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Reden ist Gold und Schweigen eine Strafe Gelingende Kommunikation in Partnerschaft KerstinGirnus

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Reden ist Gold und Schweigen eine StrafeGelingende Kommunikation in Partnerschaft

KerstinGirnus

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DankeAnChristianeFrohneundAdelheidBlecke,diemichtatkräftigunterstützthabenbeiderVerwirklichungdiesesE-Books.AnmeinenMannJensGirnus,dermichimmerwiederermutigthatundmirvieleRückmeldungengegebenhat.VielenDankauchfürdieGestaltungdesCovers!AnmeineKlientenfürIhrVertrauen. ImpressumCopyrightdesE-Books„RedenistGoldundSchweigeneineStrafe“:KerstinGirnuskerstingirnuspaarcoachingAlterMarkt1033602BielefeldimSelbstverlagveröffentlichtLektorat:AdelheidBleckeCovergestaltung:Bildnachweis:FemmeCurieuse/photocase.de,bearbeitetundgestaltetdurchJensGirnusAlleRechtevorbehalten.DasWerkeinschließlichallerseinerTeileisturheberrechtlichgeschützt.JedeVerwendungaußerhalbderengenGrenzendesUrheberrechtsgesetztesistohneZustimmungdesAutorsunzulässigundstrafbar.DiesgiltinsbesonderefürVervielfältigungen,Übersetzungen,MikroverfilmungenunddieEinspeicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Einführung: Zuhören - Mitteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

I. Zuhören Wie höre ich eigentlich zu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.„Ichweißesbesser“............................................................................................................................72.Vonsichaufdenandernschließen.....................................................................................................93.WasführtzuDesinteresseinderPartnerschaft?..............................................................................104.„Wiesogreifstdumichan?“„Wieso?Duhastmichdochangegriffen!“…......................................115.100%zuhören..................................................................................................................................11

II. Mitteilen Was ich eigentlich denke, kommuniziere ich immer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.SichbeschwerenvsLösungenfinden................................................................................................132.AusstiegausdemVorwurfshamsterrad............................................................................................143.DieHölleaufErden...........................................................................................................................164.DieSinnlosigkeitdesJammerns........................................................................................................175.„MeinMannistbequemundegoistisch“.........................................................................................18

III. Reden ist Gold und Schweigen eine Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

IV. Gelingende Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.WennDumeckerst,macheichdasnicht..........................................................................................232.Istdas,wasderanderesagt,authentisch?.......................................................................................243.Soreden,dassderandereeshörenkann.Sozuhören,dassderanderegehörtwird......................254.GemeinsameLösungenfinden,beidenenallegewinnen.................................................................26

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Vorwort Ich arbeite seit 1999 als Coach und habe mich auf Beziehungs- und Paarcoaching spezialisiert. Mit der Veröffentlichung meiner Internetseite 2011 begann ich einen Blog, der sich mit partnerschaftlichen und familiären Themen beschäftigt. Es macht mir Spaß die Texte zu schreiben, auch weil ich von meinen Klienten das Feedback bekomme, dass sie sich darin wieder finden und diese hilfreich für sie sind. Daraus entstand irgendwann die Idee ein E-Book zu schreiben. Es ist keine Sammlung der Blogbeiträge, manche Abschnitte haben allerdings ihren Ursprung in einem Beitrag. In der Zwischenzeit habe ich sie viele Male erweitert, überarbeitet, verändert und wieder überarbeitet, bis ich an den Punkt gekommen bin, zu mir sagen zu können “jetzt ist es gut!“ Das E-Book ist direkt für Menschen geschrieben mit partnerschaftlichen Fragen und Problemen und nicht als Fachbuch gedacht. So eröffne ich anschaulich an vielen Beispielen Lösungen, um nicht nur theoretisch sondern ganz praktisch zu erklären, wie man mit schwierigen Situationen in Partnerschaft umgehen kann. Die Personen und somit auch die Namen und Informationen zu den Personen sind alle fiktiv, allerdings die Konflikte, die ich schildere, sind immer wieder reale Begebenheiten in den Coachinggesprächen. Das E-Book „Reden ist Gold und Schweigen eine Strafe“ beschäftigt sich mit dem Thema „Wie teile ich mich eigentlich mit?“ und „Wie höre ich zu?“ Voraussetzung, dass man miteinander Probleme lösen kann, ist eine wertschätzende Kommunikation. Es ist wie die Basis für die folgenden E-Books. Man kann das Buch von Anfang an lesen oder auch sich einzelne Kapitel raussuchen, die einen ansprechen. Jetzt wünsche ich Ihnen ein erkenntnisreiches Lesevergnügen! Kerstin Girnus

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Einführung: Zuhören - Mitteilen „Aus Kleinigkeiten entstehen bei uns riesige Streite, und wir können nicht mehr normal miteinander reden, geschweige denn unsere Probleme miteinander klären.“ Das ist eine häufige Ausgangssituation in meinen Coachinggesprächen. Es haben sich Probleme angesammelt, die Paare nicht selbst lösen kann, und damit wird auch der normale Umgang miteinander vergiftet. In jedem kleinen Streit spiegelt sich eigentlich der Hauptkonflikt des Paares. Worum geht es also eigentlich? Das ist wichtig herauszufinden, um die Beziehung zu befrieden. Im Streit wird vor allem deutlich, dass ein Konflikt besteht, geklärt bekommt man den in dieser Situation meist nicht. Um überhaupt also Probleme klären zu können, müssen wir so miteinander reden, dass der eine wirklich zuhört und der andere sich wertschätzend und sachlich mitteilt. Wenn Paare ihren Hauptkonflikt geklärt, ihre destruktive Kommunikationsstruktur erkannt haben und stattdessen anfangen, wertschätzend miteinander zu reden, sind sie in der Lage, selbst wieder ihre Probleme zu klären. Viele Paare sind schon lange zusammen und haben auch über einen längeren Zeitraum eine gute Partnerschaft geführt. Es gibt dann häufig Probleme, wenn die Lebenssituation sich ändert, zum Beispiel Kinder kommen oder die Arbeitssituation stressig wird. Anstatt unser gemeinsames Leben der neuen Situation anzupassen, versuchen wir, so weiter zu machen wie bisher, und das funktioniert dann nicht mehr. Ich habe in den folgenden Kapiteln viele Beispiele gesammelt, um Wege aufzuweisen, wie eine konstruktive und wertschätzende Kommunikationskultur funktionieren kann.

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I. Zuhören Wie höre ich eigentlich zu? Wie höre ich eigentlich zu? Bin ich ganz mit meiner Aufmerksamkeit beim anderen oder innerlich mit etwas anderem beschäftigt? Häufig bin ich mehr mit mir im inneren Dialog als mit meinem Gesprächspartner. Mit einer Freundin kann ich mich wunderbar austauschen, ich höre zu und bin ganz bei ihr, und dann erzähle ich wieder, aber mit meinem Partner gelingt es mir nur noch selten. Ich fühle mich schnell angegriffen, schieße verbal zurück und wir sind schnell in einer Streitsituation. Die Beziehungen zu Freunden haben in der Regel nicht die Intensität wie Partnerschaften. An eine Partnerschaft hat man hohe Erwartungen und Vorstellungen, manche sind einem bewusst, andere nicht. Jeder macht Erfahrungen, wie Partnerschaft funktioniert bei den eigenen Eltern, die einen unweigerlich prägen. Wenn die eigenen Eltern eine gute Partnerschaft geführt haben, dann hat man andere Bilder im Kopf, als wenn die Eltern viel gestritten haben, vielleicht auch kaum noch miteinander sprachen und eine eisige Atmosphäre zu Hause herrschte. Vielleicht sagt man ja, so, wie meine Eltern Partnerschaft gelebt haben, will ich nicht leben. Dann steht man vor der Aufgabe, etwas Neues zu erschaffen wollen. Die größte Herausforderung dabei ist, die Erfahrung, die die Eltern gemacht haben, bei ihnen zu lassen, um frei zu sein, eigene manchen zu können. Zu Beginn einer Partnerschaft sind solche übernommenen Muster nicht so spürbar. Ich bin über beide Ohren in den andern verliebt und finde ihn einfach nur großartig. Wir erzählen uns alles aus unserem Leben, und wir sind ganz gebannt voneinander. Wir fühlen eine tiefe Verbundenheit miteinander. In einer Studie wurden frisch vermählte Paare dazu befragt, wie gut sie den andern kennen und Gedanken lesen können. Die Paare besaßen diese Fähigkeit füreinander. Nach einem Jahr Ehe wurden sie noch einmal befragt, und man hat festgestellt, dass die Fähigkeit zu wissen, was der andere will, nachgelassen hat. ( Quellenangabe: „Die Kunst, Gedanken zu lesen“, Axel Wolf, aus der Psychologie Heute Compact 2013, Heft 34, Seite 44) Eigentlich würde man etwas anderes erwarten, da die Paare sich ja noch besser kennen gelernt haben, aber das Gegenteil ist passiert. Irgendwann fängt man an, den andern in Schubladen zu schieben und man denkt: „Ach, das sagt er jetzt, weil er wieder seinen Willen durchsetzen will.“ „Jetzt dramatisiert sie wieder!“

