Rechtswidrige Prämie von Arbeitgeber für Gewerkschaftsaustritt

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Zitiervorschlag: Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 17/2016 Anm. 1 ISSN 1860-1553 juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] Der juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. © juris GmbH 2016 Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D. Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D. 17/2016 Erscheinungsdatum: 27.04.2016 Erscheinungsweise: wöchentlich Bezugspreis: 10,- € monatlich zzgl. MwSt. Inhaltsübersicht: Anm. 1 Keine Altersdiskriminierung durch einzelvertragliche Altersgrenze bei Vollendung des 65. Lebensjahres Anmerkung zu BAG, Urteil vom 09.12.2015, 7 AZR 68/14 von Prof. Dr. Wolfgang Hamann / Dipl.-Kauffr. Tanja Rudnik, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Anm. 2 Entschädigung (Höhe und Durchsetzbarkeit) als angemessene Sanktion einer Altersdiskriminierung Anmerkung zu VG Frankfurt, Urteil vom 13.11.2015, 9 K 2555/13.F von Prof. Dr. Christiane Brors, Universität Oldenburg Anm. 3 Verbilligte Parkraumüberlassung an Arbeitnehmer Anmerkung zu BFH, Urteil vom 14.01.2016, V R 63/14 von Prof. Dr. habil. Heinrich Weber-Grellet, Vors. RiBFH a.D. Anm. 4 Rechtswidrige Prämie von Arbeitgeber für Gewerkschaftsaustritt Anmerkung zu ArbG Gelsenkirchen, Urteil vom 09.03.2016, 3 Ga 3/16 von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP, Düsseldorf / Louisa Kallhoff, RA'in, München Anm. 5 Schriftform für Abwicklungsvertrag mit Sprinterklausel Anmerkung zu BAG, Urteil vom 17.12.2015, 6 AZR 709/14 von Dr. Mathias Maul-Sartori, RiArbG

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Zitiervorschlag: Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 17/2016 Anm. 1ISSN 1860-1553

juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nichtauszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.© juris GmbH 2016

Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.

17/2016

Erscheinungsdatum:27.04.2016 Erscheinungsweise:wöchentlich Bezugspreis:10,- € monatlichzzgl. MwSt.

Inhaltsübersicht:

Anm. 1 Keine Altersdiskriminierung durch einzelvertragliche Altersgrenze beiVollendung des 65. LebensjahresAnmerkung zu BAG, Urteil vom  09.12.2015, 7 AZR 68/14von Prof. Dr. Wolfgang Hamann / Dipl.-Kauffr. Tanja Rudnik, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Anm. 2 Entschädigung (Höhe und Durchsetzbarkeit) als angemessene Sanktioneiner AltersdiskriminierungAnmerkung zu VG Frankfurt, Urteil vom  13.11.2015, 9 K 2555/13.Fvon Prof. Dr. Christiane Brors, Universität Oldenburg

Anm. 3 Verbilligte Parkraumüberlassung an ArbeitnehmerAnmerkung zu BFH, Urteil vom  14.01.2016, V R 63/14von Prof. Dr. habil. Heinrich Weber-Grellet, Vors. RiBFH a.D.

Anm. 4 Rechtswidrige Prämie von Arbeitgeber für GewerkschaftsaustrittAnmerkung zu ArbG Gelsenkirchen, Urteil vom  09.03.2016, 3 Ga 3/16von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, Orrick, Herrington & SutcliffeLLP, Düsseldorf / Louisa Kallhoff, RA'in, München

Anm. 5 Schriftform für Abwicklungsvertrag mit SprinterklauselAnmerkung zu BAG, Urteil vom  17.12.2015, 6 AZR 709/14von Dr. Mathias Maul-Sartori, RiArbG

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Keine Altersdiskriminierung durcheinzelvertragliche Altersgrenze beiVollendung des 65. Lebensjahres

Orientierungssätze zur Anmerkung:

1. Eine Altersgrenze in einem vom Arbeit-geber vorformulierten Arbeitsvertrag, nachder das Arbeitsverhältnis mit der Voll-endung des 65. Lebensjahres des Arbeitneh-mers enden soll, ist nach der Anhebung desRegelrentenalters regelmäßig dahin auszu-legen, dass das Arbeitsverhältnis erst mitder Vollendung des für den Bezug einer Re-gelaltersrente maßgeblichen Lebensaltersenden soll.

2. Eine auf das Erreichen des Regelrenten-alters bezogene einzelvertraglich vereinbar-te Altersgrenze ist in der Regel sachlich ge-rechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer durchden Bezug einer Rente aus der gesetzlichenRentenversicherung abgesichert ist.

3. Durch eine derartige einzelvertraglicheAltersgrenze wird der Arbeitnehmer nicht inunzulässiger Weise wegen des Alters diskri-miniert.

Anmerkung zu BAG, Urteil vom  09.12.2015,7 AZR 68/14von Prof. Dr. Wolfgang Hamann / Dipl.-Kauf-fr. Tanja Rudnik, Wissenschaftliche Mitarbeite-rin

A. Problemstellung

Weitgehend scheint Konsens zu bestehen, dassmit Eintritt der Rentenberechtigung das Rechtam bisherigen Arbeitsplatz eingeschränkt wer-den kann, um für jüngere Arbeitnehmer freieArbeitsplätze und Aufstiegsmöglichkeiten zuschaffen. Arbeitsverhältnisse enden aber nichtautomatisch, wenn der Arbeitnehmer das Ren-tenalter erreicht oder eine Rente beantragt.Auch eine Kündigung allein aus diesem Grundeist nicht sozial gerechtfertigt, wie § 41 Satz 1SGB VI ausdrücklich klarstellt. Um die Personal-planung berechenbarer zu gestalten und unan-genehme Streitigkeiten z.B. wegen nachlassen-

der Leistungsfähigkeit oder vermehrter Krank-heit zu vermeiden, finden sich in Tarifverträgen,Betriebsvereinbarungen und Individualarbeits-verträgen regelmäßig Bestimmungen, die eineBefristung des Arbeitsverhältnisses bis zum Er-reichen des Rentenalters bezwecken. Seit demJahre 2008 sehen die §§ 35 Satz 2, 235 Abs. 2SGB VI eine nach Geburtsjahrgängen gestaffel-te Regelaltersgrenze bis zur Vollendung des 67.Lebensjahres vor. Im Einklang mit der früherenRechtslage stellen zahlreiche, vor allem ältereArbeitsverträge aber noch auf die Vollendungdes 65. Lebensjahres ab. Ob und ggf. zu wel-chem Zeitpunkt diese Bestimmungen das Ar-beitsverhältnis beenden, war Gegenstand dervorliegenden Entscheidung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das BAG hatte über die Auslegung und die Wirk-samkeit einer einzelvertraglichen Altersgren-zenregelung zu entscheiden. Ziffer 14 des Ar-beitsvertrags der Parteien aus dem Jahre 1998enthält folgende Regelung:

„Das Anstellungsverhältnis endet mit Voll-endung des 65. Lebensjahres, ohne dass es ei-ner Kündigung bedarf.“

Der 1947 geborene Kläger bezieht seit dem01.12.2012 Regelaltersrente. Mit seiner im Ok-tober 2012 erhobenen Klage macht er geltend,sein Arbeitsverhältnis habe nicht durch Befris-tung zum 30.11.2012 geendet.

Im Einklang mit den Vorinstanzen hat das BAGdie Klage abgewiesen. Ziffer 14 des Arbeitsver-trags sei als Befristungsabrede auf den Zeit-punkt des Erreichens der Regelaltersgrenze fürden Bezug einer Altersrente aus der gesetzli-chen Rentenversicherung auszulegen. Die Aus-legung der Klausel richte sich nach den für All-gemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gelten-den Auslegungsregeln, und zwar auch dann,wenn es sich um eine Einmalbedingung i.S.v.§  310 Abs.  3 Nr.  2 BGB handeln sollte. AGBsind nach ihrem objektiven Inhalt und typi-schen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sievon verständigen und redlichen Vertragspart-nern mit durchschnittlichen Verständnismög-lichkeiten unter Abwägung der Interessen dernormalerweise beteiligten Verkehrskreise ver-standen werden. Bei einem nicht eindeutigenVertragswortlaut komme es entscheidend dar-

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auf an, wie der Vertragstext aus Sicht der ty-pischerweise an Geschäften dieser Art beteilig-ten Verkehrskreise zu verstehen ist. Die Unklar-heitenregel des §  305c Abs.  2 BGB, nach derZweifel bei der Auslegung zulasten des Verwen-ders gehen, greife nur dann, wenn nach Aus-schöpfung aller Auslegungsmethoden mindes-tens zwei Ergebnisse vertretbar erscheinen undvon diesen keines den klaren Vorzug verdient.Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Er-gebnis zu kommen, genüge nicht.

Aus dem Wortlaut der Regelung in Ziffer 14des Arbeitsvertrages folge, dass sie als Befris-tungsabrede auf die Regelaltersgrenze für denBezug einer Altersrente aus der gesetzlichenRentenversicherung zu verstehen sei. Das Tat-bestandsmerkmal „Vollendung des 65. Lebens-jahres“ sei als Beschreibung des Zeitpunkts zuverstehen, in dem der Kläger nach seinem Le-bensalter zum Bezug einer Regelaltersrente be-rechtigt ist. Seit 1916 und auch bei Vertrags-schluss sei das Regelrentenalter mit Vollendungdes 65. Lebensjahres erreicht worden. Aus da-maliger Sicht habe keine Veranlassung für eineabweichende Formulierung zur Anknüpfung andie Regelaltersgrenze bestanden. Ein verständi-ger Arbeitnehmer müsse die Formulierung ent-sprechend verstehen, so dass für die Anwen-dung des § 305c Abs. 2 BGB kein Raum verblei-be. Eventuell vorliegende, den Vertragsschlussbegleitende besondere Umstände können nichtbei der Auslegung von AGB, sondern gemäߧ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB nur bei der Prüfung ei-ner unangemessenen Benachteiligung berück-sichtigt werden.

