Protokollantin: Lena Körner Erreichen eines Bewusstseins ... · Auftrag an Protokollantinnen:...

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Stundenprotokoll Protokollantin: Lena Körner Mitprotokollantin: Aline Lindemann Fach: Ethik Kurs: GK 11eth4 Datum: 26.05.2016 Thema: Hans Jonas - Verantwortungsethik Stundenziele: Einführung in Hans Jonas´ Verantwortungsethik Erreichen eines Bewusstseins für die Komplexität der Verantwortung Meinungsbildung über die Verantwortung für die Challenger-Tragödie fehlende Schüler: Jennifer Göbel, Pascal Uhlemann

Transcript of Protokollantin: Lena Körner Erreichen eines Bewusstseins ... · Auftrag an Protokollantinnen:...

Stundenprotokoll

Protokollantin: Lena Körner

Mitprotokollantin: Aline Lindemann

Fach: Ethik

Kurs: GK 11eth4

Datum: 26.05.2016

Thema: Hans Jonas - Verantwortungsethik

Stundenziele: Einführung in Hans Jonas´ Verantwortungsethik

Erreichen eines Bewusstseins für die Komplexität der Verantwortung

Meinungsbildung über die Verantwortung für die Challenger-Tragödie

fehlende Schüler: Jennifer Göbel, Pascal Uhlemann

Zeit Unterrichtsgeschehen/Verlauf der Stunde

10.50 Uhr –

10.51 Uhr

• Begrüßung der Schüler

• Hinweis bzgl. der Aufsätze zu Schopenhauer

◦ Lob der Schüler

◦ Hinweis bzgl. angemessenem Umfang

10.52 Uhr –

11.03 Uhr

• Einführung in das Themas mit praktischem, realem Beispiel der Challenger-

Tragödie (→ Anhang 1 und 2)

• Aufgabenstellung: Positionieren Sie sich dazu, wer in dieser Tragödie die

Verantwortung trägt! (eigenständige Notizen, prozentuale Angabe möglich)

11.03 Uhr –

11.06 Uhr

• mündliche Auswertung in Gruppenarbeit (je 4 Schüler)

11.06 Uhr –

11.13 Uhr

• Abstimmung im Kurs über Hauptschuld (Mehrfachmeldungen möglich):

◦ Herstellerfirma: 3

◦ Alan McDonald: 0

◦ Roger Boisjoly: 3

◦ Larry Mullay: 16

◦ Robert Lund: 1

◦ Jerry Mason: 17

• Aufgabenstellung: Begründen Sie die Schuld der einzelnen Parteien!

(Diskussion im Kurs)

→ Begründung der Schuld der Herstellerfirma:

◦ Eric: Herstellerfirma trägt Schuld, da Gummi nicht intakt → Unfall wäre

vermeidbar gewesen, wenn Gummi nicht spröde

◦ Frau Ströhla: Mitarbeiter tragen weniger Schuld als Konzernchefs

▪ Jannik: Angestellte nicht verantwortlich, erledigen nur ihre Arbeit

→ Begründung der Schuld Robert Lunds:

• Mei: Lund kapitulierte schnell, setzte Ehre über die Sicherheit der

Astronauten

• Frau Ströhla: Chef verantwortlich für Handeln seiner Mitarbeiter?

◦ Jannik: Nein, da spezialisiert auf Bereiche wie Finanzen →

Beschäftigung von Experten für Überwachung

◦ Marcel: Chef trägt Teilschuld → Möglichkeit der Kontrolle der

Abläufe durch ihn ist gegeben

◦ Morten: Chef trägt Verantwortung → verfügt über die Mittel

11.14 Uhr • Hinleitung zum Stundenthema → Hans Jonas´ Verantwortungsethik

11.14 Uhr –

11.26 Uhr

• Arbeitsblatt (→ Anhang 3)

◦ Wer ist wann wofür vor wem weswegen verantwortlich

◦ Auftrag an Protokollantinnen: Zusammentragen von Informationen zu

Hans Jonas´ Lebenslauf (→ Anhang 4)

◦ Arbeitsauftrag: logisches Verknüpfen der vorgegebenen Wortgruppen

mithilfe des mehrfach vorgelesenen Textes

▪ Ziel: Fähigkeit der Schüler, Hans Jonas´ Aussagen zusammenfassen

zu können

• Vorlesen eines Ausschnittes aus Hans Jonas´ Buch: „Das Prinzip

Verantwortung“ (1979) (→ Anhang 5)

