Raus aus dem Frust - WILA Arbeitsmarkt...Die Statistik der Arbeitsagentur zeigt auch, dass manche...

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1 Tipps, Berichte und zahlreiche Stellenangebote für Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen – jede Woche aktuell. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Reuterstr. 157, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 N achts kommt die Angst. Sie schleicht aus dem Dunkel heran, kriecht ihr in den Kopf. Sie lähmt die Glieder, nimmt ihr den Atem. Dann liegt sie wieder lange wach, versucht vergeblich, sich aus dem Gedanken-Ka- russell zu befreien. Bringt ja doch nichts, diese Jobsuche. Auch die Weiterbildung im Online-Marketing, die ihr die Arbeits- agentur bewilligt hat, bringt ihr wohl nicht so viel. Denkt sie. Und grübelt: Was tun, wenn sie, die 40-Jährige, gar keine feste Stelle mehr bekommt? Keine Chance hat angesichts der vielen jungen, gut ausgebildeten Kollegen, die auf den Ar- beitsmarkt strömen? Und wenn sie sich erneut selbstständig macht, auch damit scheitert? Hat sie nicht ohnehin den fal- schen Beruf ergriffen? Ja, sie ist frustriert. Ja, sie hat schon ihren Freunden erzählt, wie verzweifelt sie ist. Ja, die Freunde hören ihr geduldig zu, machen ihr Mut. Und irgendwie geht das Leben doch weiter, oder? Ihre letzte Stelle hat sie schließlich erst im Dezember verloren. Manche Kollegen sind noch länger ar- beitslos. Mathilda, die arbeitslose Journalistin, sitzt in einer Szenekneipe und dreht sich eine Zigarette. Sie hat tiefe Schatten un- ter den Augen. Sie nippt an ihrem Bier, dann erzählt sie, was ihr als Abiturientin passiert ist. Es war in ihrer Heimatstadt, sie fuhr Taxi mit zwei Freundinnen. „Was willst du mal werden?“, erkundigte sich der Taxifahrer bei der 18-Jährigen. Jour- nalistin wollte sie werden, in die Welt hin- ausgehen, Missstände in der Gesellschaft aufdecken. Es würde sicher nicht einfach sein, sich in diesem begehrten Beruf zu etablieren. Aber sie würde es schaffen, sie würde ihr Leben nach ihren Vorstel- lungen gestalten. Der Taxifahrer lachte sie aus. „Journa- listin? Der Beruf ist doch in zehn Jahren tot!“ Hätte ich Bankkauffrau werden sollen? Jetzt ist es Mathilda, die lacht. Bitter. Seit der Jahrtausendwende bekommt die Lite- raturwissenschaftlerin mit dem Einser-Ex- amen die Krise der Medienbranche zu spüren. Will heißen: Die Auflagen der Zeitungen sinken, junge Menschen infor- mieren sich eher in den elektronischen Medien, als dass sie am Kiosk ein Magazin kaufen. Auch die Anzeigenkunden laufen den Zeitungen davon, ziehen es vor, im Internet zu werben. Ergo entlassen die Verlage ihre Mitarbeiter. Schlechte Zeiten für Mathilda, die für Print-Journalismus ausgebildet ist. Seit der Jahrtausendwen- de wurden ihr immer wieder feste Stellen gekündigt, zuletzt Ende 2012. Sie hat als Freiberuflerin auch in anderen Branchen gewildert, hat etwa als Lektorin gearbei- tet. Doch auch hier sind die Honorare schlecht, ist die Konkurrenz groß. „Hätte ich doch lieber Bankkauffrau werden sollen? Oder Ingenieurin, die werden doch gesucht?“ Mathilda schüt- telt den Kopf. Nein, sie habe den Beruf ergreifen wollen, der ihr liegt. Journalistin. Punkt. Viele Menschen sind genervt von der vergeblichen Jagd nach einem Job. Die Bundesagentur für Arbeit zählt knapp drei Millionen Arbeitssuchende. In Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Schleswig-Holstein leben überdurchschnittlich viele, während es dem Südwesten der Republik besser ergeht. Deutschlandweit gilt: Je besser die Jobsucher ausgebildet sind, um so schneller finden sie eine Stelle. Für Unge- lernte ist es am schwierigsten. Einhundert, zweihundert Bewerbungen geschrieben und immer nur Absagen gekriegt? Wenn die Jobsuche erfolglos erscheint, liegen die Nerven blank. Zeit, das Schneckenhaus zu verlassen. | Josefine Janert © D. Braun/pixelio.de Raus aus dem Frust PRAXISTIPPS