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„Immer übertreibt sie/ er!“ Wenn man anfängt zu denken, der andere ist „immer“ oder „schon wieder“ so, dann denkt man nicht mehr, der andere verhält sich nur ab und zu auf die Art und Weise, sondern der ist einfach so und kann auch gar nicht anders, das ist dann wie in Stein gemeißelt. Für das Zuhören bedeutet das, dass man nicht mehr im Gespräch beim andern ist, sondern man kategorisiert das, was der andere sagt in das innere Bild, das man von dem andern besitzt, ein. Vielleicht sagt man dann gar nichts mehr dazu, was der andere gesagt hat, oder man sagt „ja, ja, ich weiß schon.“ Für denjenigen, der sich mitteilt, ist das wie ins Leere laufen. Man merkt, man kommt mit dem, was man sagt nicht beim andern an. Wenn man das ständig im Miteinander erfährt, zieht man sich entweder zurück und sagt immer weniger, oder man wird immer vehementer, vorwurfsvoller, bis hin zu verbalen Ausfällen oder gar körperlichen Übergriffen. Es gibt Modelle, die darstellen, wie man zuhört (vgl. Schulz von Thun, Miteinander reden: 1, Störungen und Klärungen). Mir geht es hier nicht darum, ein weiteres Modell zu entwickeln, sondern einfach ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie man zuhört. Das, was der andere sagt, wichtig zu nehmen und anzunehmen, verändert schon vollständig eine Kommunikationskultur zwischen Paaren. Ich habe ein paar typische Beispiele zusammen getragen, um zu verdeutlichen, wie man zuhört, wenn man nicht dem anderen, sondern der eigenen Stimme zuhört.

1. „Ich weiß es besser“ Petra kam mit Gerd zu mir, weil sie am Ende der Abwärtsspirale angekommen waren. Er wäre nicht mitgekommen, wenn sie nicht gesagt hätte, das ist die letzte Chance, sonst würde sie sich trennen. Die gemeinsame Kommunikation wurde immer schwieriger. Sie redeten nur noch wenig miteinander, und wenn, dann kam es schnell zu Vorwürfen und Streit. Er hatte eine leitende Funktion in einer Firma und arbeitete viel. Sie war lange zuhause bei den gemeinsamen Kindern geblieben und ist erst nach ein paar Jahren wieder in den Beruf eingestiegen als Teilzeitkraft. Sie selbst hatte wenig Anerkennung für ihren Einsatz als Mutter und Hausfrau, allerdings Gerd für seinen Einsatz auch nicht. In der Zeit, als sie zu Hause war, haben sie ein Haus gebaut, und sie hat das meiste mit dem Architekten und den Handwerkern besprochen und geregelt. Sie beschwerte sich in dem Zusammenhang, dass er kein einziges Mal gesagt habe, „Danke, dass du dich um alles gekümmert hast“. Ich fragte ihn, ob ihre Erinnerung mit seiner

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übereinstimme. Gerd bestätigte, dass das gut sein kann. Er sei ein Perfektionist, und während des Hausbaus führte das dazu, dass er vor allem nur noch das sah, was noch zu tun war, was dann als Kritik bei ihr ankam. Das bedeutete allerdings nicht, dass er prinzipiell keine Anerkennung für sie hatte. Er hatte sie nur nicht geäußert. Der Haushalt war aus diesem Grund auch ein ständiges Streitthema. Bei ihr kam an, dass er es immer besser wusste. Petra fühlte sich immer kleiner und unfähig neben ihm. Bevor sie zu mir kamen, war sie kurz davor, sich zu trennen. Sie dachte, wozu brauche ich diese Ehe noch, ich muss sowieso alles alleine machen und bekomme zusätzlich noch abwertende Kommentare von Gerd. Er kam mit, weil er mitbekam, wie ernst es seiner Frau mit einer Trennung war. Sie hat zwar vorher immer wieder versucht, mit ihm zu reden, merkte aber auch, dass sie nicht zu ihm durchdringen konnte mit ihrem Anliegen. Sie wollte sich eigentlich nicht von ihm trennen, aber so wollte sie auf keinen Fall weiter machen. Wir redeten über die Situation, und er berichtete, dass er keine Vorstellung gehabt hatte, was seine Kritik bei ihr ausgelöst hatte. Er war erschrocken darüber, wie weit sie sich in der Zwischenzeit von ihm entfernt hatte. Er berichtete, dass er nur noch die Wäscheberge gesehen hatte, die sich abends noch türmten und die Unordnung, die zuhause herrschte. Und folgerte daraus, dass sie das alles alleine nicht schaffen würde und seine Hilfe bräuchte. So fing er an, sie zu belehren. Er dachte, sie sei unorganisiert und chaotisch, und hatte viele Tipps, damit sie den Haushalt in den Griff bekommen könnte. Sie bestätigte dann auch, dass sie nicht die Ordentlichste wäre. Das war ihre Form der Rebellion. Sie wollte ihm durch die Unordnung sagen: „Solange du dich über mich stellst und mich belehrst und mir die Wertschätzung verweigerst, bekommst du nicht die Ordnung, die du willst.“ Die Aussage war neu und überraschend für ihn. Er dachte, sie bekäme ihre Aufgaben nicht geregelt, und durch seine Belehrungen stellte er sich über sie. Das verhinderte auch, dass sie mit ihm über ihre Situation reden konnte. Er nahm sie einfach nicht mehr ernst und verharmloste das, was sie sagte, was sehr häufig in Partnerschaften passiert. Er wachte in dem Moment auf, als sie sich trennen wollte, falls es keine Veränderung in der Partnerschaft geben würde. Ihre Entschlossenheit erreichte ihn. Da fing er an, ihr zuzuhören und sie wieder als Partnerin wahrzunehmen. Seine Eltern hatten eine eher funktionale Partnerschaft, ohne Herzlichkeit und Wertschätzung. Gerd erkannte, dass er mit Petra war wie sein Vater mit seiner Mutter.

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In den Gesprächen fingen sie an sich wirklich zuzuhören. Sie fingen an sich wieder wertzuschätzen und das auch auszudrücken. Das viel ihm überraschend leicht, nachdem er erkannt hatte, wie zerstörerisch die übernommenen Verhaltensmuster seiner Eltern waren. Er liebte seine Frau und wollte nichts anderes, als mit ihr zusammen leben, aber auch er war natürlich immer unzufriedener in den letzten Jahren geworden. Es war auch für ihn eine Befreiung sich auf Augenhöhe mit seiner Frau auszutauschen. Jeder konnte seine Wahrheit sagen, wie es ihm mit dem andern ergangen war und eine wertschätzende Kommunikationskultur miteinander erschaffen.

