Rassismusvorwürfe gegen Rudolf Steiner · Jonathan Stauffer, leiter des rudolf steiner Verlags,...

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DISKUSSIONSPAPIER Rassismusvorwürfe gegen Rudolf Steiner Entwurf eines Memorandums vorgelegt von Ramon Brüll und Dr. Jens Heisterkamp

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Diskussionspapier

Rassismusvorwürfe gegen Rudolf Steiner

Entwurf eines Memorandums

vorgelegt von ramon Brüll und Dr. Jens Heisterkamp

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Inhalt

Vorwort 3

Erstunterzeichner 4

I.EInführung:KrItErIEndErBEurtEIlungVonrassEndIsKrImInIErung 5

II.KrItIschEausEInandErsEtzungmItÄussErungEnrudolfstEInErs 6

1.rassistischwirkende,überholtetheosophischeterminologie 62.diskriminierendeWirkungendurchanlehnungandiewissenschaftlichediskussionseinerzeit 73.ProblematischeÄußerungenzumJudentum,diesteinerselbstkorrigierthat 84. Diskriminierung in Kulturvergleichen durch unglücklich gewählte Begriffe 85.diskriminierendwirkendeBeschreibungenethnischerEigenarten 96.diskriminierungdurchmissverständlicheausdrucksweise 107.diskriminierendestereotypisierungen 108. Inhaltliche Fehlgriffe 11

III.EthnIEn, VölKEr unD KulturEn In EVolutIonärEr SIcht – EIndIsKrImInIErungsProBlEm? 11

IV.zusammEnfassungundschlussfolgErungEn 12

V.EmPfEhlungEn 14

anmerkungen 14

der vorliegende Entwurf zu einem memorandum dient als diskussionsgrundlage unter anderem für ein fach-symposion,aufdemübereinenabschließendentextberatenwerdenwird.diesertextsolldann,vonmöglichstvielen Menschen aus der anthroposophischen Bewegung unterzeichnet, publiziert und der öffentlichkeit vorge-stelltwerden.dieteilnahmeandemsymposionerfolgtaufEinladung;Voraussetzungdazuisteinvorabschrift-licheingereichterBeitragbzw.Kommentarzuunseremdiskussionspapier([email protected]).dazubestehtnochbiszum30. Mai 2008 Gelegenheit. Das Symposion findet voraussichtlich im Juni statt.

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Rassismusvorwürfe: Anthroposophen nehmen Vorwürfe ernst und verweisen auf rechtswissenschaftliches Gutachten

Einzelne diskriminierende Äußerungen in Steiners Gesamtwerk – keine „Rassenlehre“.

In den vergangenen monaten ist im deutschsprachigen raum wiederholt der Vorwurf des rassismusgegenüberdemgründerderanthroposophieundderWaldorfschulenlautgeworden.IndeutschlandgingdieBundesprüfstelle für jugendgefährdendemediendemantragauf IndizierungzweierBücherrudolfsteinersnachundeinigtesichmitdemrudolfsteiner-Verlagunddersteiner-nachlassverwaltungdarauf,dass in künftigen Auflagen rassistisch wirkende Stellen kritisch kommentiert werden sollen. Zuletzt hat sichderBundderWaldorfschulenineiner„stuttgarterErklärung“klarzudenmenschenrechtenbekanntundgegenjedediskriminierunggewandt.InderErklärungheißtesinsbesondere:„dieanthroposophiealsgrundlagederWaldorfpädagogikrichtetsichgegenjedeformvonrassismusundnationalismus.diefreienWaldorfschulensindsichbewusst,dassvereinzelteformulierungenimgesamtwerkrudolfstei-nersnachdemheutigenVerständnisnichtdiesergrundrichtungentsprechenunddiskriminierendwir-ken.“dieseÄußerungenspieltenjedochwederinderlehrerausbildungnochinderPraxisderschuleneinerolle.

Der öffentliche Druck hat in der anthroposophischen Bewegung und insbesondere bei ihren in der öffent-lichkeitstehendenVertreternvielerortszuderhaltunggeführt,denrassismusvorwürfenaufgründlicheund öffentlich wahrnehmbare Weise begegnen zu wollen.

Beidiesemanliegenliegtesnahe,sichaufwichtigeVorarbeitenzustützen,diebereitsvorliegen,aberbisherindeutschlandkaumBerücksichtigunggefundenhaben.BereitsvoreinigenJahrenwarennäm-lichindenfürdiskriminierungsfragenbesonderssensiblenniederlandenähnlicheVorwürfelautgewor-den.1996hatteunterleitungdesangesehenenmenschenrechtsexpertendr.th.a.vanBaardaeinefach-kommissiondasgesamtwerksteiners(1861-1925)aufeventuellerassistischeÄußerungenhinuntersucht.diesestudieistderbislangeinzigeansatz,derdiekritisiertenÄußerungenrudolfsteinersnichtalleinausdessenWerkkontextzuerklärenversucht,sondernihreWirkunganhandobjektiverrechtlicherundethischerKriterienmisst.InihremabschlussberichtstelltdieniederländischeKommissionfest,dasseine„rassenlehre“ imsinneeinertheorie,diedieangeblicheüberlegenheiteinermenschengruppegegen-überanderenpostuliert,beisteinernichtvorkommt.WohlabergibtesnachangabenderKommissionimdemetwa89.000seitenumfassendengesamtwerksteinerseinigewenigestellen–dieKommissionzähl-te16zitate–die,würdensieheutegeäußert,vermutlichsogarstrafrechtlicherelevanzhätten.dieKom-missionfolgtebeiihrerEinschätzungdemgrundsatz,dassesbeiderfrageobeinzitatbeleidigendist,nachallgemeingültigenKriteriennichtaufdieAbsichtdesrednersoderautors,sondernvielmehraufdieWirkung bei Betroffenen ankomme.

fürdieunterzeichnerdesvorliegendenmemorandumsspieltdieanthroposophierudolfsteinerseinegroße rolle in ihrem persönlichen beziehungsweise beruflichen leben gerade wegen ihres entschiedenen Eintretens für die Würde des Menschen und eine offene, plurale Gesellschaft. Deswegen bedauern sie es, dassimWerkrudolfsteiners,welchessieinseinersubstanz,radikalenfreiheitlichkeitundkosmopoli-tischenmenschlichkeitbegeistert,einzelnestellenenthaltensind,diegeeignetsind,heutemenscheninihrerWürdezuverletzen. ImfolgendensollenwichtigeBeispieledafürgenannt,erläutertundkritischkommentiert sowie Zusammenhänge aufgezeigt werden. Der Entwurf lädt gleichzeitig zu einem offenen

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dialogüberdieangesprochenefragestellungein,indessenVerlaufeinemöglichstbreiteunterstützunginderanthroposophischenBewegungfürdieEndfassungdieses„memorandums“erreichtwerdensoll.diesesanliegenunterstützendieErstunterzeichnermitihrerunterschrift.

frankfurtammain,imfrühjahr2008

Die Erstunterzeichner:

Dr. Ibrahim Abouleish,sekem,ÄgyptenCornelius Bohlen,Präsidentderrudolfsteinernachlassverwaltungdornach/schweizDr. Richard Everett,Buchholz/nordheideNikolai Fuchs,landwirtschaftlichesektionamgoetheanum,dornach/schweizDr. med. Michaela Glöckler,medizinischesektionamgoetheanumindornach/schweizWolfgang Held, öffentlichkeit und Kommunikation am Goetheanum in Dornach/SchweizWalter Hiller,darmstadtFrank Hörtreiter, Pfarrer und öffentlichkeitsbeauftragter in der christengemeinschaft, hamburgRüdiger Iwan,schwäbischhallBernd Keicher,Vors.derBundesElternVereinigungfüranthrop.heilpädagogikundsozialtherapiee.V.,fuldaDr. Walter Kugler,leiterdesrudolfsteinerarchivs,dornach/schweizHenning Kullak-Ublick,VorstandsmitgliedimBundderfreienWaldorfschulen,stuttgartPaul Mackay,Vorstandamgoetheanumindornach/schweizMichael Olbrich-Majer,zeitschriftLebendige Erde,darmstadtChristoph Simpfendörfer,Vorsitzenderdesaufsichtsratesvondemetere.V.undlandwirt,stuttgartJonathan Stauffer,leiterdesrudolfsteinerVerlags,dornach/schweizRahel Uhlenhoff,BürgerinitiativeBedingungslosesgrundeinkommen,BerlinJelle van der Meulen,KölnBodo von Plato,Vorstandamgoetheanum,dornach/schweizJustus Wittich,Vorstandsmitgliedderanthroposophischengesellschaftindeutschland

info3-autorenund-mitarbeiter:Ramon Brüll,frankfurtHans-Jürgen Bracker,stockachMarianne Carolus,BadWimpfenundrotterdamJános Darvas,EckernfördeAxel Föller-Mancini,WittenLiss Gehlen, frankfurtSebastian Gronbach,meckenheimMichael Habecker,BruckmühlMonika Hahn,münchenWalter Siegfried Hahn,WiesbadenFelix Hau, rintelnMichael Heidekorn,KölnDr. Jens Heisterkamp,frankfurtAstrid Hellmundt,BerlinDr. med. Frank Meyer,nürnbergKathrin Schanze,ErfurtWolfgang Schmidt-Reineke,ashland/oregonLeonie See,friedrichsdorfMarkus Wülfing,WuppertalDr. Axel Ziemke,much