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Nachts kommt die Angst. Sie schleicht aus dem Dunkel heran, kriecht ihr in den Kopf. Sie lähmt

die Glieder, nimmt ihr den Atem. Dann liegt sie wieder lange wach, versucht vergeblich, sich aus dem Gedanken-Ka-russell zu befreien. Bringt ja doch nichts, diese Jobsuche. Auch die Weiterbildung im Online-Marketing, die ihr die Arbeits-agentur bewilligt hat, bringt ihr wohl nicht so viel. Denkt sie. Und grübelt: Was tun, wenn sie, die 40-Jährige, gar keine feste Stelle mehr bekommt? Keine Chance hat angesichts der vielen jungen, gut ausgebildeten Kollegen, die auf den Ar-beitsmarkt strömen? Und wenn sie sich erneut selbstständig macht, auch damit scheitert? Hat sie nicht ohnehin den fal-schen Beruf ergriffen?

Ja, sie ist frustriert. Ja, sie hat schon ihren Freunden erzählt, wie verzweifelt sie ist. Ja, die Freunde hören ihr geduldig zu, machen ihr Mut.

Und irgendwie geht das Leben doch weiter, oder? Ihre letzte Stelle hat sie schließlich erst im Dezember verloren. Manche Kollegen sind noch länger ar-beitslos.

Mathilda, die arbeitslose Journalistin, sitzt in einer Szenekneipe und dreht sich eine Zigarette. Sie hat tiefe Schatten un-ter den Augen. Sie nippt an ihrem Bier, dann erzählt sie, was ihr als Abiturientin passiert ist. Es war in ihrer Heimatstadt, sie fuhr Taxi mit zwei Freundinnen. „Was willst du mal werden?“, erkundigte sich der Taxifahrer bei der 18-Jährigen. Jour-nalistin wollte sie werden, in die Welt hin-

ausgehen, Missstände in der Gesellschaft aufdecken. Es würde sicher nicht einfach sein, sich in diesem begehrten Beruf zu etablieren. Aber sie würde es schaffen, sie würde ihr Leben nach ihren Vorstel-lungen gestalten.

Der Taxifahrer lachte sie aus. „Journa-listin? Der Beruf ist doch in zehn Jahren tot!“

Hätte ich Bankkauffrau werden sollen?

Jetzt ist es Mathilda, die lacht. Bitter. Seit der Jahrtausendwende bekommt die Lite-raturwissenschaftlerin mit dem Einser-Ex-amen die Krise der Medienbranche zu spüren. Will heißen: Die Auflagen der Zeitungen sinken, junge Menschen infor-mieren sich eher in den elektronischen Medien, als dass sie am Kiosk ein Magazin kaufen. Auch die Anzeigenkunden laufen den Zeitungen davon, ziehen es vor, im Internet zu werben. Ergo entlassen die Verlage ihre Mitarbeiter. Schlechte Zeiten für Mathilda, die für Print-Journalismus ausgebildet ist. Seit der Jahrtausendwen-de wurden ihr immer wieder feste Stellen gekündigt, zuletzt Ende 2012. Sie hat als Freiberuflerin auch in anderen Branchen gewildert, hat etwa als Lektorin gearbei-tet. Doch auch hier sind die Honorare schlecht, ist die Konkurrenz groß.

