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SCHWEIZERISCHE ZEITSCHRIFT FÜR OBST- UND WEINBAU 10/10 WEINBAU 6 Rebenentwicklung nach frühem Hagel Am 26. Mai 2009 überquerte eine sehr aktive Gewitterlinie mit Hagel das Schweizerische Mittelland und verursachte regional grosse Schäden an den landwirtschaftlichen Kulturen. Bei den Reben auf der Halbinsel Au wurden Schäden bis zu 90% beobachtet. In einer Diplomarbeit der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) wurden die Schäden und die folgende Entwicklung der Laubwand für verschiedene Schadstärken dokumentiert. Der Wachstumsstopp der verletzten Reben dauerte unabhängig von der Schadstärke zwischen acht und zehn Tage. Martin Heiri und Peter Schumacher, Fachstelle Weinbau der Zürcher hochschule für angewandte Wissenschaften, Wädenswil [email protected] Der Hagelzug vom Dienstag 26. Mai 2009 kam, wie im Schweizerischen Mittelland meist der Fall, eingebettet in eine Gewitterfront aus Südwesten. Je nach Region löste die Gewitterlinie heftige Windböen, Hagelschlag und/oder intensive Regenfälle aus. Die ausserordentli- che Stärke der betreffenden Front war unter anderem auf die heisse Wetterperiode in der Zeit davor zurückzufüh- ren. So war das Thermometer an den vorangehenden Tagen auf der Alpennordseite auf über 30 °C angestiegen. In Wädenswil wurden im Verlauf des Gewitters Wind- geschwindigkeiten von über 100 km/h registriert. Wie oft bei Hagelereignissen war es auch diesmal vor allem die Kombination von Hagel und starkem Wind, die im Rebberg auf der Halbinsel Au teilweise erheblichen Schaden verursachte. Ertragsverluste von 10 bis 90% Die Schäden im Rebberg Au erwiesen sich bezüglich ihrer Stärke als sehr unterschiedlich. Datenerhebungen zeig- ten, dass einige Parzellen vom Hagelschlag kaum betrof- fen waren, während in anderen Bereichen der geschätzte Ertragsverlust über 90% betrug (Abb. 1). Aufgrund der Exposition der Reben und der Windrichtung nahm die Schadstärke von Südwesten nach Nordosten kontinuier- lich zu. Im südwestlich gelegenen Teil der Anlage wiesen die Reben vor allem zerfetze Blätter und teilweise abge- brochene Triebspitzen auf. Die Gescheine wurden in die- sem Teil der Anlage kaum verletzt. Dies änderte sich zu- nehmend in den Parzellen, die weiter in nordöstlicher Richtung lagen: Ganze Triebe waren abgebrochen und die Gescheine stark beschädigt oder ganz abgeschlagen. Die Schadstärken Eine Gesamtübersicht der Schadstärken eins bis sechs ist in Abbildung 2 dargestellt. Daraus ist zu erkennen, dass die nur leicht beschädigten Gescheine (eins und

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Rebenentwicklung nach frühem Hagel

Am 26. Mai 2009 überquerte eine sehr aktive Gewitterlinie mit Hagel das Schweizerische Mittelland

und verursachte regional grosse Schäden an den landwirtschaftlichen Kulturen. Bei den Reben auf

der Halbinsel Au wurden Schäden bis zu 90% beobachtet. In einer Diplomarbeit der Zürcher

Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) wurden die Schäden und die folgende

Entwicklung der Laubwand für verschiedene Schadstärken dokumentiert. Der Wachstumsstopp der

verletzten Reben dauerte unabhängig von der Schadstärke zwischen acht und zehn Tage.

Martin Heiri und Peter Schumacher, Fachstelle Weinbau

der Zürcher hochschule für angewandte

Wissenschaften, Wädenswil

[email protected]

Der Hagelzug vom Dienstag 26. Mai 2009 kam, wie imSchweizerischen Mittelland meist der Fall, eingebettetin eine Gewitterfront aus Südwesten. Je nach Regionlöste die Gewitterlinie heftige Windböen, Hagelschlagund/oder intensive Regenfälle aus. Die ausserordentli-che Stärkeder betreffendenFrontwarunter anderemaufdie heisseWetterperiode in der Zeit davor zurückzufüh-ren. So war das Thermometer an den vorangehendenTagenauf derAlpennordseite auf über 30 °C angestiegen.

InWädenswil wurden imVerlauf des GewittersWind-geschwindigkeiten von über 100 km/h registriert. Wieoft bei Hagelereignissen war es auch diesmal vor allemdie Kombination von Hagel und starkem Wind, die imRebberg auf der Halbinsel Au teilweise erheblichenSchaden verursachte.

