Privatrecht I 5. Januar 2016 - UZHffffffff-ee3e-3f58-ffff... · 2016. 11. 3. · Prof. Dr. Claire...

31
Prof. Dr. Claire Huguenin Herbstsemester 2015 Privatrecht I 5. Januar 2016 Dauer: 180 Minuten Kontrollieren Sie bitte sowohl bei Erhalt als auch bei Abgabe der Prüfung die Anzahl der Aufgabenblätter. Die Prüfung umfasst sechs Seiten, zwei Fälle und sechs Fragen. Hinzu kommen Beilagen im Umfang von vier Seiten. Hinweise zur Bewertung Bei der Bewertung kommen den Fällen unterschiedliche Gewichte zu. Die Punkte verteilen sich wie folgt auf die zwei Fälle: Fall 1 ca. 60 % Fall 2 ca. 40 % Total 100% Wir wünschen Ihnen viel Erfolg!

Transcript of Privatrecht I 5. Januar 2016 - UZHffffffff-ee3e-3f58-ffff... · 2016. 11. 3. · Prof. Dr. Claire...

  • Prof. Dr. Claire Huguenin Herbstsemester 2015

    Privatrecht I

    5. Januar 2016

    Dauer: 180 Minuten

    Kontrollieren Sie bitte sowohl bei Erhalt als auch bei Abgabe der Prüfung die Anzahl der Aufgabenblätter. Die Prüfung umfasst sechs Seiten, zwei Fälle und sechs Fragen. Hinzu

    kommen Beilagen im Umfang von vier Seiten.

    Hinweise zur Bewertung

    Bei der Bewertung kommen den Fällen unterschiedliche Gewichte zu. Die Punkte verteilen sich wie folgt auf die zwei Fälle:

    Fall 1 ca. 60 %

    Fall 2 ca. 40 %

    Total 100%

    Wir wünschen Ihnen viel Erfolg!

  • 2

    Fall 1: Die missglückte Fahrradtour

    Die 26-jährige HSG1-Absolventin Beatrice (B) arbeitet seit Kurzem als Substitutin bei einer

    renommierten Wirtschaftskanzlei im neuen Trendquartier Zürich-West. Sie wohnt noch in St.

    Gallen, erwägt aber, um Zeit zu sparen, nach Zürich zu ziehen. In der NZZ am Sonntag vom

    8. März 2015 sieht sie ein Inserat für eine Zweizimmerwohnung am Rennweg. Von einer

    Wohnung im Herzen der Stadt Zürich hat sie schon immer geträumt. Sie kontaktiert darum

    unverzüglich die angegebene Immobilienverwaltung und meldet sich für den

    Besichtigungstermin an.

    Am 16. März 2015 kann B die Wohnung besichtigen. Sie ist begeistert: Die

    Zweizimmerwohnung entspricht genau ihren Vorstellungen: klein, charmant und an bester

    Lage. Da die Wohnung nicht weit von ihrem neuen Arbeitsplatz entfernt liegt, überlegt sie

    sich, ob sie sich nicht für die Dauer ihres Praktikums ein City-E-Bike mieten will.

    B sucht deshalb am darauffolgenden Tag das Tsüri-City-Bike Geschäft auf. Nach mehreren

    Testfahrten entscheidet sie sich schliesslich für ein pinkfarbenes „Lifestyle E-Bike“ der

    Marke Akku-Rad. Über dieses schliesst sie alsdann mit dem Ladeninhaber Peter (P) einen

    einjährigen Mietvertrag ab. In diesem Vertrag findet sich die folgende Klausel: „Beatrice will

    das Lifestyle E-Bike nur mieten, wenn sie die Zweizimmerwohnung am Rennweg in Zürich

    bekommt.“

    Variante 1

    B erhält eine Absage für die Zweizimmerwohnung am Rennweg. Nun möchte sie ihre

    geleistete Anzahlung von 300 Schweizer Franken an P gerne zurückhaben.

    Frage 1: Wie qualifizieren Sie die Klausel im Mietvertrag und welche Auswirkung hat sie

    vorliegend auf die Wirksamkeit des Vertrages?

    Frage 2: Kann B die Anzahlung von 300 Schweizer Franken von P zurückverlangen?

    1 Universität St. Gallen – Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie internationale

    Beziehungen.

  • 3

    Variante 2

    B erhält eine Zusage für die Wohnung am Rennweg. Am 2. April 2015 zieht sie ein. Noch am

    selben Abend geht sie bei P vorbei und holt das „Lifestyle E-Bike“ ab. Daraufhin schickt ihr P

    am nächsten Tag eine Rechnung für den verbleibenden Jahresmietzins in Höhe von 900

    Schweizer Franken. B bezahlt die Rechnung umgehend.

    Einen Monat später, am Wochenende des 1. Mai 2015, unternimmt B mit ihrem

    Arbeitskollegen Daniel (D) eine längere Fahrradtour. Auf der ersten Etappe geht es nach

    Konstanz. Die zweite Etappe führt die Beiden um den Bodensee bis nach Friedrichshafen, von

    wo aus sie mit der Fähre nach Romanshorn und anschliessend mit dem Zug zurück nach

    Zürich fahren. D, der mit seinem klobigen Militärfahrrad an seine sportlichen Grenzen stösst,

    ist beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der B die Fahrradtour meistert. Nach seiner

    Rückkehr will er sich deshalb bei P über ein ähnliches E-Bike erkundigen.

    Als P ein paar Tage später erfährt, dass B mit ihrem gemieteten Lifestyle E-Bike nach

    Deutschland fuhr, ist er empört. Er fordert sie auf, ihm die vereinbarte Strafe von 500

    Schweizer Franken zu bezahlen. Er verweist dabei auf die allgemeinen

    Geschäftsbedingungen, welche gut lesbar auf der Rückseite der Rechnung vom 3. April 2015

    abgedruckt sind. In Ziff. 2 und 8 sind folgende Bestimmungen festgehalten:

    Ziff. 2: Nutzungsvorschriften und Kundenhaftung 1

    Die Tsüri-City E-Bikes dürfen nicht benutzt werden:

    a) von Personen, die jünger als 16 Jahre sind (ausser in Begleitung von

    Erwachsenen),

    b) für Fahrten ausserhalb der Schweiz, sofern die Tsüri-City nicht zuvor

    schriftlich ihre Zustimmung erteilt,

    c) für die Teilnahme an Fahrradrennen,

    d) zur Weitervermietung. 2 Der Kunde ist verpflichtet, die Regeln des SVG zu beachten.

    Ziff. 8: Strafzahlung

    Verletzt eine Partei ihre vertraglichen Pflichten nach Ziff. 2 Abs. 1 der

    allgemeinen Geschäftsbedingungen, so hat sie der anderen Partei für jede einzelne

    Verletzungshandlung eine Strafe von 500 Schweizer Franken zu bezahlen. Die

    Bezahlung der Konventionalstrafe entbindet nicht von der weiteren Einhaltung

    des Vertrages.

  • 4

    Frage 3: Wie ist die Rechtslage?

    Frage 4: Wie ist die Rechtslage, wenn der Vertrag vom 17. März 2015 auf die allgemeinen

    Geschäftsbedingungen verweist und B diese vor der Unterzeichnung aufmerksam

    gelesen hat? (Allfällige Ansprüche aus dem Bundesgesetz gegen den unlauteren

    Wettbewerb (UWG) sind nicht zu prüfen.)

  • 5

    Fall 2: Das explosive Volksfest

    Alle drei Jahre feiert die Gemeinde Wangen-Brüttisellen die Sonnenwende mit einem

    „explosiven“ Volksfest. Zwei Vereine – der Roggenfluh-Club und der Hagelspecht-Club (H-

    Club) – wetteifern mit einem Kunstfeuerwerk um die Gunst des Publikums. Der H-Club, der

    die letzten drei Duelle zwischen den Vereinen verlor, möchte den informellen Wettbewerb

    dieses Jahr unbedingt gewinnen.

    Gegen einen Eintrittspreis von 10 Schweizer Franken erhält der Zuschauer Zutritt zum

    Festgelände des H-Clubs. Neben diversen Verköstigungsständen wird ihm eine hervorragende

    Aussicht auf das geplante Feuerwerk geboten: Dieses wird auf einer kleinen Erhebung

    unmittelbar neben dem Festgelände aufgebaut und gezündet.

    Ueli Guggenhaus (G) ist Vorstandsmitglied des H-Clubs. Als solches ist er zuständig für die

    die Sicherheit rund um das Feuerwerk. G ist Inhaber des offiziellen eidgenössischen

    Ausweises für Grossfeuerwerke (FWB). Dies berechtigt ihn, grössere Feuerwerke nach den

    anerkannten Regeln der Technik selbständig zu planen und abzubrennen. Unter seiner Leitung

    werden in den Tagen vor dem Fest sämtliche Abschussanlagen und Feuerwerkskörper auf der

    Erhebung errichtet bzw. aufgebaut und befestigt. Die Entfernung zwischen dem Festgelände

    und den Abschussanlagen beträgt 70 Meter.

    Mit der Abenddämmerung beginnt sich das Festgelände zu füllen. G überprüft ein letztes Mal

    sowohl das Gelände als auch die einzelnen Abschussanlagen. Um 22 Uhr beginnt schliesslich

    das Feuerwerk. In der Mitte des rund 20-minütigen Feuerwerks zündet G in regelmässigen

    Abständen hunderte von Raketen. Zunächst verläuft alles wie geplant. Plötzlich wird aber

    eine Rakete infolge einer Fehlfunktion in Richtung des Publikums weggeschleudert. Das

    Geschoss explodiert unmittelbar vor der arglos neben dem Bratwurststand wartenden

    Studentin Dorabella Stabile (S). Dabei wird ihr rechtes Auge so schwer verletzt, dass es später

    im Spital entfernt werden muss. Durch den heftigen Knall erleidet sie ausserdem rechts einen

    bleibenden Gehörsverlust.

