RAW 01 17 Text 1. - Home | Freshfields Bruckhaus Deringer Ku¨hnLu¨er Wojtek, Mu¨nchen Dr. Martin...

13
. HERAUSGEBER Forschungsinstitut fu ¨r Automobilrecht GmbH Donaustr. 6 85049 Ingolstadt WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT Professor Dr. Frank Arloth, Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, Mu ¨ nchen Professor Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Rechtsanwalt, Gleiss Lutz, Stuttgart Detlev Bo ¨ kenkamp, Rechtsanwalt, Chefsyndikus Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt Professor Dr. Markus Gehrlein, Richter am IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes, Karlsruhe Karin E. Geissl, Rechtsanwa ¨ltin, Attorney-at-Law, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Mu ¨ nchen Dr. Peter Gladbach, Rechtsanwalt, Audi AG, Ingolstadt Professor Dr. Christian Heinrich, Katholische Universita ¨t Eichsta ¨ tt-Ingolstadt Professor Dr. Thomas Klindt, Rechtsanwalt, Fachanwalt fu ¨r Verwaltungsrecht, Noerr LLP, Mu ¨ nchen Professor Dr. Rolf-Dieter Mo ¨ nning, Rechtsanwalt, Mo ¨ nning & Partner Rechtsanwa ¨ lte, Aachen Professor Dr. Hanns Pru ¨ tting, Institut fu ¨ r Verfahrensrecht, Universita ¨t zu Ko ¨ln Professor Dr. Jens M. Schmittmann, Rechtsanwalt, Steuerberater, FOM Hochschule, Essen Dr. Reinhard Siegert, Rechtsanwalt, Heuking Ku ¨ hn Lu ¨ er Wojtek, Mu ¨ nchen Dr. Martin Wagener, Rechtsanwalt, General Counsel der Audi AG, Ingolstadt SCHRIFTLEITUNG Ass. iur. Martina Schlamp RAW Recht n Automobil n Wirtschaft Unternehmen l Technologie l Beratung 1 Staatsminister Joachim Herrmann 1 Mobilita ¨t der Zukunft Dr. Benedikt Wolfers, M.A. 2 Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt? Prof. Dr. Frank Peter Schuster, Mag. iur. 13 Notstandsalgorithmen beim autonomen Fahrzeug Danielle Herrmann 19 Telekommunikationsrechtliche Herausforderungen fu ¨ r ver- netzte Fahrzeuge Boris Reibach, LL.M. 26 Datenschutzregulierung des Internet of Cars in den USA Dr. Gerd Leutner 31 Die Fo ¨ rderung der Elektromobilita ¨t in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme Samantha Maria Mayinger 37 Industrie 4.0 – leeres Schlagwort oder die Zukunft der deutschen (Automobil-)Industrie? Dr. Michael Maßbaum 42 Quellensteuerabzug bei Rechteu ¨ berlassungen in der Auto- mobilindustrie Ju ¨ rgen Ogrzewalla 50 Brennstoffzellen fu ¨ r Elektrofahrzeuge Anmerkungen Prof. Dr. Rolf-Dieter Mo ¨nning 74 EU-Vorschlag zum pra ¨ventiven Restrukturierungsverfahren Berthold Haustein 76 Videobeweis im Straßenverkehr (LG Mu ¨ nchen I) Ass. iur. Carmen Freyler 78 Wertersatz bei Widerruf nach Einbau und Gebrauch eines Katalysators (BGH) Ma ¨ rz 2017 5. Jahrg. Seite 1–84

Transcript of RAW 01 17 Text 1. - Home | Freshfields Bruckhaus Deringer Ku¨hnLu¨er Wojtek, Mu¨nchen Dr. Martin...

.

H E R A U S G E B E R

Forschungsinstitut furAutomobilrecht GmbHDonaustr. 685049 Ingolstadt

W I S S E N S C H A F T L I C H E R B E I R A T

Professor Dr. Frank Arloth,Amtschef des BayerischenStaatsministeriums der Justiz, Munchen

Professor Dr. Jobst-Hubertus Bauer,Rechtsanwalt, Gleiss Lutz, Stuttgart

Detlev Bokenkamp, Rechtsanwalt,Chefsyndikus Hella KGaA Hueck & Co.,Lippstadt

Professor Dr. Markus Gehrlein,Richter am IX. Zivilsenat desBundesgerichtshofes, Karlsruhe

Karin E. Geissl, Rechtsanwaltin,Attorney-at-Law, Freshfields BruckhausDeringer LLP, Munchen

Dr. Peter Gladbach,Rechtsanwalt, Audi AG, Ingolstadt

Professor Dr. Christian Heinrich,Katholische UniversitatEichstatt-Ingolstadt

Professor Dr. Thomas Klindt,Rechtsanwalt, Fachanwalt furVerwaltungsrecht, Noerr LLP, Munchen

Professor Dr. Rolf-Dieter Monning,Rechtsanwalt, Monning & PartnerRechtsanwalte, Aachen

Professor Dr. Hanns Prutting, Institutfur Verfahrensrecht, Universitat zu Koln

Professor Dr. Jens M. Schmittmann,Rechtsanwalt, Steuerberater, FOMHochschule, Essen

Dr. Reinhard Siegert, Rechtsanwalt,Heuking Kuhn Luer Wojtek, Munchen

Dr. Martin Wagener, Rechtsanwalt,General Counsel der Audi AG, Ingolstadt

S C H R I F T L E I T U N G

Ass. iur. Martina Schlamp

R A WRecht n Automobil n WirtschaftUnternehmen l Technologie l Beratung1

Staatsminister Joachim Herrmann1 Mobilitat der Zukunft

Dr. Benedikt Wolfers, M.A.2 Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

Prof. Dr. Frank Peter Schuster, Mag. iur.13 Notstandsalgorithmen beim autonomen Fahrzeug

Danielle Herrmann19 Telekommunikationsrechtliche Herausforderungen fur ver-

netzte Fahrzeuge

Boris Reibach, LL.M.26 Datenschutzregulierung des Internet of Cars in den USA

Dr. Gerd Leutner31 Die Forderung der Elektromobilitat in Deutschland – Eine

Bestandsaufnahme

Samantha Maria Mayinger37 Industrie 4.0 – leeres Schlagwort oder die Zukunft der

deutschen (Automobil-)Industrie?

Dr. Michael Maßbaum42 Quellensteuerabzug bei Rechteuberlassungen in der Auto-

mobilindustrie

Jurgen Ogrzewalla50 Brennstoffzellen fur Elektrofahrzeuge

AnmerkungenProf. Dr. Rolf-Dieter Monning

74 EU-Vorschlag zum praventiven Restrukturierungsverfahren

Berthold Haustein76 Videobeweis im Straßenverkehr (LG Munchen I)

Ass. iur. Carmen Freyler78 Wertersatz bei Widerruf nach Einbau und Gebrauch eines

Katalysators (BGH)

Marz 20175. Jahrg.

Seite 1–84

AufsätzeRA Dr. Benedikt Wolfers, M.A., Berlin*

Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

Einführung in die Regulierung des automatisierten Fahrens und denStVG-Änderungsentwurf der Bundesregierung von Januar 2017

Die Regulierung selbstfahrender Autos hat eine Scharnier-funktion für alle rechtlichen Folgefragen des automatisier-ten Fahrens: für die Verhängung von Bußgeldern oder eineStrafverfolgung, für Gewährleistungsrechte des Käufers, fürdie Haftung von Fahrer, Halter und Hersteller bei Unfällenoder für die wettbewerbsrechtliche Frage einer möglicher-weise unzulässigen Werbung, die dem Kunden mehr ver-spricht als das System rechtlich darf. Wer sich diesen Fra-gen zuwendet, muss die regulierungsrechtliche Grundlagekennen, insbesondere auch den neuen Gesetzesvorschlagder Bundesregierung von Ende Januar 2017.

I. Einleitung

1. „Tesla-Fahrer stirbt im selbstfahrenden Auto“1

Anfang Mai 2016 prallt im US-Bundesstaat Florida ein Tes-la-Elektroauto des Typs „Modell S“ mit eingeschaltetemAutopilot-System auf einen die Fahrbahn kreuzenden Last-wagenanhänger. Der tragische Todesfall wirft die Frage auf,wie sicher die selbstfahrenden Systeme sind. Wenige Mo-nate zuvor hat Elon Musk, der Vorstandsvorsitzende vonTesla Motors, die Autopilot-Funktion als „wahrscheinlichbesser als eine Person“2 beschrieben. Nach dem Unfall istvon einem „herben Rückschlag für Unternehmen, die dasautonome Fahren weiterentwickeln wollen“, die Rede.3

Das war ein Fehlschluss. Bereits kurz nach dem Unfallwurde auf die technischen Grenzen der Autopilot-Funktionhingewiesen. Es stand gerade nicht fest, ob die Autopilot-Funktion oder der Fahrer versagt hatte. Denn auch nachEinschaltung des Autopilot bleibt der Fahrer verantwort-lich. Selbstfahrende Autos, bei denen die Technik vollstän-dig den Fahrer ersetzt, gibt es – noch – nicht. Der in derÖffentlichkeit gelegentlich vorherrschende Gedanke, derMensch müsse sich bei selbstfahrenden Autos nicht mehrum den Verkehr kümmern, ist falsch. Die auf dem Marktangebotenen automatisierten Fahrfunktionen bedürfentrotz der Übernahme der Fahrzeugsteuerung weiterhin derjederzeitigen Überwachung durch den Fahrer.4 Missachtetder Fahrer diese Verantwortung und übernimmt deshalbnicht die Fahraufgabe in Situationen, die jenseits der Fä-higkeiten des automatisierten Systems liegen, kann es zuUnfällen kommen. Unfallursache ist dann nicht die Tech-nik, sondern der Mensch.

Das scheint auch der Hintergrund des Tesla-Unfalls Mitte2016 in Florida gewesen zu sein. Wie der Bericht derUS-Behörde „National Highway Traffic Safety Administra-tion“ (NHTSA) zeigt, arbeiteten die Funktionen des Auto-pilot-Systems sowie des automatischen Bremssystems feh-lerfrei.5 Damit dürfte der Fehler bei dem Fahrer selbst gele-gen haben. Wenn, wie Tesla später mitteilte, die Softwarenicht in der Lage ist, einen weißen, hochliegendenLKW-Anhänger von dem weißen Wolkenhimmel zu unter-scheiden,6 der Fahrer jedoch, wie erforderlich, das Fahr-geschehen weiter überwacht und die Gefahrensituationdeshalb erkannt hätte, hätte er die Steuerung wieder über-nehmen und bremsen können.

2. Scharnierfunktion des Regulierungsrechts: Wer trägtwelche Verantwortung?

Das ist eine der Schlüsselfragen für die Entwicklung, Nut-zung und gesellschaftliche Akzeptanz selbstfahrender Au-tos. Neu ist die Frage nicht. Der Tesla-Unfall hat sie nurerneut ins Rampenlicht gerückt.

Abgrenzung von Verantwortung ist Aufgabe des Regulie-rungsrechts. Zum einen muss das Regulierungsrecht klären,unter welchen Voraussetzungen Fahrzeuge mit automati-sierten Funktionen überhaupt zugelassen werden können.Das ist Gegenstand des Zulassungsrechts. Zum anderenmuss das Regulierungsrecht klären, ob ein Fahrer das ab-strakt zugelassene System in dem jeweiligen Land über-haupt nutzen darf; und wenn ja, in welchem Umfang undin welcher Weise. Das ist Gegenstand des Verhaltensrechtsoder Straßenverkehrsrechts.

Zulassungs- und Verhaltensrecht beeinflussen zentraleThemen des automatisierten Fahrens. Ist eine bestimmteNutzung einer automatisierten Fahrfunktion nicht zugelas-

2 RAW 1/17 Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

* Auf Seite III erfahren Sie mehr über den Autor.1 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) v. 2.7.2016, S. 19.2 FAZ, (Fn. 1).3 FAZ, (Fn. 1). Vgl. auch Handelsblatt v. 18.7.2016, S. 5.4 Im Falle des Tesla-Unfalles kommt hinzu, dass es sich um ein Le-

vel2-System handelt, das in der Produktdarbietung gelegentlich alsautomated/autonmous platziert wurde.

