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......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... PROJEKT PROZESSLEITTECHNIK [2] Projekt Prozessleittechnik – soziale Kompetenz durch praktisches Handeln erwerben Studierende der Automatisierungstech- nik bilden während eines Semesters eine Projektgruppe und lösen selbständig eine komplexe technische Aufgabe. Dabei praktizieren und organisieren sie wie selbstverständlich Gruppenarbeit. In einem begleitenden Seminar werden die Kommunikationspro- zesse in der Gruppe transparent gemacht, und die abschließende Präsentation wird unterstützt. ULF CLAUSSEN, CLAUS FRÖHLICH Fachhochschule Hamburg, Fachbereich Elektrotechnik und Informatik BARBARA THOMASS Universität Hamburg So fing es an “Schlüsselqualifikationen, soziale Kompe- tenz, Selbstorganisation, ... alles schön und gut, aber das kann man doch nicht lehren!”– Die- ser Ausspruch eines Kollegen im Laufe einer Diskussion vor etwa zwei Jahren ließ mich nicht mehr los. Ich wollte es doch wenigstens ver- suchen. Denn wenn die Fachhochschule ihrem so oft beschworenen Anspruch auf Praxisnä- he gerecht bleiben will, dann muss das doch auch die nichttechnische Kompetenz mit ein- schließen. Die Qualifikation heutiger Ingenieurtätig- keit unterscheidet sich wesentlich von dem, was noch vor zwanzig Jahren als gut und rich- tig galt. Waren es traditionell die Entwicklungs- abteilungen, die den Jungingenieur aufnahmen und weiterformten, so ist das Spektrum des Ersteinsatzes heute wesentlich breiter. Das Ar- beitsumfeld ist in raschem Wandel begriffen: q Die Innovationszyklen werden immer kür- zer. (Siemens verdient sein Geld heute zu 40% mit Produkten, die es vor fünf Jahren noch gar nicht gab.) q Große Firmen mit beamtenähnlichen Struk- turen sind nicht mehr lebensfähig. Ganze Betriebsteile werden in selbständig am Markt agierende Tochterfirmen ausgeglie- dert. q Die Wertschöpfung in Deutschland verla- gert sich weiter von der Produktion hin zur Dienstleistung. (Allein in Hamburg fiel z.B. seit 1980 jeder zweite Arbeitsplatz im pro- duzierenden Gewerbe weg.) q Die Globalisierung schreitet weiter voran. Nicht nur Großfirmen, sondern zunehmend auch kleinere und mittlere Firmen müssen ihre Märkte für Produktion und Absatz welt- weit suchen. q Feste Hierarchien in Firmen lösen sich auf und werden ersetzt durch aufgabenoriente Projektteams mit begrenzter Lebensdauer. Für den Jungingenieur mit einer Perspek- tive von drei bis vier Berufs-Jahrzehnten vor sich bedeutet das: q Ich kann nicht mehr damit rechnen, lebens- lang Mitarbeiter nur einer Firma zu sein. q Ich muss innerhalb meines Arbeitsumfelds ständig auch mit Kollegen aus nichttechni- schen Bereichen kommunizieren. q Das Fachwissen aus der Ausbildung hat ein kurzes Verfallsdatum. Lernen, wie man lernt, ist wesentlich. q Ich sollte auch eine selbständige Tätigkeit ins Kalkül ziehen. Es ist offensichtlich, dass ein berufsquali- fizierendes Studium auf diese Situation vor- bereiten muss. Doch die Realisierung scheint der Quadratur des Kreises zu gleichen. Denn es sind mehrere einander widersprechende Forderungen zu erfüllen: q Es soll eine solide Basis an Grundlagen- wissen vermittelt werden, da dieses univer- sell anwendbar und alterungsbeständig ist. (Auf dem Hintergrund zunehmend inhomo- gener Schulkenntnisse ist das besonders schwierig geworden.) q Insbesondere durch das Vordringen von In- [1] Studenten am Modell der Produnktionsanlage

