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111 Stephan Weber Reduktion von Schadenersatzleistungen Inhaltsverzeichnis I. Zurechnungsschritte 112 II. Funktion der Schadenersatzbemessung 113 III. Einzelne Reduktionsgründe 114 A. Verhältnis von OR 43 I und 44 I 115 B. Reduktionsgründe in der Sphäre der Haftpflichtigen (OR 43 I / 44 II) 116 1. Intensität des Schädigerverschuldens 116 2. Finanzielle Verhältnisse 118 3. Weitere «Umstände» 119 4. Mitwirkende Ursachen und das Phänomen der Verschuldenskonnexität 120 C. Reduktionsgründe in der Sphäre der Geschädigten (OR 44 I) 122 1. «Umstände, für die er einstehen muss» 122 2. Urteilsfähigkeit 124 3. Einstehen für Dritte 127 4. «Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens» 131 5. Erschwerung der Stellung des Ersatzpflichtigen 132 IV. Umfang der Kürzung 133 A. Ersatzbemessung nach OR 43 I 133 1. Quote des Gesamtschadens 133 2. Bemessung gegenüber mehreren Haftpflichtigen 135 B. Abwägungsgrundsätze nach OR 44 I 138 1. Verursachung als Grundlage der Quotenbildung 138 2. Bemessungskriterien 139 3. Sektorielle und schadenspezifische Quotenbildung 145 4. Abwägung bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen 147 V. Konstitutionelle Prädisposition 150 A. Notwendige Differenzierungen 150 B. Moderate Kürzungen 151 C. Berücksichtigung und Beweis bei der Schadensberechnung 152 D. Kürzungen bei unsicherer Kausalität? 154 VI. Schadenminderungspflicht 156 A. Schwankende Rechtsprechung 156 B. Uneinige Lehre 158 C. Hybride Lösung 159 D. Differenzierte Kürzungen 160 VII. Kompensation und Quotelung im SVG 161 A. Werdegang der Sonderregel 161 B. Widerstand der Lehre 164 C. Gegenläufiger Trend der Rechtsprechung 165 D. Persönlicher Standpunkt 167 E. Verteilungsschlüssel 170

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Stephan Weber

Reduktion von Schadenersatzleistungen

Inhaltsverzeichnis

I. Zurechnungsschritte 112

II. Funktion der Schadenersatzbemessung 113

III. Einzelne Reduktionsgründe 114A. Verhältnis von OR 43 I und 44 I 115B. Reduktionsgründe in der Sphäre der Haftpflichtigen (OR 43 I / 44 II) 116

1. Intensität des Schädigerverschuldens 1162. Finanzielle Verhältnisse 1183. Weitere «Umstände» 1194. Mitwirkende Ursachen und das Phänomen der Verschuldenskonnexität 120

C. Reduktionsgründe in der Sphäre der Geschädigten (OR 44 I) 1221. «Umstände, für die er einstehen muss» 1222. Urteilsfähigkeit 1243. Einstehen für Dritte 1274. «Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens» 1315. Erschwerung der Stellung des Ersatzpflichtigen 132

IV. Umfang der Kürzung 133A. Ersatzbemessung nach OR 43 I 133

1. Quote des Gesamtschadens 1332. Bemessung gegenüber mehreren Haftpflichtigen 135

B. Abwägungsgrundsätze nach OR 44 I 1381. Verursachung als Grundlage der Quotenbildung 1382. Bemessungskriterien 1393. Sektorielle und schadenspezifische Quotenbildung 1454. Abwägung bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen 147

V. Konstitutionelle Prädisposition 150A. Notwendige Differenzierungen 150B. Moderate Kürzungen 151C. Berücksichtigung und Beweis bei der Schadensberechnung 152D. Kürzungen bei unsicherer Kausalität? 154

VI. Schadenminderungspflicht 156A. Schwankende Rechtsprechung 156B. Uneinige Lehre 158C. Hybride Lösung 159D. Differenzierte Kürzungen 160

VII. Kompensation und Quotelung im SVG 161A. Werdegang der Sonderregel 161B. Widerstand der Lehre 164C. Gegenläufiger Trend der Rechtsprechung 165D. Persönlicher Standpunkt 167E. Verteilungsschlüssel 170

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VIII. Wesentliche Befunde 171

Literaturverzeichnis 172

I. Zurechnungsschritte

Die Zurechnung eines Schadens hängt von verschiedenen Schritten ab. Zunächst von der Haftungsbegründung, die darüber entscheidet, ob sich die schädigende Ursache einem Haftungstatbestand zuordnen lässt, was anhand des Kausalzu-sammenhangs, der Widerrechtlichkeit und des Verschuldens oder Betriebsgefahr zu prüfen ist. Ist die Haftung dem Grunde nach zu bejahen, stellt sich die Frage nach dem «Wieviel» der Haftung, der Haftungsausfüllung. Die Antwort hängt wiederum vom Kausalzusammenhang ab, der entscheidet, welche Folgen zuzu-rechnen sind, sodann vom Schadensbegriff und der Schadensberechnung, die festlegen, wie die eingetretene Verletzung monetär zu bewerten ist und letztlich von der Schadenersatzbemessung, die eine nochmalige Überprüfung der Ange-messenheit des Zurechnungsentscheides ermöglicht.

Gegenstand der nachfolgenden Betrachtung bildet dieser letzte Zurechnungs-schritt, die Frage, unter welchen Voraussetzungen der festgestellte Schaden nur teilweise zu ersetzen ist. Die Reduktion der Schadenersatzleistungen lässt sich allerdings dogmatisch nicht allein der Schadenersatzbemessung zuordnen. Eini-ge Reduktionsgründe weisen einen Zwittercharakter auf und sind je nach Kons-tellation auch bei der Schadensberechnung anzusiedeln. Es trifft dies insbesonde-re für die konstitutionelle Prädisposition und die Schaden-minderungspflicht zu. Ein Blick auf OR 42 II zeigt aber, dass auch noch weitere Reduktionsmöglich-keiten im Rahmen der Schadensberechnung zu diskutieren sind.

Im Extremfall können die Reduktionsgründe auch zu sog. Entlastungsgründenwerden und gänzlich von der Haftung befreien. Es ist dies im hier untersuchten Problemkreis v.a. das Selbstverschulden, das bei der nötigen Intensität diese Wirkung herbeiführen kann. Die Befreiung von der Haftung, aber auch anderen Fragen im untersuchten Problemkreis wird im Folgenden nicht nachgegangen. Die Betrachtung beschränkt sich auf einen herausgegriffenen Mix von grundsätz-lichen und aktuellen Themen.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

Ursache

Haftungsbegründung Haftungsausfüllung

Kausalzusammenhang Kausalzusammenhang

Widerrechtlichkeit oder Ver-tragsverletzung

Verschulden, Mangel oder Betriebsgefahr

Adäquanz, Normzweck, Risikoerhöhung

Schaden

GeschuldeterSchadenersatz

Reduktion

Primär-verletzung

Folge- verletzung

Folge- verletzung

Die Schadenzurechnungsschritte im Rahmen der Haftungsbegründung und Haf-tungsausfüllung können grafisch so zusammengefasst werden:

II. Funktion der Schadenersatzbemessung

Steht der Umfang der zurechenbaren Verletzungsfolgen sowie die Auswirkung auf das Vermögen des Geschädigten fest, ist damit das Maximum dessen be-stimmt, das der Ersatzpflichtige an den Geschädigten zu leisten hat. Zwar ergibt sich aus der vorbehaltlosen Formulierung der Haftungstatbestände, dass der Haftpflichtige den ganzen Schaden übernehmen muss, doch kann von diesem Grundsatz dann abgewichen werden, wenn bestimmte Gründe gegen eine volle Schadensüberwälzung sprechen. Erst im Reduktionsverfahren – der sog. Scha-denersatzbemessung – entscheidet sich, in welchem Umfange die haftpflichtige Person für den Schaden aufkommen muss.

Die einzelnen Haftungsvoraussetzungen tragen den konkreten Umständen, na-mentlich den Interessen des Ersatzpflichtigen, nur beschränkt Rechnung. So ignoriert der Kausalzusammenhang mitwirkende Tatbeiträge des Geschädigten oder eines Dritten, denn für die Zurechnung genügt, wenn die haftungsbegrün-dende Ursache conditio sine qua non des Erfolgseintritts ist und sie kann daher auch nur Teilursache sein. Auch eine wertende Modifizierung der Kausalverbin-dung, die mit der Adäquanz-, Normzweck oder Gefahrbereichstheorie ermöglicht

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werden soll, kann eine gerechte Schadensverteilung nur unvollkommen verwirk-lichen. Soweit die Zusatzkriterien überhaupt brauchbare Restriktionen aufstellen, was jedenfalls für die Adäquanztheorie zu bezweifeln ist, können damit nur jene Folgen aus der Kausalkette gelöst werden, für die ein «Verantwortungszusam-menhang» überhaupt nicht mehr ersichtlich ist, da sie zur Haftungsursache in einem geradezu zufälligen Verhältnis stehen.

Auch der Schadensbegriff lässt mitwirkende Ursachen grundsätzlich unbeachtet. Er orientiert sich am faktischen Vermögensabfluss und gibt, soweit keine norma-tiven Korrekturen eingreifen, selbst unnötige und unvernünftige Dispositionen des Geschädigten als relevante Bezugsgrösse aus. Eine, allerdings bedeutsame Ausnahme besteht, wenn der Schaden nicht ziffernmässig bestimmt werden kann, sondern vom Richter abgeschätzt werden muss. Alsdann bietet sich im Rahmen von OR 42 II die Möglichkeit, die Erkenntnislücken mit Erfahrungswer-ten zu füllen. Damit fliessen zwangsläufig auch Wertungen ein, auch solche, die im Rahmen der Schadenersatzbemessung zu berücksichtigen sind.

Mit der Schadenersatzbemessung soll die Einzelfallgerechtigkeit hergestellt werden, die sich mit dem begrifflichen Voraussetzungskatalog der Haftungstat-bestände nur in Umrissen erreichen lässt. Mit der strikten Trennung zwischen Haftungsbegründung und Schadensberechnung einerseits sowie der Ersatzbe-messung andererseits wird ein optimaler Ausgleich zwischen auf Rechtssicher-heit bedachter Objektivierung und der Individualgerechtigkeit dienender Subjek-tivierung geschaffen. Die Zweiteilung des Zurechnungsvorganges hat auch grosse praktische Bedeutung, dann nämlich, wenn die Schadenersatzleistungen mit Versicherungsleistungen zusammentreffen und die geschädigte Person über das Quotenvorrecht verfügt, das es ihr erlaubt, Kürzungen im Rahmen der Scha-denersatzbemessung ganz oder teilweise zu kompensieren.

III. Einzelne Reduktionsgründe

Eine Reduktion des Ersatzbetrages darf nur vorgenommen werden, wenn be-stimmte Gründe vorliegen. Diese sind vor allem in OR 43 und 44 zu finden. Die beiden Bestimmungen haben einen umfassenden Anwendungsbereich. Sie kom-men – kraft Verweis oder durch gleichlautende oder ähnliche Bestimmungen in den Spezialgesetzen – im gesamten Haftpflichtrecht zum Zuge.

OR 43 verweist neben der Grösse des Verschuldens allgemein auf die Umstände, während OR 44 von Umständen spricht, für die der Geschädigte einstehen muss. Als weitere Reduktionsgründe erwähnt OR 44 I die Einwilligung und in Abs. 2

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die Notlage des Ersatzpflichtigen. Ausserhalb von OR 43 und 44 finden sich weitere Herabsetzungsgründe, z.B. in OR 99 II die «besondere Natur des Ge-schäfts» und die damit verbundenen «Vorteile». Nach KHG 7 II, SVG 62 II und EHG 4 kann auch ein «ungewöhnlich hohes Einkommen» des Betroffenen eine Herabsetzung des Ersatzbetrages rechtfertigen. EHG 5 und SVG 59 II sehen eine Ermässigung der Ersatzpflicht für den Fall vor, dass ein «Verschulden» des Ge-schädigten mitgewirkt hat. Mit pönalen Motiven lassen zudem EHG 6/7 und ElG 35 eine Reduktion oder gar den gänzlichen Ausschluss der Haftung eintreten, wenn der Schaden anlässlich eines deliktischen Verhaltens entstanden ist1. Voll-umfänglich befreit wird gemäss PauRG 15 lit. a der Veranstalter oder Vermittler einer Pauschalreise, wenn die Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung auf Versäumnisse des Konsumenten zurückführt2.

A. Verhältnis von OR 43 I und 44 I

In der Praxis wird häufig zwischen OR 43 und 44 oft nicht klar differenziert und die vorgenommene Kürzung pauschal unter beide Titel gestellt3. Auch wenn die Ersatzbemessung von einem weiten Ermessen geprägt ist und nicht die gleiche Tatbestandsstrenge aufweist wie die Haftungsbegründung, ist der Kürzungsent-scheid normspezifisch zu treffen. Bereits der Wortlaut der beiden Bestimmungen deutet nämlich auf verschiedene Anwendungsfelder hin. Während OR 43 I den Richter anhält, neben der Grösse des Verschuldens die Umstände zu würdigen, präzisiert OR 44 I, dass nur jene Umstände relevant sein sollen, «für die er (sc. der Geschädigte) einstehen muss». Daraus ist zu schliessen, dass die Redukti-onsgründe in OR 44 I der Sphäre des Geschädigten entstammen müssen, wäh-rend zu OR 43 I all jene Umstände gehören, die ausserhalb der Sphäre des Ge-schädigten liegen. Dass die Unterscheidung der Reduktionsgründe in OR 43 und 44 nicht nur deklaratorische Bedeutung hat, zeigt sich nebst einer gewissen Aus-

1 Zur Anwendung dieser fragwürdigen Befreiungsgründe ausserhalb des EHG und ElG: OFTINGER/STARK II/2 § 25 N 469 ff.

2 Vgl. dazu BGE 130 III 182, in dem ein kostbarer Koffer auf einer Kreuzfahrt abhanden kommt und die Entschädigung auf den Betrag reduziert wird, der dem üblichen Wert eines Koffers entspricht, weil über die Kostbarkeiten nicht informiert wurde. Angesprochen ist damit die hier nicht behandelte Warnpflicht, die zum delikaten Thema der Schadenverhütungspflichten gehört.

3 Urteil des Bundesgerichts 4C.75/2004 v. 16.11.2004, E. 4.2; weitere Zitate bei BREHM, Berner Komm. N 31 zu OR 43. OSER/SCHÖNENBERGER Zürcher Komm. N 5 zu OR 43 gehen davon aus, dass mit den Umstän-den i.S.v. OR 43 I «vorerst die in OR 44 genannten» gemeint sind.

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schlusswirkung4, auch in den unterschiedlichen Rechtsfolgen, welche die beiden Bestimmungen auslösen5.

B. Reduktionsgründe in der Sphäre der Haftpflichtigen (OR 43 I / 44 II)

1. Intensität des Schädigerverschuldens

Nach OR 43 I hat der Richter bei der Festlegung des Haftungsumfangs «sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen». Der Bemessungs-faktor des Schädigerverschuldens, dem namentlich bei der Verschuldenshaftung Bedeutung zukommt6, darf nicht dahin verstanden werden, dass zwischen Schuld und Schadenersatz ein Gleichgewicht bestehen soll7, denn damit würde das Aus-gleichsprinzip für die Verschuldenshaftung so weit relativiert, dass nur gerade schwerste Verfehlungen zum vollen Ausgleich berechtigen. Mit einer solchen Bemessungspraxis würde der Pönalgedanke ungebührlich in den Vordergrund gerückt und an die Stelle der Billigkeit gesetzt, die Leitmotiv der Schadenersatz-bemessung sein muss. OR 43 I darf auch nicht eingesetzt werden, um Unsicher-heiten bei der Haftungsbegründung zu kompensieren, etwa im Zusammenhang mit dem Verschulden oder der Zurechnung8. Wer OR 43 unter diesem Aspekt

4 So darf ein Herabsetzungsgrund, der unter dem einen Titel ausscheidet, nicht bei der anderen Bestimmung wieder eingeführt werden.

5 Näheres hinten Ziff. IV. 6 Da Kausalhaftungen kein Verschulden voraussetzen, ist eine «Verschuldensermässigung» nicht denkbar.

Dies gilt zumindest für die Gefährdungshaftungen. Zweifelhaft ist die Anwendung von OR 43 I aber bei den gewöhnlichen Kausalhaftungen, die wie OR 55, 56 oder ZGB 333 an ein menschliches Verhalten anknüp-fen und damit Verschuldenselemente voraussetzen; ablehnend BREHM, Berner Komm. N 41 ff. zu OR 43 mit Hinweisen auf die uneinheitliche Praxis des Bundesgerichts. Das Verschulden des Haftpflichtigen ge-winnt bei den Kausalhaftungen dann an Bedeutung, wenn der Geschädigte Reduktionsgründe zu vertreten hat, die der Intensität des Haftungsgrundes gegenüber zu stellen sind.

7 So aber noch OFTINGER I 263 f.; BECKER, Berner Komm. N 8 zu OR 43. Kritisch zu dem ursprünglich von VON JHERING und BLUNTSCHLI verfochtenen Gedanken eines Schuldgleichgewichts auch MERZ, SPR VI/1 220; vgl. auch STARK, Skriptum N 518 ff.; SCHWAMB 92 f.; BRUNNER N 213; REY N 399; ROBERTO, Haft-pflichtrecht N 831.

8 In diese Richtung STARK ZSR 86/1967 II 38; DERS. Skriptum N 521. Zwar ist STARK zuzustimmen, dass in der Wirklichkeit vieles nicht einfach «weiss oder schwarz» ist, trotzdem muss sich der Richter aber auch im Haftpflichtrecht über die Tatbestandsmässigkeit klar aussprechen und seinen Entscheid begründen. In den Grenzfällen wird es sich jedoch durchwegs um «leichte» Fälle handeln und daher eine Kürzung nach OR 43 I nahe liegen. Anders als das Verschulden lassen aber der Begriff der Adäquanz und andere Zurech-nungskriterien eine graduelle Abstufung nicht zu. Gleichwohl wird die Intensität des Kausalzusammen-hangs häufig als Bemessungsfaktor behandelt, so z.B. bei BREHM, Berner Komm. N 53 f. zu OR 43, der darauf hinweist, «dass gerade auf diesem Gebiet Art. 43 dem Richter gute Dienste erweisen kann». Vgl. auch PAUL SCHWARTZ, Adäquate Kausalität und Verschuldenshaftung, BJM 1970, 1 ff., nach dem OR 43 eine restriktivere Fassung des Kausalzusammenhangs entbehrlich macht; ähnliche Argumentation auch

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zum Zuge kommen lassen will, akzeptiert aber auch, dass im Zweifel die Haf-tung zu bejahen ist.

OR 43 liegt der Gedanke zugrunde, dass die konkrete Art und die Intensität des Haftungsgrundes eine Abweichung vom Grundsatz des Totalersatzes rechtferti-gen können. Die durch die einzelnen Haftungselemente vorgezeichnete generelle Interessenabwägung ruft bei einer Gesamtschau des konkreten Ereignisses nach einer Korrektur. Dazu müssen aber gewichtige Gründe vorliegen. Allein leichtes Verschulden darf nicht automatisch eine Minderung der Leistungspflicht nach sich ziehen9. Nach der in OR 41 vorgesehenen Rechtsfolge löst jeder Verschul-densgrad vorbehaltlos die volle Haftpflicht aus. Voller Schadenersatz, das fordert das Ausgleichsprinzip, ist die Regel, Reduktion die zu begründende Ausnahme10.Nebst der Geringfügigkeit des Verschuldens müssen weitere Gründe für eine abweichende Rechtsfolge sprechen11. Es ist zu bedenken, dass der Geschädigte ohne die Unsorgfalt des Ersatzpflichtigen keinen Schaden erlitten hätte. Ein allzu grosszügiges Entgegenkommen kann für den Geschädigten eine unbillige Härte bedeuten. Anderseits ist die Grenze zwischen Verschulden und Nicht-Verschulden fliessend12.

In der Praxis spielt die Reduktion infolge leichten Verschuldens eine marginale Rolle. Nach ROBERTO ist sie gar bedeutungslos, was in der Lehre kaum wahrge-nommen werde13: «Sowohl die Analyse der Rechtsprechung zu den einzelnen Reduktionsgründen als auch die Betrachtung ausländischer Rechtsordnungen führen zu dem Schluss, dass das tradierte schweizerische System der Schadens-bemessung den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht wird und überdies geeignet ist, die Gerichte bei der Entscheidfindung in die Irre zu führen»14.

bei WALTER LANZ, Alternativen zur Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang, Diss. Bern 1974, 75 ff., 77 ff. Dass OR 43 I in der Praxis häufig zur Lösung anders beheimateter Probleme, solche der Zurechnung oder der Schadensberechnung, herangezogen wird, stellt auch SCHWAMB 91 f. fest.

9 So aber A. KELLER I 124, nach dem sich die Ersatzpflicht «von vornherein nach der Grösse des Verschul-dens» bemisst, «was praktisch darauf hinausläuft, dass geringfügiges Verschulden zu einer Ermässigung des Ersatzanspruchs führt». Für eine «automatische» Reduktion, soweit kein schweres Verschulden vor-liegt auch SCHNYDER, Basler Komm. N 7 zu OR 43 m.w.N. pro und contra.

10 OFTINGER/STARK I, § 7 N 12, die zu bedenken geben, dass man dem Schädiger nur zu Lasten des Ge-schädigten entgegenkommen kann. Vgl. auch BREHM, Berner Komm. N 76 zu OR 43.

11 Dass eine Schadenersatzreduktion nur eintreten darf, wenn auch die übrigen Umstände zugunsten des Schädigers liegen, nehmen auch OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Komm. N 3 zu OR 43 und KELLER/GABI

103 an. Auch die Praxis steht überwiegend auf diesem Standpunkt; vgl. SCHWAMB 92 ff.; BRUNNER N 213; vgl. auch WERRO capacité N 482 ff., der darauf hinweist, dass bereits die Konjunktion «et» im französi-schen Gesetzestext – in der dt. Fassung «sowohl – als» – diese Deutung nahe legt (a.a.O. N 487).

12 In diesem Sinne BREHM, Berner Komm. N 26 zu OR 43. 13 ROBERTO, Haftpflichtrecht N 864 ff.; im gleichen Sinne BREHM, Berner Komm. N 76 zu OR 43, der den

Hauptanwendungsfall bei Kindern als Schädiger sieht. 14 ROBERTO, Haftpflichtrecht N 872.

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2. Finanzielle Verhältnisse

OR 44 II, der systematisch eigentlich zu OR 43 gehört15 erlaubt eine Ermässi-gung der Ersatzpflicht, wenn der Haftpflichtige durch die Leistung des Schaden-ersatzes in eine Notlage versetzt wird.

Durch die Haftpflichtversicherung hat diese Reduktionsmöglichkeit an Bedeu-tung verloren, denn der Versicherungsschutz schliesst eine Kürzung aus16. An-gewendet wurde die Kürzungsmöglichkeit ausnahmsweise in BGE 80 II 250. Auf OR 44 II kann sich nur berufen, wem weder Absicht noch Grobfahrlässig-keit vorzuwerfen ist17. Zudem muss die Belastung sehr erheblich sein, momenta-ne Geldschwierigkeiten genügen noch nicht. «Eine Notlage liegt nicht schon vor, wenn die Ersatzverpflichtung drückend, sondern erst wenn sie erdrückend ist»18.In BGE 100 II 338 f. wurde es drei 18-Jährigen zugemutet, einen Schaden von CHF 12'375.- zu begleichen, auch wenn sie noch in der Ausbildung waren und über keine Mittel verfügten. Auch Regressmöglichkeiten schliessen die Redukti-on aus, und keine Berechtigung hat sie, wenn der Schädiger bereits insolvent ist19. Man kann sich ohnehin fragen, ob die Sorge um das Existenzminimum nicht besser dem SchKG überlassen werden sollte20.

Inwieweit allgemein die finanzielle Situation der Parteien als Umstand i.S. von OR 43 berücksichtigt werden kann, ist fraglich. Immerhin sehen EHG 4, SVG 62 II und KHG 7 II eine Kürzungsmöglichkeit für den Fall vor, dass die geschädigte Person über ein ungewöhnlich hohes Einkommen verfügt. Ob darin ein allge-meiner Grundsatz gesehen werden darf, ist umstritten21. Die Nagelprobe bringen wohl die Managerlöhne in zweistelliger Millionenhöhe. Zwar spielen soziale Erwägungen im Haftpflichtrecht eine untergeordnete Rolle und wer hat, dem wird im Haftpflichtrecht gegeben, die Grenze ist aber dort erreicht, wo exorbi-tante Summen zur Diskussion stehen, die auch nicht mehr durch die Garantie-summe gedeckt sind. Dann aber wird man die Kürzung unter OR 44 II nehmen können, da die meisten Schädiger auch in eine Notlage geraten werden.

15 So auch BREHM, Berner Komm. N 67 zu OR 44. 16 BGE 113 II 328; KELLER I 145; BREHM, Berner Komm. N 72 zu OR 43 mit weiteren Zitaten. Nach HONSELL

§ 9 N 32 soll dies allerdings nur bei den obligatorischen Haftpflichtversicherungen gelten, was nicht ein-leuchtet, da so oder anders die Notlage durch die Versicherung gerade vermieden wird.