2. Von sich auf den andern schließen Wenn ich einfach davon ausgehe, dass mein Partner so denkt wie ich, dann stülpe ich meine Sichtweisen über ihn und weiß nicht, was er eigentlich will. Man macht das so automatisch, dass man das häufig gar nicht merkt. Das fängt bei der Ordnung an, wie bei Petra und Gerd. Für Gerd war es wichtig, dass es zuhause ordentlich war, und er dachte, dass seine Vorstellung von Ordnung ganz normal sei und auch Petra das so sehen müsste. Dass sie das so nicht hinbekam, hat er sich damit erklärt, dass Petra überfordert, vielleicht auch unfähig war, einen Vierpersonenhaushalt zu führen. Petra hatte allerdings einen anderen Ordnungsstandard und fand, dass es doch ganz normal ist, wenn man zwei Kinder hat, dass Sachen rumliegen und auch Wäsche herumsteht. Es war ihr einfach nicht so wichtig. Sie fand, dass er pingelig war und einen Ordnungsfimmel hatte. Das ist ein einfaches und typisches Beispiel dafür, wie man von sich auf den andern schließt, dabei den Kontakt zum andern verliert und sich Meinungen über den andern bildet. Man landet in der Abwärtsspirale, und beide verlieren miteinander. Petra und Gerd tauschten sich darüber aus, welche Ordnungsstandards sie jeweils hatten, aber auch welche Meinungen sie sich übereinander gebildet hatten, um sie dann loszulassen. Sie besprachen, was ihnen wichtig für ihre Ordnung zuhause war und welchen Standard sie wollten, was sich irgendwo zwischen den beiden Standpunkten befand. Jeder ging auf den andern zu, und so fanden sie eine gute gemeinsame Lösung, mit der beide glücklich waren.

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3. Was führt zu Desinteresse in der Partnerschaft? Gerade Paare denken nach einiger Zeit, dass sie wissen, wie der andere denkt und handeln würde und hören nicht mehr richtig zu. Sie wissen ja eh, was der andere eigentlich sagen will. Genau solch eine Situation hatte ich in einem Paarcoaching mit einem Ehepaar in den 60ern, die schon über 40 Jahre verheiratet waren (Waltraud und Fritz). Waltraud erklärte ihm, warum sie sich von ihm zurückgezogen hatte und ihm nicht mehr so viel erzählte: Fritz würde ihr nicht richtig zuhören und sie dadurch nicht verstehen. Darauf erwiderte er entrüstet, sie würde doch nicht behaupten wollen, dass er nach 40 Jahren nicht wüsste, was sie denkt. Einerseits hat er natürlich Recht, beide kennen sich gut, gleichzeitig kann diese Einstellung dazu führen, dass man nicht mehr richtig zuhört. Fritz fragte nicht mehr nach: Wie meinst du das eigentlich? Wann habe ich dir denn nicht richtig zugehört, und wann hattest du den Eindruck, dass ich das nicht so verstanden habe, so wie du es gemeint hast? Er sortierte ihre Aussage in sein Bild von ihr ein, was sich aus seinen Erfahrungen und Schlussfolgerungen ergab. Schon lange war Waltraud in ihrer Partnerschaft unzufrieden, und früher nörgelte sie dann an ihm herum. Als sie merkte, dass das nichts änderte, zog sie sich zurück. Er schlussfolgerte aus ihren Vorwürfen und ihrem späteren schweigenden Vorwurf, dass er es ihr sowieso nicht Recht machen kann. Als sie nun im Paarcoaching sagte, er würde nicht richtig zuhören und sie nicht richtig verstehen, hörte er das als Vorwurf. Mit einem entsprechendem Unterton hätte das auch ein Vorwurf sein können, was es in meinen Ohren allerdings nicht war. In diesem Moment wollte Waltraud Fritz einfach sagen, welches Erleben sie mit ihm hat, weil sie es als Chance sah, dass es zu einem friedlichen Austausch kommen könnte, wenn eine dritte Person beim Gespräch dabei ist. Zuhause wäre hier die Unterhaltung zu Ende gewesen. Waltraud hätte sich jetzt zurückgezogen und sich darin bestätigt gefühlt, dass Fritz stur und uneinsichtig ist. Im Laufe der Gespräche öffnete sich Fritz und erzählte, dass er sich an ihrer Seite unzulänglich gefühlt hatte. So wie ich bin, bin ich nicht ausreichend für Waltraud, war seine Schlussfolgerung, und er hatte dann als Schutzschild eine Wand des Vorwurfs aufgebaut. Waltrauds Absicht mit dem Nörgeln war der Wunsch nach Veränderung. Ich betone hier gerne, dass die Absicht eine positive war, aber die Verpackung ungünstig und nicht förderlich. Irgendwann hörte sie auch damit auf und machte ihr eigenes Ding. Sie redete nur noch das Nötigste mit Fritz.

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Beide konnten sehen, was sie zu der Situation beigetragen haben und fingen an darüber zu reden, was sie in ihrem gemeinsamen Leben miteinander erlebt haben und wie sie sich mit dem andern gefühlt haben. Sie hörten sich zu und entwickelten Verständnis und Interesse am andern. Nun konnten sie auch für die Probleme, die anstanden, Lösungen finden, was vorher nicht mehr möglich war.

4. „Wieso greifst du mich an?“ „Wieso? Du hast mich doch angegriffen!“ Matthias sagte zu seiner Frau Petra: „Lass uns doch mal wieder ins Kino gehen.“ Sie erwiderte darauf, „Wieso!?! Wir waren doch gerade vor vier Wochen erst im Kino“. Petra hatte die Aufforderung von Matthias als Vorwurf gehört und reagierte mit Abwehr. Ich fragte Petra, wie sie die Äußerung von Matthias verstanden hatte. Sie sagte, sie hätte es so gehört, dass Matthias wegen ihr nicht so häufig ins Kino gehen könnte wie er es eigentlich will. Ich fragte ihn, wie er seine Äußerung denn gemeint hatte. Er sagte darauf: So wie sie es verstanden hätte, wäre es von ihm nicht gemeint gewesen. Er hatte sich nur vorgenommen, mehrere Filme im Kino anzusehen und hat sich selbst etwas Druck gemacht, den sie mitbekam, aber falsch interpretierte, in dem sie ihn auf sich bezogen hatte. Manchmal fühlt man sich angegriffen durch das, was der andere sagt, aber der andere wollte einen gar nicht damit treffen. Das hat manchmal mehr mit einem selbst zu tun, als mit dem anderen. Im genannten Beispiel fühlte Petra sich verantwortlich für vieles in ihrem Umfeld, und als Matthias seine Bedenken äußerte, sah sie sich auch hier verantwortlich und schuldig. So ist es dann auch genau passiert: Sie hörte die Aufforderung ihres Mannes als Schuldvorwurf und ging in Verteidigungshaltung. Normalerweise wäre das schon der Anfang für einen richtigen Streit gewesen für die beiden. Im Paarcoaching haben sie durch meine Nachfragen begriffen, wie der andere die Äußerung gemeint hat und dadurch den anderen besser verstanden. Sie haben für zukünftige Situationen gelernt, dass der andere die Aussage eventuell anders gemeint, als man selbst es verstanden hat und es hilfreich ist, nachzufragen.