    Eine zweite fehlgeleitete Rakete schlägt in die zwischen dem Festgelände und dem

    Abschussgelände befindliche Heuscheune des Bauern Ingo Kuhmann (K) ein. Diese brennt

    daraufhin bis auf die Grundmauern nieder. Leider greifen die Flammen von der lichterloh

    brennenden alten Scheune auf eine 80-jährige Eiche über. Der von Bauer K seit Jahren

    liebevoll gehegte und gepflegte Baum muss als Folge des Brandes später leider entfernt

    werden.

  • 6

    Vier Wochen nach dem tragischen Ereignis findet im Vereinslokal des H-Clubs eine

    Mitgliederversammlung statt. Es nehmen alle 32 Mitglieder teil. Nach heftigen Diskussionen

    beantragt Vereinsmitglied X, G als Vorstandsmitglied abzusetzen und als Vereinsmitglied

    auszuschliessen. Eine knappe Mehrheit der Mitglieder stimmt den beiden Anträgen zu. G

    verreist am Tag nach der Vereinsversammlung wie geplant für drei Wochen nach Ankor Wat,

    Kambodscha. Am ersten Tag nach seiner Rückkehr sucht er Sie auf, um zu fragen, ob er sich

    rechtlich gegen den Beschluss wehren kann.

    In den Statuten des H-Clubs ist keine Regel enthalten, die festlegt, unter welchen

    Bedingungen Mitglieder ausgeschlossen werden können. Art. 24 der Statuten sieht folgendes

    vor: „Beschlüsse der Vereinsversammlung können innerhalb von zehn Tagen beim Gericht

    angefochten werden.“

    Frage 5: Welche Ansprüche können K und S gegen den H-Club geltend machen?

    (Allfällige Ansprüche aus dem Bundesgesetz über explosionsgefährliche Stoffe

    (Sprengstoffgesetz, SprstG) sind nicht zu prüfen.)

    Frage 6: Kann G rechtlich gegen den Vereinsausschluss vorgehen? Ob der Ausschluss

    materiell begründbar ist, muss nicht geprüft werden.

    Beilagen:

    - Auszug aus dem Sprengstoffgesetz (SprstG)

    - Auszug aus den Sicherheitsrichtlinien für Feuerwerke (Pyrotechnik FWB)

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    1

    Bachelor Prüfung Privatrecht I vom 5. Januar 2016

    Prof. Dr. Claire Huguenin - Lehrstuhl für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht Universität Zürich

    1 Lösungshinweise und Hinweise auf Argumentationslinien mit Punkten.

    2 Anmerkungen:

    Die fett gedruckten Passagen in den Antworten machen den überwiegenden Teil des jeweiligen Punk-tes aus.

    Ansprüche (wer will was von wem woraus) müssen immer integral (d.h. mit dem richtigen Gesetzesar-tikel inkl. Absatz) korrekt sein für eine Punktevergabe.

    Punk

    te

    (Tot

    al)

    3 Fall 1: Die missglückte Fahrradtour Max. 75 Pt.

    4 Frage 1 Max. 16 Pt.

    5 Qualifikation der Klausel im Mietvertrag -

    6 Bedingtheit des Mietvertrages

    Eine Bedingung im Sinne von OR 151 ff. liegt vor, wenn die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts nach dem Willen der Parteien von einem Ereignis abhängen soll, dessen Eintritt in der Zukunft liegt und objektiv ungewiss ist.

    Voraussetzung für eine Bedingung i.S.v. OR 151 ff. sind kumulativ:

    1. Parteiwille;

    2. objektive Ungewissheit des Ereignisses (Tatsache);

    3. Zukünftigkeit des Ereigniseintritts.

    5

    7 1. Parteiwille

    Der Parteiwille muss darauf gerichtet sein, das Rechtsgeschäft mit einer Bedingung zu verknüpfen. Die Parteien können eine Bedingung ausdrücklich oder konkludent verabreden (OR 1 II).

    8 2. Objektive Ungewissheit des Ereignisses

    Das Ereignis, von dem die Wirksamkeit des Vertrags abhängt, muss ungewiss sein. Das heisst: Bei Ab-schluss des Rechtsgeschäfts darf objektiv noch nicht feststehen, ob die „Tatsache“ (OR 151 I) wirklich eintreten wird oder nicht. Bloss subjektive Ungewissheit der Vertragsparteien rechtfertigt die Annahme einer Bedingung nicht.

    9 3. Zukünftigkeit des Ereigniseintritts

    Der Eintritt des Ereignisses muss in der Zukunft liegen. Vergangene oder gegenwärtige objektiv festste-hende Ereignisse stellen somit keine Bedingungen im Rechtsinne dar.

    10 Subsumption:

    Ob B die Zweizimmerwohnung am Rennweg bekommen wird, ist ein Ereignis, dessen Eintritt im Zeit-punkt des Vertragsabschlusses objektiv ungewiss ist. Zudem liegt dieses Ereignis in der Zukunft. Die Parteien vereinbaren, dass der Mietvertrag für das Lifestyle E-Bike nur gelten soll, wenn dieses Ereignis eintritt. Somit ist die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts davon abhängig, weshalb die Klausel nach dem Parteiwillen als Bedingung zu qualifizieren ist.

    11 Art der Bedingung

    Eine aufschiebende oder suspensive Bedingung liegt vor, wenn die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts vom Eintritt eines ungewissen künftigen Ereignisses abhängen soll (OR 151 I).

    Eine auflösende oder resolutive Bedingung liegt vor, wenn das Dahinfallen eines bereits wirksamen Rechtsgeschäfts vom Eintritt eines ungewissen künftigen Ereignisses abhängen soll (OR 154 I).

    3

    12 Subsumption:

    Die Parteien vereinbaren, dass der Mietvertrag über das Lifestyle E-Bikes nur gelten soll, wenn B die

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    2

    Wohnung am Rennweg bekommt. Damit schieben sie die Wirksamkeit des Mietvertrages bis zum Ein-tritt eines zukünftigen, ungewissen Ereignisses auf. Folglich liegt eine aufschiebende oder suspensive Bedingung i.S.v. OR 151 I vor.

    13 Gültigkeit der Bedingung

    Eine Bedingung ist ungültig, wenn diese unzulässig ist (OR 157) oder wenn das Rechtsgeschäft, aus dem sich der bedingte Anspruch ergibt, bedingungsfeindlich ist.

    - Bedingungsfeindlich sind Rechtsgeschäfte, wenn der Schwebezustand zwischen dem Vertragsab-schluss und dem Eintritt der Bedingung mit der Rechtssicherheit, der Moral oder den guten Sitten unvereinbar ist. Haben die Parteien ein solches Geschäft unter eine Bedingung gestellt, ist entweder nur die Bedingung (Teilnichtigkeit) oder das ganze Rechtsgeschäft nichtig i.S.v. OR 19/20.

    - Eine unzulässige Bedingung (OR 157) liegt vor, wenn die Wirksamkeit des Anspruchs an wider-rechtliche oder unsittliche Bedingungen geknüpft ist.

    2

    14 Subsumption:

    Vorliegend ist die Bedingung gültig. Es sind keine Gründe ersichtlich, wonach ein Anspruch aus Miet-vertrag nicht an eine Bedingung geknüpft werden kann.

    Ebenso ist die Bedingung, wonach der Mietvertrag nur wirksam sein soll, wenn B die Wohnung am Rennweg bekommt, weder widerrechtlich noch unsittlich. Die Bedingung ist zulässig.

    15 Zwischenfazit:

    Die Klausel im Mietvertrag kann als aufschiebende oder suspensive Bedingung i.S.v. OR 151 I qualifiziert werden.

    -

    16 Auswirkung der Zusatzklausel auf die Wirksamkeit des Vertrages -

    17 Rechtsfolge – Wirksamkeit des Vertrages

    Bei einer aufschiebenden Bedingung werden die Parteien durch das Rechtsgeschäft zwar von Anfang an gebunden, doch entfaltet das Geschäft erst mit Eintritt der Bedingung weiter gehende Rechtswirkungen (OR 151 II). Die Forderung ist also erst mit diesem Zeitpunkt durchsetzbar. Bis zum Eintritt bzw. Ausfall der Bedingung befindet sich das Rechtsgeschäft in einem Schwebezustand.

    - Bedingungseintritt: Mit dem Eintritt der Bedingung endet der Schwebezustand und das Rechtsge-schäft erhält ipso iure volle Wirksamkeit. Der Bedingungseintritt wirkt ex nunc, sofern nicht ein an-derslautender Wille der Parteien erkennbar ist (OR 151 II).

    - Ausfall der Bedingung: Wird die Bedingung nach Abschluss des bedingten Rechtsgeschäfts unmög-lich, wird dies als Ausfall der Bedingung bezeichnet. Das Rechtsgeschäft wird endgültig nicht wirk-sam. Zwischen den Parteien bestehen in der Regel auch keine weiteren Verpflichtungen.

    6

    18 Subsumption:

    Laut SV erhält B eine Absage für die Zweizimmerwohnung am Rennweg in Zürich. Folglich ist es ausge-schlossen, dass sie die Wohnung bekommt, weshalb der Eintritt der Bedingung unmöglich wird und ein Ausfall der Bedingung vorliegt. Der Vertrag zwischen B und P ist somit endgültig unwirksam.

    19 Fazit:

    Die Zusatzklausel wird als aufschiebende oder suspensive Bedingung des Mietvertrages i.S.v. OR 151 I qualifiziert. Mit der Absage für die Wohnung am Rennweg fällt die Bedingung aus. Der Mietvertrag ist endgültig unwirksam.

    -

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    3

    20 Fall 1: Die missglückte Fahrradtour -

    21 Frage 2 Max. 21 Pt.

    22 Anspruch von B gegen P auf Erstattung von CHF 300 aus vertraglicher Rückabwicklung bzw. aus ungerechtfertigter Bereicherung (OR 62 ff.)

    -

    23 Hat der Rechtsinhaber die Sache bereits vor Bedingungseintritt dem bedingt Berechtigten übergeben (OR 153), hat Letzterer bei Bedingungsausfall die Sache nebst bezogenem Nutzen zurückzugeben (OR 153 II).