17 ROBERTO, Haftpflichtrecht N 850; REY N 433. Wegen grobem Verschulden wurde die Kürzung in BGE 108 II 427 abgelehnt.

18 KELLER I 145. 19 OFTINGER/STARK I, § 7 N 54; REY N 435; WERRO N 30 zu OR 43; BREHM, Berner Komm. N 73 zu OR 44. 20 OFTINGER/STARK I, § 7 N 58. 21 So KELLER I 149, MERZ, SPR VI/1 231 f.; dagegen BREHM, Berner Komm. N 63 zu OR 43 und auch

ROBERTO, Haftpflichtrecht N 897.

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Kaum vorbeisehen kann ein Richter, wenn die geschädigte Person in bescheide-nen Verhältnissen lebt. Dass alsdann eine gewisse Zurückhaltung bei der Scha-denersatzreduktion angebracht ist, entspricht dem Rechtsfolgeermessen, das OR 43 und 44 zulässt22.

3. Weitere «Umstände»

Umstände, die den Haftungsgrund in ein anderes Licht stellen und die vom Ver-schuldensbegriff nicht oder nur unvollständig erfasst werden, sind die Unentgelt-lichkeit oder der Gefälligkeitscharakter der schädigenden Handlung23. Dass ein altruistisches Handeln die Verantwortlichkeitsordnung zu beeinflussen vermag, hat der Gesetzgeber mit dem Haftungsprivileg des Schenkers, der nach OR 248 für leichtes Verschulden überhaupt nicht einzustehen hat, ausdrücklich aner-kannt.

Das Motiv der Gefälligkeit war in der ursprünglichen Fassung des SVG nicht nur ein Reduktions- sondern gar ein besonderer Befreiungsgrund. Für die Streichung von SVG 59 III anlässlich der Revision im Jahre 1975 war weniger die Überbe-tonung des Gefälligkeitsgedankens im SVG ausschlaggebend, als vielmehr die damalige Ölkrise, die das Bedürfnis nach Fahrgemeinschaften wach werden liess. In der Lehre ist umstritten, ob der Reduktionsgrund im SVG noch angeru-fen werden darf. BGE 127 III 446 hat zumindest für die unentgeltliche Überlas-sung des Fahrzeugs die Gefälligkeit via OR 43 I zugelassen und eine markante Kürzung von 30 % als angemessen taxiert.

Den Beweggrund des uneigennützigen Handelns berücksichtigt auch OR 99 II,wonach eine mildere Haftung gelten soll, «wenn das Geschäft für den Schuldner keinerlei Vorteile bezweckt». In einigen Entscheiden wurde die Entschädigung reduziert, weil lediglich ein bescheidenes Entgelt vereinbart worden ist24.

Ein besonderes Licht auf die Haftungsverhältnisse kann auch die persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten werfen25. Zwar gibt es kein Haftungsprivileg bei Schädigungen unter Familienangehörigen, doch kann ausnahmsweise Ver-wandtschaft oder Freundschaft als zusätzliches Moment eine Herabsetzung legi-

22 Zur Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse BREHM, Berner Komm. N 62 ff. zu OR 43; REY N 4 33 ff.zu OR 43; STARK, Skriptum N 379 und DERS., Probleme der Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, ZSR 86/1967 II 48 ff; SCHNYDER, Basler Komm. N 10 zu OR 43.

23 BREHM, Berner Komm. N 55 ff. zu OR 43; SCHNYDER, Basler Komm. N 112 zu OR 43; WERRO N 34 f. zu OR 43; REY N 429 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht N 862 f.; SCHWAMB 101 f.; BRUNNER N 258: «In einem sol-chen Fall entspricht es Billigkeitserwägungen, dass das gestörte Verhältnis von Leistung und Gegenleis-tung sich im Schadenfalle mit umgekehrten Vorzeichen auf die Haftung überträgt».

24 BGE 127 III 459 f.; 92 II 242; 64 II 263 f. 25 BGE 96 II 180; BJM 1980, 29; BREHM, Berner Komm. N 59 zu OR 43.

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timieren. Heikel ist allerdings die Ansicht, eine Kürzung habe immer dann zu erfolgen, wenn die haftpflichtige Person von den Leistungen eines Haftpflicht-versicherers profitiere26. Zumindest muss näher definiert werden, wann ein sol-ches Profitieren überhaupt anzunehmen ist. Zudem muss beachtet werden, dass Beziehungen häufig nicht ewig halten, eine Kürzung aber nachhaltig ist.

Der Zufall gehört – auch wenn hier am Schluss erwähnt – zu den am häufigsten angeführten Reduktionsmotiven. Beim näheren Hinsehen der unter diesem As-pekt angeführten Entscheide27 zeigt sich indessen, dass die dahinterstehenden Motive äusserst heterogen sind und es sich meist um Verschuldensaspekte han-delt oder zumindest ein weiterer Reduktionsgrund involviert ist28. Im Übrigen ist SCHWAMB zuzustimmen, wenn er im Anschluss an die Darstellung der schweize-rischen Kürzungspraxis zum mitwirkenden Zufall schreibt, dass «der Zufall schlichtweg alles sein» kann, «was das Gericht, wenn es ihn überhaupt näher umschreibt, hierfür erklärt»29. Eine Kürzung unter dem globalen Hinweis auf mitwirkenden Zufall genügt der «Pflicht der Rechtsanwendung, die Gründe ihrer Entscheidung offen dazulegen»30, jedenfalls nicht!

4. Mitwirkende Ursachen und das Phänomen der Verschuldenskonnexität

Zu keiner Kürzung führt grundsätzlich das Zusammentreffen mehrerer Scha-densursachen. Weder das Verhalten eines Dritten noch mitwirkender Zufall i.S. einer von den Beteiligten unabhängigen Zusatzursache vermag für sich allein von der vollen Haftung zu dispensieren, denn ohne das Dazwischentreten des Schädigers hätten sich diese konkurrierenden Ursachen nicht oder zumindest nicht im zur Diskussion stehenden Umfange ausgewirkt. Der Schädiger kann allein aus der Beteiligung weiterer Ursachen noch nichts zu seinen Gunsten ab-leiten. Da sich der Sorgfaltsverstoss nicht abstrakt, sondern immer unter den gegebenen Umständen beurteilt, fliessen mitwirkende Ursachen und Umstände gleichwohl in die Verschuldensprüfung ein31. Dies gilt auch für das Verhalten des Geschädigten, das ebenso wie die anderen Begleitumstände das Verschulden des Schädigers als weniger schwer erscheinen lassen kann.

In der Praxis wird diese Interdependenz von Sorgfalt und Begleitumständen nur anerkannt, wenn das Verschulden des Schädigers mit dem Verschulden eines

26 So BREHM, Berner Komm., N 60 zu OR 43. 27 Vgl. etwa die Zusammenstellung bei BREHM, Berner Komm. N 52 zu OR 43; weiter REY N 417 ff.,

ROBERTO, Haftpflichtrecht N 853 ff.; WERRO N 36 ff. zu OR 43 28 Dazu Ziff. III./B./4. 29 SCHWAMB, 404. 30 So MERZ, SPR VI/1 234. 31 Die entscheidende Frage lautet: Wie hätte sich der Schädiger in der konkreten Situation verhalten sollen?

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Dritten konkurriert32. Diese als Verschuldenskonnexität bezeichnete Ausnahme lässt sich nicht begründen, denn die Schwere des Verschuldens hängt nicht von einzelnen selektierten Umständen ab. Genau genommen ist daher auch die Aus-drucksweise verfehlt, das Verschulden wiege durch die mitwirkenden Umstände leichter, denn die Verschuldensqualität entspringt einem einheitlichen Denkvor-gang, der sich nicht in eine Beurteilung der Handlung mit und ohne Begleitum-stände aufspalten lässt. Es ist evident, dass das mitursächliche Verhalten und mitwirkender Zufall keine besonderen Bemessungsfaktoren sein können, sondern indirekt, über das Verschulden, auf die Höhe des Ersatzanspruchs einwirken33.

Da sich das Verschulden nur auf die Haftungsbegründung, d.h. auf die Herbei-führung der primären Rechtsgutsverletzung zu beziehen braucht, kann es von einem nachfolgenden Verhalten eines Dritten oder des Geschädigten nicht mehr beeinflusst werden34. Die verschuldensunabhängige Entwicklung des Schaden-verlaufs kann jedoch zusammen mit dem leichten Verschulden Anlass für eine Herabsetzung des Schadenersatzanspruchs sein.

Soweit eine Mitursache bereits nach OR 44 I zu einer Reduktion führt, darf sie in OR 43 I nicht mehr zusätzlich berücksichtigt werden. Wenn aber der Geschädig-te an der Haftungsbegründung mitursächlich beteiligt ist und durch diese Mit-wirkung das Verschulden des Schädigers leicht wiegt, sind sowohl OR 43 I wie OR 44 I anwendbar35. Der gleiche Umstand darf aber nicht zweimal veranschlagt werden, was schon dadurch verhindert wird, dass eine Reduktion nicht automa-tisch, sondern nur nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen vorge-nommen werden darf. In einem solchen Fall ist der Mitwirkungsbeitrag des Ge-

32 Grundlegend BGE 93 II 322 f., vgl. auch vorn BGE 112 II 144; 113 II 331; Bericht der Studienkommission zur Gesamtrevision des Haftpflichtrechts, Bern 1991, 51; SCHNYDER, Basler Komm. N 15 zu OR 43.

33 Gleich auch STARK, Skriptum N 347, 353: «Bei der Verschuldenshaftung liegt eine scheinbare Ausnahme vor, weil dort das Drittverschulden (sc. und wie zu ergänzen wäre generell ein Drittverhalten!) das Ver-schulden des Primärhaftpflichtigen als sehr leicht erscheinen lassen kann.» Als Beleg, dass nicht die mit-wirkende Ursache an sich, sondern das Verschulden den eigentlichen Reduktionsgrund darstellt, kann auch die Praxis des BGer zum Reduktionsfaktor des Zufalls angeführt werden, wo vielfach gar kein Zufall im engeren Sinne vorliegt; vgl. z.B. BGE 40 II 277 (in Zeitungspapier eingewickelte Gewehrpatronen liegen im Schrank und werden beim Aufräumen ins Feuer geworfen, wo sie explodieren); BGE 41 II 687 (Passie-ren einer Selbstschussvorrichtung zu ungewohnter Zeit); BGE 47 II 431 (Ausrutschen der Geschädigten und Verletzung durch eine mit ungenügenden Schutzvorrichtungen versehene Dreschmaschine). In all die-sen Fällen sind direkt Verschuldensgesichtspunkte angesprochen.

34 Erst nachträglich in den Kausalverlauf schaltet sich z.B. der Arzt ein, dem ein Kunstfehler unterläuft, was zur Verschlimmerung der Unfallverletzung führt. Dieses Verhalten ändert am Verschulden des Haftpflichti-gen an der Herbeiführung des Schadens selbstverständlich nichts. Unerheblich ist daher auch, ob solche Folgen voraussehbar sind.

35 Damit findet aber keine Vermischung der unterschiedlichen Anwendungsfelder statt, denn OR 43 I betrifft die Intensität des Haftungsgrundes, OR 44 I den zurechenbaren Schadensanteil.

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schädigten nach Massgabe von OR 44 I in Abzug zu bringen36 und erst danach zu prüfen, ob unter dem Gesichtspunkt von OR 43 I, in Anbetracht des bereits redu-zierten Schadenersatzbetrages eine weitere Kürzung opportun ist.

C. Reduktionsgründe in der Sphäre der Geschädigten (OR 44 I)

1. «Umstände, für die er einstehen muss»

Die Stellung des Ersatzpflichtigen wird durch die Mitwirkung einer weiteren Ursache – sieht man von der Interdependenz zum Verschulden ab – grundsätz-lich nicht tangiert. Der vom Geschädigten in Anspruch Genommene kann erst im Innenverhältnis, mittels Regress, auf Mithaftpflichtige greifen und damit den Schaden ganz oder teilweise abwälzen. Dieses Vorgehen ist dann nicht möglich, wenn der Mitverursacher nicht ein Dritter, sondern der Geschädigte selbst ist. Alsdann muss bereits in einem ersten Schritt über die endgültige Schadenstra-gung entschieden werden.

Für diese Schadensverteilung zwischen Schädiger und Geschädigtem stehen theoretisch drei Möglichkeiten offen: Entweder bleibt die Mitwirkung des Ge-schädigten gänzlich unbeachtet und damit der Ersatzanspruch in voller Höhe erhalten, oder die Mitbeteiligung führt zum Wegfall der Haftung des Schädigers, wie dies der gemeinrechtliche Grundsatz der sog. Culpakompensation vorsah. Der Kompensationsgedanke findet sich heute noch im Entlastungsgrund des groben Selbstverschuldens und er ist als Rechtsfolge auch bei gewissen Formen der culpa in contrahendo sowie im Gewährleistungsrecht37 anzutreffen38. Die dritte, gleichsam zwischen den beiden Extremen liegende Lösung besteht in der Aufteilung resp. Quotierung des Schadens. Das starre Alles-oder-Nichts-Prinzip wird durchbrochen und dem Geschädigten nur ein Teil seines Schadens ersetzt.

Der Gedanke einer Schadensteilung ist in OR 44 I sowie in weiteren spezialge-setzlichen Bestimmungen39 verankert und erscheint uns heute selbstverständlich, denn ein variabler Massstab wird den Lebensverhältnissen zweifellos am besten gerecht. Welche Kriterien aufseiten des Geschädigten erfüllt sein müssen, damit eine Kürzung der Leistungen vorgenommen werden darf, lässt der Wortlaut von OR 44 I nicht erkennen. Er verweist lediglich auf die «Umstände», für die der Geschädigte «einstehen muss», sowie darauf, dass diese «auf die Entstehung

36 Über die Rangfolge von OR 43 und 44 auch nachstehend Ziff IV./B./3. 37 Vgl. etwa OR 369 und dazu BGE 116 II 454. 38 OR 26 I und 39 I. Der Kompensationsgedanke steht auch hinter der im SVG vertretenen, aber abzuleh-

nenden Schadensaufteilung im Haftungskollisions- und Regressfall, dazu hinten Ziff. V. 39 EHG 5; SVG 59 II.

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oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatz-pflichtigen sonst erschwert» haben, d.h. kausal sein müssen40.

In Lehre und Praxis herrscht über die Moderationsgründe von OR 44 I indessen weitgehend Einigkeit. Die Voraussetzungen für einen «Abzug» sind erfüllt, wenn dem Geschädigten ein Selbstverschulden vorgeworfen werden kann. Daneben haben sich weitere Reduktionsfaktoren etabliert, so das sog. «Handeln auf eigene Gefahr» oder die konstitutionelle Prädisposition des Geschädigten. Zulasten des Geschädigten gehen aber auch die Betriebsgefahr und andere Ge-fahrenmomente, doch muss es sich um Gefahrenquellen handeln, «für die er als Haftpflichtiger einzustehen hätte»41.

Durch die Erweiterung des Kreises relevanter Herabsetzungsgründe hat sich ein eigentliches Zurechnungs- oder besser Anrechnungsprinzip entwickelt, das an den Geschädigten die gleichen Anforderungen stellt, die bei der Fremdschädi-gung die Haftung auslösen. In der Konstruktion eines quasi symmetrischen Tat-bestandes liegt ganz offensichtlich das Bemühen, Schädiger und Geschädigter gleich zu behandeln. Nicht in diesen Kontext passt allerdings die konstitutionelle Prädisposition und das Handeln auf eigene Gefahr, denn diese, allein auf eine Gefahrensituation abstellenden Reduktionsgründe, finden auf der Haftungsseite keine Entsprechung. Das Verhalten gegenüber Dritten und das gegenüber sich selbst lassen sich nicht so ohne weiteres unter ein und denselben Bewertungs-massstab bringen.

Den Schlüssel zum Verständnis der Schadenteilungsnorm liefern nicht die ein-zelnen Haftungsvoraussetzungen, sondern die Risikoverteilung. Die Schadens-überwälzung wird auf der Haftungsseite dadurch legitimiert, dass mit der für Dritte geschaffenen Risikosteigerung die Verantwortung für die eigenen Rechts-güter aufhört. Diese Ausnahme vom Grundsatz der Sachzuständigkeit kann dann nicht mehr gelten, wenn der Geschädigte seinerseits die eigenen Rechtsgüter gefährdet und damit sein Integritätsinteresse aufs Spiel setzt42. Aus der Gefahr-exponierung erwachsen dem Schädiger keine Eingriffsbefugnisse, denn sie darf nicht mit der Einwilligung gleichgesetzt werden43, doch lässt sich die volle Risi-

40 Angesichts dieser weitläufigen Umschreibung erscheint der ausdrückliche Hinweis auf die Einwilligung des Geschädigten geradezu unnötig, denn die ungültige Einwilligung – und nur diese kann als Reduktionsgrund relevant sein – liesse sich sozusagen als vorsätzliche Selbstschädigung ohne weiteres als ein Umstand i.S.v. OR 44 erfassen.

41 OFTINGER I 161. 42 Zum Ganzen ausführlicher WEBER, SJZ 1989, 81 f. sowie KRÄUCHI 184 ff., der den gleichen Denkansatz

aufgegriffen hat. 43 Der Geschädigte kennt zwar in der Regel die Gefahr, hofft aber, dass sie sich nicht verwirklicht. Eine

Einwilligung, die auch konkludent erfolgen kann, ist nur dann anzunehmen, wenn sie sich auch auf die Ver-letzungen bezieht, in die die Gefahr umschlagen kann.

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koübernahme durch einen Dritten im Umfang der daraus entstandenen Schädi-gung nicht mehr rechtfertigen.

Eine relevante Gefahrexponierung ist nicht schon anzunehmen, wenn sich der Geschädigte unentrinnbaren Risiken aussetzt, erforderlich ist eine besondere, durch den Geschädigten geschaffene oder in Kauf genommene Gefahrensitua-tion44. Die Grenze zwischen irrelevanter und anspruchsmindernder Mitwirkung des Geschädigten lässt sich kaum auf eine allgemeingültige Formel bringen. Der Verweis auf das Verkehrsübliche oder die Sozialadäquanz ist jedenfalls unbe-helflich; sie sind lediglich korrelate Begriffe zur Sorgfaltswidrigkeit. Eine mora-lische Missbilligung ist in OR 44 nicht verlangt, denn auch ein nicht tadelnswer-tes Verhalten kann erhebliche Gefahren mit sich bringen.

Die in OR 44 I relevanten Herabsetzungsgründe lassen sich nur durch die Bil-dung typischer Fallgruppen festlegen, für die die bisherigen Kürzungsfaktoren, d.h. die in Anlehnung an die Haftungsgründe gefundenen Lösungen wichtige Anhaltspunkte liefern, aber keinen numerus clausus bedeuten45. Andere Faktoren, wie z.B. die konstitutionelle Prädisposition lassen sich dagegen mit dem Kriteri-um der Selbstgefährdung nicht mehr hinreichend erklären und sind daher beson-ders kritisch zu prüfen. Der Richter steht bei der Bestimmung der (geschädigten-relevanten) Reduktionsgründe vor der gleichen Aufgabe, wie sie mit der Ein-führung einer Generalklausel für die Gefährdungshaftung zu lösen sein wäre.

2. Urteilsfähigkeit

Ist die Selbstgefährdung und nicht ein schuldhaftes oder anderes haftbarmachen-des Verhalten als Herabsetzungsgrund i.S.v. OR 44 I zu betrachten, so ist auch in Frage gestellt, ob eine Gefahrexponierung gleich wie die Theorie des Selbstver-schuldens46 Urteilsfähigkeit des Geschädigten voraussetzt. Die enge Verknüp-

44 Massgebend sind dabei stets die Umstände, wie die Entstehung der Gefahrenlage, die Beziehung der Beteiligten, die Motive des Geschädigten usw. Keine relevante Selbstgefährdung liegt z.B. vor, wenn sich der Geschädigte in einer von ihm nicht zu vertretenden plötzlichen Gefahrensituation unter dem Druck des Vorfalles unzweckmässig verhält, so in BGE 102 II 232 ff.: Ungeschickte Flucht vor einem angreifenden Hund.

45 So lässt sich die in einem Gesetz zum Haftungsgrund erhobene Betriebsgefahr – z.B. SVG 58 – durchaus auf den Geschädigten übertragen, denn der Gedanke, dass der Nutzniesser auch die mit dem Inver-kehrbringen verbundenen Risiken tragen soll, gilt nicht nur, wenn sich diese bei Dritten verwirklichen, son-dern auch, wenn sie sich gegen den «Setzer» selbst richten. Nur darf bei Vorliegen eines haftungsbegrün-denden Umstandes nicht rein mechanisch auf eine relevante Selbstgefährdung geschlossen werden. Besonderer Prüfung bedarf namentlich, inwieweit das Subjekt der Haftung auch von der passiven Gefahr betroffen und dafür «verantwortlich» ist.

46 Obwohl nahezu einhellig anerkannt, dass es sich bei OR 44 I mangels Widerrechtlichkeit nicht um ein echtes Verschulden handeln kann, ist das Erfordernis der Urteilsfähigkeit als subjektive Seite des Ver-

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fung der Urteilsfähigkeit mit dem Verschuldensbegriff und die fehlende Un-rechtsqualität der Selbstschädigung lassen eine Übertragung dieser Zurech-nungsvoraussetzung jedenfalls nicht ohne weiteres zu.

Auch die Urteilsfähigkeit ist primär auf die Fremdschädigung zugeschnitten, denn erst durch sie wird die persönliche Verantwortung begründet, die eine Schadensüberwälzung rechtfertigt. Auf der Seite des Geschädigten ist die «De-liktsfähigkeit» für die Zurechnung dagegen nicht notwendig, da die Verantwor-tung für das eigene Verhalten und die Lebensführung durch den Grundsatz der Sachzuständigkeit ohnehin gegeben ist47. Stellt man die Vor- und Nachteile der beiden Lösungen gegenüber, ist es zudem nicht unbillig, wenn der Schuldunfä-hige, der schon von der Haftung freigestellt wird, wenigstens die Nachteile tra-gen muss, die er sich selbst zufügt.

Auf das Erfordernis der Urteilsfähigkeit kann m. E. gleichwohl nicht verzichtet werden. Dies folgt schon daraus, dass auch in OR 44 I die blosse Mitverursa-chung nicht genügt. Verlangt ist eine qualifizierte Beteiligung im Sinne einer erhöhten Selbstgefährdung. Wird die Rechtfertigung eines solchen Abzugs damit begründet, dass der Geschädigte seine Interessen nicht genügend wahrnimmt, dann steckt darin ein – ein zwar nicht in Verschuldenskategorien fassbarer, aber trotzdem vorhandener – leiser Vorwurf: Dem Geschädigten wird unterstellt, er hätte anders handeln können. Der Geschädigte begibt sich seiner Integritätsinte-ressen nur, wenn er sich freiwillig und im Bewusstsein um die Risiken in eine Gefahrenlage gebracht hat. Zumindest aber muss er die Gefahren erkennen und entsprechend dieser Einsicht handeln können, was heisst, dass er urteilsfähig sein muss.

Die Antwort auf die Frage, ob bei der Mitverursachung von der Urteilsfähigkeit abzurücken ist, hängt letztlich von der grundsätzlichen Überlegung ab, wem die Risiken Urteilsunfähiger – namentlich jene von Kindern und geistig Behinderten – aufzubürden sind. Auch wenn der gegenteilige Standpunkt erwägenswerte Argumente anführen kann, erfordern die besondere Schutzwürdigkeit der Betrof-fenen und die soziale Verantwortung, dass die Urteilsfähigkeit als Zurechnungs-voraussetzung auch beim Geschädigten erfüllt sein muss.

An anderer Stelle hat der Gesetzgeber die Unreife ebenfalls zum Anlass einer besonderen Regelung genommen, um Kinder und Behinderte vor Gefahren zu schützen, die den übrigen Rechtsgenossen durchaus zugemutet werden. Ein ver-stärkter Schutz muss gerade auch im Haftpflichtrecht gelten, das ja erst dann in

schuldens bislang nicht in Frage gestellt worden. So geht z.B. N 406 ganz selbstverständlich davon aus, «da das Verschulden stets Urteilsfähigkeit voraussetzt».

47 ROTHER, Haftungsbeschränkung 87; WEIDNER 56; vgl. zum Ganzen auch LOOSCHELDERS 353 ff.

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Erscheinung tritt, wenn sich eine über das blosse Lebensrisiko hinausgehende Gefahr verwirklicht hat. Dass gerade die Urteilsunfähigen solchen Situationen nicht gewachsen sind, unterstreicht die Notwendigkeit, diesen intellektuellen Mindeststandard auch auf Geschädigtenseite zu fordern48.

Aber auch unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, an dem sich der Kürzungsent-scheid ja auszurichten hat, dürfte die Abwägung zugunsten der Zurechnungsun-fähigen ausschlagen. Aus dieser Warte kann sich indessen auch der gegenteilige Schluss aufdrängen. Die fehlende Verantwortung des Urteilsunfähigen wird der Interessenlage nämlich nicht immer gerecht. Was der Gesetzgeber in OR 54 für die Ersatzpflicht vorgesehen hat, muss auch für die Selbstschädigung gelten, sodass es letztlich die Billigkeit ist, die – in offener Begründung – über die Zu-rechnung oder Nichtzurechnung des Mitwirkungsbeitrages des Geschädigten entscheidet49.