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Projekt Prozessleittechnik –soziale Kompetenz durch

praktisches Handeln erwerben

Studierende derAutomatisierungstech-nik bilden währendeines Semesters eineProjektgruppe undlösen selbständig einekomplexe technischeAufgabe. Dabeipraktizieren undorganisieren sie wieselbstverständlichGruppenarbeit. Ineinem begleitendenSeminar werden dieKommunikationspro-zesse in der Gruppetransparent gemacht,und die abschließendePräsentation wirdunterstützt.

ULF CLAUSSEN, CLAUS FRÖHLICHFachhochschule Hamburg, Fachbereich Elektrotechnik und Informatik

BARBARA THOMASSUniversität Hamburg

So fing es an

“Schlüsselqualifikationen, soziale Kompe-tenz, Selbstorganisation, ... alles schön und gut,aber das kann man doch nicht lehren!” – Die-ser Ausspruch eines Kollegen im Laufe einerDiskussion vor etwa zwei Jahren ließ mich nichtmehr los. Ich wollte es doch wenigstens ver-suchen. Denn wenn die Fachhochschule ihremso oft beschworenen Anspruch auf Praxisnä-he gerecht bleiben will, dann muss das dochauch die nichttechnische Kompetenz mit ein-schließen.

Die Qualifikation heutiger Ingenieurtätig-keit unterscheidet sich wesentlich von dem,was noch vor zwanzig Jahren als gut und rich-tig galt. Waren es traditionell die Entwicklungs-abteilungen, die den Jungingenieur aufnahmenund weiterformten, so ist das Spektrum desErsteinsatzes heute wesentlich breiter. Das Ar-beitsumfeld ist in raschem Wandel begriffen:q Die Innovationszyklen werden immer kür-

zer. (Siemens verdient sein Geld heute zu40% mit Produkten, die es vor fünf Jahrennoch gar nicht gab.)

q Große Firmen mit beamtenähnlichen Struk-

turen sind nicht mehr lebensfähig. GanzeBetriebsteile werden in selbständig amMarkt agierende Tochterfirmen ausgeglie-dert.

q Die Wertschöpfung in Deutschland verla-gert sich weiter von der Produktion hin zurDienstleistung. (Allein in Hamburg fiel z.B.seit 1980 jeder zweite Arbeitsplatz im pro-duzierenden Gewerbe weg.)

q Die Globalisierung schreitet weiter voran.Nicht nur Großfirmen, sondern zunehmendauch kleinere und mittlere Firmen müssenihre Märkte für Produktion und Absatz welt-weit suchen.

q Feste Hierarchien in Firmen lösen sich aufund werden ersetzt durch aufgabenorienteProjektteams mit begrenzter Lebensdauer.Für den Jungingenieur mit einer Perspek-

tive von drei bis vier Berufs-Jahrzehnten vorsich bedeutet das:q Ich kann nicht mehr damit rechnen, lebens-

lang Mitarbeiter nur einer Firma zu sein.q Ich muss innerhalb meines Arbeitsumfelds

ständig auch mit Kollegen aus nichttechni-schen Bereichen kommunizieren.

q Das Fachwissen aus der Ausbildung hat einkurzes Verfallsdatum. Lernen, wie manlernt, ist wesentlich.

q Ich sollte auch eine selbständige Tätigkeitins Kalkül ziehen.Es ist offensichtlich, dass ein berufsquali-

fizierendes Studium auf diese Situation vor-bereiten muss. Doch die Realisierung scheintder Quadratur des Kreises zu gleichen. Dennes sind mehrere einander widersprechendeForderungen zu erfüllen:q Es soll eine solide Basis an Grundlagen-

wissen vermittelt werden, da dieses univer-sell anwendbar und alterungsbeständig ist.(Auf dem Hintergrund zunehmend inhomo-gener Schulkenntnisse ist das besondersschwierig geworden.)