    Gemäss neuerer Lehrmeinung erfolgt die Rückerstattung bereits erbrachter Leistungen (mit dem bezoge-nen Nutzen) bei einem aufschiebend bedingten Rechtsgeschäft nach vertraglichen Grundsätzen. Fällt die Bedingung aus, wird das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien in ein vertragliches Rückabwicklungs- oder Liquidationsverhältnis umgewandelt.

    Nach traditioneller Auffassung erfolgt die Rückerstattung mittels Vindikation (ZGB 641 II) oder unge-rechtfertigter Bereicherung (OR 62 ff.).

    3

    24 Rückerstattung aus vertraglichem Rückabwicklungsverhältnis

    Durch den Ausfall der Bedingung ist der Vertrag über das E-Bike endgültig unwirksam. B hat daher An-spruch auf Rückerstattung der bereits geleisteten CHF 300 aus vertragsrechtlichen Grundsätzen.

    1

    25 Rückerstattung aus ungerechtfertigter Bereicherung (OR 62 ff.)

    Für den Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bedarf es gemäss OR 62 I der folgenden drei Voraussetzungen:

    1. Der Bereicherungsschuldner (Bereicherte) ist bereichert (Bereicherung);

    2. die Bereicherung muss aus dem Vermögen der Bereicherungsgläubigerin (Entreicherte) stammen (Ent-reicherung);

    3. die Bereicherung erfolgte in ungerechtfertigter Weise (fehlende Rechtfertigung).

    3

    26 1. Bereicherung

    Die Bereicherung zeigt sich beim Bereicherungsschuldner in einem Vermögensvorteil. Nach herrschen-der Auffassung berechnet sich dieser Vorteil als Differenz zwischen dem gegenwärtigen (tatsächlichen) und dem hypothetischen Vermögensstand, der ohne das bereichernde Ereignis vorliegen würde (Diffe-renztheorie). Die Bereicherung kann demnach in einer Vergrösserung des Vermögens (Zunahme der Aktiven bzw. Abnahme der Passiven) oder in einer Nichtverminderung des Vermögens (sog. Ersparnisbe-reicherung) bestehen.

    3

    27 Subsumption:

    Vorliegend ist P durch die Anzahlung von B zweifelsohne bereichert. Sein Vermögen (Aktiven) hat sich um CHF 300 vergrössert.

    28 2. Entreicherung

    Nach traditioneller Auffassung muss zwischen Bereicherung und Entreicherung ein (Sach-) Zusammen-hang (Konnexität) bestehen.

    2

    29 Subsumption:

    Die Bereicherung von P stammt aus dem Vermögen von B, weshalb die Voraussetzung einer Vermö-gensverschiebung im Sinn der traditionellen Auffassung erfüllt ist.

    30 Nach einer neueren Auffassung kann auf das Erfordernis der Entreicherung verzichtet werden (zur Begründung s. HUGUENIN, OR AT und BT, N 1780).

    31 3. Fehlende Rechtfertigung

    Ein Rechtfertigungsgrund kann sich aus Vertrag oder aus Gesetz ergeben.

    2

    32 Subsumption:

    Als Rechtsgrund kommt vorliegend der Mietvertrag selbst in Betracht. B hat die Anzahlung von CHF 300 im Hinblick auf einen erwarteten künftigen Rechtsgrund geleistet, der sich aufgrund des Ausfalls der

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    4

    Bedingung nicht verwirklicht hat (OR 62 II). Ein vertraglicher Rechtsgrund für die Anzahlung von B an P liegt demnach nicht vor.

    Gesetzliche Rechtfertigungsgründe (z.B. OR 20) sind ebenfalls nicht ersichtlich, weshalb die Leistungser-bringung ohne Rechtfertigungsgrund erfolgt ist.

    33 Einrede der Freiwilligkeit (OR 63 I)?

    Nach OR 63 I ist im Falle einer freiwilligen und irrtumsfreien Bezahlung einer Nichtschuld kein Bereiche-rungsanspruch gegeben.

    Das freiwillig Geleistete kann demnach nur zurückgefordert werden, wenn die Entreicherte nachzuweisen vermag, dass sie sich bei der Leistungserbringung über ihre Schuldpflicht im Irrtum befunden hat.

    3

    34 Subsumption:

    Aufgrund der Vereinbarung einer Bedingung wusste B im Zeitpunkt der Anzahlung, dass noch keine causa für die Leistung vorlag. Die Anzahlung erfolgte folglich freiwillig und irrtumsfrei.

    Nach der neueren Rechtsprechung ist OR 63 I jedoch nicht auf den Fall einer Leistung aus nicht ver-wirklichtem Grund anzuwenden, da mit Bezug auf zukünftige Ereignisse kein Irrtum vorliegen kann. Die Einrede der Freiwilligkeit nach OR 63 I ist P demnach nicht gestattet (HUGUENIN, OR AT und BT, N 1792; BGE 119 II 20 E. 2a).

    35 Zwischenfazit:

    Die Bereicherung von P ist als ungerechtfertigt i.S.v. OR 62 zu qualifizieren.

    -

    36 Gegenstand und Umfang des Bereicherungsanspruchs

    Grundsätzlich ist die Bereicherung in natura und in vollem Umfang zu erstatten (OR 64). Kann die Bereicherung nicht in natura erstattet werden, muss der Bereicherte Wertersatz leisten.

    2

    37 Subsumption:

    Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird derjenige, der fremdes Geld mit eigenem vermischt, Alleineigentümer des (ganzen) Geldes. P muss folglich Wertersatz in vollem Umfang in Höhe von CHF 300 leisten.

    38 Bereicherungseinwendung

    Aus dem SV sind weiter keine Anhaltspunkte zu entnehmen, welche P erlauben würden, die Bereiche-rungseinwendung gemäss OR 64 zu erheben.

    1

    39 Verjährung

    Der Bereicherungsanspruch verjährt mit Ablauf eines Jahres, in dem die Anspruchsinhaberin von ihrem Anspruch Kenntnis erhalten hat (OR 67). Vorliegend macht B ihren Bereicherungsanspruch sogar noch im Jahr von dessen Entstehen geltend, so dass die Verjährungsfrist unter keinen Umständen verstrichen ist.

    1

    40 Fazit:

    B hat gegen P Anspruch auf Bezahlung von CHF 300. Dieser Anspruch ergibt sich – je nachdem welcher Lehrmeinung man folgt – aus vertraglichem Rückabwicklungsverhältnis oder aus ungerechtfertigter Berei-cherung (OR 62 ff.).

    -

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    5

    41 Fall 1: Die missglückte Fahrradtour

    42 Frage 3 Max. 15 Pt.

    43 Anspruch von P gegen B auf CHF 500 aus Vertrag -

    44 Zustandekommen des Vertrages

    Nach OR 1 I ist zum Abschluss eines Vertrages der Austausch gegenseitiger übereinstimmender Willenserklärungen erforderlich.

    2

    45 Subsumption:

    Gemäss SV hat sich B mit P darauf geeinigt, dass P der B gegen Bezahlung (insgesamt CHF 1200) für die Dauer eines Jahres ein pinkfarbenes Lifestyle E-Bike vermietet. Die gegenseitig abgegebenen Willenserklä-rungen stimmen vorliegend überein (OR 1 I). Ein Vertrag ist zustande gekommen.

    46 Gültigkeit des Vertrages

    Dem SV sind keine Form- (OR 11 ff.), Willens- (OR 23 ff.) oder Inhaltsmängel (OR 19 f.) zu entnehmen. Somit ist der Vertrag gültig.

    1

    47 Zwischenfazit:

    Zwischen B und P ist ein gültiger Vertrag zustande gekommen.

    -

    48 Wirksamkeit des Vertrages

    Definition s. oben (N 17).

    -

    49 Subsumption:

    Mit der Zusage für die Wohnung am Rennweg tritt die vertragliche Bedingung ein (OR 151 II) und der Mietvertrag zwischen B und P wird in diesem Zeitpunkt wirksam.

    2

    50 Zwischenfazit:

    Mit dem Bedingungseintritt ist der Vertrag endgültig wirksam geworden.

    -

    51 Übernahme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - Konsenskontrolle

    AGBs gelten nur, wenn sie von den Parteien durch entsprechende Abrede in den konkreten Vertrag ein-bezogen wurden. Mit anderen Worten muss Konsens hinsichtlich der Einbeziehung der AGB vorliegen, sog. subjektive Geltung der AGB. Ein Konsens wird unter folgenden Voraussetzungen angenommen (KRAMER/PROBST, N 235 ff.):

    1. Die Vertragspartei muss anlässlich des Vertragsschlusses deutlich (sichtbar) auf die Geltung und den Inhalt der AGB hingewiesen werden.

    2. Ein Konsens liegt nur vor, wenn der Vertragspartner vor Vertragsschluss auf die Geltung der AGB hingewiesen wurde (keine nachgeschobenen AGB).

    3. Nach einem Teil der Lehre muss die Übernahmevereinbarung bei b2c-Verträgen (Verbraucherverträ-gen) ausdrücklich sein; eine konkludente Annahme der AGB durch den Konsumenten sei nicht aus-reichend.

    4. Die Vertragspartei muss die Möglichkeit haben, in zumutbarer Weise vor Vertragsschluss vom Inhalt der AGB auch tatsächlich Kenntnis zu nehmen. In diesem Sinn müssen AGB verständlich und lesbar sein.

    7

    52 Subsumption:

    B hat den Vertrag mit P am 17. März 2015 abgeschlossen. Gemäss SV weist P die B auf die Geltung der AGB erst durch deren Abdruck auf der Rückseite der Rechnung vom 3. April 2015 hin. Folglich wurde auf die AGB erst nach Vertragsschluss hingewiesen, weshalb die Bestimmungen (Ziff. 2 und Ziff. 8) nicht Bestandteil des Vertrages geworden sind.

    53 Offerte zur Vertragsänderung

    Bei nachgeschobenen AGB könnte es sich um eine Offerte zur Vertragsänderung handeln. Diese muss

    3

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    6

    von der Gegenpartei i.d.R. ausdrücklich akzeptiert (insb. im b2c-Verhältnis) werden. Es sind keine Umstände i.S. des OR 6 ersichtlich, die eine stillschweigende Annahme ermöglichen würden.

