die Hierarchisierung

von Differenz stellt eine Kulturuniversalie dar (Antweiler

2007). Auch jede Organisation verfügt demzufolge über

eine explizit und vor allem implizit formulierte „Normali-

tätskultur―, die sich insbesondere in Leistungs- und Kar-

rieremustern ausdrückt und dabei definiert, ob es „nor-

mal― ist, dass Männer in Elternzeit gehen oder ob die-

ses Verhalten mit formalen bzw. informellen Sanktionen

belegt ist. Eine multikulturelle Organisation ist sich ihrer

Normalitätskultur bewusst und in der Lage, die damit

verbundenen formalen und informellen Regelwerke

kontinuierlich auf ihre Produktivität hin zu reflektieren.

Auch hierbei spielt das Instrument des Diversity-Checks

eine bedeutende Rolle, müsste jedoch um weitere

Merkmals-Dimensionen ergänzt werden - etwa Fami-

lienstand, Zahl der zu pflegenden Familienmitglieder,

soziale Herkunft. Auch persönlichkeitspsychologische

Merkmale könnten Eingang in den Diversity-Check

finden: Findet sich zum Beispiel in einem Bereich einer

Organisation eine bestimmte Ballung von Persönlich-

keitseigenschaften, ist dies so erwünscht und produktiv

(Fehr 2006).

Mit jeder Normalitätskultur ist eine spezifische Wirklich-

keitsdeutung - eine Weltanschauung - verbunden. Jede

Normalitätskultur bildet damit auch einen Filter gegen-

über vermeintlich „normalen― Gedanken und einen Filter

für Informationen, die in einer Organisation an Einfluss

gewinnen können. Dies hat zur Folge, dass Denkräume

etwa in Prozessen der Strategiebildung unnötigerweise

eingeschränkt werden. Beredtes Beispiel ist das Unter-

nehmen General Motors, das viel zu lange davon über-

zeugt war, dass Benzin immer billig sein wird, keine

anderen Informationen zur Kenntnis nahm, dachte,

dass große Autos große Profite bringen und zum

Schluss fast in Konkurs gehen musste.

Unter Bezugnahme auf Peter Senge kann davon aus-

gegangen werden, dass Reflexionsfähigkeit im Hinblick

auf die „normalen― Denkmuster eine Organisation zu

einer zukunftsfähigen Organisation macht (Senge

1996). Eine multikulturelle Organisation ist demnach

immer auch eine lernende Organisation. Gemeinsames

Lernen wiederum ist nur möglich, wenn die Beziehun-

gen zwischen Menschen diskriminierungsfrei gestaltet

werden und überhaupt eine Vielfalt von unterschiedli-

chen Denkmustern vorhanden ist. In der Herstellung

dieser Heterogenität von Kultur- und Denkmustern

könnten gezielte Positive Maßnahmen ihren Sinn ha-

ben. Anti-Diskriminierungspolitik und Diversity Mana-

Page 104: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

99 DOSSIER Positive Maßnahmen

gement werden so zu einem wesentlichen Baustein für

Zukunftsfähigkeit schlechthin.

Literatur

Antweiler, Christoph (2007): Was ist den Menschen

gemeinsam? Über Kultur und Kulturen. Darmstadt.

Cox, Taylor (1994): Cultural Diversity in Organiza-

tions. Theory, Research & Practice. San Francisco.

Döge, Peter (2008): Von der Anti-Diskriminierung

zum Diversity-Management. Ein Leitfaden. Göttin-

gen.

Fehr, Theo (2006): Big Five: Die fünf grundlegen-

den Dimensionen der Persönlichkeit und ihre 30

Facetten, in: Walter Simon (Hg.): Persönlichkeits-

modelle und Persönlichkeitstests. Offenbach.

Hartmann, Michael (2002): Der Mythos von den

Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Her-

kunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft.

Frankfurt am Main.

Paulus, Jochen (2004): Macht durch Gardemaß. In:

Bild der Wissenschaft, Heft 7, S. 84 – 86.

Senge, Peter (1996): Die fünfte Disziplin. Kunst und

Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart.

SINUS (2009): Diskriminierung im Alltag: Wahr-

nehmung von Diskriminierung und Antidiskriminie-

rungspolitik in unserer Gesellschaft, Berlin: Antidis-

kriminierungsstelle des Bundes.

Dr. Peter Döge ist Mitglied des geschäftsführenden

Vorstands des Instituts für anwendungsorientierte Inno-vations- und Zukunftsforschung e.V. (IAIZ). Er lehrt und publiziert über interdisziplinäre Politiktheorie und Poli-tikanalyse, Politische Ethik, Chancengleichheits- und Anti-Diskriminierungs-Politik.

Page 105: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 100

Nevim Çil

Quotenregelungen als Instrument der Gleichbehandlung? Gemeinsam-keiten und Differenzen zwischen Frauen- und MigrantInnenquoten

Die Frage nach der Teilhabe und Beteiligung von ver-

schiedenen Gruppen an gesellschaftlichen Strukturen

wird gegenwärtig eng verknüpft mit dem Instrument der

Quoten diskutiert. Zuletzt bestimmte die Diskussion um

die Besetzung von Führungspositionen mit Frauen die

Schlagzeilen.1 Die Diskussion um Quoten ist geprägt

von Ambivalenzen. Einerseits wird ihnen die Schlag-

kraft zugesprochen, Ungleichheiten abzufedern, ande-

rerseits jedoch haftet ihnen der Beigeschmack einer

Bevormundung an. Diese Ambivalenz ist nicht leicht

aufzubrechen. Die Teilhabe von gesellschaftlich unter-

privilegierten Bevölkerungsgruppen und ihre Einbin-

dung in das bestehende Gefüge sind zentrale Themen,

die mit der Frage nach Quoten verbunden sind. Quoten

sind zwar nicht prädestiniert für die Lösung von gesell-

schaftlichen Ungleichgewichten, sie weisen jedoch auf

Probleme hin. Inwiefern Quoten ein adäquates Instru-

ment darstellen, um gesellschaftliche Schieflagen aus-

zugleichen, und in welchen Zeitgeist dieses Instrument

eingebunden ist, soll Gegenstand der folgenden Aus-

führungen sein.

Die Forderung nach Frauenquoten

Die aktuell diskutierte Erhöhung des Frauenanteils in

Führungspositionen lässt aufhorchen. Die Diskussion

um Frauenquoten verdeutlicht hier einerseits, dass

auch im Zeitalter der hochgradig entwickelten Gesell-

schaften nicht von einer Geschlechtergerechtigkeit

ausgegangen werden kann. Gleichzeitig entsteht aber

auch Unverständnis. Denn Frauen sind keine gesell-

schaftliche Gruppe, sondern machen die Hälfte der

Menschheit aus. Ihnen wird jedoch die Eigenschaft

einer Randerscheinung zugesprochen. Das Ungleich-

gewicht an dieser Stelle geht auf das Kriterium des

(biologischen und sozialen) Geschlechts zurück. Nach

wie vor sind es primär Frauen, die bei Familiennach-

wuchs aus dem Erwerbsleben ausscheiden und/oder

als Teilzeitkräfte beschäftigt sind.2 Die Frage nach der

1 Die EU-Kommissarin Viviane Reding betont, dass sich Posi-tive Maßnahmen nur dann durchsetzen und implementieren lassen, wenn sie von einer breiten Mehrheit als vernünftig, wohl begründet und notwendig anerkannt werden.

2 Das Statistische Bundesamt stellt fest, dass im Jahre 2008 5 Prozent der erwerbstätigen Väter in Teilzeit tätig waren. Im gleichen Jahr waren gleichaltrige Mütter mit 73 Prozent we-sentlich häufiger in Teilzeit beschäftigt. Siehe „Männer und

Geschlechtergerechtigkeit ist keineswegs neu, auch

nicht die Diskussion um Quotenregelungen für Frauen.

Die Sichtbarkeit von Frauen in der Arbeitswelt und der

Kampf um „Männerdomänen― können auf eine lange

Tradition zurückblicken.

Die Quotenregelung für Frauen ist insbesondere ein

Instrument der 1980er Jahre, das Ungleichgewichte vor

allem in der Arbeitswelt austarieren soll. Eine Frauen-

quote wird deshalb für notwendig erachtet, da Frauen,

gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, in öffentlichen

Stellen und Gremien deutlich unterrepräsentiert sind.

Durch diese Unterrepräsentanz werden Interessen von

Frauen nur bis zu einem bestimmten Maße – und dies

ist sehr gering – in Entscheidungsprozessen berück-

sichtigt. Zudem wird befürchtet, dass sich die Schiefla-

ge zwischen den Geschlechtern nur schwer von sich

aus auflösen wird, da Frauen derzeit auch oft deutlich

unterqualifizierte Berufe ausüben und sich damit die

Tradition der Ungleichheit sich weiter fortsetzt.

Hier erscheinen Quotenregelungen als ein geeignetes

Instrument, die Nachteile auszugleichen, die sich für

Frauen ergeben. KritikerInnen wenden ein, dass Frauen

dann eine bestimmte Stelle nicht aufgrund ihrer Qualifi-

kation, sondern aufgrund ihres Geschlechts bekommen.

Nicht selten wird dann abfällig von einer „Quotenfrau―

gesprochen. Es wird hier jedoch unterschlagen, dass

allein das Geschlecht ein sehr notdürftiges Argument

sein dürfte, um eine Stelle mit einer Frau zu besetzen.

Natürlich steht die Qualifikation an erster Stelle. Denn

die Quotenregelung beinhaltet Vorgaben, die die Ent-

scheidungsprozesse maßgeblich regeln sollen. In die-

sem Fall wird die Person bevorzugt, die die gleichen

Qualifikationen vorweisen kann, jedoch (gesellschaft-

lich) benachteiligt ist.

Quoten für Menschen mit Migrations-

hintergrund

Die Forderung nach Quotenregelungen für Menschen

mit Migrationshintergrund wird ebenfalls eng verbunden

mit den gesellschaftlichen Umständen. Auch hier geht

Frauen in verschiedenen Lebensphasen.― Statistisches Bun-desamt. Wiesbaden 2010, S.32.

Page 106: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

101 DOSSIER Positive Maßnahmen

es um die Sichtbarkeit von ungleichen Verhältnissen

und um die Tatsache, dass sich ohne Positive Maß-

nahmen die Schieflage zwischen Mehrheitsgesellschaft

und Menschen mit Migrationshintergrund wahrschein-

lich nicht von alleine austarieren wird. In dieser Hinsicht

bedarf es – so die BefürworterInnen – eines staatlich

gesteuerten Instruments, um diese Ungleichheit abzu-

federn. Die Bundesregierung betont allerdings, dass

keine Quotenregelungen eingeführt werden. Vielmehr

soll es zum guten Ton dazugehören, Menschen mit

Migrationshintergrund einzustellen.3 Einige diesbezügli-

che Vorstöße haben die Bundesregierung und die Län-

der4 bereits getätigt. Die Charta der Vielfalt ist ein Bei-

spiel hierfür, wie die Unternehmen zum Aufbau und zur

Pflege der Vielfalt am Arbeitsplatz aufgerufen werden.5

Als ein weiterer Vorstoß zur Etablierung von Positiven

Maßnahmen ist das erst kürzlich von der Antidiskrimi-

nierungsstelle des Bundes initiierte Projekt zum ano-

nymisierten Bewerbungsverfahren zu nennen.6

Der Umgang mit, oder gar die Auflösung von Ungleich-

heit stellt in der Tat ein essentielles Problem von post-

modernen Staaten dar, in denen immer mehr Ungleiche

zusammenkommen und nach ihrem gesellschaftlichen

Platz suchen.7 So wird die Frage nach dem Verbinden-

3 Siehe beispielsweise den Artikel in der WELT Online von Miriam Hollstein (2010): „Mehr Migranten im öffentlichen Dienst – aber wie?― Online unter: http://www.welt.de/politik/deutschland/article5845807/Mehr-Migranten-im-oeffentlichen-Dienst-aber-wie.html (Zugriff am 19.10.2010).

4 Hamburg und Berlin sind als Bundesländer Vorreiter in der Steuerung. Hamburg hat bereits 2006 einen Zielwert formu-liert, um den Anteil junger Menschen mit Migrationshinter-grund in den Ausbildungsberufen bis 2011 auf 20 Prozent zu erhöhen. Siehe zu der Dachkampagne „Wir sind Hamburg! Bist Du dabei?― Online unter: http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/838974/ausbildung-verwaltung.html (Zugriff 19.10.2010). Berlin möchte mit dem „Gesetzesentwurf zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin― die interkulturelle Öff-nung der Verwaltung gesetzlich festschreiben. Online unter: http://www.berlin.de/lb/intmig/partizipations-und-integrationsgesetz-berlin_kurzfassung.html (Zugriff am 19.10. 2010).

5 Es muss hier betont werden, dass bei Zuwiderhandlungen gegen die Charta der Vielfalt keine Sanktionen verhängt wer-den. KritikerInnen behaupten, die Charta der Vielfalt sei des-halb ein stumpfes Schwert.

6 Weiterhin hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aktuell im Rahmen ihrer Expertisenreihe „Forschungslücken schließen― eine umfassende Studie zu „Positiven Maßnah-men― veröffentlicht, die eine Vielzahl praktischer Handlungs-empfehlungen und best practice-Beispiele enthält. Siehe Ale-xander Klose/Andreas Merx (2010): Positive Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile im Sinne des § 5 AGG. Online auf der Hompage der Antidiskri-minierungsstelle: www.antidiskriminierungsstelle.de

7 Steven Vertovec spricht sogar von super-diversen Gesell-schaften: Steven Vertovec (2006): The Emergence of Super-Diversity in Britain. Centre on Migration, Policy and Society (Compas). Working Paper No. 25, University of Oxford.

den zur elementaren Frage in diesen Gesellschaften.

Das Verbindende meint dabei die Basis, auf der ein

Zuspruch, wenn nicht sogar ein Bekenntnis zu den

Werten und Normen der Gesellschaft geschaffen wer-

den soll. Unabhängig von ethnischer und sozialer Her-

kunft, biologischem oder sozialem Geschlecht, soll ein

neues Wir aufgebaut werden, das sich nicht länger an

althergebrachten Umständen orientieren kann.

Diese Neuorientierung geht einher mit Begrifflichkeiten,

die das neue Gesicht und die Trendwende untermauern

sollen. „Chancengleichheit― ist solch ein Begriff. Er

macht auf der einen Seite auf Ungleichheiten aufmerk-

sam, auf der anderen Seite unterstreicht er den Mehr-

wert für die Gesellschaft, wenn der öffentliche Dienst,

aber auch der freie Markt sich in vielfältig zusammen-

gesetzter Belegschaft repräsentieren.

Der Fokus auf Ungleichheit verleiht Unterprivilegierten

und Ausgeschlossenen gesellschaftliche Sichtbarkeit.

Diese Sichtbarkeit darf nicht als selbstverständlich

erachtet werden. Sie hat eine Vorgeschichte: Ihr gehen

der Anspruch und der Bedarf an gesellschaftlicher

Gerechtigkeit voraus, teilweise um den sozialen Frieden

zu wahren, teilweise aber auch um internationales

Ansehen zu erlangen. Im Zeitgeist einer aufgeschlos-

senen Gesellschaft ist es zudem eher schädlich, Un-

gleichheiten im Schatten der Gesellschaft zu belassen.

Beachtet werden muss hier jedoch, welche Ungleich-

heiten kenntlich gemacht bzw. benannt werden und

welche in der Tradition der Nicht-Beachtung verloren

gehen. Auch Ungleichheiten müssen also in das Gefü-

ge einer post-modernen Gesellschaft hineinpassen, um

als solche Anerkennung zu finden.

Insofern spielt der Zeitgeist, in dem die Diskussion um

Quoten geführt wird, eine besondere Rolle, um das Pro-

jekt zum Erfolg zu bringen. Auffallend deutlich wird dies

an der Diskussion um Beteiligung von Menschen mit

Migrationshintergrund. Jahrzehnte lang passte es nicht

recht in das gesellschaftliche Bild, hier Chancengleich-

heit einzufordern. Erst jetzt scheint diese Option in das

Bewusstsein gerückt zu sein. Die Ergebnisse des Mik-

rozensus von 2005 spielten eine nicht zu unterschät-

zende Rolle bei dieser Trendwende.8 Seit 2005 weist

der Mikrozensus die stetig ansteigende Anzahl von

8 Der Mikrozensus hat in seinem Bericht von 2005 zum ersten Mal den Migrationshintergrund definiert. Die Bevölkerung wird nunmehr nicht ausschließlich nach der Staatsangehörig-keit, sondern auch nach der ethnischen Herkunft unterteilt. Siehe zum Mikrozensus den Online-Auftritt des Statistischen Bundesamtes Deutschland unter www.destatis.de

Page 107: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 102

Menschen mit Migrationshintergrund aus und belegt

damit die Vielfältigkeit der gegenwärtigen Gesellschaft.

Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend zur Vielfältig-

keit in der Zukunft nicht nur fortsetzen, sondern verstär-

ken wird. In diesem Sinne drängen einige gesellschaft-

liche Probleme in der Tat nach einer Lösung. Gegen-

wärtig sprechen wir von Größenordnungen, die nicht

mehr als eine Ausnahmeerscheinung oder ein temporä-

res Phänomen der Gesellschaft verstanden werden

können. Ganz im Gegenteil: Es ist davon auszugehen,

dass diese Vielfältigkeit das Gesicht der Gesellschaft

maßgeblich verändern wird. Diese Veränderung will

nun in das gegenwärtige Gefüge eingeordnet werden.

Damit geht es nicht nur darum, der gesellschaftlichen

Neuformierung Rechnung zu tragen. Denn die älter und

zugleich vielfältiger werdende Gesellschaft benötigt

neue Konzepte der Teilhabe, um den Lebensstandard

zu wahren. Gleichzeitig ist die Befürchtung groß, dass

ein großer Teil der Menschen (mit Migrationshinter-

grund) zu einer ernsthaften sozialen Bedrohung werden

können, wenn ihnen auf Dauer der Zugang zu gesell-

schaftlichen Ressourcen verwehrt bleibt. In diesem

Sinne ist die Diskussion um Quoten für Menschen mit

Migrationshintergrund nicht nur als ein Zugeständnis an

die demografischen Entwicklungen zu verstehen, son-

dern sie fungiert vorsorglich auch als ein Instrument,

um den sozialen Frieden zu wahren.

Ähnlichkeiten und Differenzen: Forderung

oder Selbstausschluss?

Die Ähnlichkeit der Debatten um Quotenregelungen für

Frauen und MigrantInnen ist erstaunlich. Beide Debat-

ten orientieren sich an der Sichtbarkeit von Ungleich-

gewichten. In beiden Debatten geht es primär nicht

darum, das gesellschaftliche Gefüge neu zu definieren,

sondern darum, einen Vorteil für Personen innerhalb

der gesellschaftlichen Schieflage zu schaffen, die auf-

grund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft diskrimi-

niert werden. Ähnlich ist auch der Erfahrungswert, auf

dem eine Gleichheit zwischen betroffenen Personen

geschaffen wird. Für Frauen stellt das Geschlecht eine

gemeinsame Erfahrung dar, auf dessen Grundlage sie

Diskriminierung erfahren. Menschen mit Migrationshin-

tergrund machen eine ähnliche Erfahrung. Sie stellen

keine homogene Gruppe dar, werden aber von „außen―

vereinheitlicht. Die Vereinheitlichung führt zu Stigmati-

sierungen, Vorurteilen und Ausschluss.