Das Ermessen lässt es ohne weiteres zu, Zwischenstufen anzuerkennen und den Umfang der Kürzung, ähnlich der verminderten Zurechnungsfähigkeit im Straf-recht, entsprechend abzuschwächen50. Es ist realitätsfremd, wenn die Kritiker51

eine graduelle Abstufung der Urteilsfähigkeit in Abrede stellen. Auch die objek-tive Seite des Verschuldens, die nach den Umständen und den Erfordernissen des Verkehrs gemessene Sorgfalt, kann, folgt man diesem Argumentationsmuster, nur entweder bejaht oder verneint werden. Die Schadenersatzbemessung erfor-dert eine Gewichtung des Verschuldens und verlangt damit zwingend die Durch-brechung der starren Zweiteilung des Verschuldensbegriffs, die sich angesichts der gegenseitigen Bedingtheit ohnehin nicht sauber durchführen lässt.

Die praktischen Auswirkungen der Kontroversen rund um die Urteilsfähigkeit dürfen angesichts der grossen Flexibilität des Bemessungsverfahrens nicht über-schätzt werden. Die Urteilsfähigkeit ist zwar dem Grundsatz nach auch für die Relevanz der Selbstschädigung vorausgesetzt, aber nur soweit, als die Billigkeit keine abweichende Interessenabwägung erfordert.

48 Pointiert OFTINGER I 162 f.: «Die Anforderungen an Kinder dürfen nicht so weit gehen, dass man einen Teil der Risiken der technischen Welt auf sie überwälzt».

49 Die analoge Heranziehung von OR 54 im Rahmen von OR 44 I ist unbestritten: BGE 60 II 44; OFTINGER/STARK I § 5 N 164 II/1 § 17 N 102 f.; BREHM, Berner Komm. N 51 zu OR 54 m.w.N.

50 So auch die Praxis: BGE 102 II 368; 104 II 188; 111 II 93; RVJ 1990, 261 f. Der Urteilsfähigkeit kommt als Element des Verschuldens bei der Ersatzbemessung ohnehin eine andere Funktion zu als bei der Haf-tungsbegründung oder der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit.

51 MERZ, ZBJV 1978, 136; KELLER/GABI 65; Meinungsumschwung nun bei BREHM, Berner Komm. N 172 zu OR 41.

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3. Einstehen für Dritte

Nach herrschender Lehre52 hat sich der Geschädigte das mitwirkende Verhalten eines Dritten unter den gleichen Voraussetzungen als Umstand i.S.v. OR 44 I anrechnen zu lassen, wie er für diese einstehen müsste, wenn er Haftpflichtiger wäre. In diesem Standpunkt, den auch das Bundesgericht53 einnimmt, widerspie-gelt sich das Symmetriedenken, das zur eigentlichen Richtschnur der Konkreti-sierung von OR 44 I geworden ist. Dass eine blosse Umkehr der Rollenvertei-lung nicht durchwegs überzeugt und auch den Grundsatz der Gleichbehandlung nur scheinbar wahrt, zeigt sich auch in diesem Problemkreis.

Zieht der Geschädigte – gleichgültig aus welchem Grund – Dritte bei, so leuchtet ein, dass er die damit verbundenen Gefahren nicht auf den Haftpflichtigen ab-wälzen kann. Diese Abgrenzung der Risikobereiche erfährt durch die postulierte Gleichschaltung mit den Haftungsvoraussetzungen eine Ausnahme, wenn der Geschädigte den in OR 55 vorgesehenen Befreiungsbeweis führen kann54.

Dieses Ergebnis überzeugt weder unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehand-lung noch unter jenem der Sachzuständigkeit (casum sentit dominus)55. Hat der Geschädigte das Verhalten der Hilfsperson nicht zu vertreten und daher An-spruch auf Ersatz in ungekürzter Höhe, dann wird im Ergebnis der Haftpflichtige durch den Gehilfen belastet56. Eine solche Risikoverteilung befriedigt nicht.

52 Vgl. z.B. OFTINGER/STARK I § 5 N 154 ff.; BREHM, Berner Komm. N 42 zu OR 44. 53 BGE 35 II 323; 56 II 94; 61 II 187 f.; 90 II 13 f.; 92 II 242; 95 II 53 f.; 98 II 103 f.; 99 II 200 f.; 108 II 187 f.;

anders BGE 88 II 362 f. 54 OFTINGER I 164; PORTMANN 143; BREHM, Berner Komm. N 42 zu OR 44; RUSCONI 549; SPIRO, Erfüllungs-

gehilfen 441 FN 25. 55 So für das BGB auch ROTHER, Haftungsbeschränkung 141. Die Anwendung der mit OR 55 vergleichbaren

Regelung von BGB 831 auf die Selbstschädigung wird auch von WEIDNER 73 ff. und LARENZ, Schuldrecht I 547 abgelehnt; a.M. aber GRUNSKY, Münchner Komm. N 84 zu BGB 254, der die Gegenansicht als herr-schend bezeichnet. – In Deutschland besteht allerdings insofern eine andere Ausgangslage, als BGB 254 II Satz 2 in der Frage des Einstehens für Dritte auf BGB 278 verweist. Nach dieser Vorschrift hat der Schuldner im Rahmen eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses das Verschulden seines gesetzli-chen Vertreters sowie der Erfüllungsgehilfen wie eigenes zu vertreten. Die Bedeutung dieses Verweises gehört zu den umstrittensten Fragen der deutschen «Mitverschuldenslehre»; vgl. statt vieler LANGE/SCHIEMANN 592 ff.; zum österreichischen Recht, das gleich wie das schweizerische keine ausdrückliche Regelung für die Hilfspersonen kennt: OGH VersR 1994, 770 und kritisch zu diesem Entscheid EVA

GRASSL-PALTEN, Uneingeschränkte Zurechnung von Gehilfenverhalten auf Geschädigtenseite? Die neue Judikatur des OGH zu §§ 1304, 1313 a, 1315 ABGB, VersRAI 1992, 44 ff.; eingehend zum ganzen Prob-lemkreis ANDREAS KLETE KA, Mitverschulden durch Gehilfenverhalten, Wien 1991; ferner KOZIOL, Haft-pflichtrecht I 248.

56 Zwar kann er im internen Verhältnis auf die Hilfsperson zurückgreifen, er trägt dann aber das Risiko der Insolvenz. Möglich ist aber auch, dass der Ersatzanspruch aus anderen Gründen nicht durchgesetzt wer-den kann, z.B. weil eine interne Vereinbarung zwischen dem Geschädigten und der Hilfsperson oder die Grundsätze der schadensgeneigten Arbeit die Haftung ausschliessen. Die Zurechnung der Risiken zur

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Im eigenen Verantwortungsbereich des Geschädigten ist unerheblich, ob der Geschädigte, der Dritte beizieht, sorgfältig vorgegangen ist oder nicht, ob es sich um eine eigentliche Hilfsperson oder um eine gleichgestellte Person handelt57. In OR 44 I ist allein der Gedanke massgebend, dass der Geschädigte, der die Obhut über seine Güter andern überlässt, eine zusätzliche Gefahr schafft, die er im Falle der Realisierung selbst zu tragen hat58.

Diese Risikozuordnung sehen einzelne Gefährdungshaftungen ausdrücklich vor. So ist der Halter nach SVG 58 IV für das Verschulden des Fahrzeugführers so-wie mitwirkender Hilfspersonen «wie für eigenes Verschulden verantwortlich». Ähnliche Regelungen finden sich auch in ElG 34 I und EHG 1 II. Andere Ge-fährdungshaftungen setzen die Haftung für mitwirkende Dritte implizit voraus. Auch wenn die erweiterte Einstandspflicht für Drittpersonen auf der Haftungs-seite nur in Teilbereichen verwirklicht ist, bindet dies die Geschädigtenseite keineswegs. Dort muss es genügen, wenn der negative Beitrag aus der Sphäre des Anspruchsberechtigten stammt. Ob der Geschäftsherr seinem Angestellten ein Motorfahrzeug oder ein Fahrrad überlässt, darf nicht darüber entscheiden, ob ihm der Befreiungsbeweis zusteht. In beiden Fällen hat er die Sache seinem Gehilfen anvertraut und damit seinen Gefahrenbereich erweitert. Die Reziprozi-tät der Zurechnungsgründe auf Schädiger- und Geschädigtenseite führt (auch hier) augenfällig zu unangemessenen Ergebnissen.

Die Zurechnung eines Drittverhaltens ist freilich nur angebracht, wenn die Obhut mit Wissen und Willen des Berechtigten übertragen worden ist. Kommt dem Geschädigten eine Sache unfreiwillig abhanden, muss er sich das Drittverhalten nicht anrechnen lassen. Der Personenkreis, für den der Geschädigte geradestehen muss, kann damit auch enger sein als jener des Schädigers, denn einzelne Ge-fährdungshaftungen unterscheiden nicht, ob der Dritte befugt- oder unbefugter-weise tätig geworden ist59.

Der Geschädigte kann Dritten nicht nur seine Güter anvertrauen, er kann diese auch – als sog. Erfüllungs- oder Ausübungsgehilfen – zu rechtsgeschäftlichen oder anderen Rechtshandlungen heranziehen. Hinsichtlich der Haftung sieht OR

Sphäre des Geschädigten gewährleistet eine angemessene Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Hilfsperson.

57 Der Dritte kann z.B. ein Bekannter sein, dem der Geschädigte eine Sache ausleiht; gleich auch WEIDNER

72.58 Ein Teil der deutschen Literatur steht auf dem gleichen Standpunkt und spricht in diesen Fällen von einem

Bewahrungsgehilfen oder von Obhutspersonen: LARENZ, Schuldrecht I 547 f.; ESSER/SCHMIDT I/2 285 f.; WEIDNER 70 ff.

59 So muss sich der Eigentümer und Halter eines Motorfahrzeugs den Verursachungsbeitrag des Strolchen-fahrers bei der Haftung, nicht aber als Geschädigter zurechnen lassen; vgl. OFTINGER/STARK II/2 § 25 N 247.

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101 alsdann vor, dass der Geschäftsherr für seine Hilfspersonen einzustehen hat, wie wenn er selbst gehandelt hätte. Dass derjenige, der aus einem arbeitsteiligen Vorgehen den Nutzen zieht, auch das Risiko tragen soll, muss auch gelten, wenn er von diesem selbst betroffen ist.

Damit sind an sich die gleichen Kriterien anwendbar, die OR 101 für die Haft-pflicht vorsieht, sodass von einer analogen Anwendung auf die Selbstschädigung durchaus gesprochen werden kann60. Dies gilt umso mehr, als sich OR 101, was schon aus dem Wortlaut ersichtlich ist, nicht allein auf die Abwicklung vertragli-cher Beziehungen beschränkt61 und sich der Kreis der Hilfspersonen auch auf der Haftungsseite nur mit dem Erfordernis des funktionellen Zusammenhanges sinn-voll ziehen lässt.

Die in OR 101 angeordnete Risikoverteilung ist aber nur begründet, wenn Schä-diger und Geschädigter in einer Sonderverbindung stehen. Auch ein gesetzlich begründetes Schuldverhältnis, wie es durch den haftungsbegründenden Eingriff zur Entstehung gelangt, erfüllt indes diese Voraussetzung. Haben es die Hilfs-personen des Geschädigten unterlassen, den Schaden abzuwenden, muss sich der Geschädigte daher ihr Verhalten wie eigenes zurechnen lassen62. Notwendig ist allerdings, dass der Dritte tatsächlich in Erfüllung der Schadenminderungspflicht gehandelt hat.

Das trifft dann nicht zu, wenn Drittpersonen lediglich zu «Wiederherstellungs-handlungen» beigezogen werden, wie z.B. der konsultierte Arzt, der mit der Schadensfeststellung bzw. -behebung beauftragte Sachverständige, die Repara-turwerkstatt oder der eingeschaltete Rechtsanwalt63. Die erwähnten Personen handeln nicht in Erfüllung der Schadenminderungspflicht, sondern in Ausfüh-rung des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs auf Schadensbeseitigung. Dass der Geschädigte dazu Dritte beiziehen darf und meist auch muss, ist un-bestritten.

Die Schadenminderungspflicht kann sich nur darauf beziehen, dass der Geschä-digte in der Auswahl, Instruktion und Überwachung der Hilfskräfte sorgfältig verfahren muss. Es verhält sich gleich wie im Falle der erlaubten Substitution nach OR 399 II, für die die Haftung entsprechend dem eingeräumten Handlungs-

60 Für analoge Anwendung von OR 101 auch SPIRO, Erfüllungsgehilfen 436 ff.; V. TUHR/PETER 109 f.; OTT,SJZ 74/1978, 287 f.; PORTMANN 142 f. OFTINGER I 164, letztere allerdings zu eng nur mit Bezug auf Ver-tragsverhältnisse.

61 Es muss sich auch nicht, wie in BGB 276, um die Erfüllung einer Verbindlichkeit handeln, denn nach OR 101 genügt, wenn die Schädigung «in Ausübung eines Rechtes» erfolgt ist; SPIRO, Erfüllungsgehilfen 438.

62 SPIRO, Erfüllungsgehilfen 438; A. KOLLER N 331. In Deutschland ist diese Sichtweise unbestritten, vgl. LANGE/SCHIEMANN 598.

63 SPIRO, Erfüllungsgehilfen 438 FN 13, 443 ff.

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spielraum auf das Risiko in Auswahl und Instruktion beschränkt. Man kann die Begründung auch darin sehen, dass der Geschädigte zu den Restitutionshandlun-gen gezwungen ist und damit nicht mehr aus freien Stücken handelt. Der Anlass zur Einschaltung weiterer Personen rührt vom Schädiger her, der insoweit auch das Risiko zu tragen hat. Die Schadenminderungspflicht kann vernünftigerweise nicht weiter gehen als die Einfluss- und Dispositionsmöglichkeiten des Geschä-digten.

Handelt der Dritte als Vertreter des Geschädigten, so ergibt sich die Zurechnung schon aus den Grundsätzen des Vertretungsrechts. Dies gilt auch für ein gesetzli-ches Vertretungsverhältnis. Der Vertreter steht an der Stelle des Vertretenen, die Zurechnung betrifft aber nur das rechtsgeschäftliche Handeln, nicht auch ander-weitige Verhaltensweisen. Für unerlaubte Handlungen des Vertreters muss der Geschädigte also nicht einstehen, doch muss er es sich anrechnen lassen, wenn der Vertreter gegen Treu und Glauben verstösst64.

Damit ist die Antwort vorgezeichnet, inwieweit sich der Geschädigte das Verhal-ten eines gesetzlichen Vertreters, das v.a. im Verhältnis von Eltern und Kindern praktisch bedeutsam werden kann, anrechnen lassen muss. Lehre65 und Recht-sprechung66 lehnen die Berücksichtigung des Verhaltens eines gesetzlichen Ver-treters fast ausnahmslos67 ab. Dieser Ansicht ist zuzustimmen, soweit kein rechtsgeschäftliches Handeln des gesetzlichen Vertreters vorliegt. Im Rechtsver-kehr handelt der Vertreter mit Wirkung für den Vertretenen, und dieser muss sich daher daraus entstehende Nachteile anrechnen lassen, soweit das Verhalten durch die Vertretungsmacht gedeckt ist68.

Der Geschädigte wird daher durch das Verhalten des gesetzlichen Vertreters belastet, wenn dieser gegen die Schadenminderungspflicht verstösst. So muss es sich ein Kind anrechnen lassen, wenn die Eltern nicht rechtzeitig einen Arzt beiziehen, nicht aber, wenn sie den Unfall durch die nachlässige Überwachung «mitverschuldet» haben. Die Schadenminderungspflicht geht bei Urteilsunfähi-

64 BGE 105 II 155: Verhalten des Anwalts im Prozess. 65 OFTINGER I 167; HÄBERLIN 83 ff.; V. BÜREN AT 61; BECKER, Berner Komm. N 14 zu OR 44; OSER/

SCHÖNENBERGER N 17 zu OR 44; ELISABETH MEISTER-OSWALD, Haftpflicht für ausservertragliche Schädi-gungen durch Kinder,Diss. Zürich 1971, 106.

66 BGE 58 II 35; 59 II 43; 60 II 224; 63 II 62; 81 II 165 f.; 95 II 259 ff.; ZBJV 88, 488.b. 67 BREHM, Berner Komm. N 87 zu OR 43 und ebenso SCHNYDER, Basler Komm. N 21 zu OR 43 wollen das

Verschulden der Eltern als Drittverschulden ausnahmsweise als Herabsetzungsfaktor i.S.v. OR 43 zulas-sen. Dem ist aber nur beizupflichten, wenn das Verhalten der Eltern das Verschulden des Schädigers in einem milderen Lichte erscheinen lässt. Der Begründung, dass die Eltern von der Ersatzpflicht mitprofitie-ren, ist entgegenzuhalten, dass dem Schädiger ein Regressanspruch gegen die Eltern zusteht, der über die endgültige Schadenstragung entscheidet.

68 MAGNUS, Drittmitverschulden 37.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

gen nicht einfach ins Leere, sondern trifft die Eltern oder andere aus Gesetz Berufene. Ist der Betroffene urteilsfähig, wird auf sein eigenes Verhalten abge-stellt; ein Ausweichen auf das Verhalten des gesetzlichen Vertreters ist alsdann nicht notwendig. Bei einem gesetzlichen Vertreter muss also zwischen dem blos-sen «Aufsichtverschulden» und dem eigentlichen rechtsgeschäftlichen Handeln unterschieden werden, da nur letzteres den Geschädigten belasten kann.

4. «Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens»

Das mitursächliche Verhalten des Geschädigten kann in unterschiedlicher Konstellierung daher kommen. Der Verletzungserfolg kann sich aus einzelnen Teilwirkungen zusammensetzen oder erst aus dem Zusammenwirken der Teilur-sachen hervorgehen69. Je nachdem steht die vom Geschädigten gesetzte Bedin-gung mit dem ganzen oder nur mit einem Teil des Verletzungserfolgs in Verbin-dung. Sie hat m.a.W. entweder zur Entstehung oder zur Verschlimmerung der Verletzung beigetragen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mitwirkungsbeitrag vor, gleichzeitig oder nach mit der haftbarmachenden Ursache gesetzt worden ist. Wenn OR 44 I davon spricht, dass die mitwirkenden Umstände auf die «Ent-stehung oder Verschlimmerung des Schadens» eingewirkt haben müssen, ist damit (auch sprachlich) nicht zwangsläufig die zeitliche Abfolge der Ursachen-beiträge gemeint. Es kann auch die unterschiedliche Wirkungsweise der Mitwir-kungsbeiträge angesprochen sein.

In OR 44 I ist allerdings nicht von der Entstehung oder Verschlimmerung des Verletzungserfolges, sondern von derjenigen des «Schadens» die Rede. Folgt man dem Wortlaut, muss das Verhalten des Geschädigten nicht nur die Rechts-gutsverletzung, sondern auch die finanziellen Folgen vergrössert haben. Häufig wird die Differenzierung nach Verletzungs- und Schadensfolgen bedeutungslos sein, da eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen auch eine Erhöhung des Schadens nach sich zieht. Es sind aber Konstellationen denkbar, bei denen die Vergrösserung der Verletzung die gegenteilige Wirkung zeitigt. Beispiele liefert das Nichttragen der Sicherheitsgurte oder eines Helms. Hätte das vorschriftsge-mässe Verhalten z.B. den Tod, nicht aber eine Invalidisierung verhindert, und nimmt man weiter an, das Unfallopfer habe keine Angehörigen, so ist leicht ersichtlich, dass die Invaliditätsentschädigung die im Todesfall einzig zu erset-zenden Todesfallkosten bei weitem übersteigen kann. Selbst bei Vorliegen eines Versorgungsschadens, der nur eine Quote des Valideneinkommens ausmacht, wird eine Vergrösserung des Schadens meist nicht vorliegen.

69 Nach der hier verwendeten Terminologie handelt es sich im ersten Fall um additive, im zweiten um kom-plementäre Teilkausalität; dazu auch nachstehend Ziff.IV./B./1. und WEBER, Einheitliche Lösung 344 f.

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Wenn eine «iniura sine damno» einen Schadenersatzanspruch nicht entstehen lässt70, darf eine Aggravation der Verletzungslage ohne Schadensfolgen dem Geschädigten ebenfalls nicht angelastet werden. Wird auf das Erfordernis des Schadens verzichtet, werden pönale und präventive Momente, die sich allein am Verhalten orientieren, zu stark gewichtet. Kumulativ zur Rechtsgutsverletzung muss daher auch auf der Geschädigtenseite ein Schaden bzw. eine Vergrösserung des Schadens gegeben sein. Die Schadensstufe darf schon deshalb nicht über-sprungen werden, weil der mitverursachte Schadensanteil das Höchstmass der Kürzung bestimmt.

5. Erschwerung der Stellung des Ersatzpflichtigen

Nach OR 44 I muss sich der Geschädigte eine Kürzung des Ersatzanspruchs auch dann gefallen lassen, wenn er «die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert» hat. OFTINGER misst diesem Passus «keine gesonderte Bedeutung» zu71. Nach OSER/SCHÖNENBERGER liegt die Erschwerung der Stellung des Er-satzpflichtigen gerade darin, dass der Geschädigte an der Entstehung oder der Verschlimmerung mitgewirkt hat72. Der zusätzlichen Erwähnung der erschwe-renden Umstände kommt nur dann selbständige Bedeutung zu, wenn der Ersatz-anspruch selbst dann gekürzt werden kann, wenn sich das Verhalten des Geschä-digten nicht auf der Schadensebene, sondern sonst wie negativ bemerkbar macht.

BREHM weist auf die Vereitelung oder Erschwerung von Regressmöglichkeiten oder der Beweislage hin73. Nachteile können dem Ersatzpflichtigen auch daraus entstehen, dass er seinerseits mit unnötigen Kosten belastet wird, für die ihm kein Ersatzanspruch gegenüber dem Geschädigten zusteht74. Auch solche Um-stände sind bei der Bemessung zu berücksichtigen, soweit entsprechende «Loya-litätspflichten» aufgestellt werden können75.

Grundsätzlich ist der Geschädigte nicht gehalten, im Interesse des Haftpflichti-gen tätig zu werden. Insbesondere darf er mehrere Ersatzpflichtige nach seiner Wahl belangen und muss auf die damit verbundenen Erschwerungen nicht Rück-sicht nehmen76. Der Geschädigte muss aber, sofern nur er dazu in der Lage ist, auch jenen Tatsachenstoff beibringen, der zur Entlastung des Ersatzpflichtigen

70 DEUTSCH, Haftungsrecht 7. 71 Bd. I 266. 72 Zürcher Komm. N 3 ff. zu OR 44. 73 Berner Komm. N 62 ff. zu OR 44. 74 Der Ersatzpflichtige muss z.B. durch das renitente Verhalten des Geschädigten einen Anwalt einschalten,

oder an unzähligen, zeitaufwendigen Besprechungen teilnehmen. 75 Zum besprochenen Passus in OR 44 I auch LUTERBACHER, N 246 ff. 76 BREHM, Berner Komm. N 63 zu OR 44; BGE 114 II 344 f.; 113 II 3331; 112 II 144; BJM 1983, 70.

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führt77. Solche Umstände können z.T. auch bei der Beweiswürdigung oder bei der Schadensschätzung berücksichtigt werden78. Die Regressposition des Ersatz-pflichtigen wird verschlechtert, wenn der Geschädigte anderweitige Ansprüche nicht rechtzeitig geltend macht oder haftungsrelevante Umstände, die Dritte belasten, oder die Identität von Mitverursachern nicht bekannt gibt. Eine Re-gressmöglichkeit entgeht dem Haftpflichtigen auch, wenn der Geschädigte keine Versicherung abgeschlossen oder diese summenmässig nicht angepasst hat. Der fehlende Versicherungsschutz darf den Geschädigten aber nur belasten, wenn der Versicherungsabschluss vertraglich vereinbart worden ist79, denn es existiert keine allgemeine Pflicht gegenüber dem Schädiger, allfällige Risiken durch eine Versicherung abzudecken.

Schliesst der Geschädigte mit einem der mehreren Ersatzpflichtigen einen Ver-gleich, so tangiert dies die Stellung der Mithaftpflichtigen selbst dann nicht, wenn der Geschädigte nur gegenüber einem Schuldner Saldoquittung erteilt hat. Dieses Ergebnis ergibt sich nicht nur aus den Grundsätzen von Solidarität und Regress80, sondern auch durch die bereits im Aussenverhältnis wirksame Reduk-tion infolge Erschwerung der Stellung des Ersatzpflichtigen gestützt auf OR 44 I81.

IV. Umfang der Kürzung

A. Ersatzbemessung nach OR 43 I

1. Quote des Gesamtschadens

Noch weniger als über die Bemessungsgründe lassen sich in OR 43 Regeln über die Höhe des geschuldeten Schadenbetrages aufstellen. OR 43 überlässt die Be-

77 Für eine auf Treu und Glauben gestützte Mitwirkungspflicht am Beweisverfahren BGE 66 II 147; 83 II 350 f.; 111 II 66; ZR 73/1974 Nr. 12; OFTINGER/STARK II/2 § 25 N 431, 446, FN 703; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER N 1016.

78 Gibt der Geschädigte z.B. keine Auskunft über allfällig anrechenbare Vorteile, kann im Rahmen der Scha-densberechnung nach OR 42 II auf Erfahrungswerte abgestellt werden.

79 Vgl. BREHM, Berner Komm. N 64 zu OR 44; BGE 103 II 338; BJM 1973, 294, wo eine Kürzung mit der Begründung abgelehnt wurde, dass dem Ersatzpflichtigen gegenüber dem Versicherer ohnehin kein Re-gressanspruch zugestanden hätte.