Die Befristungsabrede sei auch Vertragsbe-standteil geworden, da es sich nicht um eineüberraschende Klausel i.S.v. § 305c Abs. 1 BGBhandele. Die in der Literatur umstrittene Frage,ob §  305c Abs.  1 BGB überhaupt auf Einmal-bedingungen anwendbar sei, könne deshalb of-fenbleiben. Hier sei die Klausel weder ihrem In-halt noch ihrem Erscheinungsbild nach überra-schend. Befristungsabreden auf das Erreichendes Rentenalters seien im Arbeitsleben verbrei-tet und damit nicht objektiv ungewöhnlich. DaZiffer 14 ausweislich ihrer Überschrift das In-krafttreten und die Beendigung des Vertrags re-gelt, fehle auch ohne drucktechnische Hervor-hebung ein „Überrumpelungs- und Übertölpe-lungseffekt“.

Schließlich sei die Befristungsabrede auch wirk-sam. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer kön-ne der Bestimmung hinreichend deutlich ent-nehmen, wann das Arbeitsverhältnis enden sol-le. Daher sei sie nicht intransparent. Die Be-fristung sei auch sachlich gerechtfertigt undbenachteilige den Arbeitnehmer nicht unange-messen. Dem zeitlich begrenzten Fortsetzungs-interesse stehe ein Interesse des Arbeitgebersan einer berechenbaren Personal- und Nach-wuchsplanung gegenüber. Letzterem räumt dasBAG den Vorzug ein, wenn der Arbeitnehmerdurch den Bezug einer gesetzlichen Altersren-te abgesichert ist. Dabei komme es nicht aufdie konkrete wirtschaftliche Absicherung desArbeitnehmers an, so dass die Höhe der im Ein-zelfall bestehenden Rentenansprüche auch imVergleich zum bisherigen Einkommen ohne Be-deutung sei. Auch bei leitenden Angestellten er-fordere die Rechtfertigung der Befristung keineZusage einer Abfindung oder andere Form derzusätzlichen sozialen Absicherung. In neuerenVerträgen unter Geltung des TzBfG liege für Be-fristungen auf das Erreichen des Regelrentenal-ters ein Sachgrund i.S.d. § 14 Abs. 1 TzBfG vor.

Der Kläger werde schließlich nicht in unzulässi-ger Weise gemäß den §§ 7 Abs. 1 i.V.m. 1 AGGwegen Alters diskriminiert. Auch wenn der zeit-liche Anwendungsbereich des Gesetzes eröffnetsei, wenn die Altersgrenze nach Inkrafttretendes AGG erreicht wird, sei die auf dem Merkmaldes Alters beruhende Ungleichbehandlung beiden Entlassungsbedingungen objektiv und an-gemessen und durch ein legitimes Ziel gerecht-fertigt. Bei Befristungen auf das Renteneintritts-alter sei dies gemäß §  10 Satz 3 Nr.  5 AGGder Fall. Diese Regelung stehe wegen des mitihr verfolgten arbeits- und beschäftigungspoliti-schen Ziels nach der Rechtsprechung des EuGHim Einklang mit Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG.Auch ihre Nutzung im konkreten Fall verfolgein angemessener und erforderlicher Weise einlegitimes Ziel. Das Ziel der besseren Beschäf-tigungsverteilung zwischen den Generationendurch Zugang jüngerer Personen zur Beschäf-tigung sei legitim und stehe im Allgemeininter-esse. Bei der Entscheidung über Maßnahmenzur Erreichung dieses Ziels können die Mitglied-staaten dem Arbeitgeber in nationalen Rechts-vorschriften ein gewisses Maß an Flexibilität zu-gestehen, so dass auch eine Befristung in einemEinzelvertrag ohne kollektiven Bezug dazu ein-gesetzt werden könne. Die Befristung sei erfor-

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derlich, um jüngeren Personen den Zugang zumArbeitsmarkt zu erleichtern. Sie beeinträchtigedie Interessen des Klägers nicht übermäßig undsei daher auch angemessen. Die vorhersehbareVersorgungslücke zwischen einem Einkommenoberhalb der Beitragsbemessungsgrenze undder daraus resultierenden gesetzlichen Rentehätte der Kläger beizeiten durch Eigenvorsor-ge schließen können. Zudem könne er auch imRentenalter eine neue berufliche Tätigkeit auf-nehmen, wenn er dies wünsche. Da die unions-rechtlichen Grundsätze für die Beurteilung vonBefristungen auf den Zeitpunkt der Regelalters-grenze geklärt seien, bedürfe es keines Vorab-entscheidungsersuchens nach Art.  267 Abs.  3AEUV.

C. Kontext der Entscheidung

I. Das BAG bleibt seiner großzügigen Linie beider Beurteilung von Befristungsabreden zumRenteneintrittsalter treu. EuGH und BAG ha-ben in der Vergangenheit bereits mehrfach ent-schieden, dass Befristungen bis zur Regelalters-grenze in kollektivrechtlichen Vereinbarungenden Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weisewegen des Alters diskriminieren (EuGH, Urt. v.12.10.2010 - C-45/09 „Rosenbladt“; von Roette-ken, jurisPR-ArbR 47/2010 Anm. 1; EuGH, Urt. v.05.07.2012 - C-141/11 - NZA 2012, 785 „Hörn-feldt “; BAG, Urt. v. 21.09.2011 - 7 AZR 134/10- NZA 2012, 271; BAG, Urt.  v. 05.03.2013 - 1AZR 417/12; Gravenhorst, jurisPR-ArbR 2/2014Anm. 3; BAG, Urt. v. 12.06.2013 - 7 AZR 917/11 -NZA 2013, 1428). Auch die Literatur hält solcheRegelungen für wirksam (Backhaus in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012,§  14 TzBfG Rn.  113; Bayreuther in: BeckOKArbR, Stand: 01.09.2015, Edition: 38, § 14 TzB-fG Rn. 71; Müller-Glöge in: ErfKomm, 16. Aufl.2016, §  14 TzBfG Rn.  56d; Hesse in: Münch-Komm BGB, 6. Aufl. 2012, § 14 TzBfG Rn. 60).Nachdem das BAG (Urt. v. 12.06.2013 - 7 AZR917/11 - NZA 2013, 1428, 1432 Rn.  36) zu-nächst noch ausdrücklich offengelassen hatte,ob dasselbe gilt, wenn Altersgrenzen individu-alvertraglich vereinbart werden, hat es dieseFrage mit Urteil vom 11.02.2015 (7 AZR 17/13;Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 37/2015 Anm. 3)bejaht. Denn auch individuelle Vereinbarungenkönnen einem kollektiven Ziel dienen. DieserAuffassung ist das Schrifttum überwiegend ge-folgt (Bauer/Krieger, NJW 2007, 3672, 3674;Meinel in: Meinel/Heyn/Herms, 5.  Aufl. 2015,

§ 14 TzBfG Rn. 221; Hesse in: MünchKomm BGB,§ 14 TzBfG Rn. 60).

Für Betriebsvereinbarungen hatte das BAGschon früher entschieden, dass das Abstel-len auf die Vollendung des 65. Lebensjah-res als Orientierung an der gesetzlichen Re-gelaltersgrenze zu verstehen und entspre-chend dem RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz„dynamisch“ auszulegen sei (BAG, Urt.  v.13.10.2015 - 1 AZR 853/13 - NZA 2016, 54).Dem ist zuzustimmen. Betriebsvereinbarungensind ebenso wie Tarifverträge nach den Regelnüber die Gesetzesinterpretation auszulegen (Ri-chardi in: Richardi, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 77Rn. 115, m.w.N.). Deshalb hatte das BAG vor al-lem mit dem Zweck der Regelung und mit demGrundsatz der gesetzeskonformen Auslegungvon Betriebsvereinbarungen argumentiert.

Offen war im vorliegenden Fall dennoch, ob dasAuslegungsergebnis dasselbe ist, wenn die Al-tersgrenze in AGB vereinbart wird, und ob ei-ne Befristungsklausel bis zum Erreichen des 65.Lebensjahres der AGB-Kontrolle standhält. Beider Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingun-gen sind nämlich andere Maßstäbe anzulegen.Der Grundsatz der gesetzeskonformen Ausle-gung gilt bei AGB nicht, da es sich um eineunzulässige geltungserhaltende Reduktion han-deln würde. Vielmehr wird umgekehrt die Klau-sel in ihrer für den Arbeitnehmer ungünstigs-ten Auslegung der Inhaltskontrolle unterzogen(Basedow in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016,§ 305c Rn. 35, m.w.N.). Zudem sind bei der Aus-legung die durchschnittlichen Verständnismög-lichkeiten eines Arbeitnehmers des Verwendersund nicht diejenigen einer juristisch geschultenPerson zugrunde zu legen.

Deshalb überzeugt die vorliegende Entschei-dung nicht. Das BAG ist der Ansicht, eine Ausle-gung der „Altersgrenze 65“ müsse eindeutig zudem Schluss führen, es liege eine Befristung aufdas Erreichen der Regelaltersgrenze vor. Dassaus der Sicht eines objektiven, durchschnittli-chen Arbeitnehmers offensichtlich nur diesesAuslegungsergebnis in Betracht kommt, kannnicht angenommen werden. Für juristische Lai-en steht bei der Auslegung von Verträgen viel-mehr der Wortlaut im Vordergrund; häufig wirder sogar für allein maßgeblich gehalten. Und dasErgebnis einer reinen Wortlautauslegung wirddem Arbeitnehmer auch nicht unbedingt abwe-gig erscheinen. Das BAG berücksichtigt nämlich

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nicht, dass die Vollendung des 65. Lebensjah-res ihre rentenrechtliche Bedeutung nicht voll-ständig verloren hat. Viele Arbeitnehmer kön-nen nach den §§ 236 ff. SGB VI schon ab diesemZeitpunkt eine Rente beziehen, selbst wenn siedabei möglicherweise Abschläge in Kauf neh-men müssen. So scheint das BAG – wie auch inanderen Entscheidungen (vgl. etwa BAG, Urt. v.10.04.2014 - 2 AZR 647/13 - NZA 2015, 162) –bei der Auslegung eher den durch einen Fach-anwalt, eine Gewerkschaft oder einen kompe-tenten Betriebsrat beratenen Arbeitnehmer vorAugen zu haben als den durchschnittlichen Ar-beitnehmer, der sich selbst mit den Vertrags-klauseln auseinandersetzt.