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die Kommission Anthroposophie und die Frage der Rassen wurde 1996 von der anthroposophischengesellschaft in den niederlanden beauftragt, dasgesamtwerk rudolf steiners nach eventuellen dis-kriminierenden stellen zu durchsuchen und diesezubeurteilen.dasErgebnisliegtineinem720seitenumfassendengutachteninniederländischersprachevor.1 der vollständige text des 1998 erschienenenzwischenberichtes und eine zusammenfassungdesabschlussberichtessind1998auchindeutscherspracheerschienen.2 Der Veröffentlichung wurde ein VorwortvonJustusWittich(Vorstandderanthropo-sophischen gesellschaft in deutschland) sowie eingutachten nach deutschem recht des Juristen IngoKrampenhinzugefügt,welchesdieBefundedernie-derländischen Kommission im Wesentlichen bestä-tigt.

dievondemJuristendr.th.a.vanBaardageleite-teKommissionstellteimErgebnisfest,dasseseine„rassenlehre“ im sinne einer systematischen undwertendenunterscheidungverschiedenermenschen-gruppenimWerkrudolfsteinersnichtgibt.gleich-wohlfandensichindeminsgesamtüber89.000sei-tenumfassendengesamtwerksteinerseinigewenigetextpassagen,diefüreinzelneIndividuenodergrup-penverletzend(diskriminierend)seinkönnen.WeilesbeieinermenschenrechtsverletzungimKernnichtvorrangigumdieabsichteinesautors,sondernumdieWirkung bei den Betroffenen geht, stellte die Kom-missionin16fällenfest,dassaussagenrudolfstei-ners, würden sie heute ausgesprochen, nach inter-nationalenmaßstäbenals Straftat bewertetwerdenkönnten. In anderen Fällen (die Kommission identifi-zierteinsgesamt66zitate)handeltessichumminder schwere Fällevondiskriminierungoderummissver-ständliche Äußerungen. Weitere 162 textpassagen,in denen der Begriff „rassen“ auftaucht oder die sich mit aspekten des Judentums beschäftigen, wurdenalsunproblematischeingestuft.außerdemwiesdieKommissiondaraufhin,dasssichsteinerimrahmenseines sozialpolitischen Engagements ausdrücklichfür die rechtsgleichheit aller menschen eingesetzthat. Insgesamtbetrachtetesteinerethnischeunter-schiedealszuüberwindendenfaktoraufdemWegzueinergeeintenmenschheit.Weilessichbeieinermöglichen (rassen-) diskriminierung mehr um einsoziales als um ein philosophisches Problem han-

delt,nämlichinwiefernmenschensichdurchdievonsteiner überlieferten aussagen in ihrer menschen-würde verletzt fühlen können, hat die Kommissi-on den geisteswissenschaftlichen, menschenkund-lichen, historischen etc. Kontext der steiner’schenausführungenzwarausführlichuntersucht,dieein-zelnenaussagenjedochallein nach allgemein gültigen, objektiven, rechtlich-ethischen Gesichtspunktenbeurteilt.siegreiftdabeiaufeineVielzahlvonBestimmungendesinternationalenrechtszurück.dieseVorgehens-weisebeinhaltetaucheineunterscheidungzwischender(heutigen)Wirkung getätigteraussagenunddermöglicherweise davon abweichenden (damaligen)Absicht desrednersoderautorsrudolfsteiner.die-seunterscheidungistinnerhalbanthroposophischerKreisebisherkaumgebräuchlich.3sieistallerdingsnotwendigundwirdauchindemhiervorliegendenMemorandum getroffen, weil ohne sie ein öffent-licher Diskurs wenig fruchtbar ist. Die Differenzen in derBeurteilungdessteiner’schenWerkeszwischennicht-anthroposophischenundanthroposophischenautorenindieserfragebestehenfastimmeringenaudieser unterscheidung: für Erstere gilt die veröffent-lichteaussage imWortlaut, fürletzterediedahin-terstehende absicht des autors. diese sind nichtimmeridentisch.Beidegesichtspunktesindlegitim;imdialogsolltemansieaberexplizitunterscheiden.

Imübrigenfälltauf,dasssichsowohldieanthropo-sophischen autoren als auch Kritiker schwer tun,steineralshistorischen autorzulesen.überdieÄuße-rungen anderer autoren, Philosophen, forscher sei-ner zeit erregt sich kaum jemand, selbst wenn die-se ungleich schwerwiegender sind. der schutz,den andere autoren durch die historische Perspek-tive erfahren, bleibt steiner versagt. das ist aller-dingsauchverständlichwennmanbedenkt,welcheaktualität das steiner’sche Werk durch die vielfäl-tigenanwendungeninderPraxishat.dieProblema-tikdesfehlendenschutzesgreiftjedochnochtiefer:mitjederKritikansteiner–egalwieberechtigtoderunberechtigt diese im Einzelnen sein mag – fühlensichdieinderanthroposophischenBewegungtätigenmenschen angesprochen und nicht selten angegrif-fen.oftzurecht,weilmitderKritikinWirklichkeitauch nicht steiner, sondern sie gemeint sind. umsowichtiger ist es, jene texte, die stein des anstoßessind,genaueralsbisheranzusehen.

I. EInführung: KrItErIEn dEr BEurtEIlung von rassEndIsKrImInIErung

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obwohl weder die im Ergebnis von der Kommissi-on beanstandeten textpassagen noch die wenigerschwerwiegenden zitate in irgendeiner Weise denKerngehaltderanthroposophieoderdiepraktischenleitfäden der anthroposophischen Einrichtungenberühren, nehmen die unterzeichner dieses memo-

randums jede mögliche menschenrechtsverletzungdurchdasWerkrudolfsteinerssehrernstundmöch-tensowohlzueinemdistanzierterenumgangmitdenfragwürdigenPassagenalsauchzueinerKlärungdernoch offenen Fragen anregen.

Im Blick auf problematische Äußerungen steiners,die mit dem thema unterschiedlicher Ethnien zutun haben, können im Wesentlichen acht verschie-denegruppenfestgestelltwerden.diesereichenvonmissverständlichen formulierungen über Irritati-onen durch den historisch veränderten (und belas-teten)sprachgebrauchbishinzu inhaltlichenfehl-griffen:

1. rassistisch wirkende, überholte theosophischeterminologie2. diskriminierende Wirkungen durch anlehnungandiewissenschaftlichediskussionseinerzeit3. Problematische Äußerungen zum Judentum, diesteinerselbstkorrigierthat4. diskriminierung in Kulturvergleichen durchunglücklich gewählte Begriffe5. diskriminierend wirkende Beschreibungen eth-nischerEigenarten6. diskriminierung durch missverständliche aus-drucksweise7.diskriminierendestereotypisierungen8. Inhaltliche Fehlgriffe

Bei fast allen im folgenden angeführten Beispielenhandeltessichumjenetextstellen,dieauchimrah-men öffentlicher Kritik häufig angeführt wurden und werden.fürdievollständigeübersichtderBeispieleverweisen wir auf das gutachten der Kommission(sieheanmerkung2und3).