80 Sowohl bei echter wie bei unechter Solidarität steht dem Haftpflichtigen ein originäres Regressrecht zu, das durch etwaige Abmachungen nicht tangiert wird. Der Geschädigte muss sich aber auch nach OR 149 II eine Verkürzung der Regressansprüche entgegenhalten lassen.

81 Der Ersatzanspruch des Geschädigten wird auf die von den übrigen Haftpflichtigen intern zu tragende Quote begrenzt; BRUNNER N 343 ff.; so schon STARK, ZSR 86/1967 II 52, 70, der das Haftungsprivileg ei-nes Mitverursachers als zusätzlichen Reduktionsgrund darstellt.

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stimmung von «Art und Grösse des Ersatzes» dem Ermessen des Richters, der damit freie Hand für ein individuelles «Gerechtigkeitsurteil» hat. Anders als OR 44 I, der den Richter ermächtigt, den Schädiger gänzlich von der Ersatzpflicht zu entbinden, erwähnt OR 43 I diese Extremlösung nicht. Auch OR 44 II sieht le-diglich die Ermässigung der Ersatzpflicht, nicht aber eine volle Befreiung vor. Da OR 43 I und OR 44 II einen Ausgleich zwischen dem Haftungsgrund und der finanziellen Belastung des Ersatzpflicht herstellen sollen, ist eine blosse Reduk-tion angemessen.

Demgegenüber betrifft OR 44 I u.U. nur einzelne Schadensteile und die Kürzung darf sich – aus Kausalitätsgründen – nur auf die betroffenen Schadensposten beziehen. Lediglich einzelne Schadensteile sind insbesondere bei der Verletzung der Schadenminderungspflicht tangiert, und die angemessene Rechtsfolge kann, wie noch näher zu zeigen ist82, dort durchaus im gänzlichen Ausschluss der be-troffenen Schadensposten bestehen.

Die Kürzung nach OR 43 I erfasst dagegen stets sämtliche Schadensposten und die Herabsetzung, oder besser die Höhe des Ersatzes, besteht daher immer in einer Quote des Gesamtschadens. Auch wenn die Rechtsfolge nach OR 43 und 44 im Ergebnis die Gleiche ist, nämlich eine Reduktion der Ersatzpflicht, ist das zugrunde liegende Prinzip durchaus verschieden: In OR 44 I findet eine Auftei-lung des Schadens nach Verantwortlichkeitsbereichen statt, während OR 43 I für die Moderation keine Vorgaben macht. OR 43 I, aber auch OR 44 II, erlauben dem Richter, die durch den Grundsatz des Totalersatzes verbundene Härte zu mildern, indem sie die Haftung auf die Tatumstände und die Person des Haft-pflichtigen abstimmen. Demgegenüber wird durch OR 44 I derjenige Teil von der Schadenersatzpflicht ausgeklammert, für den der Geschädigte einstehen muss.

Die unterschiedliche Zielsetzung der Bemessungsfaktoren83 hat weitere Konse-quenzen: So lassen sich für OR 43 I von vornherein keine messbaren Kriterien aufstellen. Der Haftungsumfang muss mit einem runden Abstrich ex aequo et

82 Nachstehend Ziff.IV./B./3. 83 Gleichbedeutend wird auch von Reduktions- oder Herabsetzungsgründen bzw. -faktoren gesprochen.

Nach ZELLWEGER 55 ist dies allerdings insofern ungenau, als nur die Marginalie von OR 44 die Bezeich-nung «Herabsetzungsgründe» verwendet, während OR 43 von der «Bestimmung des Ersatzes» spricht. Eine unterschiedliche Terminologie drängt sich aber nur auf, wenn auch die rechtliche Bedeutung ver-schieden ist. Dies trifft, wie bereits angetönt und noch näher auszuführen ist, für die in OR 44 I angeführten Gründe zu, die jenen von OR 43 I und 44 II gegenüber zu stellen sind und deren Funktion durch die Be-zeichnung Bemessungsfaktoren am treffendsten zum Ausdruck gebracht wird. Sinnvoller als terminologi-sche Differenzierungen ist aber die Herausarbeitung der praktischen Unterschiede. Nach ROBERTO, Haft-pflichtrecht N 872 könnte aus der unterschiedlichen Bezeichnung auch gefolgert werden, dass einzig OR 44 als Reduktionsklausel zu verstehen ist.

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bono festgesetzt werden. Demgegenüber will OFTINGER prüfen, «welche Quoten des Schadens je auf die verschiedenen Ursachen entfallen und hernach das vom Schadensbetrag abziehen, was nicht vom Haftpflichtigen zu vertreten ist»84. Ein solches Vorgehen scheitert aber schon daran, dass Verursachungsanteile nicht immer auffindbar sind. Hätte der Haftpflichtige für konkurrierende Ursachen nicht einzustehen, so müsste stets eine Herabsetzung des Ersatzanspruchs eintre-ten. OR 43 I ändert jedoch am Grundsatz, dass der Haftpflichtige auch mitwir-kende Ursachen zu vertreten hat, nichts. Die von OFTINGER vorgeschlagene Bemessungsmethode versagt zudem, wenn die Tatmotive, der Verschuldensgrad oder die persönlichen Verhältnisse einer vollen Schadensüberwälzung entgegen-stehen, denn diese Umstände können überhaupt nicht unter dem Kausalaspekt erfasst werden.

Auch wenn sich die Bemessungsfaktoren nicht unmittelbar quantifizieren lassen und der Richter damit über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügt, muss der Ausnahmecharakter von OR 43, der bereits bei der Annahme von Bemes-sungsgründen zur Zurückhaltung zwingt, auch in quantitativer Hinsicht gewahrt bleiben. Bemessungsgrundlage für die Kürzung bildet der Gesamtschaden, denn OR 43 I soll ein Gleichgewicht zwischen der Intensität des Haftungsgrundes und der Belastung des Haftpflichtigen herstellen. Ähnlich ist auch bei OR 44 II zu verfahren, allerdings liefern hier die massgebenden finanziellen Verhältnisse messbarere Anhaltspunkte85.

Verschiedene Autoren betonen, was für einen Ermessensentscheid an sich selbstverständlich ist, dass der Richter eine Kürzung vornehmen kann, aber nicht muss. Der Kürzungsentscheid liegt im freien Ermessen des Richters und er hat zu beherzigen, dass voller Schadenersatz die Regel und die Kürzung die Aus-nahme ist. Die Ausnahmen sind vor allem dann indiziert, wenn eine Kürzung nach OR 44 I zur Debatte steht86.

2. Bemessung gegenüber mehreren Haftpflichtigen

Umstritten ist die Handhabung von OR 43, wenn dem Geschädigten mehrere Ersatzpflichtige gegenüberstehen. Ein Teil der Lehre befürwortet auch hier eine individuelle Bemessung der einzelnen Ansprüche87. Andere Autoren sehen in der

84 OFTINGER I 279. 85 Zu den Bemessungsgrundsätzen von OR 44 II KELLER/GABI 105 f. 86 OFTINGER/STARK, § 7 N 12, wo auch darauf hingewiesen wird, dass für eine Anwendung von OR 43 I kein

Platz ist, wenn bereits nach OR 44 reduziert wird, a.a.O. Fn. 22. 87 U.a. OFTINGER I 345; OFTINGER/STARK I § 10 N 33A. KELLER II 179; KELLER/GABI 137; DESCHENAUX/TERCIER

§ 35 N 20 ff.; JANSEN 96 ff.

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Zulassung von individuellen Bemessungsfaktoren eine unzulässige Durchlöche-rung des Solidaritätsgedankens und wollen persönliche Gründe daher erst im internen Verhältnis zum Zuge kommen lassen88.

Dieser Ansicht ist zuzustimmen, allerdings mit der bedeutsamen Einschränkung, dass es sich tatsächlich um ein Solidarschuldverhältnis handeln muss. Entgegen der ganz überwiegenden Meinung ist ein solches nur anzunehmen, wenn das Gesetz diese Rechtsfolge ausdrücklich anordnet, also in jenen Fällen, die als sog. echte Solidarität bezeichnet werden. Liegt eine gemeinsam begangene Schädi-gung i.S.v. OR 50 vor, bleibt für eine täterbezogene Abstufung der Ersatzpflicht kein Raum, was sich nicht nur aus dem Solidaritätsgedanken sondern aus dem Rechtsgrund ergibt, der im gemeinsamen Verschulden besteht und damit eine Differenzierung der durchaus denkbaren unterschiedlichen Verschuldensgrade ausschliesst89.

Die solidarische Haftung steht einer Schadenersatzreduktion freilich nicht gänz-lich entgegen, doch müssen sich alle Beteiligten auf die Reduktionsgründe beru-fen können90. Dies trifft namentlich für die Schadenersatzreduktion infolge Mit-wirkung des Geschädigten nach OR 44 I zu, denkbar ist aber auch, dass das gemeinsame Verschulden nicht schwer wiegt und weitere Umstände eine Reduk-tion nahe legen91. Eine individuelle Bemessung ist aber bei OR 44 II zuzulassen, wenn der Haftpflichtige trotz seiner Rückgriffsmöglichkeiten in eine Notlage geraten könnte92.

Anders verhält es sich bei der (blossen) Anspruchskonkurrenz. Im Falle der unechten Solidarität93 sind die einzelnen Ersatzleistungen gleich wie bei der «Einzeltäterschaft» individuell zu bestimmen. Jeder Beteiligte kann sich auch extern vollumfänglich auf die persönlichen Bemessungsfaktoren berufen94. Eine

88 BREHM, Berner Komm. N 43 zu OR 50, N 29 f. zu OR 51; und eingehend DERS. in HAVE 2002, 85 ff. ZELLWEGER 74; MERZ SPR VI/1 107 ff.

89 Im Ergebnis gleich auch JANSEN 100 ff.; BRUNNER N 328 ff. 90 BREHM, Berner Komm. N 49 zu OR 50; BRUNNER N 331 f. Dagegen lehnt ZELLWEGER 74 die Anwendung

von OR 43 I für alle Solidaritätstatbestände aus grundsätzlichen Erwägungen ab. 91 Nach BREHM, Berner Komm. N 49 zu OR 50 sind dabei die einzelnen Fahrlässigkeiten aufzuaddieren. Im

Aussenverhältnis findet jedoch zum vornherein keine isolierte Betrachtung der einzelnen Tatbeiträge statt, vielmehr ist eine Gesamtbeurteilung vorzunehmen, für welche die schwersten Verfehlungen ausschlagge-bend sind. Trifft die einzelnen Beteiligten nur ein geringfügiges Verschulden, so ist auch das gemeinsame Verschulden entsprechend einzustufen. Ein schwerer Schuldvorwurf belastet anderseits auch die Mitbetei-ligten.

92 BREHM, Berner Komm. N 30 zu OR 51; JANSEN 100; BRUNNER N 334. 93 Zumindest hinsichtlich der Reduktionsgründe macht die Unterscheidung in echte und unechte Solidarität

durchaus Sinn! 94 Zu eng daher die Ansicht in BGE 97 II 345 ff., der eine individuelle Festlegung des Ersatzanspruchs nur bei

der sog. Verschuldenskonnexität und hinsichtlich des Selbstverschuldens zulässt.

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«gemeinsame Haftung» besteht nur im Umfang der jeweils kleinsten Ersatzfor-derung.

Im Gegensatz zur solidarischen Haftung nach OR 50 stehen dem Geschädigten bei Anspruchskonkurrenz dem Grunde und der Höhe nach unterschiedliche Er-satzforderungen zu, aus denen er maximal den vollen Schaden ersetzt erhält. Der Geschädigte kann daher die verschiedenen Schädiger nur bis zum Betrage des von jedem einzelnen individuell geschuldeten Schadenbetrages belangen, doch entsteht ihm daraus insofern kein Nachteil, als er die übrigen Mithaftpflichtigen für den nicht gedeckten Schaden belangen kann. Der Geschädigte kann im Stile des Quotenvorrechts die einzelnen Haftungsanteile kumulieren, bis er für den eingetretenen Schaden voll entschädigt ist95.

Der häufig anzutreffende Satz, dass im Umfang der Leistung des einen die ande-ren Haftpflichtigen befreit werden96, ist daher zumindest ungenau, denn diese Wirkung tritt nur ein, wenn durch die Zahlung der gesamte Schaden ausgegli-chen wird, oder, wenn der Schädiger gegenüber allen Haftpflichtigen nichts mehr zu fordern hat. Letzteres trifft neben den Fällen der echten Solidarität, in denen eine Befreiung der übrigen Schuldner im Umfange der Zahlung stets eintritt, da es sich um identische Ansprüche handelt97, immer dann zu, wenn Umstände vorliegen, für die der Geschädigte einzustehen hat, also bei einer Herabsetzung des Ersatzanspruchs nach OR 44 I98.

OR 44 I teilt den Schaden nach Verantwortlichkeitsbereichen auf den Geschädig-ten und den Ersatzpflichtigen auf und setzt damit eine Haftungshöchstgrenze fest, die auch verbindlich bleibt, wenn mehrere am schädigenden Ereignis betei-ligt sind99. Demgegenüber soll mit OR 43 I, aber auch mit OR 44 II, eine nach Billigkeitskriterien gestufte Belastung der einzelnen Schuldner erreicht werden. Diese Zielsetzung bleibt auch gewahrt, wenn dem Geschädigten eine auf den Schadensbetrag limitierte Anspruchskumulation zugestanden wird, denn der

95 Gl.M. KELLER/GABI 140; im Ergebnis auch BRUNO V. BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemei-ner Teil, Zürich 1964, 105 f., der von einer ausserhalb von OR 50/51 anzusiedelnden «schwächeren Über-schusshaftung» spricht (vgl. auch 65 f., 91 f.); ablehnend ZELLWEGER 70; JANSEN 104; vgl. auch WEBER,Einheitliche Lösung, 359 ff.

96 OFTINGER I 345. STUCKI 104 begründet denn auch die ablehnende Haltung gegenüber einer Anspruchsku-mulation bis zur vollen Schadensdeckung mit der Verletzung dieses Grundsatzes.

97 Die Befreiungswirkung ist in OR 147 I denn auch ausdrücklich festgehalten. Die von KELLER/GABI 140 angeführten Missverständnisse ergeben sich erst dann, wenn die Norm auch auf die unechte Solidarität übertragen wird, wo eine Entlastung nicht immer eintritt.

98 Näheres zur Schadenersatzreduktion nach OR 44 I bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen, insbesondere zu den unterschiedlichen Auswirkungen des Mitwirkungsabzugs auf die einzelnen Ersatzforderungen, nachstehend Ziff. IV./B./4.

99 Die Haftungshöchstgrenze ist aber nicht ohne weiteres mit der grössten Haftungsquote identisch, vgl. nachstehend Ziff. IV./B./4.

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einzelne Ersatzpflichtige kann auch dann nur bis zur Höhe des persönlich ge-schuldeten Betrages belangt werden.

B. Abwägungsgrundsätze nach OR 44 I

1. Verursachung als Grundlage der Quotenbildung

Liegen Umstände vor, für die der Geschädigte einstehen muss, «kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden». Auch OR 44 sagt nicht, wie die Leistungskürzung vorzunehmen ist. Die Bestimmung hebt weder das Verschulden, noch die Verursachung oder einen anderen Umstand hervor. Es liegt nahe, den Ersatzanspruch um diejenige Quote zu kürzen, die dem Anteil des Geschädigten an der Gesamtverursachung entspricht. Dieser Weg wird allerdings von STARK und weiteren Autoren für «logisch unmöglich» gehalten, «denn sind alle Ursachen conditiones sine quibus non, wäre der Erfolg bei Fehlen einer einzigen nicht eingetreten»100. Die Ursächlichkeit kann nur entweder bestehen oder fehlen; die eine Ursache nicht «kausaler» sein als die andere.

Die von der Äquivalenztheorie vorausgesetzte Gleichwertigkeit der beteiligten Bedingungen, die eine graduelle Abstufung nach dem relativen Gewicht der einzelnen Tatbeiträge nicht zulässt, schliesst nicht gleichzeitig aus, dass die Ver-ursachung messbar oder zumindest rational schätzbar ist. Das Gesagte muss aber sogleich eingeschränkt werden. Wo erst das Zusammenwirken des Schädigers mit dem Geschädigten zum Verletzungserfolg führt, also in den Fällen der kom-plementären Kausalität, kann der Verursachungsanteil nicht rekonstruiert wer-den. Das für eine solche Ermittlung notwendige Hinwegdenken der Mitursache führt nämlich dazu, dass der Verletzungserfolg ganz entfällt. Wenn ein Fussgän-ger unvorsichtig in die Fahrbahn tritt und dort von einem herannahenden Fahr-zeug angefahren wird, kann auch mit subtilsten Wahrscheinlichkeitsüberlegun-gen der Anteil an der Gesamtverursachung nicht mehr ermittelt werden. Für die Abwägung ist bei dieser Konstellation ausschliesslich auf andere Gesichtspunkte abzustellen101.

100 STARK, Skriptum N 324; OFTINGER/STARK, I § 7 N 23; gl. M. auch V. TUHR/PETER 111 FN 19; ROTHER,Haftungsbeschränkung 42 ff., 66 f.

101 Die Befürworter einer Verursachungserwägung (OFTINGER I 268; KELLER/GABI 18 und für BGB 254, der die Verursachung direkt anspricht VENZMER Kap. 1 N 205 ff.; DUNZ 2133 ff.; WOCHNER 134 ff.), die diese Ein-schränkung nicht machen, schaffen damit eine unnötige Angriffsfläche. Die Feststellung wird indessen auch bei den Befürwortern einer Verursachungsabwägung vielfach dahin abgeschwächt, dass die Abwä-gung «nicht im Sinne der naturwissenschaftlichen-logischen Terminologie und damit der Äquivalenztheorie zu verstehen» sei, «die eine Differenzierung nach dem relativen Gewicht der jeweiligen Beiträge nicht zu-lassen kann»; so z.B. LANGE/SCHIEMANN 611.

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Anders verhält es sich, wenn durch die Mitursache der Schaden lediglich ver-grössert worden ist, was namentlich zutrifft, wenn der Verletzungsbeitrag des Geschädigten wie in den Schadenminderungsfällen zeitlich nachfolgt. Der Ver-ursachungsanteil kann auch festgestellt werden, wenn die Mitwirkung nur ein-zelne Verletzungsfolgen betrifft. Hier führt das gedankliche Eliminationsverfah-ren zu unterschiedlichen Verletzungslagen102. Der von Schädiger und Geschädigtem herbeigeführte Erfolg lässt sich in Teilwirkungen aufspalten, die von einem Beteiligten allein und solche, die gemeinsam bewirkt worden sind.

Dass der Verursachungsanteil Grundlage der Quotenbildung sein muss, verlangt schon das Erfordernis der Kausalität, ohne das es auch für den Geschädigten keine Anrechnung geben kann. Der so bestimmte Verursachungsanteil, bzw. die daraus resultierende Vermögensdifferenz bildet aber nicht zugleich die Höhe der Anspruchskürzung. Auch der Schädiger hat ja für den Zusatzschaden eine Ursa-che gesetzt, die sich zur derjenigen des Geschädigten komplementär verhält. Nach Verursachungskriterien lässt sich der gemeinsam verursachte Schadensteil daher nicht weiter zerlegen. Selbst dort, wo sich die Mitverursachung nur auf einzelne Schadensteile bezieht, sind für die endgültige Aufteilung andere Abwä-gungskriterien heranzuziehen.

2. Bemessungskriterien

Der Umfang der Kürzung wird üblicherweise von der Schwere des Verschuldens abhängig gemacht103. Das Abwägungskriterium des Verschuldens taugt aber nur solange, als auf beiden Seiten ein Verschulden vorliegt. Bei Beteiligung einer Kausalhaftung wird anstelle des Verschuldens der haftungsbegründende Um-stand – insbesondere die Betriebsgefahr – gewichtet und dem Verschulden ge-genübergestellt104. Zum Verhältnis von Verschulden und Betriebsgefahr können kaum nähere Angaben gemacht werden.

Das Problem der Schadensaufteilung stellt sich in gleicher Weise auch bei Haf-tungskollisionen sowie bei der internen Aufteilung unter mehrere Schädiger. Auch dort sind die jeweiligen Anteile zu bestimmen, die auf die Beteiligten ent-fallen. SVG 60 und 61 sehen hiezu vor, dass die Schadensverteilung primär nach

102 Dass bei einem solchen Vergleich mit Hypothesen gearbeitet werden muss, ist für das Haftpflichtrecht nichts Ungewöhnliches, denn solche sind auch bei der Schadensermittlung oder bei Kausalfragen anzu-strengen. Die gleichen Überlegungen müssen letztlich auch für jenen Schädiger gemacht werden, der auf ein bereits beschädigtes Gut trifft und nur für die Verschlimmerung des Schadens verantwortlich gemacht werden kann.

103 STARK, Skriptum N 328; OFTINGER I 268; DESCHENAUX/TERCIER § 28 N 27; MERZ, SPR VI/1 224 f.; V. TUHR/PETER 111; BREHM, Berner Komm. N 20 ff. zu OR 44 mit Kasuistik.

104 STARK, Skriptum N 329.

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Massgabe des Verschuldens und in zweiter Linie nach den besonderen Umstän-den, namentlich der Betriebsgefahr, zu erfolgen hat105.

Ein Abwägungsprogramm enthält auch OR 51 II. Danach gilt für die Regress-rangfolge ebenfalls das Verschuldensprimat; der aus Verschulden Haftpflichtige hat im Rahmen der internen Auseinandersetzung vorweg den Schaden zu tragen. Erst in zweiter Linie kommt eine vertraglich vereinbarte und wo es auch daran fehlt, der Kausalhaftpflichtige zum Handkuss. Diese Wertehierarchie steht frei-lich schon im Widerspruch zur Bemessungspraxis, die bei der Verschuldenshaf-tung, nicht aber bei den Kausalhaftungstatbeständen, eine Ermässigung nach OR 43 zulässt und damit anerkennt, dass ein schuldhaftes Verhalten weniger stark ins Gewicht fallen kann, als andere Haftungsursachen.

Nicht nur die an unterschiedlicher Stelle vorzunehmende Verteilung des Scha-dens muss einheitlich gelöst werden, auch die der Abwägung zugrunde liegenden Wertungskriterien müssen, damit überhaupt eine sinnvolle Relation hergestellt werden kann, vergleichbar sein. Der erforderliche gemeinsame Nenner fehlt nicht nur, wenn Verschulden und Betriebsgefahr gegeneinander abgewogen werden, sondern auch, wenn sich Verschulden und Selbstverschulden gegenü-berstehen.

Dass die von der ganz überwiegenden Meinung angenommene Gleichstellung Ausfluss eines falschen Symmetriedenkens ist, hat sich bereits bei der Konkreti-sierung der «Umstände» i.S.v. OR 44 I herausgestellt. Bei der Selbstschädigung kommt es nicht auf die Vorwerfbarkeit an, vielmehr ist es die – an keine Missbil-ligung geknüpfte – Selbstgefährdung, die nach einer anderen Schadensverteilung verlangt. Fehlt es aber auf der Geschädigtenseite an einer Missbilligung, kann diese auch nicht via eines untechnisch verstandenen Schuldbegriffs als aus-schliesslicher Abwägungsmassstab genommen werden.

Sowohl den Haftungstatbeständen106 wie den Herabsetzungsgründen gemäss OR 44 I ist gemein, dass sie auf eine besonders qualifizierte Gefährdung abstellen. Das tatbestandlich vorausgesetzte Gefährdungsmoment ist daher prädestiniert, auch bei der Abwägung als Orientierungshilfe zu dienen, sofern es gelingt, den Begriff dafür fassbar zu machen.

105 Primäre Bedeutung kommt dem Verschulden auch nach dem Wortlaut von ElG 30/31 zu. 106 «Während die Gefährdenshaftung eine Haftung wegen erlaubter Gefährdung ist, ist die Verschuldenshaf-

tung – vom Ausnahmefall vorsätzlicher Verletzung fremder Rechtsgüter abgesehen – eine Haftung wegen verbotener Gefährdung fremder Rechtsgüter»; ULRICH HUBER, Verschulden, Gefährdung und Adäquanz, in: Festschrift Eduard Wahl, Heidelberg 1973, 301.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

DEUTSCH bezeichnet die Gefahr als «mögliche Veränderung zum Schlechten»107

und bringt damit zum Ausdruck, dass der Gefahrbegriff ganz wesentlich vom Begriff der «Möglichkeit» geprägt ist108. Die Tendenz, die Dinge zum Schlechten zu verändern, ist erfahrungsgemäss nicht bei allen Ursachen gleich ausgeprägt. Von dieser Erkenntnis geht auch das Haftpflichtrecht aus, das nur bestimmte Gefahrenquellen herausgreift, nämlich solche, die sich durch eine besondere Schadensträchtigkeit auszeichnen, wie ein Fehlverhalten, die fehlerhafte Be-schaffenheit, der Betrieb technischer Vorrichtungen oder der Umgang mit ge-fährlichen Stoffen.