11.27 Uhr –

11.55 Uhr

→ Frage Frau Ströhlas: „Womit beginnt Hans Jonas sein Prinzip der Verantwortung?“◦ Alexey: Fortschritt durch Wissenschaft → Gefahr durch Ausnutzung

neuer Möglichkeiten

▪ Frau Ströhla: „Wenn wir täten, was wir könnten, würden wir nicht mehr existieren – wie könnte man die Welt zerstören?“• Mei: Energiezufuhr zwecks Elektrisierung der Ozeane

(entzünden), Bildung von Wasserstoff → Explosion der Erde

→ Imperativ

◦ Sandra H.: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ → Aussage des Imperativs: Handeln soll menschliches Leben nicht

beeinträchtigen

▪ Bsp.: Menschheit nicht durch Zerstörung der Erde gefährden

→ Erste Pflicht

◦ Saskia: Erwerb von Vorstellungen möglicher Fernwirkungen

▪ Bsp.: Bewusstsein, dass Elektrisieren und Entzünden der Ozeane

Wasserstoff entstehen ließe, der sich entzündet → Unterlassen der

Handlung

• Frau Ströhla: Fernwirkungen nicht immer absehbar

→ Zweite Pflicht

◦ Jannik: „Heuristik (Deutung) der Furcht“

◦ Oliver: Bedenken möglicher Folgen bewirkt Furcht vor negativen

Konsequenzen → Einbeziehung der Furcht in das Handeln zweckmäßig

◦ Jannik: z.B. Abschaltung der Atomkraftwerke, da negative Folgen

prognostizierbar

→ Heils- und Unheilsprophezeiungen

◦ Markus: Ermitteln des Worst-Case-Szenario und Best-Case-Szenarios

anhand der Ängste

→ Prognostizierbarkeit der Zukunft

◦ Morten: Miteinbeziehen der Unsicherheit der Zukunftsprognosen

▪ Frau Ströhla: Umgehung des größten Kritikpunkts am Utilitarismus

• Bsp.: handgreiflich werden → Folgen unklar (Angegriffener

könnte auf die Straße gelangen und überfahren werden oder sich

problemlos entwinden etc.)

◦ Mei: Unheilsprophezeiungen von größerer Bedeutung

▪ Frau Ströhla: (Zustimmung) Notwendigkeit der Übernahme von

Verantwortung für negative Folgen unabhängig von

Wahrscheinlichkeit des Eintretens derselben

◦ Sandra H.: Frage bzgl. Einbeziehung Interessen anderer in meine Wette

und Prognostizierbarkeit der Zukunft

▪ Frau Ströhla: nur bedingt

▪ Alexey: Notwendigkeit des Ausschließens fremden Eigentums als

Wetteinsatz

• Bsp.: fremdes Auto verwetten = keine moralisch gute Handlung

▪ Frau Ströhla: z. B. anderen Menschen Geld entwenden → deren

Interessen miteinbeziehen: Wunsch, Geld zu behalten

→ gilt für jede Entscheidung

Kritik:

◦ Jannik: Vermögen, Interessen anderer einzuschätzen, ist

begrenzt

◦ Frau Ströhla: Differenzierung wenig sinnvoll bei Handlungen

zugunsten des eigenen Überlebens in Notsituationen

→ „Niemals darf Existenz oder Wesen des Menschen im Ganzen zum Einsatz in den Wetten des Handelns gemacht werden.“◦ Morten: Verbot von das Überleben der Bevölkerung riskierenden

Handlungen

→ Bedingung von Verantwortung ist kausale Macht

◦ Mei: Verantwortung umfasst Fähigkeit der Ausführung von für die

Zukunft bedeutsamen Handlungen, Handlungen ziehen stets Folgen mit

sich

◦ Morten: Gleichsetzung von Kausalität mit Schuld

▪ Bsp.: Urknall verantwortlich für Challengertragödie

• Frau Ströhla: (Kritik) Urknall nicht menschlich

◦ Alexey: Stattdessen Gründer der NASA verantwortlich?