1. rassistisch wirkende, überholte theosophische terminologie

steiner bediente sich für seine eigenen kulturphi-losophischen darlegungen bis ca. 1905 der theoso-phischen terminologie, in der traditionell der Begriff der„rasse“und„Wurzelrasse“fürZeiträume der Kul-turgeschichte der Menschheit (und nicht etwa für die

abstammungverschiedenerVolksgruppen)verwen-detwurde.steinersdiesbezüglicheaussagenwirkenheuteaußerordentlichbefremdlichundsindfürdenleser extrem missverständlich. Ein Beispiel dazuauseinem Brief: „Jede der Unterrassen unserer fünften Wurzelrasse hatte bisher einen semitischen Einschlag. Der letzte kam, wie Du weißt, über Spanien nach Mitteleuro-pa. Aber solche Einschläge erschöpfen sich, und, wenn ein Zyklus abgelaufen ist, so muss ein neuer Einschlag kom-men.“ diesem zitat aus einem Brief vom 28. april1905 an marie von sivers ist eine zeichnung bei-gefügt, in der von der linie der möglichen Initiati-onen(Einweihungen)nacheinander fünfsogenann-te„unterrassen“abzweigen:diealteindischeKultur,dieabzweigungder„zarathustrakultur“,dieabzwei-gungdersemitisch-babylonisch-assyrischenKultur,die römisch-griechische Welt und die „Befruchtung der germanischen Kultur durch Semitismus und Christen-tum“.4

Der Begriff „rasse“ ist in diesem Zusammenhang verwirrendsowiesachlichunangemessenundwirdvon steiner selbst seit etwa 1905 auch nicht mehrbenutzt. steiner hat sich von dieser zeit an selbstexplizit von dieser theosophischen Begriffsverwen-dungdistanziert:„Es wird von mir absichtlich der Begriff „Unterrassen“ vermieden, weil eigentlich der Begriff „Ras-se“ sich nicht völlig deckt mit dem, um was es sich dabei handelt. Es handelt sich um Kulturentwicklungsperioden [...]“.5

Die Kritik, die sich mit recht am Begriff „Wurzel-rasse“festmacht,istsomitvonsteinerselbstbereitserkanntundberücksichtigtworden.steinerwaraller-dingsdiesbezüglichinderfolgenichtimmerkonse-quent, wodurch der Begriff „rasse“ auch in späteren Vortragsnachschriften noch vereinzelt für VölkerodergarfürKulturzeiträumeauftaucht.Wieverwir-renddas istundwie leichtdieszufehlinterpretati-onen führen kann, zum Beispiel wenn eine solche

II. KrItIschE ausEInandErsEtzung mIt ÄussErungEn rudolf stEInErs

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stelle zusammenhanglos zitiert wird, zeigen fol-gendesätzeauseinemVortrag,dernurzweiWochenzuvorgehaltenwurde:„Rassen würden gar nicht deka-dent werden, gar nicht untergehen, wenn es nicht Seelen gäbe, die nicht weiterrücken können und nicht weiterrü-cken wollen zu einer höheren Rassenform.“6 dieabsichtdes redners, die sinngemäß in heutiger redensartlautenwürde „eineKultur,diesichnichtweiterent-wickelt,verarmt“unddiemöglicheWirkungbeispä-terenlesern(etwa:„Esgibthöhereundniedereoderdekadente rassen“) klaffen hier weit auseinander.

2. diskriminierende Wirkungen durch anlehnung an die wissenschaftliche diskussion seiner zeit

oft nahm steiner in seinen Vorträgen Bezug aufpopuläre oder wissenschaftliche Veröffentlichungen seinerzeit.Weilindenstenogrammenundunvoll-ständigenzuhörernotizendieBetonungnichtimmereinwandfrei herausgelesen werden kann, ist häufig nicht klar, ob und wann steiner zitiert, kommen-tiertodereigene Ideendarstellt.anmehrerenstel-lenführtsteinerbeispielsweisefürseinezuhörerdieEvolutionstheorieCharles Darwinsundinsbesonderedie damals heftig diskutierten naturwissenschaft-lichen forschungen Ernst Haeckels aus. Wer heutehaeckels darstellungen über die abstammung desmenschen liest (z.B. Natürliche Schöpfungsgeschichte,teil2),istbefremdetdarüber,dasseinführenderundangesehenerWissenschaftler seinerzeitmiteinemderart kalten, naturwissenschaftlichen und quasizoologischen Blick auf die damals in den Blick dereuropäischenforschunggeratenden indigenenVöl-kerschaut.

Inzusammenhangmithaeckelhateineüberliefertetafelzeichnung7 häufig Anlass für den Vorwurf ras-sistischer Ansichten Steiners geboten. Auf ihr findet sichdieEntwicklungdermenschheitvonder„Pola-rischenzeit“über„hyperboräa“und„lemurien“biszu „atlantis“ (eine mit alt-theosophischen Begrif-fenbezeichneteEntwicklungslinie)alsaufstrebendeliniegezeichnet.danebensinddieEvolutionsstufenmit naturwissenschaftlichen Begriffen wiedergege-ben:moneren,wirbellosetiere,fische,Vögel,rep-tilien, niedere und höhere Säugetiere, Affen, Indi-aner und „arier“. In einer anderen zeichnung istsogar von einer (im naturwissenschaftlichen sinnegemeinten) „dekadenten Abzweigung“ des „Affen-

geschlechtes“ und einer „dekadenten abzweigung“der „Indianer“dierede.Einetextstelle,dieaufdiezeichnungBezugnimmt,istimVortragjedochnichtzu finden! Die von Zuhörern verfasste Mitschrift ist lückenhaft und lässt offen, inwiefern und wo Steiner hier haeckel oder das, was steiner als Konsequenzaus dem Werk haeckels abzuleiten glaubte, refe-rierte.Esistalsodiefrage,inwieferndiezeichnungüberhaupt steiners eigene darstellung wiedergibt.derherausgeberhatdiezeichnungeninderneuauf-lage2006deshalbauchweggelassenundeinenson-derhinweiszurrassismus-Problematikangefügt.

steiner hatte ein ambivalentes Verhältnis zu hae-ckel.WoeraufdereinenseitefastüberschwänglichhaeckelsEvolutionslehre,dasheißtdasaufkommeneiner rein wissenschaftlich begründbaren Entste-hungsgeschichtedermenschheitunterstützte,mach-teeraufderanderenseiteerheblicheVorbehalteundmeinte,haeckelwärenochzuganzanderenErgeb-nissen gekommen, wenn er auf philosophischemfeldebewandertergewesenwäre.InseinerBegeiste-rung für das Aufkommen (nicht für alle Ergebnisse!) einer naturwissenschaftlichen Evolutionsforschungbetonte steiner wiederholt, man müsse parallel diegeistigeEvolutiondermenschheitbetrachten,umsozu einem umfassenden und differenzierten Bild zu kommen.diebeihaeckelnochganzvom„herren-blick“derEuropäeraufdieKolonialvölkergeprägtehaltung, die zu eindeutig rassistischen Positionenführte, thematisiert steiner nicht. Es bleibt unklar,inwiefernsteinerdieproblematischenImplikationenfürdierassenfrageausderforschunghaeckelsver-gegenwärtigthat.andererseitsgibtesbeisteinertie-fe Würdigungen der spiritualität indigener Völker,diebeihaeckelgänzlichfehlen.

Das Problem beginnt bei Steiner in der wenig diffe-renziert dargestellten Verbindung von ethnischenundkulturellenElementen:einige„rassen“werdennach steiner im lauf der Kulturentwicklung zumausdruck höherer kultureller niveaus als andere.fürdiedamitverbundenesozialeundethischesei-te bestand zu steiners zeiten allgemein noch keinProblembewusstseinundauchsteinergeht–andersals in seinen gesellschaftskritischen Äußerungen –imKontextderEvolutionsgeschichtedarauf (leider)nichtein.Infolgedessengibtesabschätzigwirken-deBeurteilungenindigenerVölkerwiezumBeispiel:„Wir haben in der amerikanischen Rasse eine primitive

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Urbevölkerung vor uns, die weit, weit zurückgeblieben ist“8

Es muss offen bleiben, warum Steiner mit Denkfi-guren eher naturwissenschaftlichen ursprungs wiejenerder„dekadenz“imBereichderhumanwissen-schaften nicht vorsichtiger umgegangen ist (sieheauchabschnittIII.).