Die Gefahr als Anknüpfungspunkt der Abwägung ist dann ein brauchbares Krite-rium, wenn die «mögliche Änderung zum Schlechten», die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts bzw. des Schadens in Zahlen ausgedrückt werden kann. Ein solches Urteil ist notwendig, weil sich die jeweiligen Anteile vom Kausalaspekt her nicht auseinanderdividieren lassen. Um gleichwohl eine Aussage über das Gewicht der ursächlichen Beiträge treffen zu können, muss im Sinne einer Hilfs-erwägung hinter den Erfolgseintritt zurückgegriffen und der Zustand untersucht werden, der vor der Vereinigung der Kausalreihen bestand. Aus diesem «Vorzu-stand» heraus ist abzuschätzen, in welchem Verhältnis die beteiligten Bedingun-gen den Erfolgseintritt begünstigt haben109.

Anders als bei der Kausalitätsfeststellung geht es bei der Wahrscheinlichkeitsbe-trachtung im Rahmen von OR 44 I nicht um die Ausscheidung von Verletzungs-folgen, sondern um eine graduelle Bewertung der verschiedenen Ursachen. Für diese muss abgeschätzt werden, inwieweit sie den eingetretenen Erfolg möglich gemacht haben, m.a.W. welche Zerstörungskraft und/oder Schadensgeneigtheit sie repräsentieren.

Vom beschriebenen Wahrscheinlichkeitsvergleich110 darf nicht mehr als eine grobe Schätzung erwartet werden, denn sämtliche Versuche, die komplizierten, oft nur hypothetisch gedachten Lebensvorgänge in exakte Prozentzahlen zu gies-sen, müssen zwangsläufig scheitern, da das dazu notwendige Zahlenmaterial

107 Haftungsrecht 180; vgl. auch WERNER ROTHER, Der Begriff der Gefährdung im Schadensrecht, in: Fest-schrift Michaelis, Göttingen 1972, 250: «‹Gefahr› bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch soviel wie: naheliegende Möglichkeit der Entstehung eines Schadens». Als ‹Gefährdung› wird ein Tun oder Unterlas-sen bezeichnet, das die naheliegende Möglichkeit der Schadensentstehung schafft oder erhöht.»

108 ROTHER (Fn. 107) 250. 109 DUNZ 2234; VENZMER Kap. 1 N 225. 110 Zu den verschieden Wahrscheinlichkeitsbegriffen ROGER QUENDOZ, Modell einer Haftung bei alternativer

Kausalität, Diss. Zürich 1991, 93 ff., der die Wahrscheinlichkeit zur Lösung der Fälle alternativer Kausalität untersucht, die Verursachungswahrscheinlichkeit für die Schadenersatzbemessung sowie die interne Auf-teilung nach OR 51 II aber für obsolet hält, a.a.O. 74 f.

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nicht verfügbar ist und die einzelnen Gesichtspunkte nicht ohne weiteres ver-gleichbar und damit in einem exakten Sinne kombinierbar sind111.

Die Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten ist nicht mehr, als der Versuch, dem Zufall auf die Schliche zu kommen112. Eine kleinliche Rechnerei, die nur noch durch den Beizug von Experten bewältigt werden kann, ist daher weder erstre-benswert noch sachgerecht113.

Der Richter hat – und das entspricht auch dem eingeräumten Ermessen – in gro-ben Zügen eine Aussage darüber zu treffen, welcher Beteiligte den eingetretenen Erfolg in höherem Masse wahrscheinlich gemacht hat. Welche Kriterien für diese Vergleichsbetrachtung massgebend sind, ist hier nur skizzenhaft darzule-gen:

Relativ einfach stellt sich die Aufgabe, wo gleichartige, mechanisch messbare Kräfte aufeinandertreffen. Hier wird man die Lösung meist in Anlehnung an die physikalischen Kenntnisse gewinnen. So ergibt sich das Schädigungspotential bei einem Zusammenstoss von Fahrzeugen nach der Formel über die Berech-nung der kinetischen Energie114, also aus dem Vergleich von Geschwindigkeit

111 Dies schon deshalb, weil der Gefahrbegriff zwei verschiedene Aspekte umfasst: einerseits die Tendenz zur Herbeiführung von Schäden und anderseits die Wahrscheinlichkeit, dass quantitativ oder qualitativ schwerwiegende Folgen eintreten; vgl. GASSMANN-BURDIN 34 ff. Je häufiger ein Umstand zu Schäden führt und/oder umso schwerer die Folgen, desto gefährlicher ist er einzustufen; a.M. ROTHER, Haftungsbe-schränkung 58, der die Gefährlichkeit darin sieht, dass der Schadenseintritt selten, die Folgen dagegen schwerwiegend sind. Dem ist insofern zuzustimmen, als es sich bei der Gefahr nicht allein um ein mathe-matisches Problem handelt, das aus der Bildung von Verhältniszahlen gelöst werden kann. Vielmehr sind weitere Wertungen notwendig, wie die Möglichkeit der Wahrnehmung von Gefahren oder deren Vermeid-barkeit. Damit sind z.T. Gesichtspunkte angesprochen, die allein aus der Gefährdungsperspektive nur un-vollständig erfasst werden und daher zusätzlich zu berücksichtigen sind.

112 DUNZ 2134. 113 DUNZ 2135 räumt zu Recht ein, «dass überall das richterliche Fingerspitzengefühl den Ausschlag geben

muss, und dass eine zu weitgehende Verfeinerung des Zahlenwerks den Gerechtigkeitsgehalt nicht er-höht». Gegen eine zu minutiöse Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgrades auch LANGE/SCHIEMANN, Scha-densersatz 613, der allerdings auch die aus Kausalitätsgründen erforderliche unterschiedliche Quotenbil-dung ablehnt. Ein ausgeklügeltes System entwirft demgegenüber VENZMER Kap. 1 N 245 ff., der fortschreitend von der haftungsbegründenden Ursache zu allfälligen Zwischengliedern die jeweiligen Wahrscheinlichkeitsgrade ermittelt und diese zueinander in Beziehung setzt. Dabei erweckt weniger die vorgeschlagene Vorgehensweise Bedenken, als die verwendeten Zahlen, die meist nur rudimentäre Schätzungen sind, was durch die von VENZMER postulierte Genauigkeit überspielt wird. So bildet VENZMER

Kap. 1 N 248 f. als Ergebnis der Abwägung Verhältniszahlen von 27:18 und 90:18 (es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, dass es sich gekürzt dann gleichwohl wieder um runde Zahlen – 3:2 und 5:1 – handelt). Dass eine 54 %ige Wahrscheinlichkeit zulasten des Schädigers genau dem Rechtsgefühl ent-spricht (so VENZMER a.a.O.), ist kaum anzunehmen, denn dieses arbeitet nicht mit solchen Feineinheiten; vgl. auch die Kritik bei ROTHER, Haftungsbeschränkung 59 FN 3.

114 Halbe Masse mal Geschwindigkeit im Quadrat; vgl. ERICH PETER/STEFAN ZUBER/PHILIPP LÜCHINGER,Betriebsgefahr aus technisch-physikalischer Sicht, in: René Schaffhauser (Hrsg.), Jahrbuch zum Strassen-verkehrsrecht 2006, St. Gallen 2006, 89 ff. sowie den Beitrag im gleichen Werk auf den S. 196 ff. von RENÉ

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und Gewicht der beteiligten Fahrzeuge. Erhebliche Abweichungen dieser Fakto-ren sind beim Verteilungsschlüssel in Rechnung zu stellen, wobei zu beachten ist, dass sich die Zerstörungskraft auf die Fremd- und Eigengefährdung nicht gleich auswirkt115.

Die Komplexität des konkreten Geschehensablaufs lässt ohnehin keine genauen Zahlen erwarten, sodass wie erwähnt der Versuch einer exakten rechnerischen Erfassung gar nicht erst gemacht werden sollte116. Dies gilt namentlich, wenn ein Fehlverhalten zum Unfall führt117. Eine dadurch bewirkte Gefahrsteigerung kann nur durch einen runden Zuschlag berücksichtigt werden. SVG 60 und 61 gehen davon aus, dass das zusätzliche Verschulden die Betriebsgefahr zurücktreten lässt. In einem solchen Fall stehen sich aber inkompatible Risiken gegenüber, für die kaum mehr Wahrscheinlichkeitsüberlegungen angestellt werden können. Ähnlich verhält es sich, wenn menschliche Handlungen gegeneinander abgewo-gen werden müssen oder wenn am Schadenfall Tiere usw. beteiligt sind118.

Liegen bei der Risikoabwägung keine Besonderheiten vor, die die eine Ursache gegenüber der anderen hervortreten lassen, ist auf andere Kriterien abzustellen, und wo auch solche fehlen, von gleichwertigen Anteilen auszugehen119. Zusätzli-che Abwägungskriterien ergeben sich insbesondere aus einzelnen Elementen des Verschuldensbegriffs. Zwar besteht zwischen der soeben behandelten Gefahr und dem Verschulden insofern eine Verbindung, als ein schwerwiegendes Ver-schulden häufig auch mit einem hohen Grad an Gefährlichkeit einhergeht120. Eine

SCHAFFHAUSER/ERICH PETER, Haftungskollision Bahn-Motorfahrzeug, ‹Zauberformel› der bundesgerichtli-chen Rechtsprechung oder fehlende Kenntnis der physikalischen Gesetze?

115 OFTINGER/STARK II/2 § 25 N 669 f. 116 So auch OFTINGER/STARK II/2 § 25 N 668. 117 Man spricht alsdann, soweit das Fehlverhalten mit einer Betriebshaftung gekoppelt ist, von einer erhöhten

Betriebsgefahr und bringt damit zum Ausdruck, dass eine gesteigerte, über das Normalmass hinausge-hende Schadenswahrscheinlichkeit bestand.

118 Wie in der Praxis unterschiedliche Gefährdunglagen abgewogen werden, ist bei BREHM, Haftungskollision insbes. 161 ff. für die praktisch bedeutsame SVG-Haftung zusammengestellt.

119 Diese Lösung sehen auch ElG 30 und OR 148 I vor; ebenso ESSER/SCHMIDT I/2 290: «Im übrigen sollte, sofern nicht im Einzelfall deutliche Ungleichgewichte festzustellen sind, einer paritätischen Beteiligung der Vorzug vor kleinlichen Prozentsätzen gegeben werden.»

120 Die Gefährdungs- und die Verschuldensabwägung können daher «nahtlos ineinander übergehen»; LARENZ, Schuldrecht I 550. ROTHER, Haftungsbeschränkung 67 und weitere Autoren gehen davon aus, dass sich Verursachungs- und Verschuldensabwägung weitgehend decken. Eine solche Übereinstimmung ergibt sich schon daraus, dass sich der Gefährdungsgrad nicht immer verlässlich feststellen lässt und da-her von anderen Kriterien überlagert wird. Zudem sollte bei der Verschuldensqualifikation dem Gefähr-dungsgrad vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden; zur gegenseitigen Abhängigkeit von Verursa-chung und Verschulden auch ROTH, Haftungseinheiten 57 ff.: «Geht man mit der h.L. davon aus, dass die in § 254 genannte Verursachung in Wahrheit eine Verursachungswahrscheinlichkeit ist, weil Ursache im herkömmlichen Sprachgebrauch nur im Sinne einer conditio sine qua non gebraucht wird, decken sich bei-

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feste Relation besteht allerdings nicht, denn für die Verschuldensbewertung ist die mit dem Verhalten verbundene Gefährdung nur ein und keineswegs immer der bedeutendste Faktor121.

Ein Verschulden wiegt schwer, wenn es auf einer groben Nachlässigkeit oder gar Vorsatz beruht, doch kann der gleiche Umstand und damit auch die für Dritte geschaffene Gefahr einer entschuldbaren Unaufmerksamkeit entspringen122.Nebst dem Vorsatz, dem bei der Abwägung eine ganz dominierende Bedeutung zukommt, da dieser selbst die von anderen geschaffenen Gefahren umfassen und daher die Mitverantwortung ausschliessen kann123, ist namentlich von Belang, inwieweit die Gefährdung erkennbar und vermeidbar war. Sodann ist auch die «Nützlichkeit» des in Frage stehenden Verhaltens ein zu würdigender Teilaspekt des Verschuldens. Aber auch subjektive Eigenschaften, wie das Alter, die beruf-liche oder sonstige Erfahrung.

In welchem Verhältnis ein Verschulden und schuldähnliche Elemente zu den Gefährdungsanteilen stehen, ist wiederum eine Wertungsfrage und lässt sich kaum genauer angeben. Wie schon mehrfach angetönt, fällt es überhaupt schwer, für die Abwägung und Schadensverteilung feste «Tarife» aufzustellen, doch lässt sich mit der Gefahrabwägung wenigstens teilweise eine brauchbare und plausible Vergleichsbasis herstellen.

Mit den vorstehend aufgeführten Grundsätzen ist lediglich ein Programm skiz-ziert, das durch Fallgruppen zu konkretisieren ist und auch weitere Bemessungs-faktoren zulässt, soweit sie für die vorzunehmende Interessenabwägung erheb-lich sind. Das dem Richter eingeräumte Ermessen gewährleistet, dass der notwendige Beurteilungsfreiraum offen steht und der Entscheid nicht bis ins Letzte rational nachvollziehbar sein muss. Dabei wird man als Nachteil gewisse Unsicherheiten in Kauf nehmen müssen.

de Begriffe darin, dass sie einen Wahrscheinlichkeitsmassstab für die Entstehung des Schadens abge-ben.»

121 ESSER/SCHMIDT I/2 288 f. schlagen angesichts der empirisch nicht ausgewiesenen Vermutung, dass grobe Fahrlässigkeit generell gefahrenträchtiger sei als leichte, vor, Verhaltensbeiträge unterhalb des Vorsatzes gleich zu bewerten. Löst man das Gefährdungsmoment aus der Verschuldensbewertung und würdigt die weiteren objektiven und subjektiven Verschuldenselemente separat, lassen sich aber durchaus weitere Dif-ferenzierungen treffen.

122 KARL-AUGUST KLAUSER, Abwägungsgrundsätze zur Schadensverteilung bei Mitverschulden und Mitverur-sachung, NJW 1962, 370 zeigt dies am Beispiel einer Baustelle, die ein Bauarbeiter trotz regem Verkehr ohne ausreichende Beleuchtung verlässt. Dieses Verhalten kann durch eine grobe Nachlässigkeit motiviert sein, es kann aber auch darauf beruhen, dass der Verantwortliche einen gerade noch erkennbaren Defekt in der Anlage übersehen hat.

123 Zu beachten ist allerdings, dass diese Regel nur für die Haftungsbegründung, nicht aber für die Haftungs-ausfüllung gilt. Die Verletzung der Schadenminderungspflicht kann daher auch vom Vorsatztäter geltend gemacht werden.

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3. Sektorielle und schadenspezifische Quotenbildung

Das Ergebnis der Abwägung besteht in der Regel in einer Aufteilung des Scha-dens nach Quoten. Theoretisch ist dabei eine Reduktion der Ersatzpflicht von 0 % bis 100 % möglich. Zu kleinliche Prozentansätze sollten aber angesichts der erwähnten Unsicherheiten vermieden werden, da sie ohnehin nur eine Scheinge-nauigkeit vermitteln und die Betroffenen dazu ermuntern, das Glück bei der nächsten Instanz zu suchen. In der Praxis werden Schadensquoten von weniger als 10 % denn auch zu Recht nur selten berücksichtigt124.

Sofern die Tatbeiträge auf beiden Seiten gleich zu gewichten sind, ist der Scha-den paritätisch aufzuteilen. Die Mitwirkungsanteile werden also nicht kompen-siert, mit der Folge, dass eine Schadensüberwälzung nicht stattfindet oder aus-schliesslich durch nicht «neutralisierte» Faktoren bestimmt wird. Solche Kompensationsüberlegungen, die von einem Teil der Lehre für die Verschul-densabwägung befürwortet125 und durch den Wortlaut von SVG 60/61 hinsicht-lich der Betriebsgefahren gedeckt werden126, sind abzulehnen. Eine einmal ge-machte Feststellung, betrifft sie nun die Gefährdung oder andere Bemessungsfaktoren, kann nicht durch eine andere wieder aus der Welt geschafft werden.

Die einzelnen Elemente sind nach einer ganzheitlichen Betrachtung – nach dem Bild vom Kuchen und nicht nach demjenigen der Waage – in die Abwägungs-operation einzusetzen. Weniger bildhaft gesprochen: «Die Gesamtheit der recht-lich relevanten Ursachen ist mit 100 % einzusetzen und dann jeder Ursache, sei sie nun vom Schädiger oder Geschädigten zu verantworten, je nach ihrem Ge-wicht ihre Quote zuzuteilen (sektorielle Verteilung)»127. Auch bei dieser Methode ist der Beitrag eines Beteiligten zu vernachlässigen, wenn die anderen Anteile so

124 Vgl. etwa die Kasuistiken bei BREHM, Berner Komm. N 21 zu OR 44, OFTINGER/STARK I § 7 N 32; und II/2 § 25 N 578, sowie die Zusammenstellung von RICO HEINZ in diesem Tagungsband, wo sich die Quoten schwergewichtig zwischen 20 und 50 % bewegen. Nach PETER STEIN, Haftungskompensation, ZSR 102/1983 I 82 können 10 % ohne Willkür vernachlässigt werden. HANS MERZ, Probleme des Haftpflicht-rechts nach SVG, in: Berner Tage für die juristische Praxis, Bern 1975, 106 zieht die Grenze bei 5 %. Eine fixe Grenze lässt sich kaum angeben. Auch wenn die vorgeschlagenen Minimalansätze tendenziell zu be-grüssen sind, muss bedacht werden, dass auch hinter kleinen Prozentzahlen nicht unbedeutende Scha-denssummen stehen können.

125 Vgl. die Nachw. pro und contra bei BREHM, Berner Komm. N 35 zu OR 44, der selber eine starre Regel ablehnt und auch diese Frage der Freiheit des Richters überlassen will.

126 Während das BGer in BGE 111 II 443 f. noch der Kompensation zuneigt, hat es sich in jüngeren Entschei-den davon distanziert: BGE 132 III 249; 129 III 65; 116 II 428; 113 II 328; vgl. Urteil 6S.13/2006 vom 30.8.2006.

127 OFTINGER/STARK I § 9 N 12 ff; II/2 § 25 N 558, 653; so nun auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung:BGE 132 III 242 E. vgl. auch nachstehend VII./C.

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stark überwiegen, dass er als zu vernachlässigende Grösse aus der Rechnung herausfällt.

Nicht selten führt der dem Schädiger zu Last gelegte Umstand zur Verletzung mehrerer Rechts- und Vermögensgüter. Anderseits kann sich das mitwirkende Verhalten des Geschädigten nur auf einzelne Objekte beziehen. Ist eine Mitwir-kung nur hinsichtlich einzelner Schadensposten gegeben, dann darf, dies verlangt das Erfordernis der Kausalität, die Kürzung nur Schadensteile betreffen, für die der Geschädigte mitverantwortlich ist, sodass aus dem gleichen Schadensereignis unterschiedliche Haftungsquoten resultieren können128.

Eine unterschiedliche Quotenbildung drängt sich auf, wenn der Mitwirkungsbei-trag des Geschädigten innerhalb der Haftungsbegründung und -ausfüllung unter-schiedlich ausfällt oder wenn die Mitursache überhaupt nur den einen Bereich betrifft. Während das mitursächliche Verhalten des Geschädigten an der Herbei-führung des Schadenereignisses durchwegs mit einer einheitlichen, auf den Ge-samtschaden bezogenen Quote zu sanktionieren ist, wirkt sich ein Verstoss ge-gen die Schadenminderungspflicht in aller Regel nur auf einzelne Verletzungsfolgen resp. Schadensposten aus.

Begibt sich etwa eine geschädigte Person nicht in ärztliche Behandlung, darf sich die Kürzung selbstverständlich nur auf die Heilungskosten oder den Erwerbsaus-fall beziehen, nicht aber auf den gleichzeitig eingetretenen Sachschaden, der von diesem Verhalten gar nicht tangiert worden ist. Innerhalb des Personenschadens ist sodann abzuschätzen, ob der betreffende Schadensposten überhaupt erst durch das Verhalten des Geschädigten entstanden ist – z.B. der Erwerbsausfall – oder ob lediglich der Schadensumfang vergrössert worden ist. Ist Letzteres anzuneh-men, erstreckt sich die Quotierung nur auf den zusätzlich entstandenen Scha-densteil, da nur dieser mit dem Geschädigtenverhalten ursächlich verbunden ist.

War der Geschädigte nebst der Verschlimmerung einzelner Verletzungsfolgen auch an der Herbeiführung des Haftungsereignisses mitbeteiligt, muss die ein-heitlich, auf den Gesamtschaden bezogene Reduktionsquote für die zusätzlich herbeigeführten Verletzungsfolgen entsprechend erhöht werden. Die nur einzelne Schadensposten betreffenden Reduktionsgründe sind dabei vorgängig zu berück-sichtigen und nur der verbleibende Rest nach der Haftungs(grund)quote aufzutei-len. Ist der Mitwirkungsbeitrag an der Primärverletzung z.B. mit 80 % zu bewer-ten und für die in Verletzung der Schadenminderungspflicht erhöhten Heilungskosten eine Quote von 50 % zu veranschlagen, reduzieren sich die zu-

128 In der Praxis wird das Problem meist übergangen und eine einheitliche, auf den Gesamtschaden bezogene Quote gebildet. Das ist unbedenklich, wenn dabei ein gewogener Mittelwert verwendet wird. Ein solcher lässt sich jedoch nur umständlich ermitteln.

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sätzlichen Heilungskosten um weitere zwanzig Prozent, sodass nur 40 % der Mehraufwendungen geschuldet sind.

Denkbar ist umgekehrt auch, dass der Schädiger zur Vergrösserung einzelner Schadensfolgen beigetragen hat. Dies kommt v.a. bei den Anwaltskosten in Be-tracht, deren Höhe sowohl vom Verhalten des Geschädigten wie demjenigen des Schädigers beeinflusst werden kann. Alsdann sind die dadurch entstandenen Mehrkosten in Abweichung von der Haftungsquote vom Haftpflichtigen zu tra-gen129.

4. Abwägung bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen

Stehen dem Geschädigten mehrere Ersatzpflichtige gegenüber, so kann er eine Anspruchskürzung nach OR 43 I oder 44 II wie vorstehend ausgeführt im Stile des Quotenvorrechts bis zur vollen Schadensdeckung kompensieren. Dies gilt allerdings nur, soweit die Ersatzforderungen im Verhältnis der Anspruchskon-kurrenz stehen, nicht aber bei echter Solidarität. Die limitierte Kumulation lässt sich damit begründen, dass eine Abstufung nach der Intensität des Haftungs-grundes oder nach den persönlichen Verhältnissen des Ersatzpflichtigen nur die individuelle Belastung der Pflichtigen, nicht aber das Ausgleichsprinzip tangie-ren soll.

Hat der Geschädigte an der Schadensentwicklung mitgewirkt, trifft ihn ebenfalls ein Teil der Verantwortung und er hat aus diesem Grunde den Schaden mitzutra-gen. Dies muss auch gelten, wenn dem Geschädigten mehrere Ersatzpflichtige gegenüberstehen. In diesem Punkt sind sich Lehre130 und Praxis131 einig.

Abweichende Ansichten bestehen darüber, ob die Mitwirkung bei echter und unechter Solidarität gleich zu behandeln ist. In BGE 97 II 345 weist das Bun-desgericht darauf hin, dass «das Selbstverschulden des Klägers nicht notwendi-gerweise gegenüber jedem Beklagten gleich zu begründen ist und die Ersatz-pflicht prozentual gleich stark ermässigt.»

129 Bei den Anwaltskosten ist allerdings umstritten, ob sich die Haftungsgrundquote auch auf diesen Scha-densposten erstreckt, vgl. MAX BERGER, Der Geschädigte hat ein Recht auf Ersatz seiner Anwaltskosten, HAVE 2003, 35 f. mit Nachw.

130 Wobei freilich immer nur vom Selbstverschulden die Rede ist: JANSEN 99; ZELLWEGER 78; BREHM, Berner Komm. N 49 zu OR 50 sowie all jene Autoren, die die individuelle Ersatzbemessung uneingeschränkt zu-lassen; vgl. auch WEBER, Einheitliche Lösung, 359 ff.

131 BGE 45 II 316; 89 II 118 ff.

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ZELLWEGER132 lehnt eine individuelle Ermittlung des Eigenanteils des Geschä-digten als mit dem Wesen der Solidarität unvereinbar ab. Dieser Ansicht ist bei-zupflichten, soweit (echte) Solidarität i.S.v. OR 50 vorliegt. Die Besonderheit der in OR 50 I durch den Grundsatz der Solidarität angeordneten Gesamthaftung liegt darin, dass der gemeinsame Schuldvorwurf jeden Beteiligten nicht nur für den von ihm zu vertretenden Umstand, sondern unabhängig vom eigenen Beitrag auch für diejenigen der Mithaftpflichtigen verantwortlich macht.

OR 50 I schaltet mit der angeordneten Solidarität die individuelle Verantwort-lichkeit aus und statuiert eine kollektive Haftung. Zwar muss auch der solida-risch Haftende für den vom Geschädigten mitverursachten und nach OR 44 I zurechenbaren Schadensteil nicht einstehen, doch vollzieht sich die Abwägung als Folge der wechselseitigen Zurechnung der Schädigerbeiträge gleich wie bei der Einzeltäterschaft: Das Gefährdungspotential sämtlicher Schädiger wird als Einheit gegen den Anteil des Geschädigten abgewogen133.