Doch selbst in der juristischen Literatur wirderwogen, eine Befristungsklausel bis zur Voll-endung des 65. Lebensjahres dahingehend aus-zulegen, dass das Arbeitsverhältnis tatsächlichbereits zu diesem Zeitpunkt enden soll, wennder Arbeitnehmer eine Rente mit Abschlägenfür langjährig Versicherte nach §  236 SGB  VIoder eine abschlagsfreie Rente für besonderslangjährig Versicherte nach § 236b SGB VI be-ziehen kann (so Bayreuther in: BeckOK ArbR,38. Edition, Stand: 01.09.2015, §  14 TzBfGRn. 71a; a.A. Meinel in: Meinel/Heyn/Herms, § 14TzBfG Rn.  223, zu Grenzfällen vgl. Poguntke,NZA 2014, 1372, 1373). Eine Befristungsklauselbis zur Vollendung des 65. Lebensjahres lässtalso durchaus unterschiedliche Deutungsmög-lichkeiten zu.

Schon früh hat auch der Gesetzgeber die Ge-fahr gesehen, dass der Arbeitgeber die Flexibi-lisierung des Renteneintrittszeitpunkts für sei-ne Zwecke ausnutzen könnte, und ist ihr mit§ 41 Satz 2 SGB VI grundsätzlich entgegenge-treten. Diese Norm ist auch dann anwendbar,wenn nicht auf den Altersrentenanspruch Be-zug genommen, sondern eine entsprechendeAltersgrenze genannt wird (Gürtner in: Kasse-ler Komm, § 41 SGB VI Rn.  12, m.w.N.). Wur-de die Vereinbarung aber innerhalb der letztendrei Jahre vor einem möglichen vorzeitigen Ren-teneintritt abgeschlossen oder bestätigt, so en-det das Arbeitsverhältnis ausnahmsweise zumgenannten Zeitpunkt vor Erreichen der Regelal-tersgrenze, ohne dass ein Sachgrund erforder-lich ist (Sprenger, BB 2016, 757, 758). Sogar dasGesetz sieht in der „Altersgrenze 65“ also nichtimmer eine Befristung bis zum Regelrentenal-ter.

Da mithin aus Arbeitnehmersicht unterschied-liche Auslegungsergebnisse möglich sind, ver-mögen die äußerst knappen Ausführungen desBAG zur Transparenz der Befristungsklauselnicht zu überzeugen. Vertragsklauseln sindauch dann nicht klar und verständlich i.S.d.§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn sie den Vertrags-partner über seine Rechtsstellung täuschenkönnen (H. Schmidt in: BeckOK BGB, 38. Edi-tion, Stand: 01.02.2016, § 307 Rn. 43; Wurm-nest in: MünchKomm BGB, § 307 Rn. 61). Sinndes Transparenzgebots ist es, der Gefahr vor-zubeugen, dass der Vertragspartner des Klau-selverwenders von der Durchsetzung beste-hender Rechte abgehalten wird (BAG, Urt.  v.21.06.2011 - 9 AZR 236/10 - NZA 2011, 1274;BAG, Urt. v. 24.10.2007 - 10 AZR 825/06; Beck-mann, jurisPR-ArbR 32/2009 Anm. 6). Verlangtder Arbeitgeber unter Hinweis auf eine entspre-chende Klausel die Beendigung des Arbeitsver-hältnisses mit Vollendung des 65. Lebensjah-res, so wird längst nicht für jeden Arbeitnehmeroffensichtlich sein, dass diese Forderung unbe-rechtigt ist. Vor allem ein vorzeitig rentenbe-rechtigter Arbeitnehmer kann die Altersgrenzeim Arbeitsvertrag so verstehen, dass er seinenArbeitsplatz mit Vollendung des 65. Lebensjah-res verliert und damit faktisch zu einer frühzei-tigen Inanspruchnahme der Rentenzahlung ge-zwungen ist. Dieses Missbrauchsrisiko benach-teiligt den Arbeitnehmer unangemessen.

Zudem hält die Altersgrenzenregelung in ihrerfür den Arbeitnehmer ungünstigsten Auslegungals unbedingte Befristung zur Vollendung des65. Lebensjahres einer Inhaltskontrolle nach§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht stand. Denn dieZulässigkeit von Altersgrenzen setzt grundsätz-lich voraus, dass ein Anspruch auf Bezug einerRegelaltersrente besteht. Sieht sich der Arbeit-nehmer verpflichtet, eine Altersrente mit Abzü-gen oder gar eine Zeitspanne der Arbeitslosig-keit hinzunehmen, so benachteiligt ihn dies un-angemessen.

II. Deutlich strengere Maßstäbe als für Befris-tungen bis zur Regelaltersgrenze mit Absiche-rung gelten nach der Rechtsprechung für Al-tersgrenzen, die zu einer Beendigung des Ar-beitsverhältnisses vor Erreichen des Regelren-tenalters führen (Brors, RdA 2012, 346, 349 f.).So hat der EuGH eine auf das 60. Lebensjahrabstellende tarifliche Altersgrenze für Pilotenfür europarechtswidrig erklärt (EuGH, Urt.  v.

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13.09.2011 - C-447/09 „Prigge“; Klein, jurisPR-ArbR 14/2012 Anm. 3). Die Verschärfung gelten-der gesetzlicher Altersgrenzen durch Tarifver-trag zum Schutz der Flugsicherheit belaste diePiloten unverhältnismäßig. Und das BAG hat fürKabinenpersonal weder die Flugsicherheit nochdas Interesse des Unternehmens an einem ju-gendlichen Erscheinungsbild als rechtfertigen-den sachlichen Grund für eine Befristung biszum 55. bzw. 60. Lebensjahr anerkannt (BAG,Urt. v. 31.07.2002 - 7 AZR 140/01 - NZA 2002,1155; BAG, Urt. v. 19.10.2011 - 7 AZR 253/07- NZA 2012, 1297; BAG, Urt. v. 23.06.2010 - 7AZR 1021/08 - NZA 2010, 1248).

III. Von der Befristung bis zur Regelaltersgren-ze zu unterscheiden ist die Situation, dass mitArbeitnehmern im Rentenalter eine befriste-te Beschäftigung vereinbart wird. Eine proble-matische Situation kann entstehen, wenn einlangjähriges Arbeitsverhältnis durch eine Alters-grenze geendet hat, der Arbeitgeber den Ar-beitnehmer aber noch für begrenzte Zeit – et-wa zur Überbrückung eines Personalengpassesoder zur Einarbeitung eines Nachfolgers – wei-terbeschäftigen möchte. Auch dann sind Diskri-minierungen wegen des Alters verboten. DerBezug einer Regelaltersrente oder die Berechti-gung dazu ist für sich genommen deshalb keinSachgrund für eine Befristung des Arbeitsver-hältnisses (BAG, Urt.  v. 11.02.2015 - 7 AZR17/13; Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 37/2015Anm. 3). Die Abwägung bei der Befristung biszur Regelaltersgrenze lässt sich nicht auf Befris-tungen im gesamten Rentenalter übertragen.Ein Sachgrund kann aber darin bestehen, dassdie befristete Fortsetzung des Arbeitsverhält-nisses einer konkreten, im Zeitpunkt der Verein-barung schon bestehenden Personal- und Nach-wuchsplanung des Arbeitgebers dient.

Wurde ein Arbeitsverhältnis bereits wirksam biszur Regelaltersgrenze befristet, so erleichtert§ 41 Satz 3 SGB VI allerdings das Hinausschie-ben der Beendigung auf einen späteren Zeit-punkt. Diese erneute Befristung muss währenddes noch laufenden Arbeitsverhältnisses verein-bart werden; die Schriftform ist nach ganz h.M.einzuhalten (Gürtner in: Kasseler Komm, 88.Erg.-Lfg. Dezember 2015, § 41 SGB VI Rn. 21;Rolfs in: ErfKomm, §  41 SGB  VI Rn.  23; Ba-der, NZA 2014, 749, 751; Kleinebrink, DB 2014,1490, 1493; Kramer, ArbR 2015, 144, 145  f.;Sprenger, BB 2016, 757, 760; Waltermann, RdA2015, 343, 347; a.A. Pogunkte, NZA 2014, 1372,

1374). Einen Sachgrund für die Befristung ver-langt das Gesetz dann nicht (Sprenger, BB2016, 757, 759, m.w.N.). Allerdings wird dieVereinbarkeit dieser Regelung mit dem Euro-parecht angezweifelt (Rolfs in: ErfKomm, § 41SGB  VI Rn.  22; Bader, NZA 2014, 749, 752;Bauer, NZA 2014, 889, 890; ausführlich Wal-termann, RdA 2015, 343, 348  ff.), so dass Ar-beitgeber bei Nutzung der Befristungserleichte-rung bis zu einer endgültigen Klärung durch dieRechtsprechung ein gewisses Risiko eingehen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Arbeitgeber können aufatmen. Nun ist auchdie Wirksamkeit zahlreicher einzelvertraglicherAltersgrenzenregelungen bestätigt. Schwieri-ge personenbedingte Kündigungen von Arbeit-nehmern im Rentenalter werden vermieden.Vom BAG weiterhin ungeklärt ist das Schick-sal von Vereinbarungen, die nach der Ver-kündung (30.04.2007) oder dem Inkrafttreten(01.01.2008) des RV-Altersgrenzenanpassungs-gesetzes getroffen wurden und dennoch auf dieVollendung des 65. Lebensjahres abstellen. Hierdürften auch bei großzügigster Betrachtung zu-mindest Zweifel bestehen, ob das Arbeitsver-hältnis nicht tatsächlich mit Vollendung des 65.Lebensjahres enden soll. In jedem Falle ist beider Formulierung von Altersgrenzen im Vertrageine Orientierung an den §§  35 Satz 2, 235Abs. 2 SGB VI zu empfehlen. Die unbeseheneVerwendung veralteter Vertragsvordrucke kannArbeitgeber nämlich noch nach Jahrzehnten ein-holen.