3. Problematische Äußerungen zum Judentum, die steiner selbst korrigiert hat

Einzelne problematische stellen, insbesondere imBezug auf das Judentum, hat steiner selbst in spä-teren Veröffentlichungen modifiziert. Im Zentrum der wiederholt erhobenen antisemitismus-Vorwür-fegegensteineretwastehteineÄußerungauseiner1888geschriebenenBesprechungzueinemWerkdesdichtersroberthamerling,wosteinerschreibt:„Es ist gewiss nicht zu leugnen, dass heute das Judentum noch immer als geschlossenes Ganzes auftritt und als solches in die Entwicklung unserer gegenwärtigen Zustände vielfach eingegriffen hat, und das in einer Weise, die den abendlän-dischen Kulturideen nichts weniger als günstig war. Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten. Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion allein, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise.“9 diese Äußerung hat eine anti-semitischetendenz,auchwennmanbedenkt,dasszusteinerszeiteneinbedeutenderteildeseuropä-ischenJudentumsselbstaktivinassimilierungspro-zessen befindlich war.

Dreizehn Jahre später jedoch veröffentlicht Steiner erneuteinenaufsatzzumthemaJudentum–aller-dings mit völlig anderem charakter: „Wer offene Augen für die Gegenwart hat, der weiß, dass es unrichtig ist, wenn man meint, es sei die Zusammengehörigkeit der Juden untereinander größer als ihre Zusammengehörig-keit mit den modernen Kultur-Bestrebungen. Wenn es in den letzten Jahren auch so ausgesehen hat, so hat dazu der Antisemitismus ein Wesentliches beigetragen. Wer, wie ich, mit Schaudern gesehen hat, was der Antisemitismus in den Gemütern edler Juden angerichtet hat, der musste zu dieser Überzeugung kommen.“ 10zwischendenbei-den vorgenannten schriftlichen Äußerungen lie-gen nicht nur dreizehn Jahre, sondern offenbar auch

einProzess,indessenVerlaufsteinerseineeinstigeansicht zum Judentum in zentralen Punkten geän-dert hat. Ermöglicht hatte diesen Prozess auch diepersönlicheBekanntschaftmitjüdischenzeitgenos-sen und deren reaktionen auf seine ursprünglichwohlkaumvonwirklicherKenntnisgetragenesicht.daszweitezitatentstammtimübrigeneinemauf-satz,densteinerimrahmenseinertätigkeitfürden„Vereinzurabwehrdesantisemitismus“geschriebenhat.auchseineVerbindungmitdiesemVereinundseinklarerEinsatzgegendensichinEuropazuneh-mendausbreitendenantisemitismussindausdruckdesWandels,densteinervollzogenhat.–ausdie-sem grund kann man das erste zitat allenfalls alsnaivität des noch jungen steiner (er war 27 Jahre,als der Aufsatz veröffentlicht wurde), nicht aber als Belegfüreinegrundsätzlichantisemitischehaltunginterpretieren.Essollteselbstverständlichsein,dassnachdenVerbrechendesnationalsozialismusheuteauch füranthroposophen jedesurteil,welchesdasJudentum als „fehler der Weltgeschichte“ bezeich-net,indiskutabelist.

4. diskriminierung in Kulturvergleichen durch unglücklich gewählte Begriffe

Weilhochkulturenineinerbestimmten,aberbegrenz-ten zeitspanne und in einer ebenfalls begrenztengeographischen region zur Entwicklung kommen,sindsieinderregelauchmiteinembestimmtenVolkverbunden und wurden zumindest in früheren Kul-turphasendermenschheitsomitineinermeisthomo-genen ethnischen Bevölkerungsgruppe verortet. sosprechenwirinderregelvonzumBeispieldergrie-chischen Kultur und meinen gleichzeitig die Bevöl-kerungsgruppe,diedieseKulturprimärentwickelte.daran nimmt niemand anstoß, zumindest so langenicht,alsdiegemeinteKulturnicht„untergeht“,„ste-henbleibt“oder„dekadentwird“.dannnämlichwür-de die Identifikation einer ethnischen Bevölkerungs-gruppemitdervonihrentwickeltenodergetragenenKultur ungewollt, aber fast zwangsläufig auch die „Dekadenz“ der betreffenden Menschengruppe mei-nen. Die fehlende Differenzierung zwischen einer untergehenden Kultur und der sie tragenden men-schengruppe führt bei der Verwendung des Begriffes „Volk“ leichtzurdiskriminierung;beiBetonungderethnischen abstammung und entsprechender Ver-wendung des Begriffes „rasse“ zum rassismus. Die-

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serzusammenhangistfaktischerstnachdemzwei-ten Weltkrieg ins öffentliche Bewusstsein gerückt. mit der globalisierung ist eine weitere sensibilisie-rung eingetreten, wodurch heutige autoren eherfeinfühligzwischenKultur(träger)undEthniensowiezwischenderevolutionsgeschichtlichenEntwicklungund heutigen nachfahren der beschriebenen Bevöl-kerungsgruppe unterscheiden. das war zu steinerszeitnochkeineswegsüblichundkannredlicherwei-se auch nicht erwartet werden. zu seiner zeit, dienoch mitten im Kolonialismus stand, war die not-wendigkeit, in der Kulturwissenschaft nicht-bewer-tendeBeschreibungenzuverwenden,nochnichtall-gemeinanerkannt.

steinerbeschreibtinderregelgroßezeiträumeundwillseinezuhörerfürdieinihremWertjeweilsein-malige kulturelle Entwicklung begeistern. steinerversucht dabei die Evolution in Wechselwirkungmit der Kulturentwicklung aus der Wirkung geisti-gerWesenheitenzuerklären,die,umhelfendindiemenschlicheEntwicklungeingreifenzukönnen,aufihreeigeneWeiterentwicklungverzichten.ErsprichtdannzumBeispielvon„zurückgebliebenengeisternder Form“. Problematisch wird es, wenn er den Begriff des„zurückbleibens“imzusammenhangderKultur-entwicklung der menschheit selbst anwendet, undzwarauchinfällen,woereherpositiveineart„Inne-halten“ meint. Vollends unangemessen wirkt aberzum Beispiel ein satz, der eine ähnliche denkrich-tung in Bezug auf die Entstehung der rassen doku-mentiert:„Aber die Europäer sind hinaufgestiegen zu einer höheren Kulturstufe, während die Indianer stehengeblieben sind und dadurch in Dekadenz gekommen sind.“ 11

Der Begriff „Dekadenz“ im Blick auf Menschengrup-penstelltjedenfallsinseinerWirkungeinediskrimi-nierungdar.BeimletztenzitatliegtallerdingsnocheinweiteresProblemvor:steinersIdeeeinerhierar-chievonstufenderkollektivenEntwicklung.dieserfragehabenwirindiesemmemorandumeineigenesKapitel(abschnittIII.)gewidmet.

5. diskriminierend wirkende Beschreibungen ethnischer Eigenarten

Ein sonderfall bezüglich des diskriminierungsver-dachts ist der Vortragszyklus Die Mission einzelner Volksseelen ausdemJahr1910.steinerstellthierein

differenziertes Bild der Entstehung von rassen, Völ-kernundKulturendar,wobeiernebenäußerlichenklimatischen und geographischen Einflüssen, die für sich genommen leicht zum determinismus führenkönnten, eine Wechselwirkung mit Einflüssen der von ihm imdetailbeschriebenengeistigenWesen-heitendarstellt.12 Die Differenzierung in unterschied-lich ausgeprägte ethnische und kulturelle Bevölke-rungsgruppen,diezuverschiedenenzeitenzurBlüteineinerhochkulturkommen,beschreibtsteinerhierstets mit großem respekt vor jeder Weiterentwick-lung, die er häufig als „Mission“ (im Sinne von „Auf-gabe“)bezeichnetunddieeralsBeitragzurEntwick-lung der gesamtmenschheit charakterisiert. EineBewertungodergardasPostulateinerüberlegenheiteiner Bevölkerungsgruppe gegenüber anderen findet nicht statt. steiner geht in dem besagten Vortrags-zyklusaußerdemexplizitdavonaus,dassdiesoausmateriellen und geistigen Einflüssen gewonnenen kollektivenEigenschaftenimmernurdieausgangs-lage,nichtabereinefestlegungfürdieEntwicklungdes einzelnen Individuums sind. die anthroposo-phie kennt neben erblich-leiblichen faktoren ein-schließlich ethnischer Einflüsse, umwelt und Erzie-hung als weiteren faktor, der die Biographie einesmenschen mitbestimmt, dessen geistigen Wesens-kern(das„Ich“).