5 „NHTSA’s examination did not identify any defects in the design orperformance of the AEB or Autopilot systems of the subject vehiclesnor any incidents in which the systems did not perform as designed“,Office of Defects Investigation (ODI) of NHTSA, investigationPE16-007 v. 19.1.2017, ODI resume, S. 1.

6 Handelsblatt, (Fn. 3), S. 5.

sen oder zwar generell zugelassen, aber in dem Land Averhaltensrechtlich unzulässig, ist das für viele Folgefragenrelevant: für die Verhängung von Bußgeldern oder eineStrafverfolgung, für Gewährleistungsrechte des Käufers,für die Haftung von Fahrer, Halter und Hersteller bei Un-fällen oder für die wettbewerbsrechtliche Frage einer mög-licherweise unzulässigen Werbung, die dem Kunden mehrverspricht als das System rechtlich darf. Immer steht dieFrage im Zentrum, ob das, was geschehen ist, erlaubt war.Das Regulierungsrecht bildet also die erste Frontlinie undGrundlage für alle rechtlichen Folgefragen des automati-sierten Fahrens, des Strafrechts, des Zivilrechts, des Wett-bewerbsrechts etc.

Die Scharnierfunktion des Regulierungsrechts für die recht-liche Bewältigung selbstfahrender Autos ist damit offen-kundig. Hierüber einen Überblick zu verschaffen, ist dasZiel des vorliegenden Beitrages.

II. Ausgangpunkt: Begriffsverwirrung undInternationalität

Der Überblick beginnt mit einer Begriffsverwirrung.7 Diesgilt für die öffentliche wie für die fachliche Diskussion. Esist die Rede von „selbstfahrend“, „automatisiert“, „assis-tiert“, „autonom“, „fahrerlos“, „automatisch“, „hoch-automatisiert“, „vollautomatisiert“, „teil- und vollständigautonom“, „Level 2, 3, 4 oder 5“. Das bunte Durcheinanderverschiedener Begriffe ist typisch für die Anfangsphaseneuer Technologien. Um indes Verantwortung bestimmenund begrenzen zu können, bedarf es der begrifflichen Klar-heit (1.).

Eine weitere Komplexität folgt aus der Internationalität.Automobilhersteller sind internationale Akteure. Selbstfah-rende Fahrzeuge sollen in verschiedenen Ländern dieserWelt genutzt werden. Trotz einiger Bemühungen zurRechtsvereinheitlichung auf der Zulassungsebene wird dieNutzung selbstfahrender Autos jedenfalls zur Zeit nochdurch Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung, auchinnerhalb der EU, erschwert (2.). Eine Vorreiterrolle zurSchaffung von Rechtssicherheit spielt indes Deutschland,wo das Bundeskabinett Ende Januar 2017 den Entwurfeines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzesvorgelegt hat (StVG ÄndEntw),8 das den Einsatz von auto-matisierten Fahrsystemen im Straßenverkehr regelt.

1. Einige Kernbegriffe: was bedeutet was?

Die Beschäftigung mit selbstfahrenden Autos erfolgt aussehr verschiedenen Blickwinkeln – technisch, wirtschaft-lich, politisch, rechtlich, ethisch9 – und in verschiedenenSprachen. Die nationale und internationale Begriffsvielfaltwundert also nicht. Aus rechtlicher Sicht schälen sich fol-gende Kernbegriffe und -bedeutungen heraus:– Autonomes und automatisiertes Fahren: Die erste und

wichtigste begriffliche Unterscheidung besteht zwischenautonomem und automatisiertem Fahren. Unterschei-dungsmerkmal ist das Erfordernis eines menschlichenFahrers. Braucht das Auto keinen menschlichen Fahrermehr, weil das technische System alle Aspekte der dyna-mischen Fahraufgabe auf allen denkbaren Straßen undunter allen denkbaren Fahrbedingungen und -situatio-nen beherrscht, genauso wie dies ein menschlicher Fah-rer tut, hat das Auto also nur noch Passagiere, aberkeinen Fahrer mehr, so wird dieses technische System

als autonomes Fahrsystem, das Fahren als autonomesFahren bezeichnet.

Sofern weiterhin ein menschlicher Fahrer in demFahrzeug erforderlich ist, um das technische Systemzu überwachen und jenseits seiner Grenzen die Fahr-aufgabe (wieder) zu übernehmen, so wird das tech-nische System als automatisiertes Fahrsystem, dasFahren als automatisiertes Fahren bezeichnet.10

Autonomes Fahren (englisch „autonomous driving“)ist somit gleichbedeutend mit fahrerlosem Fahren.Demgegenüber beschreibt der Oberbegriff selbstfah-rende Autos sowohl autonome wie automatisierteFahrzeuge.

– Assistenzsysteme unterstützen den Fahrer bei der Längs-führung (Beschleunigen/Verzögern) oder der Querfüh-rung (Lenken). So kann z.B. das System des AdaptiveCruise Control (ACC) mit Hilfe einer Abstands- und Ge-schwindigkeitsregelung das Fahrzeug beschleunigenoder abbremsen, die Lenk- und sonstige Fahraufgabeliegt indes weiter bei dem Fahrer. Parkassistenzsystemeübernehmen für das Einparken in Lücken die Querfüh-rung und damit Lenkaufgabe; hier verbleibt (je nachSystem) die Längsführung, also das Beschleunigen undAbbremsen, bei dem Fahrer.11 Eine Übersteuerung durchden Fahrer ist in allen Fällen möglich.

Assistenzsysteme werden bereits länger im Straßen-verkehr eingesetzt. Sie sind ein Unterfall automati-sierter Fahrsysteme und bilden deren einfachsten(und zeitlich ersten) Anwendungsfall.

– Hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme können, überdie bloße Assistenzfunktion hinaus, die Längs- undQuerführung eines Fahrzeugs in spezifischen Situatio-nen und für einen bestimmten Zeitraum übernehmen.Sie sind auf den jeweiligen Anwendungsfall beschränktund dürfen nur in diesem Rahmen eingesetzt werden.Auch innerhalb des jeweiligen Anwendungsfalles habensie ihre Grenzen und sind, je nach Grad der Automati-sierung, in der Lage, bestimmte typische, aber nicht

Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt? RAW 1/17 3

7 So zutreffend Hartmann, Phi, Haftpflicht international, Recht undVersicherung, Nr. 4/2016, S. 114.

8 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Straßenverkehrsgesetzes“ v. 27. Januar 2017, BR-Drs.69/17. Die Bundesregierung hat die Vorlage als eilbedürftig bezeich-net. Sie kann sie also nach Vorlage an den Bundesrat nach Ablauf vondrei bzw. sechs Wochen auch ohne Stellungnahme des Bundesratesdem Bundestag zuleiten.

9 Vgl. die im Oktober 2016 von dem Bundesminister für Verkehr einge-setzte „Ethik-Kommission zum automatisierten Fahren“, Pressemit-teilung unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen2016/157-dobrindt-ethikkommission.html (letzter Aufruf16.2.2017).

10 Ebenso: Hötitzsch/May, in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontextvon Recht und Moral, 2014, S. 190 bis 192 sowie Hartmann, (Fn. 6),S. 115. Vgl. zu weiteren Klassifizierungen die Einteilungen der Bun-desanstalt für Straßenwesen (BASt) in: Gasser et al,. Berichte derBundesanstalt für Straßenwesen, Rechtsfolgen zunehmender Fahr-zeugautomatisierung, 2012 (Fahrzeugtechnik Heft F 83), S. 9 sowieCacilo, Schmidt et al., Frauenhofer-Institut für Arbeitswirtschaft undOrganisation, hochautomatisiertes Fahren auf Autobahnen – indus-triepolitische Schlussfolgerungen, Studie im Auftrag des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Energie (Fraunhofer-Studie 2015),18.11.2015, S. 4-9; abrufbar unter https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/H/hochautomatisiertes-fahren-auf-autobahnen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=%20true.pdf. Auch die Bun-desregierung geht in dem neuen StVG ÄndEntw von diesem Begriffs-verständnis aus; vgl. BR-Drs. 69/17, S. 6-8.

11 Vgl. Begründung zu StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 6 sowie Hö-titzsch/May, aaO, S. 190 bis 191.

zwingend alle denkbaren Verkehrssituationen zu bewäl-tigen.

So kann z.B. ein Stauassistent die Fahrzeugsteuerungauf Autobahnen in Stausituationen bis zu einer be-stimmten Geschwindigkeit übernehmen, Geschwin-digkeitszeichen erkennen und beachten. Er kann je-doch möglicherweise nicht das Signalhorn eines Ein-satzfahrzeuges erkennen und das Fahrzeug entspre-chend steuern. Fahrer, die ein solches hoch- undvollautomatisiertes Fahrsystem nutzen, müssen alsodessen Grenzen kennen, die Verkehrslage weiter be-obachten und in Situationen jenseits der Systemgren-zen eingreifen.Der Unterschied zwischen hoch- und vollautomati-sierten Fahrsystemen liegt im Grad der Automatisie-rung. In der fünf Stufen umfassenden Klassifizierungder Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) entsprichtdas hochautomatisierte Fahrsystem der Stufe 3, dasvollautomatisierte Fahrsystem der Stufe 4.12

Hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme erkennen, wennihre Anwendungsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sindund fordern dann den Fahrer auf, die Fahrzeugsteuerungeigenhändig zu übernehmen. Verschlechtern sich z.B. dieWetterbedingungen, so dass die Sensoren beeinträchtigtsind, wird der Fahrer zur Übernahme der Fahraufgabe auf-gefordert.

Eine Legaldefinition für Kraftfahrzeuge mit hoch- odervollautomatisierter Fahrfunktion sieht nunmehr § 1a Abs. 2StVG ÄndEntw vor. Dies sind Fahrzeuge,

„die über eine technische Ausrüstung verfügen,1. die zur Bewältigung der Fahraufgabe – einschließ-lich Längs- und Querführung – das jeweilige Kraft-fahrzeug nach Aktivierung steuern (Fahrzeugsteue-rung) kann,2. die in der Lage ist, während der hoch- oder voll-automatisierten Fahrzeugsteuerung den an die Fahr-zeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften zuentsprechen,3. die jederzeit durch den Fahrzeugführer manuellübersteuerbar oder deaktivierbar ist,4. die die Erforderlichkeit der eigenhändigen Fahr-zeugsteuerung durch den Fahrzeugführer erkennenkann und5. die dem Fahrzeugführer das Erfordernis der eigen-händigen Fahrzeugsteuerung rechtzeitig optisch,akustisch oder taktil anzeigen kann“.13

2. Internationalität: Zulassung nach einheitlichen,Fahren nach verschiedenen Regeln

Die für die Nutzung selbstfahrender Autos wichtigen Vor-schriften des Zulassungs- und Verhaltensrechts sind solchedes internationalen und nationalen Rechts.

Im Bereich des Zulassungsrechts sind zunächst die Bestim-mungen der insbesondere (aber nicht ausschließlich) in eu-ropäischen Ländern angewandten Bestimmungen der „Uni-ted Nations Economic Commission for Europe“ (UN/ECE;Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen)von Bedeutung. Seit vielen Jahrzehnten einigen sich dieVertragsstaaten der UN/ECE in verschiedenen Bereichendes Automobilsektors auf gemeinsame Bestimmungen, z.B.über die Anforderungen und das Verfahren für die Zulas-

sung von Kraftfahrzeugen oder über Emissionsgrenzwerteund -messungen.14 Auch für die Zulassung selbstfahrenderFahrzeuge werden derzeit Bestimmungen vorbereitet (vgl.unten, III.2.c)). Die UN/ECE-Regelungen gelten indes nichtin den USA und Kanada. Auch China wendet die UN/ECE-Regelungen nicht direkt an, orientiert sich aber in bestimm-ten Bereichen an ihnen.