Festzustellen ist aber auch eine immanent wichtige Dif-

ferenz zwischen den Diskussionen um Quotenregelun-

gen für Frauen und Regelungen für Menschen mit Mig-

rationshintergrund. Bezeichnend für die Quotenrege-

lung für Frauen ist, dass sie überwiegend von Frauen

eingefordert und vorangetrieben wurde. Sie ist ein Ver-

dienst von Frauen, also von „Betroffenen― selbst, die

auf gestörte Balancen zwischen Frauen und Männern in

der Arbeitswelt, im öffentlichen und wirtschaftlichen Le-

ben aufmerksam machten. Anders jedoch die Diskussi-

on um Quotenregelungen für Menschen mit Migrations-

hintergrund: Sie ist nicht mit einer Forderung verbun-

den. Viel zu selten schalten sich Menschen mit Migrati-

onshintergrund in die Debatte ein, um diesen Prozess

mitzubestimmen. In diesem Fall ist die Diskussion um

eine Quotenregelung als ein Resultat einer Migrations-

politik zu verstehen, die von staatlicher Seite betrieben

wird. Der Umsetzung von Quotenregelungen geht also

keine Forderung nach Gleichstellung oder gar eine Be-

wegung voraus – abgesehen von den Forderungen ei-

niger Verbände und MigrantInnenselbstorganisationen.

Dieser Unterschied zwischen beiden Quotenregelungen

ist irritierend groß. Die Gleichstellung von Menschen mit

Migrationshintergrund wird nicht von den „Betroffenen―

selbst aktiv eingefordert. Vielmehr werden die Vor- und

Nachteile von politischen Parteien und Gesetzgebern

diskutiert. Diese Diskrepanz lässt sich mit gegenwärti-

gen Migrationsstudien nicht erklären. Möglich sind

folgende Erklärungen: Die Quotenregelung für Men-

schen mit Migrationshintergrund bezieht sich, wie bei

der Regelung für Frauen auch, auf die Arbeitswelt. In

der so genannten Bestenauslese kommen ausschließ-

lich qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund in

Betracht, wenn es um die Besetzung von Stellen geht.

Das Kriterium der ethnischen Herkunft ist also, wie

beim Geschlecht auch, lediglich ein zusätzliches. Dies

kann nicht oft genug betont werden.

Es ist möglich, dass sich qualifizierte Menschen eher

der Vorstellung hingeben, insbesondere nach ihrer Lei-

stung und weniger nach ihrer Herkunft beurteilt zu wer-

den. In diesem Kontext erscheint die ethnische Herkunft

fast wie eine „private Angelegenheit―. Schließlich wollen

diese Menschen nicht durch ihre Herkunft sondern ihre

Leistung auffallen. Diese „private Angelegenheit― er-

schwert den Bezug auf die Herkunft im öffentlichen Le-

ben (Arbeitswelt)- es erscheint wie ein Paradox. Mög-

lich ist auch, dass genau aus diesem Grund die Ab-

wanderung von besser bis hoch qualifizierten Akademi-

kerInnen in das Herkunftsland der Elterngeneration

stetig zunimmt. Neueste Studien belegen eine Abwan-

derung und führen sie auf die Diskriminierung auf dem

Page 108: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

103 DOSSIER Positive Maßnahmen

Arbeitsmarkt zurück.9 Sie erklären aber nicht, warum

sich betroffene Gruppierungen nicht für ihre Rechte

einsetzen. Den „Betroffenen― muss deutlich werden,

dass die Herkunft schon längst ein öffentliches Thema

geworden ist.

Hervorzuheben ist, dass die Herkunft selten als ein pri-

vates Thema angenommen wurde. Diskriminierung und

Ausgrenzung gehören zu den unübersehbarsten Zei-

chen für ihre 'Öffentlichkeit', die nun aktuell mit Quoten-

regelungen abgefedert werden soll. Es gäbe auch kei

9 Der Migrationsbericht (2008) stellt fest, dass unter Akademi-kerInnen und Studierenden türkischer Herkunft eine deutliche Abwanderungstendenz festzustellen sei. Als Grund hierfür werden Diskriminierungserfahrungen und das fehlende Aner-kennungsgefühl genannt. Das Forschungsinstitut „futureorg― hatte eine nichtrepräsentative Umfrage unter dieser Zielgrup-pe durchgeführt und die Abwanderung von qualifizierten Aka-demikerInnen türkischer Herkunft angemahnt. Siehe hierzu: Migrationsbericht des Bundesamtes für Flüchtlinge und Mig-ration im Auftrag der Bundesregierung (Migrationsbericht 2008), S. 166f. Siehe zu der Studie des Forschungsinstituts „futureorg― Kamuran Sezer/Nilgün Dağlar: „Türkische Aka-demiker und Studenten in Deutschland. Wie sie leben. Was sie denken. Was sie wollen. Die Identifikation der TASD mit Deutschland – Abwanderungsphänomen der TASD beschrei-ben und verstehen― Online unter http://tasd.futureorg.de/index.php?page=publikationen Zugriff 19.10.2010).

nen Grund über Quotenregelungen zu diskutieren,

wenn Herkunft als eine Privatsache angenommen wer-

den würde. Womöglich fehlt vielen Menschen mit Mig-

rationshintergrund der Mut zu rufen, „Herkunft ist poli-

tisch!―

Dr. Nevim Çil arbeitet und forscht zu den Schwerpunk-

ten: Migration, Diversity und Antidiskriminierung, Gene-rationenverhältnis und Zugehörigkeiten im Spiegel von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Sie promo-vierte am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freie Universität Berlin.

Page 109: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 104

Kenan Kolat

Quote für MigrantInnen - kein Tabuthema

Der Vorstoß der Integrationsbeauftragten der Bundes-

regierung, Prof. Dr. Maria Böhmer, im Januar dieses

Jahres „mehr Migranten im öffentlichen Dienst zu be-

schäftigen― hat zu Recht eine Welle von Diskussionen

entfacht. Frau Böhmer begründete ihren Vorstoß damit,

dass jeder fünfte Mensch in Deutschland einen Migrati-

onshintergrund hat. Dies sollte sich auch im öffentlichen

Dienst widerspiegeln. Zwanzig Prozent der Beschäftig-

ten sollten künftig aus Familien von Eingewanderten

kommen – vor allem LehrerInnen und ErzieherInnen.

Dieser Vorstoß von Frau Böhmer wurde von vielen als

eine Forderung nach einer Quote für MigrantInnen

verstanden. Das Resultat ist eine rege Diskussion zu

der Thematik, und das ist gut so. Jedoch nahm Frau

Böhmer ihre Aussage hinsichtlich einer Quote umge-

hend zurück. Die Argumente der KritikerInnen einer

Quotenregelung für MigrantInnen sind im Wesentlichen

folgende:

- Die Erfahrungen mit der Quote aufgrund des

Geschlechts sind negativ. „Quote― ist und bleibt

ein Reizwort. Lange Jahre galt sie als Allheilmit-

tel, um Benachteiligungen von Minderheiten (wo-

bei Frauen keine Minderheit waren und sind) in

Beruf und Bildung zu beheben. Unterdessen

mehrten sich die kritischen Stimmen vieler Frau-

en, denn sie wollten nicht mit Sondermaßnahmen

„behandelt― werden. Quotiert zu sein hätte einen

Makel, frau war nicht wegen ihrer Leistungen,

sondern aufgrund des Geschlechts auserkoren

worden.

- Die Quote sei das völlig falsche Instrument, da

das einzig entscheidende Kriterium Können, also

Leistung sein müsse.

- Quote sei ein rechtlicher Automatismus, der zu

Missbrauch führe. Mehr Einwandernde in Behör-

den seien nur in Ballungsräumen nötig, auf dem

Land sei der MigrantInnenanteil hierfür zu niedrig,

so der Innenexperte der Unionsfraktion im Bun-

destag, Hans-Peter Uhl.

- Das Ziel, mehr Einwandernde in den Staatsdienst

einzustellen, sei zwar richtig, eine Quote dafür

aber ungeeignet. Sinnvoll sei ein aktives Perso-

nalmanagement der Behörden, das mehr Men-

schen aus Einwanderndenfamilien in den öffentli-

chen Dienst hole, so der SPD-Fraktionsvize und

Innenexperte Olaf Scholz in der Süddeutschen

Zeitung.

Dem Gedanken, dass die Quote für MigrantInnen nur

ein letzter Ausweg sein sollte, kann ich folgen. Die

Frage stellt sich nur, wie und wann der letzte Ausweg

ausfindig gemacht werden kann. Zu diesem Zweck

bedarf es einer Analyse der Lage. Wie ist denn die

Situation der MigrantInnen auf dem Arbeits- und Aus-

bildungsmarkt? Hierzu liefern verschiedene Studien

eine Reihe von aufschlussreichen Daten und Fakten,

von denen hier näher auf die OECD-Studie 2008 und

die BIBB-Studie 2009 eingegangen werden soll.

OECD-Studie 2008

Die OECD kommt in ihrem Beschäftigungsausblick

2008 zu folgendem Ergebnis1:

Ebenso liegt in Deutschland bei jungen Men-

schen mit Migrationshintergrund (20 bis 29-

jährigen, Migranten 2. Generation) die Beschäf-

tigungsquote um etwa 15 Prozentpunkte niedri-

ger als bei der vergleichbaren Gruppe ohne Mig-

rationshintergrund. Dies ist nur knapp zur Hälfte

durch Unterschiede im Bildungsniveau zu erklä-

ren. Ein weiterer bedeutenderer Faktor dürfte die

Diskriminierung am Arbeitsmarkt sein.

Selbst MigrantInnenkinder, die ihre komplette Ausbil-

dung in Deutschland absolviert haben, hätten geringere

Jobchancen als BewerberInnen ohne Migrationshinter-

grund mit dem gleichen Bildungsniveau. Menschen mit

ausländisch klingenden Namen müssten drei bis vier-

mal so viele Bewerbungen wie „Deutsche― schreiben,

bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen

werden.

Selbst mit Universitätsabschluss sind die Chancen der

Kinder von Einwandernden, eine Beschäftigung zu

bekommen, zum Teil erheblich geringer. Bildungs- und

Sprachdefizite können somit nur einen Teil der niedri-

1 http://www.oecd.org/dataoecd/9/49/40933023.pdf (Zugriff am 07.12.2010).

Page 110: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

105 DOSSIER Positive Maßnahmen

gen Beschäftigung erklären. Der niedrigere Bildungs-

hintergrund kann somit auch ein bequemer Vorwand

sein, um diskriminierende Einstellungen zu verdecken.

BIBB-Studie 2009

In der öffentlichen Diskussion wie auch im wissen-

schaftlichen Diskurs wurden lange Zeit häufig Defizite

bei den Jugendlichen selbst, wie unzureichende Kom-

petenzen oder mangelnde Schulabschlüsse, unzurei-

chende Informationen oder unangemessene Suchstra-

tegien bzw. ein geringes Interesse an einer Ausbildung

als Ursachen für den geringeren Zugang zu einer Be-

rufsausbildung genannt. Dieses widerlegen die vorlie-

genden Ergebnisse der Studie des Bundesinstituts für

Berufsbildung Übergänge in eine berufliche Ausbildung

– Geringere Chancen für junge Menschen mit Migrati-

onshintergrund von Ursula Beicht und. Mona Granato2.

Sie fordern damit zu einem grundlegenden Perspektiv-

wechsel auf: Zentral ist, von den Ressourcen der Ju-

gendlichen mit Migrationshintergrund auszugehen und

diese in das Blickfeld zu rücken. Die Ergebnisse der

Studie zusammengefasst:

- Jugendliche mit Migrationshintergrund haben

nach Beendigung der allgemeinbildenden

Schule ein ebenso hohes Interesse an einer

Berufsausbildung wie „einheimische― Jugendli-

che.

- Bei den angewandten Strategien der Ausbil-

dungsplatzsuche gibt es gleichfalls keine we-

sentlichen Unterschiede zwischen beiden

Gruppen.

- Dennoch sind die Chancen der Jugendlichen

mit Migrationshintergrund – selbst mit gleichen

schulischen Voraussetzungen – wesentlich ge-

ringer.

- Erheblich häufiger durchlaufen Schulabgänge-

rInnen aus MigrantInnenfamilien daher schwie-

rige und langwierige Übergangsprozesse bei

der Suche nach einer beruflichen Ausbildung.

- Die Chance, einen Ausbildungsplatz zu finden,

ist bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund

geringer: Mit Hauptschulabschluss liegt der An-

teil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund

bei 42 Prozent (im Vergleich zu 62 Prozent oh-

ne Migrationshintergrund); mit mittlerem Schul-

abschluss liegt der Anteil bei Jugendlichen mit

2 Online unter: http://www.bibb.de/de/52287.htm (Zugriff am 07.12.2010).

Migrationshintergrund bei 55 Prozent (und bei

74 Prozent ohne Migrationshintergrund).

- Die geringeren Einmündungschancen von Ju-

gendlichen mit Migrationshintergrund lassen

sich somit keineswegs mit Schulnoten erklären.

Aus den genannten Studien und darüber hinaus auch

aus vielen anderen Studien wird ersichtlich, dass die

MigrantInnen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt

benachteiligt und diskriminiert werden. Das Ausmaß der

Benachteiligungen ist enorm. Die deutsche Gesellschaft

ist eine Arbeitsgesellschaft. Die Menschen definieren

sich ausgehend von ihrer Rolle und Stellung im Arbeits-

leben. Vom Erwerbsleben ausgeschlossen zu sein,

bedeutet zugleich den Ausschluss aus dem gesell-

schaftlichen Leben. Ohne die erfolgreiche Integration

der MigrantInnen in den Arbeitsmarkt, kann eine gesell-

schaftliche Teilhabe nicht gelingen.

Schon im Jahre 2007 hatte die Türkische Gemeinde in

Deutschland http://www.tgd.de/ erklärt, dass eine

Selbstverpflichtung der Unternehmen, vermehrt Ju-

gendliche mit Migrationshintergrund auszubilden, zu

begrüßen wäre. Aber die Appelle der politischen Ent-

scheidungsträgerInnen an Unternehmen können nur

dann als glaubwürdig empfunden werden, wenn der

Staat selbst Jugendliche mit Migrationshintergrund

ausbildet und mit gutem Beispiel voranschreitet. Hier

hat der Staat noch enormen Nachholbedarf.

Ob der Zeitpunkt einer Quotenregelung gekommen ist,

sollte diskutiert werden. Natürlich gibt es auch andere

gute Ansätze, die sich bewährt haben, wie z.B. die

politische Zielsetzung des Berliner Senats3 oder das

20-Prozent-Ziel des Hamburger Bürgermeisters Ole von

Beust, den Anteil der MigrantInnen im öffentlichen

Dienst analog zu ihrem Anteil an der Bevölkerung zu

erhöhen4.

Aus diesen unterschiedlichen Gründen bedarf es neuer

Vorschläge für Positive Maßnahmen im Rahmen einer

Diversity-Strategie, die wie folgt aussehen können:

(1) Zielgrößen in den öffentlichen Verwaltungen de-

finieren, mit dem Zweck, den Anteil der Menschen

3

Siehe die Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Integra-tion, Arbeit und Soziales vom 16.06.2010, online unter: http://www.berlin.de/lb/intmig/presse/archiv/20100616.1000.299567.html (Zugriff am 07.12.2010).

4 Siehe den Online-Bericht unter http://www.hamburg.de/zu-wanderung/2270834/aktionsplan-integration.html (Zugriff am 07.12.2010).

Page 111: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 106

mit Migrationshintergrund in den öffentlichen Ver-

waltungen entsprechend ihrem Anteil an der Bevöl-

kerung zu erhöhen,

(2) Monitoring und jährliches Reporting zur Zielver-

folgung einführen,

(3) Menschen mit Migrationshintergrund bei Stel-

lenausschreibungen gezielt ansprechen;

migrantische Medien beim Personalmarketing ver-

stärkt nutzen,

(4) Kampagne(n) zu Vorbildern durchführen, beste-

hende unterstützen,

(5) Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompeten-

zen u.a. als Ressource bei Einstellungen einführen,

(6) Interkulturelle Kompetenzerweiterung in den Be-

trieben, Managing-Diversity-Prozesse fördern, spe-

zifische Förderprogramme entwickeln und umset-

zen,

(7) Anreize für Unternehmen schaffen, damit sie

Auszubildende mit Migrationshintergrund einstellen,

(8) Mentoringprogramme einrichten, um potentielle

BewerberInnen mit den ArbeitgeberInnen zusam-

menzubringen (Netzwerk-Defizite abbauen),

(9) Instrumente zur selbstkritischen Überprüfung

von Diskriminierungen bei Bewerbungsverfahren

und Beförderungen entwickeln, individuelle und

„statistische Diskriminierungen― bekämpfen,

(10) Ziele im SGB II ergänzen, um bestehende

Nachteile aufgrund der Herkunft, Hautfarbe etc. zu

überwinden,

(11) Ein Gesetz zur Verbesserung der Bedingun-

gen für die Anerkennung der im Ausland erworbe-

nen Qualifikationen schaffen.

Falls all das zu keinem Erfolg bei der Herstellung von

Chancengerechtigkeit führen sollte, müssen wir über

Quoten ernsthaft diskutieren.

Kenan Kolat ist Bundesvorsitzender der Türkischen

Gemeinde in Deutschland (TGD)

Page 112: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

107 DOSSIER Positive Maßnahmen

Praxis & Projekte

Bereits lange vor dem Inkrafttreten des AGG haben

zahlreiche Unternehmen, Organisationen und öffentli-

che Einrichtungen und Verwaltungen gezielte Förder-

maßnahmen zum Abbau von Diskriminierungen und zur

Verbesserung der Repräsentation verschiedener ge-

sellschaftlicher Gruppen erfolgreich umgesetzt. Im

Rahmen eines umfassenden Diversity Management

werden ebenfalls viele Maßnahmen durchgeführt, die

durchaus in diesen Kontext gehören (auch wenn sie oft

noch nicht so bezeichnet werden).

Lange Zeit standen dabei Maßnahmen zur Gleichstel-

lung von Frauen und Männern sowie der Verbesserung

der beruflichen Situationen von Menschen mit Behinde-

rung im Fokus. In den vergangenen Jahren wurden –

nicht zuletzt vor dem Hintergrund des deutlichen demo-

graphischen Wandels auch verschiedene Positive

Maßnahmen zur Verbesserung der gesellschaftlichen

Chancen von Menschen mit Migrationshintergrund oder

für ältere ArbeitnehmerInnen ergriffen.

Wie rechtlich unproblematische und erfolgreiche Positi-

ve Maßnahmen gestaltet sein können, lässt sich an den

in diesem Abschnitt vorgestellten Beispielen aus Unter-

nehmen, Organisationen und öffentlichen Einrichtungen

und Verwaltungen erkennen. Die hier versammelten

Praxisbeispiele zeigen, dass in Verbindung mit der

notwendigen Unterstützung durch Führungskräfte,

einem entsprechenden (politischen) Willen zur nachhal-

tigen und umfassenden Umsetzung und der Bereitstel-

lung der erforderlichen personalen, finanziellen, zeitli-

chen und institutionellen Ressourcen Positive Maß-

nahmen einen entscheidenden Beitrag zur Weiterent-

wicklung von Organisationen auf ihrem Weg zu einer

offenen, inklusiven und Diversität wertschätzenden

multikulturellen Organisation leisten können.