nach Steiners Beschreibung findet die (für ihn nur vorläufige und vorübergehende!) Ausdifferenzie-rung der gesamtmenschheit in verschiedene ras-sendadurchstatt,dassunterschiedlichereingeistigeWesenheitenwievonaußenaufdiemenschenein-gewirkt haben– und zwar jeweils konzentriert aufunterschiedliche organsysteme: bei mongolen aufdenBlutkreislauf;beiasiatenaufdasnervensystem;bei schwarzen auf das drüsensystem, etc. steinersprichthierbildlichvon„kochenundbrodeln“,weilbei diesem physikalischen Vorgang ebenfalls sicht-bare Veränderungen durch nicht-sichtbare Kräftevonaußenverursachtwerden.Es„kochtundbrodelt“im übertragenen sinne also in den verschiedenenorgansystemendermenschen.unddannkommtesin diesem zusammenhang zu der extrem befremd-lichen Äußerung: „Alles, was der Äthiopischen Rasse ihre besondere Merkmale verleiht, das kommt davon her, dass die Merkurkräfte in dem Drüsensystem der betref-fenden Menschen kochen und brodeln.“13 dieser satzwirkt, besonders wenn er ausdem Kontext heraus-gelöst,falschbetontoderverkürztwird(„beim Neger

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kocht und brodelt es im Drüsensystem“)beleidigend.Erist,ebensowieweiterezitateausdieserVortragsrei-he, zugleich ein deutliches Beispiel dafür, wie vonseitendesautorsnichtsherabsetzendesgemeintist,währenddurchdieformulierung imErgebnisebendocheineBeleidigungentsteht.Ähnlicheformulie-rungensindauchananderenstellenbeisteinerzufinden.

zubetonenisthiernoch,dasseinecharakterisierungvonmenschenmitdunklerhautfarbe,wonachesindiesen „brodelt und kocht“, für anthroposophen indernachfolgesteinersnieeinerollegespielthatunddasssolchenÄußerungeninkeinerWeiseetwaeinesystematischeBedeutungimrahmenderanthropo-sophiezukommt.

6. diskriminierung durch missverständliche ausdrucksweise

durchmissverständlicheausdrucksweiseoderunge-nauemündlicheformulierung(verstärktnochdurchoftunvollständige,nichtvomautorkorrigierteVor-tragsabschriften)oderdurchverändertensprachge-brauchwirkenmancheaussagensteinerswievölligeFehlgriffe, während sie bei einer genaueren textana-lyseimKontextnachvollziehbarererscheinen.schonder Begriff „neger“, den Steiner wie andere zeitge-nössischeautorensorglosverwendet,führtheutezuverständlichenIrritationen.

Ein Beispiel dafür ist der zu recht oft beanstande-tesatz„Denn selbst die Neger müssen wir als Menschen ansehen.“14 Im zusammenhang der ausführungensteinersandieserstelleistklar,dassetwasanderesgemeint war; nämlich: „denn auch schwarze sindMenschen!“ – eine Bemerkung, die 1922 leider noch nicht überall selbstverständlich war, zum Beispielnicht für die noch von der Kolonialzeit geprägtenzuhörerimbritischenoxford,vordenendieseÄuße-rung fiel. ob hier das Stenogramm ungenau ist oder ob es sich um einen Versprecher des Vortragendengehandelt hat, mag dahingestellt bleiben. der ver-öffentlichte Satz ist jedenfalls hochgradigdiskrimi-nierend, während es dem Vortragenden gerade umdasgegenteilging:dieEinbeziehungderschwarzenBevölkerungalsgleichberechtigteBürgerderdama-ligenKolonien.

7. diskriminierende stereotypisierungen

InsbesonderebeidenVorträgen,diesteiner fürdieBauarbeiter am damaligen goetheanumbau gehal-ten hat und die zwangsläufig keine besonderen Vor-kenntnisse voraussetzen konnten, kam es im Ein-zelfall zu peinlich wirkenden stereotypisierungen.steinerstandvorderaufgabe,seineohnehinkomple-xen anthroposophischen Erklärungen in einfachenWorten wiederzugeben. hier ein längeres Beispieldazu,manstellesichsteinerandertafeldozierendvor: „Und während der Mongole das Mittelhirn haupt-sächlich braucht, müssen wir Europäer das Vorderhirn anwenden. Dadurch aber stellt sich das Folgende heraus: Der mit dem Hinterhirn, der hat vorzugsweise das Trieble-ben, das Instinktleben. Der da hier mit dem Mittelhirn hat das Gefühlsleben, das in der Brust sitzt. Und wir Europäer, wir armen Europäer haben das Denkleben, das im Kopfe sitzt. Dadurch fühlen wir gewissermaßen unseren inneren Menschen gar nicht. Denn den Kopf, den fühlen wir nur, wenn er uns weh tut, wenn er krank ist. Sonst fühlen wir ihn nicht. Dadurch aber nehmen wir die ganze Außenwelt auf, werden dadurch leicht Materialisten. Der Neger wird schon kein Materialist. Der bleibt schon innerlich Mensch. Nur entwickelt er innerlich das Triebleben. Der Asiate wird auch nicht Materialist. Der bleibt beim Gefühlsleben. Der kümmert sich nicht so ums äußere Leben wie der Europä-er. Von dem sagt er: Der wird nur ein Ingenieur, der sich nur mit dem äußeren Leben beschäftigt.15“ –dieWirkungwäre aus heutiger sicht sicher bereits eine anderegewesen,wennsteinernicht stereotyp denEuropä-er, den asiaten, den „neger“ etc. benannt, sonderndie europäische, asiatische und afrikanische Kulturbeschriebenhätte.

aneinigenwenigenstellenimVortragswerkrudolfsteiners, insbesondere wo er in einfachen formu-lierungen vor den Bauarbeitern am goetheanumspricht, überschreiten die typisierungen allerdingsdie grenze des zumutbaren. Ein Beispiel, wie derunter 5. dargestellte zusammenhang populär aus-gesprochen wirkt: „Daher ist beim Neger namentlich alles das, was mit dem Körper und mit dem Stoffwech-sel zusammenhängt, lebhaft ausgebildet. Er hat, wie man sagt, ein starkes Triebleben, Instinktleben. Der Neger hat also ein starkes Triebleben. Und weil er eigentlich das Son-nige, Licht und Wärme, da an der Körperoberfläche in sei-ner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird da

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drinnen fortwährend richtig gekocht [...]“16 auch diesebefremdlichenschilderungenhaben,daraufseiaus-drücklich hingewiesen, für anthroposophen in derzeitnachsteinerweder theoretischnochpraktischjeeinerollegespielt.

8. Inhaltliche Fehlgriffe

Was zu kommentieren bleibt sind mehrere, wohleher flott dahingesagte Fehlgriffe Steiners, in denen ersichalsBürgereinernochspätkolonialundeuro-zentrischdenkendenEpochezeigt.

die folgenden Äußerungen stehen zwar nicht inzusammenhangmiteinerernsthaftenodersystema-tischen Beurteilung der betreffenden Bevölkerungs-gruppe,wirkenaberdeshalbnichtwenigerbedenk-lich. hier die wichtigsten Beispiele, auf die auchKritikerimmerwiederhinweisen:

„[...] wir geben diese Negerromane den schwangeren Frau-en zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt zu werden, dass Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entste-hen...“17 Steiner verwendet hier den Begriff „Mulatten“ in abschätziger art, so als ob Kinder aus ethnischgemischten Beziehungen mit dunkler hautfarbe inEuropaunerwünschtwären.

oder: „Soll der vollkommene Geist ebensolche Voraus-

setzungen haben wie der unvollkommene? Soll Goethe die gleichen Bedingungen haben wie ein beliebiger Hottentot-te?“18 Steiner verwendet hier den Begriff „hottentot-te“pauschalalsnegativesBeispiel.

„Die Negerrasse gehört nicht zu Europa und es ist natürlich nur ein Unfug, dass sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt.“19 dieses zitat beinhaltet für sich genommeneinegeringschätzungvonmenschenmitschwarzerhautfarbe.