„Hätte ich doch lieber Bankkauffrau werden sollen? Oder Ingenieurin, die werden doch gesucht?“ Mathilda schüt-telt den Kopf. Nein, sie habe den Beruf ergreifen wollen, der ihr liegt. Journalistin. Punkt.

Viele Menschen sind genervt von der vergeblichen Jagd nach einem Job. Die Bundesagentur für Arbeit zählt knapp drei Millionen Arbeitssuchende. In Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Schleswig-Holstein leben überdurchschnittlich viele, während es dem Südwesten der Republik besser ergeht. Deutschlandweit gilt: Je besser die Jobsucher ausgebildet sind, um so schneller finden sie eine Stelle. Für Unge-lernte ist es am schwierigsten.

Einhundert, zweihundert Bewerbungen geschrieben und immer nur Absagen gekriegt? Wenn die Jobsuche erfolglos erscheint, liegen die Nerven blank. Zeit, das Schneckenhaus zu verlassen. | Josefine Janert

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Raus aus dem Frust PRAXISTIPPS

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Weibliche und ältere Ingenieure sind länger auf Jobsuche

Die Statistik der Arbeitsagentur zeigt auch, dass manche Menschen lange ei-nen Job suchen, obwohl ihr Beruf gefragt ist. Bestimmte Personengruppen sind auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Weibli-che und ältere Ingenieure etwa brauchen im Durchschnitt länger als junge, männli-che Hochschulabsolventen, ehe sie et-was Passendes finden. Wenn eine Ingeni-eurin eines oder mehrere Kinder beauf-zieht, hat sie ein Problem in einer Bran-che, die sich rasant weiterentwickelt. Der Wiedereinstieg nach der Familienphase

ist schwierig, sie muss unter Umständen fachlich viel aufholen. Auch manchem älteren arbeitslosen Ingenieur müsste der Arbeitgeber erst einmal eine Weiter-bildung bezahlen. Das gilt erst recht für Ältere, die in ihrem früheren Unterneh-men lange auf einer Position verharrten, nicht am Puls der Zeit blieben, was tech-nische Neuerungen anbelangt.

Und so hört man auch von arbeitslo-sen Ingenieuren, die frustriert sind von der Jobsuche. Angesichts dessen, was in den Medien ständig über den Mangel an Ingenieuren zu lesen ist, kommen sie

sich geradezu lächerlich vor. Was hilft? Mit einem Coach über eine geschicktere Bewerbungsstrategie nachzudenken, etwa. Oder in eine wirtschaftlich starke Region umzuziehen.

Wenn Mathilda Ingenieurin geworden wäre, hätte sie jetzt vielleicht auch ein Problem.

Negative Gefühle, die wir kulti-vieren, verstärken sich

Tom Diesbrock aus Hamburg trifft regel-mäßig Leute, die sich Sinnfragen stellen und über den nächsten Schritt auf der Karriereleiter grübeln. Apropos Karriere-leiter: Wollen wir die überhaupt noch? Passt der Hierarchiegedanke, der hinter dem Wort Leiter steckt, ins 21. Jahrhun-dert?

Diesbrock ist Umwege gegangen. Er studierte Medizin, war der kreative Kopf eines Pop-Projekts. Er wurde Psychothe-rapeut, baute eine Praxis auf. Heute ist er als Karrierecoach tätig und verfasst Sach-bücher. Was das Gedanken-Karussell an-belangt, das viele Arbeitssuchende plagt, hat er eine klare Meinung. „Die moderne Hirnforschung zeigt: Negative Gedanken, die wir kultivieren, verstärken sich. Sich hin und wieder mal bei der Freundin auszuheulen, ist in Ordnung. Doch wer ständig herumjammert, findet sich bald in einer Opfer- und Leidensrolle wieder. Das wirkt auf andere Menschen unsexy.“