- Zahlreiche deutsche Kommunen setzen vielfältige

Positive Maßnahmen zur Verbesserung der Be-

schäftigung von Menschen mit Migrationshinter-

grund in der kommunalen Verwaltung um. Huber-

tus Schröer und Franziska Szoldatits stellen die

für ihre Vorreiterrolle bundesweit viel beachtete

Interkulturellen Öffnung der Stadt München vor.

- Die Berliner Kampagne „Berlin braucht dich―, mit

der durch gezielte Strategien Jugendliche mit Mig-

rationshintergrund zur Bewerbung für eine Ausbil-

dung in öffentlichen Behörden und Betrieben moti-

viert werden, stellen Dragica Horvat und Agnese

Papadia vor.

- Sun-ju Choi und Militiadis Oulios zeigen für den

Bereich der Massenmedien auf, dass unterschied-

liche Positive Maßnahmen wie Nachwuchsförde-

rung und Mentoring dazu beitragen können, die

Akzeptanz und Repräsentation einer multiethni-

schen Gesellschaft voranzutreiben.

- Mentoring-Programme sind insbesondere im Be-

reich der Gleichstellung von Frauen und Männern

eine seit Langem bewährte Positive Maßnahme.

Ana-Violeta Sacaliuc beschreibt das Erfolgsmo-

dell des Frankfurter Berami-Mentoring-Projekts für

qualifizierte Migrantinnen und erläutert den Unter-

schied zwischen einer zielgruppen- und adressa-

tenorientierten Positiven Maßnahme.

Page 113: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 108

Hubertus Schröer / Franziska Szoldatits

Interkulturelle Öffnung des Personalmanagements: Das Beispiel der Landeshauptstadt München

Kommunale Integrationspolitik mit langer

Tradition

Die kommunale Integrationspolitik der Landeshaupt-

stadt München steht in einer bemerkenswerten Traditi-

on. Als eine der ersten Großstädte der Bundesrepublik

hat sie bereits zu Beginn der 1970er Jahre erkannt,

welche Herausforderungen sich aus der Anwerbung

von ausländischen Arbeitskräften und dem zunehmen-

den Familiennachzug für die Kommunen ergeben wer-

den. Das damalige Referat (Dezernat) für Stadtentwick-

lungsplanung hat schon 1972 eine gründliche „Prob-

lemstudie― vorgelegt: „Kommunalpolitische Aspekte des

wachsenden ausländischen Bevölkerungsanteils in

München―. Darin werden die Ursachen der Ausländer-

beschäftigung aufgezeigt, die unterschiedlichen Inte-

ressenlagen deutlich gemacht sowie die Entwicklungs-

linien und sozialpolitischen Folgen für Kommunen ana-

lysiert und entsprechende Konsequenzen und Maß-

nahmen vorgeschlagen. Darauf aufbauend wurde 1974

ein detailliertes Vollzugs- und Initiativprogramm, das

„Münchner Ausländerprogramm― verabschiedet. Im

gleichen Jahr wurde auch das damals besondere

Münchner Modell eines Ausländerbeirats beschlossen

und so eine Beteiligungsmöglichkeit und Interessenver-

tretung der ausländischen ArbeitnehmerInnen geschaf-

fen.

Konzeptionelle Entwicklungen in den 90er Jahren

In den 1990er Jahren wurden erneut Bestandsaufnah-

men und Maßnahmenkataloge vorgelegt, etwa 1997 die

Studie „Lebenssituation ausländischer Bürgerinnen und

Bürger―. Die gesamtstädtischen Integrationsvorstellun-

gen der Landeshauptstadt wurden in ihrer Stadtentwick-

lungsplanung - der „Perspektive München― - seit 1998

festgelegt. Das waren aber Ziele, die eher auf der pro-

grammatischen Ebene lagen, also „Leitlinien― für die

weitere Konkretisierung und Umsetzung in den jeweili-

gen Fachbereichen. Ein konsistentes Integrationskon-

zept mit Vorstellungen und Zielen für eine Integrations-

politik im 21. Jahrhundert gab es lange Jahre nicht.

So blieb Raum für Eigeninitiative und Innovation in den

einzelnen Fachreferaten (Dezernaten), den vor allem

das Sozialreferat nutzte. Das Stadtjugendamt hat Mitte

der 1990er Jahre damit begonnen, interkulturelle Quali-

fizierungsmaßnahmen für die MitarbeiterInnenschaft zu

entwickeln und systematisch den Ansatz der interkultu-

rellen Orientierung und Öffnung zu etablieren (vgl.

Handschuck/Schröer 1997, 2002). Beispielhaft war die

Entstehungsgeschichte des Fortbildungsprogramms

„Interkulturelle Verständigung― (vgl. Handschuck/Klawe

2004), das Ansätze aus der Wirtschaft für die kommu-

nale und Soziale Arbeit adaptiert hat, das beteiligungs-

orientiert mit den Betroffenen erarbeitet und ausprobiert

wurde und das inzwischen mit seiner „Philosophie― die

Fortbildungsgrundsätze der Stadt bestimmt. Die Fortbil-

dungsangebote wurden sehr bald für den gesamten

Sozialbereich geöffnet.

Ähnlich haben die Erfahrungen und Erfolge interkultu-

reller Öffnungsprozesse des Jugendamtes anregend

auf die gesamte Sozialverwaltung gewirkt mit dem

Ergebnis, dass seit Ende der 1990er Jahre gemeinsam

interkulturelle Zielsetzungen für alle Ämter der Sozial-

verwaltung verfolgt werden. Die interkulturelle Orientie-

rung und Öffnung galt für alle Arbeitsbereiche und Ebe-

nen von den Kinderkrippen über die sozialen Dienste

bis zur Altenhilfe sowie für Beschäftigte an der Basis

wie für die Führungsebene. Das Fortbildungsprogramm

ist inzwischen für alle MitarbeiterInnen verbindlich und

wird bis etwa 2012 alle rund 1.900 Beschäftigten der

dezentralen Sozialbürgerhäuser einschließlich der

MitarbeiterInnen der Arbeitsgemeinschaft für Beschäfti-

gung (ARGE) erreicht haben. Das zunehmende inter-

kulturelle Profil des Sozialreferates hatte 2003 dann

auch die Ansiedlung der stadtweit verantwortlichen

„Stelle für interkulturelle Arbeit― im Sozialreferat zur

Folge. Seither ist das Sozialreferat stadtweit federfüh-

rend für Integrationspolitik und interkulturelle Öffnungs-

prozesse.

Die Entwicklung eines interkulturellen

Integrationskonzepts

Die wichtigste Aufgabe der Stelle war es zunächst, die

integrationspolitische Lücke zu schließen, die Kommu-

nalpolitik und Kommunalverwaltung hatten entstehen

lassen: die Erarbeitung eines aktuellen Integrationskon-

zeptes. Nach einem gemeinsamen Prozess mit allen

Page 114: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

109 DOSSIER Positive Maßnahmen

städtischen Fachreferaten und nach einer intensiven

Öffentlichkeitsbeteiligung ist 2008 das „Interkulturelle

Integrationskonzept der Landeshauptstadt München―

(Landeshauptstadt München 2008) vom Stadtrat ein-

stimmig beschlossen worden. Damit liegt ein verbindli-

cher Rahmen mit einer klaren Zielsetzung, mit gemein-

samen Visionen und Grundsätzen, einer einheitlichen

Definition von Integration, mit Beteiligungs- und Koordi-

nationsstrukturen sowie mit eindeutigen Umsetzungs-

aufträgen vor (vgl. Sorg/ Szoldatits 2009). Die Ressour-

cen für die Umsetzung wurden auf sechs zentrale

Handlungsfelder gebündelt. Exemplarisch zeigen „Leit-

projekte―, wie das Integrationskonzept umgesetzt wer-

den kann. Zentrales Leitprojekt ist die „Interkulturelle

Orientierung und Öffnung der Stadtverwaltung und der

städtischen Einrichtungen―.

Interkulturelle Öffnung und interkulturelle Orientierung

Unter interkultureller Orientierung wird eine sozialpoliti-

sche Strategie verstanden, die Fragen der Anerken-

nung, der sozialen Gerechtigkeit, der Gleichstellung,

der Inklusion in die Teilsysteme der Gesellschaft, der

gesellschaftlichen Integration sowie der Teilhabe an

Entscheidungsprozessen aufgreift. Interkulturelle Orien-

tierung bedeutet eine sozialpolitische Haltung von Insti-

tutionen und Personen, die anerkennt, dass in jeder

Gesellschaft unterschiedliche Gruppen mit unterschied-

lichen Interessen leben. Das Verhältnis zwischen

Mehrheit und Minderheit ist dabei immer auch als

Machtverhältnis zu reflektieren. Neben diesen sozialpo-

litischen Grundsätzen, die die Veränderung von Institu-

tionen in der Einwanderungsgesellschaft erfordern, gibt

es auch ganz praktische, für jede Institution gewinn-

bringende Erwägungen: zum Beispiel die Kompetenzen

neuer MitarbeiterInnengruppen für die Neuausrichtung

von Organisationen zu nutzen, für neue KundInnen-

oder NutzerInnengruppen attraktiv zu sein oder dem

Fachkräftemangel entgegen zu wirken.

Interkulturelle Öffnung meint die Umsetzung der inter-

kulturellen Orientierung und zielt darauf ab, bestehende

Strukturen kritisch zu analysieren, auf Ausgrenzungs-

mechanismen hin zu untersuchen und daraus Ziele

sowie konkrete Maßnahmen abzuleiten. Sie ist

Querschnittspolitik, das heißt, sie ist auf allen Hier-

archieebenen und in allen Arbeitsfeldern umzusetzen.

Die Steuerungsverantwortung in Organisationen bein-

haltet zu prüfen, ob alle Maßnahmen, Projekte und

Einrichtungen Vielfalt berücksichtigen. Methodisch ist

interkulturelle Öffnung durch Qualitäts- und Organisati-

onsentwicklung umzusetzen. In München hat sich die

Verzahnung mit dem Modell der Neuen Steuerung

bewährt. Teil der Gesamtstrategie ist die interkulturelle

Qualifizierung von Fach- und Verwaltungskräften.

Die Umsetzung des interkulturellen Integrations-konzepts

Die Umsetzung des interkulturellen Integrationskonzep-

tes wurde als top-down-Prozess angelegt, da ohne die

Unterstützung der Referatsspitzen keine nachhaltige

Veränderung möglich ist. Hierfür wurde den Referaten

ein einheitliches Vorgehen vorgeschlagen, das jedoch

an die Voraussetzungen in jedem Referat angepasst

werden konnte. Zunächst hat die Stelle für interkulturel-

le Arbeit das Integrationskonzept in den Führungsgre-

mien fast aller Referate präsentiert. Daran schloss sich

ein Strategieworkshop an, der von der Stelle für inter-

kulturelle Arbeit moderiert wurde und an dem alle Abtei-

lungsleitungen teilgenommen haben. In diesen Work-

shops wurde zunächst eine Bestandsaufnahme durch-

geführt, da davon auszugehen war, dass in jedem Re-

ferat bereits erste Ansätze, teilweise auch bewährte

Strategien vorhanden waren. Anschließend wurden die

wichtigsten Handlungsbereiche identifiziert und ein

Umsetzungsfahrplan mit Zielen und Maßnahmen er-

stellt. Die Stelle für interkulturelle Arbeit berät, unter-

stützt und kooperiert bei den vereinbarten Maßnahmen

und gibt - soweit möglich - finanzielle Unterstützung.

Sie ist für die Steuerung des Gesamtprozesses verant-

wortlich. Die Verantwortung für die Umsetzung des

Integrationskonzepts liegt bei den Referaten.

Neben den Strategieworkshops haben sich im weiteren

Verlauf Jahresgespräche zwischen der jeweiligen Refe-

ratsspitze und der Stelle für interkulturelle Arbeit, in

denen jährlich Ziele und Maßnahmen besprochen wer-

den, sowie eine eintägige interkulturelle Fortbildung mit

allen Amtsleitungen bewährt. Es ist vorgesehen, diese

beiden zusätzlichen Umsetzungsbausteine zukünftig in

allen Referaten einzuführen und bei der Vorlage des

ersten Integrationsberichtes Anfang 2011 vom Stadtrat

für alle verbindlich beschließen zu lassen.

Das Personalmanagement hat Auswirkungen auf die

gesamte Stadtverwaltung, daher wird auf die interkultu-

relle Öffnung dieses Bereichs in München besonderer

Wert gelegt. Prozesse der interkulturellen Öffnung

haben schon lange vor Inkrafttreten des AGG begon-

nen. Das AGG hat mit seinen Diskriminierungsverboten

und der Möglichkeit „Positiver Maßnahmen― nach § 5

AGG vielen dieser Bemühungen erstmals ansatzweise

Page 115: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 110

eine rechtliche Grundlage gegeben. Wenn im Folgen-

den die interkulturelle Öffnung des Münchner Perso-

nalmanagements als Gesamtkonzeption beschrieben

wird, wird zugleich deutlich, wie sehr die einzelnen

Maßnahmen geeignet sind, bestehende Benachteili-

gungen insbesondere junger Menschen mit Migrations-

hintergrund auszugleichen und künftig zu verhindern.

Es werden bereits umgesetzte sowie geplante Maß-

nahmen im Personalmanagement vorgestellt.

Interkulturelles Personalmanagement

Personalmarketing

Die Stadt München nutzt alle Möglichkeiten modernen

Marketings, um sich als attraktive, von Vielfalt geprägte

Arbeitgeberin darzustellen. Es soll vermittelt werden,

dass Vielfalt als Bereicherung verstanden wird und

BewerberInnen aus allen gesellschaftlichen Gruppen

erwünscht sind. Dies drückt sich sowohl in der Sprache

als auch in den ausgewählten Bildern aus, welche die

Verschiedenheit der für die Stadt München arbeitenden

Menschen aufgreifen ohne dabei klischeehaft zu wir-

ken. Die Grundlage bildet die „Arbeitgebermarke―, die

das Personal- und Organisationsreferat 2009 einführte.

Sie ist ein Marketinginstrument, das dabei helfen soll,

die Stadt München als interessante Arbeitgeberin dar-

zustellen, von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt

positiv abzuheben und damit als „Marke― zu etablieren.

BewerberInnen können sich online in einer Präsentation

über fünf zentrale Aspekte bzw. Werte, welche die

Tätigkeit bei der Stadt München auszeichnen, informie-

ren. Ein Aspekt davon ist „Vielfalt―. Es wird die von

Vielfalt, Offenheit, Respekt und Anerkennung geprägte

Unternehmenskultur der Stadt präsentiert und Chan-

cengleichheit von Frauen und Männern, unabhängig

von ihrer sexuellen Identität, von Alter, Behinderung,

Hautfarbe, Religion sowie kultureller und sozialer Her-

kunft als besonderes Anliegen dargestellt.

Der hier beschriebene Gedanke spiegelt sich in allen

Personalmarketinginstrumenten der Stadt München

wider, sei es bei der Gewinnung von ErzieherInnen

oder IT-Fachkräften, sei es bei der Anwerbung von

Nachwuchskräften.

Personalgewinnung

Gewinnung von Nachwuchskräften mit

Migrationshintergrund

Mit dem städtischen Integrationskonzept wurde auch

das Leitprojekt „Ausbildung bei der Landeshauptstadt

München - Interkulturelle Kompetenz erwünscht― verab-

schiedet. Mit diesem Projekt sollen zum einen mehr

Jugendliche mit Migrationshintergrund als Nachwuchs-

kräfte gewonnen, zum anderen soll die interkulturelle

Kompetenz aller Nachwuchskräfte gefördert werden.

Drei zentrale Bausteine wurden seither umgesetzt, die

im Folgenden näher beschrieben werden:

- ein für Nachwuchskräfte verändertes Auswahlver-

fahren,

- ein neues Ausbildungsmarketing sowie

- die Fortbildung „Vielfalt macht´s möglich―.

Verändertes Auswahlverfahren: Die Stadt München

bietet jährlich mindestens 270 neue Ausbildungsplätze

an; 780 Nachwuchskräfte befinden sich ständig in Aus-

bildung. Bereits 2006 hat die Ausbildungsabteilung des

Personal- und Organisationsreferats ein neues Aus-

wahlverfahren für Nachwuchskräfte eingeführt und

damit einem veränderten Anforderungsprofil für städti-

sche Beschäftigte mit stärkerer Kunden- und Dienstleis-

tungsorientierung Rechnung getragen. Das neue Ver-

fahren wurde gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-

Universität entwickelt. Getestet werden fachliche, me-

thodische, soziale und persönliche Kompetenzen. Letz-

tere haben im Vergleich zum früheren Auswahlverfah-

ren eine weitaus größere Bedeutung, wodurch nicht

mehr allein die Zeugnisnoten entscheidend sind. Mehr-

sprachige BewerberInnen können zusätzliche Punkte

gewinnen. Das Auswahlverfahren umfasst eine Selbst-

beschreibung, eine Gruppendiskussion sowie ein struk-

turiertes Einzelinterview und beinhaltet u.a. ein Fallbei-

spiel, das auf die interkulturelle Kompetenz der Interes-

senten abzielt. Für jede/n BewerberIn wird ein persönli-

ches Profil erstellt, aus dem die Eignung für den von

ihr/ihm angestrebten Ausbildungsberuf hervorgeht.

Neues Ausbildungsmarketing: Das Ausbildungsmarke-

ting möchte die Botschaft „Vielfalt erwünscht― vermit-

teln. Dies wird vor allem durch die Bildersprache erzielt.

Zudem sollen ansprechende Slogans wie z.B. „Du ar-

beitest nicht für jeden? Dann arbeite doch für alle― oder

„Du willst nicht nur für Geld arbeiten? Sondern auch für

Menschen?― Jugendliche für eine Tätigkeit bei der Stadt

interessieren. Mehrere Initiativen wurden gestartet, um

insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund zu

gewinnen. So z.B. die Werbekampagne „Die Welt lernt

bei der Stadt― für das Berufsinformationszentrum der

Arbeitsagentur München, die später durch das neue

Ausbildungsmarketing abgelöst wurde, sowie mehrere

Page 116: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

111 DOSSIER Positive Maßnahmen

Interviews mit dem Personal- und Organisationsreferen-

ten in der türkischen Zeitschrift „Sultans Magazin―. Der

Münchner Ausländerbeirat fungiert als Multiplikator und

macht bei Mitgliedern und Vereinen Werbung für die

Ausbildung bei der Stadt. Bei öffentlichen Veranstaltun-

gen oder in Schulen, wo sich die Ausbildungsabteilung

präsentiert, sind nach Möglichkeit immer auch Nach-

wuchskräfte mit Migrationshintergrund vertreten.

Fortbildung „Vielfalt macht´s möglich―: Die Fortbildungs-

reihe „Vielfalt macht´s möglich― wurde speziell für alle

Nachwuchskräfte der Stadt München entwickelt und

umfasst in drei bis vier Projekttagen, die über die ge-

samte Ausbildungszeit verteilt sind, die Module „Ach-

tung(+)Toleranz― sowie „Interkulturelle Verständigung―.

Ziele sind das Bewusstwerden des eigenen kulturellen

Hintergrunds, das Erfahren von Grenzen und das Aus-

halten von Widersprüchlichkeiten sowie das Feststellen

von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Neben klas-

sischen Seminarmethoden finden Gespräche mit Mitar-

beiterInnen der Ausländerbehörde, Besuche von Asyl-

bewerberInnenunterkünften sowie Führungen in einer

Moschee, der Synagoge oder den interkulturellen Gär-

ten statt.