q Insbesondere durch das Vordringen von In-

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Studenten am Modell derProdunktionsanlage

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formationstechnolo-gie in alle techni-schen Tätigkeiten istdas Fachwissen inraschem Wandel be-griffen. Zur Berufs-qualifizierung mussdie Ausbildung hierzumindest den aktu-ellen Stand vermit-teln. Erkennbare Zu-kunftsentwicklungensollten berücksichtigtwerden.

q Ein Markenzeichender Fachhochschul-ausbildung – effekti-ves Studium in Re-gelstudienzeit – darf keinesfalls gefährdetwerden.

In die Zeit der Ideenfindung fielen für mich zweiInformationen, die mich auf dem eingeschla-genen Weg bestärkten: Zum einen die Veröf-fentlichung des VDI-Papiers zur Ingenieuraus-bildung [1], in dem nachhaltig die soziale Kom-petenz im Studium angemahnt wird. Es wirdein Anteil von 20% an nichttechnischen Inhal-ten im Studium empfohlen. Zum anderen derErfahrungsbericht meines Kollegen JörgRaasch [2] aus dem Bereich Softwaretechnik,wo etwas ähnliches schon früher verfolgt wur-de.

Das Projekt

Die Idee nahm folgende Gestalt an:

Die Technik

Die Automatisierungstechnik der letztenfünf bis zehn Jahre ist gekennzeichnet durchden Einsatz von durch Feldbussysteme ver-netzte Lösungen. Im Bereich Mensch-Maschi-ne-Schnittstelle sind durch den Einsatz von In-dustrie-PCs benutzerfreundliche grafischeOberflächen kostengünstig verfügbar gewor-den, die den Produktionsablauf flexibel undsituationsgerecht darstellen. Durch eine Markt-studie [3] wurden nach einer Bewertungsfor-mel die geeigneten technischen Komponen-ten definiert. In anschließenden Diplomarbei-ten [4, 5] wurde ein für die Lehre geeigneterLaboraufbau in Form einer Modellfabrik reali-siert.

Die Organisation

Im Gegensatz zu den üblichen Praktika, indenen die Studierenden relativ eng gefassteAufgabenstellungen in vorgegebener Zeit alsfeste Arbeitsgruppen im Labor lösen müssen,soll hier eine komplexe Gesamtaufgabe von

einer gesamten Semestergruppe (max. 16 Teil-nehmer) über ein ganzes Semester verteiltgelöst werden. Die Aufgabendefinition ist reinergebnisorientiert; Hinweise auf Zwischenlö-sungen fehlen. Als Anschub finden kurze Ein-führungsseminare in die Werkzeuge statt.

Die Projektarbeit wird von einer Kommu-nikationswissenschaftlerin begleitet. Nachdemin der ersten Projekthälfte Erfahrungen mitGruppenprozessen gemacht wurde, findet einWochenendseminar zum Thema Kommunika-tion statt. Außerdem wird die abschließendefachbereichsöffentliche Präsentation der Pro-jektergebnisse professionell vorbereitet.

Die Lehrenden

Mit ein Projektziel ist es, Teamarbeit inpraktischer Wirklichkeit zu erfahren und damitzu lernen. Eine Besonderheit dabei ist, dassauch die Anleiter ein Team bilden, das aus demProfessor als Aufgabensteller, einem wissen-schaftlichen Mitarbeiter als Fachmann im La-bor und einer Kommunikationswissenschaftle-rin als nichttechnischer Projektbegleiterin be-steht. Natürlich muss sich auch dieses Teamden besonderen Anforderungen des arbeitstei-ligen Zusammenwirkens gewachsen zeigen...

Ergebnisse

Nachdem inzwischen der dritte Projekt-durchlauf gestartet wurde, lässt sich eine er-ste Zwischenbilanz ziehen.