Erst recht gelte das für Kollegen oder potenzielle neue Kollegen, die man so trifft, meint Tom Diesbrock. Es ist eine gute Idee, wenn sich Arbeitssuchende in ihrem Netzwerk umtun, berufliche Stammtische besuchen, sich zu Tagun-gen und Fortbildungen anmelden. Dort sollten sie aber nicht den Jammerhansel geben. Wer immer nur klagt, ist allenfalls für die Dauer von ein, zwei Tassen Kaffee interessant. Die erfolgreichen Menschen, die Bescheid wissen über die Trends in der Branche und die freien Jobs, dürfte es eher abschrecken. Wer will schon einen Menschen weiterempfehlen, der immer nur jammert?

Vitamin B, Mind Mapping und Bedenkenliste

Vitamin B hilft weiter. Wie spricht man also Multiplikatoren an, die wieder Leute kennen, die Leute kennen – und so fort? Bekanntlich werden viele Jobs über Kon-takte vergeben. Tom Diesbrock meint, dass man beim Netzwerken eine klare Vorstellung von dem haben sollte, was man erreichen will. Keine planlosen Ge-spräche führen also, sondern als aktiver, interessierter Gesprächspartner auftre-ten. Eine fundierte Recherche über die Situation der Branche hilft eher weiter als das, was man vom Hörensagen weiß. Eine gute Adresse für eine solche Recher-che sind Berufsverbände. „Auch in Kri-senzeiten kann man nicht pauschal sa-gen, dass es allen Branchen schlecht geht“, meint Tom Diesbrock.

Seinen Kunden empfiehlt er, sich im Gespräch mit einem potenziellen Ar-beitgeber nicht für ihren Lebenslauf zu rechtfertigen, sondern sich eine Art Argu-mentationslinie, eine Story zu überlegen: Wer bin ich, und was will ich mit dieser Stelle? Eine berufliche Neuorientierung bräuchte Zeit, meint Diesbrock. Wenn es nicht sofort klappt mit dem neuen Job: kein Drama! Drei Monate sind in Ordnung für eine Generalinventur: Was habe ich schon erreicht, was will ich und warum? Berufliche Ziele lassen sich mittels Kreativtechniken visualisieren. Sie werden in einschlägigen Ratgebern aus-führlich beschrieben. Ein Mind Mapping kann beispielsweise dabei helfen, die Vor- und Nachteile des Umzugs in eine andere Stadt aufzuzeigen. Dazu benötigt man nur Papier, Stifte und etwas Zeit.

„Ich empfehle auch, mit einer Beden-kenliste zu arbeiten“, sagt Tom Diesbrock. „Da kann zum Beispiel draufstehen: Ich bin zu alt. Schon beim Aufschreiben ent-wickelt man Distanz zu solchen inneren Widerständen. Man kann sich konkret überlegen: Zu alt – für was denn eigent-lich? Es ist wichtig, sich mit Widerständen auseinander zu setzen – nicht, indem

Wenn der Job und die Lebensumstände an den Kräften zehren, sind Erholungspausen wichtig.

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Reaktive Karrierestrategien sind out

Neulich wollte sich Gesine auf eine Stelle bewerben, für die sie als Akademikerin krass überqualifiziert ist. Was dafür spricht: Dass sie erst einmal Geld verdient, ins Berufsleben zurückkehrt. Allerdings hat ihr der Arbeitgeber signalisiert, dass er eine Hochschulabsolventin nicht einstel-len will. Er befürchtet, dass sie von dem anspruchslosen Job enttäuscht ist, dass sich ihr Frust aufs Betriebsklima auswirkt.

In ihrem Freundeskreis, erzählt Gesi-ne, hätten mehrere Frauen gute Erfah-rungen mit Jobs gemacht, für die sie überqualifiziert sind: Alleinerziehende Mütter arbeiten am Wochenende, wenn ihre Kinder von ihren Vätern betreut wer-den, als Servicekräfte in Geschäften. „Das bekommen sie zeitlich gut hin, und der Verdienst ist teilweise besser als der, der ihnen für einen Teilzeit-Job in ihrem ei-gentlichen Beruf angeboten wird“, erzählt Gesine. Sie ist selbst schockiert über das, was sie da sagt.