Neue Bachelor-Studiengänge

Nicht-EU-Staatsangehörige haben seit Kurzem die

Möglichkeit, über zwei neu geschaffene Bachelor-

Studiengänge den Zugang zum Gehobenen Dienst zu

bekommen. Dies war ihnen vorher verwehrt, da dieser

bisher nur über die Beamtenlaufbahn und somit nur für

EU-Staatsangehörige möglich war. In Kooperation mit

der Fachhochschule für angewandtes Management in

Erding wurde 2008 der duale Studiengang Betriebswirt-

schaft mit Schwerpunkt Public Management eingerich-

tet. Studierende, die den Zugang erhalten, absolvieren

in Anlehnung an das duale Ausbildungssystem ein

Hochschulstudium und arbeiten gleichzeitig in wech-

selnden Aufgabenbereichen bei der Stadt München.

Die Kosten für den Studiengang sowie für das Gehalt

werden von der Stadt München übernommen. Ähnli-

ches gilt für den Studiengang Informatik an der Hoch-

schule für angewandte Wissenschaften in München.

Wirkung der durchgeführten Maßnahmen

Die beschriebenen Maßnahmen zeigen Wirkung. Bei

allen Nachwuchskräften wird zu Beginn der Ausbildung

anonym und freiwillig der Migrationshintergrund erho-

ben. Der Anteil der Nachwuchskräfte mit Migrationshin-

tergrund konnte seit 2006 von 11,6 Prozent auf 16,2

Prozent in 2009 gesteigert werden. In 2007 lag der

Anteil bereits bei 17,9 Prozent. In einzelnen Ausbil-

dungsberufen liegt er weit höher: bei den Auszubilden-

den zur/zum Verwaltungsfachangestellten in 2009 bei

25 Prozent (2008: 40 Prozent), bei den Kaufleuten für

Bürokommunikation sogar bei 34,5 Prozent (2008:

31,58 Prozent). Bis 2005 wurden die Zahlen nur nach

ausländischer Staatsangehörigkeit erhoben. Damals lag

der Anteil der ausländischen Jugendlichen bei 1,9 Pro-

zent bzw. bei 6,4 Prozent ohne Beamtenlaufbahnen.

Die Zahlen zeigen zum einen, dass gezielte Maßnah-

men zur Anwerbung neuer MitarbeiterInnengruppen

Erfolge mit sich bringen. Zum anderen machen sie

deutlich, dass der eingeschlagene Weg weiter fortzu-

setzen ist, um noch mehr Nachwuchskräfte mit Migrati-

onshintergrund zu gewinnen.

Gewinnung von Beschäftigten mit Migrationshintergrund

Die positiven Erfahrungen bei den Nachwuchskräften

sollen in den nächsten Jahren auf alle Beschäftigten

übertragen werden. Dass dies dringend notwendig ist,

zeigt ein Blick auf die Zahlen. Der Stadt München lie-

gen - außer bei den Nachwuchskräften - nur Zahlen

nach ausländischer Staatsangehörigkeit vor. Der Migra-

tionshintergrund kann nur auf freiwilliger und anonymer

Basis erhoben werden. Eine vollständige Erfassung

aller MitarbeiterInnen wäre mit sehr viel Aufwand ver-

bunden und wurde bisher nicht in Angriff genommen.

Hierfür müsste ein Verfahren entwickelt werden, das

alle 30.000 Beschäftigten erreicht und ihnen verständ-

lich macht, warum diese Angaben erhoben werden, um

Vorbehalte z.B. hinsichtlich Stigmatisierung abzubauen.

Nur ein möglichst hoher Rücklauf würde zu verlässli-

chen Ergebnissen führen. Hochrechnungen wären bei

zu geringem Rücklauf nicht möglich.

Im Jahre 2009 arbeiteten in der Münchner Stadtverwal-

tung insgesamt 9,9 Prozent MitarbeiterInnen mit aus-

ländischer Staatsangehörigkeit. Eine Differenzierung

nach BeamtInnen und Tarifbeschäftigten verändert den

Eindruck erheblich. Bei den Tarifbeschäftigten liegt der

Anteil bei 17,2 Prozent Mitarbeitenden mit ausländi-

scher Staatsangehörigkeit. Im Bereich der BeamtInnen

ist ihr Anteil mit 0,4 Prozent verschwindend gering, was

daran liegt, dass aus rechtlichen Gründen grundsätzlich

nur Deutsche und EU-BürgerInnen verbeamtet werden

können. Dennoch könnte der Anteil der EU-

Staatsangehörigen in dieser Gruppe höher sein. Es ist

davon auszugehen, dass die Zahlen nach Migrations-

Page 117: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 112

hintergrund in beiden Bereichen (Tarif und BeamtInnen)

höher liegen. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen

fällt auf, dass ausländische Beschäftigte überwiegend

in gering qualifizierten Bereichen tätig sind. In München

- aber auch in allen anderen Verwaltungen deutscher

Großstädte - besteht also ein hoher Handlungsbedarf.

Ausgewählte Maßnahmen zur besseren Gewinnung von Beschäftigten mit Migrations-hintergrund

Stärkere Gewichtung der interkulturellen Kompe-tenz in der Personalgewinnung und -entwicklung

Um mehr Beschäftigte mit Migrationshintergrund zu

gewinnen und die interkulturelle Kompetenz aller Be-

schäftigten insbesondere bei Führungskräften zu erhö-

hen, hat der Münchner Stadtrat 2009 verschiedene

Maßnahmen beschlossen, die das Personal- und Orga-

nisationsreferat und die Stelle für interkulturelle Arbeit

u.a. mit dem Projekt „Interkulturelle Kompetenz― umset-

zen werden. Interkulturelle Kompetenz und Mehrspra-

chigkeit werden in Stellenausschreibungen zukünftig,

wo für die Arbeit notwendig, verstärkt gefordert werden.

Voraussetzung hierfür ist die Möglichkeit, diese Kompe-

tenz bei der Personalauswahl einschätzen bzw. erfas-

sen zu können.

Hierfür hat die Stelle für interkulturelle Arbeit eine wis-

senschaftliche Ausschreibung vorbereitet, um gemein-

sam mit ExpertInnen aus dem Bereich der interkulturel-

len Kommunikation sowie der Personalauswahl und

-entwicklung geeignete Instrumente und Verfahren für

die Erfassung interkultureller Kompetenz in den Berei-

chen Personalauswahl, Dienstliche Beurteilung und

Assessment Center (Potenzialförderseminare) zu ent-

wickeln. Zunächst wird es darum gehen, sich auf eine

für die Stadt München geeignete Definition von interkul-

tureller Kompetenz zu einigen. Hierbei steht nicht die

z.B. in Wirtschaftsunternehmen bei Auslandsentsen-

dung erforderliche Kompetenz für ein bestimmtes Ziel-

land im Vordergrund. Es geht um einen kompetenten

Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt in einer durch

Zuwanderung geprägten Stadt (in München leben 35,7

Prozent Menschen mit Migrationshintergrund). Im Pro-

jekt sollen Interviews mit städtischen Dienstkräften und

Führungskräften aus ausgewählten Arbeitsbereichen

der Stadt München durchgeführt werden.

Ziel ist es dabei heraus zu filtern, welche interkulturellen

Herausforderungen in den städtischen Referaten in

bestimmten Tätigkeitsbereichen bestehen und was

interkulturelle Kompetenz in diesen Arbeitsfeldern aus-

macht. Die Auswertung der Interviews bietet die Basis

für die weitere Erarbeitung geeigneter Instrumente und

Methoden. Für die Personalauswahl sollen Fragen

entwickelt werden, mit Hilfe derer in Bewerbungsge-

sprächen die interkulturelle Kompetenz der Interviewten

bewertet werden kann. Ein „Bewertungsraster― wird den

für Personalauswahl Zuständigen im Sinne eines Er-

wartungshorizontes für gute Antworten dabei helfen, die

Aussagen der BewerberInnen einzuschätzen. In einem

Leitfaden zur Einschätzung interkultureller Kompetenz

bei der Stellenbesetzung soll auch auf wichtige Aspekte

bei der Bewertung von Bewerbungsunterlagen und der

weiteren Auswahl von BewerberInnen mit Migrations-

hintergrund eingegangen werden.

Durchführung von Potenzialförderseminaren

MitarbeiterInnen der Stadt München, die sich für eine

Führungsaufgabe interessieren, haben bei der Stadt

München die Möglichkeit, an einem „Potenzialförder-

seminar― teilzunehmen, das in Form eines Assessment

Centers stattfindet. Auch hier wird in Zukunft interkultu-

relle Kompetenz erfasst werden. Hierfür werden Fra-

gen, Übungen und Aufgaben inklusive Bewertungsbö-

gen entwickelt, mit denen die interkulturelle Kompetenz

der TeilnehmerInnen beurteilt werden kann. Das Projekt

„Interkulturelle Kompetenz― mit den Bausteinen Perso-

nalauswahl, Dienstliche Beurteilung (siehe Personal-

entwicklung - Dienstliche Beurteilung) und Assessment

Center wird voraussichtlich im Mai 2011 abgeschlossen

sein.

Antidiskriminierungszusatz bei Stellen-ausschreibungen

In ihren Stellenausschreibungen verwendet die Lan-

deshauptstadt München seit 1999 folgenden „Antidis-

kriminierungszusatz―: „Die Landeshauptstadt München

fördert aktiv die Gleichstellung aller Mitarbeiterinnen

und Mitarbeiter. Wir begrüßen deshalb Bewerbungen

von Frauen und Männern, unabhängig von deren kultu-

reller und sozialer Herkunft, Alter, Religion, Weltan-

schauung, Behinderung oder sexueller Identität.

Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber wer-

den bei gleicher Eignung unter Berücksichtigung aller

Umstände des Einzelfalls bevorzugt.― Damit wird ein

Signal gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz gegeben.

Es drückt aus, dass Bewerbungen aus allen gesell-

schaftlichen Gruppen willkommen sind und fördert die

Attraktivität der Stadt München als potentielle Arbeitge-

berin. Über diesen Zusatz bei den Stellenausschrei-

bungen hinaus hat die Stadt München 2005 eine Anti-

Page 118: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

113 DOSSIER Positive Maßnahmen

diskriminierungsvereinbarung abgeschlossen, die für

alle städtischen Beschäftigten gilt und in der u.a. Kon-

sequenzen für den Fall einer Diskriminierung benannt

werden.

Personalentwicklung

Dienstliche Beurteilung

Nicht nur bei der Besetzung neuer Stellen wird zukünf-

tig interkulturelle Kompetenz gefordert und beurteilt.

Auch in der alle vier Jahre stattfindenden Dienstlichen

Beurteilung wird von den Führungskräften neben weite-

ren Kompetenzen wie z.B. Teamfähigkeit oder Gender-

kompetenz, zukünftig interkulturelle Kompetenz bewer-

tet werden. Damit Führungskräfte diese Kompetenz

beobachten und einschätzen können, wird eine „Beur-

teilungshilfe― erstellt werden, die sowohl auf die Bewer-

tung interkultureller Kompetenz bei allen Beschäftigten

als auch auf die Beurteilung von Beschäftigten mit

Migrationshintergrund eingehen wird. Dies ist ein weite-

rer Baustein des bereits beschriebenen Projekts „Inter-

kulturelle Kompetenz―.

Fort- und Weiterbildung

Interkulturelle Fortbildungen stellen eine wesentliche

Maßnahme im Rahmen der Umsetzung des Münchner

Integrationskonzepts dar. Sie werden vom Pädagogi-

schen Institut, vom Personal- und Organisationsreferat

und von der Stelle für interkulturelle Arbeit durchgeführt.

Hierbei ist es wichtig, stadtweit nach demselben Kon-

zept mit einheitlichen Standards vorzugehen. Um dies

zu erreichen, sind von der Stelle für interkulturelle Ar-

beit gemeinsam mit dem Personal- und Organisations-

referat „Qualitätsstandards für interkulturelle Fortbildun-

gen― erarbeitet und im Arbeitsgremium Integration ver-

abschiedet worden, in dem VertreterInnen fast aller

städtischen Referate sitzen. In diesen Standards sind

die wichtigsten Inhalte dieser Fortbildungen festgelegt.

Teilnehmende sollen in den Trainings, die sich am be-

reits erwähnten Konzept „Interkulturelle Verständigung―

orientieren, für den Umgang mit gesellschaftlicher Viel-

falt sensibilisiert werden, die eigene Sozialisation bzw.

Rolle als städtische/r MitarbeiterIn und unbewusste

Ausgrenzungsmechanismen reflektieren sowie interkul-

turelles Wissen aufbauen. In den Standards wird neben

den Inhalten auf wichtige Schritte bei der Konzepterstel-

lung und Vorbereitung von interkulturellen Fortbildun-

gen eingegangen, und es werden Voraussetzungen be-

nannt, die geeignete TrainerInnen mitbringen müssen.

Strategieprojekt Bildungsplanung

Das Personal- und Organisationsreferat hat 2009 das

„Strategieprojekt Bildungsplanung― durchgeführt. Ziel

des Projekts war es, vorausschauend Fortbildungsbe-

darfe zu planen und an den Herausforderungen einer

modernen Stadtverwaltung auszurichten. Als ein wichti-

ger Fortbildungsbereich wurden interkulturelle Fortbil-

dungen benannt und Arbeitsbereiche identifiziert, in de-

nen fehlende interkulturelle Kompetenz zu schlechterer

Arbeitsqualität führt wie zum Beispiel in der Ausländer-

behörde oder in der Bezirkssozialarbeit. Im Sinne von

Good-Practice-Beispielen wurden interkulturelle Fortbil-

dungskonzepte für bestimmte Arbeitsbereiche wie z.B.

Kundenorientierung in der Friedhofsverwaltung oder

Konfliktmanagement in der Ausländerbehörde erstellt.

Interkulturelle Fortbildungen

Aus dem oben beschriebenen Projekt „Interkulturelle

Kompetenz― wird neuer Fortbildungsbedarf entstehen.

Denn wie sollen BeobachterInnen in Assessment Cen-

tern, für Personalauswahl und -entwicklung Zuständige

oder Führungskräfte interkulturelle Kompetenz bewer-

ten können, ohne selbst interkulturell kompetent zu

sein? Der Besuch einer interkulturellen Fortbildung

kann hierzu beitragen.

Die Stelle für interkulturelle Arbeit hat einen Pool an

geeigneten interkulturellen TrainerInnen zusammen

gestellt, der Ende 2010 in einem gemeinsamen Markt-

erkundungsverfahren mit dem Personal- und Organisa-

tionsreferat ausgebaut werden wird. Im bereits vorhan-

denen TrainerInnenpool sind auch vier städtische Be-

schäftigte des Sozialreferats. Ihnen wurde eine einein-

halbjährige, berufsbegleitende Weiterbildung zur/zum

interkulturellen TrainerIn bezahlt. Die Vorteile liegen auf

der Hand: interne FortbildnerInnen kennen die Arbeits-

bereiche ihrer Teilnehmenden besser als externe und

sind zudem kostengünstiger, auch wenn zunächst in

deren Ausbildung investiert werden muss. Diese Über-

legungen haben dazu geführt, vier weitere Mitarbeite-

rInnen ausbilden zu lassen.

Nicht nur Beschäftigte mit direktem KundInnenkontakt

oder konzeptionell Verantwortliche, sondern auch Füh-

rungskräfte sollten an interkulturellen Fortbildungen

teilnehmen, u.a. um zu erfahren, welches Wissen und

welche Kompetenzen darin vermittelt werden, um dann

die Durchführung der Trainings im eigenen Arbeitsbe-

reich zu unterstützen. Die Spitzenführungskräfte des

Direktoriums (einer Querschnittsbehörde vergleichbar

einem Hauptamt), des Personal- und Organisationsre-

Page 119: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 114

ferats sowie des Sozialreferats sind in München mit

gutem Beispiel voran gegangen. Weitere Referate wie

zum Beispiel das Kreisverwaltungsreferat (Innenbehör-

de) werden in den nächsten Jahren folgen.

Auch bei den interkulturellen Fortbildungen werden

Fortschritte anhand von Zahlen gemessen. Von 2005

bis 2009 sind 3.104 Personen meist in zweitägigen

Fortbildungen geschult worden, davon 267 Führungs-

kräfte, was in etwa ihrem Anteil an allen Beschäftigten

entspricht.

Nachqualifizierung

Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Ab-

schlüssen ist seit einiger Zeit bundesweit ein stark

diskutiertes Thema in der Integrationsdebatte. Schät-

zungen der Universität Oldenburg zufolge leben in

Deutschland ca. 500.000 zugewanderte AkademikerIn-

nen, deren Abschluss nicht anerkannt wurde. Es kün-

digt sich ein bundesweites Gesetz zur Anerkennung

von ausländischen Abschlüssen an, denn die Wege zur

Anerkennung sind derzeit kompliziert, für Außenste-

hende undurchsichtig und aufwendig. Vorhandene

Potenziale und Kompetenzen hier lebender Menschen

gehen dadurch verloren.

Die Stadt München ist sich dieser Problematik bewusst.

Auch wenn die Spielräume sehr klein sind, wird ver-

sucht, Wege zu finden, die dabei helfen, Menschen mit

ausländischer, nicht anerkannter Qualifikation eine

bessere Beschäftigungsperspektive zu geben. Der

Bereich der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen

ist ein Beispiel hierfür. Durch die Einführung des Baye-

rischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes wurde

eine erheblich flexiblere Anerkennung von ausländi-

schen Berufs- und Studienabschlüssen möglich, die

sich auch die Stadt München zunutze macht. Zusätzlich

bietet sie Interessierten einen einjährigen, kostenlosen

Lehrgang an, der auf die Externenprüfung an der Fach-

akademie vorbereitet. BewerberInnen, deren Berufsab-

schluss nicht anerkannt ist, werden über diese Möglich-

keit der Nachqualifizierung informiert. Dieser Weg wird

tatsächlich beschritten, was auch durch Schnupperwo-

chenenden zur Personalgewinnung in Kindertagesein-

richtungen, die das Personal- und Organisationsreferat

seit 2009 anbietet, befördert wird.

In Arbeitsbereichen, in denen Beschäftigte unterhalb

ihres Qualifikationsniveaus arbeiten, jedoch Entwick-

lungsmöglichkeiten bestehen, werden über betriebsin-

terne Programme Qualifizierungsmaßnahmen durchge-

führt. Dies betrifft vor allem gewerblich-technische Be-

reiche im Baureferat und dem Abfallwirtschaftsbetrieb.

Fazit: Erfolgsfaktoren

Die zahlreichen Maßnahmen des interkulturellen Per-

sonalmanagements der Stadt München wurden bei den

von der Bundesregierung deutschlandweit ausgelobten

Wettbewerben „Vielfalt in der Ausbildung― und „Vielfalt

am Arbeitsplatz― im Rahmen der Kampagne „Vielfalt als

Chance― von Staatsministerin Prof. Böhmer mit Platz 1

und Platz 2 in der Kategorie öffentliche Verwaltung

prämiert.