    54 Subsumption:

    Laut dem SV hat die B die AGB nicht nachträglich akzeptiert.

    55 Fazit:

    Die AGB sind nicht Bestandteil des Vertrages zwischen B und P geworden. P hat somit keinen Anspruch auf CHF 500 aus Vertrag.

    -

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    7

    56 Fall 1: Die missglückte Fahrradtour

    57 Frage 4 Max. 23 Pt.

    58 Anspruch von P gegen B auf CHF 500 aus Vertrag -

    59 Zustandekommen des Vertrages

    Definition und Subsumption s. oben (N 44 f.).

    -

    60 Gültigkeit des Vertrages

    Definition und Subsumption s. oben (N 46).

    -

    61 Zwischenfazit:

    Zwischen B und P ist ein gültiger Vertrag zustande gekommen.

    -

    62 Wirksamkeit des Vertrages

    Definition und Subsumption s. oben (N 17, 49).

    -

    63 Zwischenfazit:

    Mit dem Bedingungseintritt ist der Vertrag wirksam geworden.

    -

    64 Übernahme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen

    Definition s. oben (N 51).

    -

    65 Subsumption:

    1. Gemäss SV verweist der Vertrag vom 17. März 2015 auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Weil B diese gelesen hat ist anzunehmen, dass der Vertrag auch deutlich sichtbar auf diese hinweist.

    2. B hat die AGB laut SV vor Vertragsschluss gelesen, weshalb diese Voraussetzung zweifelsohne zu bejahen ist.

    3. B unterschreibt den Vertrag. Die Übernahmevereinbarung der AGB erfolgt somit ausdrücklich.

    4. B hat die AGB vor der Unterzeichnung aufmerksam gelesen. Sie hat demnach die Möglichkeit gehabt, vom Inhalt der AGB tatsächlich Kenntnis zu nehmen. Mangels anderer Hinweise im SV darf ausser-dem davon ausgegangen werden, dass die AGB verständlich sind.

    2

    66 Zwischenfazit:

    Die AGB sind Vertragsbestandteil geworden. Ein Konsens liegt vor.

    -

    67 Ungewöhnlichkeitsregel

    Werden die AGB mittels Globalübernahme in den Vertrag einbezogen, mit deren Inhalt die zustimmende Partei nach den Umständen nicht gerechnet hat und vernünftigerweise nicht rechnen musste, erlangen diese Klauseln keine Geltung.

    Gemäss der Ungewöhnlichkeitsregel (≠ Ungewöhnlichkeitsklausel) erlangen AGB-Klauseln dann keine Geltung, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

    1. Die AGB werden global übernommen;

    2. objektive Ungewöhnlichkeit der AGB;

    3. subjektive Ungewöhnlichkeit der AGB.

    1

    68 1. Globalübernahme

    Eine Globalübernahme liegt vor, wenn die Partei zu den AGB ihr Einverständnis abgegeben hat, den Inhalt aber nicht im Einzelnen zur Kenntnis genommen, verstanden oder bedacht hat. Es wird vermu-tet, dass der Kunde die AGB jeweils bloss global übernimmt.

    Das Gegenstück zur Globalübernahme bildet die Vollübernahme. Bei dieser erklärt sich jemand mit den AGB einverstanden, nachdem er sie gelesen und zur Kenntnis genommen hat.

    2

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    8

    69 Subsumption:

    Gemäss SV hat B die AGB aufmerksam gelesen. Folglich liegt keine Global-, sondern eine Vollüber-nahme vor. Die Prüfung der weiteren Voraussetzungen der Ungewöhnlichkeitsregel erübrigt sich.

    0.5

    70 Zwischenfazit:

    Durch die Vollübernahme der AGB erlangen sämtliche AGB-Klauseln volle Geltung.

    -

    71 Exkurs: Inhaltskontrolle – Verstoss gegen die öffentliche Ordnung (OR 19 II)?

    Zu prüfen ist, ob die Bestimmungen in den AGB gegen die Schranken der Rechtsordnung verstossen. Eine offene Inhaltskontrolle für b2c-Verträge ist mit UWG 8 gesetzlich vorgesehen. Laut SV ist UWG 8 jedoch nicht zu prüfen.

    Nach einem Teil der Lehre ist eine offene Inhaltskontrolle auch gestützt auf das Kontrollkriterium der öffentlichen Ordnung i.S.v. OR 19 II möglich. Demnach verstösst die Verwendung von AGB gegen die der Gesamtrechtsordnung immanenten Wertungs- und Ordnungsprinzipien, wenn diese einseitig und ungerecht formuliert sind und so die geschäftsunkundige Gegenpartei benachteiligen. Eine Kontrolle gestützt auf OR 19 II dürfte aber vor allem für die in b2b- oder c2c-Verträgen enthaltenen AGB relevant sein, da mit UWG 8 eine offene Inhaltskontrolle für Konsumverträge zur Verfügung steht.

    Vorliegend handelt es sich um einen b2c-Vertrag; B handelte nicht im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit. Somit scheidet der Ansatz nach OR 19 II wohl aus, da sich B als Konsumentin primär auf UWG 8 beru-fen könnte. [Gute Ausführungen zur offenen Inhaltskontrolle nach OR 19 II können mit max. 1 ZP bepunktet werden.]

    Max. 2 ZP

    72 Konventionalstrafe

    Der Tatbestand der Konventionalstrafe besteht im Abschluss eines Schuldvertrages, worin der Schuldner der Gläubigerin eine Leistung für den Fall verspricht, dass sie eine Hauptverpflichtung nicht oder nicht richtig erfüllt (OR 160 I).

    Die Konventionalstrafe kann geltend gemacht werden, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

    1. Bestand einer gültigen Hauptverpflichtung mit zu sichernder Nicht- oder Schlechterfüllung;

    2. Bestand einer Konventionalstrafen-Abrede;

    3. Eintritt der Bedingung;

    4. Verschulden.

    5

    73 Ein Schaden der Gläubigerin wird dagegen gerade nicht vorausgesetzt (OR 161 I). 1

    74 1. Bestand einer gültigen Hauptverpflichtung

    Die Konventionalstrafe ist ein akzessorisches Nebenrecht zum Recht auf die Hauptverpflichtung. Sie setzt somit den gültigen Bestand der zu sichernden Vertragspflicht voraus (OR 160 I).

    Gemäss OR 163 II kann die Konventionalstrafe nicht gefordert werden, wenn sie eine widerrechtliche oder unsittliche Hauptverpflichtung sichert.

    2.5

    75 Subsumption:

    Ziff. 2 Abs. 1 der AGB stellt die Hauptverpflichtung dar, für deren Nichterfüllung bzw. nicht gehörige Erfüllung die Zahlung der Konventionalstrafe aus Ziff. 8 der AGB versprochen wird.

    Die Pflichten in Ziff. 2 Abs. 1 der allgemeinen Geschäftsbedingungen sind weder widerrechtlich noch unsittlich und somit gültig i.S.v. OR 163 II.

    76 2. Bestand einer Konventionalstrafen-Abrede

    Die Konventionalstrafen-Abrede ist die als Nebenvereinbarung zu bezeichnende Strafabrede. Sie kann in den Schranken des Gesetzes in irgendeiner Leistung bestehen und in beliebiger Höhe bestimmt wer-den (OR 163 I).

    1

    77 Subsumption:

    Die Vertragsparteien haben in Ziff. 8 der allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Zahlung einer Geld-summe vereinbart (CHF 500). Dies stellt eine Konventionalstrafen-Abrede dar.

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    9

    78 3. Eintritt der Bedingung

    Die Konventionalstrafe wird versprochen für den Fall, dass der Schuldner nicht oder nicht richtig erfüllt. Die Vereinbarung der Konventionalstrafe ist somit ein suspensiv bedingtes Leistungsversprechen. Die Bedingung besteht in der Nichterfüllung bzw. nicht gehörigen Erfüllung der Hauptverpflichtung.

    2

    79 Subsumption:

    Die Vertragsparteien haben die Bedingung, für welche Fälle der Nicht- bzw. nicht richtigen Erfüllung der Schuldner die Konventionalstrafe verspricht, in Ziff. 2 Abs. 1 der allgemeinen Geschäftsbedingungen konkretisiert. Nach Ziff. 2 Abs. 1 lit. b dürfen die Tsüri-City-E-Bikes nicht benutzt werden für Fahrten ausserhalb der Schweiz, sofern die Tsüti-City nicht zuvor schriftlich ihre Zustimmung erteilt hat.

    Indem B zusammen mit ihrem Kollegen D eine Fahrradtour nach Friedrichshafen in Deutschland unternimmt, verstösst sie gegen Ziff. 2 Abs. 1 lit. b der AGB. Mangels anderer Hinweise im SV muss davon ausgegangen werden, dass P zuvor keine schriftliche Zustimmung erteilt hat. Folglich tritt die Be-dingung ein.

    80 4. Verschulden

    Der Verfall der Konventionalstrafe setzt ein Verschulden des Schuldners voraus. Das Verschulden wird nach OR 97 vermutet, sofern die Parteien nicht etwas anderes vereinbart haben.

    1

    81 Subsumption:

    Vorliegend ergeben sich im SV keine Anhaltspunkte, welche die Verschuldensvermutung widerlegen würden.

    82 Zwischenfazit:

    Alle Tatbestandsvoraussetzungen der Konventionalstrafe i.S.v. OR 160 ff. sind vorliegend erfüllt.

    -

    83 Rechtsfolgen

    Mit Eintritt der Bedingung wird die Konventionalstrafe zur unbedingten Schuld, die sofort fällig ist. Grundsätzlich ist die Gläubigerin bei Nicht- oder Schlechterfüllung der Hauptleistung aber nur berechtigt, entweder Erfüllung des Vertrages oder Leistung der Konventionalstrafe zu verlangen (Vermutung der Alternativität gem. OR 160 I).

    Die Parteien können jedoch vereinbaren, dass die Konventionalstrafe kumulativ neben den Erfüllungs-anspruch treten soll. Die Gläubigerin darf in diesem Fall sowohl die Konventionalstrafe als auch die Erfül-lung fordern.