Ertragsverluste von 10 bis 90%DieSchäden imRebbergAuerwiesen sichbezüglich ihrerStärke als sehr unterschiedlich. Datenerhebungen zeig-ten, dass einige Parzellen vomHagelschlag kaum betrof-fen waren, während in anderen Bereichen der geschätzteErtragsverlust über 90% betrug (Abb. 1). Aufgrund derExposition der Reben und der Windrichtung nahm dieSchadstärke von Südwesten nach Nordosten kontinuier-lich zu. Im südwestlich gelegenen Teil der Anlage wiesendie Reben vor allem zerfetze Blätter und teilweise abge-brocheneTriebspitzen auf. Die Gescheinewurden in die-sem Teil der Anlage kaum verletzt. Dies änderte sich zu-nehmend in den Parzellen, die weiter in nordöstlicherRichtung lagen: Ganze Triebe waren abgebrochen unddieGescheine stark beschädigt oder ganz abgeschlagen.

Die SchadstärkenEine Gesamtübersicht der Schadstärken eins bis sechsist in Abbildung 2 dargestellt. Daraus ist zu erkennen,dass die nur leicht beschädigten Gescheine (eins und

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zwei) praktisch keine abgebrochenen Blüten aufwiesen.Je grösser die Schadstärke, desto mehr Blüten wurdenverletzt oder abgebrochen. Auch bei den Trieben derSchadstärke 1 und 2 waren kaum Verletzungen ersicht-lich. Anders präsentierten sie sich bei den Schadstärken5 und 6. Diese Triebe erlitten erheblichen Schaden. DasHolz wurde aufgerissen und braune Verfärbungen tra-ten an den Verletzungsstellen auf. Mit zunehmenderSchadstärke traten nicht nur stärkere und grössere Ver-letzungen auf, auch die Häufigkeit der Verletzungsstel-len an denTrieben nahm zu.

Unerwartet kurzer WachstumsstoppEin durch Hagelschlag beschädigter Rebstock erleidet –unabhängig von der Schadstärke – einen Wachstums-stopp, der als «Schockzustand» interpretiert wird. Bei al-len Schadstärken wurden nach dem Hagelschlag meh-rere Triebe markiert und jeden zweiten Tag bezüglichWiedereinsetzens des Wachstums bonitiert. Die Unter-suchung ergab, dass derWachstumsstopp bei allen Reb-

stöcken acht bis zehn Tage anhielt. Seine Dauer zeigtesich also unabhängig von der Schadstärke und auch da-von, ob die Triebspitze noch vorhanden war oder nicht.Auch bezüglich der betroffenen Pflanzenorgane (Trieb-spitze, Seitentriebe, Gescheine) konnten keine Unter-schiede festgestellt werden. Dieser relativ kurzeWachs-tumsstopp erstaunt, weil in anderen Untersuchungenein Stopp von zwei bis vierWochen beobachtet wordenwar (Fox 2009; Redl und Rosmanitz 1986). Der Unter-schied ist wahrscheinlich auf die unterschiedlichenWit-terungsbedingungen nach dem Hagelschlag zurückzu-führen. Auf der Au herrschten nach dem Hagel idealeWuchsbedingungen, die die Erholung der Stöcke zwei-fellos begünstigten.

Warum kommt es zu einemWachstumsstopp?Es ist anzunehmen, dass der Wachstumsstopp bei ver-letzten Rebstöcken eintritt, weil die Assimilate zurWundheilung mittels Callose-Bildung eingesetzt wer-

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Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5 Stufe 6

Gesc

heine

Trieb

e

Abb. 1: Schad-übersicht desHagelzugs vom26.Mai 2009 imRebberg auf derHalbinsel Au.

Abb.2:Einteilungder Schadstärke indie Stufen 1bis 6.

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den und daher nicht mehr für dasWachstum zur Verfü-gung stehen. Zur Dauer derWundheilung liegen für dieReben keine genauen Zahlen vor. Bei anderen Kultur-pflanzenwurde beobachtet, dass dieWundheilung nachzirka sechs bis acht Tagen abgeschlossen ist. Dies würdegut zu unseren Beobachtungen passen, wonach dasWachstum nach acht bis zehnTagen wieder einsetzte.

Unterschiede bei derLaubwandentwicklungErwartungsgemäss zeigten die weiteren Datenerhebun-gen, dass das Wachstum nach dem Hagelereignis beistark geschädigten Stöcken schwächer ist als bei Stöckenmit nur leichtenVerletzungen. Abbildung 3 zeigt verglei-chend die Laubwandentwicklung von Parzellen mit denSchadstärken eins, vier und sechs. Die Bilder wurden 30,60 und 80 Tage nach demHagelschlag fotografiert. Es istersichtlich, dass die Parzellemit der Schadstärke eins be-reits nach 30 Tagen eine fast lückenlose Laubwand auf-wies. Die Laubwand der Schadstärke vier hatte erst nach90Tagen denselbenDeckungsgrad erreicht. Noch zöger-licher fiel der Wachstumsverlauf der Laubwand mit derSchadstärke sechs aus. Diese wies auch 90 Tage nachdemHagelschlag grössere Lücken auf.