Interkulturelle Orientierung und Öffnung sind politisch

zu weithin anerkannten Paradigmen geworden. Über

Ziele und Instrumente scheint Einigkeit zu bestehen, so

dass häufig eine Bestimmung der Begriffe und eine

Reflexion des Vorgehens bei der Umsetzung nicht mehr

ausreichend erfolgen. Interkulturelle Öffnung stellt aber

eine komplexe und integrierte Strategie dar, die dann

erfolgreich ist, wenn sie dafür grundlegende Erfolgsfak-

toren berücksichtigt. Das sind nach den Münchner

Erfahrungen im Wesentlichen die folgenden:

- Interkulturelle Orientierung und Öffnung müssen

als kommunale Veränderungsprozesse politisch

gewollt sein und sollten von einer breiten politi-

schen Mehrheit in den parlamentarischen Gremien

mitgetragen werden.

- Interkulturelle Öffnung ist ein strategischer Ansatz

im Rahmen eines integrationspolitischen Gesamt-

konzeptes, das als Organisations-, Personal- und

Qualitätsentwicklungsprozess zu verstehen ist und

wofür es ausreichend Zeit, Wissen und finanzielle

Ressourcen braucht.

- Interkulturell orientierte Organisationsentwicklung

ist die wesentliche Grundlage von interkulturellen

Öffnungsprozessen. Die Umsetzung liegt in der

Verantwortung der Leitung und kann nicht von au-

ßen erfolgen. Der Veränderungsprozess muss als

gemeinsamer Lernprozess einer Institution organi-

siert werden, um nachhaltige Wirkungen zu erzie-

len.

- Interkulturelle Orientierung und Öffnung ist Quer-

schnittpolitik und betrifft alle Bereiche und Ebenen

einer Organisation. Sie ist Führungsaufgabe „top

down―, kann aber nur mit der Mitarbeiterschaft

„bottom up― realisiert werden.

- Interkulturell orientierte Personalentwicklung ist ein

unabdingbares, aber nicht hinreichendes Element

von interkultureller Öffnung. Sie verfolgt die Ziele,

Page 120: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

115 DOSSIER Positive Maßnahmen

Menschen mit Migrationshintergrund als Beschäf-

tigte zu gewinnen sowie alle MitarbeiterInnen

interkulturell zu qualifizieren. Interkulturelle Trai-

nings, die festen Standards entsprechen müssen,

sind dafür ein anerkanntes Lernformat.

- Interkulturelle Öffnung bedarf einer zentralen insti-

tutionellen Absicherung in der Organisation (z.B.

einer Stelle für interkulturelle Arbeit) und ist erfolg-

reich in vernetzten Strukturen (wie institutionali-

sierten Gremien), die die Koordination der Prozes-

se nach innen und nach außen gewährleisten.

Gleichzeitig muss die Verantwortung für die Um-

setzung dezentral in den einzelnen Referaten (De-

zernaten) liegen.

- Interkulturelle Öffnung ist als partizipativer Prozess

zu gestalten. Das gilt nach innen in die Organisati-

on hinein im Blick auf die MitarbeiterInnen und

nach außen für die Beteiligung von Menschen mit

Migrationshintergrund und ihrer Organisationen.

Interkulturelle Orientierung und Öffnung stellen – ver-

gleichbar mit Diversity Management – in einem weiten

Verständnis ein Gesamtkonzept zur Anerkennung und

Förderung von Vielfalt dar (vgl. Franke/Merx 2007:

238), mit dem Ziel der Gleichbehandlung u.a. durch

positive Maßnahmen und durch den Abbau diskriminie-

render Strukturen. Der Ansatz bietet damit einen strate-

gischen Anknüpfungspunkt an § 5 AGG, was bisher

noch zu wenig genutzt wird.

Perspektiven: Offene Fragen

In München sind vor dem Hintergrund einer langjähri-

gen Entwicklung interkulturelle Orientierung und Öff-

nung als Haltung und Umsetzungsstrategie für die

gesamte Stadtverwaltung verbindlich. Tatsächlich wer-

den sie in vielen Bereichen aktiv realisiert, und gerade

das Personalmanagement hat sich zum Teil vorbildlich

und anerkannt interkulturell geöffnet. Dennoch bleiben

viele Herausforderungen bestehen. Diese Aufgaben

sollen im Folgenden wenigstens angesprochen und als

offene Fragen formuliert werden. Antworten müssen in

der Zukunft noch gefunden werden.

Attraktivität als Arbeitgeberin

Obwohl es zunehmend qualifizierte junge Menschen mit

Migrationshintergrund gibt, die für kommunale Verwal-

tungen interessante MitarbeiterInnen wären, finden

noch zu wenige den Weg in die öffentliche Verwaltung.

Was kann getan werden, um die Kommune als Arbeit-

geberin attraktiv zu machen? Wie können Personal-

auswahlverfahren so gestaltet werden, dass mehr Be-

werberInnen mit Migrationshintergrund gewonnen wer-

den und was muss veranlasst werden, um diese dann

als Beschäftigte zu halten?

Aufstiegsförderung

Auch wenn erfreulicherweise die Mitarbeiterschaft mit

Migrationshintergrund in Kommunen jenseits von un-

qualifizierten Tätigkeiten allmählich steigt, zeigt sich

doch, dass es bisher nur wenige geschafft haben, in

das mittlere oder gar höhere Management aufzustei-

gen. Was muss unternommen werden, um Aufstiegs-

chancen und damit auch die Attraktivität der Kommune

als Arbeitgeberin zu erhöhen?

PatInnen- und MentorInnenprogramme sowie Netzwerke

Im Rahmen von Frauenförderung oder als Aspekt von

Gender Mainstreaming sind Mentorinnenprogramme

erfolgreich. In der Bildungsförderung werden gute Er-

fahrungen mit Patenschaften gemacht, insbesondere

mit PatInnen, deren eigener Migrationshintergrund

Beispielscharakter hat. Bei der Umsetzung von

Diversity Management werden neben vielen anderen

Maßnahmen selbst organisierte Interessens- und

Unterstützungsgruppen in Form von Netzwerken z.B.

von Frauen in Führungspositionen gegründet und damit

gute Erfahrungen gemacht. Wie können solche positi-

ven Erfahrungen auf die Gewinnung, Förderung und

Begleitung von Menschen mit Migrationsuntergrund in

der Verwaltung übertragen werden?

Multikulturelle Teams

Teamentwicklung ist in jeder Konstellation eine Heraus-

forderung für Personalführung. Für die Führung multi-

kultureller Teams gilt das in besonderem Maße. Inter-

kulturelle Teamentwicklung und Coaching für Füh-

rungskräfte multikultureller Teams sind wichtige Aufga-

ben, für die es in der Verwaltung noch wenige Erfah-

rungen gibt. Was kann getan werden zur Förderung der

Teamzusammenarbeit und Unterstützung von Füh-

rungskräften?

Literatur

Franke, Bernhard/Merx, Andreas (2007): Positive

Maßnahmen – Handlungsmöglichkeiten nach § 5

AGG. In: Arbeit und Recht, Heft 7-8, 235-239.

Handschuck, Sabine/Klawe, Willy (2004): Interkul-

turelle Verständigung der Sozialen Arbeit. Ein Er-

Page 121: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 116

fahrungs-, Lern- und Übungsprogramm zum Erwerb

interkultureller Kompetenz. Weinheim und München

Handschuck, Sabine/Schröer, Hubertus (1997):

Interkulturelle Kompetenz und Jugendhilfe. In: Mig-

ration und Soziale Arbeit, Heft 3-4, 42-46.

Handschuck, Sabine/Schröer, Hubertus (2002):

Interkulturelle Orientierung und Öffnung von Orga-

nisationen. Strategische Ansätze und Beispiele der

Umsetzung. In: neue praxis, Heft 2, 511-521.

Landeshauptstadt München, Personal- und Organi-

sationsreferat (2005): Vereinbarung für Chancen-

gleichheit und gegen Diskriminierung in der Ar-

beitswelt. Online unter:

http://www.muenchen.de/cms/prod1/mde/_de/rubrik

en/Rathaus/60_por/14_broschueren/antidiskriminier

ungsvereinbarung2.pdf (Zugriff am 08.12.2010).

Landeshauptstadt München, Personal- und Organi-

sationsreferat (2009): Arbeitgebermarke, unter:

„Landeshauptstadt München als Arbeitgeberin―.

Online unter:

http://www.muenchen.de/cms/prod2/mde/_de/rubrik

en/Rathaus/60_por/AMarke_180808_s.pdf (Zugriff

am 08.12.2010).

Landeshauptstadt München, Sozialreferat/Stelle für

Interkulturelle Arbeit (2008): Interkulturelles Integra-

tionskonzept. Grundsätze und Strukturen der Integ-

rationspolitik der Landeshauptstadt München. Mün-

chen.

Sorg, Uschi/Szoldatits, Franziska (2009): Umset-

zung des Interkulturellen Integrationskonzeptes der

Landeshauptstadt München. In: Migration und So-

ziale Arbeit, Heft 3-4, 179-182.

Dr. Hubertus Schröer war viele Jahre bei der Landes-

hauptstadt München für Fragen der Migration, Integrati-on und interkulturellen Arbeit engagiert und zuletzt Leiter des Stadtjugendamtes München. Er ist jetzt Ge-schäftsführer im Institut Interkulturelle Qualitätsentwick-lung München. Franziska Szoldatits ist Mitarbeiterin der Stelle für

interkulturelle Arbeit der Landeshauptstadt München und dort u.a. Ansprechpartnerin für die interkulturelle Öffnung des Personalmanagements sowie für interkul-turelle Fortbildungen. Sie arbeitet als Referentin für interkulturelle Öffnung, u.a. mit Hubertus Schröer.

Page 122: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

117 DOSSIER Positive Maßnahmen

Dragica Horvat / Agnese Papadia

Chancengleichheit im Öffentlichen Dienst: Keine Utopie mehr? Die Kampagne „Berlin braucht dich!―

Die 2006 vom Berliner Integrationsbeauftragten ins

Leben gerufene Kampagne „Berlin braucht dich!― sen-

det zwei integrationspolitische Signale an die Öffent-

lichkeit: Erstens wird die interkulturelle Öffnung des

Öffentlichen Dienstes für einen großen Bevölkerungsteil

– die EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund - als

notwendig und zeitgemäß propagiert, womit ein klares

Bekenntnis zu ihnen erfolgt. Zweitens trägt die Kam-

pagne zur beruflichen Integration von Jugendlichen mit

Migrationshintergrund bei; diese möchte das Land

Berlin für eine Ausbildung gewinnen und ihnen damit

bessere berufliche Chancen eröffnen.

Insofern handelt es sich bei der Kampagne auch um

eine sogenannte „Positive Maßnahme― nach § 5 des

Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Der

Paragraf erlaubt eine unterschiedliche Behandlung,

wenn dadurch bestehende Nachteile, die z.B. aufgrund

ethnischer Herkunft bestehen, ausgeglichen oder ver-

hindert werden sollen. Da das Vorhaben nicht an den

Defiziten sondern Potenzialen der Jugendlichen an-

setzt, erfahren sie eine kollektive Wertschätzung in der

Öffentlichkeit, was einen großen Motivationsschub

auslösen kann. Das ist sicherlich einer der Gründe,

warum sich die Zahl der Auszubildenden mit Migrati-

onshintergrund im Öffentlichen Dienst seit dem Start

der Kampagne 2006 bis 2009 verdoppelt hat.

Warum „Berlin braucht dich!―?

Der neueste Bildungsbericht der Bundesregierung1

bestätigt erneut, dass der Bildungserfolg in Deutschland

immer noch von der sozialen Herkunft abhängig ist. Die

Statistik zeigt zweierlei: Im Jahr 2008 schlossen von

den männlichen Jugendlichen mit deutschem Pass 77,9

Prozent einen Ausbildungsvertrag ab; bei denen mit

ausländischem Pass waren es dagegen nur 35,4 Pro-

zent. Auch bei den ausländischen Frauen war der Anteil

mit 28,9 Prozent nur halb so hoch wie bei den deut-

schen (58 Prozent) Frauen.2

1 http://www.bildungsbericht.de/daten2010/bb_2010.pdf (Zugriff am 07.12.2010).

2 Vgl. den Artikel Schlechte Chancen für Migranten der Süd-deuschen Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/karriere/bildungsbericht-schlechtere-chancen-fuer-junge-migranten-1.961199 (Zugriff am 07.12.2010).

Dem Bericht zufolge führen offensichtlich selbst gute

formale Voraussetzungen von BewerberInnen mit Mig-

rationshintergrund nicht in gleichem Maße in an-

spruchsvolle Ausbildungsgänge wie bei gleichqualifi-

zierten BewerberInnen ohne Migrationshintergrund.

Unter jungen Menschen mit Migrationshintergrund

zwischen 18 und 21 Jahren befanden sich 2006 36,4

Prozent der Männer und 47,6 Prozent der Frauen we-

der in einer Ausbildung, noch hatten sie eine Ausbil-

dung abgeschlossen. Bei Deutschen ohne Migrations-

hintergrund waren nur 26 Prozent der Frauen und 12

Prozent der Männer in der gleichen Lage (BAMF 2009).

Zum anderen ist festzustellen, dass die ethnische Her-

kunft die Berufswahl stark beeinflusst. Jugendliche mit

Migrationshintergrund konzentrieren sich auf wenige,

gering qualifizierte Ausbildungsberufe. Hier sind die

Frauen am stärksten eingeengt: 51 Prozent der jungen

Frauen mit Migrationshintergrund konzentrieren sich auf

lediglich vier Ausbildungsberufe, während das nur für

30 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund gilt.

(Granato 2004)

Die geringe Ausbildungsquote von Jugendlichen mit

Migrationshintergrund besteht nicht nur in der Privat-

wirtschaft, sondern in einem viel größeren Maße auch

im Öffentlichen Dienst, vor allem in der Verwaltung. Da

hier die Politik die Beschäftigung steuern kann, ist sie in

gleicher Weise gefordert wie ermächtigt, Chancen-

gleichheit in öffentlichen Unternehmen herzustellen. Zu

Beginn der Berliner Kampagne betrug der Anteil Aus-

zubildender mit Migrationshintergrund im Öffentlichen

Dienst nur 8,6 Prozent, während sich der Anteil junger

MigrantInnen an der Bevölkerung inzwischen 40 Pro-

zent annähert. Dazu kommt bei Jugendlichen die all-

gemeine Tendenz hinzu, die Berufsausbildung als keine

attraktive Zukunftsperspektive zu sehen. Und bei Ju-

gendlichen mit Migrationshintergrund ist diese Tendenz

von der demotivierenden Annahme und zum Teil auch

von der Erfahrung gestärkt, dass sie nur geringe Chan-

cen haben, einen qualifizierten Ausbildungsplatz zu

finden.

Page 123: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 118

„Berlin braucht dich!― als integrations-

politisches Leitprojekt

Mit der Kampagne „Berlin braucht dich!― hat die Integra-

tionspolitik offensiv die Verantwortung und die Vorreiter-

innenrolle für die Förderung der Ausbildung von Ju-

gendlichen mit Migrationshintergrund im öffentlichen

Bereich übernommen. Damit soll der strukturellen Dis-

kriminierung, die im Bildungssystem besteht und sich

auf die Chancen der MigrantInnen auf dem Ausbil-

dungsmarkt auswirkt, begegnet werden.

Die Öffentlichen Behörden und Betriebe richten ihre

Aufmerksamkeit vor allem auf leistungsstarke Schüle-

rInnen. Allerdings wenden sich diese - ob mit oder ohne

Migrationshintergrund - verstärkt weiteren schulischen

Bildungswegen zu und entscheiden sich gegen die

duale Ausbildung. Deshalb ist die Stoßrichtung von

„Berlin braucht dich!― auch vor dem Hintergrund eines

drohenden Nachwuchsmangels in Ausbildungsberufen

im Öffentlichen Dienst zu betrachten. Die demografi-

sche Entwicklung und Fragen der vorausschauenden

Fachkräfte- und Standortpolitik erfordern neue integra-

tionspolitische Akzente. Die Verschiebung des integra-

tionspolitischen Akzents vom sozialpolitischen Blickwin-

kel hin zu einer strukturell verankerten Integrationspoli-

tik erfordert eine kooperative Beleuchtung der Standort-

und der Bildungspolitik sowie der Fachkräftepolitik unter

dem Blickwinkel Integration/Migration. (Kruse 2010) Mit

der Entwicklung von Konzepten zu mittel- und länger-

fristiger Fachkräftesicherung begibt sich die Integrati-

onspolitik aus dem sozial- und ordnungspolitischen

Winkel heraus in den Fokus Zukunftsgestaltung und –

fähigkeit der Stadt.

Bild: Pinar, 22 Jahre, in Berlin geboren, türkische Eltern, deutsche Staatsangehörigkeit, Polizeimeisteranwärterin: „Ich fühle mich nicht als Migrantin, sondern als Deutsch-Türkin―.

Die Kampagne „Berlin braucht dich!― startete 2006,

doch wurde bald deutlich, dass die beachtlichen Erfolge

vorwiegend auf einem sogenannten „Creaming-Effekt―

basierten. Die Kampagne „schöpfte nur diejenigen ab―,

die sich bereits mit dem Thema Ausbildung befasst

hatten. Daraus erkannte man, dass eine Kampagne

allein keine strukturellen Veränderungen bewirken

kann. Integrationspolitisch ist aber eine breite und

nachhaltige Öffnung der dualen Ausbildung im Öffentli-

chen Dienst für Jugendliche mit Migrationshintergrund

intendiert. Hier galt es umzusteuern, um aus der Res-

source „Jugendliche mit Migrationshintergrund― Fach-

kräfte akquirieren zu können. Diese Jugendlichen wer-

den allerdings nur dann erfolgreich eingebunden, wenn

die Attraktivität von Berufsausbildung wächst und die

Berufsorientierung unter qualitativen Aspekten sowie

interkulturell sensibel gestaltet wird. Die Berufsausbil-

dung wird für leistungsstarke Jugendliche mit Migrati-

onshintergrund nur dann zu einer ernsthaften Option,

wenn sie sich als attraktiv erweist, ihre berufliche Ver-

wertung effektiv ist, und durch sie Aufstiegschancen

ermöglicht werden.

Aus der Kampagne „Berlin braucht dich!― ist mittlerweile

ein zentrales integrationspolitisches Vorhaben im Über-

gang Schule-Berufsausbildung entstanden. Dabei hat

das Berufliche Qualifizierungsnetzwerk für Migrantinnen

und Migranten (BQN) Berlin3 als Intermediär im Auftrag

des Berliner Integrations- und Migrationsbeauftragten

die konzeptionelle Federführung übernommen. Um

Nachhaltigkeit und Qualität zu sichern, wurde ein Kon-

sortium als Kompetenzzentrum aufgebaut. Hierbei

handelt es sich um ein breit gespanntes Netzwerk, in

dem integrationspolitisch gewichtige Entscheidungsträ-

gerInnen und ExpertInnen für die Ausbildung im Öffent-

lichen Dienst und in den Landesbetrieben sowie für den

berufsvorbereitenden Unterricht vereint sind. Durch die

Konsortialarbeit entsteht eine verbindliche und fruchtba-

re Zusammenarbeit, wodurch die gestaltende Rolle der

Integrationspolitik und ihr Fokus auf Kooperation her-

vorgehoben werden.

Wie agiert das Konsortium?