    4

    84 Subsumption:

    Nach Ziff. 8 der AGB entbindet die Bezahlung der Konventionalstrafe nicht von der weiteren Einhaltung des Vertrages. B muss folglich die vereinbarte Strafe von CHF 500 bezahlen, weshalb die Parteien eine kumulative Konventionalstrafe vereinbart haben.

    85 Beschränkte Bindung bei übermässiger Höhe (OR 163 III)

    Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden (OR 163 I). Über-mässig hohe Konventionalstrafen kann der Richter nach seinem Ermessen herabsetzen (OR 163 III).

    1

    86 Subsumption:

    Beide Argumentationen möglich.

    87 Fazit:

    P hat einen Anspruch gegen B auf Bezahlung von CHF 500 aus Vertrag.

    -

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    10

    88 Fall 2: Das explosive Volksfest Max. 50 Pt.

    89 Frage 5 Max. 40 Pt.

    90 Anspruch von K gegen den H-Club auf Schadenersatz wegen Vertragsverletzung -

    91 Zwischen K und dem H-Club besteht kein rechtsgeschäftlich begründetes Verhältnis. Zu prüfen sind daher allein deliktische Ansprüche.

    0.5

    92 Anspruch von K gegen den H-Club auf Schadenersatz aus ZGB 55 II i.V.m. OR 41 1

    93 Die Voraussetzungen für die Deliktshaftung der juristischen Person sind:

    1. die Organqualität,

    2. ein Handeln in der Eigenschaft als Organ,

    3. ein Schaden,

    4. ein Kausalzusammenhang,

    5. die Widerrechtlichkeit (subsidiär Sittenwidrigkeit; OR 41 II) und

    6. ein Verschulden.

    -

    94 1. Organqualität

    Formelles Organ: Das Organ wird in Gesetz oder Statuten als solches formell bezeichnet (wer de forma zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben berufen wird).

    Faktisches Organ: Jede Person, die effektiv und in entscheidender Weise an der Bildung des Verbandswil-lens teil hat, der also eine selbständige Entscheidungsbefugnis in einem wesentlichen Aufgabenbereich der juristischen Person zusteht.

    1.5

    95 Subsumption:

    Beim H-Club handelt es sich um einen Verein gemäss ZGB 60 ff. G ist Vorstandsmitglied i.S.v. ZGB 69 f. und als solches ein formelles Organ des Vereins.

    96 2. Handeln in der Eigenschaft als Organ

    ZGB 55 II sieht eine Haftung der juristischen Person für unerlaubte Handlung ihrer Organe nur dann vor, wenn diese in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen begangen worden ist. Erforderlich ist dabei, dass dem Schädiger Organkompetenz (= Vertretungsmacht) zukommt, die Handlung also in einem funk-tionellem Zusammenhang mit den Aufgaben des Organs steht. Nicht nötig ist hingegen, dass der Organ-person auch Vertretungsbefugnis zusteht, d.h. dass die Handlung tatsächlich dem Gesellschaftszweck dient.

    Somit entfällt die Verantwortlichkeit der juristischen Person, wenn der Schaden nicht in Ausübung, son-dern nur bei Gelegenheit der geschäftlichen Verrichtungen verursacht worden ist und mit der Kompetenz des Organs lediglich in einem äusserlichen, örtlichen oder zeitlichen Zusammenhang steht.

    1.5

    97 Subsumption:

    Als Vorstandsmitglied ist G zuständig für die Sicherheit rund um das geplante Feuerwerk. Die Leitung des Aufbaus und insbesondere das Abfeuern des Feuerwerks unter Einhaltung der einschlägigen Sicherheitsbestimmungen fallen somit in seinen Organzuständigkeitsbereich. Eine funktionale Ver-bindung zwischen seinen Aufgaben als Organ und seinen Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Feuer-werk ist zu bejahen.

    98 3. Schaden

    3.1. Schadensbegriff und Schadensberechnung

    Ein Schaden ist eine unfreiwillige Verminderung des Vermögens, die in einer Abnahme der Aktiven, einer Zunahme der Passiven oder in einem entgangenen Gewinn bestehen kann. Der Schaden wird nach der Differenzhypothese berechnet: Dabei entspricht er der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem (hypothetischen) Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte.

    5

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    11

    99 3.2. Schadensarten

    Ein Personenschaden (OR 45/46) entsteht, wenn ein Mensch getötet oder verletzt wird. Dabei wird sowohl die Beeinträchtigung der physischen als auch der psychischen Integrität erfasst.

    Ein Sachschaden entsteht, wenn eine Sache beschädigt, zerstört oder dem Berechtigten entzogen wird.

    Zu den übrigen Schäden gehören Schäden, die weder in die Kategorie der Personen- noch der Sachschä-den fallen. Dazu gehört z.B. der reine Vermögensschaden, der ohne Verletzung eines absoluten Rechts herbeigeführt wird.

    100 3.3 Ersatz von (Total-)Sachschäden

    Die Beschädigung, die Zerstörung oder der Verlust der Sache stellen nicht selber den Sachschaden dar, sondern sind lediglich dessen Ursache. Der Schaden besteht in der daraus resultierenden Vermögensein-busse. Für die Berechnung des Sachschadens ist zwischen einem Total- und einem Teilschaden zu unter-scheiden.

    Ein Totalschaden liegt vor, wenn die Sache so stark beschädigt ist, dass sie nicht mehr repariert werden kann (technischer Totalschaden), wenn sich eine Reparatur nicht lohnen würde, weil die Kosten der Wie-derinstandstellung die Kosten einer Neuanschaffung übersteigen würden (wirtschaftlicher Totalschaden) oder wenn die Sache abhandengekommen ist.

    Entscheidend für die Berechnung des Totalschadens ist, ob die Sache wertbeständig ist oder nicht. Bei wertbeständigen Sachen besteht der Schaden in den Anschaffungskosten für eine gleichwertige Sache. Dabei ist vom Marktwert auszugehen. Bei nicht wertbeständigen Sachen ist der Zeitwert massgebend, welcher dem Anschaffungspreis abzüglich Abschreibungen entspricht.

    Kann die Sache aus technischer Sicht repariert werden und ist eine solche Reparatur auch wirtschaftlich sinnvoll, spricht man von einem Teilschaden. In diesem Fall hat die Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten sowie der unter Umständen verbleibenden Differenz zum aktuellen Minderwert.

    101 3.4 Ersatz von Baumschäden im Besonderen

    Bäume gelten als Sachen im Rechtssinne. Ihre Beschädigung oder Zerstörung beeinflusst daher den Wert des Grundstücks, dessen Bestandteil sie bilden. Der Verkehrswert dieses Grundstücks kann durch die Beschädigung eines Baumes je nach Art und Nutzung der Liegenschaft unabhängig vom Wert des beschädigten Baumes selbst betroffen sein.

    Lässt sich die Werteinbusse eines Grundstücks infolge eines Baumschadens nicht feststellen, ist grundsätz-lich an die Kosten der Beseitigung und Neuanpflanzung anzuknüpfen.

    102 Subsumption:

    Durch die zweite fehlgeleitete Rakete brennt die Heuscheune von K bis auf die Grundmauern nieder. In solchen Fällen ist eine Reparatur meist nicht mehr möglich, weshalb vorliegend von einem Totalschaden (Zerstörung) auszugehen ist. Der Schaden bemisst sich folglich nach dem Zeitwert, d.h. nach dem um die Abschreibungen verminderte Neuwert der Heuscheune.

    Der SV liefert keine Hinweise dafür, dass der Verkehrswert des Grundstücks durch die Zerstörung des Baumes betroffen ist. Somit orientiert sich die Berechnung des Baumschadens an den Kosten der Neu-anpflanzung und der Beseitigung des Baumstumpfes. Dass K die Eiche während Jahren liebevoll gehegt und gepflegt hat, ändert nichts an der Berechnung des ersatzfähigen Schadens. Im Grundsatz gilt, dass ein Affektionswert nicht ersetzt wird.

    103 4. Kausalzusammenhang (Variante Unterlassen s. N 116 ff.)

    4.1. Natürlicher Kausalzusammenhang

    Ein natürlicher Kausalzusammenhang liegt vor, wenn der Schaden ohne die fragliche Schadensursache nicht eingetreten wäre (conditio sine qua non). Nicht erforderlich ist, dass eine Schadensursache allein oder unmittelbar zu einem Schaden führt.

    2

    104 4.2. Adäquater Kausalzusammenhang

    Ein adäquater Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn die betreffende Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung an sich dazu geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu bewirken.

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    12

    105 Subsumption:

    Das Abfeuern der Raketen ist conditio sine qua non für den Schaden. Hätte G die Raketen nicht gezündet, wäre es nicht zu einem Feuer und damit zum eingetretenen Schaden bei K gekommen.

    Die durch das Zünden von Raketen hervorgerufene unkontrollierbare Flugbahn kann nach dem ge-wöhnlichen Lauf der Dinge geeignet sein, beim Aufprallen gegen eine Heuscheune einen Brand zu verursachen, der einen Schaden wie der vorliegende herbeiführen kann. Die Handlung des G ist folglich auch adäquat kausal für den eingetretenen Schaden.

    106 5. Widerrechtlichkeit

    Widerrechtlich ist ein Verhalten, wenn es ein absolutes Recht der Geschädigten verletzt (Erfolgsunrecht) oder gegen eine qualifizierte Schutznorm verstösst (Verhaltensunrecht).

    Die Widerrechtlichkeit entfällt, wenn das schädigende Verhalten durch einen besonderen Grund ge-rechtfertigt ist. Solche Rechtfertigungsgründe sind teils gesetzlich normiert (z.B. Notwehr), teils richter-rechtlich entwickelt worden (z.B. Einwilligung).

    4.5

    107 Verletzung eines absoluten Rechts (Erfolgsunrecht)

    Absolut sind Rechte, die eine Ausschlusswirkung gegenüber jedermann (erga omnes) entfalten. Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen: Persönlichkeitsrechte, dingliche Rechte sowie Immaterialgüterrechte.