Aufgrund der Detailschärfe und -tiefe der UN/ECE-Zulas-sungs-Regelungen werden diese regelmäßig 1:1 in europä-isches Recht und/oder nationales Recht transferiert. ImZulassungsrecht ist deshalb das Risiko der materiellenRechtszersplitterung durch unterschiedliche Bestimmun-gen des nationalen Rechts eher gering.

Anders verhält sich dies im Verhaltensrecht. Hier sieht dasWiener Übereinkommen über den Straßenverkehr vom8. November 1968 (WÜ) nach der jüngsten Änderung imJahre 2014 zwar eine (minimale) Ergänzung für automati-sierte Fahrsysteme vor (vgl. unten, IV.3c). Indes überlässtdas WÜ den Vertragsstaaten die Regelung der Frage, ob, inwelchem Umfang und in welcher Weise automatisierte Sys-teme im Straßenverkehr tatsächlich genutzt werden dürfen.Die Folge ist ein buntes Durcheinander darüber, was imBereich des automatisierten Fahrens erlaubt, was verbotenund was unklar ist – wobei die letzte Kategorie derzeitbesonders breit ist.

So bestehen innerhalb von Europa bisher noch große Un-terschiede darüber, ob ein Fahrer nach dem jeweiligen Stra-ßenverkehrsrecht ein halb- oder vollautomatisiertes Systemnutzen darf. Das reicht von Ländern, die bisher ausdrück-lich verlangen, mindestens eine Hand am Lenkrad zu hal-ten,15 über (viele) europäische Länder, in denen das Ob undder Umfang der Nutzung halb- oder vollautomatisierterFahrsysteme schlicht unklar ist und damit eine Rechtsunsi-cherheit besteht – z.B. darüber, ob die allgemeine Sorg-faltspflicht des Fahrers (in Deutschland verankert in § 1Abs.1, 2 StVO) die Nutzung eines automatisierten Systemsüberhaupt zulässt; ferner, ob während der Benutzung auto-matisierter Fahrsysteme Lesen oder Schreiben von E-Mailsu.Ä. auf dem bordeigenen Multi-Media-System zulässigist16 – bis zu den bisher nur wenigen europäischen Ländern,in denen eine (etwas) größere Rechtssicherheit über die

4 RAW 1/17 Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

12 Siehe Gasser et al., (Fn. 9), S. 9. Merkmale der Hochautomatisierung(Stufe 3) sind nach dieser Klassifizierung: Das System übernimmtQuer- und Längsführung vollständig in einem definierten Anwen-dungsfall; der Fahrer muss das System nicht überwachen; das Systemfordert den Fahrer vor dem Verlassen des Anwendungsfalles mit aus-reichender Zeitreserve zur Übernahme der Fahraufgabe auf; System-grenzen werden alle vom System erkannt; das System ist – sofern derFahrer der Übernahmeaufforderung nicht nachkommt – von selbstnicht in der Lage, aus jeder Ausgangssituation den risikominimalenSystemzustand herbeizuführen. In der Klassifizierung der Society ofAutomotive Engineers (SAE) entspricht der BASt-Level 3/hoch-automatisiertes Fahrsystem ebenfalls dem SAE Level 3, der als „Con-ditional Automation“ bezeichnet wird. Etwas verwirrend wird derSAE Level 4 in der englischen Sprache als „High Automation“ be-zeichnet, der indes in der BASt-Nomenklatur dem Level 4, also der„Vollautomatisierung“, entspricht. In der für den US-Markt wichtigenNHTSA-Klassifizierung ist das hochautomatisierte Fahrsystem eben-falls der Stufe 3 zuzuordnen, durch NHTSA als „Limited Self-DrivingAutomation“ bezeichnet.

13 Begründung zum StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 1-2.14 Die wichtige UN/ECE-Regelung Nr. 83 über „Uniform provisions con-

cerning the approval of vehicles with regard to the emission of pol-lutants according to engine fuel requirements“ wird z.B. von den 28Ländern der EU, der Türkei, Albanien, Ägypten, der Ukraine undGeorgien angewendet; vgl. www.unece.org, unter ECE/TRANS/WP.29/343/Rev.24, S. 130.

15 Hierzu gehören z.B. die Länder Italien und Schweiz.

Zulässigkeit der Nutzung automatisierter Fahrsysteme undbordeigener Nebentätigkeiten besteht.17

Für die Praxis bedeutet das: Während man sich im Zulas-sungsrecht auf die Maßgeblichkeit der internationalrecht-lichen Bestimmungen und damit eine (materielle) Rechts-einheitlichkeit überwiegend verlassen kann (jedenfallsdann, wenn die derzeit noch erörterten Änderungen aufder Ebene der UN/ECE abgeschlossen und umgesetzt sind),muss man im Verhaltensrecht Land für Land jeweils spezi-fisch bewerten. Das ist mühsam und dient nicht unbedingteiner schnellen Verbreitung der neuen Technologie.Nur beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass sich z.B. inden USA die Rechtslage zum Verhaltensrecht sogar zwi-schen den einzelnen Bundesstaaten unterscheidet, da dasStraßenverkehrsrecht Sache der Bundesstaaten ist. Da z.B.derzeit der Staat New York, anders als New Jersey, verbie-tet, die Hände vollständig von dem Lenkrad zu nehmen,kann die Nutzung eines Stauassistenten bei der Überque-rung des Hudson von New Jersey nach New York unzuläs-sig werden. Ähnliche Probleme könnten in Europa – nachder Rechtslage Anfang 2017 – bei Überschreiten der Grenzevon Deutschland in die Schweiz auftreten.Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich aufDeutschland. Am Beispiel von Deutschland wird dar-gestellt, welche international- (einschließlich europa-) undnationalrechtlichen Bestimmungen im Zulassungsrechtund Verhaltensrecht für die Bewertung automatisierterFahrsysteme maßgeblich sind.

III. Zulassungsrecht: Können selbstfahrende Autoszugelassen werden?

1. Nationales Zulassungsrecht referenziert auf EU- undUN/ECE-Recht

Gemäß § 3 Abs.1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassungvon Fahrzeugen zum Straßenverkehr (FZV) dürfen inDeutschland Kraftfahrzeuge auf öffentlichen Straßen nurbetrieben werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind.Voraussetzung für die Zulassung ist gemäß § 3 Abs.1 Satz 2FZV, dass das Fahrzeug einem genehmigten Fahrzeugtypentspricht. Hierfür kommt in Mitgliedstaaten der EU derEG-Typgenehmigung eine besondere Bedeutung zu.Hersteller von Kraftfahrzeugen bedürfen vor dem Markt-eintritt von Fahrzeugen der EU einer EG-Typgenehmigung.EU-rechtlich ergibt sich dies aus Art. 1, Art. 2 Abs.1 undArt. 5 Abs. 1 der RL 2007/46/EG des Europäischen Par-laments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaf-fung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahr-zeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen,Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für die-se Fahrzeuge (RL 2007/46). Im deutschen Recht wurde dieRichtlinie durch die Verordnung über die EG-Genehmigungfür Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme,Bauteile und selbständige technische Einheiten für dieseFahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung – EG-FGV) vom 3. Februar 2011 umgesetzt. Genehmigungsbe-hörde für in Deutschland erteilte EG-Typgenehmigungenist das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) (§ 2 Abs. 1 EG-FGV).Das KBA erteilt die EG-Typgenehmigung mit Wirkung fürjedes Mitgliedsland der EU, und zwar unter den Vorausset-zungen des § 4 Abs. 4 EG-FGV. Diese verweist auf dieRichtlinie 2007/46, insbesondere deren Art. 8, 9 und 10.

Das EU-Recht seinerseits referenziert auf die Bestimmun-gen der UN/ECE-Regelungen oder hat diese übernommen.Deshalb ergeben sich die materiell-rechtlichen Anforde-rungen für in der EU neu zuzulassende Fahrzeuge mitt-lerweile vorrangig aus den UN/ECE-Regelungen; die bishergeltenden europäischen Richtlinien und Verordnungenwurden für Neufahrzeuge weitgehend aufgehoben.

Die Zulassung automatisierter Fahrsysteme betrifft dieSicherheit von Fahrzeugen. Für die Sicherheit von Fahr-zeugen gilt EU-rechtlich: Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verord-nung (EG) 661/2009 über die Typgenehmigung von Kraft-fahrzeugen, Kraftfahrzeuganhängern und von Systemen,Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten fürdiese Fahrzeuge hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheitvom 13. Juli 2009 (VO 661/2009) ist eine Typgenehmigung,die im Einklang mit den verbindlichen UN/ECE-Regelun-gen erteilt wurde (vgl. die Aufführung in Anhang IV der VO661/2009), als EG-Typgenehmigung zu betrachten.

Den UN/ECE-Regelungen kommt daher für die Genehmi-gung automatisierter Systeme maßgebliche Bedeutung zu:

2. UN/ECE-Bestimmungen, die für die Zulassungautomatisierter Fahrsysteme relevant sind

a) UN/ECE-Regelung 13-H (Bremsen)Die UN/ECE-Regelung 13-H betrifft die Bedingungen fürdie Genehmigung von Fahrzeugbremsen. Abs. 2.20 enthältVorgaben für eine „automatisch gesteuerte Bremsung“:

“‘Automatically commanded braking’ means a functi-on within a complex electronic control system whereactuation of the braking system(s) or brakes of certainaxles is made for the purpose of generating vehicleretardation with or without a direct action of thedriver, resulting from the automatic evaluation ofon-board initiated information.”

Die in der UN/ECE-Regelung 13-H somit bereits jetzt zu-gelassene automatisch geregelte Bremsung ist i. d.R. Teilder hoch- oder vollautomatisierten Fahrsysteme. Insoweitbesteht also kein Zulassungshindernis. Auch in bereits vor-liegenden Studien wird die Auffassung vertreten, dass dieUN/ECE-Regelung 13-H keine rechtliche Hürde für die Ein-führung hochautomatisierter Fahrsysteme bildet.18

b) UN/ECE-Regelung 79 (Lenkanlagen): gegenwärtigeRechtslage

Die UN/ECE-Regelung 79 betrifft die Genehmigung vonLenkanlagen. Unter bestimmten Voraussetzungen könnensog. „advanced driver assistance steering systems“ (ADASS)genehmigt werden. Sie werden in 2.3.4 definiert:

“‘Advanced Driver Assistance Steering System’ meansa system, additional to the main steering system, thatprovides assistance to the driver in steering the vehi-cle but in which the driver remains at all times inprimary control of the vehicle.”

Hoch- oder vollautomatisierte Fahrsysteme sind solcheSysteme, denn sie können durch den Fahrer jederzeit über-

Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt? RAW 1/17 5

16 In die Kategorie der Länder mit rechtlich derzeit unklaren Grenzen fürdie Nutzung automatisierter Systeme fallen derzeit z.B. Frankreich,Deutschland (Rechtslage vor dem StVG ÄndEntw), Spanien, UK, Finn-land, Griechenland, Dänemark, Kroatien, Polen.

17 Hierzu zählen, nach gegenwärtiger Rechtslage, z.B. Schweden undEstland.

18 Vgl. Fraunhofer-Studie 2015, (Fn. 9), S. 115 f.

steuert werden (vgl. auch § 1a Abs. 2 Nr. 3 StVG ÄndEntw),wodurch dieser stets die Kontrolle über das Fahrzeug be-hält. ADASS umfasst zwei Arten automatisierter Lenkein-griffe, nämlich korrigierende (corrective steering functions,CSF) und automatisch geregelte Lenkfunktionen (automati-cally commanded steering functions, ACSF). Hoch- odervollautomatisierte Fahrsysteme fallen in die letztgenannteKategorie. Der Schwerpunkt der derzeit betriebenen Anpas-sung der UN/ECE-Regelung 79 liegt ebenfalls bei denACSF.