Wenn es nicht schon aus der Beobachtungder Teilnehmer während der laufenden Arbeitklar gewesen wäre, hat die Auswertung desFeedbacks ergeben, dass die Mitarbeit am Pro-jekt von den Studenten als sehr nützlich ein-geschätzt wird. Besonders wurde die Möglich-keit zu angeleiteter aber selbständiger Tätig-keit gelobt.

Auch hier zeigte sich die Erfahrung, vonder auch aus anderen Projekten immer wieder

Entwicklung findetheute im hautnahenKontakt mit dem Marktstatt; nur wer Marktni-schen frühzeitigerkennt und Innovatio-nen vor dem Wettbe-werb am Marktplaziert, hat eineChance auf einenVorteil. Für Ingenieurevon heute ist effizien-tes Teamwork aufallen Ebenen ange-sagt: im Vertrieb, inder Entwicklung, imMarketing und in derProduktion.Teamwork bedeutet inerster Linie Kommuni-kation. Vernetztes,gesamtheitlichesDenken auf allenEbenen und ohneHierarchie- undBereichsgrenzen. Esbedeutet auch, dasWesentliche vomUnwesentlichen zuunterscheiden, überden Tellerrand zuschauen, die Dinge aufden Punkt zu bringenund Ergebnisse zupräsentieren. ImGrunde genommenweiß das jeder; aberauch “effizientkommunizieren” willgelernt sein.Das Projekt Prozeßleit-technik, wie von derFH Hamburg modell-haft praktiziert, halteich hier für einenbeispielhaften Ansatz:Technisch vernetzte,mit modernenSystemen visualisierteProzesse sind auf dieoptimale Kommunika-tion zwischen Menschund Maschineausgerichtet undbilden hierfür einideales Arbeitsfeld.Hier kann es nurGewinner geben: diekünftigen Ingenieure,das Ausbildungssy-stem, die Industrieund nicht zuletzt dervielzitierte “StandortDeutschland”.

[Dr. FriedemannRoether,Leiter EntwicklungAutomation Anlagen,Hauni MaschinenbauAG, Hamburg-Bergedorf]

Projektarbeit

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berichtet wird: Durch die Eigenverantwortlich-keit wird eine zusätzliche Motivation bei denTeilnehmern erzeugt, die vorher nicht vermu-tete Arbeitsleistung und Kreativität erzeugt.

Ich habe den Eindruck, dass sich die vielbeschworenen Schlüsselqualifikationen sichernicht durch herkömmliche Frontalveranstaltun-gen lehren lassen, sondern dass die Projekt-form der geeignete Rahmen dafür ist. Wennsich das in einen realistischen, technisch an-spruchsvollen Versuchsgegenstand integrierenlässt, ist dabei der Lernerfolg besonders hochund hat Mehrfachnutzen.

Weiterentwicklung

Internet

Als Zusatztool zu dem verwendeten Be-dien- und Beobachtungswerkzeug InTouch bie-tet der Hersteller Wonderware ein Programman, mit dessen Hilfe eine Prozessbeobachtungüber das Internet, bei Bedarf weltweit, mög-lich ist. Das ist in kommerziellen Anwendun-gen insbesondere dann interessant, wenn An-lagen von entfernten Standorten aus beobach-tet werden sollen oder ein Servicefall eintritt.

Zukünftig soll dieses Werkzeug in das Pro-jekt so integriert werden, dass alle Gruppen-mitglieder sich auch von außerhalb des Laborsüber den aktuellen Stand des Projekts überDatenverbindung informieren können. Daskann dann sowohl von jedem vernetzten PC-Arbeitsplatz an der Fachhochschule als auchvom häuslichen PC geschehen.