    Persönlichkeitsrechte (ZGB 28 ff.) umfassen im Wesentlichen den Schutz der physischen und psychi-schen Integrität.

    Das dingliche Recht umfasst insbesondere das Eigentum (ZGB 641 ff.). Eine Verletzung des Eigen-tums liegt vor, wenn eine Sache dauerhaft entzogen, zerstört oder beschädigt wird.

    108 Subsumption:

    Vorliegend ist durch das Zünden der Raketen die Heuscheune von K vollständig abgebrannt und die angrenzende Eiche zerstört worden.

    - Mangels anderer Hinweise im SV darf angenommen werden, dass K Eigentümer der alten Heu-scheune ist.

    - Bäume gehören nach dem sachenrechtlichen Akzessionsprinzip (ZGB 667 II) dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem sie wachsen. Es ist anzunehmen, dass K Eigentümer des Grundstücks ist.

    Folglich wurde ein absolutes Recht verletzt, womit ein Erfolgsunrecht vorliegt.

    Rechtfertigungsgründe sind keine ersichtlich.

    109 6. Verschulden

    Schuldhaft handelt, wer in objektiver Hinsicht den Schaden vorsätzlich oder fahrlässig verursacht und in subjektiver Hinsicht urteilsfähig i.S.v. ZGB 16 ist.

    5.5

    110 6.1. Objektive Verschuldenskomponente

    - Vorsätzlich handelt, wer wissentlich und willentlich den Schaden herbeiführt. Eventualvorsatz genügt.

    - Fahrlässig handelt, wer in pflichtwidriger Weise die von ihm erwartete Sorgfalt nicht walten lässt. Das Mass der Sorgfalt bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Jede Abweichung vom Referenzverhalten gilt als fahrlässig.

    111 6.2. Subjektive Verschuldenskomponente

    Nach ZGB 16 besteht die Urteilsfähigkeit in der Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln. Für die Beurtei-lung werden zwei Elemente unterschieden, die kumulativ vorliegen müssen:

    - Intellektuelles Element: Der Schädiger muss die nötigen intellektuellen Fähigkeiten haben, um zu erkennen, dass sein Verhalten jemanden schädigen könnte.

    - Voluntatives Element: Der Schädiger muss in der Lage sein, sich innerlich gegen das schädigende Verhalten zu entscheiden und nach diesem Entscheid zu handeln.

    112 Subsumption:

    Bei Feuerwerkskörpern handelt es um pyrotechnische Gegenstände i.S.v. Art. 7 lit. b SprstG. G könnte

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    13

    fahrlässig gehandelt haben, indem er bei der Leitung der Montage der Feuerwerkskörper und beim Zün-den der Raketen nicht die nach den Umständen gebotenen Massnahmen nach Art. 17 SprstG getroffen hat.

    G ist verantwortlich für die Sicherheit rund um das Feuerwerk. Als solcher muss er fähig sein, den Ab-schussplatz im Freien zu beurteilen, die Risiken richtig einzuschätzen und die entsprechenden Massnah-men so zu treffen, dass eine Gefährdung von Personen und Güter ausgeschlossen werden kann. Insbe-sondere als Inhaber eines FWB-Ausweises hätte G die Sicherheitsrichtlinien für Grossfeuerwerke beach-ten müssen. Indem er den Mindestsicherheitsabstand zum Publikum und Schutzziel von 125 Metern für Raketen (2.3.8. der Sicherheitsrichtlinie) nicht berücksichtigt und die Feuerwerkskörper weniger als 70 Meter von der Heuscheune von K (die Scheune liegt zwischen dem Festgelände und der Abschuss-vorrichtung) aufstellt und zündet, ohne zusätzliche Massnahmen für den Fall einer Fehlfunktion zu tref-fen, lässt er nicht die mit dem Abschuss von Feuerwerkskörpern erwartete fachtechnische Sorgfalt walten. G handelt somit fahrlässig.

    Mangels anderer Hinweise im SV darf angenommen werden, dass G urteilsfähig i.S.v. ZGB 16 ist.

    113 Verjährung

    Nach Art. 60 OR verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung nach einem Jahr (relative Frist) resp. zehn Jahren (absolute Frist).

    0.5

    114 Fazit:

    K hat einen Anspruch auf Schadenersatz aus ZGB 55 II i.V.m. OR 41 I gegen den H-Club. Das Verhalten von G als Vorstandsmitglied wird dem H-Club angerechnet.

    -

    115

    116 4 Kausalzusammenhang (Variante Unterlassen)

    4.1 Pflicht zum Handeln

    Bei einem Tun ist auf den natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang abzustellen. Im Rahmen der Prüfung des Kausalzusammenhangs bei einer Unterlassung ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob den Schädiger eine Pflicht zum Handeln getroffen hätte, die geeignet wäre, den Schaden abzuwenden. Eine solche Pflicht kann sich aus Vertrag, Gesetz, Garantenstellung oder aus dem Gefahrensatz ergeben.

    (2)

    117 4.2 Hypothetische Kausalität

    Bei Bestehen einer Handlungspflicht ist bei Unterlassungen als Nächstes auf die hypothetische Kausali-tät abzustellen; es ist zu fragen, ob der Schaden nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allge-meinen Lebenserfahrung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, wenn der Schädi-ger die rechtlich gebotene Handlung vorgenommen hätte (conditio cum qua non). Der Kausalzusam-menhang ist demnach zu bejahen, wenn der Schädiger den Schaden hätte verhindern müssen und können.

    118 Subsumption:

    G trifft als Sicherheitsverantwortlicher für das Feuerwerk und als Inhaber eines FWB-Ausweises eine Pflicht / Garantenstellung, die Massnahmen so zu treffen, dass eine Gefährdung von Personen und Güter ausgeschlossen werden kann. Dabei ist er verpflichtet, die in den FWB-Sicherheitsrichtlinien festgesetzten Mindestsicherheitsabstände zu beachten. Ziff. 2.3.8 der Sicherheitsrichtlinien setzt einen Mindestsicherheitsabstand zum Publikum und Schutzziel von 125 Metern für Raketen voraus. Diesen Abstand missachtet G, indem er die Feuerwerkskörper weniger als 70 Meter von der Heuscheune von K (die Scheune liegt zwischen dem Festgelände und der Abschussvorrichtung) aufstellt und zündet.

    Mit dem Einhalten der Sicherheitsabstände soll die Integrität von Leib und Gut Dritter gewährleistet werden. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ist somit anzunehmen, dass der Schaden mit überwie-gender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, hätte G den Mindestabstand von 125 Metern für Raketen eingehalten. Die hypothetische Kausalität ist somit zu bejahen.

    119

    120 Anspruch von S gegen den H-Club auf Schadenersatz wegen positiver Vertragsverletzung gemäss OR 97 I i.V.m. ZGB 55 II

    1

    121 Zustandekommen des Vertrages 3

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    14

    Nach OR 1 I ist zum Abschluss des Vertrages der Austausch gegenseitiger übereinstimmender Willenser-klärungen erforderlich. Diese kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen (OR 1 II).

    122 Subsumption:

    Gegen Bezahlung des Eintrittspreises von CHF 10.00 bietet der H-Club an, S den Zugang zum Festge-lände zu ermöglichen und die ausgekündigten Darbietungen aufzuführen. S bezahlt den Preis und nimmt den Antrag des H-Clubs konkludent an (sog. Realakzept bzw. Realofferte). Die gegenseitig abgegebenen Willenserklärungen stimmen vorliegend überein (OR 1 I). Ein Vertrag ist zustande gekom-men.

    123 Gültigkeit des Vertrages

    Dem Sachverhalt sind keine Form- (OR 11 ff.), Willens- (OR 23 ff.) oder Inhaltsmängel (OR 19 f.) zu entnehmen. Somit ist der Vertrag gültig.

    0.5

    124 Zwischenfazit:

    Zwischen S und dem H-Club ist ein gültiger Vertrag zustande gekommen.

    -

    125 Schadenersatzanspruch bei positiver Vertragsverletzung durch eine Hilfsperson (OR 97 I i.V.m. 101 I) – Abgrenzung

    Organe einer juristischen Person sind keine Hilfspersonen (OR 101 I). Die Handlung eines Organs wird der juristischen Person als eigene Handlung zugerechnet (ZGB 55 II) und begründet somit eine Haftung derselben nach OR 97 I für eigenes Verschulden.

    1

    126 Schadenersatzanspruch bei positiver Vertragsverletzung durch ein Organ (OR 97 I i.V.m. ZGB 55 II)

    Damit die Gläubigerin Anspruch auf Schadenersatz wegen positiver Vertragsverletzung hat, müssen fol-gende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:

    1. Vertragsverletzung,

    1.1. Verletzung einer vertraglichen Pflicht,

    1.2. Rolle des Schädigers (Organqualität),

    1.3. Handeln in der Eigenschaft als Organ,

    2. Schaden,

    3. natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang,

    4. Verschulden.

    -

    127 1.1. Verletzung einer vertraglichen Pflicht

    Bei der positiven Vertragsverletzung wird die vertraglich geschuldete Leistung nicht gehörig erbracht (Schlechterfüllung) oder es wird eine sekundäre Nebenpflicht verletzt.

    Vertragliche Nebenpflichten sind u.a. Obhuts- und Schutzpflichten. Dabei sind die Vertragsparteien verpflichtet, gegenseitig ihre Rechtsgüter (Leib und Leben, Eigentum) zu schützen und sie nicht zu ge-fährden. Wird ein solches Rechtsgut des einen Partners durch den anderen verletzt, handelt es sich um einen sog. Integritätsschaden.

    2.5

    128 Subsumption:

    Der Veranstalter eines Feuerwerks hat neben der vertraglichen Hauptpflicht, nämlich das ausgekündigten Feuerwerk zur Aufführung zu bringen, auch die Nebenpflicht, die Veranstaltungsbesucher vor Verlet-zungen durch Feuerwerkskörper zu schützen.