Außerdem beschreibt die UN/ECE-Regelung 79 sog. „auto-nomous steering systems“ (vgl. Abs. 2.3.3.), die gem.Abs. 1.2.2. von vornherein aus dem Anwendungsbereichder Regelung ausgenommen sind:

“‘Autonomous Steering System’ means a system thatincorporates a function within a complex electroniccontrol system that causes the vehicle to follow adefined path or to alter its path in response to signalsinitiated and transmitted from off-board the vehicle.The driver will not necessarily be in primary controlof the vehicle.”

Hierzu gehören nur solche Systeme, die von außen (etwadurch Baken am Straßenrand oder durch aktive Elemente inder Straßendecke) gesteuert werden. Dies trifft auf hoch-oder vollautomatisierte Fahrsysteme nicht zu, da diese ihreSignale durch eingebaute Umgebungskameras und Laser-scanner erhalten.

Dennoch steht die gegenwärtige Fassung von 5.1.6.1 UN/ECE-Regelung 79 der Zulassung von hoch- oder voll-automatisierten Fahrsystemen entgegen. Denn nach dergegenwärtigen Rechtslage muss sich die automatischeSteuerungsfunktion ab Erreichen einer Geschwindigkeitvon 12 km/h abschalten:

“Whenever the Automatically Commanded SteeringFunction becomes operational, this shall be indicatedto the driver and the control action shall be auto-matically disabled if the vehicle speed exceeds theset limit of 10 km/h by more than 20 per cent or thesignals to be evaluated are no longer being received.[. . .]”

Die UN/ECE-Regelung 79 muss also geändert werden, umkünftig Kraftfahrzeuge mit hoch- oder vollautomatisiertenFahrsystemen zulassen zu können. Diese Änderung ist auchbeabsichtigt:

c) UN/ECE-Regelung 79 (Lenkanlagen): geplanteÄnderungen

Derzeit wird auf internationaler Ebene daran gearbeitet, diebislang noch vorhandenen rechtlichen Hürden für die Ein-führung automatisierter Fahrsysteme zu beseitigen undgleichzeitig auch Assistenzsysteme (die bereits auf demMarkt bestehen) stringenter zu regeln. Das für Fahrzeug-vorschriften zuständige UN-Gremium WP.29 hat 2014 dieArbeitsgruppe „Intelligent Transport Systems/AutomatedDriving“ eingesetzt, die Empfehlungen zum Anpassungs-rahmen der Vorschriften ausgeben soll. Die Anpassung sollzunächst für teilautomatisiertes Fahren erfolgen. Auf In-itiative u. a. Deutschlands soll die Geschwindigkeitsbegren-zung von 12 km/h in der UN/ECE-Regelung 79 erhöht oderabgeschafft werden.19 Der Änderungsentwurf schlägt nachaktuellem Stand weitere Änderungen vor, die nicht nur die

Lenkung, sondern das automatisierte Fahren insgesamt be-treffen.So soll das System die Anwesenheit und Verfügbarkeit desFahrers erkennen und sich gegenüber diesem bemerkbarmachen. Zudem muss der Fahrer innerhalb von vier Sekun-den nach Übernahmeaufforderung die Fahrzeugführungübernehmen. Andernfalls wird ein risikominimales Manö-ver gestartet.20

Diese Anforderungen können in der Praxis z.B. durch eineregelmäßig wiederkehrende Hand-an-Steuer-Aufforde-rung, eine Sitz- und Gurtbelegungs- oder eine kamera-gestützte Fahrerverfügbarkeitserkennung umgesetzt wer-den. Zudem sind automatisierte Fahrsysteme i.d.R. durchakustische und optische Signale in der Lage, den Fahrer zurÜbernahme der Fahrzeugführung aufzufordern. Sofern derFahrer nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, z.B. vonvier oder fünf Sekunden, nicht reagiert, können die Syste-me ein sog. risikominimales Manöver starten (dies kannnach dem aktuellen Änderungsentwurf der UN/ECE-Rege-lung 79 auf vier Sekunden reduziert werden). Das Fahrzeugbleibt dann systemseitig auf seiner Spur – wie es auch derEntwurf der UN/ECE-Regelung 79 voraussetzt – und ver-ringert nach und nach die Geschwindigkeit bis in den Still-stand.Der Änderungsentwurf sieht in 5.6.1.4.6. zudem vor, dassbordeigene Nebentätigkeiten, das sind Nebentätigkeitenwie Lesen oder Schreiben von E-Mails, Videoansehen o.ä.auf dem bordeigenen Infotainment-System (nicht aufeinem separaten Smartphone), mit Initiierung und für denZeitraum der Übernahmeaufforderung ausgeschaltet wer-den.Nach gegenwärtiger Einschätzung sind die Diskussionenüber die Änderungen zur Zulassung automatisierter Fahr-systeme zwar weit fortgeschritten. Dennoch ist mit einemInkrafttreten der Anpassungen der UN/ECE-Regelung 79voraussichtlich erst ab Anfang des Jahres 2019 zu rechnen.Bis dahin ist es indes möglich, auf der Grundlage der fort-geschrittenen Änderungsentwürfe für die Zulassung vonFahrzeugen mit hoch- oder vollautomatisierten Fahrsyste-men eine Ausnahmegenehmigung nach Art. 20 RL 2007/46zu beantragen.

d) ZwischenergebnisFür die Erteilung einer EG-Typgenehmigung für ein Fahr-zeug mit hoch- oder vollautomatisiertem Fahrsystemkommt es vor allem auf die Einhaltung der UN/ECE-Rege-lung an. Maßgeblich ist hierbei die UN/ECE-Regelung 79über Lenkanlagen, deren bisherige Fassung ein automati-siertes Fahrsystem nur bis zu einer Geschwindigkeit von 12km/h zulässt.Auf Initiative u. a. von Deutschland werden derzeit Ände-rungen der UN/ECE-Regelung 79 diskutiert, die die Zulas-sung eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrsystems er-möglichen und damit auf der Ebene des Zulassungsrechtseine Rechtsvereinheitlichung jedenfalls in Europa und den

6 RAW 1/17 Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

19 Vgl. die Pressemitteilung der UNECE v. 23.3.2016, http://www.unece.org/info/media/presscurrent-press-h/transport/2016/unecepavesthe-way-for-automated-driving-by-updating-un-international-convention/doc.html. Siehe dazu den Vorschlag, den der deutsche VertreterEnde April 2015 in die GRRF eingebracht hat, abrufbar unter https://www2.unece.org/wiki/download/attachments/25267488/ACSF-01-08%20-%20%28D%29%20Draft%20Ammendment%20R-79.pdf?api=v2.

20 Vgl. Abs. 5.6.1.5.1. des Entwurfs ACSF-06-28.

weiteren UN/ECE-Staaten schaffen würden. Da die Ände-rungen nach gegenwärtiger Einschätzung frühestens An-fang 2019 in Kraft treten werden, müssten bis dahin dieOptionen für eine Ausnahmegenehmigung nach Art. 20RL 2007/46, auf der Grundlage der bereits heute fort-geschrittenen Änderungsentwürfe, genutzt werden.

IV. Verhaltensrecht: Darf der Fahrer einautomatisiertes Fahrsystem nutzen? SindNebentätigkeiten erlaubt?

Für die verhaltensrechtliche Bewertung hoch- und voll-automatisierter Fahrsysteme kommt es auf zwei Fragenan: (1) Darf der Fahrer das System in dem Land A, B oderC überhaupt nutzen? (2) Was darf er in dem Land A, B oderC tun, während er das System nutzt? Darf er z.B. bestimm-ten Nebentätigkeiten nachgehen? Wenn ja, welchen undwelchen nicht? Diese Fragen haben für alle haftungs-,wettbewerbs- und strafrechtliche Folgethemen eine zentra-le Bedeutung.

Nachfolgend wird zunächst der Begriff der Nebentätigkeitnäher definiert und systematisiert (1.), sodann die geltendenationale (2.) und internationale (3.) Rechtslage dargestellt,um abschließend den neuen Gesetzentwurf der Bundes-regierung zur Änderung des StVG und Ermöglichung desautomatisierten Fahrens zu analysieren (4.).

1. Definition und Systematisierung vonNebentätigkeiten

Als Nebentätigkeit („side activity“) werden solche Tätigkei-ten bezeichnet, bei denen die Aufmerksamkeit des Fahrersganz oder zum Teil fahrfremden Tätigkeiten gewidmet istund bei denen oftmals auch die Hände fahrfremd eingesetztwerden.

Der Begriff der Nebentätigkeit lässt sich in folgender Weisenäher strukturieren:– Bordfremde und bordeigene Nebentätigkeiten: Bordfremd

sind solche Nebentätigkeiten, die der Fahrer durch eineigenes, nicht an das Fahrzeug gekoppeltes Gerät aus-führt, z.B. das Betrachten eines Youtube-Clips auf einemSmartphone. Bordeigen sind solche Nebentätigkeiten,die durch das Fahrzeug selbst ermöglicht werden, z.B.durch einen in die Mittelkonsole fest integrierten Bild-schirm, auf dem E-Mails, Filme oder TV angesehen wer-den können.

– Unterscheidung nach Dauer und Intensität von Neben-tätigkeiten: Kurzfristig und weniger intensiv sind solcheNebentätigkeiten, die die Aufmerksamkeit des Fahrersfür eine geringe Zeitspanne oder nur zum Teil auf sichlenken. Solche Nebentätigkeiten sind aus der konventio-nellen Fahrpraxis bekannt, z.B. Gespräch mit einemBeifahrer, Beschäftigung mit Autoradio oder Navigati-onsgerät, kurzer Rückblick über die Schulter beimRechtsabbiegen oder kurzer Blick in die Landschaft.Dauerhaft und intensiv sind dagegen solche Nebentätig-keiten, die die Aufmerksamkeit des Fahrers über einegewisse Zeitspanne vollständig oder nahezu vollständigauf sich lenken, so dass der Fahrer das Fahrgeschehenund die Fahrumgebung nicht mehr beobachten kann.

Bei dem Einsatz von hoch- oder vollautomatisierten Fahr-systemen stellt sich die Frage, ob nur bordeigene oder auch

bordfremde und ob dauerhafte und intensive Nebentätig-keiten zulässig sind.

Hierbei ist zu bedenken, dass automatisierte Fahrsystemedas Erfordernis der eigenhändigen Fahrzeugsteuerung op-tisch, akustisch oder in anderer Weise dem Fahrer anzeigen.Bei Nutzung bordeigener Nebentätigkeiten könnten diesedann zeitgleich mit der Übernahmeaufforderung abge-schaltet werden, da es sich um dasselbe technische Systemhandelt und damit eine Abstimmung zwischen Übernah-meaufforderung und Nutzung der bordeigenen Nebentätig-keiten möglich ist. Diese Abstimmung ist indes bei derNutzung bordfremder Nebentätigkeiten nicht möglich. Daskönnte dafür sprechen, verhaltensrechtlich vorerst allen-falls bordeigene Nebentätigkeiten zuzulassen.

Davon scheint auch 5.6.1.4.6. des aktuellen Änderungsent-wurfes zur UN/ECE-Regelung 79 auszugehen (vgl. oben,unter III.2.c), da er vorschreibt, dass bordeigene Nebentätig-keiten mit Initiierung und für den Zeitraum der Übernah-meaufforderung ausgeschaltet werden (also vorher zulässigsind).

Insgesamt bedarf es indes zu den Nebentätigkeiten nochweiterer herstellerübergreifender Systematisierungen.Auch der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte„Runde Tisch Automatisiertes Fahren“ sieht diesbezüglichweiteren Forschungsbedarf. Insbesondere müsse eine „Po-sitiv- und Negativliste“ von denkbaren Nebentätigkeitenerarbeitet werden, um ein für alle Fahrzeugklassen gelten-des Automatisierungs- und Interaktionskonzept ver-abschieden zu können.21

2. Gegenwärtige nationale Rechtslage gemäß StVO inDeutschland

a) StVO heute: Keine konkreten Bestimmungen zurNutzung automatisierter Fahrsysteme

Die StVO enthält, mit Ausnahme der Mobiltelefonbenut-zung in § 23 Abs.1a StVO, kein ausdrückliches Verbotvon Nebentätigkeiten. Ein solches Verbot wäre angesichtsder Vielgestaltigkeit von nicht weiter problematischen Ne-bentätigkeiten auch wenig sachgemäß. Das Verbot der Mo-biltelefonbenutzung wurde im Jahr 2011 bewusst als punk-tuelle Verbotsnorm in Reaktion auf steigende Unfallzahleneingeführt.