Mit umfassender Unterstützung von BQN Berlin und

unter wissenschaftlicher Anleitung entwickeln, planen

und erproben Schulen und Betriebe des Konsortiums in

Planungsworkshops innovative und attraktive Instru-

mente der Berufsorientierung für SchülerInnen mit

3 Siehe die Homepage unter http://www.bqn-berlin.de (Zugriff am 07.12.2010).

Page 124: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

119 DOSSIER Positive Maßnahmen

Migrationshintergrund verschiedener Klassenstufen. In

den Workshops verständigen sich Schulen und Betrie-

be zunächst über gegenseitige Erwartungen und Er-

folgsfaktoren einer interkulturell sensiblen Erkundung

der Arbeitswelt. Auf dieser Grundlage entwickeln sie

Konzepte für die Neugestaltung von Betriebskontakten

von der siebten bis zu der zehnten Klasse:

- betrieblicher Erstkontakt in der 7. Klasse;

- einwöchiges Schnupperpraktikum in der 8. Klas-

se;

- dreiwöchiges Betriebspraktikum in der 9. Klasse;

- Bewerbungstraining in der 10. Klasse.

Die schul- und betriebsübergreifende Zusammenarbeit

in den Planungsworkshops eröffnet neue Dimensionen

der Kontaktmöglichkeiten zwischen Schulen und der

Arbeitswelt: Erstens kann sich die Kooperation zwi-

schen Schulen und Betrieben auf die solide und nach-

haltige Basis des Konsortiums stützen. Zweitens erwei-

tert sich dadurch das Berufsspektrum für SchülerInnen

mit Migrationshintergrund. Die Berufswahlentscheidung

der SchülerInnen wird bewusster und kompetenter.

Drittens erhalten die Betriebe den Kontakt zu einem

großen Pool an künftigen Nachwuchskräften, das sie

bis jetzt nicht im Fokus hatten.

Die Kampagne „Berlin braucht dich!― – inzwischen zu

einem integrationspolitischen Leitprojekt angewachsen

- trägt zur strukturellen Verbesserung und Optimierung

des Übergangssystems zwischen Schule und Berufs-

ausbildung bei.

Bild: Cemhan, 29, in Istanbul geboren, deutsche Staatsan-gehörigkeit, bis Anfang 2008 Auszubildender im Bürgeramt Reinickendorf als Fachangestellter für Bürokommunikation: „Deutschland ist mein Bezugsland―.

Eine zentrale Rolle für den Erfolg von „Berlin braucht

dich!― spielt neben der Kooperation im Konsortium die

gezielte Verbreitung der Botschaft in der Fachöffent-

lichkeit, den Schulen, den Betriebe und den

Migrantencommunities. Die Tatsache, dass sich die

öffentlichen Arbeitgeber als Träger von „Berlin braucht

dich!― immer stärker mit dieser Botschaft identifizieren,

markiert das Umdenken im integrationspolitischen Dis-

kurs in der Öffentlichkeit. Zum ersten Mal wurden in

einer Arbeitgeberkampagne Potenziale und Kompeten-

zen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den

Vordergrund gestellt. Dadurch wird der in der Öffent-

lichkeit sowie bei vielen privaten und öffentlichen Ar-

beitgebern weit verbreiteten Meinung entgegengewirkt,

die Benachteiligung Jugendlicher mit Migrationshinter-

grund begründe sich aus ihren Sprach- und Integrati-

onsdefiziten und sei nicht strukturell bedingt.

Ein wichtiges Mittel zur Kommunikation und für die

Verbreitung von „Berlin braucht dich!― ist die Website

des Projekts, http://www.berlin-braucht-dich.de, die

Informationen für die unterschiedlichen Zielgruppen

SchülerInnen, LehrerInnen und öffentliche Arbeitgeber

enthält und somit für den Wissenstransfer genutzt wird.

Bei der Informationsweitergabe wird auf Vorbilder Be-

zug genommen. Erfolgreiche Auszubildende mit Migra-

tionshintergrund werden als BotschafterInnen von „Ber-

lin braucht dich!― mit Fotos, Videos und Zitaten einge-

setzt. Die Zielgruppe der Jugendlichen wird außerdem

immer stärker über soziale Netzwerke und informelle

Kanäle erreicht.

Die Kampagne wirkt

Neben der großen Anerkennung in der Öffentlichkeit

und Politik kann die Kampagne auch auf Ergebnisse

verweisen, die direkt der besseren Integration Jugendli-

cher mit Migrationshintergrund dienen. Die Zahl der

Schulen, die im Konsortium mitarbeiten, ist von 10 auf

35 gestiegen. Immer mehr Betriebe mit Landesbeteili-

gung unterstützen das Ziel von „Berlin braucht dich!―.

Mit den nunmehr insgesamt 5.000 Ausbildungsplätzen

in über 100 Ausbildungs- und Studienberufen wird

Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein breites

Spektrum an attraktiven Ausbildungsmöglichkeiten

eröffnet. Als Ergebnis der ersten vier Jahre hat sich der

Anteil Auszubildender mit Migrationshintergrund bei den

neuen Ausbildungsverträgen im Öffentlichen Dienst

mehr als verdoppelt und lag 2009 bei 19,5 Prozent. Der

Erfolg belegt die Richtigkeit der Strategie von „Berlin

braucht dich!―, doch der Weg zu einem gleichberechtig-

ten Zugang zu qualifizierter Ausbildung für MigrantIn-

nen und Nicht-MigrantInnen ist noch lang.

Page 125: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 120

Ausblick

Das Vorhaben „Berlin braucht dich!― wird bis 2013 kon-

tinuierlich weiterentwickelt. Ziel ist es, bis zum Jahr

2013 den Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund

in der Ausbildung im Öffentlichen Dienst und bei den

Landesbetrieben auf 25 Prozent zu erhöhen. Diese

„Positive Maßnahme― begegnet so einerseits dem dro-

henden Fachkräftemangel und erweist sich anderer-

seits als ein wichtiges Instrument zum Abbau strukturel-

ler Diskriminierungen. Sie lenkt den Blick auch auf

ökonomische Chancen, die sich bieten, wenn man

bisher unterrepräsentierte Gruppen in den Arbeitsmarkt

integriert.

Im Jahr 2010 liegt der Schwerpunkt der Aktionen auf

dem Aufbau der Konsortialstrukturen als Grundlage zur

Erarbeitung und Erprobung von zielgruppengerechten

Modellen der Arbeitswelterkundung in 12 Berufsfeldern

von der 7. bis 10. Klasse. Im weiteren Verlauf sollen die

erfolgreichen Modelle auf alle Schulen und Betriebe des

Konsortiums transferiert und verbreitet werden.

„Berlin braucht dich!― ist ein innovatives Vorhaben, das

völlig neue Formen von Integrationspraxis entwickelt.

Da mit der Modellentwicklung in einzelnen Schulen und

Betrieben allein die Nachhaltigkeit nicht gesichert ist,

kommt dem Transfer eine besondere Bedeutung zu.

Die neuen Ansätze müssen ihr Problemlösungspoten-

zial durch Weiterentwicklung und Verbreitung auf weite-

re Schulen und Betriebe entfalten. Die Nachhaltigkeit

der entwickelten Innovationen wird sich ohne konzepti-

onelle Gestaltung von gezielten Transferaktivitäten

nicht einstellen. Auf der Tagesordnung steht somit die

Entwicklung von Strategien und Methoden zur Übertra-

gung erfolgreich entwickelter Instrumente der Arbeits-

welterkundung in die Routinepraxis. Hierzu ist es erfor-

derlich, Strategien zur Übertragung der Modelle auf

Schulen und Betriebe zu entwickeln, die bislang in den

Planungsworkshops nicht beteiligt waren. Diese Vorge-

hensweise setzt eine kritische Auseinandersetzung

sowohl mit herkömmlichen als auch neuen Konzepten

und deren Weiterentwicklungsperspektiven in Gang.

Der integrationspolitische Erfolg von „Berlin braucht

dich!― wird sich 2013 ganz konkret an der verstärkten

Ausbildungsbeteiligung der Jugendlichen mit Migrati-

onshintergrund messen lassen müssen. Nicht messen

lassen wird sich hingegen die Auswirkung der Kampag-

ne auf das Bild von MigrantInnen in der Öffentlichkeit -

ein positiver Effekt der Fokussierung auf die Potenziale

der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, der bereits

jetzt sichtbar wird.

Literatur

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

(2009): Berufliche und akademische Ausbildung

von Migranten in Deutschland. Working Paper 22

der Forschungsgruppe des Bundesamtes.

Granato, Mona (2004): Feminisierung der Migration

– Chancengleichheit für (junge) Frauen mit Migrati-

onshintergrund in Ausbildung und Beruf. Bonn:

BIBB.

Kruse, Wilfried (2010): Recherche zu Optionen für

ungeförderte Berufsausbildung außerhalb des Öf-

fentlichen Dienstes für MigrantInnen. Dortmund.

Dragica Horvat und Agnese Papadia sind Mitarbeite-

rInnen von BQN Berlin, einem integrationspolitisches Projekt zur strukturellen Verbesserung der Situation junger MigrantInnen im Übergang Schule-Beruf, das Ansätze und Initiativen zur wirksamen Umsetzung der Berliner Integrationspolitik entwickelt.

Page 126: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

121 DOSSIER Positive Maßnahmen

Sun-ju Choi / Miltiadis Oulios

Positive Maßnahmen – wie erreicht man Gleichstellung im Medienbetrieb?

In einer vielfältigen Gesellschaft wie Deutschland ist

Repräsentation im Sinne von Darstellung und Vertre-

tung ein wichtiges und wirkungsmächtiges Feld. Die

Vielfalt der Einwanderungsgesellschaft findet sich aber

häufig verzerrt in der Berichterstattung und kaum in den

Redaktionsräumen wieder. Jede/r fünfte EinwohnerIn

im Land besitzt einen sogenannten Migrationshinter-

grund, aber nur 2,5 Prozent der JournalistInnen in

Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Die nu-

merische Unterrepräsentanz der MigrantInnen in den

Medienberufen ist ein Indiz für strukturelle Benachteili-

gung.

Es besteht akuter Handlungsbedarf für die Einsetzung

Positiver Maßnahmen, also für Handlungen, die auf die

Verhinderung oder den Ausgleich von Nachteilen –

unter anderem aufgrund der ethnischen Herkunft -

abzielen. Es gibt erst in den vergangenen Jahren ver-

einzelte Initiativen, die auf die Erhöhung des Anteils von

Medienschaffenden mit Einwanderungsgeschichte ab-

zielen. Meistens verfolgen sie dieses Ziel indirekt, in-

dem sich diese Bemühungen auf dem Feld der Nach-

wuchsrekrutierung und Ausbildung abspielen. Im Fol-

genden wird ein kurzer Überblick über die Art solcher

positiven Maßnahmen gegeben und aufgezeigt, wie

Gleichstellung im Medienbetrieb in Bezug auf Einwan-

dernde und ihre Nachkommen gestaltet werden kann.

Dreht sich der Wind?

Eine der ersten Initiativen trug den Titel "Mehr Farbe in

die Medien". Das Adolf Grimme-Institut bot von 1996

bis 1998 ein Volontariatsausbildungsprogramm speziell

für junge Migrantinnen an, die zu Radio- und Fernseh-

journalistInnen ausgebildet wurden. Das Programm

zielte darauf ab, mehr multikulturelle Kompetenz und

Kreativität in die Rundfunklandschaft zu bringen. Seit

2007 hat es in mehreren Medienunternehmen weiter-

führende Ansätze gegeben. Solche Maßnahmen sind

dann wirkungsvoll, wenn sie Teil der Unternehmenspoli-

tik werden. Bei einigen Medien beginnt dies schon beim

Bewerbungsverfahren. So versieht der WDR mittlerwei-

le Stellenausschreibungen mit dem Zusatz: „Der WDR

fördert kulturelle Vielfalt in seinem Unternehmen, daher

begrüßen wir Bewerber (sic.) von Mitarbeiter(n/innen)

ausländischer Herkunft.― Die Axel-Springer-Akademie

betont das Beherrschen einer Fremdsprache und die

interkulturelle Kompetenz als Zugangsvoraussetzungen

zur Volontärsausbildung. Um Vorbehalte zu vermeiden,

anonymisiert die RTL-JournalistInnenschule eingehen-

de Bewerbungsmappen: Diese werden mit einer Num-

mer versehen, während das Foto und der Name ver-

deckt werden.

Förderprogramme als Nachwuchsschmieden

Um die Einstellungspraxis aber konkret zu ändern,

beschreiten Medien-Unternehmen zwei Wege. Erstens

sollen interne Zielvereinbarungen, die von Schulungen

flankiert werden, die EntscheidungsträgerInnen dafür

sensibilisieren, auch verstärkt JournalistInnen mit Mig-

rationshintergrund einzustellen, ohne dass es dafür

eine feste Quote gibt. In diesem Sinne hat zum Beispiel

der Bayerische Rundfunk im Frühjahr 2010 eine

Castingfirma in München beauftragt, für eine neue

Kindersendung einen jungen Moderator und Redakteur

mit türkischem Migrationshintergrund zu suchen, der

nicht älter als 28 Jahre ist. Eingestellt wurde im ersten

Anlauf allerdings niemand. Das Problem war, dass sich

mehr Frauen beworben hatten und einige männliche

Interessenten älter als 28 Jahre waren.

Im Jahre 2006 kündigten die Intendanten von ZDF und

WDR an, mehr Zuwandernde vor die Kamera zu holen.

Zu den festen KommentatorInnen in den ARD-

Tagesthemen gehören mittlerweile auch die Journalis-

tInnen Birand Bingül und Isabell Shayani. In den Lokal-

programmen des WDR-Fernsehens wurden die Journa-

listinnen Asli Sevindim und Lissy Ishag als Moderato-

rinnen eingestellt. Mit Dunja Hajali (heute-journal, Mor-

genmagazin), Pierre Geisensetter (Leute heute) und

Tarik El-Kabbani (Wetter) hat das ZDF nicht-weiße

ModeratorInnen neu etabliert. Zudem wurden neue

Sendungen geschaffen, in denen MigrantInnen Prota-

gonistInnen sind, wie etwa das muslimische "Forum am

Freitag" auf ZDF.info mit einem afghanisch- und einem

iranisch-stämmigen Journalisten sowie die Comedy-

Sendung „Die Süper-Tiger-Show― auf ZDFneo mit Ce-

mal Atakan.

Der Verband Privater Rundfunk- und Telemedien

(VPRT) hat die „Charta der Vielfalt― (www.vielfalt-als-

chance.de) unterschrieben. Von Mitte 2008 bis zum

Page 127: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 122

Frühjahr 2009 liefen daraufhin TV- und Hörfunkspots

bei privaten Fernsehkanälen und Privatradiosendern,

die für „Vielfalt― im Berufsleben warben. Insgesamt

wurden 14.000 Mal vier Spots ausgestrahlt, in denen

MigrantInnen als UnternehmerIn, Hebamme, PolizistIn

und BäckerIn portraitiert wurden. Diese Awareness-

Kampagne wurde von Daimler, der Deutschen BP, der

Deutschen Bank und der Deutschen Telekom im De-

zember 2006 in Deutschland initiiert. Unterstützung

erfährt die Initiative von der Beauftragten der Bundes-

regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,

Prof. Dr. Maria Böhmer.

Desweiteren haben sich im Februar 2010 vierzig Mit-

glieder der Allianz Deutscher Produzenten – Film &

Fernsehen dieser "Charta der Vielfalt" angeschlossen.

Die Botschaft lautet: Vielfalt wird in der Filmbranche

gelebt - sowohl vor als auch hinter der Kamera. Be-

nachteiligte Gruppen wie MigrantInnen und ältere Ar-

beitnehmerInnen sollen dabei gezielt gefördert werden.

Doch bislang blieb die Unterzeichnung folgenlos, und

Pläne für konkrete Umsetzungsmaßnahmen gibt es

noch keine.

Einladungen an die „Generation Praktikum―

Fördermaßnahmen zeichnen sich auch dadurch aus,

dass Medien versuchen, Einwandernde oder Kinder

von Einwandernden gezielt als Nachwuchskräfte zu

gewinnen – der Fokus liegt also auf der Ausbildung.

Hier suchen manche Sendeanstalten den Kontakt zu

MigrantInnenverbänden. Der SWR fordert Personen mit

Migrationshintergrund zur Bewerbung auf und arbeitet

in Einzelprojekten etwa mit dem Forum der Kulturen

Stuttgart, dem Deutsch-Türkischen-Forum Stuttgart

oder der Pop-Akademie zusammen. Je nach Jahrgang

besitzen daher zwischen 10 und 40 Prozent der Auszu-

bildenden des SWR einen Migrationshintergrund.

Der RBB kooperiert seit September 2009 mit dem Bil-

dungsWerk Kreuzberg (BWK) als Partner der

„Bikulturellen Crossmedialen Fortbildung für Migranten―.

Im Jahre 2010 absolvieren drei junge MigrantInnen ein

sechsmonatiges Praktikum im Sender – im Rahmen

einer 15-monatigen journalistischen Qualifizierung.

Praktikumskooperationen hat der RBB auch mit ande-

ren Organisationen abgeschlossen, wie zum Beispiel

Reporter ohne Grenzen oder dem Deutsch-Russischen

Forum e. V., so dass jährlich bis zu 20 ausländische

NachwuchsjournalistInnen mehrere Wochen lang die

redaktionelle Arbeit kennen lernen können.

Auf die Kooperation von Stiftungen und Medien setzt

auch die Berliner „tageszeitung―. Seit September 2007

bietet sie mit der Heinrich-Böll-Stiftung Stipendien für

JournalistikstudentInnen mit Migrationshintergrund

inklusive einem ein-jährigen Volontariat an. An dem

Projekt „Medienvielfalt anders: Junge Migrantinnen und

Migranten in den Journalismus (http://migration-

boell.de/web/diversity/48_1240.asp) beteiligt sich auch

die Deutsche Welle. Im ersten Jahr des Stiftungs-

Programms wurden elf StipendiatInnen unterstützt - bis

2011 sollen es 40 sein.

Darüber hinaus stellen zeitlich befristete Workshops

eine Möglichkeit dar, gezielt MigrantInnen anzuspre-

chen und ihnen den Einstieg in den Journalismus zu

ermöglichen. Der Berliner Tagesspiegel etwa unter-

stützte ein SchülerInnenzeitungsprojekt für die Para-

lympics, bei dem offensichtlich aufgrund der internatio-

nal ausgerichteten Thematik SchülerInnen mit Migrati-

onshintergrund zur Mitarbeit gewonnen werden konn-

ten.

Motivation und Anreize schaffen

RTL hat 2008 den Com.mit-Award ins Leben gerufen,

bei dem SchülerInnen Drehbuch-Ideen zum Thema

Integration einreichen und dann mit Hilfe von Profis

realisieren können. Beim ersten Award wurden im An-

schluss zwölf TeilnehmerInnen zu einem „Kompaktkurs

Fernsehjournalismus― eingeladen. Den Preis gewann

ein Kurzfilm, den ein iranisch-stämmiger Schüler aus

Aachen konzipiert hatte. Im Jahre 2010 belegte eine

19-jährige Deutsch-Bengalin den ersten Platz. Der

Medienpreis habe dazu geführt, dass mehr Praktikan-

tInnen mit Migrationshintergrund den Weg in die Redak-

tion finden, so RTL.

Denselben Weg geht auch der WDR mit der Talent-

werkstatt „grenzenlos―, die sich gezielt an junge Leute

mit Migrationshintergrund richtet. Seit 2006 findet diese

jedes Jahr statt. Die TeilnehmerInnen hospitieren vier

Wochen lang in verschiedenen WDR-Redaktionen,

nehmen an Seminaren teil und produzieren eigene

Beiträge. Einige AbsolventInnen konnten sich danach

auch erfolgreich für ein Volontariat bewerben oder eine

freie Mitarbeit beginnen.