▪ Frau Ströhla: ja, obwohl Hans Jonas das anders sah

→ Frau Ströhla: „Für welche Folgen trage ich Verantwortung?“

◦ Oliver: für alle

▪ Frau Ströhla: Auch für die passiv Beteiligter?

Verantwortung für alles → Bedingung: Person = aktive Ursache

• Bsp.: Mei und Saskia → Vorschlag für Entzünden der Ozeane

→ Verantwortung dafür

→ Verantwortung = nicht-reziprokes Verhältnis

◦ Mei: nicht umkehrbares Verhältnis: Verantwortung eines jeden für die

Zukunft, jedoch keine Verantwortung der Gegenwart für die

Vergangenheit

▪ Jannik: „Wir tragen also keine Verantwortung für damaliges [Zeit desNationalsozialismus] Geschehen?“• Frau Ströhla: richtig, Kinder auch nicht für Handeln ihrer Eltern

(aber Großeltern für Erziehung des Enkels durch ihr Kind)

→ Bezug auf Challenger-Tragödie

◦ Frau Ströhla: bewusstes Einbauen des Gummidichtungsrings → aktive

Ursache Morton Thiokol → Verantwortung für sämtliche Folgen

→ Notwendigkeit staatsmännischer Freiheit

◦ Johann: Handlungsfreiheit des Staatsmanns unter der Voraussetzung der

Abwesenheit negativer Folgen für die Bevölkerung

▪ Alexey: nicht demokratisch

• Frau Ströhla: großer Kritikpunkt an Hans Jonas, da Staatsmann

Alleinherrscher

◦ Markus: Verantwortung liegt bei Larry Mullay als Projektleiter der

NASA?

▪ Frau Ströhla: bei Challenger-Tragödie besitzt jeder Verantwortung

• bei Wahl eines Oberhaupts entbindet dieses alle anderen von der

Verantwortung

◦ Bsp. 1: Verbot der Hinterfragung erteilter Aufträgen an

untergeordnete Lehrer durch Schuldirektor → Schuldirektor =

Staatsmann → hat absolut Recht laut Hans Jonas

◦ Bsp. 2: Nordkorea: Bevölkerung muss gemäß Hans Jonas Kim

Jong-uns Anweisungen Folge leisten

11.55 Uhr –

12.00 Uhr

• (vorzeitige) Beendigung der Stunde

◦ Auftrag an Schüler für die nächsten 25 Minuten: Vergleichen der

Hausaufgabe zu Friedrich Nietzsches tollem Menschen und

Übermenschen in kleinen Gruppen

▪ Ziel: Erwerb von Kenntnissen über beide

◦ Ausgabe der Ausarbeitungen zu Schopenhauer mit individuellen

Bemerkungen/Hinweisen

Zusammenfassung:

Die Ethikstunde vom 26.05.2016 beschäftigte sich mit Hans Jonas´ Verantwortungsethik und

veranschaulichte diese anhand eines Beispiels. Gleichzeitig wurden Kritikpunkte im Rahmen der

ausführlichen Diskussion im Kurs deutlich.

Zunächst bot der Einstieg mit einem prägnanten Ereignis, welches bereits dreißig Jahre in der

Vergangenheit liegt und damit zwar nicht sonderlich aktuell, aber dennoch als Veranschaulichung

geeignet ist, einen gelungenen, Interesse weckenden Einstieg, der zugleich verdeutlichte, wie

komplex die Problematik der Verantwortung ist.

Die folgende Aufforderung der Positionierung bewirkte eine rasche tiefere Auseinandersetzung, der

Austausch in kleinen Gruppen erweiterte anschließend den eigenen Horizont und bot auch denen

die Chance zur Interaktion, die sich in Unterrichtsgesprächen gewöhnlich zurückhalten.

Interessant war diesbezüglich auch die Abstimmung im Kurs bezüglich der Hauptschuld, zumal sie

auch zeigte, dass letztlich nahezu jeder irgendwie an der Handlung Beteiligte als mitschuldig

angesehen wird, woraus sich ableiten lässt, dass Verantwortung sehr subjektiv bestimmt wird und es

– zumindest im besprochenen Beispiel – nicht einfach ist, lediglich einen Träger der Verantwortung

zu bestimmen.