„Es gibt eine Biographie von Schubert, die schildert das Exterieur von Schubert so, wie wenn Schubert ungefähr wie ein Neger ausgesehen hätte. Es ist gar keine Rede davon gewesen! Er hat sogar ein sehr sympathisches Gesicht gehabt! Aber er war eben arm.“20 hierlässtsichsteinervon einer persönlichen gefühlsregung dazu verlei-ten,schwarzeindirektalssynonymfür„nichtsym-pathisch“zusehen.

Esistbedauerlich,dasssolcheÄußerungen,diever-letzend wirken, gemacht wurden. auch der verein-zeltunternommeneVersuch,diesezitatekontextu-elleinzuordnen,machtsienichtannehmbarer.dasdritte zitat ist z.B. auch dann nicht hinnehmbarwennmanunterstellt,steinerhabemitdemabschät-zig klingenden Wort „negerrasse“ die schwarz-afri-kanischeKulturgemeint.Keinernstzunehmenderanthroposophbeziehtsichallerdingsheuteaufdie-se Äußerungen oder macht sie gar zur grundlageeigenendenkensoderhandelns.

III. EthnIEn, VölkEr und kulturEn In EVolutIonärEr SIcht – EIn dIsKrImInIErungsProBlEm?

abgesehen von der Verurteilung einzelner Äuße-rungen ist in der öffentlichen Kritik mitunter der Vorwurf laut geworden, steiners sicht der mensch-heitsentwicklunginsgesamtalseinesevolutionärenProzesses,dervonniederenzuhöherenKultur-undBewusstseinsstufen führe, transportiere unweiger-lich rassistische Implikationen. diesem Vorwurfkann im vorliegenden rahmen zwar nicht ange-messenbegegnetwerden.Essollhierabermiteini-gen wenigen hinweisen angedeutet werden, dassein Bewusstsein für die tatsächlich vorhandenenGefahren einer hierarchisierenden sicht von kultu-rellerEvolutionbesteht.

WennmanwiesteinerdieKultur-undBewusstseins-entwicklung der menschheit in einer grundsätz-lich evolutionären Perspektive betrachtet, erlaubtdieszweierlei:einmalwirdjedehistorischestufeinihrer Einmaligkeit und unwiederholbarkeit gewür-digt; jede Kulturepoche der menschheit hat ihrenWertinsich.sohatteetwadiegriechisch-römischeAntike differenziertere und in vieler hinsicht fort-schrittlichere ausdrucksmöglichkeiten als die vor-angegangenenasiatischenKulturen,diesewiederumwaren auf zivilisatorischer Ebene den vorangegan-genenJäger-undsammlerkulturenvoraus.anderer-seits gehen mit dem fortschritt in richtung wach-

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sender Bewusstheit immer auch andere wertvolleQualitäten (naturweisheit, ursprüngliche spiritua-lität) verloren. rudolf steiner versuchte stets beideaspektezugewichten.

Ein Problem in Bezug auf diskriminierungsfragenergibt sich dadurch, dass auf der Erde zeitgleichimmerVertretermehrererunterschiedlicherKultur-formenvertretensind.Werdennuneinzelneformenals repräsentanten einer hochkultur oder „höher-entwicklung“ identifiziert, so liegt es nahe, dass sich VertretervonausdiesersichtfrüherenEntwicklungs-stufenzurückgestelltundunterbewerteterlebenunddass umgekehrt aus der vermeintlichen „höherent-wicklung“ politische oder ideologische ansprücheabgeleitetwerden.aucheineansteineranknüpfen-de, evolutionär ausgerichtete Kulturforschung wirdsich daher selbstkritisch mit der gefahr chauvinis-tischer abirrungen von Kulturvergleichen ausein-andersetzenmüssen.angemessenerwärees,wennsteinerstattvoneiner„höherentwicklung“vonWei-terentwicklunggesprochenhätte.dasgiltinsbeson-derebeiderBeschreibungvonrassen.steinerrücktedabeivermutlichseit1910vonderdarstellungeinerzeitlichen abfolge sich höher entwickelnder ras-senab,wieerdiesz.B.noch1907inanlehnunganhaeckel vertreten hatte und verfolgt nun ein mehr„vertikales“Konzept,wonachdieunterschiedlichenEthnien sich nicht (wie später die Kulturepochen)nacheinander, sondern weitgehend zeitgleich undparallel aus einer vorangehenden ur-menschheitherauskristallisierthaben.dabeiliegtnunseinfocusmehr auf den jeweils eigenen und unverzichtbarenEntwicklungsbeiträgen.21 dennoch spricht steinerauchhier fürdenweiterenVerlaufdermenschheit-lichen Entwicklung z.B. im Blick auf die amerika-nischen ureinwohner vom Phänomen „dekadenterrassen“.diesbildetzweifelloseinProblem,weileine

solche Bezeichnung zwangsläufig zu der Annahme einerunter-oderüberlegenheitauchheutigermen-schenunterschiedlicherhautfarbeundsomitzudis-kriminierungführt.

Ein ähnliches Problem betrifft die evolutionäre Sicht vonKulturentwicklungsoferndamitunterstelltwür-de,dassauskollektivenBewusstseins-oderKultur-qualitäteneineartdeterminismusentstehe,wonachangehörige einer bestimmten Kultur kollektiv aufbestimmte merkmale oder Verhaltensweisen fest-gelegtwären.dieswürdeimübrigenauchsteinerseigener individualistischer Ethik widersprechen.In der konkreten darstellung von ethnischen odervolksmäßigenEigenartenhatsteiner,andersalszumBeispiel in seinem philosophischen hauptwerk Die Philosophie der Freiheit,denVorrangdesIndividuellenvordemKollektivenjedochnichtimmerklarbetont.BeikulturellenQualitätenhandeltessichjanichtumEigenheiten, die zwangsläufig aus biologischen Fak-toren resultieren, sondern auch im sinne steinersumWerte-felder,dievonmenscheninWechselwir-kung mit rein geistigen Entitäten geprägt werden.mit einem ethisch freiheitlichen und humanisti-schen ansatz wäre es unvereinbar anzunehmen,dass bereits die zugehörigkeit zu einer als „höherentwickelt“ betrachteten Volksgruppe gleichzeitigauchdieausstattungdeseinzelnenIndividuumsmitbestimmtenQualitätenbedeutenwürde.dieÄuße-rungen steiners zu diesem Punkt sind leider nichtimmereindeutig.22

dashierangedeutetethemabedarfnocheinesaus-führlichendiskurses.diesichzumteil sichwider-sprechend wirkenden Elemente einer anthroposo-phischen Evolutionslehre werfen fragen auf, dieunseres Wissens noch nicht abschließend erforschtwurden.

Iv. zusammEnfassung und schlussfolgErungEn

Auch bei einer kritischen Prüfung des Werkes von Rudolf Steiner kann die Behauptung, Steiner habe eine „Rassentheorie“ entwickelt, nicht aufrecht-erhalten bleiben. Es gibt in Steiners Werk jedoch vereinzelt diskriminierende Passagen. Außerdem bleibt die Frage, wie eine evolutionäre Sicht auf Natur, Kultur und Bewusstsein ohne diskriminie-

rende Hierarchisierungen möglich ist, einer wei-teren Bearbeitung vorbehalten.

dieKommissionAnthroposophie und die Frage der Ras-sen hat mitgroßerausführlichkeitundgründlichkeitzweierleigetan:

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•siestelltdiefraglichenzitateinihrenzusammen-hang und interpretiert ihre nicht immer offensicht-licheBedeutung,d.h. siezeichnetdie Absicht durchden autor nach. sie kommt dabei zu dem Ergebnis,dass es rassismus im sinne einer theorie, die dievermeintliche überlegenheit einer rasse gegenüberanderen rassen zu begründen versucht, bei steinernichtgibt.