5. 100 Prozent zuhören Wenn ich 100 Prozent zuhöre, bin ich ganz beim anderen, ich vergleiche nicht und bewerte nicht, was der andere sagt. Es ist eine wunderbarer Zustand, einfach nur

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zuzuhören. Wenn man keine inneren Dialoge führt, sind alle inneren Programme ausgeschaltet. Solche Gespräche sind eine Wohltat für beide. Meine Absicht ist, Paaren diese Erfahrung in ihren Gesprächen wieder zu ermöglichen. Evelyn und Karl führten lange Jahre eine glückliche Partnerschaft. Vor zwei Jahren wechselte er den Arbeitgeber, was zur Folge hatte, dass er regelmäßig zwei bis dreimal im Monat für mehrere Tage auf Dienstreise ging. Sie hatte die Entscheidung mitgetragen, weil sie beide damals dachten, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Durch diese Veränderung hat sich ihr Alltag stark verändert. Sie war jetzt an vielen Tagen alleine für die beiden Kinder verantwortlich. Hinzu kam, dass Evelyn 30 Stunden die Woche arbeitete. Durch ihre Situation erwartete Evelyn von Karl, dass er sie, wenn er nach Hause kam, mit den Kindern und dem Haushalt entlasten sollte. Sie hatte das allerdings nie klar kommuniziert, und als die Überforderungen immer stärker wurden, äußerte sie vor allem Vorwürfe. Karl selbst war stark gefordert durch seine neue Arbeitssituation, und es viel ihm schwer abzuschalten. Er wollte Evelyn und die Kinder damit nicht belasten, was zur Folge hatte, dass er sich ein Stück weit zurück zog und abwesend wirkte. Sie haben in dieser Zeit nicht darüber geredet, wie es ihnen geht und was sie sich voneinander wünschten, sondern stritten immer häufiger. Sie wurden unzufrieden und fühlten sich allein gelassen vom anderen. Der Streit wurde so heftig, dass irgendwann Geschirr durch die Küche flog. Obwohl sie noch vor zwei Jahren ein glückliches Paar waren, dachten beide immer häufiger an Trennung. Sie stellten beide fest, dass sie alleine nicht mehr aus der Situation heraus kamen und riefen mich an. Die ersten beiden Gespräche waren noch schwierig. Sie hörten schnell das, was der andere sagte, als Vorwurf, und so war manche Antwort scharf und vorwurfsvoll. Langsam erwuchs das Verständnis wieder für einander, indem sie sich erzählten, wie es ihnen in den letzten beiden Jahren ergangen war. Sie war überrascht zu hören, wie anstrengend es für ihn war, da er vorher nie darüber geredet hatte. Er wiederum konnte verstehen, dass sie sich im Alltag allein gelassen fühlte, da er sich ja tatsächlich von ihr zurückgezogen hatte. Sie konnten sich jetzt zuhören und ganz beim anderen sein. Sie fühlten sich angenommen und immer mehr ermutigt, ihre Wahrheit zu sagen. Sie fragten nach, wenn sie etwas nicht verstanden und nachvollziehen konnten, was das Zuhören zu einem aktiven Akt macht. Solche Gespräche sind eine Freude und Wohltat und ermöglichen ein tiefes Verständnis für den andern.

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II. Mitteilen Was ich „eigentlich“ denke, kommuniziere ich immer Das Mitteilen ist aktiver als das Zuhören, und somit gibt es viel mehr Arten, wie man sich mitteilen kann. Wenn man allerdings genauer hinschaut, kann man diese in zwei Kategorien einordnen. Entweder sagt man, was man sagen will und es ist keine versteckte, weitere Information dabei. Oder man transportiert noch viel mehr Informationen durch die Wortwahl, den Tonfall, die Gestik und Mimik. Das ist für den anderen verwirrend und führt zu Missverständnissen, Streit und Rückzug. Einige typische Arten des Mitteilens stelle ich im Folgenden vor und auch, welche Lösungen es gibt, um aus festgefahrenen Situationen wieder heraus zu kommen.

1. Sich beschweren vs. Lösungen finden Manuel kommt abends nach Hause und berichtet seiner Frau Vera von seiner Arbeit: „Mein Kollege Dieter ist immer noch krank, und alle rufen jetzt bei mir an, ich komme zu nichts anderem mehr“. Sie sagt zu ihm: „Mein Tag war auch nicht besser. Paul war heute Morgen viel zu spät dran, so dass wir verspätet hier loskamen und ich nicht pünktlich bei meinem Kunden sein konnte, der im Übrigen immer noch rumeiert, ob er den Vertrag nun unterschreibt oder nicht.“ So oder so ähnlich sind die abendlichen Gespräche zwischen Paaren. Als Partner will man gerne für den andern da sein. Dann hört man sich auch mal den Frust des andern an. So machen mein Mann und ich es auch. Wenn es allerdings nicht eine Ausnahme ist, sondern eine Regel, dann wird das den Partnern häufig zu viel. Vera und Manuel wollten sich vor allem über den Tag beschweren. Sie waren nicht darauf aus, Lösungen zu finden, sondern wollten einfach ihren Frust loswerden. Manche wollen damit auch erreichen, dass der Partner einem wieder gute Gefühle machen soll. Gelingt das? In der Regel nicht. Es hat aber die Folge, dass die Frustration jetzt auch beim Partner angelangt ist und zwar darüber, dass er nicht weiß, was er tun kann, damit es dem anderen wieder gut geht. Er fühlt sich „beschwert“ durch den anderen und ist nicht inspiriert durch das Leben seines Partners. Das hat auch zur Folge, dass man sich immer weiter voneinander entfernt, um sich vor der Negativität des andern zu schützen. Voraussetzung für eine erfüllte Partnerschaft ist, dass du glücklich bist - und du kannst damit anfangen, indem du aufhörst dich zu beschweren.

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Eine gute Übung dafür ist, für einen gewissen Zeitraum eine beschwerdefreie Zeit zu vereinbaren. Ich habe das auch einmal mit meinem Mann für eine Woche praktiziert, und mir ist dann erst so richtig aufgefallen, wie viel ich mich eigentlich beschwerte. Wenn man sich beschweren will, dann ist man über etwas unzufrieden. Unzufriedenheit ist an sich auch nicht schlecht, sondern es weist einen lediglich darauf hin, dass etwas nicht funktioniert. Aber anstatt es zu ändern, beschwert man sich darüber. Das war mir auch aufgefallen in meiner beschwerdefreien Woche. Ich war über einiges unzufrieden, habe es aber nicht angepackt und geändert, was mich noch mehr unzufrieden machte. Ich fragte mich jetzt, anstatt mich nur zu beschweren, was funktioniert an der Situation für mich nicht, und was kann ich daran ändern. Manchmal kann man etwas an der Situation ändern, und manchmal geht es mehr darum, einen inneren Standpunktwechsel vorzunehmen, um wieder die eigene innere Gelassenheit zu finden. Mitzuteilen, mit was man nicht einverstanden ist und sich zu beschweren, sind zwei verschiedene Schuhe. Beim ersteren will man Lösungen finden, und beim Beschweren will man eine Bestätigung darüber, wie schwer das Leben ist. Ein ganz einfaches Beispiel aus meinem Leben fällt mir dazu ein: Ich hatte letztens Bio-Äpfel im Supermarkt gekauft. Zuhause stellte ich fest, dass die meisten Macken hatten. Ich hätte mich jetzt über den Supermarkt beschweren können und darüber, dass sie doch nur Profit auf Kosten der Qualität machen wollen. Vielleicht ist das so, vielleicht haben die Mitarbeiter aber auch nur einfach übersehen, dass die Äpfel alle beschädigt waren. Ich habe dann die Äpfel genommen. bin wieder zum Supermarkt gegangen und habe freundlich mitgeteilt, was ist. Es war ganz einfach, und ich konnte ganz unkompliziert die Ware austauschen. Hätte ich mich bei den Mitarbeitern beschwert, so hätte ich sie damit ins Unrecht gesetzt und eher kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht. Wenn man aufhört, sich zu beschweren, fängt man an, das eigene Leben in die Hand zu und sich für sich selbst einzusetzen. Das kann schon bei Äpfeln anfangen.

2. Ausstieg aus dem Vorwurfs-Hamsterrad Eine Steigerung der Beschwerde ist der Vorwurf. Ein Vorwurf hat eine Vorgeschichte und eine gute Begründung. Vielleicht ist auch etwas Gravierendes geschehen. Ein typisches Beispiel ist, dass einer der Partner eine Affäre hatte.