    Durch die Explosion einer fehlgeleiteten Rakete verliert S ihr rechtes Auge und erleidet einen bleibenden Gehörsverlust. S wird daher in ihrer körperlichen Integrität beeinträchtigt, weshalb eine positive Ver-tragsverletzung vorliegt.

    129 1.2. Qualifizierung als Organ

    Definition und Subsumption s. oben (N 94 f.).

    -

    130 1.3. Handeln in der Eigenschaft als Organ -

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    15

    Definition und Subsumption s. oben (N 96 f.).

    131 2. Schaden

    Definition s. oben (N 98 ff.).

    1.5

    132 Umfang des Schadens bei positiver Vertragsverletzung

    Der Schadenersatzanspruch aus OR 97 I geht auf Ersatz des positiven Vertragsinteresses. Das heisst, dass die Gläubigerin so zu stellen ist, wie wenn der Vertrag richtig erfüllt worden wäre.

    133 Subsumption:

    Bei richtiger Erfüllung des Vertrages hätte sich S nicht verletzt. Folglich wären die Auslagen der S für die Heilung und Pflege (bspw. Arzt- oder Spitalkosten) nicht angefallen.

    Zu ersetzen sind allenfalls auch die Nachteile auf dem Arbeitsmarkt, welche S mit einem fehlenden Auge und einem bleibenden Gehörsverlust auf ihrem rechten Ohr erwachsen (OR 46 I i.V.m. 99 III). Im SV sind diesbezüglich jedoch keine Hinweise ersichtlich.

    134 3. Natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang

    Der Schaden ist nur dann zu ersetzen, wenn er natürlich und adäquat kausal durch die Vertragsverlet-zung verursacht worden ist.

    Natürlich kausal (conditio sine qua non) ist die Vertragsverletzung für den Schaden dann, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Schaden entfiele.

    Ein adäquater Kausalzusammenhang liegt vor, wenn die Vertragsverletzung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, einen Schaden von der Art des eingetretenen herbeizuführen.

    1.5

    135 Subsumption:

    Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem eingetretenen Schaden ist gegeben, da letzterer nicht eingetreten wäre, hätte G beim Aufbau der Feuerwerkskörper die Min-destsicherheitsabstände von 125 Metern bei Raketen (FWB-Sicherheitsrichtlinie) beachtet bzw. die Raketen bei Missachtung dieser Abstände nicht gezündet.

    Auch der adäquate Kausalzusammenhang ist zu bejahen. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung ist das Abfeuern von Raketen bei ungenügendem Sicherheitsabstand geeignet, einen Schaden wie den Vorliegenden zu verursachen.

    136 4. Verschulden

    Bei der vertraglichen Haftung gemäss OR 97 wird das Verschulden vermutet. Der Schuldner kann sich von der Haftung nur durch einen Exkulpationsbeweis befreien.

    1

    137 Subsumption:

    Bei Feuerwerkskörpern handelt es um pyrotechnische Gegenstände i.S.v. Art. 7 lit. b SprstG. G könnte fahrlässig gehandelt haben, indem er bei der Leitung der Montage der Feuerwerkskörper und beim Zün-den der Raketen nicht die nach den Umständen gebotenen Massnahmen nach Art. 17 SprstG getroffen hat.

    G ist verantwortlich für die Sicherheit rund um das Feuerwerk. Als solcher muss er fähig sein, den Ab-schussplatz im Freien zu beurteilen, die Risiken richtig einzuschätzen und die entsprechenden Massnah-men so zu treffen, dass eine Gefährdung von Personen und Güter ausgeschlossen werden kann. Insbe-sondere als Inhaber eines FWB-Ausweises hätte G die Sicherheitsrichtlinien für Grossfeuerwerke beach-ten müssen. Indem er den Mindestsicherheitsabstand zum Publikum und Schutzziel von 125 Metern für Raketen (2.3.8. der Sicherheitsrichtlinie) nicht berücksichtigt und die Feuerwerkskörper nur 70 Meter vom Publikum aufstellt und zündet, lässt er nicht die mit dem Abschuss von Feuerwerkskörpern erwartete fachtechnische Sorgfalt walten. G handelt somit fahrlässig.

    Mangels anderer Hinweise im SV darf angenommen werden, dass G urteilsfähig i.S.v. ZGB 16 ist.

    Unter diesen Umständen wird dem H-Club der Exkulpationsbeweis nicht gelingen.

    138 Verjährung 0.5

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    16

    Die Verjährungsfrist für einen vertraglichen Schadenersatzanspruch beträgt zehn Jahre (OR 127).

    139 Fazit:

    S hat gegen den H-Club einen Anspruch auf Schadenersatz aus positiver Vertragsverletzung i.S.v. OR 97 I i.V.m. ZGB 55 II.

    -

    140

    141 Anspruch von S gegen den H-Club auf Genugtuung wegen positiver Vertragsverletzung gemäss OR 97 I i.V.m. ZGB 55 II i.V.m. OR 99 III i.V.m. 47.

    1

    142 Zustandekommen des Vertrages

    Definition und Subsumption s. oben (N 121 f.).

    -

    143 Gültigkeit des Vertrages

    Definition und Subsumption s. oben (N 123).

    -

    144 Zwischenfazit:

    Zwischen S und dem H-Club ist ein gültiger Vertrag zustande gekommen.

    -

    145 Genugtuungsanspruch bei positiver Vertragsverletzung durch ein Organ (OR 97 I i.V.m. ZGB 55 II i.V.m. OR 99 III i.V.m. 47)

    Damit die Gläubigerin Anspruch auf Genugtuung wegen positiver Vertragsverletzung hat, müssen folgen-de Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:

    1. Vertragsverletzung,

    1.1. Verletzung einer vertraglichen Pflicht,

    1.2. Rolle des Schädigers (Organqualität),

    1.3. Handeln in der Eigenschaft als Organ,

    2. Seelischer Schmerz (immaterieller Unbill),

    3. natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang,

    4. Verschulden.

    -

    146 1.1. Verletzung einer vertraglichen Pflicht

    Definition und Subsumption s. oben (N 127 f.).

    -

    147 1.2. Qualifizierung als Organ

    Definition und Subsumption s. oben (N 94 f.).

    -

    148 1.3. Handeln in der Eigenschaft als Organ

    Definition und Subsumption s. oben (N 96 f.).

    -

    149 2. Seelischer Schmerz (immaterielle Unbill)

    Gemäss OR 47 i.V.m. OR 99 III kann bei Körperverletzung eines Menschen der verletzten Vertragspartei ein Genugtuungsanspruch zugesprochen werden, wenn die Vertragsverletzung zu einer erheblichen Störung des psychischen Gleichgewichts führt.

    2

    150 Subsumption:

    Die Einschränkungen, welche S durch den Verlust ihres rechten Auges und dem Gehörschaden auf ihrem rechten Ohr erleidet, sind irreversible Schädigungen, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen und geeignet sind, das psychische Gleichgewicht zu stören. Die Körperverletzung stellt folglich einen immateriellen Unbill i.S.v. OR 47 dar.

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    17

    151 3. Natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang

    Das seelische Leid ist nur dann zu ersetzen, wenn es natürlich und adäquat kausal durch die Vertrags-verletzung verursacht worden ist:

    Definition und Subsumption s. oben.

    0.5

    152 4. Verschulden

    Bei der vertraglichen Haftung gemäss OR 97 wird das Verschulden vermutet. Der Schuldner kann sich von der Haftung nur durch einen Exkulpationsbeweis befreien.

    Definition und Subsumption s. oben.

    -

    153 Verjährung

    Die Verjährungsfrist für einen vertraglichen Genugtuungsanspruch beträgt zehn Jahre (OR 127).

    -

    154 Fazit:

    S hat gegen den H-Club einen Anspruch auf Genugtuung aus positiver Vertragsverletzung i.S.v. OR 97 I i.V.m. ZGB 55 II i.V.m. OR 99 III i.V.m. 47.

    -

    155

    156 Anspruch von S gegen den H-Club auf Schadenersatz aus ZGB 55 II i.V.m. OR 41 I -

    157 Die Voraussetzungen für die Deliktshaftung der juristischen Person sind:

    1. die Organqualität,

    2. ein Handeln in der Eigenschaft als Organ,

    3. ein Schaden,

    4. ein Kausalzusammenhang,

    5. die Widerrechtlichkeit (subsidiär Sittenwidrigkeit; OR 41 II) und

    6. ein Verschulden.

    -

    158 1. Organqualität

    Definition und Subsumption s. oben (N 94 f.).

    -

    159 2. Handeln in der Eigenschaft als Organ

    Definition und Subsumption s. oben (N 96 f.).

    -

    160 3. Schaden

    3.1. Schadensbegriff und Schadensberechnung

    Definition s. oben (N 98).

    0.5

    161 3.2. Schadensarten

    Definition s. oben (N 99).

    162 3.3 Ersatz von Personenschäden

    Bei einer Körperverletzung hat die Geschädigte Anspruch auf Ersatz der entstandenen Kosten i.S.v. OR 46 I. Unter Kosten sind insbesondere die Auslagen für Heilung, Pflege und Betreuung zu verstehen.

    Als weiterer Schadensposten wird in OR 46 I der Integritätsschaden („Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens“) erwähnt. Zu ersetzen sind dabei die wirtschaftlichen Nachteile, welche der Geschädigten wegen des schädigenden Ereignisses auf dem Arbeitsmarkt erwachsen und über die Nachteile der Arbeits-unfähigkeit hinausgehen.

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    18

    163 Subsumption:

    Subsumption s. oben (N 133).

    164 4. Kausalzusammenhang (Variante Unterlassen s. N 175 ff.)

    4.1. Natürlicher Kausalzusammenhang

    Definition s. oben (N 103).

    -

    165 4.2. Adäquater Kausalzusammenhang

    Definition s. oben (N 104).

    166 Subsumption:

    Das Abfeuern der Raketen ist conditio sine qua non für den Schaden. Hätte G die Raketen nicht gezündet, wäre es nicht zu einer Explosion auf dem Festgelände und damit zum eingetretenen Schaden bei S ge-kommen.