Im Herbst 2007 startete der WDR zudem die Initiative

„Raus aus den Nischen―, in dem Wissen, dass

migrantische JournalistInnen oft auf AusländerInnen-

themen begrenzt werden. Auf die Anzeige bewarben

sich 383 Medienschaffende mit Migrationshintergrund,

Page 128: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

123 DOSSIER Positive Maßnahmen

von denen 58 eine Einweisungshospitanz in verschie-

denen Redaktionen von Mainstreamprogrammen ma-

chen konnten. Wie nachhaltig diese JournalistInnen

dann aber dort tätig sein können, ist nicht bekannt.

Einige BewerberInnen, die sich im Rahmen des „Raus

aus den Nischen―-Programms erfolgreich qualifiziert

hatten, berichten sogar im Nachhinein, dass sie gebe-

ten wurden, für „Cosmo TV―, das Migrationsmagazin

des WDR, Beiträge zu liefern, also förmlich wieder in

die Migrationsnische hinein gebeten wurden. Ob das

Medien-Stipendienprogramm für junge MigrantInnen

der Heinrich-Böll-Stiftung mit mehreren Kooperations-

partnerInnen und die im Jahre 2009 gestartete

„Bikulturelle, Crossmediale Weiterbildung für Migranten―

des BWK1 größere Erfolge verzeichnen können wer-

den, bleibt noch abzuwarten.

Stereotype umgehen

Die deutschen Mainstream-Medien weisen nicht nur im

Nachrichten- und Informationssektor, sondern auch im

fiktiven TV-Bereich erhebliche Defizite im Hinblick auf

mediale Integration auf. Eine der Ursachen dafür ist die

weitgehend monoethnisch-deutsche Medienproduktion,

d. h. der gravierende Mangel an ethnischer Diversität

unter den MediengestalterInnen und -entscheiderInnen.

Die zunehmende Sichtbarkeit von SchauspielerInnen

und ModeratorInnen nicht-deutscher Herkunft in der

Unterhaltungssektion ist zwar ein wichtiges und begrü-

ßenswertes Signal, sollte aber nicht darüber hinweg-

täuschen, dass Menschen mit solchem Hintergrund

nicht an den Stellen mitwirken, an denen Entscheidun-

gen über Sendeinhalte und Programmplanungen gefällt

werden.

Bis auf wenige Ausnahmen wie „Türkisch für Anfänger―

und „Nachtschicht― werden migrantische Schauspiele-

rInnen nach wie vor stereotyp gecastet: russische Ma-

fia, Latin-Lover, afrikanischer Drogendealer, türkischer

Dieb oder schöne Exotin. Darüber hinaus benötigen sie

eine Legitimation für ihre Präsenz; es scheint noch

immer schwierig, sie als Teil des deutschen Alltags zu

zeigen, ohne dass begründet werden muss, woher sie

kommen und warum sie da sind.

Die erhöhte Präsenz der MigrantInnen im fiktiven Film-

bereich führt also nicht zwangsläufig zur Veränderung

tradierter Sehgewohnheiten der Mehrheitsgesellschaft.

Um das Rollen- und Figurenangebot für migrantische

1 http://www.bwk-berlin.de/weiterbildung/journalisten/journalisten.html

SchauspielerInnen systematisch zu erweitern, müssen

DrehbuchautorInnen, RegisseurInnen, ProduzentInnen

und RedakteurInnen zusammenarbeiten, die erhöhte

Sensibilität für relevante Themen der Migrationsrealität

in die Filmproduktion einbringen. Die Mitwirkung der

MigrantInnen sollte sich daher nicht nur auf ihre Sicht-

barkeit vor der Kamera beschränken, sondern auch auf

Produktionsstäbe, Programmplanungsstäbe, Führungs-

etagen und Aufsichtsgremien ausweiten - sowohl im

dokumentarischen als auch im fiktiven Bereich.

MentorIn werden

Vor diesem Hintergrund bemühen sich die "Neuen

Deutschen Medienmacher"2 ein bundesweiter Zusam-

menschluss von Medienschaffenden mit unterschiedli-

chen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und

Wurzeln, den Anteil medien- und filmschaffender Mig-

rantInnen nachhaltig zu erhöhen. Neben der Unterstüt-

zung der JournalistInnenausbildung von jungen Migran-

tInnen hat der Verein ein MentorInnenprogramm initi-

iert, das seinen Schwerpunkt auf die Förderung von

JournalistInnen nichtdeutscher Herkunft legt. Neben der

beruflichen Hilfestellung soll das MentorInnenprogramm

dazu dienen, Kontakte zu knüpfen und soziale Kompe-

tenzen zu stärken.

Denn wie die Journalistin Mercedes Pascual-Iglesias

argumentiert, suchen arrivierte MedienarbeiterInnen bei

der Rekrutierung neuer KollegInnen stets nach ihres-

gleichen. Ähnlichkeiten in Sozialisation, Bildung und

Klassenzugehörigkeit sind im Zweifelsfalle wichtiger als

die ethnische Herkunft. So werde weiterhin ein tradier-

tes, homogenes Arbeitsumfeld geschaffen und erhalten,

so ihr Fazit. Wie die PISA-Studien nachgewiesen ha-

ben, werden besonders Kinder aus migrantischen und

sozial schwachen Familien im selektiven deutschen

Bildungssystem benachteiligt. Auch ist der Anteil von

Kindern aus MigrantInnenfamilien in der höheren Bil-

dungsschicht deutlich geringer, was sich aus der An-

werbungsgeschichte Deutschlands ableiten lässt.

Mediale Integration muss daher den Kreis der

„Klonbildung― durchbrechen, damit die zunehmende

Vielfalt in der deutschen Einwanderungsgesellschaft

tatsächlich in die Redaktionsräume einziehen kann.

Umso wichtiger ist die Unterstützung von erfahrenen

KollegInnen, die migrantischen AspirantInnen über ge-

legentliche professionelle Tipps hinaus zur Seite stehen

2 http://www.neuemedienmacher.de

Page 129: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 124

und beim Aufbau von Netzwerken und persönlichen

Kontakten weiterhelfen.

Strukturelle Diskriminierungen gibt es aber nicht nur bei

großen Sendebetrieben, sondern auch in den kleinen

und mittelgroßen Betrieben der für die Sender zuarbei-

tenden Produktionsfirmen. Wie eine Studie der Univer-

sität Konstanz im Auftrag des Instituts zur Zukunft der

Arbeit (IZA) ergeben hat (Kaas, Manger 2010), senkt

ein nicht-deutscher Name die Wahrscheinlichkeit um 24

Prozent, von einem mittelgroßen Unternehmen zum

Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Interes-

santerweise erhöht sich die Chance der Stellenbewer-

berInnen auf ein Bewerbungsgespräch durch Beifügung

von Empfehlungsschreiben ehemaliger ArbeitgeberIn-

nen und erreicht fast denselben Umfang wie die der

MitstreiterInnen mit deutschem Namen.

Genau an diesem neuralgischen Punkt setzt das

MentorInnenprogramm der Neuen Deutschen Medien-

macher an und versucht als Bindeglied zwischen mi-

grantischen JournalistInnen und Medienbetrieben zu

vermitteln. In Zeiten wachsender Konkurrenz und knap-

per Arbeitsplätze können persönliche Kontakte über

Ein- und Ausschluss im Berufsalltag entscheiden.

Quoten schaffen?

All die skizzierten Maßnahmen können als „weiche―

Positive Maßnahmen bezeichnet werden, deren Erfolg

nicht 100-prozentig garantiert werden kann. Eine „harte―

positive Maßnahme wäre die Einführung einer Quote,

die ähnlich der Frauenquote zur Einhaltung von ethni-

scher Diversität bei Neueinstellungen und Beförderun-

gen verpflichtet. Sowohl Print- als auch elektronische

Medien in Deutschland lehnen diese Vorgehensweise

ab.

Auf der Tagung „Mehr Farben in den Medien―, zu der

die Neuen Deutschen Medienmacher in Zusammenar-

beit mit der Heinrich-Böll-Stiftung im Juni 2009 eingela-

den hatten3, wandte sich auch Kai Gniffke, Chefredak-

teur der ARD-Tagesschau, entschieden gegen eine

Quotenreglung. Qualität setze sich stets durch, für gute

Leute sei immer Platz. Selektion nach Herkunft hinge-

gen sei kontraproduktiv und stelle keine Garantie dar,

dass mediale Vielfalt sichergestellt werde.

Tatsächlich gibt es bei einer ethnisch-nationalen Quo-

tierung gute Argumente, die dafür und dagegen spre-

3 http://migration-boell.de/web/diversity/48_2159.asp

chen. Dafür spricht beispielsweise, dass die Quotierung

strukturelle und institutionelle Benachteiligung ausglei-

chen kann, die Repräsentation der Heterogenität der

Einwanderungsgesellschaft sicherstellt und die Potenti-

ale der MigrantInnen besser einsetzbar macht. Dage-

gen spricht, dass die Klassifizierung von Menschen

nach konstruierten Unterschieden wie national-

ethnischer Herkunft die essentialistische nationale Iden-

tität unterstreicht, die sie zu bekämpfen sucht. Darüber

hinaus bringt sie „QuotenmigrantInnen― hervor, denen

die berufliche Qualifikation leicht abgesprochen wird.

Dennoch: Der Anteil von JournalistInnen nicht-

deutscher Herkunft wird wahrscheinlich nicht steigen,

so lange die politische Kultur die Gleichstellung und

Förderung von Minderheitengruppen als gesellschaftli-

che Notwendigkeit nicht anerkennt, um ausreichende

Sensibilität für diversitätsrelavante Themen zu entwi-

ckeln. Dass Kompetenzen allein nicht ausreichen, um in

der Berufswelt unter- bzw. weiterzukommen, haben

zahlreiche Studien und Untersuchungen deutlich ge-

macht (s.o.). Kai Gniffke von der Tagesschau zeigte

sich hingegen offen gegenüber dem MentorInnenpro-

gramm der Neuen Deutschen Medienmacher und er-

klärte sich bereit, eine Mentee zu übernehmen, die er

während ihrer Ausbildungsphase begleiten und unter-

stützen wird. Auch Gerald Gisecke, Kulturredakteur bei

Aspekte (ZDF) und Günther Piening, Integrationsbeauf-

tragter des Berliner Senats, setzen sich aktiv für das

MentorInnenprogramm ein, was einen wichtigen Sig-

nalcharakter besitzt.

Schluss

Die Schaffung einer pluralen Gesellschaft, die ihren

unterschiedlichen Angehörigen entsprechende mediale

Gesichter, Stimmen und Plattformen verleiht und alt-

hergebrachte Handlungsmuster durchbricht, steht uns

allen als große gesamtgesellschaftliche Aufgabe bevor.

Um eine langfristige Veränderung der Beschäftigten-

struktur in der Medienlandschaft im Hinblick auf chan-

cengerechten Zugang für und höhere Repräsentation

von MigrantInnen zu erreichen, scheint es unerlässlich,

Positive Maßnahmen wie spezifische Ausbildungsan-

gebote, bevorzugte Einstellung oder aktive Motivierung

zur Bewerbung für MigrantInnen zu fördern. Für eine

tatsächliche mediale Diversität, die den mannigfaltigen

Lebensrealitäten einer multiethnischen Gesellschaft

gerecht wird, muss freilich die ganze Bevölkerung in die

öffentliche Kommunikation einbezogen werden.

Page 130: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

125 DOSSIER Positive Maßnahmen

Literatur

Geißler, Rainer, Pöttker, Horst (Hg.) (2009): Mas-

senmedien und die Integration ethnischer Minder-

heiten in Deutschland. Band 2: Forschungsbe-

funde. Bielefeld.

Kaas, Leo, Manger, Christian (2010): ―Ethnic Dis-

crimination in Germany‘s Labour Market: A Field

Experiment.‖ IZA Discussion Paper No. 4741. Onli-

ne unter: http://ftp.iza.org/dp4741.pdf (Zugriff am

19.10.2010).

Ouilos, Miltiadis (2005): Weshalb gibt es so wenig

Journalisten mit Einwanderungshintergrund in

deutschen Massenmedien? Eine explorative Stu-

die. In: Rainer Geißler / Horst, Pöttker (Hrsg.):

Massenmedien und die Integration ethnischer Min-

derheiten in Deutschland, Problemaufriss, For-

schungsstand, Bibliographie. Bielefeld.

Pascual-Iglesias, Mercedes (2006): Migranten-

Journalisten in Deutschland - Eine explorative Un-

tersuchung über Chancen und Hindernisse im

deutschen Journalismus. Diplomarbeit am Institut

für Journalistik, Technische Universität Dortmund.

ter Wal, Jessika (Hg.) (2002): Racism and Cultural

Diversity in the Mass Media. An Overview of Re-

search and Examples of Good Practice in the EU

Member States, 1995–2000, on behalf of the Euro-

pean Monitoring Centre on Racism and Xenopho-

bia, Vienna (EUMC), Vienna, 2002. Online unter:

http://fra.europa.eu/fraWebsite/home/home_en.htm

(Zugriff am 19.10.2010).

Sun-ju Choi arbeitet als freie Drehbuchautorin und

Kuratorin und lebt in Berlin. Miltiadis Oulios arbeitet als freier Journalist für Print

und Hörfunk und lebt in Düsseldorf.

Page 131: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 126

Ana-Violeta Sacaliuc

Vielfalt zählt – Adressatenorientierte Positive Maßnahmen am Beispiel des Mentoring-Programms BERAMI

Im Zusammenhang mit dem immer öfter prognostizier-

ten Fachkräftemangel und dem demografischen Wan-

del in Deutschland, wie auch in der gesamten EU, er-

scheint ein besseres Diversity Management in Betrie-

ben und Kommunen als zukunftsfähige Alternative zur

aktuellen Migrationspolitik der EU. Der Europäische

Pakt zu Einwanderung und Asyl1 sieht die Schaffung

legaler Zuwanderungsmöglichkeiten nach Europa vor.

Dies soll den Mitgliedsstaaten ermöglichen, ihren Be-

darf an Arbeitskräften zu decken, ohne dabei ihre struk-

turelle Kapazität zur Aufnahme und Integration von

ImmigrantInnen zu überschreiten. Grundlage des Pak-

tes sind die Blue Card-Initiative sowie ein Aktionsplan

zur legalen Migration. Die Mitgliedsstaaten sollen dem-

zufolge eine mit der Wirtschaft verknüpfte Zuwande-

rungspolitik entwickeln und dadurch für hochqualifizierte

MigrantInnen attraktiver werden.

Um in die privilegierte Kategorie der (Hoch-) Qualifizier-

ten zu kommen, müssen die AdressatInnen bestimmte

Kriterien erfüllen, darunter den Nachweis eines akade-

mischen Abschlusses oder langjährige Berufserfahrung

in einem Bereich. Dabei erfüllen schon viele durch

Familienzusammenführung, Asyl oder Arbeitsmigration

im Lande lebenden (hoch)qualifizierten MigrantInnen

diese Kriterien, werden aber vom Arbeitsmarkt oft auf-

grund struktureller Diskriminierungen ausgeschlossen.

Es kann sich hierbei um institutionelle bzw. staatliche

Diskriminierungen handeln oder um Diskriminierungen,

die von Einzelpersonen und/oder sozialen Gruppen

ausgehen. Für die Gesellschaft bedeutet dies eine

Verschwendung von Humankapital (Englmann 2007:

Brain waste, Sacaliuc 2007), die durch gezielte Förde-

rung und Sensibilisierung leicht verhindert werden

kann.

Diversity Management und Integration

Diversity Management bedeutet – gemäß der Definition

der Europäischen Kommission – „zu verstehen, wie

Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Menschen

zum Wohle der Individuen, Organisationen und der

Gesellschaft als Ganzes eingesetzt werden können.―

1.http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/08/st13/st13440.en08.pdf

Der öffentliche Diskurs in Deutschland plädiert für Viel-

falt und den positiven Umgang mit dieser, ohne jedoch

den gesellschaftlichen Mehrwert zu berücksichtigen. Es

ist jedoch in der Tat notwendig, zunächst die kulturellen

Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen anzuer-

kennen und diese in der Praxis zu berücksichtigen,

auch weil Menschen in einem Umfeld der akzeptierten

kulturellen Vielfalt ihr volles Potenzial nutzen und damit

im Weiteren zur Steigerung der Kreativität und Produk-

tivität in ihrem Arbeitsumfeld wesentlich beitragen kön-

nen (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

2007).

Das Grundprinzip beim Umgang mit der Vielfalt liegt vor

allem darin, Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz zu

verbessern. Dabei spielen der Zugang zu Arbeitsplät-

zen, der berufliche Aufstieg von (hoch)qualifizierten

MigrantInnen sowie die Förderung von Chancengleich-

heit, Antidiskriminierungsmaßnahmen und der positive

Umgang mit Diversität im Integrationsprozess eine

entscheidende Rolle (vgl. Europäische Kommission

2007). In der Praxis werden auf allen sozialen Ebenen

bereits unterschiedlichste „Diversitätsstrategien― oder

„Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsstrategien―

eingesetzt.

Anti-Diskriminierung (AD) und Gleichstellung

Aus rechtlicher Sicht wird Diskriminierung gemäß § 1

AGG und § 3 AGG allgemein als Benachteiligung einer

Person oder einer Gruppe aufgrund von Geschlecht,

Alter, Behinderung, ethnischer Herkunft, „Rasse―, Reli-

gion oder Weltanschauung oder der sexuellen Identität

definiert. Die EU-rechtliche Grundlage zur Bekämpfung

von Diskriminierung aufgrund der genannten Merkmale

ist Artikel 13 des Vertrages von Amsterdam (1997). Im

Rahmen der EU stellt er die rechtliche Grundlage für

die Richtlinie 2000/43/EG, zur Anwendung des Gleich-

behandlungsgrundsatzes „ohne Unterschied der „Ras-

se― oder der ethnischen Herkunft― und für die Richtlinie

2000/78/EG zur Gleichbehandlung im Bereich „Be-

schäftigung und Beruf― dar, die bis 2003 in die nationa-

len Rechtssysteme umgesetzt werden mussten.

Deutschland hat – ungeachtet seiner langen Migrati-

onsgeschichte – erst 2006 das Allgemeine Gleichbe-

handlungsgesetz (AGG) verabschiedet, welches das

Page 132: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

127 DOSSIER Positive Maßnahmen

Problem der Diskriminierung aufgrund der ethnischen

Herkunft und der weiteren in § 1 AGG geschützten und

eben genannten Merkmale angeht. Damit wurde ein

öffentlicher Diskurs über die Notwendigkeit angestoßen,

sich die Vorteile einer ethnisch heterogenen Bevölke-

rung bewusst zu machen und diese zunehmend effektiv

zu fördern.

Gemäß dem formalen Gleichstellungsansatz der EU

liegt Diskriminierung bei einer Ungleichbehandlung in

einer vergleichbaren Situation vor. Eine „reaktive― AD-

Politik soll durch Verhinderung von rechtswidrigen Dis-

kriminierungen die Gleichbehandlung aller Individuen in

vergleichbaren Situationen gewährleisten. Sie soll zu-

dem strukturelle Barrieren, denen Minderheiten z.B. bei

der Besetzung von Stellen ausgesetzt sind, vorbeugen.