Das Bundesverkehrsministerium beabsichtigt eine Novel-lierung des § 23 Abs.1a StVO, die das bisherige Verbot aufdie weiteren Nutzungen eines Smartphones oder anderender Kommunikation oder Information dienenden elektro-nischen Geräte ausdehnt. Kommt diese Erweiterung, wirdes wichtig sein, eine inhaltliche Abstimmung mit der zu-lässigen Nutzung von Nebentätigkeiten während einerhoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugsteuerung vor-zunehmen. Die Änderung des § 23 Abs.1a StVO muss sichin die neue Regelungssystematik gemäß §§ 1a, 1b StVGÄndEntw einfügen.

Die StVO enthält in ihrer gegenwärtigen Fassung keineausdrücklichen Bestimmungen zur Nutzung automatisier-ter Fahrsysteme, sondern lediglich allgemeine verhaltens-rechtliche Regelungen, die im Einzelfall einer Nutzung au-tomatisierter Fahrsysteme oder fahrfremder Nebentätigkei-ten entgegenstehen könnten:

Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt? RAW 1/17 7

21 Gasser/Schmidt, Bericht zum Forschungsbedarf: Runder Tisch Auto-matisiertes Fahren – AG Forschung, 2015, S. 8 f.

– § 1 Abs.1 StVO fordert die ständige Vorsicht und gegen-seitige Rücksicht bei der Teilnahme am Straßenverkehr.

– Gem. § 1 Abs. 2 StVO muss sich jeder Verkehrsteilneh-mer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefähr-det oder mehr als nach den Umständen vermeidbar be-hindert oder belästigt wird (bei Verstoß liegt eine Ord-nungswidrigkeit gem. § 49 Abs.1 Satz 1 StVO vor).

– Gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 StVO ist der Fahrzeugführerdafür verantwortlich, dass seine Sicht und das Gehörnicht durch die im Gesetz genannten Faktoren (Beset-zung, Tiere, die Ladung, Geräte oder den Zustand desFahrzeugs) beeinträchtigt werden.

Wenig intensive Nebentätigkeiten sind nach der StVOgrundsätzlich zulässig, solange sie keine gefahrenträchtigeAblenkung vom Verkehrsgeschehen bedeuten und folglichnicht zu einer Gefährdung anderer führen. Sobald das je-doch der Fall ist, liegt ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVOvor. Neben einer Ordnungswidrigkeit kann eine unzulässi-ge Nebentätigkeit auf zivilrechtlicher Ebene einen Fahrläs-sigkeitsvorwurf im Rahmen eines Haftungstatbestands be-gründen.

b) Nutzung automatisierter Fahrsysteme nachgegenwärtiger Rechtslage

Die Frage, ob und inwieweit nach der gegenwärtigenRechtslage die Nutzung eines automatisierten Fahrsystemsin Deutschland zulässig ist, ist nicht eindeutig zu beant-worten. Hier besteht Rechtsunsicherheit. Sie geht zu Lastender Autofahrer, der weiteren Verkehrsteilnehmer und derAutomobilhersteller.

aa) Dürfen die Hände von dem Lenkrad genommen werden?Fraglich ist zunächst, ob es mit der StVO in der derzeitgeltenden Fassung vereinbar ist, dass der Fahrer währendder hochautomatisierten Fahrphasen seine Hände vollstän-dig vom Lenkrad nimmt. Zum Teil wird das freihändigeautomatisierte Fahren als Verstoß gegen die Verhaltens-pflichten aus § 1 StVO gewertet.22 Nach anderer Auffassunghingegen enthält die StVO für hochautomatisierte Fahrsys-teme keine Pflicht zur beidseitigen Lenkung, da das hoch-automatisierte System die Lenkung selbständig überneh-me.23

Tatsächlich kann ein Verstoß gegen § 1 StVO nicht ange-nommen werden, wenn das automatisierte Fahrsystem dieLängs- und Querführung in bestimmten Fahrsituationenübernimmt, der Fahrer das System bestimmungsgemäßnur innerhalb dieser Fahrsituationen einsetzt, das Ver-kehrsgeschehen weiterhin überwacht und jederzeit bereitist, die Fahraufgabe wieder eigenhändig zu übernehmen.

bb) Sind Nebentätigkeiten während der automatisiertenFahrt zulässig?

Weiterhin fragt sich, ob Nebentätigkeiten während der au-tomatisierten Fahrt nach der StVO in ihrer bisherigen Fas-sung zulässig sind. Hierzu finden sich in der Literatur un-terschiedliche Einschätzungen.

Zum Teil wird die Beschäftigung mit intensiven Neben-tätigkeiten auch bei hochautomatisiertem Fahren als Ver-stoß gegen mehrere Verhaltenspflichten der StVO (u. a. § 1Abs.1 und 2, § 3, § 4, § 23 Abs.1 Satz 1 StVO) angesehen.24

Etwas zurückhaltender wird nach anderer Ansicht formu-liert, die kognitive Abwendung sei „jedenfalls widersprüch-lich und gegebenenfalls klarstellungsbedürftig“ nach der

geltenden StVO25 und begründe zumindest die „Gefahr“eines ordnungswidrigen Verhaltens.26 Nach einer weiterenAuffassung sind jedenfalls solche StVO-Bestimmungen, dienicht auf das Verhalten des Fahrers, sondern abstrakt aufdie Bewegung des Fahrzeugs abstellen, einer „technik-freundlichen Auslegung“ zugänglich.27 Es läge dann keinVerstoß gegen diese Vorschriften vor.

Der Befund zeigt, dass die Frage nach zulässigen Neben-tätigkeiten bei der Nutzung automatisierter Fahrsystemenoch uneinheitlicher beantwortet wird und damit eine nochgrößere Rechtsunsicherheit aufweist als die Frage nach derzulässigen Nutzung des Systems selbst. Vollkommen zuRecht hat deshalb die Bundesregierung Anfang 2017 denEntwurf eines StVG-Änderungsgesetzes vorgelegt, der aufdas Strategiepapier zu automatisiertem und vernetztemFahren von Speptember 2015 zurückgeht (vgl. unten, unterIV.4.a):

cc) StVG-Änderungsentwurf der Bundesregierung zurHerstellung von Rechtssicherheit für automatisiertesFahren

In dem Ende Januar von dem Bundeskabinett verabschie-deten StVG ÄndEntw wird einleitend auf den Regelungs-bedarf hingewiesen. Demnach werden die

„technischen Entwicklungen im Automobilbau zu-künftig zu Szenarien führen, in denen es technischmöglich ist, dass das technische System in bestimm-ten Situationen die Fahrzeugsteuerung übernehmenkann. Diese automatisierten Systeme erkennen aberihre Grenzen und fordern den Fahrzeugführer bei Be-darf zur (Wieder)Übernahme der Fahrsteuerung auf.

Bei derart weitreichenden technischen Entwicklungenbedarf es Regelungen des Gesetzgebers zum Zusam-menwirken zwischen Fahrzeugführer und dem Kraft-fahrzeug mit automatisierten Fahrfunktionen.“28

Mit dem Hinweis auf den Regelungsbedarf des Gesetz-gebers macht die Bundesregierung deutlich, dass der bishe-rige Gesetzgeber (das Gleiche muss für den rangniedrigerenVerordnungsgeber gelten) weder in dem StVG noch in derStVO eine Entscheidung darüber getroffen hat, ob die neu-en technischen Möglichkeiten eines hochautomatisiertenFahrsystems im Straßenverkehr genutzt werden dürfenoder nicht genutzt werden dürfen.

In der gegenwärtigen Rechtslage gibt es also weder eineklare Aussage in die eine noch in die andere Richtung.Angesichts der weitreichenden Folgen der neuen Technolo-gien reicht allein diese Rechtsunsicherheit aus, um die mitdem Änderungsentwurf beabsichtigte Klarstellung zurechtfertigen. Dementsprechend hält die Bundesregierungin der Gesetzesbegründung fest:

„Dieses Gesetz dient der Herstellung von Rechts-sicherheit beim Einsatz von automatisierten Syste-men im Straßenverkehr.“29

8 RAW 1/17 Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

22 So Arzt et al., in: Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisie-rung (BASt Fahrzeugtechnik, Heft F83), 2012, S. 77.

23 So insbesondere die Fraunhofer-Studie (Fn. 9), S. 130.24 Arzt et al., (Fn. 21), S. 73 ff.25 So die Formulierung von Gasser, DAR 2015, 6, 10.26 So die Formulierung in der Fraunhofer-Studie (Fn. 9), S. 130.27 So Lutz, NJW 2015, 119, 122.28 BR-Drs. 69/17, S. 1.29 Begründung zum StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 7.

Mittelbar bestätigt die Bundesregierung in der Begründungzum Änderungsentwurf die oben vertretene Einschätzung,dass jedenfalls die Nutzung automatisierter Fahrfunktionennach bisheriger Rechtslage zulässig ist. Denn zu der neuenRegelung in § 1a Abs. 4 StVG ÄndEntw, wonach für dieNutzung automatisierter Fahrfunktionen außerhalb derspeziellen Regelung von § 1a StVG ÄndEntw die allgemei-nen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften gelten, heißtes in der Gesetzesbegründung:

„Auch bei diesen Kraftfahrzeugen können vorhande-ne automatisierte Fahrfunktionen verwendet werden,solange die Verwendung sich im Rahmen der all-gemeinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriftenbewegt.“30

Die Bundesregierung und insbesondere das für den Gesetz-entwurf verantwortlich zeichnende Bundesverkehrsminis-terium sowie das Bundesjustizministerium gehen alsoebenfalls davon aus, dass die bisherigen straßenverkehrs-rechtlichen Vorschriften die Nutzung von automatisiertenFahrfunktionen jedenfalls nicht grundsätzlich verbieten.