• sie untersucht nach allgemein gültigen Kriterien(geltende gesetzgebung, allgemeine Erklärung dermenschenrechte)dieWirkung dieserzitateaufBetrof-feneundkommtzudemErgebnis,dasseseinige,wennauch angesichts des gesamtwerkes vergleichsweisewenigeÄußerungenrudolfsteinersgibt,diegeeignetsind, einzelne menschen oder menschengruppen inihrermenschenwürdezuverletzen.

darüber hinaus hat die Kommission die ausfüh-rungenrudolfsteiners imKontextderWissenschaftseiner zeit untersucht. Vieles von dem, was heutebefremdendwirkt,wirdindiesemhistorischenKon-textverständlicher.dieKommissionstellteaußerdemfest, dass im öffentlichen Diskurs sowohl die gesell-schaftlichen als auch die evolutions-wissenschaft-lichen alternativen steiners, die rassistischen oderdiskriminierenden tendenzen entgegengesetzt sind,kaum Erwägung gefunden haben. sie spricht in die-semzusammenhangauchvoneiner„selektivenEnt-rüstung“gegenübersteiner.diesedürfteeher inderaktualitätderanthroposophischenarbeitals indenausführungen des historischen autors begründetsein.dieBefürchtung,dassheutigeanthroposopheninderfragederrassenunkritischandarstellungenihres gründers aus dem vorletzten Jahrhundert haf-ten,kannaberausgeräumtwerden.

die unterzeichnenden des vorliegenden memoran-dums schließen sich der Vorgehensweise, die zwi-schen absicht und Wirkung unterscheidet, aus-drücklichan.fürdieunterzeichnerdesvorliegendenmemorandumsspieltdieanthroposophierudolfstei-ners eine große rolle in ihrem persönlichen bezie-hungsweise beruflichen leben gerade wegen ihres entschiedenen Eintretens für die Würde des men-schen und eine offene, plurale Gesellschaft. Deswe-gen bedauern sie es , dass im Werk rudolf steiners,welchessieinseinersubstanz,radikalenfreiheitlich-keitundkosmopolitischenmenschlichkeitbegeistert,einzelnestellenenthaltensind,dieheutemenschen

inihrerWürdeverletzenkönnen.

das mitunter bemühte argument, jene zitate seienin einer anderen zeit geäußert worden, können wirinvielenfällenauchdannnichtgeltenlassen,wennes sich um Auffassungen handelt, die zwar vor etwa 100 Jahren in unserem Kulturkreis verbreitet, aberdeshalb nicht weniger diskriminierend waren. gro-be absichtliche oder fahrlässige diskriminierungenwaren bereits verletzend, bevor das diskriminie-rungsverbotetwadurchdieallgemeineErklärungderMenschenrechte 1948 kodifiziert wurde.

Wie bereits an anderer Stelle betont wurde, spielt jedoch keine der hier diskutierten problematischen Äußerungen für die Theorie und die Praxis der Anthroposophie, der Waldorfschulen und anderer anthroposophischen Einrichtungen eine Rolle. Sie sind marginale Bemerkungen und nicht wesent-licher Bestandteil des anthroposophischen Ideen-gebäudes. Kerngehalt der Bemühungen der anthro-posophieundderanthroposophischenEinrichtungenist vielmehr der spirituell verwurzelte respekt vordem einzelnen menschen und dessen Entwicklung.dazuwurdevonsteinereinegeisteswissenschaftlichfundierte menschenkunde formuliert. der gesamt-duktus seines Werkes betont immer wieder die kul-turgeschichtlicheEntwicklungdereinen,zusammen-gehörenden menschheit ohne rücksicht auf jedenunterschied von ethnischer, nationaler oder religi-öserherkunft.

Vor der gefahr, durch die (berechtigte) WürdigungdereigenenKulturdieKulturanderer(unberechtigt)herabzusetzen, war allerdings auch ein denker wierudolf steiner nicht gefeit. aus diesem grunde soll-tedashinterlasseneWerksteinersheutekritischgele-sen werden. dank des rudolf steiner Verlages liegtdas immense Vortragswerk steiners heute in edi-tierterformweitgehendvor.zielderherausgeberwarbisher nicht die Erstellung einer kritischen Edition,sondern zunächst die Werkstreue, d.h. man hat mitakribischemspürsinnallesdarangesetzt,auchunvoll-ständigerhalteneVorträgebestmöglichzurekonstru-ieren, – auch dann, wenn sich daran zwangsläufig kri-tischediskussionenanschließensollten.

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In der haltung einer selbstkritischen auseinander-setzungvonanthroposophenmitdemWerksteiners,diedenheuteerreichtenstanddermenschenrechteunddiezeitgemäßenBemühungendesschutzesvordiskriminierungen voll unterstützt, erscheinen fol-gendeKonsequenzenwünschenswert:

1.ImrahmenderanthroposophischenBewegungund ihrer Praxisfelder sollte die Kritik an diskri-minierendenÄußerungensteinersernstergenom-men werden und die differenzierte Beurteilung problematischer Äußerungen noch weiter voran-kommen.

2.derfürdieherausgabedesWerkesimWesent-lichen zuständige rudolf steiner-Verlag und dierudolf steiner-nachlassverwaltung sollten ihrebereits begonnene linie, problematische Äuße-rungen steiners zu kommentieren und damit einkritisches Verhältnis dazu zu dokumentieren,unbeirrtweiterfortsetzen.

3. an die zeitgenössischen anthroposophischenAutoren ergeht die Empfehlung, Steiner differen-zierteralsbisherzuzitieren,seinezeitbezogenheitstärkerzuberücksichtigenundseineÄußerungennichtetwapauschalalssakrosanktzubehandeln.

4. die anthroposophische Bewegung weist einegroßemeinungsvielfaltaufundistdabei,wieande-re richtungen auch, nicht vor diskriminierenden

undanderentendenzenallerartgeschützt.solchetendenzen können sich in missbräuchlicher artaufrudolfsteinerberufen,obwohler selbstras-sismus,nationalismusundähnlicheBestrebungenklarabgelehnthat.dieanthroposophischeBewe-gung sollte die missbräuchliche Verwendung desgedankenguts von rudolf steiner, die menschenaufgrundihrerzugehörigkeitzueinerbestimmtenEthnie,nationoderreligionindiskriminierenderartherabwürdigt,energischbekämpfen.

5. Für die öffentlichkeit ist es wichtig zu wissen, dass die kritisierten Äußerungen steiners zu fra-genderrassenfürheutigeanthroposophenwederinihremdiskursnochinderPraxisihrerarbeits-felder eine rolle spielen. für die anthroposo-phische arbeit, die heute weltweit z.B. selbstver-ständlichauchinvielenländernafrikas,inIsraeloder in nordamerikanischen Indianerreservatenstattfindet, ist vielmehr die unvoreingenommene und respektvolle individuelle menschenbegeg-nungmaßgeblich.

Es ist kein mangel, sondern in der kulturellen undwissenschaftlichenWelteineselbstverständlichkeit,dassinderauseinandersetzungmitdemWerkeinesinspirierendengeistes,dasknapp100Jahrezurück-liegt, offene Fragen verbleiben und nicht alle Wider-sprüche aufgelöst werden können. zu dieser tatsa-chedarfauchanthroposopheneinunverkrampftesVerhältniszugestandenwerden.

v. EmPfEhlungEn

anmerkungen:

1.Antroposofie en het vraagstuk van de rassen. Eindrapport van de onderzoekcommissie. herausgegeben von der Antroposofische Vereniging in nederland, Zeist 2000.

2.Anthroposophie und die Rassismus-Vorwürfe. Der Bericht der niederländischen Untersuchungskommission „Anthroposophie und die Frage der Rassen“. (In erster Auflage erschienenunterdemtitelanthroposophieunddiefragederrassen).herausgegebenvonth.a.vanBaarda.miteinemVorwortvonJustusWittichundeinerAnalyse nach deutschem recht von Ingo Krampen. Autorisierte Übersetzung von ramon Brüll. Schriftenreihe Kontext, Band I. Info3-Verlag, 4. Auflage, Frank-furtammain2006(1998).

3.mitderKontextualisierungdiskriminierendwirkenderÄußerungeninsteinersWerkhabensichindenletztenJahreneinigeWerkeanthroposophischerautorenbefasst,z.B.lorenzoravagliu.a.,Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit,stuttgart2002;imvorliegendenmemorandumwird,ähnlichwieinderbereitserwähntenStuttgarter ErklärungdesBundesderfreienWaldorfschulen,dagegenvornehmlichderaspektderWirkungenbestimmteraussagenstei-nersberücksichtigt.