    Die durch das Zünden von Raketen hervorgerufene unkontrollierbare Flugbahn kann nach dem gewöhn-lichen Lauf der Dinge geeignet sein, beim Explodieren in unmittelbarer Nähe einer Person eine Körper-verletzung hervorzurufen. Die Handlung des G ist folglich auch adäquat kausal für den eingetreten Scha-den bei S.

    167 5. Widerrechtlichkeit

    Definition s. oben (N 106).

    0.5

    168 Verletzung eines absoluten Rechts (Erfolgsunrecht)

    Definition s. oben (N 107).

    169 Subsumption:

    S wird in ihrer physischen Integrität beeinträchtigt, womit ein Erfolgsunrecht vorliegt.

    Rechtfertigungsgründe sind keine ersichtlich.

    170 6. Verschulden

    Definition s. oben (N 109 ff.).

    -

    171 Subsumption:

    Subsumption s. oben (N 112).

    172 Verjährung

    Nach Art. 60 OR verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung nach einem Jahr (relative Frist) resp. zehn Jahren (absolute Frist).

    -

    173 Fazit:

    S hat einen Anspruch auf Schadenersatz aus ZGB 55 II i.V.m. OR 41 gegen den H-Club. Das Verhalten von G als Vorstandsmitglied wird dem H-Club angerechnet.

    -

    174

    175 Variante Unterlassen -

    176 4. Kausalzusammenhang

    Definition s. oben (N 116 f.).

    -

    178 Subsumption:

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    19

    G trifft als Sicherheitsverantwortlicher für das Feuerwerk und als Inhaber eines FWB-Ausweises eine Pflicht / Garantenstellung, die Massnahmen so zu treffen, dass eine Gefährdung von Personen und Güter ausgeschlossen werden kann. Dabei ist er verpflichtet, die in den FWB-Sicherheitsrichtlinien festgesetzten Mindestsicherheitsabstände zu beachten. Ziff. 2.3.8 der Sicherheitsrichtlinien setzt einen Mindestsicher-heitsabstand zum Publikum und Schutzziel von 125 Metern für Raketen voraus. Diesen Abstand missach-tet G, indem er die Feuerwerkskörper weniger als 70 Meter von der Heuscheune von K (die Scheune liegt zwischen dem Festgelände und der Abschussvorrichtung) aufstellt und zündet.

    Mit dem Einhalten der Sicherheitsabstände soll die Integrität von Leib und Gut Dritter gewährleistet werden. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ist somit anzunehmen, dass der Schaden mit überwie-gender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, hätte G den Mindestabstand von 125 Metern für Rake-ten eingehalten. Die hypothetische Kausalität ist somit zu bejahen.

    179

    180 Anspruch von S gegen den H-Club auf Genugtuung aus ZGB 55 II i.V.m. OR 47. 0.5

    181 Die Voraussetzungen für den Genugtuungsanspruch der juristischen Person sind:

    1. die Organqualität,

    2. ein Handeln in der Eigenschaft als Organ,

    3. ein immaterieller Unbill,

    4. ein Kausalzusammenhang,

    5. die Widerrechtlichkeit (subsidiär Sittenwidrigkeit; OR 41 II) und

    6. ein Verschulden.

    -

    182 1. Qualifizierung als Organ

    Definition und Subsumption s. oben (N 94 f.).

    -

    183 2. Handeln in der Eigenschaft als Organ

    Definition und Subsumption s. oben (N 96 f.).

    -

    184 3. Seelischer Schmerz (immaterielle Unbill)

    Definition und Subsumption s. oben (N 149 f.).

    -

    185 4. Natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang

    Definition und Subsumption s. oben (N 103 ff.).

    -

    186 5. Widerrechtlichkeit

    Definition und Subsumption s. oben (N 106 f. / 169).

    -

    187 6. Verschulden

    Definition und Subsumption s. oben (N 109 ff.).

    -

    188 Verjährung

    Nach Art. 60 OR verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung nach einem Jahr (relative Frist) resp. zehn Jahren (absolute Frist).

    -

    189 Fazit:

    S hat gegen den H-Club einen Anspruch auf Genugtuung OR 47 i.V.m. ZGB 55 II.

    -

    190

    191 Konkurrenzen

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    20

    192 Zwischen den vertraglichen und den deliktischen Ersatzansprüchen besteht nach h.L. Anspruchskonkur-renz. Somit hat S die Wahl, ihren Schaden entweder nach den Regeln der Vertragshaftung zu liquidieren oder nach den Grundsätzen im Deliktsrecht vorzugehen.

    0.5

    193 Fall 2: Das explosive Volksfest

    194 Frage 6 Max. 10 Pt.

    195 Kann G gegen den Beschluss vorgehen? -

    196 Ausschliessung eines Mitgliedes durch den Verein

    Nach ZGB 72 I können die Statuten des Vereins die Gründe bestimmen, aus denen ein Vereinsmitglied ausgeschlossen werden darf. Sagen die Statuten nichts darüber, so darf die Ausschliessung nur durch Vereinsbeschluss und aus wichtigen Gründen erfolgen (ZGB 72 III).

    1.5

    197 Subsumption:

    Laut SV ist in den Statuten des H-Clubs keine Klausel enthalten, unter welchen Bedingungen Mitglieder ausgeschlossen werden können. ZGB 72 I ist folglich nicht einschlägig, weshalb Mitglieder nur durch Vereinsbeschluss (ZGB 65 I) und aus wichtigen Gründen i.S.v. ZGB 72 III ausgeschlossen werden kön-nen.

    198 Vereinsbeschluss

    Die Vereinsversammlung kann über den Ausschluss von Mitgliedern beschliessen (ZGB 65 I).

    Voraussetzung für eine gültige Beschlussfassung sind die gehörige Einberufung der Vereinsversamm-lung (ZGB 64 II und III) und eine hinreichende Ankündigung der Traktanden (ZGB 67 III).

    Sind alle Mitglieder anwesend oder vertreten (sog. Universalversammlung) bleiben diese formalen Krite-rien allerdings unbeachtlich (HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, N 18.31).

    4

    199 Subsumption:

    Gemäss SV sind alle 32 Mitglieder des H-Clubs an der Vereinsversammlung anwesend. Nicht entschei-dend ist somit die Frage, ob die Vereinsversammlung gehörig einberufen oder das Traktandum des Aus-schlusses des G hinreichend angekündigt wurde. Der Vereinsbeschluss ist demnach gültig zustande gekommen.

    200 Statutarische Anfechtungsklage

    Art. 24 der Statuten des H-Clubs sehen vor, dass die Beschlüsse der Vereinsversammlung innerhalb von zehn Tagen angefochten werden können.

    Einen Tag nach dem Vereinsbeschluss reist G für drei Wochen nach Kambodscha. Bei seiner Rückkehr ist die statutarische Frist von zehn Tagen verstrichen.

    0.5

    201 Zwingende Normen

    Fraglich ist, ob G sich auf ZGB 75 berufen kann. Dies ist dann der Fall, wenn es sich bei ZGB 75 um eine zwingende gesetzliche Norm handelt.

    ZGB 75 i.V.m. ZGB 72 III sieht vor, dass der Ausschluss eines Mitglieds richterlich auf seine Begründet-heit hin überprüfbar ist, sofern er aus „wichtigem Grund“ ausgesprochen wurde.

    ZGB 63 II regelt die Normenhierarchie im Vereinsrecht. Zwingendes Recht liegt dort vor, wo die vereins-rechtlichen Normen die Formulierung „von Gesetzes wegen“ enthalten. ZGB 75 ist somit zwingend i.S.v. ZGB 63 II. Eine statutarische Abänderung ist nicht zulässig. Art. 24 der Statuten ist nicht gültig.

    2

    202 Das Klagerecht nach ZGB 75 besteht, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

    1. das betreffende Mitglied hat dem Beschluss nicht zugestimmt,

    2. die Verwirkungsfrist von einem Monat wird gewahrt,

    0.5

  • Prüfung Privatrecht I – HS15 Prof. Dr. Claire Huguenin

    21

    3. der Beschluss verletzt das Gesetz oder die Statuten.

    203 Subsumption:

    1. G ist empört über den überraschenden Beschluss seines Ausschlusses. Mangels anderer Hinweise im SV muss davon ausgegangen werden, dass G dem Beschluss nicht zugestimmt hat.

    2. G fragt sich drei Wochen nach der Vereinsversammlung, ob er gegen den Beschluss vorgehen kann. Folglich ist die Frist von einem Monat noch nicht verstrichen.

    3. Nicht zu prüfen ist, ob der Beschluss das Gesetz oder die Statuten verletzt (materielle Begründung).

    1.5

    204 Fazit:

    G kann den Beschluss der Vereinsversammlung über seinen Ausschluss anfechten. Dabei muss er geltend machen, dass kein wichtiger Grund i.S.v. 72 III vorliegt.

    -

  • I

    941.41 Bundesgesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz, SprstG)

    vom 25. März 1977 (Stand am 1. Januar 2013)

    Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

    gestützt auf die Artikel 20 Absatz 1, 31bis Absatz 2, 32 Absatz 3, 34ter, 40bis, 64bis, 69bis und 85 Ziffer 7 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 20. August 1975,

    beschliesst:

    1. Abschnitt: Geltungsbereich und Begriffe

    Art. 7 Pyrotechnische Gegenstände

    Pyrotechnische Gegenstände sind gebrauchsfertige Erzeugnisse mit einem Explosiv- oder Zündsatz, die

    a. nicht zum Sprengen, sondern zu andern industriellen, technischen oder landwirtschaftlichen Zwecken bestimmt sind, wie Signalmittel, Wetterraketen, Patronen zum Schweissen oder Härten von Metallen, oder

    b. bloss dem Vergnügen dienen, wie die Feuerwerkskörper.

    4. Abschnitt: Schutz- und Sicherheitsvorschriften

    Art. 17 Grundregel

    Wer mit Sprengmitteln oder pyrotechnischen Gegenständen umgeht, ist verpflichtet, zu ihrer Sicherung sowie zum Schutze von Leben und Gut alle nach den Umständen gebotenen und zumutbaren Massnahmen zu treffen.

  • II

  • III

  • IV