2

Entschädigung (Höhe undDurchsetzbarkeit) als angemesseneSanktion einer Altersdiskriminierung

Leitsatz:

Für die Bemessung der Entschädigung nach§ 15 Abs. 2 AGG gilt § 287 Abs. 1 ZPO. Aus§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG, § 97a Abs. 2 Satz3 BVerfGG ergeben sich keine Anhaltspunk-te für die Bemessung einer Entschädigungwegen einer Diskriminierung. Für eine lang-jährige Diskriminierung wegen des Alters imBereich der Besoldung ist eine Entschädi-gung von mindestens 9.133,55 Euro ange-

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messen. Die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4AGG beginnt bei Dauertatbeständen erst mitder letzten Benachteiligung zu laufen. Wirdim Bereich des Entgelts bzw. der Besoldungdiskriminiert, handelt es sich um einen der-artigen Dauertatbestand. Die Festsetzungdes Besoldungdienstalters bietet keinen An-knüpfungspunkt für den Beginn der Aus-schlussfrist. Der unionsrechtliche Haftungs-anspruch steht selbstständig neben den An-sprüchen aus § 15 Abs. 1, 2 AGG. Der unions-rechtliche Haftungsanspruch erfasst auchimmaterielle Schäden. § 15 Abs. 4 AGG giltnicht für den unionsrechtlichen Haftungsan-spruch.

Anmerkung zu VG Frankfurt, Urteil vom 13.11.2015, 9 K 2555/13.Fvon Prof. Dr. Christiane Brors, Universität Ol-denburg

A. Problemstellung

In der Entscheidung geht es neben anderen dis-kriminierungsrechtlichen Problemen (z.B. Vor-aussetzungen des unionsrechtlichen Haftungs-anspruchs) im Schwerpunkt um zwei Fragen:

1. Wie wird der Entschädigungsanspruch nach§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG bemessen?

2. Wann beginnt die Frist des § 15 Abs. 4 AGGbei einer wiederkehrenden über Jahre andau-ernden Diskriminierung zu laufen?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Entscheidung des VG Frankfurt liegt dieKlage eines hessischen Beamten zugrunde, dersich gegen die altersabhängig gestaffelte Be-soldung wendet und für den Zeitraum von Ja-nuar 2009 bis Februar 2014 die Differenz zurEndstufe, insgesamt einen Betrag von 9.133,55Euro einklagt. Erstmalig hatte der Kläger sichschriftlich im Dezember 2012 an die Bezüge-stelle gewendet und die Besoldung nach dervorgesehenen Endstufe verlangt. Das beklag-te Land beruft sich nicht auf Verjährung, istaber der Ansicht, dass der Anspruch nicht inner-halb der zweimonatigen Frist des §  15 Abs.  4AGG geltend gemacht worden ist. Nach Veröf-

fentlichung der Entscheidung des BVerwG vom30.10.2014 (2 C 6/13) beruft sich der Kläger aufeinen Entschädigungsanspruch bzw. auf denunionsrechtlichen Haftungsanspruch als Grund-lage seiner Klage.

Das VG Frankfurt hat dem Kläger eine Entschä-digung in Höhe von 9.133,55 Euro zugebilligt.

C. Kontext der Entscheidung

I. Anspruchsgrundlage

Die vom Kläger zuletzt geltend gemachteAnspruchsgrundlage auf Entschädigung bzw.Schadensersatz in der geltend gemachten Hö-he ist nur vor dem Hintergrund der Entschei-dung des BVerwG vom 30.10.2014 (2 C 6/13)verständlich. In dieser Entscheidung beruft sichdas Gericht auf die Rechtsprechung des EuGHzur Unwirksamkeit altersgestaffelter Bezüge-systeme (EuGH, Urt. v. 19.06.2014 - C-501/12„Specht“) und lehnt einen Gleichbehandlungs-anspruch auf Vergütung nach der höchsten Stu-fe ab. Zwar entspricht es der Rechtsprechungdes EuGH bei fehlenden Ausgleichsmaßnahmeneinen Anspruch auf die Vorteile der bevorzugtenGruppe zu geben, jedoch setzt dies nach Ansichtder Rechtsprechung ein gültiges Bezugssystemvoraus, das im Fall der jeden Beschäftigten be-treffenden Altersdiskriminierung nicht gegebensei. Dagegen lässt sich einwenden, dass es sichbei der Entlohnung der durch die Gehaltsend-stufe bevorzugten Gruppe nicht um eine Dis-kriminierung aufgrund des Alters handelt, daschon eine Schlechterstellung fehlt. Es ist janicht der Altersbezug als solcher untersagt, son-dern nur die Schlechterstellung aufgrund desAlters. Die fehlt aber bei der Gruppe, die denHöchstsatz erhält. Insofern hätte man auch hierden Höchstsatz für die Bemessung heranziehenkönnen, hat dann aber die Ansicht der höchst-richterlichen Rechtsprechung gegen sich.

Aufgrund der insoweit klaren Aussage desBVerwG nimmt das Verwaltungsgericht von sei-ner bisherigen Rechtsprechung Abstand undverneint einen Anspruch auf Gleichstellung. InÜbereinstimmung mit der Rechtsprechung desBVerwG zieht das Verwaltungsgericht den Ent-schädigungsanspruch nach §  15 Abs.  2 AGGund den unionsrechtlichen (Staats-)Haftungs-anspruch heran und bejaht beide.

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II. Höhe des Entschädigungsanspruchs

Zu Recht wendet sich das VG Frankfurt gegendie Ansicht des BVerwG (Urt. v. 30.10.2014 - 2 C6/13), die Höhe des Entschädigungsanspruchsin Anlehnung an § 198 Abs. 3 GVG, § 97a Abs. 2Satz 3 BVerfGG zu bestimmen und so einen Be-trag von 100 Euro pro Monat festzusetzen. DerEntschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz1 AGG und der nach den §  198 Abs.  3 GVG,§ 97a Abs. 2 Satz 3 BVerfGG haben unterschied-liche Zielsetzungen. Zwar ist es denkbar, dassbei einem Verstoß gegen Diskriminierungsver-bote wegen eines überlangen Prozesses zusätz-lich ein Anspruch nach den § 198 Abs. 3 GVG,§ 97a Abs. 2 Satz 3 BVerfGG zuerkannt werdenkann. Da die Entschädigungsansprüche andereZielsetzungen haben, kann die Grenze von 100Euro nicht maßgeblich für den diskriminierungs-rechtlichen Entschädigungsanspruch sein. Nachden §  198 Abs.  3 GVG, §  97a Abs.  2 Satz 3BVerfGG soll eine Entschädigung wegen einesüberlangen Prozesses gezahlt und damit dieaufgrund der Zeitdauer möglichen Ruf- oderKreditschädigungen bzw. Nachteile durch man-gelnde Planungssicherheit ausgeglichen wer-den (BSG, Urt. v. 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13R). Dagegen handelt es sich bei §  15 Abs.  2AGG um einen Entschädigungsanspruch wegeneiner Persönlichkeitsrechtsverletzung durch diediskriminierende Handlung (Deinert in: Däu-bler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 46 ff.). Bei der Be-messung geht die Rechtsprechung von folgen-den Kriterien aus:

„die Art und Schwere der Benachteiligung, ih-re Dauer und Folgen, der Anlass und der Be-weggrund des Handelns, der Grad der Verant-wortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleiste-te Wiedergutmachung oder erhaltene Genug-tuung und das Vorliegen eines Wiederholungs-falles. Ferner ist auch der Sanktionszweck derNorm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auchdanach zu bemessen ist, was zur Erzielung einerabschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabeiist zu beachten, dass die Entschädigung geeig-net sein muss, eine abschreckende Wirkung ge-genüber dem Dienstherrn zu haben und dass siein einem angemessenen Verhältnis zum erlit-tenen Schaden stehen muss.“ (BVerwG, Urt. v.30.10.2014 - 2 C 6/13).

Zwar gibt es bei den Ansprüchen auf Entschädi-gung gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG noch keine

Rechtsprechung, wie man sie etwa bei Schmer-zensgeldansprüchen infolge von Verkehrsunfäl-len kennt, jedoch entwickelt sich die Kasuistiklangsam.

Bei einmaligen Diskriminierungsvorwürfen wur-den z.B. folgende Beträge (ausgehend vom Ein-zelfall) für angemessen erachtet: 1.500 Eurobei Kündigung einer Schwangeren (LArbG Ber-lin Brandenburg, Urt.  v. 16.09.2015 - 23 Sa1045/15), 3.000 Euro bei Kündigung nach Fehl-geburt (LArbG Chemnitz, Urt.  v. 27.07.2012- 3 Sa 129/12, bestätigt durch BAG, Urt.  v.12.12.2013 - 8 AZR 838/12).

Bei andauernden Persönlichkeitsverletzungen(„Mobbing“) erkannte die Rechtsprechung fol-gende Schmerzensgeldansprüche an: 25.000Euro (LArbG Mainz, Urt.  v. 05.06.2014 - 2 Sa394/13: über zwei Jahre keine Tätigkeit zu-gewiesen), 20.000 Euro (LArbG Mainz, Urt.  v.13.03.2014 - 2 Sa 96/13: rechtswidrige Verset-zung und Nichtzahlung von Prämienvergütungüber 17 Monate), 7.000 Euro (ArbG Siegburg,Urt. v. 11.10.2012 - 1 Ca 1310/12: über zwei Jah-re Zuweisung nicht vertragsgemäßer Tätigkeit).

Auszugehen ist bei der Bemessung natürlichvom Einzelfall. Bei der Altersdiskriminierung –wie auch bei den anderen Diskriminierungstat-beständen – ist zu berücksichtigen, dass essich per se um eine entschädigungspflichtigePersönlichkeitsverletzung handelt. Die von derRechtsprechung in den Mobbingfällen zu tref-fende Abwägung, ob ein Schmerzensgeld erfor-derlich ist, hat der Gesetzgeber selbst in § 15Abs.  2 AGG vorgenommen und im Grundsatzbejaht. Die vom VG Frankfurt bemessene Ent-schädigungshöhe bleibt im Rahmen des § 287ZPO und ergibt sich, wenn man die von derRechtsprechung angenommenen Kriterien (vgl.o.) zugrunde legt. Dabei ist insbesondere zuberücksichtigen, dass die Diskriminierung 90Monate angedauert hat und dem Dienstherrndas Problem bekannt gewesen ist. Eine Ent-schädigung, die dann doch wieder ca. 100 Eu-ro pro Monat beträgt, ist angemessen. Dabeispielt es keine Rolle, dass der Kläger zunächstdiesen Betrag als Summe der Differenzbeträgezur Höchststufe eingeklagt hatte. Da der Klägernicht mehr verlangt hat, ist das Verwaltungsge-richt durch den Klageantrag gebunden. DieserAnspruch besteht unabhängig von einem mate-riellen Schadensersatz.