Gleichwohl ist die bisherige Rechtsunsicherheit erheblichgenug, um für die neue Technologie Rechtsklarheit undRechtssicherheit zu schaffen.31

3. Internationale Rechtslage nach dem WienerÜbereinkommen

a) Übersicht, Verschränkungen von Verhaltens- undZulassungsrecht

Die verhaltensrechtliche Zulässigkeit hoch- und voll-automatisierter Fahrsysteme nach internationalem Rechtbemisst sich nach dem WÜ. Das WÜ ist ein völkerrecht-licher Vertrag, der den Straßenverkehr durch Standardisie-rung der Verkehrsregeln sicherer machen soll. Das WÜ be-trifft zwar in seinem Kapitel 2 über „rules of the road“verhaltensrechtliche Vorschriften zum Beispiel über dieVerpflichtung, Verkehrszeichen und Leuchtsignale oder In-struktionen von Polizisten zu beachten. Das Kapitel 2 ent-hält auch Vorschriften über das Verhalten des Fahrzeug-führers in Artikel 8. Vor diesem Hintergrund ist zum Teil dieAnsicht vertreten worden, dass die Zulassung eines Fahr-zeugs nicht von der Einhaltung dieser Bestimmungen desWÜ abhängen könne (sog. Trennungstheorie).32 Die herr-schende Meinung ist dem jedoch nicht gefolgt. Sie vertrittdie Ansicht, dass die verhaltensrechtlichen Vorgaben desWÜ in seiner bisherigen Fassung auch bei der Zulassungdes Fahrzeugs berücksichtigt werden müssen (sog. Ein-heitstheorie).33 Argumentiert wird mit Sinn und Zweck desWÜ: Ein Anstieg der Verkehrssicherheit könne lediglichdann bewirkt werden, wenn nur solche Fahrzeuge zuminternationalen Verkehr zugelassen werden, die diejenigentechnischen Einrichtungen aufweisen, die Voraussetzungfür die Erfüllung der vom WÜ statuierten Verhaltenspflich-ten sind.34

b) Bisherige Rechtslage: Beherrschungsgrundsatz (Art. 8WÜ)

Gemäß Art. 8 Abs.1 WÜ muss jedes Fahrzeug einen „Füh-rer“ haben. Gemäß Art. 8 Abs. 5 WÜ muss der Führer seinFahrzeug „dauernd“ beherrschen. Zudem muss der Führernach Art. 8 Abs. 6 WÜ seine Aktivitäten neben dem Fahren„minimieren“. Art. 13 Abs.1 WÜ bestimmt, dass der Führersein Fahrzeug „unter allen Umständen“ beherrschen muss,

um „ständig“ in der Lage zu sein, alle ihm obliegendenFahrbewegungen auszuführen. Nach allgemeiner Auffas-sung ist diesen Vorschriften der sog. „Beherrschungsgrund-satz“ zu entnehmen, der der Einführung hochautomatisier-ter Fahrsysteme jedenfalls dann entgegenstehe, wenn derFahrzeugführer sich in hochautomatisierten Phasen vonder Betrachtung und Überwachung des Fahrgeschehensvollständig abwenden würde.

c) Änderung der WÜ 2014: VerhaltensrechtlicheErmöglichung automatisierter Fahrsysteme (Art. 8Abs. 5bis WÜ)

Auch auf der Ebene des internationalen Rechts bestandsomit bisher eine Rechtsunsicherheit über die verhaltens-rechtliche Zulässigkeit automatisierter Fahrsysteme – unddamit Klarstellungsbedarf. U. a. auf Initiative Deutschlandswurde das WÜ im Jahre 2014 geändert. Die Änderungensind am 23. März 2016 in Kraft getreten. Am 29. September2016 hat der Bundestag das nach Art. 59 Abs. 2 GG erfor-derliche Ratifizierungsgesetz verabschiedet.35 In dem neueingefügten Absatz mit der Bezeichnung Artikel 8 Abs. 5bisheißt es:

„Fahrzeugsysteme, die einen Einfluss auf das Führendes Fahrzeugs haben, gelten als vereinbar mit Ab-satz 5 und Artikel 13 Absatz 1, wenn sie den Bedin-gungen für den Bau, den Einbau und die Verwendungnach den internationalen Rechtsinstrumenten betref-fend Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände undTeile, die in Radfahrzeuge(n) eingebaut und/oder ver-wendet werden können, entsprechen;Fahrzeugsysteme, die einen Einfluss auf das Führeneines Fahrzeugs haben und die nicht den genanntenBedingungen für den Bau, den Einbau und die Ver-wendung entsprechen, gelten als vereinbar mit Ab-satz 5 und Artikel 13 Absatz 1, wenn diese Systemevom Führer übersteuert oder abgeschaltet werdenkönnen.“

Nach der 1. Alternative des neuen Absatzes ist es erforder-lich, dass das Fahrzeugsystem im Einklang mit den ein-schlägigen UN/ECE-Regelungen ist. Hierzu gehört auf je-den Fall die UN/ECE-Regelung 79. Auch die Bestimmungenzur Ausnahmegenehmigung nach Art. 20 RL 2007/46 ge-hören jedenfalls dann zu den „internationalen Rechts-instrumenten“, wenn die Ausnahmegenehmigung auf derGrundlage bereits vorliegender Änderungsentwürfe zurAnpassung der UN/ECE-Regelung 79 erfolgt.

Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt? RAW 1/17 9

30 Begründung zum StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 15.31 Zu den einzelnen Bestimmungen des StVG ÄndEntw vgl. unten, unter

IV.4.32 Siehe insbesondere Bewersdorf, NZV 2003, 266, 270: „Auf der ande-

ren Seite wird nicht deshalb ein Fahrzeug grundsätzlich für nichtzulassungsfähig gehalten, weil Verhaltenspflichten einen bestimmtenGebrauch desselben in einzelnen Verkehrssituationen nicht erlauben.[. . .] Art. 8, 13 WÜ sind daher nicht für die Anforderung an die Bauarteines Kraftfahrzeugs einschlägig.“

33 Vgl. nur Albrecht, DAR 2005, 186 (196); von Bodungen/Hoffmann,(Fn. 32), 41, 44.

34 Vgl. nur von Bodungen/Hoffmann, SVR 2016, 41, 44, dort mit fol-gendem Beispiel: Art. 32 WÜ regelt, in welchen Fällen der Fahrer einebestimmte Fahrzeugbeleuchtung einschalten muss. Um dieser Verhal-tenspflicht zu genügen, sei es jedoch unerlässlich, dass eine entspre-chende lichttechnische Einrichtung am Fahrzeug vorhanden ist. Diesmüsse bei der Zulassung bzw. Typgenehmigung des entsprechendenFahrzeugs sichergestellt werden.

35 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Art. 9 und 39 des Übereinkommens vom 8. November1968 über den Straßenverkehr“, BR-Drs. 243/16 v. 6. Mai 2016.

Der Zweck der 1. Alternative besteht in einer Verschrän-kung von Zulassungs- und Verhaltensrecht. Wenn ein auto-matisiertes Fahrsystem nach den internationalrechtlichenBestimmungen für die Zulassung von Fahrzeugen rechtlichzugelassen werden kann, so soll jedenfalls international-rechtlich die Nutzung dieses Systems dann auch verhal-tensrechtlich zulässig sein. Das schließt indes nicht aus,dass auf der Ebene des nationalen Rechts weitergehende,detailliertere und engere Bestimmungen zum Straßenver-kehrsrecht getroffen werden. Insoweit besteht die Bedeu-tung der Änderung des WÜ vor allem darin, dass interna-tionalrechtlich die Nutzung zugelassener automatisierterFahrsysteme nicht als verhaltensrechtlich unzulässig ange-sehen wird. Im Übrigen aber gibt es auf der Ebene desVerhaltensrechts internationalrechtlich bisher keineRechtsvereinheitlichung.

Sofern das Fahrzeugsystem nicht mit den international-rechtlichen Vorschriften übereinstimmt, ist es nach Alter-native 2 verhaltensrechtlich zulässig, wenn es übersteuer-bar oder abschaltbar ist. Das ist eine erstaunliche Regelung.Denn jedes automatisierte Fahrzeugsystem kann von demFahrer übersteuert oder abgeschaltet werden. Die Möglich-keit der Übersteuerung kann aber nicht die einzige Voraus-setzung dafür sein, ein automatisiertes Fahrzeugsystem alsverhaltensrechtlich zulässig anzusehen. Hierfür müsste esauch auf die Erfüllung insbesondere von sicherheitsbezo-genen Anforderungen ankommen. Diese werden inArtikel 8 Abs. 5bis Alt. 2 WÜ aber nicht aufgestellt. Dassteht nicht unbedingt im Einklang mit den ansonsten in-haltlich und materiell orientierten verhaltensrechtlichenVorschriften in Artikel 8 und den weiteren Vorschriftendes WÜ. Es steht zu vermuten, dass es sich bei der Alterna-tive 2 um einen politischen Kompromiss handelt. Für diePraxis dürfte deshalb ratsam sein, sich bei der zulassungs-wie verhaltensrechtlichen Bewertung eines automatisiertenFahrsystems vor allem auf Artikel 8 Abs. 5bis Alt. 1 WÜberufen zu können.

4. Vorreiterolle Deutschland: Ermöglichungautomatisierten Fahrens durch StVG ÄndEntw

a) Regelungsbedarf erkanntAm 16. September 2015 verabschiedete das Bundeskabinettdie „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren“.36 DieStrategie sieht Änderungen des internationalen wie natio-nalen Rechtsrahmens vor, um hochautomatisiertes Fahrenrechtlich zu ermöglichen. Das deutsche Straßenverkehrs-recht müsse den künftigen Einsatz automatisierter und ver-netzter Fahrsysteme „vollumfänglich ermöglichen“. Zuprüfen sei, „ob das Verkehrsrecht den Sachverhalt abbildenmuss, dass in bestimmten Situationen nicht mehr der Fah-rer, sondern das System die Fahraufgabe wahrnimmt.“37

Um zusätzlichen, auch externen Sachverstand in künftigeGesetzgebungsprozesse einzubringen, hat das Bundesver-kehrsministerium bereits im Jahr 2014 einen „Runden TischAutomatisiertes Fahren“ ins Leben gerufen. Die Beteiligten(Bundesministerien, Behörden des Bundes, Bundesländer,Industrieverbände, Technische Überwachungsvereine, Nut-zerverbände, die Versicherungswirtschaft und einschlägigeForschungseinrichtungen) erarbeiten fachübergreifendPositionen zu rechtlichen, technischen und wissenschaft-lichen Fragen.38 Im Oktober 2016 wurde die Ethik-Kommis-sion zum automatisierten Fahren unter Leitung des ehema-

ligen Richters am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabioeinberufen. Diese Kommission soll u. a. Vorschläge zur Be-wältigung sog. Dilemma-Situationen erarbeiten.39

Der wichtigste Schritt bestand indes in der Erarbeitung undVerabschiedung des jüngsten Änderungsentwurfes zumStVG, mit dem sowohl zugunsten der Autofahrer und Ver-kehrsteilnehmer als auch der Autohersteller Rechtssicher-heit über die Entwicklung und den Einsatz automatisierterFahrsysteme geschaffen werden soll:

b) StVG ÄndEntw: Leitplanken für automatisiertes FahrenDen StVG ÄndEntw hat das Bundeskabinett am 25. Januar2017 verabschiedet. Die Änderungen sehen u.a. die Schaf-fung neuer §§ 1a, 1b, 63a StVG vor, durch die hoch- odervollautomatisiertes Fahren in Deutschland unter bestimm-ten Voraussetzung verhaltensrechtlich ausdrücklich für zu-lässig erklärt wird. Die Änderungen ermöglichen nicht dasautonome Fahren im öffentlichen Straßenraum.40

Der Gesetzentwurf enthält eine Legaldefinition zu Kraft-fahrzeugen mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunk-tion. Diese bezieht sich auf die Fähigkeit zur Längs- undQuerführung, zur Erkenntnis der „an die Fahrzeugführunggerichteten Verkehrsvorschriften“, auf die jederzeitige ma-nuelle Übersteuerbarkeit und Deaktivierbarkeit, auf dasVermögen, die Erforderlichkeit der eigenhändigen Fahr-zeugsteuerung durch den Fahrzeugführer zu erkennenund dies rechtzeitig dem Fahrzeugführer optisch, akustischoder taktil anzuzeigen.41

Im Einzelnen sind folgende Bestimmungen zur Neurege-lung automatisierten Fahrens hervorzuheben:

aa) Zulässigkeit automatisierter Fahrsysteme beibestimmungsgemäßer Verwendung

§ 1a Abs.1 StVG ÄndEntw lautet: „Der Betrieb eines Kraft-fahrzeuges mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahr-funktion ist zulässig, wenn die Funktion bestimmungsge-mäß verwendet wird“. Die Neuregelung bezieht sich alsospeziell auf den Betrieb der automatisierten Fahrfunktion.Sie stellt klar, dass diese straßenverkehrsrechtlich unter derVoraussetzung zulässig ist, dass die Funktion bestim-mungsgemäß verwendet wird.

Damit schlägt das Regulierungsrecht eine Brücke zu dentechnischen Systemvoraussetzungen und -grenzen. Ist z.B.eine automatisierte Fahrfunktion nur für den Einsatz auf

10 RAW 1/17 Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

36 Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren, 16. September 2015,abrufbar unterhttps://www.BMVI.de/SharedDocs/DE/Publikationen/StB/broschuere-strategie-automatisiertes-vernetztes-fahren.pdf?__blob=publicationFile.