4.rudolfsteiner,mariesteiner-vonsivers:Briefwechsel und Dokumente 1901-1925. GA 262, rudolf Steiner Verlag, 2. Auflage, Dornach 2002 (1967), S. 105. Die KommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatPassagenausdemBrief,ausdemdieseszitatstammt,indieKategorieII(missverständlicheformulie-rungoderminderschwererfallvonrassendiskriminierung)eingeordnet.[zitat241]

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5.rudolfsteiner:Das Johannes-Evangelium. GA 103. rudolf Steiner Verlag, 11. Auflage, Dornach 1995 (1955). Vortrag vom 30. Mai 1908 in hamburg, Seite 168. [zitat18(13)]

6.rudolfsteiner:Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen. GA 102. rudolf Steiner Verlag, 4. Auflage, Dornach 2001 (1974). Vortrag vom 16. Mai 1908inBerlinvormitgliederndertheosophischengesellschaft,seite174..dieKommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKate-gorieII(missverständlicheformulierungoderminderschwererfallvonrassendiskriminierung)eingeordnet.[zitat40]

7.rudolfsteiner:Das Johannes EvangeliumausdemBandMenschheitsentwicklung und Christus-Erkenntnis.ga100.rudolfsteinerVerlag,dornach2006(1967),Vortragvom22.november1907inBasel,seite243.

8.rudolfsteiner:Das Johannes EvangeliumausdemBandMenschheitsentwicklung und Christus-Erkenntnis. GA 100. rudolf Steiner Verlag, 3. Auflage, Dornach 2006(1967),Vortragvom22.november1907inBasel,seite259.dieKommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKategorieI(zitatemitdiskriminierenderWirkung)eingeordnet.[zitat152(133)]

9.rudolfsteiner:Robert Hamerling: „Homunkulus. Modernes Epos in 10 Gesängen“.deutscheWochenschrift16/17(1888),in:rudolfsteiner:Gesammelte Aufsät-ze zur Literatur 1884-1902. GA 32, rudolf Steiner Verlag, 3. Auflage, Dornach 2004. Seite 145 ff. Die Kommission Anthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKategorieI(zitatemitdiskriminierenderWirkung)eingeordnet.[zitat192]

10.rudolfsteiner:Verschämter Antisemitismus,mitteilungenausdemVereinzurabwehrdesantisemitismus1901,II.Jahrgang,nr.48,enthalteninrudolfsteiner:Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901. GA 31. rudolf Steiner Verlag, 3. Auflage, Dornach 1989. S. 409. [Zitat 202]

11.rudolfsteiner:Menschheitsentwicklung und Christus-Erkenntnis. GA 100, rudolf Steiner Verlag, 2. Auflage, Dornach 2006 (1997), daraus Vortrag vom 22. november1907inBaselausdemzyklusDas Johannes-Evangelium.seite259.dieKommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKate-gorieI(zitatemitdiskriminierenderWirkung)eingeordnet.[zitat152(133)]

12.aufdasanIdeenherdersundhegelsanknüpfendeKonzeptsteiners,denkulturellenausdruckvongesellschaftlichensystemendurchdieBeteiligungreingeistigerEntitäten(„Volksgeister“)zuerklären,kannhiernichtnähereingegangenwerden.

13.rudolfsteiner:Die Mission einzelner Volksseelen in Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie.ElfVorträge,7.bis17.Juli1910inKristiania(oslo).GA 121. rudolf Steiner Verlag, 5. Auflage, Dornach 1982 (1974), Seite 111/112. Die Kommission Anthroposophie und die Frage der Rassenhatdiesessowieachtwei-terezitateausdiesemVortragszyklusindieKategorieII(missverständlicheformulierungoderminderschwererfallvonrassendiskriminierung)eingeordnet.[zitat111(93)]

14.rudolfsteiner:Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben. GA 305, rudolf Steiner Verlag, 3. Auflage, dornach1991.darausVortragvom21.august1922inoxford,seite100.sieheauchth.a.vanBaarda(hg.)Anthroposophie und die Rassismus-Vorwürfe,Info3-Verlag,frankfurtammain2006(1998),seite262.dieKommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKategorieI(zitatemitdiskrimi-nierenderWirkung)eingeordnet.[zitat130(112)]

15.rudolfsteiner:Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums.Vorträgefürarbeiteramgoetheanumbau,BandIII,ga349.rudolfSteiner Verlag, 3. Auflage, Dornach 2006 (1961). Daraus: Vortrag vom 3. März 1923, Seite 58. Die Kommission Anthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKategorieII(missverständlicheformulierungoderminderschwererfallvonrassendiskriminierung)eingeordnet.)[zitat127(106)]

16.rudolfsteiner:Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums.Vorträgefürarbeiteramgoetheanumbau,BandIII.ga349.rudolfSteiner Verlag, 3. Auflage, Dornach 2006 (1961). Daraus: Vortrag vom 3. März 1923, Seite 55. Die Kommission Anthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatdieKategorieII(missverständlicheformulierungoderminderschwererfallvonrassendiskriminierung)eingeordnet.[zitat127(106)]

17.rudolfsteiner:Über Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen Sinneslehre.Vorträgefürdiearbeiteramgoetheanumbau,BandII.GA 348. rudolf Steiner Verlag, 4. Auflage, Dornach 1997 (1983). Daraus Vortrag vom 30. Dezember 1922 vor Arbeitern am Goetheanumbau, Seite 188/189. Die KommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKategorieI(zitatemitdiskriminierenderWirkung)eingeordnet.[zitat119(137)]

18.rudolfsteiner:Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums. GA 8, rudolf Steiner Verlag, 9. Auflage, Dornach 1989 (1902), Seite 47 dieKommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatdiesezitateindieKategorieI(zitatemitdiskriminierenderWirkung)eingeordnet.[zitat123(105)]

19.rudolfsteiner:Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums.Vorträgefürarbeiteramgoetheanumbau,BandIII.ga349.rudolfSteiner Verlag, 3. Auflage, Dornach 2006 (1961). Daraus: Vortrag vom 3. März 1923, Seite 53. Die Kommission Anthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatdieKategorieII(missverständlicheformulierungoderminderschwererfallvonrassendiskriminierung)eingeordnet.[zitat127(106)]

20.rudolfsteiner:Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band I, rudolf Steiner Verlag, GA 235, 8. Auflage, Dornach 1994 (1933). Daraus Vortrag vom8.märz1924,seite123.dieKommissionAnthroposophie und die Frage der RassenhatdieseszitatindieKategorieI(zitatemitdiskriminierenderWirkung)eingeordnet.[zitat150].diegenannteBiographiestammtvonrittervonKreissle-hellborn,Josephvonspaun,EinigeBemerkungenüberdieBiographieschu-berts.

21.K-P.EndresundWolfgangschad:Die Vielfalt des Menschen. Die verschiedenen Annäherungen Rudolf Steiners an das Problem der menschlichen Rassen.mitteilungenausderanthroposophischenarbeitindeutschland,sonderheft1995.

22. Dabei überzeugt auch das häufig von Anthroposophen vorgebrachte Argument nicht, dass unter der Voraussetzung der Wiederverkörperung des Individu-umsdurchdieunterschiedlichstenEthnien,KulturenundVölkerhindurchohnehinderunterstellte„niedere“rangbestimmterEntwicklungsstufenrelativiertwerde,dasomitauchderenangehörigedurchWiedergeburtdiechancehätten,zu„höheren“stufenaufzusteigen.diesesichtweisemagnämlichzwarvonder Absicht her nicht diskriminierend sein, von der Wirkung her ist sie es jedoch für Betroffene, die auf einer mutmaßlich „niederen“ Stufe angesiedelt werden beziehungsweisedieannahmederWiederverkörperungsideegarnichtteilen,gleichwohl.

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Diskussionspapier

Bis zur Verabschiedung eines abgestimmten Textes gilt eine Sperrfrist für jedwede öffentliche Verwen-dung des Diskussionspapiers.

fürdenprivatengebrauch,fürdiediskussionindenanthroposophischenEinrichtungensowieunterdenmitgliedern der anthroposophischen gesellschaft und der anthroposophischen fachverbände kann die-sefassungbeliebigkopiertundweitergegebenwerden.fürdenabdruckoderdieBeilageinanthroposo-phischenzeitschriftenausanderenVerlagenbittenwirumrücksprache.

zusätzlicheExemplarekönnenkostenlosbeiminfo3-VerlagangefordertodervonunsererWebseiteherunter-geladenwerden.

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sonderausgabederzeitschriftinfo3 – Anthroposophie im Dialog.märz2008.Postvertriebsnummerd7702