Pretziener Wehr - Nachhaltiger Stahlbau im Bestand dank angepasstem und neuem Korrosionsschutz

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205 Stahlbau 83 (2014), Heft 3 DOI: 10.1002/stab.201420150 Berichte Seit über 135 Jahren besteht südlich von Pretzien an der Elbe das größte Schützentafel- wehr Europas als wirksamste Hochwasserschutzeinrichtung Mitteldeutschlands; es re- gelt den Zulauf zu einem rd. 25 km langen Umflutkanal vorbei an den Städten Magdeburg und Schönebeck sowie bei Niedrigwasser für die Schiffbarkeit der Elbe. Das Wehr be- steht noch fast unverändert, doch mussten in den letzten Jahren vor allem Stahlbauteile wegen Werkstoffalterung und Korrosion behandelt oder auch denkmalschutzgerecht ausgetauscht werden. Das Pretziener Wehr Nach einem katastrophalen Hoch- wasser baute man südlich der Ort- schaft Pretzien ein Wehr (1871–1875) für die Zulaufregelung zu einem etwa 25 km langen Umflutkanal, der im zum 64. Mal seit über 135 Jahren zum Hochwasserschutz der beiden Elb- städte geöffnet wurde (Bild 2). Das Pretziener Wehr besteht aus neun je 12,50 m breiten Wehröffnun- gen, die durch die Widerlager und Pfeiler gebildet werden; die Gesamt- breite des Wehrs betragt etwa 170 m (Bilder 3 und 4). Zwei Winden wer- den auf Gleisen von Joch zu Joch ge- schoben und die Schützentafeln mit- tels Drahtseilen einzeln hochgezogen. Ursprünglich wurden alle Winden von Hand betätigt, heute unterstützen Elektromotore die schwere noch im- mer fünf Stunden dauernde Arbeit. Pretziener Wehr – Nachhaltiger Stahlbau im Bestand dank angepasstem und neuem Korrosionsschutz Gunther Brux Hochwasserfall etwa ein Drittel des Elbwassers an den Städten Magde- burg und Schönebeck vorbei leitet (Bild 1). Dies ist eines der wirkungs- vollsten Hochwasserschutzeinrich- tungen Deutschlands; das zeigte sich wieder am 3. Juni 2013, als das Wehr Bild 1. Anordnung des Pretziener Wehrs an der Elbe mit Umflutkanal und dem Leitpegel Barby Bild 2. Das bei Hochwasser geöffnete Pretziener Wehr mit Umleitung eines Teil des Elbwassers durch den Umflutkanal an Schönebeck und Magdeburg vorbei

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205Stahlbau 83 (2014), Heft 3

DOI: 10.1002/stab.201420150

Berichte

Seit über 135 Jahren besteht südlich von Pretzien an der Elbe das größte Schützentafel-wehr Europas als wirksamste Hochwasserschutzeinrichtung Mitteldeutschlands; es re-gelt den Zulauf zu einem rd. 25 km langen Umflutkanal vorbei an den Städten Magdeburg und Schönebeck sowie bei Niedrigwasser für die Schiffbarkeit der Elbe. Das Wehr be-steht noch fast unverändert, doch mussten in den letzten Jahren vor allem Stahlbauteile wegen Werkstoffalterung und Korrosion behandelt oder auch denkmalschutzgerecht ausgetauscht werden.

Das Pretziener Wehr

Nach einem katastrophalen Hoch-wasser baute man südlich der Ort-schaft Pretzien ein Wehr (1871–1875) für die Zulaufregelung zu einem etwa 25 km langen Umflutkanal, der im

zum 64. Mal seit über 135 Jahren zum Hochwasserschutz der beiden Elb-städte geöffnet wurde (Bild 2).

Das Pretziener Wehr besteht aus neun je 12,50 m breiten Wehröffnun-gen, die durch die Widerlager und Pfeiler gebildet werden; die Gesamt-breite des Wehrs betragt etwa 170 m (Bilder 3 und 4). Zwei Winden wer-den auf Gleisen von Joch zu Joch ge-schoben und die Schützentafeln mit-tels Drahtseilen einzeln hochgezogen. Ursprünglich wurden alle Winden von Hand betätigt, heute unterstützen Elektromotore die schwere noch im-mer fünf Stunden dauernde Arbeit.

Pretziener Wehr – Nachhaltiger Stahlbau im Bestand dank angepasstem und neuem KorrosionsschutzGunther Brux

Hochwasserfall etwa ein Drittel des Elbwassers an den Städten Magde-burg und Schöne beck vorbei leitet (Bild 1). Dies ist eines der wirkungs-vollsten Hochwasserschutzeinrich-tungen Deutschlands; das zeigte sich wieder am 3. Juni 2013, als das Wehr

Bild 1. Anordnung des Pretziener Wehrs an der Elbe mit Umflutkanal und dem Leitpegel Barby

Bild 2. Das bei Hochwasser geöffnete Pretziener Wehr mit Umleitung eines Teil des Elbwassers durch den Umflutkanal an Schönebeck und Magdeburg vorbei

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Bild 4. Das Wehr mit neun 12,50 m breiten Wehröffnungen

Aufgaben des Pretziener Wehrs

Bei Niedrigwasser verhindert das Wehr, dass Wasser in den östlich der Elbe in einem Altarm angelegten Um-flutkanal abfließt und sorgt für eine Erhöhung des Wasserspiegels für die Schifffahrt auf der Elbe. Bei erhöhtem Mittelwasser schützt das Wehr auch das landwirtschaftlich genutzte Um-flutgelände vor Überflutung.