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Katrin hatte eine solche. Sie hat sie zwar beendet, aber ihr Mann, Markus, ist immer noch verletzt und kann ihr nicht mehr vertrauen. Wenn er beobachtet, dass sie eine Kurznachricht schreibt, befürchtet er, dass sie weiterhin Kontakt mit ihrer Affäre hat oder mit einem anderen. Er wirft ihr das immer wieder vor, und es kommen neue Vorwürfe hinzu. An diesem Punkt kommen häufig Paare zu mir, weil sie merken, dass sie alleine nicht aus dem Vorwurfs-Hamsterrad heraus kommen. Wenn einer den anderen betrogen hat, dann würde man eigentlich den betrogenen Partner als Opfer sehen, aber derjenige der fremdgeht, hat auch seine Begründung, warum er das getan hat: „Er hat mich seit zwei Jahren sexuell zurück gewiesen. Von Jochen habe ich bekommen, was mir mein Mann verweigert hat.“ Jeder Täter sieht sich selbst eigentlich als Opfer und hat seine persönliche Begründung dafür, warum er so handeln „musste“ und schiebt die Schuld auf den anderen. Das geschieht jeden Tag in vielen Beziehungen. Ständig wird dem anderen die Schuld zugeschoben, und er wird somit zum Täter gemacht. Das fängt mit kleinen Dingen an: „Jetzt komme ich schon wieder zu spät zur Arbeit, weil die Kinder so getrödelt haben.“ „Ich konnte das Projekt nicht in der vorgegebenen Zeit zum Abschluss bringen, weil die anderen sich zu wenig dafür eingesetzt haben!“ „Mein Mann interessiert sich für alles andere, nur nicht für mich!“Ich denke, jeder kennt solche Sätze und Situationen. Auf der Opfer-Täter-Ebene gibt es keine Lösung. Wenn man aus dem Vorwurfs-Hamsterrad raus will, muss man anfangen neugierig zu sein auf die Begründungen des anderen. Man muss herausfinden wollen, wieso der andere so gehandelt hat und sich fragen, was habe ich dazu beigetragen, dass es so gekommen ist. Wenn es nicht mehr darum geht, die Schuld von sich selbst weg zu schieben, und man sich selbst erlaubt, einen Schritt zurück zu treten, um sein Leben wertfrei zu betrachten, kann man die Zusammenhänge besser erkennen. Als der betrogene Ehemann Markus etwas Abstand zu seinem Schmerz und seinen Verletzungen nahm und herausfinden wollte, was dazu geführt hat, dass seine Frau sich sexuell einem anderen Mann zuwandte, konnte er sie besser verstehen. Er konnte sehen, dass er sich so von seiner Arbeit hat einnehmen lassen, dass er nicht mehr den Kopf frei hatte und nur noch wenig sexuelle Lust empfand. Er wollte seine Frau nicht zurückweisen, aber dadurch, dass sie sich nicht mehr sexuell begehrt glaubte, fühlte es sich für sie so an. Sie hatte nie die Absicht gehabt, ihren Mann zu verlassen, aber sie war auf einmal offen für die Avancen von anderen und ließ sich darauf ein. An diesem Punkt erkläre ich den Paaren immer: Dafür, dass die Partnerschaft in eine Abwärtsspirale gekommen ist, sind beide verantwortlich. Dass einer eine Affäre begonnen hat, liegt allein in seiner Verantwortung.

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Für die Zukunft ist hier wichtig, dass beide sich versprechen, dass sie Probleme ansprechen, sich zuhören und nicht die Lösung in Affären suchen. Katrin hatte immer wieder das Gespräch mit Markus gesucht, aber die Gespräche führten nicht zu langfristigen Veränderungen, so dass sie frustriert aufgab. Die sexuelle Untreue durch Katrin stand am Ende einer langen Kette von Vorwürfen, Zurückweisungen und Ruckzügen. Der Schlüssel ist, ohne Vorwurf zuzuhören und verstehen zu wollen, wieso der andere so gehandelt hat, und die Bereitschaft zu haben, auch bei sich zu schauen, was man selbst dazu beigetragen hat.

3. Die Hölle auf Erden Schnell werden die Vorwürfe auch entwertend und verachtend, und jeder Respekt vor dem anderen ist verschwunden. Man denkt, man hat gute Begründungen dafür, den anderen zu verachten und findet auch, dass man im Recht ist. Der anderen denkt das in der Regel allerdings auch und ist genauso verachtend. Das ist dann die Hölle auf Erden. Die Begründungen, warum man so mit dem andern ist, sind unterschiedlich. Aus der eigenen Sicht ist es eine Verteidigung, und für den andern sieht es aus wie ein Angriff. Die eigenen Begründungen sind natürlich unterschiedlich, und manchmal hat es nichts mit der aktuellen Situation zu tun, sondern mehr mit dem, was man von seinen eigenen Eltern erfahren hat. Wenn die eigenen Eltern entwertend miteinander sind und viel streiten, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man diese Verhaltensweisen ungeprüft übernimmt. So war es auch bei Frank. Er kam mit seiner Frau Simone zu mir, weil sie sich von ihm trennen wollte. Frank allerdings wollte mit ihr zusammen bleiben und hoffte, dass sie sich im Paarcoaching wieder finden würden. Sie sind beide schon viele Jahre zusammen und haben große Kinder. Sie berichtete, dass sie es nicht mehr ertragen könne, wie er mit ihr ist. Frank machte Machosprüche vor anderen und hatte keine anerkennenden Worte für sie. Simone berichtete, dass sie nur im ersten Jahr ihrer Partnerschaft persönliche Geschenke zu Geburtstag und Weihnachten bekommen hätte. Später wurden die Geschenke mit sowieso geplanten Anschaffungen verbunden wie zum Beispiel einen neuen Flachbildschirm. Erst jetzt, als sie sich trennen wollte, hat Frank gemerkt, wie verachtend er mit ihr war. Er stimmte ihr auch in allen Punkten zu. Er war sehr betroffen über sich selbst und sagte, er könne nicht verstehen, dass er sie so behandelt habe. Wir

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untersuchten, woher seine Meinung über Frauen kam, und er konnte sehen, dass er mit seiner Frau war wie sein Vater vorher mit seiner Mutter. Seine Chance bestand jetzt darin, dass er ihr zeigte, dass er verstanden hatte, worum es ihr ging und sich wertschätzend und respektvoll ihr gegenüber verhielt. Er zeigt ihr das dadurch, dass er ihr die finanziellen Möglichkeiten zur Verfügung stellte, die sie brauchte, um eine eigene Wohnung zu beziehen. Er war der Hauptverdiener und sie insofern von ihm abhängig. Er konnte ihr dadurch jetzt den Respekt ausdrücken, den er ihr vorher verweigert hatte. Außerdem blieben sie durch das Paarcoaching im Gespräch miteinander, sie klärten Vorwürfe und Vorbehalte aus der Vergangenheit. Auf diesem Wege konnte sie herausfinden, ob sie ihn noch liebte, und ob sie sich vorstellen konnte, wieder mit ihm zusammen zu sein. Sie war noch bereit, sich wieder auf ihn einzulassen. Was Simone von ihm brauchte, dass er sich dauerhaft wertschätzend ihr gegenüber verhielt. Indem sie weiterhin den Kontakt mit ihm suchte, wurde er darin bestärkt, dass sie noch eine gemeinsame Zukunft hatten.

4. Die Sinnlosigkeit des Jammerns Eine andere Geschichte, die zu diesem Thema passt, habe ich mit meinem Sohn erlebt, als er 2 ½ Jahre war und sich morgens die Zähne putze. Er hatte einen kleinen, bunten Zahnputzbecher, der mit Wasser gefüllt war. Er nahm ihn und schüttete ihn aus. Darauf sagte er „haben“ und zeigte auf den Abfluss. Ich erklärte ihm, dass das Wasser jetzt weg sei und er neues haben könnte. Das wollte er nicht und zeigte wieder auf den Abfluss und meinte „haben“. Ich erklärte ihm wieder die Problematik. Ich kürze unsere Unterhaltung etwas ab, da sich der Dialog in genau der Art und Weise mindestens zehn Minuten weiter hinzog, nur dass sein „haben“ immer dringlicher wurde und er immer mehr anfing zu jammern. Am Ende weinte er bitterlich darüber, dass er das Wasser, das abgelaufen war, nicht mehr haben konnte. Ich habe ihn getröstet, was aber keinen Unterschied machte. Erst als ich ihm sagte, dass wir gleich Ball spielen, was er sehr gerne mag, hat ihn in eine bessere Stimmung gebracht. Was für ein schönes Beispiel dafür, wie sinnlos Jammern und Klagen ist! Wenn ich jetzt manchmal über etwas jammere und klage oder mich entwerte für etwas, was ich getan habe, dann denke ich daran, dass das wie das Wasser ist, das den Abfluss abgelaufen ist. Es ist vorbei und ich kann die Vergangenheit nicht ändern, sondern nur für die Zukunft daraus lernen.