Tom Diesbrock findet es gar nicht so verkehrt, eine Zeit lang in einer anderen Branche zu arbeiten. Das sei besser als sich im Schneckenhaus zu verkriechen. Man könne neue Kontakte knüpfen, nützliche Erfahrungen machen. „Ich halte nichts von der Idee, dass eine Karriere immer geradlinig sein muss“, meint er. „Es ist heutzutage nicht mehr so, dass jeder Angestellte im Laufe seines Berufs-lebens immer mehr Geld verdient und immer mehr Verantwortung übernimmt. Kaum jemandem wird die lebenslange Anstellung garantiert. Wenn die nächste Umstrukturierung ansteht, können auch Kollegen mit unbefristeten Arbeitsverträ-gen betroffen sein.“

Der Sprung in die Selbstständig-keit

Den vermeintlichen Bruch im Lebenslauf lässt sich beim nächsten Vorstellungsge-spräch mit etwas Grips erklären. Dass der arbeitslose Biologe zwölf Monate nach Irland gegangen ist, um in einem Callcen-ter zu jobben, hat schließlich dazu ge-

man sich Angst und Panik hingibt, son-dern auf eine erwachsene Art.“

Das habe ich schon gewuppt

Gesine hat ein paar Jahre bei einer Stif-tung gearbeitet. Jetzt ist die alleinerzie-hende Mutter einer Tochter arbeitslos. Bis zu fünf Stunden am Tag investiert sie in die Jobsuche. „Es hat allein schon viele Stunden gedauert, die passenden Jobpor-tale im Internet zu finden“, erzählt sie. Die Liste mit den Webseiten füllt eine ganze DINA-4-Seite. Das Problem: Wenn Gesi-ne in die Suchmaske das Fach eintippt, das sie studiert hat, passt die Ausbeute nicht zu ihren Vorstellungen. Viele Jobs spiegeln nicht die sozialen und fachlichen Kompetenzen wider, die sie sich im Lauf der Jahre angeeignet hat. Sie spricht eine exotische Sprache, kann Dinge gut erklä-ren, kann gut auf Menschen zugehen, sie einbinden. Sie hat Erfahrung darin, Pro-jektanträge zu schreiben, mit Behörden zu verhandeln. „Ich wünschte mir, dass mir bei der Arbeitsagentur jemand erklärt, wie ich die Suchmaske der Jobportale geschickt mit passenden Suchwörtern füttere, die tatsächlich meine Qualifikati-on widerspiegeln“, sagt Gesine. „Darauf sollte sich dort mindestens ein Mitarbeiter spezialisieren. Schließlich haben viele Ar-beitssuchende dieses Problem.“

Doch sie hat noch niemanden ge-funden, der ihr in der Sache helfen kann. Also wurschtelt sich Gesine weiter allein durch, klickt fleißig und regelmäßig die Homepage passender Arbeitgeber an, liest Bücher übers Bewerben. Sie wirkt eher konzentriert als frustriert. Gleichwohl sagt sie: „Manchmal kriege ich schon Anfälle von Panik. Aber ich versuche, ruhig zu bleiben.“ In solchen Momenten konzentriert sie sich auf das Schöne in ihrem Leben: die Tochter, die Familie, den Freundeskreis. Sie erinnert sich daran, was sie in ihrem Leben schon alles gewuppt hat. „Mein Coach unter-stützt mich sehr“, sagt Gesine. Das Coa-ching läuft über eine soziale Einrichtung, ist für sie kostenlos.