Bei (bloss zufälliger) Anspruchskonkurrenz134 werden die Einzelforderungen dagegen individuell bestimmt. Die Haftungsquote ergibt sich hier aus der Ge-genüberstellung des jeweiligen Schädigerbeitrages zur Verantwortlichkeitssphäre des Geschädigten. Durch diese Einzelbetrachtung wird der Geschädigte gegen-über der bei (echter) Solidarität praktizierten Gesamtschau insofern schlechter gestellt, als ihm der Schaden maximal bis zur Höhe der für ihn günstigsten Haf-tungsquote gedeckt wird135.

Dieses Vorgehen vermag nicht ganz zu befriedigen, denn mit der Einzelabwä-gung werden die Bemessungsfaktoren auf der Schädigerseite aufgespaltet und erhalten dadurch im Vergleich zum Beitrag des Geschädigten ein geringeres Gewicht. Der Geschädigte kann dem Einzelschädiger nur dessen Haftungsquote entgegenhalten, und zwar bemessen nach der Relation der beiden Tatbeiträge unter Ausklammerung der Mitverantwortung der weiteren Haftpflichtigen136. Die für die Abwägung primär massgebende Gefährdung des Geschädigten resultiert aber nicht selten aus dem Zusammenwirken sich kumulierender Schädigungspo-tentiale.

132 S. 78, 80, 87: Die «Anwendung von OR 44 I» hat «keine Differenzierung der Solidarhaftungsbeträge zur Folge».

133 So auch ZELLWEGER 80, 87; gleich für BGB 830 (Fälle der Mittäterschaft) LANGE/SCHIEMANN, Schadenser-satz 629; LARENZ/CANARIS Schuldrecht II/2 581.

134 M.a.W. bei blosser Nebentäterschaft, welche Konstellation freilich in der Praxis überwiegt. 135 Schuldet z.B. A 75 %, B 50 % und C 30 %, kann der Geschädigte maximal 75 % des Schadens ersetzt

verlangen.136 Die Problematik liegt darin, dass die Einzelabwägung ein von mehreren verursachtes Geschehen so

darstellt, als wären nur zwei beteiligt; LANGE/HAGEN, Wandelungen des Schadensrechts, Heidelberg 1987, 36 FN 108.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

Zum Ausgleich der mit der Einzelbetrachtung verbundenen Schlechterstellung des Geschädigten wird in Deutschland eine kombinierte Abwägungsmethode angewandt, die die Einzelabwägung durch eine Gesamtschau ergänzt, sodass die Ersatzpflichtigen zusammen den Teil des Schadens übernehmen müssen, der sämtlichen Schädigerbeiträgen entspricht137.

Die unterschiedlichen Bemessungsgrundsätze präsentieren sich wie folgt: Wenn der Geschädigte von drei Schädigern jeweils die Hälfte des ihm entstandenen Schadens fordern kann, erhält er nach allgemeiner Regel auch insgesamt nur diese Hälfte zugesprochen. Wird die Einzelabwägung mit einer Gesamtabwä-gung kombiniert, die die Relation des Beitrages des Geschädigten zu den Beiträ-gen der Ersatzpflichtigen wahrt, ergibt sich ein Verhältnis 1:1:1:1. Der Geschä-digte hat demnach Anspruch auf 75 % des Schadens, d.h. er kann von einem Beteiligten 50 % verlangen und für den überschiessenden Anteil von 25 % auf die weiteren Haftpflichtigen greifen138. Durch die Gesamtabwägung, die alle Beiträge ins Verhältnis setzt, wird der Geschädigte wie einer von mehreren Schä-digern behandelt.

Die vorgeschlagene Lösung ist dem Grundsatze nach zu begrüssen, auch wenn sich die Verhältnisse nicht immer ganz so einfach präsentieren, wie soeben dar-gestellt und weitere Komplikationen auftreten können. So ist die Kombination von Einzel- und Gesamtbetrachtung dann praktisch kaum mehr durchführbar, wenn hinsichtlich der einzelnen Verletzungsfolgen unterschiedliche Haftungs-quoten vorliegen139. Zumindest sollte die ergänzende Gesamtbetrachtung nur dann eingesetzt werden, wenn den entsprechenden Schadensposten einiges Ge-wicht zukommt.

Die Gesamtabwägung erübrigt sich zudem, wenn mehrere Schädiger für den gleichen Tatbeitrag einzustehen haben, wie dies z.B. im Verhältnis von Halter und Lenker140 oder Geschäftsherr und Hilfsperson gegeben ist. Bei dieser Kons-tellation liegt keine erhöhte Gefährdung vor, die eine nachträgliche Korrektur

137 So die führende Entscheidung BGHZ 30, 203 ff.; vgl. dazu LOOSCHELDER 619 ff. 138 Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, dass es sich nicht um eine rein mathematische Operation

handelt, in die die Einzelquoten ohne weiteres eingesetzt werden können. Werden die Schadensursachen in eine Gesamtrelation gesetzt, kann sich nämlich durchaus ein anderer Verteilungsschlüssel aufdrängen; vgl. die zutreffenden Ausführungen bei BRAMBRING 160 ff.

139 Die Rechnerei darf nicht ad absurdum betrieben werden, doch hat man sich die massgebenden Grundsät-ze stets vor Augen zu halten, denn nur so lässt sich die vielpostulierte «praktische Vernunft» verwirklichen.

140 Wird mit der in SVG 60 I angeordneten Solidarität ernst gemacht, ist der Eigenanteil des Geschädigten aber ohnehin im Wege der Gesamtabwägung festzusetzen, denn die solidarische Haftung schliesst eine individuelle Ersatzbemessung aus. Allein der Umstand, dass sich die Schädigung im Strassenverkehr zu-getragen hat, kann eine so einschneidende Konsequenz nicht rechtfertigen; vgl. aber OFTINGER/STARK II, § 25 N 688.

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durch eine Gesamtabwägung erfordert141. Eine Globalbetrachtung ist immer dann nicht notwendig, wenn den Beteiligten die Tatbeiträge der andern Mitwirkenden bereits zugerechnet und so zu einem einheitlichen Gefährdungsfaktor verschmol-zen werden142.

Steht die im Wege der Einzel- oder Gesamtabwägung gefundene Haftungs-höchstgrenze fest, kann der Geschädigte jeden der mehreren Ersatzpflichtigen bis zur jeweiligen Haftungsquote belangen, bis er voll befriedigt ist. Entsprechend dem Grundsatz «nemo subrogat contra se» geniesst er dabei eine Vorrangstel-lung, sodass das Insolvenzrisiko zulasten der Schädiger geht. Dies ist gerechtfer-tigt, denn mit der Einzelabwägung, die auch die maximale Regressquote präjudi-ziert, ist gewährleistet, dass dem Haftpflichtigen aus der Mitbeteiligung anderer keine Nachteile erwachsen143.

V. Konstitutionelle Prädisposition

A. Notwendige Differenzierungen

Vor rund 20 Jahren hat das Bundesgericht in BGE 113 II 86 erkannt, dass die konstitutionelle Prädisposition in unterschiedlicher Ausprägung auftreten kann. Zum einen als Berechnungsproblem, wenn die gesundheitliche Schwäche auch ohne Haftungsereignis zu finanziellen Nachteilen geführt hätte. Wäre der Scha-den dagegen ohne Unfall voraussichtlich nicht eingetreten, so bleibt der Haft-pflichtige voll verantwortlich, auch wenn der krankhafte Vorzustand den Eintritt

141 Diese als «Haftungseinheit» bezeichnete Ausnahme wird auch in Deutschland beachtet: ROTH 47 ff.; kritisch LOOSCHELDER 627 f.

142 Über die Fälle der formalen Haftungseinheit trifft dies auch zu, wenn das Drittverhalten bei der Abwägung bereits erschwerend berücksichtigt worden ist. Das (Fehl)Verhalten Dritter kann nicht nur entlastend wir-ken, auch das Gegenteil ist möglich, so wenn die Verhaltensregel gerade die Ausschaltung von Drittrisiken bezweckt. Kein Anlass für eine Gesamtschau besteht dann, wenn sich die gesetzten Faktoren nicht zu ei-ner höheren Gefährlichkeit aufaddieren. – Keiner Nachkontrolle bedarf auch der Schadenminderungsab-zug, denn für diesen ist nicht die Haftungs(grund)quote massgebend, sondern die aus dem (gemeinsam) verursachten Verletzungseingriff resultierende Gefährdung.

143 Vgl. auch den Vorschlag von STEINER, SJZ 79/1983, 144, der von einer Gesamtabwägung ausgeht, den Beteiligten eine solidarische Haftung über die eigene Haftungsquote hinaus aber nur zumutet, wenn der Regress gewährleistet ist. – Angesichts der nicht ganz einfachen Kombination der verschiedenen Abwä-gungen liesse sich auch daran denken, jedem Schädiger die Tatbeiträge der andern bereits im Aussenver-hältnis angemessen zuzurechnen und nur bei der internen Auseinandersetzung die Einzelabwägung zuzu-lassen (in diese Richtung BRAMBRING 174 f.). Damit würde aber de facto eine Angleichung an die Solidarhaftung erreicht, was mit einer ungerechtfertigten Mehrbelastung (Prozess- und Insolvenzrisiko) der Beteiligten verbunden ist.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

des Schadens begünstigt oder dessen Ausmass vergrössert hat. Dem Anteil der Prädisposition sei in diesem Falle im Rahmen von OR 44 Rechnung zu tragen.

Die Differenzierung überzeugt, die Abgrenzung zwischen Ohnehin- und unfall-kausalen Folgen ist dagegen nicht immer ganz einfach. Möglich und gar nicht so selten sind zudem Kombinationen der beiden Konstellationen. Die Unterschei-dung und das macht die Geschichte brisant, ist von grosser praktischer Bedeu-tung. Fällt die Schadensweiterung unter die Schadensberechnung, so wird sie vollumfänglich von der Zurechnung ausgeschlossen. Bei einer Reduktion nach OR 44 besteht dagegen die Möglichkeit, die vorgenommene Kürzung nach rich-terlichem Ermessen abzustufen und der geschädigten Person steht das Quoten-vorrecht zur Seite, mit dem sie die Reduktion ganz oder teilweise kompensieren kann.

In den letzten Jahren hat sich das Bundesgericht verschiedentlich mit der konsti-tutionellen Prädisposition befasst und dabei die aufgestellten Grundsätze bestä-tigt und konkretisiert144. Auch die Lehre ist nicht untätig geblieben und hat die Entscheide intensiv analysiert und kommentiert145.

B. Moderate Kürzungen

Die neueren Urteile beschäftigen sich vor allem mit dem Umfang der Schadener-satzreduktion im Rahmen der Ersatzbemessung oder ordnen den Vorzustand zumindest dieser Kategorie zu. Dabei zeigt sich der Trend, eine Reduktion nur noch dann zuzulassen, wenn zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sind, die eine Kürzung rechtfertigen146. Als solche werden die Gefahrexponierung147, ein «Missverhältnis» zwischen Ursache und Schaden sowie die Grösse des Ver-schuldens angegeben148. Eine solche Liste ist freilich im Rahmen der Redukti-onsklausel nicht abschliessend, die damit aufgestellten Richtlinien aber durchaus verbindlich und für die Rechtssicherheit unumgänglich.

144 Urteil 4C.416/1999 vom 22.02.2000 = Pra 2000 Nr. 154; 4C.215/2001 = Pra 2002 Nr. 151; BGE 131 III 12; 4C.222/2004 vom 14.09.2004; 4C.75/2004 vom 16.11.2004; 4C.324/2005 vom 05.01.2006.

145 Hingewiesen sei auf die HAVE-Artikel von SUTER, DETTWILER, HERZOG-ZWITTER, PORCHET sowie MÜLLER

140 ff. und die umfassende Arbeit von KRÄUCHI.146 Das Bundesgericht ist damit der Lehre gefolgt, die der Kürzung skeptisch begegnet und sie zum Teil auch

überhaupt ablehnt, vgl. die Übersicht bei MÜLLER 145 f. 147 Die das tragende Motiv in OR 44 darstellt, vgl. vorstehend Ziff. III./C./1. sowie den gleichen Ansatz bei

KRÄUCHI, 190. 148 Pra 2000 Nr. 154, 920, dazu auch PORCHET, 382 ff.; kritisch gegenüber den Zusatzkriterien SUTER 40, der

davon ausgeht, dass Selbstgefährdung und Selbstverschulden identisch sind und die Schwere des Ver-schuldens in OR 44 irrelevant sei.

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Stephan Weber

Die Kürzungen bewegen sich in der jüngeren Rechtsprechung in einem Rahmen von 5% - 35%. In älteren Entscheiden wurde teilweise weit massiver gekürzt und oft einfach der medizinisch attestierte Anteil der Prädisposition als Kürzungssatz übernommen149. Auch wenn man die Berechnungsfälle in den älteren Urteilen ausscheiden muss, bleiben etliche Entscheide, die Kürzungen in einer Grössen-ordnung geschützt haben, die einem schwerwiegenden Verschulden entsprechen würden. Dass eine gesundheitliche Schwäche und ein gravierendes Verschulden auf die gleiche Stufe gestellt werden, ist nicht akzeptabel. Steht fest, dass sich die Vorbelastung ohne Unfall nicht ausgewirkt hätte, so gilt der Grundsatz, dass der Haftpflichtige kein Recht darauf hat, so gestellt zu werden, als hätte er einen Gesunden geschädigt. Es braucht zumindest zusätzliche Momente, die eine volle Schadenstragung als unangemessen erscheinen lassen. Dabei kann die Gefahrex-ponierung auch eine höhere Kürzung rechtfertigen, wenn sich die geschädigte Person trotz des Gesundheitszustandes einem hohen Risiko aussetzt und völlig unvernünftig benimmt.

C. Berücksichtigung und Beweis bei der Schadensberechnung

Unbestritten ist die Reduktion im Rahmen der Schadensberechnung, dies obwohl die Relevanz hypothetischer Kausalverläufe nicht einfach aus der Differenztheo-rie abgeleitet werden darf150. Die praktische Schwierigkeit besteht darin, jene gesundheitlichen Vorzustände zu isolieren, die das Potential einer späteren Ver-schlechterung in sich tragen. In den medizinischen Gutachten finden sich darüber häufig nur vage Angaben. Entscheidend ist daher, welche Anforderungen an den Beweis zu stellen sind.

In diesem Punkt gehen, wenig überraschend, die Meinungen auseinander: Wäh-rend die einen auf das Regelbeweismass der an Sicherheit grenzenden Wahr-scheinlichkeit abstellen wollen151, genügt nach anderer Ansicht eine überwiegen-de Wahrscheinlichkeit, wie sie allgemein beim Kausalitätsbeweis gefordert wird152. Entscheidend ist jedoch, was überhaupt zum Beweis verstellt werden kann. Sachverhaltsfeststellung ist der Gesundheitszustand, für den kein Anlass

149 Vgl. zu den neueren Urteilen die Zusammenstellung in diesem Tagungsband von RICO HEINZ. Die im Urteil 4C.324/2005 vorgenommene Kürzung von 35 % ist angesichts des gravierenden Verschuldens der Schä-diger und der im Urteil nachzulesenden Begründung nicht nachvollziehbar. Bei einem derart schweren Ver-schulden (das Opfer wurde zusammen geschlagen!) darf keine Kürzung wegen Konstitutionsmängeln er-folgen! Unklar bleibt im Urteil, ob nicht der Gedanke der Selbstgefährdung mitschwingt, aber auch dafür wäre der Abzug überrissen.

150 Vgl. dazu die Arbeit von STUDHALTER.151 Neuerdings BECK 245 f. und MÜLLER mit Verweis auf BGE 131 III 14; sodann STUDHALTER 164 m.w.N. 152 BÜHLER 55; SUTER 38.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

besteht, die Beweisanforderungen abzusenken. Dagegen können für die daraus zu ziehenden Folgerungen nur Wahrscheinlichkeitsüberlegungen gemacht wer-den. Die Frage, ob sich der Gesundheitszustand zukünftig verschlechtert hätte und daraus eine finanzielle Einbusse entstanden wäre, kann als zukünftiger Sachverhalt nie mit Gewissheit feststehen. So wenig man sich über zukünftige Sachverhalte irren kann, sind Hypothesen im Rahmen der Schadenberechnung einem strikten Beweis zugänglich.

OR 42 II verweist als Normhypothese auf die allgemeine Lebenserfahrung und den gewöhnlichen Lauf der Dinge. Die Bestimmung lässt es beispielsweise zu, dass bei der Berechnung des Erwerbs- oder Haushaltschadens von einer allge-meinen Lebens- und Aktivitätserwartung ausgegangen werden darf. Wer ein Abweichen von dieser Annahme fordert, muss dies mit einer höheren Wahr-scheinlichkeit nachweisen. Wenn ich mit einer 70-%igen Wahrscheinlichkeit 70 Jahre alt werde153, so muss, wer geltend macht, dass ich dieses Alter nicht errei-che, für das frühere Endalter einen höheren Wahrscheinlichkeitsgrad nachwei-sen. Praktisch bedeutet dies, dass sich die Aussagen in den medizinischen Gut-achten nicht nur auf vage Prozentzahlen beschränken dürfen, vielmehr müssen sie angeben, worauf sich die Prognose stützt154, was aber kaum je geschieht. Selbstverständlich dürfen Abweichungen vom Normalverlauf nur angenommen werden, wenn sie signifikant sind. Das Bundesgericht bringt dieses Erfordernis in den Prädispositionsfällen schon dadurch zum Ausdruck, dass es einfache kon-stitutionelle Schwächen noch nicht genügen lässt155. Eine gewisse Bandbreite entspricht der Normalität und wer sich darin bewegt, ist von den statistischen Durchschnittswerten ohnehin erfasst.

Die Beweislast für das Vorliegen einer Anomalie resp. der daraus resultierenden haftungsunabhängigen Schadensentwicklung trägt der Ersatzpflichtige156. Dies gilt allerdings nur bei Normhypothesen157, nicht aber, wenn die auf die Lebenser-fahrung gestützte und zur Grundlage der Schadensberechnung gemachte Vermu-tung nur für den konkreten Sachverhalt aufgestellt wird. Die Normhypothese bewirkt für den Anspruchsgegner eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der

153 Die statistische Lebens- oder Aktivitätserwartung lässt sich mit Tabelle 40 und 41 von STAUFFER/SCHAETZLE ermitteln.

154 Es sind statistische Erhebungen und Fachartikel anzugeben. 155 Vgl. BGE 113 II 90 E. 1b; 4C.416/1999, E.2a. 156 STUDHALTER, 162 ff.; KRÄUCHI 158; MÜLLER 87, 141.; a.M. SÜSSKIND 129.157 Zu diesem Begriff HANS PETER WALTER, Tat- und Rechtsfragen, in: Fellmann/Weber (Hrsg.), Der Haft-

pflichtprozess, Zürich 2006, 34 f.

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Stephan Weber

Vermutungsfolge158. Beweisthema für den Ersatzpflichtigen ist der Nachweis des Vorzustandes und der daraus resultierenden schädlichen Folgen.

D. Kürzungen bei unsicherer Kausalität?

Nach SUTER159 genügt die skizzierte Behandlung der Prädispositionsfälle den praktischen Anforderungen nicht. Zum einen bereite die dogmatische Zuordnung Schwierigkeiten, zum anderen vermöge das Alles-oder-Nichts-Prinzip, das bei der Schadensberechnung zum Zuge komme, nicht immer zu befriedigen, da bei medizinischen Sachverhalten stets eine Unsicherheiten mitschwingen. Er schlägt vor, bei grossen Unsicherheiten, den Schadenersatz nach dem Wahrscheinlich-keitsgrad zu bemessen, so wie dies der Vorentwurf eines Haftpflichtgesetzes in Art. 56d II vorsehe160.

Bereits heute erlaubt OR 42 II blosse Wahrscheinlichkeiten bei der Schadener-satzberechnung zu berücksichtigen, verlangt dazu aber durch Erfahrungswertegesicherte Kenntnisse. Allein die 50 %-Regel, die in der Theorie161, nicht aber im konkreten Einzelfall am wenigsten weit von der Wirklichkeit entfernt liegende Ergebnisse liefert, genügt dazu nicht. Tatsächlich drückt sich die Ratlosigkeit der Gutachter sehr oft in dieser Zahl aus. Sie bedeutet vielfach «weiss nicht», ist aber auch Indikator für die komplementäre Kausalität, für jene Fälle also, die der Schadenersatzbemessung zuzuordnen sind und für die Kausalanteile nicht be-stimmbar sind162. Die Lockerung darf sich daher weder auf die Feststellung des Gesundheitszustandes noch auf das damit einhergehende Schadenspotential, sondern höchstens auf dessen Quantifizierung beziehen.

Nicht unproblematisch wäre auch die Lösung der Grenzfälle im Rahmen der Schadenersatzbemessung. Auch wenn eine Wahrscheinlichkeitsbemessung dort besser platziert wäre, würden die Bemühungen, die Konstitutionsfälle mit der vorzunehmenden Klassierung der angemessenen Rechtsfolge zuzuführen, wieder zunichtegemacht. Die Praxis würde wohl schon bald wieder zu den alten Kür-zungssätzen zurückkehren und dies in Fällen, die auf keiner gesicherten Grund-lage stehen.

158 MAX KUMMER Berner Komm., N 334 ff. zu ZGB 8. 159 SUTER 42. 160 Einzelheiten im Erläuternden Bericht von PIERRE WIDMER und PIERRE WESSNER, 241 ff.; dazu auch

CHRISTOPH MÜLLER, La perte d'une chance, Diss. Bern 2002, insbes. 500 ff. 161 So SUTER 42. 162 Vorstehend IV./B./1.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

Gegen die pauschale Kürzung in den Fällen unsicherer Kausalität sprechen aber auch die angeführten Fälle. Beim herzkranken Pedrolini, der in eine Bagatellkol-lision verwickelt wurde und durch die Aufregung einen Herzinfarkt erlitt, wurde eine verkürzte Lebenserwartung von fünf Jahren und eine Kürzung um 66 % angenommen, weil der Gesundheitszustand so schlecht war, dass jederzeit mit dem Ableben gerechnet werden musste und er sich einer besonderen Gefahr ausgesetzt hatte163. Überzeugender wäre gewesen, eine mittlere Lebenserwartunganzunehmen und eine Kürzung wegen der Gefahrexponierung vorzunehmen, die mit 66 % allein dafür aber doch zu massiv ausgefallen wäre. Das Leben eines jeden kann am folgenden Tag enden oder dann über hundert Jahre hinausreichen. Das wird mit den Ausscheideordnungen beim Kapitalisieren berücksichtigt und muss, wenn davon abgewichen wird, mit der Annahme einer durchschnittlichen Lebenserwartung gelöst werden. Diese muss sich aber auf gesicherte Untersu-chungen stützen können.

Im Entscheid Sacheli164 hatte die Suva ihre Leistungen wegen einer Begehrungs-neurose eingestellt, das Bundesgericht lehnte die Verneinung der Adäquanz aber ab und akzeptierte im Nachfolgeentscheid eine Kürzung um 66 %, da die schwe-re charakterliche Fehlanlage früher oder später durch ein anderes Ereignis hätte ausgelöst werden können, zum Beispiel Liebesenttäuschung, Kündigung etc. In diesem Entscheid wäre tatsächlich besser die Zurechnung verneint worden. Die Adäquanztheorie ist dazu aber ein wenig geeignetes Instrument. Nützlichere Kriterien liefert die Risikobereichstheorie, die der Zurechnung dort ein Ende setzt, wo das durch die Primärverletzung geschaffene Risiko nicht mehr nach-wirkt und es sich nur um ein allgemeines Lebensrisiko handelt. Um solche han-delt es sich aber bei Kündigungen und Beziehungsproblemen165.

Und im letzten Entscheid166, in dem eine jüngere Geschädigte mit einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung und kognitiven Defiziten Opfer eines Auffahr-unfalls wurde, hätte trotz des komplexen Beschwerdebildes der Frage nachge-gangen werden müssen, welche Einschränkungen im hypothetischen Validenver-lauf zu erwarten gewesen wären und durch welche anderen auslösenden Momente die gleiche Wirkung herbeigeführt werden kann. Für die spätere schä-digende Manifestation der überholten Ursache lässt sich zwar oft kein fixer Zeit-

163 Die beiden Urteile des Bundesgerichts vom 02.03.1965 und 24.05.1966 sind publiziert in Rep. 1966, 30 ff.; vgl. auch die Ausführungen bei SUTER 37.

164 BGE 96 II 392 und Urteil C 44/72 vom 30.05.1972 (CaseTex Nr. 242); auch hier sei auf die Ausführungen bei SUTER 39 hingewiesen.

165 Vgl. STEPHAN WEBER, Schadenszurechnung: Eine Gratwanderung zwischen Wissenschaft, Empirie und Billigkeit, in: Martin Metzler/Stephan Fuhrer (Hrsg.), Festschrift des Nationalen Versicherungsbüros und Garantiefonds Schweiz, Basel/Genf/München 2000, 554 f.

166 Urteil 4P.130/2004 vom 14.09.2004.

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Stephan Weber

punkt angeben, OR 42 II gibt aber den nötigen Freiraum, eine Annahme zu tref-fen167, doch darf diese nicht rein spekulativ sein, sondern muss sich auf Erfah-rungswerte stützen168. Wo solche fehlen, kann weder ein Schaden nachgewiesen, noch eine Reduktion im Rahmen von OR 42 II oder 44 I erfolgreich geltend gemacht werden.

Und angemerkt sei: Wo der Ausbruch und Verlauf einer Krankheit später festge-stellt werden kann169, ist möglicherweise die adäquate Lösung auch in der Ent-schädigung in Rentenform zu finden.