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Ein paar Tage später konnte ich die Erfahrung mit meinem Sohn für mich anwenden. Ich lag schon im Bett, und mir fiel ein, dass ich die Wäsche auf dem Wäscheständer im Hof stehen gelassen hatte, und die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Nacht regnen könnte, war groß. Ich fing an mich innerlich dafür zu entwerten und darüber zu klagen, dass ich das vergessen hatte: Wie doof, dass ich das vergessen habe, jetzt habe ich vielleicht morgen die ganze Arbeit noch mal, wie blöd von mir. Ich sagte zu meinem Mann „Ich habe die Wäsche draußen vergessen, vielleicht stehe ich gleich noch mal auf, um sie reinzuholen.“ Er meinte „Bleib doch liegen, es ist schon sehr spät, schlimmstenfalls musst du sie morgen noch mal in die Waschmaschine stecken.“ Ich war dankbar, dass er so gelassen reagierte, so konnte ich mich auch innerlich entspannen und aufhören, mich zu entwerten. Mir wurde klar, dass ich nur etwas vergessen hatte und ich konnte mich dafür entwerten und über die mögliche Mehrarbeit klagen, oder es sein lassen, denn es änderte nichts an der Tatsache. Das ist wie das Wasser, das abgelaufen war. Es ist wirklich sinnlos darüber zu klagen, dadurch kann ich die vergangene Erfahrung nicht verändern. Und dieses Mal war das Wetter für mich, es regnete nicht.

5. „Mein Mann ist bequem und egoistisch“ „Mein Mann ist bequem und egoistisch, bis der mal was für mich und die Kinder macht, muss ich viel reden. Er kommt abends nach Hause und will erst mal seine Ruhe haben, und wenn die Kinder oder ich was von ihm wollen, ist er genervt.“ Das sagte Irene über ihren Mann Paul. Sie sind beide Mitte Dreißig, haben zwei kleine Kinder und arbeiten viel. Sie dachte, dass sie ihn nur mit viel Druck zu Familienaktivitäten bewegen könne, und darüber war nicht nur sie unzufrieden. Paul war es auch leid, wie sie mit ihm umging. Ihre Meinung über ihn war, dass er bequem und egoistisch sei. Die daraus resultierende Erwartung von ihr war, dass er gegen seinen Widerstand dazu zu bewegen sei, sich in die Familie einzubringen. Bevor Irene ins Gespräch mit Paul ging, wappnete sie sich schon dafür, in dem sie sich innerlichen Druck aufbaute, um dem von ihr erwarteten Widerstand entsprechend begegnen zu können. Das konnte sich dann so anhören: „Du könntest Felix ja auch mal wieder am Mittwoch zum Fußball bringen!“ Ihren Druck äußerte sie in einem fordernden Tonfall, und sie konnte sich bis zu Entwertungen und Anschuldigungen steigern. Sie war selbst erschrocken über sich und erkannte sich nicht wieder. Sie sagte, früher wäre sie so nicht gewesen. Wenn sie diese Haltung ihm gegenüber einnahm, stellte sie sich über ihn, und manchmal behandelte sie ihn

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auch wie ein Kind, das man vorantreiben muss (was Kinder übrigens auch nicht mögen). Er war genervt, wenn sie so mit ihm redete und fing an sich zu rechtfertigen:“ Wieso denn, ich habe die Kinder auch schon zu anderen Veranstaltungen gebracht, außerdem arbeite ich immer so viel, und du kannst dir in deiner freien Zeit einen schönen Lenz mit den Kindern machen.“ Paul reagierte auf die Art und Weise, wie Irene mit ihm gesprochen hatte und ihr keine Antwort auf ihre Frage gegeben. Das ist ein typisches Verhalten, wenn man sich angegriffen fühlt: Man verteidigt sich, Argumente werden hin und her geworfen wie Ping-Pong-Bälle, und vom eigentlichen Thema ist man abgekommen. Bei Irene und Paul war es auch so. Es war nicht geklärt, ob Paul Felix abholen würde. Häufig steckt in der Meinung des einen Partners über den andern ein wahrer Kern. Bei Irene und Paul ging ich auch auf die Suche, ob es einen solchen gäbe. Als ich ihn fragte, ob Irenes Sichtweise stimme, dass er sich aus dem Familienleben rausgehalten habe, bestätigte er das. Er sagte dazu, dass er schon immer ein etwas bequemerer Mensch gewesen sei, und Irene hätte alles immer so gut im Griff gehabt mit den Kindern und dem Haushalt, so dass er das ihr überlassen und sich mit der Zeit immer mehr rausgezogen hatte. Als es dann zusätzlich auf der Arbeit sehr stressig wurde, kam er völlig geschafft nach Hause und machte nur noch den Fernseher an und nahm nicht mehr viel am Familienleben teil. Durch Irenes Vorwürfe fühlte er sich angegriffen, und er zog sich noch mehr zurück und war noch schwerer für Irene erreichbar. Das bestärkte Irene darin, dass er bequem und egoistisch war. Die beiden fingen an miteinander zu sprechen. Sie sagte ihm: „Ich kann so nicht weiter machen. Ich fühle mich ausgelaugt und allein gelassen von dir.“ Paul sagte daraufhin: „Ich kann dich verstehen. Ich habe mich nach und nach aus dem Familienleben herausgezogen. Du hast alles so gut gemanagt, und ich habe dich dafür bewundert. Ich dachte auch, dass du keine Unterstützung dabei willst und habe es mir selbst auch gar nicht zugetraut. Außerdem hat mich die Situation auf der Arbeit in den letzten Jahren immer mehr in Anspruch genommen, so dass ich nur noch sehr wenig Energie für Familie und Freizeit hatte.“ Sie bestätigte nun, dass sie auch jemand wäre, der Dinge gerne alleine macht, dann wüsste sie, dass es so gemacht wird, wie sie es wollte. Sie vertraute mehr auf sich als auf andere Menschen. Sie zog damit die Aufgaben an sich. Nach einiger Zeit wuchsen ihr allerdings die Aufgaben über den Kopf, und sie merkte, dass sie mit Arbeit, Kinder und Haushalt überfordert war. Beide hatten irgendwann ein negatives Bild vom andern im Kopf, und wenn sie miteinander redeten, waren sie nicht im echten Kontakt mit dem andern, sondern die negative Überzeugung färbte alles ein, was der andere sagte oder tat.

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Im Coachinggespräch sagten sie nun, was sie sich vom andern wünschten. Sie bat ihn darum, bestimmte Aufgaben im Haushalt zu übernehmen und Felix zum Fußball zu fahren. Er wollte das gerne machen, weil es ihm auch nicht gefiel, so außen vor zu sein. Er wollte wieder mehr teilhaben an seinen Kindern. Er wünschte sich, dass sie wertschätzend mit ihm sprach und aufhörte, ihm Vorwürfe zu machen. Außerdem wollte er wieder eine partnerschaftliche Ebene mit ihr, was sie in der Zwischenzeit verloren hatten: Geistige und körperliche Nähe, wieder gemeinsame Unternehmungen nur zu zweit. Das wollte sie ihm auch gerne geben, weil auch sie das vermisste.