Eine andere angedachte Anwendung ist dieZusammenarbeit mit unserer Partnerhoch-schule USST (University of Shanghai for Sci-ence and Technology) in China, an der zeit-gleich ein ähnliches Projekt unter ständigerKommunikation über das Internet ablaufenkönnte. Herr Huang Zong Wen hat Ende desvergangenen Jahres die technischen Voraus-setzungen dafür während seines viermonati-gen Aufenthalts als Gastwissenschaftler ander FH Hamburg geschaffen.

SAP R/3-Ankopplung

Gegenstand des dargestellten Projekts istdie Realisierung des technischen Teils einercomputer-integrierten Produktion. Für einenvollständig computer-integrierte Fabrik gehörtjedoch die Ankopplung an ein computerge-stütztes Produktions-Planungs-System dazu.Hier spielen die Produkte der Firma SAP eineweltweit führende Rolle.

Um diese Ankopplung im Projektrahmenrealisieren zu können, wurde Kontakt mit ei-nem Kollegen des Fachbereichs Maschinen-bau und Produktion aufgenommen, wobei sichergab, dass die dortigen Studenten ebenfalls

ein Projekt unter Verwendung des SAP R/3-Systems durchführen, in dem allerdings dieSchnittstelle zu realer Technik bisher nur si-muliert wird.

Es soll untersucht werden, inwieweit eineKopplung dieser beiden Semesterprojektemöglich und sinnvoll ist. In InTouch ist eineSchnittstelle zur SAP-Welt vorbereitet.

Mehr Projekte

Aufgrund der positiven Erfahrungen mitdiesem Projekt im 7. Semester ist für das näch-ste Jahr die zusätzliche Einführung eines klei-neren Projekts schon im 6. Semester geplant.Dabei soll ein regelungstechnisches Praktikum,das bisher aus vier getrennten Einzelversuchenbestand, in Form eines Projekts durchgeführtwerden.

[Ulf Claussen]

Kommunikation und Präsentation

Studierende arbeiten während eines Se-mesters gemeinsam an einer Projektaufgabe– mit den Erfahrungen, die sie bisher an derFachhochschule gemacht haben, mit den in-dividuellen Arbeitsweisen, mit den Sympathi-en und Antipathien, die in jeder Gruppe latentwirken, mit dem Zeitdruck, eine komplexe Auf-gabenstellung bis zum Ende des Semesterserfolgreich zu bewältigen. Alles in allem eineSituation, in der vielfältige Kommunikations-prozesse stattfinden und die viel beschwore-nen sozialen Kompetenzen notwendig ihre Wir-kung auf das Arbeitsergebnis zeitigen. Nur: Esist nicht unbedingt die übliche Arbeitsweise aneinem technischen Fachbereich, dass Verhal-ten und innere Motivationen für dieses Verhal-ten, dessen Wirkungen und mögliche Verhal-tensveränderungen zum Gegenstand einerLehrveranstaltung werden.

Soziale Kompetenz

Und was ist überhaupt soziale Kompetenz?Die Fachwelt der Psychologen und Kommuni-kationstrainer bietet (fast) soviele Anworten,wie Experten befragt werden. „Ex negativo“ istalles damit gemeint, was nicht Fach- und Me-thodenkompetenz ist. Also: Teamgeist und Ein-fühlungsvermögen, die Fähigkeit, gut zuzuhö-ren und Verständnis zu haben und zu zeigen,auch Kritikfähigkeit, Verantwortungsbewusst-sein und Selbstbewusstsein, Kommunikations-fähigkeit, Konfliktlösebereitschaft und undund... Kurz: Es gilt, mit der eigenen Personund mit anderen Menschen so umgehen zu