Bei Hochwasser wird das Wehr beim Wasserstand der Elbe von 5,50 m am Leitpegel Barby geöffnet und da-durch etwa ein Drittel des Wassers (über 1500 m3/s) in den Umlaufkanal abgeleitet und fließt hinter Magdeburg wieder in die Elbe. Dazu wird der kri-tische Höchststand des Wasserpegels bereits fünf Tage im Voraus mit einem rechnergestützten Modell bestimmt. Nach dem Abfließen der Wassermas-sen und Erreichen eines Wasserstan-des von 4,50 m am Wehroberpegel, was einem Wasserstand von 5,25 m

am Leitpegel Barby entspricht, wird das Wehr wieder geschlossen.

Instandsetzungs- und Anpassungs-arbeiten

Trotz Alters besteht dieses größte Schützentafelwehr Europas fast un-verändert und erfüllt zuverlässig seine Aufgabe. Nach Untergrundverpres-sungen wegen starker Unterläufigkeit im Jahr 1960 wurde 30 Jahre später der Korrosionsschutz der Stahlbau-teile der Wehrbrücke sowie die Stahl-seile und Ketten zur Wehrbetätigung erneuert und 2009 weiterer Sanie-rungsbedarf festgestellt.

Korrosionsschutz

Immerhin hat die alte Stahlkonstruk-tion des Wehrs über 135 Jahre gehal-ten und in der gesamten Lebensdauer ihre Aufgabe zuverlässig erfüllt. Der historische, hinsichtlich der Korro-sion vergleichsweise gutmütige Pud-delstahl und die Verwendung von Bleimennige als Grundierung – auch in den zahlreichen Fügespalten – ha-ben dazu beigetragen. Zehn Jahre nach der letzten Vollerneuerung des Korrosionsschutzes (C2 nach EN ISO 12944-2) wurden im Jahr 2010 we-sentliche Teile der Stahlkonstruktion nicht aus Korrosionsfolgen, sondern wegen Alterung und Versprödung der Bauteile ausgetauscht.

Im Folgenden einige Korrosions-schutzarbeiten am Wehr (Bild 5):

– Die korrosiv geringer beanspruch-ten stählernen Wehrbrücken sind mit einem vierschichtigen System von insgesamt 290 µm Schicht-dicke versehen und die Deckbe-schichtung im Eisenglimmerfarb-ton DB 601 aus geführt.

– Bei der Erneuerung der Wehrbrü-cken sind die vorgestrahlten Ble-chen aus S235 vor dem Vernieten mit EP-Zinkstaub grundiert und die zahlreichen Fügespalten zusätz-lich abgedichtet worden.

– Die fein gegliederte Oberfläche der Nietkonstruktion mit insgesamt fast 100000 Nietköpfen erforderte ne-ben einem zusätzlichen Kanten-schutz mit EP-Zinkphosphat be-sondere Sorgfalt bei den Korro-sionsschutzarbeiten.

– Die feingliedrige und bei der Betä-tigung hohen mechanischen Belas-tungen ausgesetzte Verschlussein-richtung des Wehrs ist mit einem Mehrschichtsystem mit 630 µm Gesamtschichtdicke versehen und mit Eisenglimmerbeschichtung ab-gedeckt. Wegen der hohen Korro-sionsbelastung sind diese Bauteile voll verschweißt ausgeführt – denk-malschutzgerecht mit Nietkopf-nachbildungen.

– Die zur Ergänzung des historischen Wehres zeitgemäß aus Edelstahl oder verzinktem Stahl hergestellten Bauteile sind ebenfalls im Farbton DB 601 beschichtet, und zwar die Edelstahlteile nach einem Anstrah-len mit einem zweischichtigen Sys-tem mit PUR-Eisenglimmer mit 160 µm Schichtdicke und die ver-zinkten Bauteile (Lichtmaste) mit einer zusätzlichen Beschichtung mit dann 210 µm Gesamtschichtdicke.

Zusammen mit den Unterbauten aus Naturstein und dem Wehrbrückenbe-lag aus afrikanischem Bongossiholz ergibt die sorgfältig beschichtete Stahl-konstruktion einen nachhaltigen Stahl-bau im Bestand. Den Korrosionsschutz der Stahlkonstruktion des Pretziener Wehrs führte die ilako GmbH, Aken/Elbe, in Zusammenarbeit mit der Sika (Deutschland) GmbH, Stuttgart, durch – einschließlich der umfangreichen Fu-genspaltenabdichtungen und Maßnah-men zum Kantenschutz.

Autor dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Gunther BruxSchreyerstraße 13, 60596 Frankfurt/Main

Bild 3. Eisbildung bei Vollstau bedeutet höchste Belastung für die Wehrkonstruk-tion

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Bild 5. Beschichtungssysteme für Stahlwasserbauteile des Pretziener Wehrs (Quelle: BACH+ BACH Ingenieure, Planer, Pretzien)