Rausgehen, Leute treffen, sich austauschen – auf jeden Fall: raus aus dem Schnecken-haus! Wie wäre es mit einem regelmäßigen „Bewerbungscafé“? © Paul Marx/pixelio.de

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BUCHTIPPS

Sabine Asgodom: Raus aus der Kom-fortzone, rein in den Erfolg: Das Programm für Ihre persönliche Un-abhängigkeit. Mosaik bei Gold-mann, München, 2010, 8,95 Euro (Vor allem für Arbeitssuchende, die sich selbstständig machen möch-ten.)

Tom Diesbrock: Ist Ihr Pferd tot? Stei-gen Sie ab! Wie Sie sich die innere Freiheit nehmen, beruflich umzu-satteln. Campus, Frankfurt am Main, 2011, 17,90 Euro

Tom Diesbrock: Jetzt mal Butter bei die Fische. Das Selbstcoachingpro-gramm für Ihre berufliche Neuori-entierung. Campus, Frankfurt am Main, 2012, 19,99 Euro

Svenja Hofert: Die Guerilla-Bewer-bung. Ungewöhnliche Strategien erfolgreicher Jobsucher. Campus, Frankfurt am Main, 2012, 17,99 Euro

Svenja Hofert: Das Karrieremacher-buch. Erfolgreich in der Jobwelt der Zukunft. Wie Du morgen Karriere machst. Stark Verlag, Freising, 2009, 17,95 Euro

jeder gleich einen Preis für Innovation gewinnen oder das Rad neu erfinden. Es benötigt auch nicht jeder Selbständige einen Riesenkredit, um 100 Mitarbeiter einzustellen und einen Wahnsinns-Ma-schinenpark einzukaufen. Meist geht es mehrere Nummern kleiner.

So wie bei Mathilda, der arbeitslosen Journalistin. Sie denkt nun über ihr eige-nes Online-Portal nach. Die Zielgruppe ist so speziell, dass sie Konkurrenten fürchtet, wenn sie sie öffentlich preisgibt. Das spricht schon mal dafür, dass ihre Geschäftsidee überzeugt.

INTERVIEW

Bei Schlafstörungen zum Arzt

arbeitsmarkt: Wie kommt es, dass Sie sich als Schmerztherapeutin auch mit den gesundheitlichen Folgen von Frustrationen befassen?Dr. Ursula Marschall: Als leitende Medizi-nerin der BARMER GEK beschäftige ich mich generell mit den Themen Medizin und Gesundheit. Unsere Arbeit zeigt uns, dass viele Menschen mit den Folgen von Stress zu kämpfen haben. Stress wirkt sich auf den Körper und die Psyche aus. Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Das hat zwei Gründe: Zum einen wird ihnen mehr Aufmerksamkeit gewidmet als früher. Da Menschen heute eher bereit sind, mit einer psychischen Erkrankung zum Arzt oder Psychothera-peuten zu gehen, können diese dann auch eine entsprechende Diagnose stel-len. Zum anderen hat sich unsere Gesell-schaft verändert. Wir haben mehr Stress, und zwar nicht nur im Job, sondern auch im Familienleben.

Unterscheiden Sie zwischen Frustrati-on und Stress?Frustriert zu sein, bedeutet, ein Ereignis oder eine Entwicklung negativ zu bewer-ten. Das ist vergleichbar mit Stress. Wir Mediziner unterscheiden übrigens zwi-schen positivem und negativem Stress.

Positiver Stress, sogenannter Eustress, erhöht die Aufmerksamkeit und Leis-tungsfähigkeit, ohne dem Körper zu scha-den. Er tritt zum Beispiel auf, wenn je-mand vor allen für seine Arbeitsleistung gelobt wird. Negativen Stress, sogenann-ter Disstress, erlebt, wer sich zum Bei-spiel überfordert, abgelehnt, bedroht fühlt. Der Körper ist stark angespannt. Auch die Begleitumstände spielen eine Rolle: Wer frisch verliebt ist, dem macht es womöglich nichts aus, für seine Ar-beitssuche mehrere Termine an einem Tag zu absolvieren. Er ist weniger ge-stresst als eine Person, die das gleiche Pensum absolviert, sich aber gerade vom Partner getrennt hat.