INTERSCHALT ist einAnlagen- und System-haus, das seinenKunden der Industrieund des Schiffbausein breites Angebotzur Steuerung undAutomatisierung vonGesamtprozessenanbietet. Im Rahmenvon Großprojektenwerden auch Prakti-kanten und Diploman-den in Projektteamsintegriert. Hierbei gehtes nicht nur umtechnische Kompe-tenz sondern auch umdie soziale Eingliede-rung in das Team.Der FH Hamburg ist esgelungen, dieseThematik aufzugreifenund mit dem ProjektProzeßleittechnikumzusetzen:Praxisnaher Einsatzvon technischenKomponenten wiefreiprogrammierbarenSteuerungen, Bussy-stemen, dezentralerPeripherie, Visualisie-rungstools auf demaktuellen Stand derTechnik.Lösen einer Gesamt-aufgabe in derSemestergruppe unddas Einbringen desEinzelnen in diesesTeam als sozialeKomponente.Eine solche praxisbe-zogene Ausbildungsehen wir als hervor-ragende Vorbereitungauf das spätereBerufsleben an. DieWeiterentwicklung inRichtung Internet- undSAP R/3-Ankopplunghaben auch wir alsTrend erkannt undwerden verstärkt indiesen Bereichenagieren.

[Stefan Boltze,Leiter Projekt-abwicklung,Interschalt GmbH,Hamburg-Schenefeld]

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können, dass es zu einem erfolgreichen Mit-einander kommt, in dem die Balance zwischenSelbstverwirklichung und sozialer Anpassunggelingt.

Uneinigkeit herrscht aber auch durchausdarüber, inwieweit es möglich ist, das Verhal-ten eines erwachsenen Menschen in diesemSinne zu beeinflussen; eignen wir uns dochunsere typischen Verhaltensweisen schon infrühem Kindesalter an. Aber nicht immer istunser Umgang mit anderen Menschen erfolg-reich. Dann müssen und können wir umlernen.Die Veränderung von Einstellungen und Ver-haltensweisen ist ein komplexer Lernprozess,der an unmittelbaren Erfahrungen anknüpft.

Das Projektstudium bietet zahlreiche sol-cher Anknüpfungspunkte. Wie bilden sich Ar-beitsgruppen? Wie funktioniert der Informati-onsfluss zwischen den Gruppen? Wer enga-giert sich? Wer lässt sich eher treiben? An wel-chen Punkten tauchen Probleme auf, und wiegehen die Kommilitonen damit um?

Seminarwochenende

Wenn die Gruppe nach einem halben Se-mester der Projektarbeit für ein Wochenendezusammenkommt, kommen diese Erfahrungenauf den Tisch bzw. auf’s Flipchart. Denn esgeht nicht um Nabelschau oder darum, denFinger in Wunden zu legen, sondern für Grup-penprozesse zu sensibilisieren und gemeinsamWege auszuarbeiten, wie die Zusammenarbeitoptimiert werden kann.

Vermittlung von Wissen über die Dynamikin einer Gruppe und die Hürden, die sie zunehmen hat, ist nur ein Teil des Inhalts desSeminarwochenendes. In mehreren Ge-sprächsrunden wird erarbeitet, welche Schrit-te die Gruppe bis jetzt gegangen ist, wie siekooperiert hat und welche Defi-zite erkennbar werden. Dasseine „Nicht-Technikerin“ dabeimit Automatisierungstechnikernzusammenarbeitet, erleichtertes, den Blick einmal nicht aufdas Was der fachlichen Seitedes Projekts, sondern auf dasWie, also auf das kommunika-tive Miteinander zu richten. Die-ser Blick ist für die meisten zu-nächst befremdlich. Schließlichsind Konflikte, die dabei zurSprache kommen können, inder Regel eher etwas, das ger-ne zur Seite geschoben wird.Um sie zur Quelle für Optimie-rungsstrategien bei der Zusam-menarbeit zu machen, müssenerst Gründe einsichtig werden.Gegenseitiges Feedback, Rol-lenspiele und Zielvereinbarun-

gen sind Schritte auf dem Weg, neue Verhal-tensweisen für die Gruppe zu finden.