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III. Fristbeginn gem. § 15 Abs. 4 AGG

Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2Satz 1 AGG ist nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG in-nerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlichgeltend zu machen. Nach der Rechtsprechungsetzt der Fristbeginn voraus, dass „der Ent-schädigungsanspruch nach dem Lebenssach-verhalt individualisiert und der ungefähren Hö-he nach angegeben werden muss“ (BVerwG,Beschl.  v. 16.04.2013 - 2 B 145/11). Das VGFrankfurt bezieht den Fristbeginn bei der vorlie-genden andauernden Diskriminierung zu Rechtauf die letzte Diskriminierungshandlung (2014)und bejaht den Anspruch. Hätte man dage-gen auf die erste schriftliche Geltendmachungdes Klägers im Dezember 2012 abgestellt, wä-ren nur Ansprüche zwei Monate vor diesemZeitpunkt erfasst worden. Damit berücksichtigtdas Gericht konsequenterweise die Besonder-heit, dass es sich um einen Entschädigungsan-spruch aufgrund eines Dauertatbestandes han-delt. Bei der z.T. abweichenden verwaltungs-gerichtlichen Rechtsprechung, die diese Beson-derheit nicht berücksichtigt (z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Urt.  v. 25.02.2016 - OVG 7 B21.15; VG Greifswald, Urt. v. 14.10.2015 - 6 A1139/12 und die in der Entscheidung des VGFrankfurt zitierten Entscheidungen) ist schonnicht klar, wie der Kläger die Höhe des An-spruchs vor Ende der Diskriminierungshand-lung angeben soll. Nach den in der Rechtspre-chung zugrunde gelegten Kriterien hängt dieHöhe des Entschädigungsanspruchs auch vonder Dauer der Diskriminierung ab. Deshalb kannder Kläger die ungefähre Höhe erst nach Be-endigung der diskriminierenden Handlung an-geben. In der arbeitsgerichtlichen Rechtspre-chung ist die Berücksichtigung des Dauertat-bestandes bei Schmerzensgeldansprüchen we-gen Persönlichkeitsverletzung anerkannt (BAG,Urt. v. 11.12.2014 - 8 AZR 838/13; LArbG Ros-tock, Urt.  v. 21.07.2015 - 2 Sa 36/15; LArbGMainz, Urt.  v. 29.10.2015 - 2 Sa 193/15). Fürden gesetzlich kodifizierten Anspruch der Per-sönlichkeitsverletzung aufgrund einer Diskrimi-nierung im Rahmen des § 15 Abs. 2 Satz 1 AGGgilt nichts anderes.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, dass in der Rechtspre-chung grundlegende Fragen des Diskriminie-

rungsschutzes – wie die Bemessung der Ent-schädigungshöhe oder der Fristbeginn gem.§ 15 Abs. 4 AGG – noch nicht abschließend ge-klärt sind. In der Entscheidung werden dieseFragen im Einklang mit dem europäischen undnationalen Recht beantwortet.

Es ist zu hoffen, dass sich die Ansicht desVG Frankfurt in der verwaltungsgerichtlichenRechtsprechung durchsetzt. Zum einen ist dannder Fristbeginn nach § 15 Abs. 4 AGG – wie imArbeitsrecht – mit Abschluss der letzten Hand-lung rechtsklar festgelegt. Zum anderen hat derKläger in diesem Fall eine realistische Möglich-keit, Ansprüche im Sinne einer wirksamen Sank-tion vor Gericht durchzusetzen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Ent-scheidung

Das VG Frankfurt bejaht die Voraussetzungendes unionsrechtlichen Haftungsanspruchs.

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Verbilligte Parkraumüberlassung anArbeitnehmer

Leitsätze:

1. Überlässt ein Unternehmer nur seinenAngestellten gegen Kostenbeteiligung Park-raum, erbringt er damit eine entgeltlicheLeistung.

2. Die Besteuerung unentgeltlicher Leistun-gen erlaubt keinen Rückschluss auf die Be-steuerung von Dienstleistungen, die der Un-ternehmer gegen verbilligtes Entgelt er-bringt.

Anmerkung zu BFH, Urteil vom  14.01.2016,V R 63/14von Prof. Dr. habil. Heinrich Weber-Grellet,Vors. RiBFH a.D.

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A. Problemstellung

Problematisch war die umsatzsteuerrechtlicheBeurteilung einer Parkraumüberlassung an Ar-beitnehmer gegen Kostenbeteiligung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin war eine – in der Rechtsform ei-ner Personengesellschaft betriebene – Partner-schaftsgesellschaft. In der näheren Umgebungihres Unternehmensorts gab es nur wenigeParkplätze, auf denen zudem nicht länger alszwei Stunden geparkt werden durfte. Mitarbei-ter der Klägerin, die von Auswärtsterminen (Ge-richtsterminen oder Mandantengesprächen) zu-rückkehrten, hatten regelmäßig Schwierigkei-ten, einen öffentlichen Parkplatz zu finden; zu-dem unterbrachen die Mitarbeiter ihre Arbeitmehrmals täglich, um eine neue Parkberechti-gung zu erwerben. Zur Ermöglichung eines un-gestörten Betriebsablaufs mietete die Klägerinin den Streitjahren 2009 und 2010 deshalb Plät-ze für das Abstellen von Fahrzeugen in einemParkhaus am Unternehmensort für monatlich 55Euro pro Stellplatz an, um diese ihren Mitarbei-tern zur Verfügung zu stellen. Die Mitarbeiterwaren nur parkberechtigt, wenn sie sich – aufder Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung– an den Parkraumkosten mit 27 Euro monatlichbeteiligten. Diese Zahlungen behielt die Kläge-rin unmittelbar vom Gehalt des jeweiligen Mit-arbeiters ein.

Zunächst versteuerte die Klägerin die Mitar-beiterzahlungen als Entgelt für steuerpflichti-ge Leistungen. Nach Bekanntwerden einer Ver-fügung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vom28.01.2009 zur Anwendung „unentgeltlicheroder verbilligter Überlassung von Parkplätzenan Arbeitnehmer“ (UStR 2009, 357) stellte siedie Umsatzversteuerung ein. Das Finanzamtging indes von steuerbaren und steuerpflich-tigen (sonstigen) Leistungen an die Mitarbei-ter aus. Für Zwecke der Bemessungsgrundlageberücksichtigte es die tatsächlichen Zahlungender Mitarbeiter und änderte die Umsatzsteuer-bescheide für 2009 und 2010. Das Finanzge-richt führte aus, die Klägerin habe mit der Park-raumüberlassung sonstige Leistungen erbracht;der Leistungscharakter sei nicht aufgrund ei-nes überwiegenden betrieblichen Interesses derKlägerin an der Parkraumüberlassung entfallen

(FG Düsseldorf, Urt. v. 23.05.2014 - 1 K 1723/13U - EFG 2014, 1996).

Der BFH wies die Revision als unbegründet zu-rück. Das Finanzgericht habe die Steuerbarkeitder Parkraumüberlassung durch die Klägerin anihre Angestellten gegen verbilligtes Entgelt zu-treffend bejaht. Die Klägerin habe mit der verbil-ligten Parkraumüberlassung an ihre Angestell-ten entgeltliche Leistungen erbracht. Nach § 1Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterlägen der Umsatz-steuer die Lieferungen und sonstigen Leistun-gen, die ein Unternehmer im Inland gegen Ent-gelt im Rahmen seines Unternehmens ausfüh-re. Die Klägerin habe ihren Angestellten gegenKostenbeteiligung und damit entgeltlich Park-raum überlassen. Unerheblich sei, dass die Klä-gerin diese Leistungen (überwiegend) zu unter-nehmerischen Zwecken erbracht habe. Entge-gen den Ausführungen der Klägerin gehe dieRechtsprechung davon aus, dass entgeltlicheLeistungen auch dann vorlägen, wenn sie -– wieim Streitfall – verbilligt erbracht würden (z.B.BFH, Urt. v. 27.02.2008 - XI R 50/07 - BStBl II2009, 426 Rn. 9). Entgegen der Auffassung derKlägerin erlaube die Besteuerung unentgeltli-cher Leistungen keinen Rückschluss auf die Be-steuerung gegen verbilligtes Entgelt erbrachterDienstleistungen (EuGH, Urt. v. 16.10.1997 - C-258/95 Rn. 29 f.).

Einer Vorlage an den EuGH bedürfe es nicht;wer Parkraum gegen Entgelt – auch an das eige-ne Personal – überlasse, verschaffe unzweifel-haft einen verbrauchsfähigen Vorteil i.S.d. Art. 2Abs. 1 lit. c MwStSystRL.

C. Kontext der Entscheidung

Zugrunde liegen der Entscheidung Ausführun-gen zum Leistungsbegriff. Überlasse ein Unter-nehmer seinen Angestellten gegen Kostenbe-teiligung Parkraum, erbringe er damit eine ent-geltliche Leistung; davon abzugrenzen sei dieBesteuerung unentgeltlicher Leistungen.

Hätte der Arbeitgeber die Leistung unentgelt-lich zur Verfügung gestellt, wäre der Leistungs-charakter aufgrund eines überwiegenden be-trieblichen Interesses der Klägerin an der Park-raumüberlassung entfallen. Diese Auffassungentspricht der in UStAE 2010 1.8. Abs. 4 Nr. 5geäußerten Verwaltungsmeinung; danach istdas Zurverfügungstellen von Parkplätzen auf

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dem Betriebsgelände regelmäßig eine nichtsteuerbare Leistung, da die Befriedigung desprivaten Bedarfs durch betriebliche Zweckeüberlagert werde.