Was läuft da körperlich ab bei Stress?In der Nebenniere wird Kortisol ausge-schüttet, das wichtigste Stresshormon des Menschen. Sie befindet sich in Höhe des zweiten, dritten Lendenwirbels. In Verbindung mit anderen biochemischen Prozessen setzt Kortisol im Gehirn und in anderen Körperregionen ein Stresspro-gramm in Gang: Das Herz schlägt schnel-ler, die Muskeln sind angespannt. Der Blutdruck steigt, die Blutgefäße verengen sich. Eine Folge davon ist, dass viele Men-schen bei Stress kalte Finger bekommen. Die Pupillen weiten sich. Das vegetative Nervensystem reduziert die Durchblu-tung des Magen-Darmtrakts. Wer Stress hat, hat daher in der Regel keinen Appe-tit. Diese körperlichen Reaktionen erwie-sen sich bei unseren Vorfahren als sinn-voll. Mit angespannten Muskeln und ge-

führt, dass er jetzt perfekt Englisch spricht. Er ist halt abenteuerlustig, wollte mal etwas Neues ausprobieren. Mit sei-nem beruflichen Seitensprung hat er auch unter Beweis gestellt, dass er gute Nerven hat, belastbar ist.

Tom Diesbrock sagt: Die reaktive Karri-erestrategie ist out. Reaktiv bedeutet: „Nur Stellenanzeigen anzuschauen, nur zu überlegen, was die Unternehmen wollen. Die Alternative: selbst aktiv werden, netz-werken, selbst Kontakte zu Arbeitgebern aufnehmen, die man interessant findet.“

Oder doch den Sprung in die Selbst-ständigkeit wagen, zumindest für eine Zeit? Die meisten Selbstständigen in Deutschland haben gar keine unerhörte Geschäftsidee – es muss ja auch nicht

INTERVIEWPARTNERIN

Dr. Ursula Marschall ist leitende Me-dizinerin bei der BARMER GEK.

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weiteten Pupillen fiel es den Steinzeit-menschen leichter, den Säbelzahntiger zu jagen. Wir haben das Stressprogramm von ihnen übernommen.

Für Laien hören sich die Symptome eher ungefährlich an.Sie sind es aber nicht, wenn der Stress stark ist und häufig in längeren Phasen auftritt. Wer etwa eine Vorerkrankung der Blutgefäße oder des Herz-Kreislauf-Sys-tems hat, kann einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erleiden. Das betrifft natürlich nicht jeden, der mal Frust bei der Stellensuche hat. Stress über einen längeren Zeitraum kann auch für Men-schen ohne einschlägige Vorerkrankun-gen ernste Folgen haben. Wie gesagt: Die Ausschüttung des Stresshormons Korti-sol beeinflusst Reaktionen in vielen Orga-nen des menschlichen Körpers.

Wie zeigt sich das?Viele Menschen fühlen sich müde, abge-schlagen. Sie können gut einschlafen, wachen aber häufig zwischen drei und vier Uhr auf. Es sind vor allem die körper-lichen Symptome, die Menschen zum Arzt führen: Schlafstörungen, Bluthoch-druck, Magenprobleme, das Gefühl, ei-nen Kloß im Hals zu haben, Atembe-schwerden, Schmerzen im Rücken. Der Arzt schaut zunächst nach körperlichen Ursachen. Dann überlegt er mit dem Pa-tienten, wie dieser den Stresspegel sen-ken kann. Ihm den Zusammenhang zu seiner Lebensweise aufzuzeigen, ist das Allerwichtigste. Wenn nötig, bekommt der Patient Medikamente und/oder be-ginnt eine Psychotherapie. Das geschieht beispielsweise, wenn er an einer Depres-sion leidet. Sie kann als Folge von hefti-gem, dauerhaftem Stress auftreten. Zu den Symptomen gehört beispielsweise, dass der Patient morgens regelmäßig nicht aus dem Bett kommt, seinen Tages-ablauf nicht strukturieren kann.