Aber der Blick ist auch auf den Einzelnengerichtet: Wie präsentiert er sich, wie geht ermit seinen Redeängsten um, wie ist seine Kom-munikationswirkung auf andere? Wir trainie-ren in verschiedenen Übungen die Redefähig-keit jedes Teilnehmers; er kann spielerischneue Redeverhaltensweisen ausprobieren, under erhält Feedback zu seiner Person. Das hilft,aufmerksamer Selbstbild und Fremdbild wahr-zunehmen, um zu erkennen, wohin die Reiseder Weiterentwicklung gehen kann.

Dass wir für das Seminarwochenende ”Prä-sentation und Kommunikation“ als Ort eineschön gelegene Jugendherberge in HamburgsUmgebung wählen, hat eine doppelte Funkti-on: Wir wollen die Gruppe für einen längerenZeitraum beieinander haben, und wir wolleneine Atmosphäre der Offenheit und des Ver-trauens schaffen, in der die Beschäftigung mitsolchen oft zunächst als ”heikel“ empfundenenFragen leichter fällt. Der nüchterne Studien-betrieb kann da eher als ein Hindernis wirken.Aber nach einem Abend Klönschnack beimBier, einem Volleyballspiel in der Mittagspau-se oder einem gemeinsam organisierten Grill-fest fällt es leichter, Reibungspunkte offen aus-zusprechen und die eigenen Interessen einzu-bringen.

Die Projektarbeit ist ein Prozess, und sobegleiten wir diesen Prozess mit dem beob-achtenden Blick auf die Metaebene. Einige Wo-chen später kommen die Studierenden erneutzu einer Sitzung zusammen, um die Wege zureflektieren, die sie gegangen sind, und tieferin die Erkenntnis von menschlichen Verhaltens-weisen und ihren Bestimmungsfaktoren einzu-dringen. So wird das “Spazierengehen im Kopfdes anderen”, das sich Hineindenken in die Ein-

WochenendseminarKommunikation und

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stellungen und Interessenlage des anderen,geübt und anhand der lebendigen Projekter-fahrung konkret gemacht. Diese Fähigkeit, denanderen in seiner Andersartigkeit wahrzuneh-men, stellt letztlich die Grundlage für sozialeKompetenz dar.

Präsentation der Projektergebnisse

Das Ende des Semesters steht ganz imZeichen der Vorbereitung der öffentlichen Dar-stellung der Projektergebnisse. Vorbereitungenund Videotraining für die Präsentation dienender Stärkung der kommunikativen Kompetenzin der anspruchsvollen Situation, Außenstehen-den die fachliche Seite des Projekts und dieQualitätsarbeit der Gruppe im vergangenenSemester zu vermitteln.

Das Training von Verhaltensänderung und-optimierung ist ein langfristiger Prozess mitungewissen Ausgang. Das hier konzipierte Pro-jektstudium kann dafür Anstöße und Grundla-gen liefern. Eine einmalige Erfahrung dieserArt ist jedoch nicht ausreichend. Langfristigfruchtbar wird sie, wenn das Anliegen, sozialeKompetenz zu vermitteln, im gesamten Lehr-angebot der Fachhochschule seinen gebühren-den Platz erhält.

[Barabara Thomaß]

Das Modell einerProduktionsanlage

Überblick

Automatisierungstechnik bestimmt dieAbläufe bei der Verarbeitung von Stoffen undbei der Fertigung technischer Artikel. DieKenntnisse über verwendete Hard- und Soft-ware erwirbt ein Ingenieurstudent in Praktika,Projektarbeit und im praktischen Studienseme-ster. Für das Projekt Prozessleittechnik ist dasModell einer Produktionsanlage erstellt wor-den. Das Modell wurde an eine von der FirmaFESTO-Didaktik vertriebene Anlage ange-lehnt, jedoch für die angestrebte Nutzung mo-difiziert und um wesentliche Teile erweitert. DieProduktionsanlage gliedert sich in vier Teilan-lagen:q 1. Reaktionq 2. Filtrationq 3. Lagerung 1q 4. Lagerung 2