Anders verhält es sich bei Parkraumüberlassunggegen Entgelt oder Teilentgelt. Bei sonstigenLeistungen, die ein Unternehmer an sein Per-sonal aufgrund des Dienstverhältnisses gegenein nicht kostendeckendes Entgelt ausführt,ist nach Auffassung der Verwaltung grundsätz-lich die Mindestbemessungsgrundlage anzuset-zen; Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteu-er seien in diesen Fällen die höheren Kostenund nicht das vereinbarte Entgelt. Die Mindest-bemessungsgrundlage könne aber nicht aufdie verbilligte Überlassung von Parkplätzen aufdem Betriebsgelände angewendet werden, weildiese Leistungen bei einer unentgeltlichen Leis-tungserbringung nicht der Umsatzsteuer unter-lägen. Daher sei in diesen Fällen nur das vomArbeitnehmer entrichtete Entgelt als Bemes-sungsgrundlage anzusetzen (OFD Karlsruhe v.28.01.2009, UStR 2009, 357); dieser Auffassungist der BFH – unausgesprochen – gefolgt.

Auch in lohnsteuerrechtlicher Hinsicht bestehtbei der Überlassung von Parkplätzen des Ar-beitgebers an den Arbeitnehmer typischerwei-se ein „überwiegend eigenbetriebliches Inter-esse des Arbeitgebers“; die Überlassung vonParkplätzen eines Unternehmens an die Arbeit-nehmer ist regelmäßig nicht als steuerpflich-tiger Arbeitslohn zu werten (vgl. Schmidt/Krü-ger, EStG, 35. Aufl. 2016, § 19 Rn. 100 „Kraft-fahrzeuggestellung“ (2); Broemel/Endert, BBK2015, 218).

D. Auswirkungen für die Praxis

Umsatzsteuerrechtlich liegt bei der teilentgeltli-chen Parkraumüberlassung an Arbeitnehmer ei-ne – entgeltliche – Leistung vor: Der Arbeitge-ber muss die Umsatzsteuer in Rechnung stel-len und abführen, wird aber durch die Zahlungdes Arbeitnehmers entlastet. Der Arbeitnehmerhat die Umsatzsteuer zu zahlen, kann aberseinerseits – dem Grunde nach – die gesam-ten Kosten (Parkkosten einschl. Umsatzsteuer)als Werbungskosten abziehen, wobei aber dar-auf hinzuweisen ist, dass bei Fahrten zwischenWohnung und Arbeitsstätte gem. §  9 Abs.  1Nr. 4, Abs. 2 EStG auch die Parkgebühren durch

die Entfernungspauschale abgegolten sind (vgl.Schmidt/Loschelder, EStG, § 9 Rn. 196).

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Rechtswidrige Prämie von Arbeitgeberfür Gewerkschaftsaustritt

Orientierungssätze zur Anmerkung:

1. Das Versprechen einer Mitarbeitertreue-prämie oder sonstiger Vorteile durch denArbeitgeber an Mitarbeiter für den Fall,dass sie eine verbindliche Kündigungsbestä-tigung ihrer bisherigen Mitgliedschaft in ei-ner Arbeitnehmervertretung vorweisen kön-nen, stellt eine Verletzung der Koalitions-freiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG dar und begrün-det einen Unterlassungsanspruch.

2. Das gilt auch für das Aushängen von Mit-teilungen im Betrieb des Arbeitgebers, inwelchen darauf hingewiesen wird, dass mansich im Büro einen Vordruck für die Kün-digung abholen könne, wenn man aus derGewerkschaft austreten möchte, sowie dieBefragung der Mitarbeiter dahingehend, obsie Mitglied einer Gewerkschaft sind, es seidenn, es besteht ein rechtlich anerkennens-werter Grund, sowie ferner die mündlicheoder schriftliche Aufforderung, aus der Ge-werkschaft auszutreten.

Anmerkung zu ArbG Gelsenkirchen, Urteil vom 09.03.2016, 3 Ga 3/16von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FAfür Arbeitsrecht, Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP,Düsseldorf / Louisa Kallhoff, RA'in, München

A. Problemstellung

Die Gewerkschaftsmitgliedschaft ihrer Mitar-beiter ist häufig ein störender Faktor für Ar-beitgeber. Etwaige Versuche, den Einfluss vonGewerkschaften im eigenen Unternehmen zuschmälern, können jedoch eine Verletzung derKoalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG darstel-len. So musste sich das ArbG Gelsenkirchenjüngst mit der Frage befassen, ob die Zahlungeiner Prämie durch den Arbeitgeber für den

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Fall des Gewerkschaftsaustritts seiner Arbeit-nehmer rechtmäßig ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Bundesvorstand der IndustriegewerkschaftBauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) machte im einst-weiligen Verfügungsverfahren Unterlassungs-ansprüche gegenüber einem Arbeitgeber we-gen Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheitaus Art. 9 Abs. 3 GG geltend. Bei dem Arbeitge-ber handelt es sich um ein Reinigungsunterneh-men, das zwischen 200 und 250 Mitarbeiter be-schäftigt.

Das Unternehmen hatte seine Arbeitnehmer inMitarbeitergesprächen zunächst dazu befragt,ob sie Mitglied in einer Gewerkschaft seien. An-schließend verschickte der Arbeitgeber an al-le Mitarbeiter ein Rundschreiben, in dem je-dem, der eine verbindliche Kündigungsbestäti-gung seiner bisherigen Mitgliedschaft in einerGewerkschaft vorweisen kann, eine einmalige„Mitarbeitertreueprämie“ in Höhe von 50 Euroversprochen wurde. Ferner wurde den Arbeit-nehmern ein Vordruck für die Kündigungserklä-rung der Gewerkschaftsmitgliedschaft zur Ver-fügung gestellt, worauf durch Aushänge im Be-trieb aufmerksam gemacht wurde. Damit re-agierte das Unternehmen nach eigenem Vor-bringen auf eine Werbeaktion der Gewerk-schaft.

Das ArbG Gelsenkirchen hat einen Unterlas-sungsanspruch der Gewerkschaft nach den§§  1004 Abs.  1, 823 Abs.  1 BGB i.V.m. Art.  9Abs. 3 GG bejaht.

Das Versprechen einer „Mitarbeitertreueprä-mie“ gegenüber den Mitarbeitern bei Vor-weis einer Kündigungsbestätigung ihrer bishe-rigen Gewerkschaftsmitgliedschaft beeinträch-tige die kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheitder Gewerkschaft. Dieses Verhalten ziele dar-auf ab, finanzielle Anreize für einen Austritt ausder Gewerkschaft zu schaffen und damit Ein-fluss auf deren Mitgliederbestand zu nehmen.Entsprechendes gelte für den Hinweis auf vor-gefertigte Kündigungsschreiben sowie für eineschriftliche oder mündliche Aufforderung, ausder Gewerkschaft auszutreten.

Auch die Befragung der Mitarbeiter nach ihrerMitgliedschaft in einer Gewerkschaft sei eine

gegen die koalitionsspezifische Betätigungsfrei-heit gerichtete Maßnahme. Die von den Arbeit-nehmern geforderten Auskünfte würden demUnternehmen Kenntnis vom Umfang des Mit-gliederbestandes der Gewerkschaft in ihremUnternehmensbereich sowie dessen konkreterinnerbetrieblichen Verteilung verschaffen.

Das ArbG Gelsenkirchen hat angenommen,dass es dem Unternehmen darum ging, seineMitarbeiter zu einem Austritt aus der Gewerk-schaft zu bewegen. Damit habe es gleichzeitigauch ein Signal für die Mitarbeiter gesetzt, dieunter Umständen einen Beitritt in Erwägung zo-gen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des ArbG Gelsenkirchen stehtim Einklang mit der Rechtsprechung des BAG zuder in Art. 9 Abs. 3 GG normierten Koalitions-freiheit. Danach dürfen Arbeitnehmer, die sicheiner Gewerkschaft anschließen wollen, darannicht durch wirtschaftlichen Druck gehindertwerden. Sie müssen sich frei für den Beitritt zueiner Gewerkschaft entscheiden können. Sindsie bereits Mitglied einer Gewerkschaft, darf derArbeitgeber in keiner Weise versuchen, sie zumAustritt zu bewegen.

Dementsprechend hat es das BAG etwa fürunzulässig erklärt, die Einstellung eines Mit-arbeiters von dem Austritt aus einer Gewerk-schaft abhängig zu machen (BAG, Urt.  v.02.06.1987 - 1 AZR 651/85) oder von vornher-ein klarzustellen, dass nur Nichtgewerkschafts-mitglieder eingestellt werden (BAG, Beschl.  v.28.03.2000 - 1 ABR 16/99). Insbesondere dieBefragung von Mitarbeitern nach ihrer Gewerk-schaftszugehörigkeit durch den Arbeitgeber imZusammenhang mit Tarifvertragsverhandlun-gen und bevorstehenden Arbeitskampfmaßnah-men stellt nach dem BAG eine gegen diegewerkschaftliche Koalitionsbetätigungsfreiheitgerichtete Maßnahme dar (vgl. BAG, Urt.  v.18.11.2014 - 1 AZR 257/13).

D. Auswirkungen für die Praxis

Arbeitgeber sollten von jedweder Beeinflussungihrer Mitarbeiter im Hinblick auf Gewerkschafts-mitgliedschaft absehen. Die Aufforderung, ausder Gewerkschaft auszutreten, stellt eine Ver-

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letzung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3GG dar und begründet einen Unterlassungsan-spruch – unabhängig davon, ob hierfür ein finan-zieller Anreiz geschaffen wird. Auch das Anbie-ten vorgefertigter Kündigungserklärungen zumGewerkschaftsaustritt der Mitarbeiter kann alseine solche Beeinflussung eingestuft werden.Bereits die Befragung von Arbeitnehmern da-hingehend, ob sie Mitglied einer Gewerkschaftsind, verstößt gegen Art.  9 Abs.  3 GG, so-fern kein rechtlich anerkennenswerter Grundbesteht.

Ist über einen derartigen Unterlassungsan-spruch erst entschieden, drohen bei Zuwider-handlung Ordnungsgelder in empfindlicher Hö-he. Das ArbG Gelsenkirchen setzte vorliegendein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro fürjeden Fall der Zuwiderhandlung fest, das jeden-falls 4.000 Euro im Einzelfall nicht unterschrei-tet.