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III. Reden ist Gold und Schweigen eine Strafe Eine Form der Kommunikation ist das Schweigen. Manchmal ist alles gesagt, und dann ist es schön, miteinander zu schweigen und sich und das Miteinander einfach zu genießen. Häufig hält man aber Kommunikation zurück, zieht sich zurück und spricht nicht oder nur das Nötigste mit dem anderen. Mit dieser Art des Schweigens beschäftige ich mich hier. In einem konkreten Beispiel war es so, dass der Mann, ich nenne ihn hier Peter, unzufrieden war, insbesondere über seine Frau Isabelle. Er redete nicht darüber, sondern zog sich zurück und schmollte. Sie spürte, dass etwas zwischen ihnen stand und fragte nach. Als sie aber immer wieder von ihm hörte, dass da nichts wäre, bis hin zu „Was soll denn schon sein?!“, hörte sie auf zu fragen und zog sich ebenfalls zurück. Die Verbundenheit wurde gekappt, und beide fühlten sich sehr einsam dabei. Es ist wie eine Strafe für den Abgewiesenen, allerdings bestraft sich derjenige, der sich einigelt genauso, und sein größter Wunsch ist eigentlich, aus seiner Höhle befreit zu werden. Wieso macht man das so, obwohl es doch der größte Wunsch ist, verbunden mit dem anderen zu sein? Es gibt sicherlich verschiedene Gründe dafür. Ein Grund, der häufig genannt wird, ist, dass man diese Art der Kommunikation bei den Eltern kennen gelernt und übernommen hat. Was kann man tun? Ich kann den anderen nicht zwingen, wieder ins Gespräch zu gehen, aber ich kann die Situation ansprechen. Ich suche erst dann das Gespräch, wenn ich sicher bin, dass ich nicht vorwurfsvoll mit dem andern sprechen werde, sondern in Wertschätzung. Denn nur wenn ich in wertschätzender Kommunikation bin, habe ich die Chance, dass der andere mitbekommt, worum es mir eigentlich geht. Isabelle sagte in der Sitzung zu Peter: „Es fällt mir sehr schwer, mehrere Tage mit deinem Schweigen umzugehen. Wenn du dich ein paar Stunden oder ein bis zwei Tage zurückziehst, dann könnte ich damit umgehen, aber nicht, wenn es über mehrere Tage oder Wochen geht. Bitte sage mir, wenn dich etwas stört in unserem Zusammensein. Ich bin bereit, über alles zu reden und wenn es etwas zu verändern gibt, das auch zu tun.“ Peter sagte dazu: „Manchmal brauche ich erst mal etwas Zeit für mich, um herauszufinden, was mich gestört hat, und ich will gerne die Zeit verkürzen, so dass wir schneller darüber reden und die Sache miteinander klären. Es hat mich auch gestört, so lange zurückgezogen zu sein.“

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Ich fragte Peter, ob es ok für ihn wäre, einfach zu sagen, wie es ihm geht, ohne genau zu wissen, was der Auslöser eigentlich war. Peter sagte: „Das kann ich tun. Würde das denn für dich einen Unterschied machen, Isabelle?“ Isabelle bestätigte das und sagte: „Ich merke ja, dass du dich nach einem Gespräch zurück ziehst, und manchmal habe ich sogar eine Idee dazu, und ich fände schön, wenn ich sie dir mitteilen könnte und so gemeinsam mit dir herausfinde, was eigentlich passiert war.“ Indem Peter wieder mit Isabelle ins Gespräch ging, hat er sein Kommunikationsmuster „sich zurück zu ziehen und zu schweigen“ unterbrochen. Es kommt dann auch vielleicht gar nicht mehr darauf an, ob die beiden rausfinden, was der Auslöser war, sondern mehr, dass Peter Isabelle wieder mehr als Partner sieht und nicht als jemanden, der ihn verletzen will.

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IV. Gelingende Kommunikation

1. Wenn Du meckerst, mache ich das nicht Ich bin immer wieder ganz begeistert von unserem Sohn. Er ist sehr sensibel, was Stimmungen angeht, und ich konnte schon viel von ihm lernen über angemessenes Verhalten mit Kindern. Als Ruben fünf war, fing er an, mir zurück zu melden, wenn ich mit ihm meckerte. Das Ganze fing damit an, dass er einmal, als ich genervt zu ihm sagte, „Zieh jetzt deine Hose an!“, darauf erwiderte: "Man meckert nicht.“ Da merkte ich, dass ich gemeckert habe und stimmte ihm zu. „Stimmt, Ruben, Meckern ist blöd.“ Ich habe ihm dann erklärt, warum ich gemeckert habe. Ich habe es immer dann getan, wenn er das, was ich sagte, ignorierte. Allerdings führte das genervte Sprechen nicht dazu, dass er sich schneller anzog. Es ging also für mich darum, wertschätzend und freundlich mit meinem Kind zu sprechen. Vielleicht steigerte dass auch die Bereitschaft für ihn, lieber das zu tun, was ich von ihm will. Ich konnte ihn ja auch verstehen: Sich morgens anziehen, fand er lästig und langweilig, und so hatte er keine so hohe Bereitschaft, unverzüglich meiner Bitte zu folgen. Kurz nach unserer Unterhaltung übers Meckern ging er mit schmutzigen Schuhen in die frisch gewischte Wohnung. Ich war gleich alarmiert und sagte ihm etwas gereizt, dass er die Schuhe ausziehen soll. Was er nicht tat. Dadurch, dass wir darüber geredet haben, war mein Bewusstsein für die Situation geschärft, und ich merkte gleich, wie ich mit ihm gesprochen hatte. Ich sagte zu ihm: „Oh, jetzt habe ich wieder gemeckert!“, und Ruben sagte darauf einen für mich sehr wichtigen Satz: „Wenn du meckerst, dann mach ich nicht, was du willst.“ Da habe ich noch einmal Anlauf genommen und bat ihn ganz freundlich - und er hat dann ganz unkompliziert seine Schuhe ausgezogen. Seine Antwort und die darauffolgende Erfahrung waren ein richtiges Aha-Erlebnis für mich. Seitdem achte ich darauf, nicht genervt mit Ruben zu sprechen, und er folgt auch tatsächlich besser meinen Bitten und Anweisungen. Er macht es uns natürlich auch sehr einfach, da er ein sehr verständnisvolles Kind ist und Strenge für ihn destruktiv wäre.

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Dass man genervt oder vorwurfsvoll spricht, um etwas beim andern zu erreichen kennt jeder. Und dass man auf Durchzug stellt, kennt man natürlich auch, sei es in der Eltern- Kind-Beziehung, in der Partnerschaft oder auf der Arbeit. Was ich selbst mit dieser Erfahrung feststellen konnte, ist, dass es eigentlich nicht viel bedarf, eine Beziehung positiv zu verändern. Erst einmal ist es wichtig, dass man über das, was für einen nicht funktioniert, redet. Das hat Ruben getan, indem er mir gesagt hat, was er nicht mag. Ich habe mir das zu Herzen genommen, mein Verhalten verändert und feststellen können, dass auch er sich veränderte. Was man auch gut sehen kann an unserem Beispiel: dass ich nicht sofort mein Verhalten verändert habe, sondern in einer typischen Situation wieder in das alte Verhalten gefallen bin. Wenn man anfängt, das Miteinander zu verändern, dann braucht man ein gemeinsames Spielfeld, das von Großzügigkeit geprägt ist, so dass man Fehler machen darf. Um großzügig sein können, bedarf es aber auch die gegenseitige Bereitschaft, über das, was nicht funktioniert hat zu sprechen und sich zu korrigieren.