37 Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren, (Fn. 35), S. 17.38 Weitere Informationen abrufbar unter http://www.BMVI.de/DE/Verke

hrUndMobilitaet/DigitalUndMobil/AutomatisiertesFahren/automatisiertes-fahren_node.html.

39 Vgl. Pressemitteilung des Bundesverkehrsministeriums oben, unterFn. 8. Vgl. ferner FAZ v. 10.7.2016 „Wenn der Auto-Computer überMenschenleben entscheidet“.

40 Allerdings soll durch die neue Vorschrift in § 6 Abs. 14 a die Einrich-tung und die mit Zustimmung des Verfügungsberechtigten Nutzungvon fahrerlosen Parksystemen im niedrigen Geschwindigkeitsbereichauf Parkflächen, die von dem öffentlichen Straßenraum getrennt sindund nur über besondere Zu- und Abfahren erreicht werden, durchRechtsverordnung geregelt werden können. Diese Ermächtigung er-möglicht Regelungen zu einem fahrerlosen Parken. Das ist allerdingsnur außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums und nur mit Zustim-mung des Verfügungsberechtigten möglich. Die Regelung ist hilf-reich, um Erfahrungen mit autonomen Fahrsystemen außerhalb desöffentlichen Straßenraums machen zu können.

41 Vgl. zum Wortlaut der Legaldefinition in § 1a Abs. 2 StVG StVGÄndEntw oben, unter II.1.

Autobahnen vorgesehen, so ist der Einsatz in der Stadt oderauf Landstraßen unzulässig.42 Die von dem Fahrzeugher-steller vorgesehenen Anwendungsvoraussetzungen und-grenzen bilden somit zugleich die Grenze zwischen Recht-mäßigkeit und Rechtswidrigkeit ihres Einsatzes. Folglich istes zwingend erforderlich, dass der Hersteller den Fahrerüber diese Anwendungsvoraussetzungen und -grenzen klarund unmissverständlich informiert. In der Gesetzesbegrün-dung heißt es hierzu: „Die Systembeschreibung des Fahr-zeugs muss über die Art der Ausstattung mit automatisier-ter Fahrfunktion und über den Grad der Automatisierungunmissverständlich Auskunft geben, um den Fahrer überden Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung zuinformieren“.43

Es dürfte sich anbieten, Art und Umfang dieser Informationauch zum Gegenstand des Zulassungsverfahrens für dieErlangung der EG-Typgenehmigung zu machen, da dieseBeschreibung die wichtige Grenze zwischen zulässiger undunzulässiger Nutzung markiert. Dies auch im Zulassungs-verfahren transparent zu machen, dient der Rechtssicher-heit für Fahrer, andere Verkehrsteilnehmer und Fahrzeug-hersteller.

bb) Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichenVorschriften im Umfang der bestimmungsgemäßenVerwendung der automatisierten Fahrfunktion

Nach § 1a Abs. 2 Nr. 2 StVG ÄndEntw muss das hoch- odervollautomatisierte Fahrsystem in der Lage sein, „währendder hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugsteuerung denan die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriftenzu entsprechen“. Diese Anforderung steht in engem sach-lichen und systematischen Zusammenhang mit der Forde-rung nach der bestimmungsgemäßen Verwendung in § 1aAbs.1 StVG ÄndEntw sowie der Forderung in § 1b Nr. 2,wonach der Fahrer die Fahrzeugsteuerung wieder überneh-men muss, wenn er erkennt oder aufgrund offensichtlicherUmstände erkennen muss, dass die Voraussetzungen füreine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- odervollautomatisierten Fahrfunktionen nicht mehr vorliegen.

Aus diesem systematischen Zusammenhang ergibt sich,dass sich § 1a Abs. 2 Nr. 2 StVG ÄndEntw nur auf dieEinhaltung derjenigen Verkehrsvorschriften bezieht, dienach den jeweiligen Voraussetzungen und Grenzen desautomatisierten Fahrsystems innerhalb der bestimmungs-gemäßen Verwendung erkannt werden können.

Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Besteht diebestimmungsgemäße Verwendung eines automatisiertenFahrsystems darin, dass dieses nur in Stausituationen aufAutobahnen, ggf. auch nur bis zu einer bestimmtenHöchstgeschwindigkeit, genutzt werden kann und wird inder (im EG-Typgenehmigungsverfahren beschriebenen undzugelassenen) Systembeschreibung verdeutlicht, dass dasautomatisierte System bei bestimmungsgemäßer Verwen-dung zwar Geschwindigkeitszeichen, jedoch z.B. nicht dasSignalhorn eines Einsatzfahrzeugs oder die Winkzeicheneines Polizisten erkennen kann, so sind in § 1a Abs. 2 Nr. 2StVG ÄndEntw bezeichneten „Verkehrsvorschriften“ dieGeschwindigkeitszeichen, nicht jedoch etwa die Winkzei-chen des Polizisten oder das Signalhorn des Einsatzfahr-zeugs. Es geht also in der Vorschrift allein um diejenigen andie Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften, dienach der Systembeschreibung von dem automatisiertenSystem erkannt werden können.

Auch diese Systemgrenzen sollten im Zulassungsverfahrentransparent gemacht werden. In dieselbe Richtung verweistdie Gesetzesbegründung zu § 1a Abs. 2 Nr. 2 StVG Änd-Entw. Sie lautet: „Die eingesetzte hoch- oder vollautomati-sierte Fahrfunktion muss zudem in der Lage sein, währendseines Betriebs die straßenverkehrsrechtlichen Vorschrifteneinzuhalten. Nur wenn normativ, insbesondere durch ent-sprechende Zulassungsanforderungen, und praktisch ge-währleistet ist, dass das System sich im Straßenverkehrregelkonform verhält und damit andere Verkehrsteilnehmernicht gefährdet werden, erscheint es angezeigt, den Sorg-faltsmaßstab für den Fahrer im Sinne des § 1b zu modifi-zieren.“ Es sollten also in den Beschreibungsbögen undZulassungsunterlagen das automatisierte System technischexakt beschrieben und dabei aufgezeigt werden, welche andie Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften dasSystem zu erkennen in der Lage ist – womit zugleich fest-steht, welche Verkehrsvorschriften das System nicht erken-nen kann.

Auch hier geht es im Kern um eine eindeutige Verantwor-tungsabgrenzung. Denn der Fahrer kann seiner nach § 1bNr. 2 StVG ÄndEntw bestehenden Pflicht, erkennen zumüssen, ob die Voraussetzungen für eine bestimmungs-gemäße Verwendung der automatisierten Fahrfunktionnicht mehr vorliegen, nicht genügen, wenn er nicht genauweiß, welche Verkehrsvorschriften das System erkennenkann und welche es nicht erkennen kann.

In diesem Sinne hält die Gesetzesbegründung fest: „DerFahrzeugführer muss insbesondere die in der Systembe-schreibung aufgezeigten Grenzen für den Einsatz des hoch-oder vollautomatisierten Fahrsystems beherrschen und be-achten, um bei Vorliegen entsprechender offensichtlicherUmstände zu entscheiden, ob er die Fahrzeugführung selbstübernimmt, auch wenn ihn das Fahrzeug dazu nicht auf-fordert“.44

cc) Systeminternes Erkennen der Anwendungsgrenzensowie Übernahmeaufforderung

Nach § 1a Abs. 2 Nr. 4, 5 StVG ÄndEntw muss das auto-matisierte System die Erforderlichkeit der eigenhändigenFahrzeugsteuerung durch den Fahrzeugführer erkennenund ihm das Erfordernis der eigenhändigen Fahrzeugsteue-rung rechtzeitig optisch, akustisch oder taktil anzeigen.Diese Anzeige wird als Übernahmeaufforderung bezeich-net.

So kann z.B. ein für Stausituationen auf Autobahnen vor-gesehenes automatisiertes System anhand der zahlreicheneingebauten Kameras, die die nähere und die fernere Umge-bung scannen, die Kolonnenbildung und damit erkennen,ob sich ein Stau auflöst und damit die Anwendungsvoraus-setzungen entfallen. Ist das der Fall, wird der Fahrer zurÜbernahme der Fahrzeugführung aufgefordert.

Dasselbe geschieht, wenn die technischen Anwendungs-voraussetzungen überschritten werden, wenn also z.B. beidichtem Nebel die Kameras nicht mehr weit genug filmenkönnen. Auch dann erfolgt eine Übernahmeaufforderung.

Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt? RAW 1/17 11

42 Vgl. zu diesem Beispiel Begründung StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17,S. 13-14.

43 Begründung StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 14.44 Begründung zu § 1b StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 16.

dd) Verklammerung und Vorrang des ZulassungsrechtsDas Fahrzeug mit hochautomatisierter Fahrfunktion mußgemäß § 1a Abs. 4 Nr. 1 StVG-E i.V.m. § 1 Abs.1 StVG alsein solches Fahrzeug zugelassen sein. Die Zulassung erfolgtbei Vorliegen einer Betriebserlaubnis, Einzelgenehmigungoder EG-Typgenehmigung (oder dieser vorangehendenAusnahmegenehmigung) durch Erteilung eines amtlichenKennzeichens. Von diesen drei Optionen ist die EG-Typge-nehmigung der praktisch wichtigste Fall.Damit erfolgt auch im StVG-Änderungsentwurf dieselbeVerklammerung von Verhaltens- mit Zulassungsrecht wieim Wiener Übereinkommen: Die verhaltensrechtliche Zu-lässigkeit der Nutzung eines hochautomatisierten Fahrsys-tems setzt voraus, dass das Fahrzeug mit der hoch- odervollautomatisierten Fahrfunktion zugelassen wurde. Ingleicher Weise hat auch Artikel 8 Abs. 5bis Alt. 1 WÜ dieverhaltensrechtliche Zulässigkeit für die Nutzung eineshochautomatisierten Fahrsystems auf internationaler Ebe-ne an die (vorherige) Übereinstimmung des Systems mitinternationalen Zulassungsvorschriften geknüpft.

ee) Informations-, Überwachungs- undÜbernahmeverantwortung des Fahrzeugführers

Um jegliche Zweifel auszuschließen, stellt § 1a Abs. 3 StVGÄndEntw klar, dass auch während der Nutzung einer hoch-oder vollautomatisierten Fahrfunktion ein Fahrzeugführervorhanden ist. Das ist derjenige, der die Funktion aktiviertund zur Fahrzeugsteuerung verwendet. Er bleibt weiter fürdie Fahrzeugsteuerung verantwortlich. Der Umfang seinerVerantwortung ergibt sich während der automatisiertenPhase aus § 1b StVG ÄndEntw.Diese Vorschrift verankert im Kern eine spezielle Über-wachungs- und Übernahmeverantwortung des ein auto-matisiertes Fahrsystem nutzenden Fahrzeugführers. Diesist eine Verantwortung sui generis, die sich aufgrund derbesonderen Mensch-Maschine-Interaktion bei automati-siertem Fahren von der „normalen“ Verantwortung bei ma-nuellem oder assistierten Fahren wesentlich unterscheidet.Für alle Haftungsfälle ist sie von zentraler Bedeutung. Sielautet: „Der Fahrzeugführer ist verpflichtet, die Fahrzeug-steuerung unverzüglich wieder zu übernehmen, 1. wenndas hoch- oder vollautomatisierte System ihn dazu auffor-dert oder 2. wenn er erkennt, aufgrund offensichtlicherUmstände erkennen muss, dass die Voraussetzungen füreine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- odervollautomatisierten Fahrfunktionen nicht mehr vorliegen.“Die Vorschrift zieht die für die Verantwortungsabgrenzungzentralen Schlussfolgerungen aus der Reichweite der in§ 1a verankerten regulierungsrechtlichen Zulässigkeit au-tomatisierten Fahrens. Die Voraussetzungen und Grenzendes technischen Systems markieren zugleich die Über-wachungs- und Übernahmeverantwortung des Fahrers:Er muss zunächst die Fahrzeugsteuerung dann überneh-men, wenn das System ihn dazu auffordert. Nach den in-ternationalrechtlichen Vorgaben kann dies ggf. binnen vieroder fünf Sekunden erforderlich sein.Aber das allein reicht nicht. Der Fahrer darf sich nichtdarauf verlassen, nur dann die Fahrzeugsteuerung wiederübernehmen zu müssen, wenn er hierzu durch das Systemaufgefordert wird. Er muss unabhängig davon beachten, obEreignisse oder Verkehrssituationen außerhalb der Er-kenntnisfähigkeit des Systems auftreten und eine Übernah-me der Fahrzeugführung erfordern. Das ist z.B. der Fall beiallgemeinen technischen Störungen, die nicht Teil der sys-temspezifischen Übernahmeaufforderung sind. Ein anderer

Anwendungsfall wurde bereits erwähnt: Kann das auto-matisierte System z.B. zwar Geschwindigkeitszeichen,nicht jedoch das Signalhorn eines Einsatzfahrzeugs erken-nen, so muss der Fahrer im letztgenannten Fall die Fahr-zeugsteuerung sofort wieder eigenhändig übernehmen.