Im Anschluss daran sorgte das Arbeitsblatt in Kombination mit dem vorgelesenen Text für einen

guten Überblick über Wesentliches von Hans Jonas´ Ethik, obwohl dies zusammen mit der

vorangegangenen Aufgabe der Meinungsbildung auf Grundlage der vorgetragenen Zusammen-

fassung der Challenger-Tragödie und den Diskussionen (bzw. mündlichen Zusammentragen der

Ergebnisse der Arbeitsaufträge) die Stunde insbesondere auf den auditiven Lerntyp ausrichtete, der

in der Gesamtheit der Lerntypen oftmals die am seltensten auftretende Art ist. Dennoch ist

vorstellbar, dass gerade dadurch womöglich die Aufmerksamkeit der anderen Lerntypen gestärkt

wurde, da diese sich entsprechend mehr anstrengen müssen, um ähnlich viel Informationen zu

verarbeiten.

So sorgte die Diskussion für ein angenehmes Unterrichtsklima und war mit Sicherheit auch

förderlich für das Tempo, welches nicht nur anlässlich der (zumindest bezüglich der Präsenz der

Lehrerin) etwas verkürzten Stunde, sondern auch angesichts des deutlichen Zurückliegens hinter

dem Themenplan angemessen war.

Angesichts dessen scheint es mir auch vertretbar, dass Hans Jonas´ Lebenslauf keinen Platz mehr

im Zeitplan gefunden hat, obgleich es mich verwundert, dass ein aufgrund des Nationalsozialismus

seine Mutter ermordet wissender Jude „staatsmännische Freiheit“ als Notwendigkeit erachtet.

Insgesamt ist die Stunde daher in meinen Augen gelungen, da uns Schülern trotz vergleichsweise

knapper Zeit eine gute Vorstellung von Hans Jonas´ Verantwortungsethik vermittelt wurde und die

Stundenziele meiner Ansicht nach definitiv erreicht wurden. Nichtesdestotrotz favorisiere ich

persönlich die Kombination einer größeren Vielfalt von Medieneinsatz.

Anhang 1: Challenger-Tragödie:

• 28. Januar 1986, Florida

• gesamte Besatzung starb

• Explosion einer Rakete kurz nach Start → Ursache: defekter Gummidichtungsring an einer

Antriebsrakete (Ring hatte bestimmte Temperaturtoleranzen, die nicht für die der NASA

ausgelegt waren)

• Ingenieure der Herstellerfirma der Raketen sahen Dichtungsringe längst als Schwachstelle

an

• Vorabend des Starts: Ingenieure des Raketenherstellers (Alan McDonald und Roger

Boisjoly) gegen Start, äußerten Bedenken in Telefonkonferenz mit NASA

• NASA und deren Projektleiter Larry Mullay drängten auf Start, laut Mullay gebe es keine

Einschränkungen → Abbruch der Telefonkonferenz

• Ingeniere teilten auch Robert Lund ihre Bedenken mit → dieser schloss sich an, berichtete

seinem Vorgesetzten Jerry Mason davon

• Mason und Lund: interne Besprechung → Lund kapitulierte, stimmte Start zu → Mitteilung

an Larry Mullay → meldete seinem Vorgesetzten Startfreigabe ohne Erwähnung der

Bedenken

Anhang 2: Tafelbild:

Morton Thiokol - Herstellerfirma für Raketen

Alan McDonald - Projektleiter

Roger Boisjoly - Experte für Raketendichtungen

Larry Mullay - Projektmanager der NASA

Robert Lund - stellvertretender Direktor Morton Thiokol

Jerry Mason - Vorgesetzter Lunds

Anhang 3: Arbeitsblatt

Anhang 4: Lebenslauf Hans Jonas

* 10. Mai 1903, Mönchengladbach (als Sohn eines Textilfabrikanten)

† 5. Februar 1993 bei New York (begraben im jüdischen Teil eines Friedhofs; Hastings, New York)

→ bedeutender Philosoph und Religionshistoriker des 20. Jahrhunderts

→ gilt er als Begründer eines nachhaltigen Handelns fordernden Umweltbewusstseins und einer

Ethik der wissenschaftlich technologischen Zivilisation

Lebenslauf:

• Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in Freiburg 1921 (bei großen Philosophen

Edmund Husserl und Martin Heidegger)

• Studium der Judaistik in Berlin 1921-1923

• Promotion 1828 an der Universität Marburg (bei Heidegger und Rudolf Bultmann)