VI. Schadenminderungspflicht

A. Schwankende Rechtsprechung

Analysiert man die neuere Rechtsprechung zur Schadenminderungspflicht, stellt man unschwer fest, dass sie ihre dogmatische Heimat im Gegensatz zu den Prä-dispositionsfällen noch nicht gefunden hat. Das eine Mal wird ein Abzug im Rahmen der Schadensberechnung diskutiert, dann wieder auf dem Hintergrund von OR 44.

In den jüngsten beiden Urteilen vom 22. September 2006170 und vom 26. Juni 2006171 wird die Schadenminderung der Schadenersatzbemessung zugeordnet. Im ersten Urteil wird aufgrund der ärztlich attestierten Erwerbsfähigkeit ein Ein-kommen angerechnet: «Nachdem verbindlich feststeht, welches Einkommen die Klägerin hätte erzielen können und keine stichhaltigen Gründe dargetan sind, welche die Aufnahme einer entsprechenden Erwerbstätigkeit als unzumutbar erscheinen lassen, steht im Lichte von Art. 44 OR nichts entgegen, den betref-fenden Betrag dem Verantwortungsbereich der Klägerin zuzuweisen und die Ersatzpflicht so zu bemessen, als ob die Klägerin ihrer Obliegenheit nachge-kommen wäre».

Im Mittelpunkt des zweiten Urteils stand eine junge Frau, die sich bei einem Motorradunfall mehrere Verletzungen zuzog, zuvor als Floristin gearbeitet und

167 So wie dies beispielsweise auch mit dem Wiederverheiratungsabzug geschieht. 168 Wenn zudem von Medizinern z.B. angegeben wird, dass in 40 % der Fälle eine Erwerbsunfähigkeit eintre-

te, müssen auch Angaben dazu vorliegen, wann und in welchem Umfange diese zu erwarten ist. Erst aus diesen Angaben kann dann ein Kürzungsentscheid getroffen werden, der die normale Aktivitätserwartung verdrängt.

169 Z. B. bei einem Krebsleiden. 170 Urteil 4C.177/2006. 171 Urteil 4C.83/2006.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

nach dem Unfall einen Landwirt geheiratet und mit ihm vier Kinder gezeugt hat. Auch hier wird rund um OR 44 aber mit gegenteiligem Befund festgestellt, dass der Einsatz der verbliebenen Arbeitskraft für Hof, Haushalt und Kinder die Schadenminderungspflicht nicht verletze.

Im Urteil 4C.3/2004 vom 22. Juni 2004 wurde eine Verletzung der Schadenmin-derungspflicht bei einem Grafiker ebenfalls verneint, dem die Gegenpartei vor-warf, er hätte seine selbständige Tätigkeit aufgeben müssen. Hier aber wurden die Ausführungen im Kontext der Schadenberechnung gemacht: Eine Schaden-minderungspflicht der geschädigten Person wirke sich dahingehend aus, «dass das Invalideneinkommen entsprechend erhöht bzw. bei tatsächlichem Fehlen von Einkommen in der Vergangenheit ein solches aufgrund des vorgängig bestimm-ten Grades der Erwerbsfähigkeit in die Schadensberechnung eingesetzt wird»172.Das Bundesgericht rügt die Vorinstanz, die ohne Feststellung einer Pflichtverlet-zung nicht vom tatsächlich erzielten Einkommen ausgegangen ist173.

Als Berechnungsfaktor behandelt das Bundesgericht die Schadenminderungs-pflicht aber auch bei einem Taxifahrer im Urteil 4C.170/2005 vom 9. November 2005. Dieser rügte, die Vorinstanz sei von der medizinisch-theoretischen Ar-beitsunfähigkeit ausgegangen. Das Bundesgericht hält dem entgegen: «Nirgends hielt die Vorinstanz fest, eine Schadensminderungspflicht sei auszuschliessen. Vielmehr rechnet sie dem Kläger unter diesem Titel – wenn auch nicht ausdrück-lich erwähnt, so doch nachvollziehbar – ein theoretisch erzielbares Einkommen an. Eine Verletzung des Grundsatzes der konkreten wirtschaftlichen Schadensbe-rechnung ist nicht dargetan»174.

Ohne auf die Schadenminderungspflicht Bezug zu nehmen, hat das Bundesge-richt im Urteil 4C.252/2003 vom 23. Dezember 2003175 einem portugiesischen Bauarbeiter, der von einem stark alkoholisierten Lenker angefahren und schwer verletzt worden war, einen Invaliditätsgrad von 50 % attestiert, und darauf basie-rend den Schaden berechnet, dies obwohl der Betroffene seit 11 Jahren nicht mehr erwerbstätig war und auch nicht mehr auf dem Bau arbeiten konnte.

172 Erwägung 1.2.2. 173 Nähere Angaben zum Urteil mit kritischen Anmerkungen in HAVE 2004 306 ff. 174 Erwägung 2.4. 175 Besprochen und in diesem Punkt ebenfalls kritisiert von MARC SCHAETZLE in HAVE 2004, 112 ff.

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Stephan Weber

B. Uneinige Lehre

Während die ältere und wohl noch immer herrschende Lehre die Folgen der Verletzung der Schadenminderungspflicht unter OR 44 würdigt176 oder die Frage mit einer gewissen Gelassenheit offen lässt177, wird die Schadenminderung in der jüngeren Literatur vermehrt der Schadensberechnung zugeordnet. Als Erster hat ROLAND SCHAER diese Ansicht vertreten und dabei ausgeführt, dass die Scha-denminderung nicht unter dem Aspekt der konkurrierenden Ursache bei der Herbeiführung des schädigenden Ereignisses, sondern bei der Feststellung des relevanten Schadens zu behandeln sei178. Hintergrund dieser Ansicht bildet ein Schadensverständnis, das Zurechnungs-, Berechnungs- und Bemessungskriterien zusammenfasst und als Schaden nur notwendige, nützliche und nicht vermeidba-re Aufwendungen begreift. Ganz ähnlich argumentiert auch ROBERTO aus einer rechtsvergleichenden Warte179. Er sieht die Erklärung ebenfalls in einem «durch Wertungen konkretisierten Schadensbegriff», der vorausgesetzt werden müsse.

Als jüngster Vertreter der Schadenstheorie ist LUTERBACHER mit einem umfang-reichen Werk angetreten. Er liefert gleich mehrere Begründungen180. Zum einen begreift auch er die Haftungsausfüllung als reines Schadensproblem und ordnet die mitverursachten Verletzungsfolgen der Haftungsbegründung zu181, mit der nicht unwesentlichen Konsequenz, dass hier die Schadenersatzbemessung doch noch zum Zuge kommt182. Im Umfange der Verletzung der Schadenminderungs-pflicht liege im Übrigen ein Eigenschaden vor, welcher nicht zu ersetzen sei. Mit Berufung auf OFTINGER/STARK183 wird mit der Unterbrechung des haftungsaus-füllenden Kausalzusammenhangs argumentiert. Allerdings komme es bei der Schadenminderung, die mit der Zumutbarkeit operiere, nicht auf den Verschul-densgrad an184. Das Entfallen des von der Schadenminderungspflicht betroffenen

176 BREHM, Berner Komm. N 48 ff. zu OR 44; SCHNYDER, Basler Komm. N 8 zu OR 44; HONSELL § 9 N 18. 177 Zum Beispiel von OFTINGER, nach dem sich die Pflicht zur Ergreifung schadenmindernder Massnahmen

hinlänglich aus dem Begriff des Schadens, der Kausalität und des Selbstverschuldens erklärt. Gleich auch GEHRER, 170, der die dogmatische Differenzierung für belanglos hält und dabei das Quotenvorrecht und die Moderationsmöglichkeit bei Kürzungen im Rahmen der Schadenersatzbemessung übergeht.

178 SCHAER, Grundzüge N 313 ff.; 333 ff. 179 ROBERTO, Schadensrecht 290 ff., Haftpflichtrecht N 799 ff. 180 LUTERBACHER insbes. N 250 ff. 181 Nach dem eingangs skizzierten Tatbestandsmodell wird davon ausgegangen, dass die Grenze mit der

Primärverletzung gezogen wird, die mit Kausalitätskriterien zuzurechnenden Folgeverletzungen aber be-reits zur Haftungsausfüllung gehören.

182 a.a.O. N 244, wo als Beispiel das Unterlassen einer ärztlichen Behandlung aufgeführt wird, das zu zusätz-lichen Heilungskosten führt. Dabei handle es sich gar nicht mehr um ein Problem der Schadensminderung.

183 Die Ausführungen in § 6 N 45, die von ROBERTO, Schadensrecht 292 f. abgelehnt werden 184 Die schwer nachvollziehbare Begründung dafür findet sich bei LUTERBACHER N 191.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

Betrages könne schliesslich auch damit begründet werden, dass nach OR 44 I der Richter den Haftpflichtigen gänzlich von seiner Ersatzpflicht entbinden könne185.

C. Hybride Lösung

Nachdem ich bereits anlässlich der Versicherungsrechtstagung 1999 in St. Gal-len und auch in weiteren Artikeln186 zur Schadenminderungspflicht Stellung genommen habe und auch nach der Lektüre der neueren Urteile und Beiträge zu keinem anderen Schluss komme, möchte ich den eignen Standpunkt hier nur kurz vortragen:

Die in Lehre und Rechtsprechung vertretenen Lösungen sind richtig und falsch zugleich, denn es kommt auf die jeweilige Konstellation an. Ähnlich der konsti-tutionellen Prädisposition187 ist die Schadenminderungspflicht bei der Schadens-berechnung oder bei der Schadenersatzberechnung zu berücksichtigen.

Dass auch die Schadenberechnung auf Wertungen beruht, darin ist den Vertre-tern der Schadenstheorie zuzustimmen. Der Schaden kann nicht einfach mittels einer Subtraktion aus hypothetischen Vermögenslagen ermittelt werden, denn er beruht nicht einfach auf greifbaren Fakten, sondern oft auch nur auf Annahmen und Prognosen. Und bei diesen Annahmen spielt nicht selten die Person des Geschädigten bzw. sein Verhalten eine zentrale Rolle. So wenn es darum geht, den Erwerbsausfall zu bestimmen und man sich über die beruflichen Aktivitäten Gedanken machen muss oder beim Haushaltschaden, wenn sich die Frage stellt, welche Arbeiten vom Betroffenen noch ausgeführt werden können. Es ist selbst-verständlich, dass hier im Sinne eines Normverhaltens die Schadenminderungs-pflicht zu berücksichtigen ist. Es wäre unsinnig, den Schaden auf einer Grundla-ge zu schätzen, die nach einer nachträglichen Korrektur rufen würde. Wenn OR 44 bestimmt, dass Umstände für die der Geschädigte einzustehen hat, nicht zu ersetzen sind, so wird damit auch eine Entscheidung darüber getroffen, welche Nachteile in die Vermögensrekonstruktion bei der Schadensberechnung einzube-ziehen sind. Schadenminderungskriterien können allerdings nur im Rahmen der Schadensberechnung nach OR 42 II einfliessen und dies auch nur, wenn es dar-um geht, die zukünftigen Auswirkungen eines Schadenereignisses abzuschätzen.

185 LUTERBACHER N 260. 186 Die Urteilsbesprechung in HAVE 2004, 306 ff. sowie im Zusammenhang mit der 5. IV. Revision in HAVE

2006, 264 ff. 187 Und insofern aus gleichen Motiven, als zukünftige Ohnehin-Schäden ebenso von der Zurechnung auszu-

nehmen sind, wie vermeidbare.

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Stephan Weber

Steht der Schaden dagegen in Form eines bestimmten Geldbetrages (Reparatur-kosten, Auslagen für eine Haushalthilfe usw.) bereits fest, können die in Verlet-zung der Schadenminderungspflicht entstandenen Weiterungen nicht von der Berechnung ausgeklammert werden, denn im schweizerischen Haftpflichtrecht fehlen auf Schadensstufe die dafür nötigten Restriktionen. Der entstandene Schaden ist stets auch der relevante Schaden. Eine Korrektur ist nur aber immer-hin im Rahmen der Schadenersatzbemessung möglich. Es sind also v.a. die be-reits eingetretenen Schäden, die bei der Schadenersatzbemessung zu sanktionie-ren sind188. Es ist offensichtlich, dass ein anderer Massstab anzulegen ist, wenn die Beurteilung für die Vergangenheit vorzunehmen ist, als wenn sich die Frage pro futuro stellt und eine Einflussnahme noch möglich ist. Im Rahmen der Scha-denersatzbemessung ist auch eine Verschuldensprüfung vorzunehmen. Für diese ist in Abweichung zum haftungsbegründenden Verschulden ein subjektiver Massstab anzuwenden. Das folgt aus dem Erfordernis der Zumutbarkeit, das nur verlangt, was der Geschädigte zu erfüllen auch in der Lage ist189.

Für den hier gewählten Ansatz, der sich gegen die Ansicht wendet, die Scha-denminderungsfälle exklusiv der Schadensberechnung oder der Schadenersatz-bemessung zuzuweisen, sprechen nebst dogmatischen Gründen vor allem die durch die unterschiedliche Einordnung möglichen Differenzierungen bei den Rechtsfolgen, die vom gänzlichen Ausschluss bis hin zur Leistungskürzung rei-chen, die Vorwerfbarkeit würdigen und namentlich berücksichtigen, ob ein Ver-mögensverlust bereits eingetreten ist, oder ob er erst droht.

D. Differenzierte Kürzungen

Hinsichtlich der Kürzungen im Rahmen der Schadenersatzbemessung sind einige Besonderheiten zu beachten, auf die zum Teil bereits hingewiesen worden ist. Die Schadenminderung betrifft den Zeitraum nach eingetretener Rechtsgutsver-letzung, sodass sich die Pflichtwidrigkeit in den überwiegenden Fällen in einer Vergrösserung des Schadens und dort, wo verschiedene Rechtsgüter betroffen sind, nur hinsichtlich einzelner Verletzungsfolgen bemerkbar macht. Die Nach-lässigkeit kann aber auch den Schaden erst herbeiführen, so etwa bei einer unter-lassenen ärztlichen Behandlung. Die Kürzung kann sich nur auf den zusätzlich

188 Es kann sich aber auch um zukünftige Schäden handeln. Wenn ein Geschädigter z.B. notwendige medizi-nische Massnahmen unterlässt und dadurch in seiner Erwerbsfähigkeit lebenslänglich eingeschränkt ist, so ist diesem Umstand nicht bei der Schadensberechnung, sondern bei der Schadenersatzbemessung Rech-nung zu tragen, denn auch hier kann die Beeinträchtigung nicht mehr rückgängig gemacht werden.

189 Vgl. WEBER, Schadenminderungspflicht, 160.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

entstandenen Schaden beziehen, da nur zu diesem der notwendige Kausalbezug besteht.

Bei der Schadenminderung wird der Ersatzanspruch vielfach direkt um den so erurierten Mehrschaden gekürzt und nicht etwa, wie bei der Schadenersatzbe-messung üblich, durch eine Quotierung auf den Schädiger und Geschädigten aufgeteilt. Dieses Vorgehen, das auch in der Literatur Zustimmung findet190, ist dann nicht angemessen, wenn der vermeidbare Schaden bereits eingetreten ist. Aus kausaltheoretischer Sicht sind der Haftpflichtige und der Geschädigte glei-chermassen am Mehrschaden beteiligt191 und ein gänzlicher Ausschluss der Haf-tung nur dann angemessen, wenn der Tatbeitrag des Geschädigten eindeutig überwiegt, was dann anzunehmen ist, wenn die geschädigte Person zumutbare Massnahmen überhaupt nicht ergreift, obwohl sie dazu Gelegenheit hätte und ihr dies auch bekannt ist. In den übrigen Fällen ist der Zusatzschaden zu quotieren, wobei keine allzu freien Abstufungen zu treffen sind. Nebst der Besonderheit, dass die Quotierung in den Schadenminderungsfällen meist nur einzelne Scha-denspositionen betrifft, ist auch die unterschiedliche Quotenbildung zu beachten, wenn der Geschädigte gleichzeitig an der Haftungsbegründung beteiligt war. Alsdann ist zunächst der in Verletzung der Schadenminderungspflicht zu tragen-de Anteil abzuziehen und der verbleibende Restbetrag nach der Haftungsquote auf die Beteiligten zu verlegen192.

VII. Kompensation und Quotelung im SVG

A. Werdegang der Sonderregel

Die Schadenersatzansprüche eines Halters gegen andere Verkehrsteilnehmer richten sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Haftpflichtrechts. Grundlage für Ansprüche gegen einen anderen Halter bildet SVG 58, der eine verschuldensunabhängige Haftung für Personen- und Sachschäden vorsieht. Nach den allgemeinen Regeln der Schadenersatzbemessung, auf die SVG 62 I

190 Die Ansicht wird selbstverständlich von all jenen geteilt, die in der Schadenminderungspflicht ein reines Berechnungsproblem diagnostizieren.

191 Das wird etwa von LUTERBACHER N 242 verneint, trifft aber etwa auch für den Erwerbsschaden zu, der vermeidbar wäre. Dass sich die geschädigte Person um eine andere Stelle bemühen muss, hängt mit dem Haftungsereignis zusammen. Es ist daher auch richtig, dass eine differenzierte Lösung getroffen wird, je nachdem, wie nachlässig die Reintegration angegangen wird und wie gross die Bemühungen der Versiche-rer sind.

192 Dazu vorstehend Ziff. IV./B./3.

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ausdrücklich verweist, würde sich der Anspruch nach dem vorstehend Ausge-führten wie folgt bemessen:

Der geschädigte Halter muss sich die eigene Betriebsgefahr anrechnen lassen und ebenso ein Verschulden. Dies führt zu einer Reduktion, die recht massiv ausfallen kann, da man bereits bei Schuldlosigkeit von einem Fifty-fifty-Schlüssel ausgehen muss, wenn gleichwertige Betriebsgefahren involviert sind. Der Anspruch reduziert sich zusätzlich um den Verschuldensanteil und sinkt auf null, wenn das Selbstverschulden als grob zu qualifizieren ist. Für diesen Fall sieht SVG 59 I explizit die Befreiung von der Haftung vor, die sich allerdings auch aus den allgemeinen Haftungsgrundsätzen herleiten liesse, da bei dieser Konstellation eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs angenommen wird193.

Für den «Schadenersatz zwischen Motorfahrzeughaltern» gelten die soeben ausgeführten Grundsätze allerdings nicht, denn zum Zuge kommt eine spezielle Regelung, die aus der strengen SVG-Haftung eine Verschuldenshaftung produ-ziert. So jedenfalls beim Sachschaden, der nach SVG 61 II nur dann zu ersetzen ist, wenn ein Verschulden nachgewiesen wird. Für den Körperschaden unter Haltern soll nach SVG 61 I die Verteilung des Schadens «nach Massgabe des von ihnen zu vertretenden Verschuldens» erfolgen, «wenn nicht besondere Um-stände, namentlich die Betriebsgefahren eine andere Verteilung rechtfertigen.»

Nach dem Wortlaut, der identisch ist mit der Regelung über die interne Auftei-lung des Schadens bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen in SVG 60 II Satz 2, kommt dem Verschulden prioritäre Bedeutung zu. Allerdings macht die Be-

193 An die Entlastung werden im SVG allerdings höhere Anforderungen gestellt, als im gemeinen Deliktsrecht. Das wird daran sichtbar, dass der Halter, der sich entlasten will, einen dreifachen Beweis führen muss: Nebst dem Entlastungsgrund hat er auch nachzuweisen, dass ihn selbst (oder Personen, für die er verant-wortlich ist) kein Verschulden trifft und auch nicht fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzugs zum Unfall bei-getragen hat. Für diese «Zusatzbeweise» werden auch keinerlei Erleichterungen gewährt; es gilt das Re-gelbeweismass. Formal geht es um die Eliminierung der Vermutung schuldhaften Verhaltens resp. fehlerhafter Beschaffenheit, materiell folgt die Lösung aus der Zielsetzung des SVG und nachzulesen ist all dies im Urteil 4C.332/2002 vom 8.7.2003, Erw. 3.3.: «Die Haftungsordnung des SVG beruht auf dem Ge-danken, dass die Betriebsgefahr des Motorfahrzeugs für sich allein eine hinreichende Haftungsgrundlage setzt, wenn ihretwegen ein Schaden entsteht. Die Entlastung von der Halterhaftung wegen Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs zufolge höherer Gewalt, grobem Verschulden eines Dritten oder des Geschädigten erscheint als Ausnahme von der Regel und ist daher grundsätzlich strengen Anforde-rungen zu unterstellen, sollen der Schutz und die obligatorische versicherungsrechtliche Absicherung des Geschädigten nicht illusorisch werden.» Die Intentionen sind klar: Das SVG soll bei Verkehrsunfällen einen umfassenden Schutz bieten, der auch dann nicht beseitigt werden kann, wenn konkurrierende Ursachen am Schaden beteiligt sind. Es bedarf aussergewöhnlicher Umstände um die Haftung zu negieren, entspre-chend hoch wird die Intensität des Haftungsgrunds «Betriebsgefahr» gehandelt, was folglich auch bei der Schadensverteilung zum Tragen kommen müsste, leider aber nicht allseits so gesehen wird, was die fol-genden Ausführungen notwendig macht.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

stimmung keine Angaben zum Verhältnis von Verschulden und anderen Scha-denursachen.

Die Bestimmung hat eine wechselhafte Geschichte und wurde erst anlässlich einer Teilrevision im Jahre 1975 eingefügt. Die ursprüngliche Fassung des SVG von 1958 sah noch vor, dass die Aufteilung zu gleichen Teilen erfolgt, «sofern nicht die Umstände, namentlich das Verschulden eine andere Schadenstragung rechtfertigen«. Bereits damals und schon unter dem Vorläufer MFG 39, der für die Schadensteilung noch auf das OR verwies, hat sich die Praxis eingespielt, dass sich gleiche Betriebsgefahren kompensieren und sich der Schadenersatz nach dem Verschulden bemisst. Bereits damals regte sich heftige Kritik. Dieser trat das Bundesgericht im bekannten Urteil Meienberg (BGE 99 II 93 ff.) entge-gen: «Die Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verkennt, dass die latente Betriebsgefahr, die mit jedem sich im Verkehr befindlichen Fahrzeug verbunden ist, nicht ausschlaggebend sein kann. Massgebend müssen vielmehr die Ursachen sein, auf die die Verwirklichung dieser latenten Gefahr im Einzel-fall zurückzuführen ist. Bei den meisten Verkehrsunfällen ist diese Ursache aber – wenn von der mangelhaften Beschaffenheit der Fahrzeuge abgesehen wird – im schuldhaften Verhalten eines oder mehrerer Halter oder von Personen zu erblicken, für die ein Halter einzustehen hat; sonst entstünde eben trotz der vor-handenen Betriebsgefahr der Fahrzeuge kein Schaden.»

In der Novellierung vom 20. März 1975 wurden Art. 60 und 61 der verschul-densorientierten Praxis angepasst. Der Wortlaut der heutigen Regelung führt auf einen Vorschlag der UDK (Unfalldirektoren-Konferenz, heute Schadenleiterkon-ferenz SLK) zurück, der anlässlich des Vernehmlassungsverfahrens eingebracht worden ist194.

In der Botschaft zur SVG-Revision vom 14.11.1973 wurde schlicht und einfach mit dem gesunden Menschenverstand argumentiert: «Es entspricht daher durch-aus gesundem Rechtsempfinden, wenn der Halter, der durch erhebliches schuld-haftes Verhalten die Ursache dafür setzt, dass sich die Betriebsgefahren von zwei Fahrzeugen auswirken, im Verhältnis zum andern Halter, den kein Ver-schulden trifft, den ganzen Schaden tragen muss»195.

Die Hinweise zur Entstehungsgeschichte von SVG 61 I zeigen, dass der Gesetz-geber von der Kompensationsidee ausgegangen ist. Leitmotive waren aber weni-ger dogmatische, als praktische Überlegungen. Pate stand namentlich der Wunsch, die Gerichtspraxis und jene der Versicherungsgesellschaften mit dem

194 Der Wortlaut und die Begründung des Vorstosses können bei ROBERT GEISSELER, Haftpflicht und Versiche-rung im revidierten SVG (Änderungen vom 20. März 1975), Diss. Fribourg, 82 f., nachgelesen werden.

195 BBl 1973 II 1199.

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Gesetz in Einklang zu bringen. Die Evolution der heutigen Norm ist aber von einer uneinheitlichen Praxis und nie abflauenden Opposition eskortiert.

Das Bundesgericht hat sich in den Urteilen 4C.3/2001 vom 26. September 2001 und in BGE 123 III 277 f. letztmals zur Interpretation von SVG 61 I geäussert und dabei die traditionelle Sichtweise rezitiert. Nicht eingegangen ist es auf die heftige Kritik; es hat die vielen dissidenten Autoren gar nicht erst aufgeführt.

B. Widerstand der Lehre

Die Lehre hat sich schon unter dem MFG gegen die Kompensationstheorie ge-wandt. Der Widerstand gegen die verkehrsrechtliche Sonderlösung hat sich in den letzten Jahren noch massiv verstärkt. Jüngster Opponent ist VINCENT

HULLIGER, der diesen Standpunkt in einer breit angelegten Untersuchung vertre-ten hat196. Er bemängelt u.a., dass die Betriebsgefahr für das Ausmass des Scha-dens «mindestens ebenso entscheidend» sei und «daher bei der internen Scha-denverteilung auch beachtet werden» müsse. Stossend sei auch der vom Bundesgericht praktizierte Methodenpluralismus, der bei kleinen Abweichungen im Sachverhalt zu grossen Sprüngen bei der Rechtsfolge führe. Zu ähnlichen Folgerungen gelangt auch MARCEL SÜSSKIND197. Auch er stellt fest, dass die sektorielle Verteilung dank ihrer Flexibilität im Einzelfall angemessenere Resul-tate liefert.