Es versteht sich von selbst, dass der Fahrer, um der speziel-len Überwachungs- und Übernahmeverantwortung ent-sprechen zu können, auf dem Fahrersitz und hinter demLenkrad sitzen und übernahmebereit bleiben muss. Damitunvereinbar wäre z.B. das Lesen einer Zeitung, Einschlafenoder sonstige Aktivitäten, die ihn daran hindern, innerhalbweniger Sekunden einer Übernahmeaufforderung nach-kommen zu können oder die erforderliche Grundvigilanzzur Überwachung des Verkehrsgeschehenes aufrechtzuer-halten.

Neben der Überwachungs- und Übernahmeverantwortungkommt dem Fahrer auch – und zu allererst – eine Informa-tionsverantwortung zu. Er muss sich vor Nutzung des Sys-tems mit dessen Voraussetzungen und Grenzen vertrautmachen. Auch hier fasst die Gesetzesbegründung die Ge-samtverantwortung des Fahrzeugführers bei Nutzung einesautomatisierten Systems treffend zusammen: „Der Fahr-zeugführer muss insbesondere die in der Systembeschrei-bung aufgezeigten Grenzen für den Einsatz des hoch- odervollautomatisierten Fahrsystems beherrschen und beach-ten, um bei Vorliegen entsprechender offensichtlicher Um-stände zu entscheiden, ob er die Fahrzeugsteuerung selbstübernimmt, auch wenn ihn das Fahrzeug dazu nicht auf-fordert. Außerdem wird die Regelung greifen bei tech-nischen Störungen (z.B. fahrzeugseitige Warnungen jen-seits der Aufforderung nach Nr. 1) und sonstigen Störungenim Betrieb des Fahrzeugs (z.B. Reifenplatzer), die klar er-kennbar sind. Stellt der Fahrzeugführer Unregelmäßigkei-ten im Fahrverhalten fest, muss er von sich aus reagie-ren“.45

ff ) Datenverarbeitung (§ 63a Abs.1 StVG ÄndEntw)Gemäß § 63a Abs.1 StVG-E muss das Fahrzeug aufzeich-nen, ob es durch den Führer oder die automatisierte Fahr-funktion gesteuert wurde. Ebenso ist eine eventuelle Über-nahmeaufforderung an den Fahrer aufzuzeichnen. Durchdiese Vorschrift soll – vor dem Hintergrund etwaiger Pro-zesse – im Falle eines Gesetzesverstoßes oder Unfalls si-chergestellt werden können, wer das Fahrzeug wann ge-steuert hat.46

V. Zusammenfassung

Wer trägt welche Verantwortung? Das ist eine der Schlüs-selfragen für die Entwicklung, Nutzung und gesellschaftli-che Akzeptanz selbstfahrender Autos. Sie zu beantwortenist Aufgabe des Regulierungsrechts. Es klärt, unter welchenVoraussetzungen Fahrzeuge mit automatisierten Funktio-nen zugelassen werden können, ob ein Fahrer das abstraktzugelassene System in dem jeweiligen Land überhaupt nut-zen darf; und wenn ja, in welchem Umfang und in welcherWeise.

Dabei ist für den per se internationalen Automobilmarkteine möglichst einheitliche Regulierung der Zulassungund Nutzung automatisierter Fahrsysteme erstrebenswert.Der Weg dahin ist indes noch weit.

12 RAW 1/17 Wolfers, Selbstfahrende Autos: Ist das erlaubt?

45 Begründung zu § 1b StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 16.46 Vgl. StVG ÄndEntw, BR-Drs. 69/17, S. 19.

Zwar ist im Zulassungsrecht aufgrund der Detailschärfeund -tiefe der beabsichtigten neuen UN/ECE-Zulassungs-Regelungen über automatisierte Fahrsysteme das Risikoeiner materiellen Rechtszersplitterung auf der Ebene desnationalen Rechts eher gering. Anders verhält es sich aberim Verhaltensrecht. Hier überläßt das maßgebliche WienerÜbereinkommen auch nach der jüngsten Änderung im Jah-re 2014 den Vertragsstaaten die Regelung der Frage, ob undin welcher Weise automatisierte Systeme im Straßenver-kehr tatsächlich genutzt werden dürfen. Die Folge ist einbuntes Durcheinander darüber, was im Bereich des auto-matisierten Fahrens erlaubt, was verboten und was unklarist – wobei die letzte Kategorie derzeit besonders breit ist.

So bestehen innerhalb von Europa bisher noch große Un-terschiede darüber, ob und wie ein Fahrer nach dem jewei-

ligen Straßenverkehrsrecht ein halb- oder vollautomati-siertes System nutzen darf.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung von Ende Januar2017, mit dem erstmals in Europa in dieser Tiefe und Kon-sequenz die Voraussetzungen, Grenzen und Folgen des Ein-satzes von hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemengeregelt werden sollen, ist deshalb sehr zu begrüßen. Er istein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zur Schaffungvon mehr Rechtssicherheit für diese neuen Technologien.Sachgerecht grenzt er die Verantwortungssphären der Au-tomobilhersteller von der besonderen Überwachungs- undÜbernahmeverantwortung des ein automatisertes Systemnutzenden Fahrers ab, der, anders als in der Öffentlichkeitgelegentlich angenommen wird, auch in einem automati-sierten Fahrzeug weiter Fahrer bleibt und sich von demFahrgeschehen gerade nicht vollständig abwenden darf.

Prof. Dr. Frank Peter Schuster, Mag. iur., Würzburg*

Notstandsalgorithmen beim autonomen Fahrzeug

Eine Herausforderung für die Strafrechtswissenschaft

Die Lösung des Dilemmas, wen man bei unausweichlichenUnfällen notfalls sterben lässt, ist eines der letzten nochweitgehend ungeklärten Rechtsprobleme des automatisier-ten Straßenverkehrs. Auch wenn die Automobilindustrieverspricht, dass solche Situationen kaum auftreten werden,könnte es sich als handfestes Akzeptanz- und Innovations-hindernis erweisen. Die Suche nach rechtlichen Lösungs-ansätzen, die dem legitimen Ziel, die Zahl der Getötetenim Straßenverkehr weiter zu senken, nicht im Wege stehen,erscheint aber durchaus vielversprechend.

I. Einleitung und Problemaufriss

Reale und fiktive Dilemma-Situationen gehören seit jeherzu den Leitproblemen der abendländischen Philosophieund Strafrechtswissenschaft. Man denke an den bekanntenLehrbuchfall zweier Schiffbrüchiger, deren einzige Rettungein umhertreibendes Brett ist, welches jedoch nur eine Per-son tragen kann.1 Einer der beiden Schiffbrüchigen tötetden anderen, um die rettende Planke für sich zu sichernund anschließend gerettet zu werden. Aus dem 18. und19. Jahrhundert sind ähnliche reale Fälle aus dem angel-sächsischen Seerecht überliefert; bekannt ist vor allem der„Mignonette“-Fall2 (das Verfahren endete mit der Verurtei-lung der Täter zum Tode und ihrer späteren Begnadigungnach Verbüßung von sechs Monaten Freiheitsstrafe). Nachdem welthistorisch bedeutsamen Datum des 11. September2001 stellt sich die Frage, ob der Abschuss eines vollbeset-zen Flugzeugs, welches von Terroristen entführt wurde undals Anschlagsinstrument (gegen ein Hochhaus oder einAtomkraftwerk) verwendet werden soll, rechtlich gestattetist oder ganz im Gegenteil zu empfindlichen strafrecht-lichen Konsequenzen für den Kampfpiloten und seine Vor-gesetzten führen sollte.3 Eine öffentlich-rechtliche Ermäch-tigungsgrundlage, die dem Staat den Abschuss erlaubt hät-

te, wurde vom Bundesverfassungsgericht bekanntermaßenfür unvereinbar mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1Abs.1 GG und dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 GGerklärt.4 Auch in Literatur und Medien wird die Diskussionseitdem immer wieder aufgegriffen.5

Im motorisierten Straßenverkehr können ebenfalls Szena-rien auftreten, in denen verkehrswidriges Verhalten,menschliches Versagen, aber auch Naturereignisse zu einerRisikosituation führen, in der ein Unfall weder durch einen

Schuster, Notstandsalgorithmen beim autonomen Fahrzeug RAW 1/17 13

* Auf Seite III erfahren Sie mehr über den Autor.1 Das Gedankenexperiment des „Brett des Karneades“ wird dem gleich-

namigen griechischen Philosophen zugeschrieben; näher dazu Hil-gendorf, in: Blaschke u. a. (Hrsg.), Sicherheit statt Freiheit?, 2005,S. 107 ff. Aufgegriffen wurde das Beispiel von Pufendorf (De IureNaturae Et Gentium Libri Octo, 1754, Lib. II., Cap III, § 11 a.E.) undKant (dazu Küper, Immanuel Kant und das Brett des Karneades, 1999,S. 29 ff.). Ebenso findet es sich heute wohl in jedem Lehrbuch zumStrafrecht Allgemeiner Teil (etwa bei Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl.2006, § 22, Rn. 16).

2 R. v. Dudley and Stephens [1884], 14 QBD 273 DC. Hier ging es umKannibalismus unter Schiffbrüchigen. Die Entscheidung gilt in Eng-land/Wales immer noch als maßgeblich; siehe aber auch Re A (con-joined twins) [2001] 2 WLR 480 zur Trennung siamesischer Zwillinge,die für zulässig erachtet wurde. Weitere Beispiele bei Hilgendorf, inBlaschke u.a. (Hrsg.), Sicherheit statt Freiheit?, 2005, S. 107 ff.

3 Dazu etwa Stübinger, ZStW 123 (2011), 403. Zur Gegenansicht beieinseitiger Verteilung der Rettungschancen Erb, in: Münchener Kom-mentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 34, Rn. 122 ff.

4 BVerfG, Urt. v. 15.2.2006 – 1 BvR 357/05, BVerfGE 115,118 zu § 14Abs. 3 LuftSiG i. d. F. 11.1.2005 (BGBl. I, S. 78); allerdings stellt dasGericht klar, dass dies nur insoweit gilt, soweit davon tatunbeteiligteMenschen an Bord betroffen werden.

5 Vgl. jüngst Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“, wo es umeinen Kampfpiloten geht, der eine Lufthansa-Maschine abschießt, umzu verhindern, dass ein Terrorist das Flugzeug auf die vollbesetzteAllianz Arena stürzen lässt. Die Ausstrahlung der Verfilmung in derARD am 17.10.2016 sorgte für großes Aufsehen, aber auch Kritik; amEnde wurde die Frage von Schuld oder Unschuld den Zuschauern zurAbstimmung gestellt. 86,9% der Teilnehmer sprachen sich dafür aus,den Kampfpiloten freizusprechen. Ähnlich eindeutig fielen die Ergeb-nisse bei den Zuschauern in Österreich und der Schweiz aus.