• 1933 Emigration nach London, 1934 nach Jerusalem

• 1940-1945 Soldat der britischen Armee, 1943 Heirat mit Lore Weiner

• 1945 Rückkehr nach Deutschland, Nachricht der Deportation seiner Mutter nach Auschwitz

• 1948-1949 Soldat der Israelischen Armee (Verteidigung Jerusalems)

• 1949 Übersiedlung nach Kanada, 1955 nach New York, Professur an New School for Social

Research, Gastprofessuren an der Princeton University, Columbia University, University of

Chicago und Universität München

• 1987 Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels für sein philosophisches

Werk, des Großen Bundesverdienstkreuzes und der Ehrenbürgerwürde Mönchengladbachs

• mehrere Ehrenpromotionen in den USA und Deutschland, u.a. an der Freien Universität

Berlin (1992)

• 1993 Verleihung des Premio Nonino (Percoto, Udine)

Philosophie:

• zunächst vordergründig religionswissenschaftliche, geistes- und philosophiegeschichtliche

Themen, behandelt aus einer existenzphilosophischen Perspektive

• später Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen, Untersuchung des Verhältnisses

von Mensch und Natur und den Umgang des Menschen mit der Technik

• zeitgemäße Ethik müsse Folgen der modernen Technik auf das menschlichen Handeln

berücksichtigen (könnten klassischen Ethiken nicht leisten) → moderne Technik und ihre

weitreichenden Auswirkungen verlangten Hinausgehen über unmittelbare Verantwortung

• Verantwortung für zukünftige Generationen sei mit gewöhnlichen ethischen Maximen wie

der Nächstenliebe nicht zu erfüllen

• schließlich Beschäftigung mit religionsphilosophischen Themen der jüdischen Tradition –

u.a. ob Massenmord an Juden Existenz Gottes widerlege → Gott existiere, sei aber nicht

allmächtig; habe keinen Einfluss auf Welt → Mensch trage Verantwortung für alles Übel

→ Zukunftsethik, die Maßstäbe für einen gewissenhaften Umgang mit der Welt und eine

gründliche Abschätzung hochkomplexer Technikfolgen setzt und fordert

Hauptwerke von Hans Jonas:

• „Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ (1979)

• „Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung“ (1987)

• „Der Gottesbegriff nach Auschwitz: eine jüdische Stimme“ (1987)

(zudem hunderte Essays und Beiträge)

Anhang 5: Ausschnitt aus Hans Jonas´ „Das Prinzip der Verantwortung“

Der endgültige entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die

Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht

davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden. […]

Ein Imperativ, der auf den neuen Typ menschlichen Handelns paßt und an den neuen Typ vonHandlungssubjekten gerichtet ist, würde etwa so lauten: „Handle so, daß die Wirkungen deinerHandlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“; odernegativ ausgedrückt: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind fürdie künftige Möglichkeit solchen Lebens“; oder einfach: „Gefährde nicht die Bedingungen für denindefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden“; oder, wieder positiv gewendet: „Schließe indeine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deinesWollens ein“.

[…] Somit lautet die erste Pflicht der Zukunftsethik: Beschaffung der Vorstellung von denFernwirkungen. Es muss also das vorgestellte Schlechte die Rolle des erfahrenen Schlechtenübernehmen, denn das zu Fürchtende wurde eben noch nicht erfahren. Die zweite Pflicht derZukunftsethik lautet dann: die Aufbietung des dem Vorgestellten angemessenen Gefühls. Denn dasvorgestellte Schlechte stellt das Gefühl der Furcht ein. […] Diese erfahrene, weil gefühlte Furcht,muss Grundlage unserer Entscheidungen sein – das ist die Heuristik der Furcht.