Wer als Arbeitsuchender noch eine Miet-erhöhung bekommt oder seine Partnerschaft als unharmonisch er-

TIPPS ZUR STRESSBEWÄLTIGUNG

von Dr. Ursula Marschall

Sich das Zusammenspiel zwischen Körper und Seele bewusst machen. Das bedeutet unter anderem, dass man in einer Frustphase besonders in-tensiv für körperlichen Ausgleich sorgt. Ausdauersport eignet sich gut dafür: joggen, walken, wandern, schwimmen, Rad fahren – was immer einem gefällt. Sport senkt nachweislich den Stresspe-gel. Das belegen wissenschaftliche Studien. Für viele Ausdauersportarten braucht man nicht einmal viel Geld auszugeben. Wer sie mit anderen aus-übt, kommt außerdem raus aus sei-nem Schneckenhaus. Sich zu verabre-den, ist immer eine gute Idee, da das Struktur in den Tagesablauf bringt. Statt allein vor dem Fernseher zu sitzen, tauscht man sich mit anderen aus und erfährt Rückhalt.Zusätzlich kann man Entspannungs-techniken erlernen und regelmäßig ausüben. Dazu gehören Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Autogenes Training, Hatha-Yoga, Tai Chi und Qi Gong. Das kann man zu Hause machen, allein oder mit dem Partner oder der Freundin, und man kann ei-nen Kurs buchen. Die BARMER GEK

und viele andere Krankenkassen bie-ten Präventionsprogramme an, über die sie solche Kurse bezuschussen. Außerdem gibt es CDs und Apps, die bei der richtigen Ausführung der Ent-spannungstechniken helfen. Eine ausgewogene, gesunde Ernäh-rung hilft generell, schwierige Lebens-phasen zu meistern. Dazu gehört, den Konsum von Alkohol, Kaffee und Fleisch zu senken und ballaststoffrei-che Kost zu sich zu nehmen.Auf Schlafhygiene achten: Das Schlaf-zimmer gut temperieren. Die Bettde-cke sollte der Jahreszeit angemessen sein: Im Sommer nicht zu dick! Nicht vor dem Fernseher einschlafen. Wer Probleme mit dem Durchschlafen hat, dem kann z.B. die Progressive Mus-kelentspannung nach Jacobson helfen. Schlafstörungen, die länger als zwei Wochen auftreten, sind in jedem Fall ein Grund, einen Arzt aufzusuchen.Eine Strategie allein reicht meist nicht aus, um Frust bei der Jobsuche oder eine andere Lebenskrise zu bewälti-gen. Es hilft nicht, das Salatbeet leer zu essen: Ein ganzes Mosaik von Techni-ken muss her.

lebt, leidet sicher doppelt unter dem Stress, oder?Ja. Wir Mediziner sprechen von Begleit-faktoren und von Komorbidität, also einer zusätzlichen Erkrankung. Nun ist eine Mieterhöhung keine Erkrankung. Aber sie kann dazu führen, dass die Person noch mehr Druck verspürt. Vielleicht ist sie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt: Die Stimmung kippt, der Tag ist gelaufen.

Abgesehen vom Alltagsärger: Welche Personengruppen leiden besonders stark unter Stress?

Menschen in helfenden Berufen, also zum Beispiel Lehrerinnen, Sozialarbeiter und Krankenschwestern. Sie sind nicht nur auf der körperlichen Ebene gefor-dert, sondern auch auf der geistigen und sozialen Ebene. Sie tragen hohe Verant-wortung, engagieren sich überdurch-schnittlich. Bis dato galten außerdem Frauen als besonders gefährdet, da sie viele zusätzliche Aufgaben wie die Kin-dererziehung übernehmen. Doch inzwi-schen fühlen sich auch die Männer stär-ker für solche familiären Aufgaben zu-ständig, sind alleinerziehend – und stär-ker gestresst.