Eine Gleichstellungspolitik oder „aktive und proaktive"

AD-Politik geht dagegen über die bloße Abwehr von

Diskriminierungen hinaus und versucht, durch gezielte

Maßnahmen strukturelle Barrieren abzubauen. Solchen

„Positiven Maßnahmen― (gemäß der EU-

Rechtsterminologie „positive action―) liegt die Auffas-

sung zugrunde, dass Benachteiligte situationsabhängig

unterschiedlich behandelt werden müssen, um einen

Ausgleich für die verschiedenartigen Bedürfnisse zu

schaffen und somit wirkliche Chancengleichheit für alle

zu sichern.

Positive Maßnahmen zielen auf das Herbeiführen „tat-

sächlicher Gleichstellung― ab, das über die rein „formale

Gleichstellung― hinausgeht. Dies erscheint notwendig,

da z.B. die meisten (hoch)qualifizierten MigrantInnen

zwar formal die gleichen gesetzlichen Rechte in Bezug

auf Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung haben, sie

sind aber noch immer auf dem Arbeitsmarkt deutlich

unterrepräsentiert bzw. „nicht gleichgestellt―. Es sind

nach wie vor die Strukturen der Gesellschaft, die Indivi-

duen unterschiedliche Rechte und Pflichte zuweisen.

Der § 5 des AGG erklärt eine unterschiedliche Behand-

lung für zulässig, „wenn durch geeignete und angemes-

sene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines

genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen wer-

den sollen―. Solche Positiven Maßnahmen umfassen

beispielsweise ein gezieltes Werben um BewerberInnen

aus unterrepräsentierten Gruppen bei Stellenangebo-

ten. Der Ansatz Positiver Maßnahmen unterscheidet

sich allerdings von sog. Positiver Diskriminierung, bei

der Individuen einer unterrepräsentierten Gruppe bei

der Auswahl vor anderen ebenso (oder besser) qualifi-

zierten BewerberInnen, ohne vorherige Prüfung der

sachlichen Angemessenheit der Maßnahme, automa-

tisch bevorzugt werden. Solche Maßnahmen sind in der

EU nicht rechtmäßig.

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Positive Maßnahme

wäre, auf die Gruppe der (hoch)qualifizierten MigrantIn-

nen zugeschnittene Maßnahmen für ihre Integration in

den Arbeitsmarkt zu entwickeln. Damit würde eine

soziale Gruppe unterschiedlich behandelt, um ihrem

Integrationsbedarf und ihren spezifischen Bedürfnissen

entgegen zu kommen und eine reale Chancengleichheit

auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Zielgruppen- und adressatenorientierte

Positive Maßnahmen

Erkennt man die Heterogenität der MigrantInnen und

ihrer verschiedenen Bedürfnisse an, ist es im Rahmen

der gegenwärtigen Intergrationspolitik nicht mehr mög-

lich, über MigrantInnen als Gruppen mit einheitlichem

Integrationsbedarf zu sprechen. Allein die Problematik

der qualifizierten MigrantInnen ist sehr komplex und

nicht pauschalisierbar. Beispielsweise gibt es unter-

schiedliche Ausgangssituationen in Bezug auf den Grad

der Aneignung deutscher bzw. fachbezogener Sprach-

kenntnisse oder die Anerkennung ausländischer Ab-

schlüsse. Integration in den Arbeitsmarkt hängt aber

auch von der Transferierbarkeit der im Herkunftsland

erworbenen Qualifikationen und den von Bourdieu

(1983) als „Kapitalformen― bezeichneten Kenntnissen

und Vorgehensweisen ab: Neben dem institutionalisier-

ten Kapital (Diplome und Zertifikate) muss auch das

inkorporierte kulturelle Kapital (Denk- und Handlungs-

schemata, Sprache, Werteorientierung, Kommunikati-

on- und Sozialkompetenzen) in die lokale Arbeitsmarkt-

kultur integriert, das heißt seitens der ArbeitgenerInnen

anerkannt und akzeptiert werden.

Nicht zuletzt spielen in dieser Frage Aspekte der Sozial-

und Arbeitsmarktpolitik für die Erkennung und Bekämp-

fung von strukturellen Barrieren eine wesentliche Rolle.

In Deutschland stellt sich die Politik erst seit wenigen

Jahren der Tatsache, dass Integrationsdefizite auch auf

Mängel der Rahmenbedingungen zurückzuführen sind.

So hat sich z.B. der allgemeine Integrationskurs, den

die Verordnung über die Durchführung von Integrati-

onskursen für Ausländer und Spätaussiedler von 2005

festschreibt, schnell als positive, für die Arbeitsmarktin-

tegration dieser Gruppe aber nicht ausreichende Maß-

nahme erwiesen. Prompt kam seitens der Praxis und

der Wissenschaft die Aufforderung zur Durchführung

von zielgruppenorientierten Maßnahmen wie Brücken-

Page 133: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 128

maßnahmen sowie Anpassungs- und Nachqualifizie-

rungsangeboten für qualifizierte MigrantInnen.

Längst sind ForscherInnen, MigrationsberaterInnen und

BildungsträgerInnen zu der Erkenntnis gelangt, dass

bedarfsgerechte und zielgruppenorientierte Maßnah-

men für die Integration von (hoch)qualifizierten Migran-

tInnen notwendig und erfolgversprechend sind (Dimpl

2010). Bildungsträger waren nämlich in ihrer Bera-

tungspraxis nicht selten mit der widersprüchlichen Situ-

ation konfrontiert, qualifizierte MigrantInnen in unpas-

sende Kurse eingliedern zu müssen, weil sie formell als

nicht qualifiziert eingestuft wurden oder weil von ver-

schiedenen Behörden auf die Spezifizität der Situation

von qualifizierten MigrantInnen nicht richtig eingegan-

gen wurde.

Für qualifizierte MigrantInnen bedeutet das konkret,

dass viele in inadäquaten, meist untergeordneten Sta-

tuspositionen in der Arbeitswelt zu finden sind. Manche

schaffen es mit der Zeit, diesem Status zu entkommen,

viele bleiben jedoch in einer Dequalifizierungsspirale

(Frings 2005: 84) gefangen. Aus diesem Zustand her-

aus können viele Betroffene ihre rasch veralternden

Fachkenntnisse in den erlernten Berufen, trotz eventuell

inzwischen erworbener formaler Anerkennung der ur-

sprünglichen Qualifikation, oft nicht mehr auf den neu-

esten Stand bringen. Die Entwertung der eigenen Qua-

lifikation wird als Beschädigung der Identität und als

Quelle von Minderwertigkeitsgefühlen erlebt. Diese

Erkenntnis hat dazu geführt, dass der Fokus von Maß-

nahmen sich mittlerweile stärker auf die individuellen

Erfahrungen, Interessen und Möglichkeiten von teil-

nehmenden MigrantInnen (Adressatenorientierung),

also auf ihre Diversität richtet (Dimpl 2010).

Beispiele adressatenorientierter Maßnahmen

aus Frankfurt

Das Frauenreferat der Stadt Frankfurt am Main initiierte

im Jahre 2005 das bis heute deutschlandweit einmalige

Projekt Einsteigen, Umsteigen, Aufsteigen. Mentoring

für Migrantinnen in Frankfurt am Main. Es ist ein Ange-

bot von persönlichen Vorkehrungsmaßnahmen, in dem

versucht wird, persönliche Leistungen mit Gruppen-

überlegungen zu kombinieren, um dem oben geschil-

derten Missstand entgegen zu wirken. Die Maßnahme

ist eine zeitlich befristete Einzelfallbegleitung qualifizier-

ter Migrantinnen durch eine/n MentorIn, die/der densel-

ben Beruf wie die jeweilige Mentee ausübt. Die inzwi-

schen anerkannten Erfolge des Projekts haben zu en-

gen Kooperationen mit verschiedenen AkteurInnen der

Wirtschaft, Zivilgesellschaft und öffentlichen Verwal-

tung, z.B. mit der Abteilung Corporate Social

Responsibility (CSR) der Deutschen Bank, Fraport oder

der Hertie-Stiftung, geführt.

Das Projekt wird von beramí berufliche Integration e.V.

durchgeführt. Es wird angestrebt, die Teilnehmerinnen

durch Kenntnisse über die deutsche Unternehmenskul-

tur sowie die Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls und

Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten zu unterstützen,

damit sie in qualifikationsadäquate Beschäftigungsver-

hältnisse gelangen. Zu den Zielen des Projekts gehört

also die adäquate Integration in den Arbeitsmarkt über

das Mentoring-Instrument, aber auch die Vernetzung

der Teilnehmerinnen mit AkteurInnen aus dem Feld ih-

rer Qualifikation sowie die Vermittlung von Wissen und

Kenntnissen, z.B. der deutschen Sprache oder von Prä-

sentationstechniken. Die Laufzeit der Mentoring-Bez-

iehung beträgt ein Jahr. Sowohl für die MentorInnen als

auch für die Mentees finden spezielle Trainings statt.

Die MentorInnen sind Frauen und Männer (mit und

ohne Migrationshintergrund) aus allen beruflichen

Branchen, die über langjährige Berufserfahrung verfü-

gen und bereit sind, ihr berufliches Know-how und

Netzwerk in die Mentoring-Beziehung mit einzubringen.

Sie sind dafür aufgeschlossen, Migrantinnen bei der

Verbesserung ihrer beruflichen Situation zu unterstüt-

zen. Im Jahre 2008 wurde das Projekt mit dem Preis

„Ort der Ideen― ausgezeichnet.

Summative (ergebnisorientierte) Evaluation

des Projekts von 2005-2009

Der Jahresbericht 2009 zeigt die erreichten Erfolge. An

den vier Gruppen aus den Jahren 2005 bis 2009 nah-

men insgesamt 62 Tandems teil. Folgende Daten über

die MentorInnen und Mentees sowie deren Erfolgsquo-

te geben einen Eindruck von dem Projekt:

MentorInnen

Von den 62 MentorInnen besaßen 18 einen Migrations-

hintergrund und drei waren Männer.

Die Branchen der MentorInnen bzw. Mentees waren:

- die freie Wirtschaft (Bank, Wirtschaftsunter-

nehmen),

- Naturwissenschaft und Technik,

- Selbständige (Rechtsanwältin, Beraterin),

- Geisteswissenschaften (Journalistin, Dozentin),

- der sozialer Bereich,

- Behörde, Amt.

Page 134: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

129 DOSSIER Positive Maßnahmen

Mentees

Die 62 Mentees waren Frauen aus 32 Herkunftsländern

im Alter zwischen 20 und 50 Jahren, davon 50 Prozent

30 bis 40-Jährige.

Die Mentees hatten folgende Bildungsabschlüsse:

- 49 besaßen eine Hochschulabschluss,

- 9 besaßen ein Abitur,

- 4 besaßen einen mittleren Bildungsabschluss.

Erfolgsquote

- 83 Prozent der Mentees haben ihre beruflichen

Ziele erreicht,

- 50 Prozent der Arbeitssuchenden haben eine

Qualifikationsleistung Arbeit gefunden,

- 14 Prozent haben den Prozess abgebrochen.

Formative (prozessorientierte) Evaluation

Eine Analyse von narrativ-biographischen Interviews

mit Mentees, im Jahre 2007 durchgeführt im Rahmen

der wissenschaftlichen Evaluation des Projektes, hat

vor allem auf positiv erlebte Steigerungsprozesse hin-

gewiesen. Dies brachte beipielsweise eine Mentee so

zum Ausdruck: „Jetzt weiß ich wieder, dass ich mehr

kann als nur schlechtes Deutsch…―. Unter den vielen

Bereichen, in denen sich die Mentees sowohl psychisch

als auch sozial bestärkt fühlten, wurden vor allem die

Anerkennung als qualifizierte Individuen, die erfahrene

Legitimität ihrer Wünsche nach einer adäquaten Arbeit,

die Anerkennung als gleichberechtigte Frauen sowie

die Überwindung des Traumas des sozialen Abstiegs

genannt. Die „face to face―-Arbeitsstruktur zwischen

MentorIn und Mentee, die durch das Mentoring-Projekt

ermöglicht wurde, ließ die MentorInnen oft zu Identifika-

tionspersonen für die Mentees werden. Die Treffen der

Teilnehmerinnen ermöglichten Gruppenbildung, Kom-

munikation, Solidarität und gegenseitige Unterstützung.

Dies und der Zugang zu wertvollen fachspezifischen

und sozialen Netzwerken leistete einen wesentlichen

Beitrag zur Anpassung des einsozialisierten kulturellen

Kapitals und führte somit zu Integrationserfolgen.

Mentoring als Instrument für die Integration von

(hoch)qualifizierten Migrantinnen hat sich als Positive

Maßnahme erfolgreich erwiesen, auch weil es nicht nur

eine zielgruppen- sondern gleichermaßen eine

adressatenorientierte Positive Maßnahme ist. Auf insti-

tutioneller Ebene trägt die Maßnahme auch zur gesell-

schaftlichen Entwicklung unter dem Aspekt von

Diversity bei, weil die Sensibilisierung der Öffentlichkeit

für die Problematik der qualifizierten MigrantInnen zu

den Hauptzielen des Projektes zählt. Dies erfolgt z.B.

durch die ansteckende Kraft guter Beispiele in Unter-

nehmen, wo Mentees ihre Praktika absolvieren oder in

denen MentorInnen gewonnen werden. Jedoch muss

die Frage, ob Mentoring die Lösung für alle Probleme

dieser Gruppe sein kann, negativ beantwortet werden,

eben weil es keine allgemeine zielgruppen- sondern

eine adressatenorientierte Maßnahme ist. Dementspre-

chend ist der Erfolg sehr von der Persönlichkeit der

TeilnehmerInnen in dem jeweiligen konkreten Kontext

abhängig.

Mentoring in der in Frankfurt eingesetzten Form ist aus

dem Kontext der Frauenförderung entstanden und

kommt dementsprechend den psychosozialen Bedürf-

nissen der qualifizierten Migrantinnen entgegen. Die

Integrationspraxis von Frauen und Männern deutet aber

auch darauf hin, dass zudem Positive Maßnahmen, die

an den psychosozialen Bedürfnissen der Männer mit

Migrationshintergrund adäquat orientiert sind, für eine

reale Gleichbehandlung von Menschen mit Migrations-

hintergrund unerlässlich sind. Jungen- und Männerför-

derung ist ein Aspekt, der lange vernachlässigt, in der

letzten Zeit aber immer mehr thematisiert wird. Es be-

darf paradoxerweise der Separierung, um das Ziel der

Gendergleichstellung nicht aus dem Auge zu verlieren.

Während die Sensibilität für die Genderthematik mitt-

lerweile in allen Kreisen der Gesellschaft angekommen

ist, wird die Thematik der Zugehörigkeit und Teilhabe

von Menschen mit Migrationshintergrund – Frauen und

Männern – immer noch als Besonderheit behandelt.

Fazit: Vielfalt soll nicht nur wahrgenommen, sondern

auch akzeptiert werden, um entsprechende Positive

Maßnahmen weiter zu entwickeln und sie zum Wohle

der einzelnen Individuen und der Gesellschaft in die

Praxis umzusetzen.

Literatur

Bourdieu, Pierre (1983): „Ökonomisches Kapital,

kulturelles Kapital, soziales Kapital.― In Reinhard

Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten (Soziale

Welt, Sonderband 2). Göttingen: Schwartz. 183-

198.

Dimpl, Ulrike, Monika Bethscheider, Udo Ohm,

Vogt Wolfgang (2010): Weiterbildungsbegleitende

Hilfen als zentraler Bestandteil

Page 135: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

DOSSIER Positive Maßnahmen 130

adressatenorientierter beruflicher Weiterbildung.

Zur Relevanz von Deutsch als Zweitsprache und

Bildungssprache in der beruflichen Weiterbildung,

Positionspapier, Amt für multikulturelle Angelegen-

heiten der Stadt Frankfurt am Main.

Europäische Kommission (2007): Dritter Jahresbe-

richt über Migration und Integration KOM(2007)512.

Online unter: http://eur-

lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:

2007:0512:FIN:DE:PDF (Zugriff am 02.12.2010).

Frings, Dorothee (2005): Arbeitsmarktreformen und

Zuwanderungsrecht - Auswirkungen für Migrantin-

nen und Migranten. Migration und Arbeit Rhein-

Main (M.A.R.E.). Online unter: http://www.ggua-

projekt.de/fileadmin/downloads/arbeitsmarkt/Frings-

Expertise.pdf (Zugriff am 02.12.2010).

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der

Bundesagentur für Arbeit (2007): IAB-Kurzbericht

12.

Sacaliuc, Ana-Violeta (2008): „Mentoring: Integrati-

onsinstrument für qualifizierte Migrantinnen.― In:

Uwe Hunger, Can M. Aybek, Andreas Ette und Ines

Michalowski (Hg.): Migrations- und Integrationspro-

zesse in Europa, Vergemeinschaftung oder natio-

nalstaatliche Lösungswege? Wiesbaden: VS-

Verlag. 253-264.

Ana Violeta Sacaliuc hat Soziologie und Politikwissen-

schaften in Rumänien studiert und ihren Master of Eu-ropean Studies in Bonn absolviert. Sie hat Erfahrung im Menschenrechtsschutz und in der Forschung zu The-men wie Migration, Integration und Gender.

Page 136: Positive Maßnahmen - Heimatkunde · Inhalt Vorwort 1 Über das Dossier 2 Grundlagen & Ziele 3 SIBYLLE RAASCH 4 Positive Maßnahmen – Eine Einführung SUSANNE BAER 11 Chancen und

MID-DOSSIERS Die MID-Dossiers erscheinen als Online-Dossiers, zu finden unter

http://www.migration-boell.de/web/sonstige/747.htm

Die mit * gekennzeichneten Dossiers können auch als pdf heruntergeladen werden.

MIGRATION

DOSSIER Mobility and Inclusion – Managing Labour Migration in Europe

DOSSIER Border Politics - Migration in the Mediterranean *

DOSSIER Migration & Entwicklung*

DOSSIER European Governance of Migration*

DOSSIER Leben in der Illegalität *

DOSSIER Europa 2007: Chancengleichheit für alle!

INTEGRATION

DOSSIER Bis in die dritte Generation? Lebensrealitäten junger Migrantinnen*

DOSSIER Herkunft als Schicksal? Hürdenlauf zur Inklusion

DOSSIER Migration & Gesundheit *

DOSSIER Migrationsliteratur - Eine neue deutsche Literatur?*

DOSSIER Starke Jugend - Lebenswelten junger MigrantInnen

DOSSIER Religiöse Vielfalt & Integration *

DOSSIER Schule mit Migrationshintergrund*

DOSSIER Der Nationale Integrationsplan auf dem Prüfstand

DOSSIER Muslimische Vielfalt in Deutschland

DOSSIER Wirtschaftliche Potenziale von Migration & Integration

DOSSIER HipHop zwischen Mainstream und Jugendprotest

DOSSIER Multikulturalismus: Vision oder Illusion?

DOSSIER Fußball & Integration *

DIVERSITY

DOSSIER Positive Maßnahmen – Von Antidiskriminierung zu Diversity

DOSSIER Rassismus & Diskriminierung in Deutschland

DOSSIER Ethnic Monitoring - Datenerhebung über oder mit Minderheiten?*

DOSSIER Politics of Diversity *

DOSSIER Medien und Diversity*

DOSSIER Managing Diversity - Alle Chancen genutzt?

DOSSIER Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz

DOSSIER Schwarze Community in Deutschland

Stand November 2010