Als vehementer Gegner der Kompensationstheorie und Wortführer der sektoriel-len Verteilung hat sich v.a. EMIL W. STARK exponiert, der den Begriff erstmals verwendet hat und für deren Anwendung auch in der Neufassung von SVG 61 keine Hindernisse sieht198. Die Reihe der Gegner lässt sich noch um viele promi-nente Namen erweitern. Erwähnt seien zur Abrundung: PIERRE TERCIER199,PETER GAUCH200, HANS MERZ201, BAPTISTE RUSCONI202 und HANS GIGER203.

196 Die Haftungsverhältnisse nach Art. 60 und 61 SVG, Diss. Freiburg 2003, 92 ff. und DERS., Bedeutung und Gewichtung der Betriebsgefahr in Art. 60 und 61 SVG, in: Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2004, St. Gallen 2004, 137 ff. (dem zustimmend in der Rezension dieses Werkes auch MARIE-LOUISE STAMM, BJM 2005, 112). An der Strassenverkehrsrechtstagung im Jahre 2004 hat SUSAN EMMENEGGER ebenfalls für die sektorielle Verteilung plädiert, während Koreferent ROBERT GEISSELER an der Kompensationstheorie fest-hielt, die dann auch im Tagungsbeitrag (S. 43) Niederschlag gefunden hat; vgl. dort auch die im Anhang aufgeführten und visualisierten Haftungsquoten im Vergleich von Rechtsprechung und Lehre.

197 Die Überwindung der Kaskadenordnung und der Kompensationstheorie durch die ganzheitliche Methode der sektoriellen Verteilung, SVZ 2000, 134 ff.

198 OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Band II/2, § 25 N 652. 199 DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, 2. A. Bern 1982, § 29 N 35. 200 Die Mehrheit von Ersatzpflichtigen, Strassenverkehrsrechts-Tagung, Freiburg 1986, Manuskript 33 f. 201 Probleme des Strassenverkehrs, Bern 1975, 108.

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Aber selbst die Befürworter gestehen ein, dass die Kompensationstheorie prob-lematisch ist, halten aber aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit an ihr fest. Deutlich kommt dies bei ALFRED KELLER zum Ausdruck, der von einem «kühnen Ermessen» des Bundesgerichts spricht. «Es bleibt aber dabei, dass die geschilderte Haftungsaufteilung nicht folgerichtig ist, sondern einfach vom Rechtsempfinden und den Bedürfnissen der Praxis bestimmt wird, dass man hier, mit der Anleihe bei Goethes orphischen Unworten, eine strenge Grenze gefällig umgeht. Fazit: Die getroffene Lösung ist ebenso pragmatisch sympathisch wie dogmatisch problematisch»204. Dass die Lösung der Logik widerspricht, aber der Praxis entspricht, ist letztlich auch die Haltung von BREHM205.

In Richtung sektorielle Verteilung gehen auch die Vorschläge im Vorentwurf für die Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts. Dort wurde klar er-kannt, dass die Haftungskollision mit den Wertungen bei der Schadenersatzbe-messung korrespondieren muss206. In Art. 53a VE207 ist die Haftungskollision denn auch fast identisch mit der Schadenersatzbemessung geregelt: Die Rege-lung wird zudem als klare Absage der heutigen SVG-Regelung verstanden208.

C. Gegenläufiger Trend der Rechtsprechung

Ausserhalb der beiden SVG-Sonderbestimmungen zeichnet sich ein klarer Wan-del weg von der Kompensation und hin zu einer sektoriellen Verteilung des

202 Les nouvelles dispositions de la loi fédérale sur la circulation routière en matière de responsabilité civile et d’assurance, JT 1976 I, 66/74 ff. und BUSSY/RUSCONI, Code Suisse de la circulation, Lausanne 1996, SVG 61 Ziff. 1.2.

203 Strassenverkehrsgesetz, Kommentar, 6. A. Zürich 2002, Ziff. 2b. zu SVG 60. 204 ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Band I, 6. A. Bern 2002, 396. KELLER spricht sich zudem bei OR

51 II klar für die sektorielle Methode aus, so Band II, 188 und ausführlich auch im Schiedsgutachten Alpina c. Allianz vom 13.12.98 (SG 1277).

205 La responsabilité civile automobile, Bern 1999, N 559. 206 Erläuternder Bericht 162: «Im wesentlichen ist dieses Problem eng mit dem allgemeineren Problem der

Bemessung der Ersatzleistung verbunden; letztlich geht es nämlich darum, die Ersatzpflicht aufgrund der Umstände zu bemessen.»

207 Er lautet: «Fügen mehrere Personen einander Schaden zu, so wird dieser einer jeden von ihnen nach Massgabe aller Umstände auferlegt; zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Schwere des Ver-schuldens und die Intensität des charakteristischen Risikos, welche jeder einzelnen Person zuzurechnen ist.»

208 «Um die Ersatzleistung zu bestimmen, die jeder beteiligten Person zusteht, wird das Gericht alle Umstände des konkreten Falls berücksichtigen, so insbesondere die Schwere des Verschuldens und die Intensität des charakteristischen Risikos, die jeder Person zuzurechnen ist. Das bedeutet, dass die zwei wichtigsten Haftungsgründe gleichwertig sind. Mit anderen Worten: Ist eine Bestimmung anwendbar, die eine Gefähr-dungshaftung begründet, gibt es von vornherein keinen Grund, dem Verschulden vorrangige Bedeutung zuzuschreiben oder nach der Natur des Schadens zu unterscheiden, wie dies Artikel 61 Absatz 1 und 2 SVG ungerechtfertigterweise vorsieht», Erläuternder Bericht 163.

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Schadens ab. Diese Tendenz zeigt sich selbst in der neueren Rechtsprechung zu OR 51 II. In den jüngsten Entscheiden betrachtet das Bundesgericht die Regress-treppe, die in ihren Glanzzeiten als «wohl abgewogenes, ethisch fundiertes Prin-zip» gehandelt wurde209, nicht mehr als sakrosankt. Eine erste Relativierung er-folgte im n.p. Urteil vom 5.5.1987 i.S. Michaud c. Confédération210, wohl besser bekannt als Steck-Urteil, die Bestätigung folgte schon bald in BGE 116 II 645211.In beiden Entscheiden ging es um die Aufteilung zwischen Gefährdungshaft-pflicht, einfacher Kausalhaft und Staatshaftung.

In BGE 132 III 249 findet sich ein glasklares Bekenntnis zur sektoriellen Vertei-lung. Anlass der Abwägungsüberlegungen im Rahmen von SVG 59 II bildet ein nicht links auf der Fahrbahn gehender Fussgänger: «Der Vorinstanz ist bei-zupflichten, wenn sie mit Verweis auf die in der Lehre mehrheitlich vertretene Ansicht davon ausgeht, dass der Gesamtschaden ‹sektoriell› auf jede der einzel-nen erheblichen Mitursachen zu verteilen sei»212.

Ganz selbstverständlich kommt die sektorielle Verteilung zum Zuge, wenn die SVG-Haftung mit einer anderen Gefährdungshaftung kollidiert, zum Beispiel mit dem EHG213. Selbst bei einem groben Verschulden der Motorfahrzeughalterin hat das Bundesgericht im Urteil 5C.7/2001 vom 20.7.2001 noch eine Haftung von zulasten der Bahn als angemessen taxiert.

Um eine Haftungskollision ging es in BGE 113 II 323. Dem Entscheid lag ein Unfall zweier Lastwagen im Ebenrain-Tunnel zugrunde. Kläger waren die Hin-terbliebenen des beim Unfall getöteten Lastwagenfahrers, die angesichts des beidseitigen Verschuldens der beiden Lenker eine Verschuldenskompensation verlangten, um so vollen Schadenersatz zu erhalten. Auch hier war die Abwä-gung nicht im Korsett der untersuchten SVG-Bestimmung zu treffen, da sich nicht Halter, sondern Lenker gegenüberstanden und es damit um einen «gewöhn-lichen» Bemessungsvorgang ging. Hier wie dort geht es aber um die gleiche Interessenabwägung und ganz selbstverständlich erfolgt die Schadensverteilung, wie die zitierten Urteile belegen, bei der Schadenersatzbemessung nach der sek-toriellen Methode. Und das Bundesgericht lehnte im zitierten Entscheid die an-begehrte Verschuldenskompensation mit klaren Worten ab: Sie widerspreche

209 So OFTINGER I, 352. 210 SG 475. 211 = Pra 1991 Nr. 45. 212 Auch im Urteil 4C.190/2002 vom 29. Oktober 2002 (Pra 2003 Nr. 121) und z.B. 6S.13/2006 vom 30.

August 2006 wird sektoriell geteilt. 213 Dazu SCHAFFHAUSER/PETER (Fn. 116); ROLAND BREHM, La Résponsabilité civile automobile, Bern 1999, N

494 ff.

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dem «Grundgedanken des Art. 44 Abs. 1 OR, der in Fällen wie dem vorliegen-den nur eine Ermässigung der Ersatzpflicht zulässt».

D. Persönlicher Standpunkt214

Weder dem historischen Willen noch dem Wortlaut kommt eine absolute ausle-gungsbegrenzende Funktion zu, dies umso mehr, als der Erlass der kritisierten SVG-Bestimmungen auch schon wieder rund 30 Jahre zurückliegt. In der Zwi-schenzeit hat sich das Wertungsschema zweifellos verändert. Die Haftungsgrün-de werden heute gleichrangig eingestuft. Die Haftungsordnung beruht auf drei gleichwertigen Pfeilern, der Verschuldenshaftung, der Gefährdungshaftung und den dazwischen liegenden heterogenen Tatbeständen der einfachen Kausalhaf-tung. Die Vorrangstellung des Verschuldens bei der Haftungskollision oder bei der internen Aufteilung im Rahmen von OR 51 II lässt sich mit dieser Optik nicht mehr vereinbaren und bildet auch rechtsvergleichend ein Unikum.

Der Wortlaut von SVG 61 I bringt zwar den Vorrang des Verschuldens zum Ausdruck, schliesst aber die Berücksichtigung weiterer Momente nicht aus und verlangt keineswegs, dass die beteiligten Betriebsgefahren kompensiert wer-den215. Es bleibt Raum für Lösungskonzepte, die mit dem heutigen Verständnis der Haftungsprinzipien besser übereinstimmen, gleiche Interessenlagen gleich werten und differenzierte Ergebnisse liefern.

Dass sehr häufig ein fehlerhaftes menschliches Verhalten hinter einem Schaden-fall steht216, ändert nichts daran, dass bei einem Verkehrsunfall nicht die mensch-liche Handlung an sich, sondern das Zusammenwirken mit dem Betrieb des Fahrzeugs die Gefährlichkeit begründet. Der Mensch ist nicht in der Lage, ein motorisiertes Fahrzeug vollständig zu beherrschen und bereits der kleinste Fehler kann fatale Folgen haben. Genau diese Prozesse gilt es abzubilden, wenn es um die Aufteilung des Schadens geht.

Die Priorität des Verschuldens steht auch im Widerspruch zur Feststellung, dass sich die Gefährdungshaftung durch die Wahrscheinlichkeit zu quantitativ und qualitativ schweren Schäden auszeichne217. Faktisch lässt sich ohnehin nicht belegen, dass die Grösse eines Schadens von einem bestimmten Haftungsgrund

214 Vgl. auch STEPHAN WEBER, Ausgleich unter Haltern- Zur Auslegung von SVG 60 II Satz 2 und SVG 61 I, SVK 3/1994, 34 ff.

215 Ebenso OFTINGER/STARK II, § 25 N 652, 741 m.w.N.; SÜSSKIND, SZS 2000, 150; HULLIGER 130. 216 Von OFTINGER stammt der Satz: «Unvergleichlich häufiger als die Maschine versagt der Mensch» (Schwei-

zerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/2, 3. Auflage Zürich 1972, 528); dazu auch GASSMANN-BURDIN, 38. 217 GASSMANN-BURDIN, 75 und schon vorstehend Ziff. IV./B./2.

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abhängt. Die verschiedenen Haftungsgründe lassen sich weder dogmatisch noch faktisch losgelöst von den Umständen des Einzelfalles gewichten und schliessen damit eine Determinierung im Sinne einer bestimmten Rangfolge von vornherein aus218.

Die Kompensationslösung bedeutet einen Fremdkörper in der Haftpflichtland-schaft. In keinem anderen Erlass ist für die Schadenersatzbemessung oder Haf-tungskollision eine Ordnung vorgegeben, die einzelne Ursachen ausblendet oder eine Gewichtung nach der Intensität nicht zulässt. Dies führt zu einer Ungleich-behandlung von Schadenersatzansprüchen, je nachdem, ob sich ein Unfall auf oder neben der Strasse, mit oder ohne Beteiligung von Motorfahrzeugen, unter Haltern oder unter Nichthaltern ereignet.

Letztlich negiert die Kompensation der Betriebsgefahren die Gefährdungshaf-tung des SVG: Obwohl der Tatbestand von SVG 58 erfüllt wird, fällt der Schä-diger aus der Haftung. Damit wird nicht einfach nur eine dogmatisch fragwürdi-ge Situation produziert, sondern – und dies ist der gewichtigste Einwand gegen die Kompensationspraxis – eine vermeidbare Lücke in einem Haftungssystem geschaffen, das gekoppelt mit dem Versicherungsobligatorium eine sozialversi-cherungsähnliche Funktion übernehmen soll. Die Gefährdungshaftung und das Versicherungsobligatorium im Verbund mit dem Direktanspruch und Einreden-ausschluss schützen die Opfer von Verkehrsunfällen sehr weitgehend vor finan-ziellen Nachteilen. Dieser Schutz soll nicht nur den nichtmotorisierten Ver-kehrsteilnehmern zugutekommen, sondern ebenso dem Lenker und Halter von Motorfahrzeugen, was schon in BGE 68 II 116 festgehalten ist: «Der Argumen-tation, das MFG wolle ausschliesslich den gegenüber dem Automobil in inferio-rer Stellung befindlichen Strassenbenützer, der nicht über mechanische Kräfte verfüge, vor den mit dem Gebrauch der letzteren verbundenen vermehrten Ge-fahren schützen […], kann daher nicht beigepflichtet werden.»

Die Lücke, die mit der Kompensationslehre gerissen wird, ist umso gravierender, wenn der Halter nicht über genügenden Versicherungsschutz verfügt. Es ist auch aus dieser Sicht nicht nachvollziehbar, warum ein methodischer Ansatz favori-siert werden soll, der empfindliche und für weite Rechtskreise nicht vorhersehba-re Schutzlücken schafft. Dies ist umso unverständlicher, als die sektorielle Ver-teilung keine Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft zur Folge hat. Zwar kommt es in mehr Fällen zu Schadenersatzleistungen, was möglicherweise mit einem etwas höheren administrativen Aufwand verbunden ist, die sektorielle Verteilung führt aber auch dazu, dass häufiger Leistungen gekürzt werden. Auch ein schuldloser Halter erhält nicht mehr automatisch vollen Ersatz, er muss sich

218 GASSMANN-BURDIN, 74 f.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

stets die Betriebsgefahr anrechnen lassen. Das ist immer noch erträglicher, als die gänzliche Verneinung eines Ersatzanspruchs. Die Kürzung ist der Preis für die Risiken, die mit einer Autofahrt in Kauf genommen werden. Fliessen auch Sozialversicherungsleistungen, und dies dürfte häufig der Fall sein, erlaubt das Quotenvorrecht die Kürzung ganz oder zumindest teilweise zu kompensieren.

Die – nebst dem Rechtsempfinden – als letzte Bastion gegen die Kritik angeführ-te Praktikabilität vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, denn auch für die sekto-rielle Verteilung lassen sich verlässlich handhabbare Kriterien finden, was die Praxis ja auch schon vielfach bewiesen hat. Entscheidend ist, dass mit der sekto-riellen Methode nicht mehr alles an einem Faden hängt, der Frage nämlich, ob ein leichtes Verschulden vorliegt oder nicht. Gerade über die Verschuldensfrage, die nie frei vom persönlichen Background des Beurteilers ist, herrscht oft keine Einigkeit und noch viel schwieriger ist die Entscheidung, ob es sich um ein leichtes oder ganz leichtes Verschulden handelt. Das ist dann unerträglich, wenn die Einschätzung völlig konträre Rechtsfolgen auslösen kann.

Unklar bleibt auch in der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wo die Grenze zu dem die Kompensation auslösenden Verschulden verläuft219, ebenso die Relation zwischen Verschulden und Betriebsgefahr, die uneinheitlich gewer-tet wird. Zum einen ist von einem «erheblichen Verschulden» die Rede, das eine ausschliessliche Schadenstragung rechtfertigen soll, anderseits kann nur ein ganz leichtes, geringfügiges Verschulden zu einer Mitbeteiligung des schuldlosen Halters führen. Die Gewichtung des Verschuldens schwankt dann bei der Bemes-sung zwischen einem doppelten220 und vierfachen Anteil221. Entsprechend gross sind dann die Sprünge bei den Quoten.

Mit der Kompensationslösung ist eine Abstufung der Haftung nach der Intensität des Haftungsgrundes nicht möglich. Verschulden führt zur vollen Haftung, leich-tes Verschulden zu einer 50%-Beteiligung. Alle anderen Varianten bleiben unbe-achtet. Die Lösung liegt damit ganz nahe bei der Schadensaufteilung bei Sach-schäden nach SVG 61 II, wo die Betriebsgefahr nicht einmal als Korrekturfaktor Einfluss nehmen kann und damit im Ergebnis eine Verschuldenshaftung gilt.

219 So wenn man Urteil 4C.3/2001 vom 26. September 2001 liest: «Gemäss Art. 61 Abs. 1 SVG hat demnach ein Halter unabhängig von den Betriebsgefahren grundsätzlich den ganzen Schaden zu tragen, wenn ihn ein einseitiges erhebliches Verschulden trifft. Eine andere Haftungsaufteilung auf Grund besonderer Um-stände rechtfertigt sich jedoch, wenn den allein schuldigen Halter nur ein geringfügiges bzw. ganz leichtes Verschulden trifft»: Was gilt nun? Nicht erheblich, geringfügig oder ganz leicht? Das Bundesgericht hat dem Kläger, der die Herrschaft über sein Motorrad infolge eines fehlerhaften Bremseinsatzes verlor, ein «leichtes Verschulden» vorgeworfen und den Anspruch dann wegen seines «nicht mehr ganz leichten Ver-schuldens» abgelehnt (E. 4b und c).

220 So in BGE 113 II 323/331 bei einer Kollision von Lastwagen 221 BGE v. 11.11.1975 i.S. Fischli c. Secura (SG Nr. 43); weitere Nachweise bei HULLIGER, 105, Fn. 366.

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Auch diese Lösung, die sich auch noch im EHG findet, widerspricht der Forde-rung, für gleiche Probleme gleiche Lösungen zu finden. Für das EHG wurde denn auch schon von der Studienkommission Haftpflichtrecht nicht zuletzt aus diesem Grunde ein Vorziehen der Revisionsarbeiten empfohlen222.

Bleibt das Rechtsempfinden, das auch heute noch verschuldensorientiert ist. Davon abgesehen, dass das Rechtsgefühl keine Rechtserkenntnisquelle sein kann, sondern höchstens ein erster Impuls, der den Erkenntnisprozess in Gang setzt, ist zu bedenken, dass die Schadensdeckung im SVG über den Haftpflicht-versicherer erfolgt und nicht durch den Schädiger persönlich, der so oder anders empfinden mag. Als schuldloser Beteiligter hat ein Halter mit keinen finanziellen Folgen zu rechnen, denn die Malussysteme bestrafen nur die schuldhaften Versi-cherungsnehmer.

E. Verteilungsschlüssel

Bei der sektoriellen Aufteilung sind sämtliche relevanten Umstände in die Ab-wägung einzubeziehen. Die Gesamtheit der rechtlich relevanten Umstände ist mit 100 % einzusetzen. In einem ersten Schritt muss der Anteil geschätzt wer-den, der den verschiedenen Verursachungsbeiträgen zukommt. Danach ist inner-halb der einzelnen Kategorien das Verhältnis der Verursachungsbeiträge festzu-legen. Beim Verschulden ergibt sich der sektorielle Anteil nach der Schwere des Verschuldens, bei den Betriebsgefahren bestimmt sich die Quote nach der Inten-sität der haftungsbegründenden Gefahren usw.

Auch bei der sektoriellen Verteilung drängt sich eine gewisse Schematisierung auf. Auszugehen ist dabei von SVG 59, der zum Ausdruck bringt, dass grobes Verschulden (des Geschädigten oder eines Dritten) von der Haftung befreit. Der auf das Verschulden entfallende Anteil ist daher bei grobem Verschulden eines Beteiligten mit 100 % einzusetzen, was Entlastung der Mitverursacher bedeutet. Mit diesem Vorgehen wird der geforderten Dominanz des Verschuldens Rech-nung getragen, denn nur das Verschulden hat die Wirkung, andere Ursachen gänzlich zu verdrängen. Bei einem mittleren oder leichten Verschulden wird der Verschuldensanteil entsprechend reduziert und somit der Anteil der Betriebsge-fahren grösser. Bei bloss einseitigem Verschulden und gleichwertigen Betriebs-gefahren kann von folgendem Verteilungsschlüssel ausgegangen werden223:

222 Bericht der Studienkommission zur Gesamtrevision des Haftpflichtrechts, Bern 1991, 197. 223 Ähnlicher Vorschlag bei SÜSSKIND, SVZ 2000, 141.

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Reduktion von Schadenersatzleistungen

Quotelung bei einseitigem Verschulden:

Verschulden Reduktions- resp. Haftungsquote

Kein (0 %) 50 % 50 %

Leicht (20 %) 60 % 40 %

Mittel (50 %) 75 % 25 %

Schwer (70 %) 85 % 15 %

Grob (100 %) = Entlastung SVG 59 100 % 0 % = Entlastung

Haben beide Halter ein Verschulden zu vertreten, so sind diese zusammenzuzäh-len und die restliche Quote bei gleichwertigen Betriebsgefahren hälftig zu teilen. Sind die beteiligten Betriebsgefahren nicht gleich zu veranschlagen, ist der An-teil «Betriebsgefahr» z.B. im Verhältnis 1 : 2 aufzuteilen. Zu berücksichtigen sind aber nur markante Unterschiede zwischen den Betriebsgefahren und, nur solche, die sich konkret auf die Schadenshöhe ausgewirkt haben.

Auch wenn grundsätzlich von gleichen Betriebsgefahren auszugehen ist, sei vor dem Missverständnis gewarnt, wonach zwischen verschiedenen Fahrzeugkatego-rien nicht zu differenzieren sei, weil sich die Unterschiede von Eigenverletzlich-keit (passive Betriebsgefahr) und Fremdgefährdung (aktive Betriebsgefahr) aus-gleichen. Auch hier erweist sich der Kompensationsgedanke als gefährlicher Trugschluss. So darf in den Fällen der Haftungskollision nicht auf eine einheitli-che Haftungsquote geschlossen werden, denn die passive Betriebsgefahr wirkt sich selbstverständlich nur auf die Insassen des schwächeren Fahrzeugs aus und sie ist nur beim Fahrzeughalter, nicht aber bei den anderen Benützern in Abzug zu bringen.

Führt der Unfall zusätzlich auf die fehlerhafte Beschaffenheit eines Fahrzeugs zurück, ist auch diesem Umstand mit einer Quote Rechnung zu tragen. Eine allzu feine Stufung, es sei nochmals betont, sollte aber vermieden werden. Kürzungen unter 10 % sind zu vernachlässigen.

VIII. Wesentliche Befunde

Die Reduktion der Schadenersatzleistungen zeigt ein facettenreiches Bild. Zum einen kann sie nicht einfach einer Rechtsfigur zugeordnet werden, was sich bei

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der konstitutionellen Prädisposition und der Schadenminderungspflicht zeigt, andererseits existieren Sonderlösungen wie jene des SVG, die mit der Verschul-denskompensation Wertungen einbringen, die den übrigen Kürzungstatbeständen fremd sind. Zudem werden mit der zu starken Anlehnung an die Haftungsseite bei der Annahme von Reduktionsgründen falsche Analogien gezogen, auch bei den Hilfspersonen, die im Umfeld der geschädigten Person anders zuzuordnen sind. Zu wenig differenziert verläuft oft auch die Quotenbildung, so wenn unter-schiedliche Vermögensgüter betroffen oder mehrere Schädiger beteiligt sind. Es zeigt sich aber auch, dass das grosse Arsenal von Reduktionsgründen in der Praxis kaum ausgeschöpft wird. Die Stellung in den Lehrbüchern entspricht daher nicht der praktischen Relevanz224. Das hat zweifellos damit zu tun, dass der Versicherungsschutz das Bedürfnis nach Schonung des Ersatzpflichtigen in den Hintergrund gedrängt hat. Im Bereich der Personenschäden kommt dem Selbst-verschulden, der Schadenminderung und der konstitutionellen Prädisposition nach wie vor eine hohe Bedeutung zu. Umso mehr sollten die hier noch offenen Fragen schnell geklärt werden.

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