Das Problem der Unsicherheit der Zukunftsprognosen lässt sich durch Wissenschaft nicht lösen.Eben diese Ungewißheit nun aber, welche die ethische Einsicht für die hier gemeinteZukunftverantwortung unwirksam zu machen droht und natürlich nicht auf die Unheilsprophetiebeschränkt ist, muß selber in die ethische Theorie einbezogen und in ihr zum Anlaß eines neuenGrundsatzes genommen werden, der nun seinerseits als praktische Vorschrift wirksam werden kann.Es ist die Vorschrift, primitiv gesagt, daß der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben ist als derHeilsprophezeiung. […]

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob ich die Interessen anderer in meiner Wette einsetzen darf,denn das Prinzip der Wette ist in der Prognostizierbarkeit der Zukunft impliziert. […] DieEinbeziehung der Anderen in meiner Wette macht Leichtsinn aber unannehmbar. Somit läßt sichableiten: Die Existenz des Menschen, verstanden als Ganzes der Menschheit, darf nicht zum Einsatzeiner Wette gemacht werden. Somit haben wir endlich ein Prinzip gefunden, das gewisse

Experimente, deren die Technologie fähig ist, verbietet, und dessen pragmatischer Ausdruck ebendie vorher diskutierte Vorschrift ist, für die Entscheidung Unheilsprognosen den Ausschlag gebenzu lassen. Der ethische Grundsatz, von dem die Vorschrift ihre Gültigkeit bezieht, lautet also:Niemals darf Existenz oder Wesen des Menschen im Ganzen zum Einsatz in den Wetten desHandelns gemacht werden. Daraus folgt ohne weiteres, daß hier bloße Möglichkeiten derbezeichneten Ordnung als unannehmbare Risiken anzusehen sind, die keine gegenüberstehendeMöglichkeit annehmbarer machen. […] Bedingung von Verantwortung ist kausale Macht. Der Tätermuß für seine Tat antworten: er wird für deren Folgen verantwortlich gehalten und gegebenenfallshaftbar gemacht. […] Der angerichtete Schaden muß gutgemacht werden, auch wenn die Ursachekeine Übeltat war, auch wenn die Folge weder vorausgesehen noch beabsichtigt war. Es genügt, daßich aktive Ursache gewesen bin. […] Verantwortung für die Zukunft meint aber zudem ein nicht-reziprokes Verhältnis: Das Wohlergehen, das Interesse, das Schicksal Anderer ist, durch Umständeoder Vereinbarung, in meine Hut gekommen, was heißt, daß meine Kontrolle darüber zugleichmeine Verpflichtung dafür einschließt. Die Ausübung der Macht ohne die Beobachtung der Pflichtist dann unverantwortlich, das heißt ein Bruch des Treueverhältnisses der Verantwortung. […] Dochdie Auszeichnung des Menschen, daß nur er allein Verantwortung haben kann, bedeutet zugleich,daß er sie für andere seinesgleichen auch haben muß und immer schon hat. Für irgendwenirgendwann irgendwelche Verantwortung de facto zu haben gehört so untrennbar zum Sein desMenschen, wie daß er der Verantwortung generell fähig ist. […]

In gesellschaftlicher Verantwortung gibt es wenigstens ein sehr allgemeines, sehr grundsätzlichesWissen trotz der ganzen skeptischen Betrachtungen, nämlich das die immer verbleibendeNotwendigkeit staatsmännischer Freiheit. Und hieraus ergibt sich ein wiederum sehr allgemeiner,doch keineswegs leerer Imperativ gerade für den Staatsmann, dessen Handeln bewußt in diesegewaltig ins Unbekannte überschießende Zukunftsdimension hat: nämlich nichts zu tun, was dasweitere Auftreten von seinesgleichen verhindert. […] Aus dem allgemeinen „man“ wird somit dasselbstwählende „ich“ des Staatsmannes, der da glaubt, daß in diesem Augenblick er am besten weiß,was am besten für „Alle“ ist. Ob der Glaube zurecht besteht, bleibt objektiv auf immer, abersubjektiv gehört jener Glaube unveräußerlich zum Totalitätscharakter staatsmännischerVerantwortung in Erwiderung auf den Anruf öffentlicher Notwendigkeit.

(Zitiert nach: Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologischeZivilisation; 1990)

Quellenverzeichnis (der Informationen für Hans Jonas´ Lebenslauf):• http://www.hans-jonas-zentrum.de/hj/jonas.html• http://www2.klett.de/sixcms/list.php?page=lexikon_suchergebnis_artikel&extra=Leben

%20leben-Online&inhalt=&mytitle=&titelfamilie=&artikel_id=707295(zuletzt überprüft am 07.06.2016, ca. 19.06 Uhr)

Unterschrift:Lena KörnerDresden, 07.06.2016