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Schriftform für Abwicklungsvertrag mitSprinterklausel

Leitsatz:

Ein Abwicklungsvertrag kann für den Arbeit-nehmer die Möglichkeit vorsehen, sein vor-zeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsver-hältnis zu erklären. Eine solche Erklärungbedarf jedoch gemäß §  623 BGB zwingendder Schriftform.

Anmerkung zu BAG, Urteil vom  17.12.2015,6 AZR 709/14von Dr. Mathias Maul-Sartori, RiArbG

A. Problemstellung

Nach der arbeitgeberseitigen Kündigung schlie-ßen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht sel-ten eine Vereinbarung über die Abwicklung desArbeitsverhältnisses. Ziel ist es, eine arbeits-gerichtliche Auseinandersetzung über die Wirk-samkeit der Kündigung zu vermeiden oder zubeenden. Typischerweise erkennt der Arbeit-nehmer in der Vereinbarung die Beendigungs-wirkung der Kündigung zum Ablauf der ordent-

lichen Kündigungsfrist an. Hierfür kann er sichVorteile einhandeln, insbesondere Abfindungs-zahlungen. In der Praxis werden häufig zusätz-lich „Sprinterklauseln“ vereinbart: Dem Arbeit-nehmer wird die Möglichkeit eingeräumt, dasArbeitsverhältnis mit kurzer Frist vorzeitig d.h.vor Ablauf der Kündigungsfrist zu beenden. Dadie vorzeitige Beendigung für den Arbeitgebervorteilhaft sein kann – er erspart sich ansons-ten bis zum Beendigungszeitpunkt entstehen-de Entgeltansprüche –, vereinbaren die Partei-en häufig für den Fall der Ausübung des Beendi-gungsrechts eine Erhöhung der Abfindungszah-lung.

Die vorliegende Entscheidung befasst sich mitder Frage, in welchem Verhältnis solche Sprin-terklauseln zu den gesetzlichen Anforderungenan die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ste-hen. Insbesondere ist Gegenstand, ob die aufeine solche Klausel gestützte Beendigungser-klärung dem gesetzlichen Schriftformerforder-nis für Kündigungen unterfällt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien hatten zur Beilegung einer zuvorgeführten arbeitsgerichtlichen Auseinanderset-zung über die Wirksamkeit einer arbeitgeber-seitigen ordentlichen Kündigung eine Abwick-lungsvereinbarung einschließlich Sprinterklau-sel geschlossen. Danach konnte die Arbeitneh-merin während des Laufes der Kündigungsfristdas Arbeitsverhältnis vorzeitig durch schriftli-che Anzeige beenden. Dabei hatte sie eine An-kündigungsfrist von drei Tagen zu beachten. Fürjeden Tag des vorzeitigen Ausscheidens solltesich die der Arbeitnehmerin eingeräumte Abfin-dung um einen bestimmten Betrag erhöhen.

In der Folge übersandte der Prozessbevollmäch-tigte der Arbeitnehmerin dem Prozessbevoll-mächtigten der Arbeitgeberin ein Fax-Schrei-ben, in dem er für die Arbeitnehmerin die vor-zeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses er-klärte. Die Arbeitgeberin erkannte die Beendi-gung und die deshalb drohende Verpflichtungzu weiteren Abfindungszahlungen nicht an, son-dern kündigte erneut, dieses Mal fristlos. Dar-aufhin leitete die Arbeitnehmerin das vorlie-gend gegenständliche arbeitsgerichtliche Ver-fahren ein. Im Streit waren zunächst die Wirk-samkeit sowohl der fristlosen Kündigung als

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auch der Beendigungserklärung aus dem Fax-Schreiben.

Den Ausspruch des Arbeitsgerichts zur Unwirk-samkeit der fristlosen Kündigung ließen die Par-teien rechtskräftig werden. Hinsichtlich der Be-endigungserklärung führten sie ein Berufungs-verfahren, in dem das Landesarbeitsgericht aufderen Wirksamkeit erkannte.

Auf die Revision der Arbeitgeberin hat das BAGdie landesarbeitsgerichtliche Entscheidung auf-gehoben und die Berufung der Arbeitnehme-rin gegen die erstinstanzliche Antragszurück-weisung zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BAG ist das Fax-Schrei-ben als Kündigung wegen Verfehlung der ge-setzlichen Schriftform aus §  623 BGB unwirk-sam. Die in der Abwicklungsvereinbarung vor-gesehene vorzeitige Beendigung sei eine Kün-digung im Sinne der Vorschrift, weil die Anzei-ge als Willenserklärung gestaltend zur Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses führen solle. Ver-gleichbar sei die Lossagung vom Arbeitsverhält-nis nach Stattgabe der Kündigungsschutzkla-ge gemäß § 12 KSchG, für die die Anwendbar-keit des Schriftformerfordernisses weithin an-erkannt sei. Auch für die streitgegenständlichevorzeitige Beendigung könne das gesetzlicheSchriftformerfordernis zu Rechtssicherheit undBeweiserleichterung beitragen und erfülle mitdem Erfordernis der eigenhändigen Unterschriftseine Identitäts-, Echtheits- und Verifikations-funktion.

Die Schriftlichkeit der Abwicklungsvereinba-rung sei nicht ausreichend. Zwar beruhe die Be-endigungserklärung auf der Abwicklungsverein-barung, sie werde dadurch aber nicht – wie esdas Berufungsgericht gemeint hatte – zu derenbloßen Abänderung hinsichtlich Beendigungs-zeitpunkt und Abfindungshöhe (LArbG Stutt-gart, Urt.  v. 20.08.2014 - 9 Sa 40/14 Rn. 38).Die vom Landesarbeitsgericht herangezogenenVergleiche mit der formfreien Ausübung einesin einem notariell beglaubigten Vertrag übereinen Grundstückskauf eingeräumten Options-rechts oder mit einer Blankettunterschrift trü-gen nicht. Eine Vergleichbarkeit bestünde in-soweit nicht, da es an den für den notariellenVertrag vorgegebenen Belehrungen fehle bzw.ein Blankett nicht erteilt worden sei. Vielmehrbleibe nach der Vereinbarung die formgerechte

Abgabe der Beendigungserklärung allein Sacheder Arbeitnehmerin.

C. Kontext der Entscheidung

Der Schwerpunkt der Entscheidung liegt beiden Ausführungen zu § 623 BGB. Die Vorschriftstellt für die Beendigung von Arbeitsverhält-nissen u.a. durch Kündigung ein Schriftformer-fordernis auf. Bereits der Wortlaut macht da-bei klar, dass es sich um ein konstitutives For-merfordernis handelt. Die Kündigung bedarf derSchriftform zu ihrer Wirksamkeit.

Hinsichtlich der Anforderungen an die gesetzli-che Schriftform ist § 126 BGB einschlägig. DieKündigung muss der Gegenseite als von der ei-genhändigen Unterschrift abgeschlossener Textzugegangen sein. Dies ist bei einem Fax-Schrei-ben, das bei dem Empfänger nur eine Kopie derbei dem Absender verbleibenden Urkunde wie-dergibt, nicht der Fall. Wie es der Senat deut-lich macht, gelten insoweit für das Schriftfor-merfordernis aus §  623 BGB die allgemeinenAnforderungen, wie sie in der Rechtsprechungetwa zur gesetzlich vorgegebenen Schriftlich-keit des Tarifvertragsschlusses anerkannt sind(BAG, Urt.  v. 07.07.2010 - 4 AZR 1023/08Rn. 14). Die Erleichterungen, die gemäß § 127BGB für die vereinbarte Schriftform einschließ-lich des Genügens einer Erklärung durch Fax-Schreiben (Arnold in: Erman, BGB, 14.  Aufl.2014, § 127 Rn. 7) gelten, sind nicht auf die ge-setzliche Schriftform anwendbar. Jede Verein-barung einer Formerleichterung, wie sie etwain der vorliegend zu beurteilenden Sprinterklau-sel gefunden werden könnte, ist wegen der Un-abdingbarkeit des § 623 BGB ausgeschlossen.Daher hängt die Entscheidung des Rechtsstreitsvon der Beantwortung der Frage ab, ob § 623BGB auf die Beendigungserklärung im Rahmenvon Sprinterklauseln in Abwicklungsvereinba-rungen anwendbar ist.

Überzeugend bejaht das BAG diese Frage. Inder Tat ist die Beendigungserklärung der Sa-che nach die Kündigung eines Arbeitsverhältnis-ses. Als einseitige empfangsbedürftige Willens-erklärung soll sie entsprechend dem erklärtenWillen des Arbeitnehmers zur vorzeitigen Be-endigung des Arbeitsverhältnisses führen. Diedagegen von der Klägerin angeführte Überle-gung, es handele sich infolge der zusätzlich inden Abwicklungsvertrag aufgenommenen unwi-

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derruflichen Freistellung nicht mehr um die Be-endigung eines Arbeitsverhältnisses, sondernum die Beendigung eines Freistellungsverhält-nisses, erscheint als bloße Wortakrobatik. Auchwährend Freistellungszeiten ist es das Arbeits-verhältnis, das fortbesteht.

Nicht so einfach von der Hand zu weisen sinddagegen die Überlegungen zu dem Verhältnisvon Beendigungserklärung und Abwicklungs-vereinbarung. In der Tat vereinbaren die Partei-en in der Abwicklungsvereinbarung Regelungenüber die Beendigungswirkung einer als möglichins Auge gefassten zukünftigen Erklärung. Den-noch wird die Erklärung dadurch nicht zu einerbloßen Abänderung des nach der Abwicklungs-vereinbarung ansonsten vorgesehenen Been-digungsdatums. Eine solche Betrachtung ver-kennt deren Wesen. Das Arbeitsverhältnis wirdnicht durch die Abwicklungsvereinbarung been-det, sondern durch die vorausgegangene Kün-digung seitens des Arbeitgebers (BAG, Urt.  v.23.11.2006 - 6 AZR 394/06 Rn. 18). Deren Been-digungswirkung erkennt der Arbeitnehmer nuran. Den durch die vorausgegangene Kündigungvorgegebenen Beendigungszeitpunkt kann dieBeendigungserklärung seitens des Arbeitneh-mers nicht abändern, vielmehr muss sie eigen-ständig und damit als Kündigung die vorzeitigeBeendigung des Arbeitsverhältnisses herbeifüh-ren.