Jede Teilanlage hat eine eigene Regelung,zugeordnete Ein-Ausgabe-Stationen und Feld-bus-Anschlüsse. Verbunden sind die einzelnenProzessstationen über ein Rohrsystem mit Ven-tilen und Pumpen. Bild 1 zeigt in einem Rohr-leitungs- und Instrumentenfließbild den Verbin-

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Bild 1: Rohrleitungs- undInstrumentenfließbild der

Produktionsanlage

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dungsaufbau und die EMSR-Stellen (Elektro-,Mess-, Steuer- und Regelungstechnik). EMSR-Stellen sind beispielhaft die Regler (LIC, FIC,TIC), die Ventile, die Pegelschalter (LS+, LS-)und die Pumpen. Mit der Anlage sind, wegender Nutzung industrieller Hardware-Komponen-ten, praxisnahe Prozessabläufe möglich. Daalle Geräte über einen Feldbus mit mehrerenProzessleitrechnern verbunden sind, ist dieVerarbeitung von Rezepturen und die Steue-rung als Chargenprozess problemlos möglich.Die Rechner dienen als zentrale Leitstationen– also als HMI (Human Maschine Interface) –mit einer Visualisierung der Produktionsanla-ge (Bild 2).

Aufbau der Anlage

Nach Vorstudien und Planungen im Rah-men einer Diplomarbeit [5] sind die Baugrup-pen und Programme zum Teil gekauft, zumTeil auch als Industriespenden (Firmen In-Touch, Weidmüller) zur Verfügung gestelltworden . Die Mitarbeiter des Labors für Rege-lungstechnik und Automation haben dann inEigenarbeit nach vorab erstellten Konstrukt-ions- und Verdrahtungsskizzen die Anlage auf-gebaut. Sie ist in einem weiteren Schritt umSicherheitsschaltkreise ergänzt worden.

Nach Abschluss der Zusammenstellungwurde die Produktionsanlage befüllt und er-probt, und es wurde eine Dokumentation an-

gefertigt. Die üblicherweise notwendigen Nach-besserungen beschränkten sich auf Förderlei-stungsanpassungen der Pumpen, Abgleich derEmpfindlichkeit bei den Füllstandsgebern undErgänzung der Dokumentation.

[Claus Fröhlich]

Literatur

[1] Ingenieurausbildung im Umbruch – Emp-fehlung des VDI für eine zukunftsorien-tierte Ingenieurausbildung; Verein Deut-scher Ingenieure, Düsseldorf, Mai 1995.

[2] Jörg Raasch, Angela Sack-Hauchwitz:Kooperation, Kommunikation, Präsenta-tion: Lernziele im Software-Engineering-Projekt; Technische Berichte des Fach-bereichs Elektrotechnik und Informatikder FH Hamburg, Nr. 30, 1997.

[3] Christoph Kausior: Analyse und Beurtei-lung von Prozessleitsystemen; Studien-arbeit FH Hamburg, FB E/I, 1996.

[4] Christoph Kausior: Visualisierung einespneumatischen Prozesses mit einem Pro-zessleitsystem; Diplomarbeit FH Ham-burg, FB E/I, 1996.

[5] Bernd M. Grau: Visualisierung und Be-dienung eines Chargenprozesses; Di-plomarbeit FH Hamburg, FB E/I, 1997.

Bild 2: Visualisierung derProduktionsanlage

Dr.BARBARA THOMASSUniversität HamburgArbeitsstelleMedien und PolitikSedanstr. 1920146 HamburgTEL.: 040 42838-6557

Prof. Dr.-Ing.ULF CLAUSSENDipl.-Ing.CLAUS FRÖHLICHFH HamburgFachbereich E/IBerliner Tor 320099 HamburgTEL.: 040 42859-2662E-MAIL: [email protected]