Im Gegensatz zur Laubwandentwicklung wurde kei-ne direkte Beziehung zwischen der Schadstärke und derAnzahl neu gebildeter Geiztriebe der Rebe gefunden.

Massnahmen nach einem HagelschlagJe nach Schadstärke fallen unterschiedliche Arbeits-schritte an, die für einen optimalen Laubwandaufbausinnvoll scheinen. Je grösser der Schaden, desto emp-findlicher reagieren die Reben. Deshalb sollte vor allembei grossem Schaden dürre Teile kontinuierlich aus derLaubwand herausgenommen werden (Fox 2009). ImWeiteren sollte auf einenRückschnitt derTriebe verzich-tet werden, da aufgrund des Saftflusses an den Schnitt-stellen keine zusätzlichenAssimilate verlorengehen sol-len (Volker 2009). Bei sehr schwerem Schaden ist eineBehandlung mit Folpet-haltigen Präparaten angezeigt.EineÜbersicht über dieMassnahmen nachHagelschlagsind auf der Seite 33 der Pflanzenschutzempfehlungenfür den Rebbau 2009/2010 der Forschungsanstalt Agro-scope Changins-Wädenswil ACW zu entnehmen.

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nach 30 Tagen nach 60 Tagen nach 80 Tagen

1

4

Bonit

ierun

gskla

sse

6

68%65%42%

73%65%61%

91%85%75%

Abb. 3: Laub-wandentwicklungbei drei Schad-stärken (1, 4 und6).Die Prozent-zahlen geben an,wie gross der An-teil der schwar-zen, also der be-laubten Fläche ist.

Ertrag und Mostgewicht bei fünf Müller-Thur-gau-Parzellen mit Hagelschäden unterschied-licher Stärke.

Schadstärke (1-6) Ertrag g/m2 Mostgewicht °Oe2 700 83

3 901 81

3 915 80

5 268 82

6 195 91

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Literatur

Fox R.: Hagelschäden – Erfahrungen aus einemVersuch, 2009.

Redl H., Rosmanitz M.: Auswirkungen frühzeitiger Hagelschäden

bei der Rebsorte Grüner Veltliner, Mitteilungen Klosterneuburg

Nr. 36, S. 89–95, 1986.

Volker J.: Hagelschaden –Was kann derWinzer jetzt tun?, Der Ba-

discheWinzer Nr.6, S. 22–23, 2009.

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Gewitterzonen mit eingelagerten Hagelzellen durch-queren im Sommer immer wieder das SchweizerischeMittelland in Richtung NE. Ein besonders heftiges Ha-gelereignismitWindböenbis zu100km/hbetraf am26.Mai2009unter anderemdieRebenaufderHalbinselAu(ZH). Je nach Exposition traten Schäden zwischen 10%und90%auf, die imRahmeneinerDiplomarbeit auf ei-ner Skala von 1 bis 6 bewertet wurden. Erwartungsge-mässwar inder FolgedasWachstumbei den stärker ge-schädigten Pflanzen auch stärker beeinträchtigt. In ex-tremen Fällen scheint ein sehr pfleglicher Umgangmitden Reben ratsam, der sich auf eine Behandlung mit

Folpet-haltigen Pflanzenschutzmitteln und das konti-nuierliche Herauslesen verdorrender Pflanzenteile be-schränkt. Ein radikaler Rückschnitt wird aus Gründender Assimilat-Ökonomie nicht empfohlen. Der oft be-obachtete ausgeprägte Wachstumsstopp nach Hagel-schlägen war im vorliegenden Fall mit acht bis 1zehnTagen – wohl dank der anschliessend idealen Wachs-tumsbedingungen – von relativ kurzerDauer.DieseVo-raussetzungen dürften auch derGrunddafür sein, dassselbst in Beständen mit mittlerer Schädigung fast nor-male Erträge (900 g/m2)mit Zuckergehaltenum80oOegeerntet werden konnten.

Rebenentwicklung nach frühem Hagel

Trotz Hagel ein qualitativ sehr guterJahrgangDer Zusammenhang zwischen Schadstärke und Ertragzeigte sich bei der Sorte Müller-Thurgau deutlich(Tab.). Trotz mittlerer Schadstärke konnte bei zwei Par-zellen zwar ein Ertrag von über 900 g/m2 erzielt werden.Bei den stark betroffenenParzellennahmder Ertrag aberempfindlich ab, bei der am stärksten geschädigten Par-zelle auf unter 200 g/m2. Das Mostgewicht lag bei dieserParzelle mit 91 °Oe jedoch am höchsten. Dies ist auf dashöhere Blatt/Frucht-Verhältnis zurückzuführen. Zwarwar die Laubfläche geringer, aber dies wurde durch denmassiv niedrigeren Ertrag überkompensiert. �

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