2. Ist das, was der andere sagt, authentisch? Man muss kein Experte sein, um mitzubekommen, ob das, was der andere sagt, authentisch ist. Jeder bekommt das mit, es geht mehr darum, sich dessen bewusst zu werden. Im Coachinggespräch teilen die Paare sich unter einander zu ihren Themen mit, und sie können immer genau sagen, ob das was der andere gesagt hat, auch authentisch bei ihnen angekommen ist oder wenn nicht, was fehlte. Für denjenigen der sich mitgeteilt hat, ist das eine wertvolle Rückmeldung. Wenn er darüber nachdenkt, kann er auch fast immer sagen, worum es ihm außerdem noch ging. Manchmal will man es einfach nur richtig machen, damit der andere nicht verärgert ist, und dann hören sich die Worte gestelzt und wie auswendig gelernt an. Andere denken, dass sie es der andern Person nicht Recht machen könne und man hat innerlich schon resigniert, dann sind die Worte leer und nur Worthüllen. Das, was man eigentlich denkt und fühlt, wird auch kommuniziert durch die Art und Weise, wie man spricht und die Gestik und Mimik. Häufig geht das Menschen so, bei denen der Partner eine Affäre hat. Der innere Zwiespalt, indem der andere ist, drückt sich in Kleinigkeiten aus, was der betrogene Partner mitbekommt. Man kann es nur nicht einordnen und ist verunsichert. Häufig reift dann der Gedanke: mein Partner hat eine Affäre. Wenn die Affäre herauskommt, ist das neben dem Schock auch eine Bestätigung der eigenen Wahrnehmung und eine Erleichterung zu wissen, dass man sich selbst vertrauen kann.

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3. So reden, dass der andere es hören kann So zuhören, dass der andere gehört wird Wenn man als Paar in meinem Paarcoaching an dem Punkt, ist sich hundertprozentig zuzuhören und man einfach seine Sicht mitteilt, ohne weitere verdeckten Absichten, dann ist das ein sehr schöner und magischer Moment. Das Paar ist sich so nahe, wie schon sehr lange nicht mehr. Beide können ihre Sicht mitteilen, und das wird vom anderen angenommen. Jetzt können beide sich wirklich austauschen darüber, wie man sich mit dem anderen fühlt und warum man in bestimmten Situationen so gehandelt hat. Ein Paar ist mir da besonders in Erinnerung. Sie kamen mit der Frage, ob sie weiterhin zusammen bleiben wollten. Sie berichteten, dass er (Michael) sie schon immer weniger liebte als sie (Kirsten) ihn und beide zunehmend unzufriedener wurden mit der Situation. Beide sind über zehn Jahre zusammen und haben zwei Kinder. Obwohl sie beide sehr unzufrieden mit der Situation waren, traten sie nicht wie ein völlig zerstrittenes Paar auf. Sie waren sich in vielen Punkten einig und im Gespräch über ihre Situation. Auch wenn sie sich viel gestritten hatten, erschien es mir, als hätten sie ihre innere Verbindung behalten und wollten eigentlich mit dem anderen zusammen bleiben. Ich habe mit ihnen aus verschiedensten Gesichtspunkten untersucht, welche Überzeugungen bei ihnen wirkten. In der dritten Stunde waren sie bereit, sich wirklich zuzuhören. Kirsten berichtete von ihrem letzten Urlaub, den sie ohne die Kinder verbrachten. Sie hatten einen Streit, bei dem sie sich darüber beklagte, dass er nicht mit ihr Händchen hielt wie andere Paare das taten, die sie im Hotel gesehen hatte. Michael sagte, dass er bis zu diesem Streit eine tolle Zeit mit ihr verlebt hatte und sie auch schönen Sex miteinander hatten und, als sie anfing, sich zu beschweren, überrascht war, dass ihr etwas fehlte. Er sagte ihr dann, dass das genau wie zu Beginn ihrer Partnerschaft war. Er fand alles toll mit ihr, und sie fing an zu sagen, was ihr mit ihm fehlte. Michael schlussfolgerte daraus, dass er ihr wohl so, wie er war, nicht genügte. Sie konnte das einfach hören, ohne sich dabei rechtfertigen zu müssen, und konnte dabei seine große Liebe für sie zum ersten Mal wahrnehmen. Er sagte weiterhin, dass er sich in den letzten Jahren sehr bemühte, ihr seine Liebe so zu zeigen, wie sie das wollte, aber es reichte ihr nie aus, so dass er in letzter Zeit damit aufhörte. Kirsten konnte sehen, dass sie einfach eine bestimmte Vorstellung hatte, wie ein Mann seine Liebe zu seiner Geliebten ausdrücken sollte. Als er sich anders verhielt, schlussfolgerte sie, dass er sie nicht so will wie sie ihn. Irgendwann glaubte er das dann auch. Sie haben sich zum ersten Mal in ihrer Partnerschaft so wahrgenommen, wie sie waren, und das war ein sehr schöner Moment.

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Immer wieder stelle ich fest, dass viele partnerschaftliche Probleme auf Missverständnissen basieren, und die Paare sind dann erstaunt darüber.

4. Gemeinsame Lösungen finden, bei denen alle gewinnen Wenn die Paare sich ausgesprochen haben, wie in dem vorherigen Beispiel, braucht man manchmal keine gemeinsame Lösung mehr für das Problem, weil das Problem sich aufgelöst hat. Manchmal bedarf es aber konkreter Lösungen, und wenn das Paar nicht mehr im Vorwurf miteinander ist, sondern sich unvoreingenommen zuhört und wertschätzend mitteilt, ist das nicht mehr schwer. Ein gutes Beispiel sind Petra und Lutz. Sie sind fast 20 Jahre verheiratet und haben zwei Kinder. Sie haben sich in Süddeutschland kennengelernt und sind dann nach Ostwestfalen gezogen. Petra sagte im Gespräch: Ich will wieder nach Süddeutschland ziehen, allerding war Lutz anderer Meinung, er wollte hier bleiben. Beide haben also erst einmal verschiedene Standpunkte. Meine Absicht ist dann, dass das Paar eine gemeinsame Lösung findet, bei der alle gewinnen. Das heißt auch, wenn das Paar Kinder hat, dass diese bei der Findung einer Lösung berücksichtigt werden. Zuerst einmal geht es darum, dass man den Standpunkt des anderen respektiert und ihn nicht abtut, „das ist doch Quatsch“, oder den eigenen für besser hält. Ich bin prinzipiell immer neugierig zu verstehen, was hinter solchen Aussagen steckt und fragte sie deshalb, wieso sie lieber mit ihrer Familie wieder nach Süddeutschland gehen wolle. Petra erzählte dann: „Ich bin in Süddeutschland geboren, und wir haben uns dort kennen gelernt. Wir haben unsere ersten Jahre dort sehr glücklich verbracht.“ Petra berichtete, dass sie mit ihm nach Ostwestfalen gezogen war, weil Lutz hier eine gute Anstellung bekam. Seit dem hat er allerdings kaum noch Zeit für sie, und die Kinder und die Arbeit gingen immer vor. Ihre Idee hinter dem Umzug war, dass sie wieder an die glückliche Zeit anknüpfen wollte, die sie damals mit ihm dort verbracht hatte. Durch meine Nachfragen konnte auch Lutz ihren Standpunkt verstehen und sehen, dass ihre eigentliche Absicht war, wieder mehr Nähe mit ihm zu leben. Sie tauschten sich dann darüber aus, wie sie das jetzt und hier verwirklichen konnten. Es ging ihr gar nicht so sehr darum, dass er früher nach Hause kam, sondern dass sie beide wieder mehr im Gespräch und im Austausch miteinander waren.

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Sie planten wieder mehr Paartermine ohne die Kinder, sowohl abends als auch für ein Wochenende, was sie sehr lange nicht mehr gemacht hatten. Außerdem vereinbarten sie, dass sie, wenn die Kinder die Schule abgeschlossen haben würden, überprüfen wollten, ob sie hier oder im Süden leben wollen. Beide waren glücklich! Er merkte, dass sie sich nicht von ihm trennen wollte, was er befürchtet hatte, und beide wollten sich gerne wieder die Nähe geben, die sie einmal miteinander hatten. Als er ihren Standpunkt wirklich verstand, und sie erkannte, dass er sie und ihren Standpunkt annahm und respektierte, war es leicht für beide, gemeinsame Lösungen zu finden, bei der alle gewannen. Auch die Kinder wurden berücksichtigt, da sie sich hier in der Zwischenzeit ihr soziales Umfeld aufgebaut hatten und nicht weg ziehen wollten.