Der vom BAG vorgenommene Vergleich mit § 12KSchG überzeugt ebenfalls. Dort ist geregelt,dass der mit der Kündigungsschutzklage obsie-gende Arbeitnehmer, der zwischenzeitlich einanderes Arbeitsverhältnis eingegangen ist, bin-nen einer Woche nach Eintritt der Rechtskraftder Entscheidung durch Erklärung gegenüberdem bisherigen Arbeitgeber die Fortsetzung desArbeitsverhältnisses verweigern kann. Diese so-genannte Lossagung ist der Sache nach eben-falls als Kündigung zu qualifizieren, ohne dasses auf das Fehlen einer entsprechenden aus-drücklichen Bezeichnung im Gesetz ankäme.Wegen der Qualifizierung als Kündigung ist dasSchriftformerfordernis aus §  623 BGB auf dieLossagung anwendbar (vgl. die umfassendenNachweise bei Rn. 41).

Der Vergleich mit der Lossagung ist weiter Aus-gangspunkt für die Überlegungen des BAG zurFristgebundenheit der vorzeitigen Beendigung.Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhält-nisses, auch wenn sie durch den Arbeitnehmer

erfolgt, ist nach der Vorschrift in § 622 Abs. 1BGB nur unter Beachtung einer Kündigungs-frist von vier Wochen zur Mitte oder zum Endedes Kalendermonats zulässig. Würde diese Min-destkündigungsfrist auf die Beendigungsanzei-ge anwendbar sein, hätte dies zur Folge, dassdie Sprinterklausel unwirksam wäre oder zumin-dest nur modifiziert unter Annahme der Geltungeiner entsprechend verlängerten Frist aufrecht-erhalten werden könnte.

Die Fristlosigkeit der Lossagung – das Arbeits-verhältnis endet nach der Regelung in § 12 Satz3 KSchG mit deren Zugang bei dem Arbeitge-ber – nimmt der Senat als Anhalt dafür, dassüber die gesetzliche Regelung in § 622 Abs. 5BGB hinaus einzelvertragliche Abweichungenvon der Grundkündigungsfrist zulässig sein kön-nen. Weil ähnlich wie bei der Lossagung Arbeit-nehmer und Arbeitgeber bei der Wahrnehmungdes vorzeitigen Beendigungsrechts aus einerAbwicklungsvereinbarung des entsprechendenSchutzes nicht bedürfen, bleibt die Beendigungim Rahmen der Sprinterklausel von der Beach-tung der Grundkündigungsfrist freigestellt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Praxis wird sich an der Entscheidung ori-entieren können. Wird in einer Abwicklungsver-einbarung eine Sprinterklausel vereinbart, wo-nach der Arbeitnehmer durch entsprechendeAnzeige das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des an-erkannten Wirkungszeitpunkts der Kündigungbeenden kann, so hat eine solche Erklärungschriftlich zu erfolgen. Die unterschriebene Be-endigungserklärung muss dem Arbeitgeber imOriginal zugehen. Wegen der Anwendbarkeitvon § 623 BGB gilt dies von Gesetzes wegen.Eine vertragliche Abweichung von den Anforde-rungen der gesetzlichen Schriftform ist im Hin-blick auf die Unabdingbarkeit von §  623 BGBausgeschlossen.

Hinsichtlich der Frist zwischen Zugang der Be-endigungserklärung und Ende des Arbeitsver-hältnisses bleiben dagegen vertragliche Spiel-räume gewahrt. Die Grundkündigungsfrist vonvier Wochen aus § 622 Abs. 1 BGB ist auf Sprin-terklauseln nicht zwingend anwendbar. Die Par-teien können kürzere Fristen vereinbaren undso den beidseitigen Interessen ggf. besser ge-recht werden.

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Allerdings verbleiben insoweit Unsicherheiten.Die Anforderungen, die eine Sprinterklausel er-füllen muss, um von der Grundkündigungsfristaus § 622 Abs. 1 BGB abweichen zu dürfen, wer-den in der Entscheidung nicht abschließend ent-wickelt. Die Ausführungen des Senats beziehensich auf die konkret zu beurteilende Vertrags-gestaltung. Das fehlende Schutzinteresse leiteter insbesondere aus der Regelung zur Erhöhungder Abfindung her, die der Arbeitnehmer mit dervorzeitigen Beendigung anstrebe und die derArbeitgeber zum Zwecke der möglichst frühzei-tigen Beendigung zu zahlen bereit sei.

Dennoch dürfte auch die vorzeitige Been-digungsmöglichkeit ohne Abfindungserhöhungvon der Beachtung der Grundkündigungsfristaus §  622 Abs.  1 BGB freigestellt sein. Aus-schlaggebend ist die Einordnung in die Ab-wicklungsvereinbarung. Typisch für die End-phase eines Arbeitsverhältnisses ist es, dassder Arbeitnehmer eine Anschlussbeschäftigungsucht (vgl. §  629 BGB) und ggf. nach denWünschen des neuen Arbeitgebers kurzfristigaufnehmen will. Wenn beide Parteien des vorder Beendigung stehenden Arbeitsverhältnis-ses dies berücksichtigen und dem Arbeitneh-mer eine kurzfristige Beendigungsmöglichkeiteinräumen wollen, so sollte dies zulässig sein,auch wenn eine Abfindungserhöhung nicht ver-einbart wird bzw. die Abwicklungsvereinbarungüberhaupt keine Abfindung vorsieht.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Ent-scheidung

Hingewiesen werden soll auf die Ausführun-gen des Senats zum Streitgegenstand von Kün-digungsschutzklagen als einem in der Praxisgelegentlich nicht genügend beachteten Pro-blem. Vorliegend hatten die Parteien den ar-beitsgerichtlichen Ausspruch zur Unwirksam-keit der fristlosen Kündigung rechtskräftig wer-den lassen. Hieraus drohte die Unzulässigkeitdes Feststellungsbegehrens hinsichtlich der Be-endigung durch das Fax-Schreiben. Nach demsogenannten erweiterten punktuellen Streitge-genstandsbegriff ist nämlich mit der rechtskräf-tigen Stattgabe der Kündigungsschutzklage zu-gleich rechtskräftig festgestellt, dass im Zeit-punkt des Kündigungszugangs ein Arbeitsver-hältnis bestand, das nicht schon zuvor durchandere Ereignisse aufgelöst worden ist (BAG,

Urt.  v. 20.03.2014 - 2 AZR 1071/12 Rn.  17;Hesse in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungs-schutzrecht, 4. Aufl. 2012, § 4 KSchG Rn. 134;Kiel in: ErfKomm, 16.  Aufl. 2016, §  4 KSchGRn. 30). Als ein solcherart ausgeschlossener frü-herer Beendigungsgrund kam vorliegend dasFax-Schreiben in Betracht, das nach dem imBerufungsverfahren noch anhängigen Klagean-trag das Arbeitsverhältnis vor Zugang der alsunwirksam festgestellten fristlosen Kündigungbeendet haben sollte.

Zu beachten ist, dass es die klagende Par-tei ist, die den Streitgegenstand der Klage be-stimmt. Wie das BAG bereits in früheren Ent-scheidungen anerkannt hat, kann sie den Streit-gegenstand der Kündigungsschutzklage so be-stimmen, dass dieser den Bestand des Arbeits-verhältnisses im Zeitpunkt des Kündigungszu-gangs nicht umfasst (BAG, Urt.  v. 23.05.2013- 2 AZR 102/12 Rn.  14). Ein streitiger frü-herer Beendigungsgrund kann bei der Statt-gabe der Kündigungsschutzklage ausgeklam-mert bleiben (vgl. BAG, Urt. v. 26.03.2009 - 2AZR 633/07 Rn.  16; Gallner in: Gallner/Mest-werdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 5.  Aufl.2015, § 4 KSchG Rn. 46 ff.). Allerdings gilt diesnur, solange noch nicht die Wirksamkeit die-ses Beendigungsgrundes rechtskräftig festge-stellt ist (BAG, Urt. v. 29.01.2015 - 2 AZR 698/12Rn. 8).

Vorliegend hatte die Arbeitnehmerin den Streit-gegenstand ihrer Kündigungsschutzklage recht-zeitig eingeschränkt. Das BAG leitet dies „spä-testens“ aus der Beschränkung des Berufungs-verfahrens allein auf die Beendigung durchdas Fax-Schreiben her. Die entsprechende Ein-schränkung ergab sich aber bereits zuvor dar-aus, dass die Klägerin die Beendigung desArbeitsverhältnisses durch das Fax-Schreibenzum Gegenstand eines eigenen Antrags ge-macht hatte, der als allgemeiner Feststellungs-antrag nach §  256 ZPO den Bestand des Ar-beitsverhältnisses nur bis zu dem aus dem Zu-gang der Anzeige sich errechnenden Zeitpunktzum Gegenstand hatte. Der parallel angebrach-te Kündigungsschutzantrag war vor diesem Hin-tergrund dahin abzugrenzen, dass er den Be-stand eines Arbeitsverhältnisses im Zeitpunktdes Zugangs der fristlosen Kündigung geradenicht umfassen, sondern vielmehr die vorhe-rige Beendigung durch die Erklärung der Ar-beitnehmerin ausgeklammert bleiben sollte. Ei-ne solche Auslegung entspricht dem Klagebe-

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gehren. Die Arbeitnehmerin wollte vorrangig ei-ne Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu demaus dem Zugang des Fax-Schreibens folgendenZeitpunkt festgestellt wissen. Erst in zweiter Li-nie wandte sie sich gegen die Wirksamkeit derspäter erklärten fristlosen Kündigung. Alterna-tiv hätte sie die Entscheidung über den Kün-digungsschutzantrag unter die Bedingung desUnterliegens mit dem Feststellungsantrag stel-len können. Durch ein entsprechendes Vorge-hen wäre der Vorrangigkeit des Beendigungs-grundes aus dem Fax-Schreiben Rechnung ge-tragen und außerdem das Gerichtskostenrisikominimiert gewesen.